Unter den Schwingen des Horusfalken 2 von Hotepneith (Die Gefahren des Delta) ================================================================================ Kapitel 19: Besprechung ----------------------- Es war schon dunkel, als sich Meruka und seine Mitarbeiter in dem engen Raum trafen, der ihm und Rahotep zugewiesen worden war. Es saß auf den Decken, die ihm hier zur Verfügung standen, Rahotep auf den seinen, Merit hatte sich nach Einladung neben den Vorsteher gesetzt, Nefer neben den Arzt. Ptahnacht hockte sich auf den Fliesenboden, nahe genug an der Tür, damit er wirklich wachen konnte. Zuerst berichtete die junge Dame aus dem ipet, was sie gehört hatte – eigentlich nichts, was die problematischen Morde betraf, aber ihr war klar, dass sie Meruka genau deswegen als erste aufgefordert hatte. Danach berichteten dieser und Rahotep, was sie in Erfahrung hatten bringen können – oder auch nicht, über Seneb, Senebib und Chaamaat. Nefer hatte an einer Stelle seines Vortrages gelächelt und so meinte Meruka danach: „Nefer? Was weißt du über Seneb? Oder Senebib?“ Die Frau aus dem Süden sah auf. „Ich habe, während Merit sich allein zurecht machte, viel Zeit in der Küche verbracht, mich umgehört, wie du es wolltest. Mir wurde gesagt, Chaamaat sei nicht gern hier, er wäre lieber, was er auch laufend betont, in seiner Heimatstadt Djedu, wo er offenbar Gottesdiener bei Usir ist. Er glaubt felsenfest daran, dass ihn dieser nach seinem Tod wieder aufleben lässt, also, ich meine, ohne den göttlichen Falken. Ansonsten kümmert er sich nicht um das restliche Personal. Bei jeder Gelegenheit, zu Feiertagen des Usir vor allem, reist er nach Djedu. Seine Aufgaben übernimmt dann hier sein Stellvertreter, ebenfalls gelernter Bäcker, kein Schreiber, aus Nechen. - Seneb, ja, er gilt als netter Vorgesetzter, er achtet auch auf die Vorräte der Küche und organisiert wohl auch kurzfristige Wünsche, wenn der Herr der beiden Länder, er lebe, sei heil und gesund, anwesend ist. Kurz, er macht ihnen keine Probleme. Aber, da du seine Familie erwähntest, Meruka: er ist nicht mit einer Fischertochter verheiratet, sondern mit der eines Schweinehirten. Sie machen sich natürlich deswegen lustig.“ Das konnte sich Meruka vorstellen, sah jedoch, dass Merit irritiert wirkte. Natürlich, das Mädchen aus dem ipet, am Hofe erzogen. „Merit, Schweinehirten heiraten normalerweise untereinander. Sie gelten für … nun, sehr einfache Leute. Natürlich, ein Fischer und ein Schweinehirte… das mag angehen, aber für einen gelernten Schreiber ist diese Ehe eher unpassend. Eigenartig. Nefer, weißt du, warum er sie geheiratet hat? Er müsste da doch schon Schreiber gewesen sein.“ „Es war wohl … Nun, mir sagte eine kichernd, dass der älteste Sohn nur eine Jahreszeit nach der Heirat geboren wurde. Und da Seneb noch sehr jung gewesen sei, zwölf oder so. Wohl eine Pause in der Lehre und …“ Er hatte sich nichts dabei gedacht, sich wohl auch noch für zu jung gehalten. „So ist es kaum verwunderlich, dass er die Kinder aus dieser Ehe nicht fördert.“ Merit legte den Kopf schief. „Er könnte sich doch scheiden lassen.“ Sie sah, dass sie alle verwundert anblickten. „Oder, geht das nur in der königlichen Familie? Ich dachte …“ „Nein, eine Scheidung geht immer in gegenseitigem Einvernehmen,“ erklärte Rahotep eilig, bemüht sie zu schützen, da sie wirklich betroffen drein sah. „Aber ich wage zu bezweifeln, dass eine Frau, die mit einem Schreiber in königlichen Diensten verheiratet ist, so leicht zustimmt und lieber in ihr Elternhaus zurückkehrt.“ „Überdies,“ ergänzte Meruka sachlich. „Eine Scheidung ist eine teure Angelegenheit. Für den Mann. Die Ehefrau darf nicht nur die Frauensachen mitnehmen, also das, was sie in die Ehe gebracht hat, sondern erhält auch die Hälfte des Vermögens. Seneb wird als Schreiber in königlichen Diensten doch einiges angesammelt haben, das er nicht ohne weiteres teilen möchte. Ein Arrangement in gegenseitigem Interesse. Kein Wunder allerdings, dass er seinen alten Freund Senebib so fördert. Hast du noch etwas über ihn herausgefunden, Nefer?“ Diese zuckte die Schultern. „Keiner redet über ihn, obwohl sie ihn kennen, Ich hörte nur, er sei unverheiratet, keine Kinder. Er kommt anscheinend selten in die Küche.“ Meruka nickte. „Ptahnacht, was hast du erfahren?“ Der Wächter des Horus legte die Hände auf die Knie. „Zu Chaamaat – ich kann bestätigen, das er allen mit seiner Faszination für Usir auf die Nerven geht. Manchmal, sagte mir einer der Wächter, aber bedauerte das sofort, scheine es ihm, als wolle der unbedingt unsterblich werden, ohne an den Lebenden Horus zu denken….“ Ptahnacht schluckte unwillkürlich, was er da aussprach gehörte zu den Dingen, die einen in das isfed, die ewige Unordnung, das Nichts, schicken konnten. Meruka wusste dies, wusste auch, dass sein Mitarbeiter um sein Grab im Heiligen Bezirk fürchtet, sein Leben für die Ewigkeit im Schutz des Falken. „Weiter. Du sagst nur, was du hörtest.“ „Er scheint jedenfalls eigentlich nur mit den Arbeitern der Bäckerei und den anderen Vorstehern zu reden. Also müsste dir Anchka noch eher etwas mitteilen können. Zu Seneb, er ist ein angenehmer Vorgesetzter, wurde mir gesagt, immer ruhig und nicht hochnäsig. Was man von Senebib wohl weniger behaupten kann. Einer der Männer berichtete, dass er gern, wenn Seneb nicht dabei ist, den Vorsteher spielt und Befehle erteilt. Aber er ist nun mal Senebs rechte Hand und Freund und so sagt niemand etwas laut. Der Mann war auch nur so zornig, weil Senebib ihn zwei Mal persönlich angesprochen hat, weil er von dem Lehm, mit dem die Amphoren verschlossen werden nicht genug mitgebracht habe. Der Mann sagte, er mache das seit Jahren und sei sicher, das wäre genug gewesen. Solche Kleinigkeiten eben.“ Meruka nickte etwas und streifte unbewusst seine Kette mit dem sab-Amulett, Zeichen des Ermittlers. Ja, Kleinigkeiten. Aber er wusste aus langjähriger Erfahrung wie mühsam sie zusammengetragen wurden, wie viele Worte gewechselt werden mussten, um unauffällig zu bleiben. Zaubern konnte keiner seiner Mitarbeiter. „Sagte er zufällig, was das für Amphoren gewesen waren?“ „Aus der Weinherstellung, denke ich. Du weißt schon, diese eingelegten Datteln. Da kommt der Lehmverschluss drüber und dann das Siegel des diensthabenden Beamten.“ „Richtig. Und genau das ist Senebib doch nicht. Dann lässt ihn Seneb sein Siegel führen? Das wäre ein Verstoß gegen die Dienstvorschriften.“ „Das könnte ein Zeichen des Vertrauens sein,“ gab Rahotep zu bedenken. „Wenn er aus irgendeinem Grund ausfällt, übernimmt sein Freund. Und er vertraut ihm genug, dass der ordnungsgemäß überprüft, was und wie viel sich in den Amphoren befindet.“ „Ziemlich viel Vertrauen,“ erwiderte Meruka. „Der, der das Siegel in den Lehm drückt, haftet auch, wenn es sein muss, mit dem Leben.“ „Sie kennen sich vermutlich ihr Leben lang.“ Merit seufzte etwas. „Es wäre auch zu schön, wenn jemand sagen würde, da, er hat die Datteln vergiftet.“ „Nein.“ Nefer lächelte. „So einfach wird es uns nicht gemacht. Überdies: soweit ich weiß, werden die Datteln getrocknet und dann in den Wein gefüllt, sorgfältig abgezählt. Wie sollte man da welche vergiften.“ Meruka nickte. „Das stimmt. Ich werde einen Moment nachdenken, ihr könnt euch unterhalten.“ Ohne weiteres Wort legte er sich auf die Bettstatt, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und schloss die Augen.   Drei Verdächtige, zwei Vorsteher mit dunklen Schatten, ein Helfer, ja, Stellvertreter ohne Schreiberausbildung, dem das anscheinend zu Kopf stieg. Aber wer? Und warum? Chaamaat? Der Vorsteher der Bäcker glaubte offenkundig inbrünstig an den neuen Stadtgott von Djedu und verehrte ihn sehr, ja, war Priester. Hatte das etwas zu besagen? Er würde gern in seine Heimatstadt zurück, wollte aber offenkundig auch nicht diese wohl bestallte Aufgabe in einem königlichen Palast aufgeben. Hatte er darum Gift in Speisen getan, die dann als Ehrengeschenk des Horus weitergeleitet wurden? Um zu beweisen, dass sein Gott mächtiger als der himmlische Falke war, dessen Geschenke den Tod brachten? Aber wie? Getreide wurde immer in Körnerform ausgeliefert – und wie sollte man damit einzelne Personen vergiften können? Und, mit welchem Gift? Die Ärzte waren ratlos und selbst die tscheref-Krankheit, die aus dem Genuss von verdorbenem Getreide herrührte, war es nicht gewesen. Seneb? Auch hier – Salböle und Wein. Eigentlich unmöglich nur einen Teil zu vergiften. Überdies hatte Seneb die Schreiberausbildung genossen, war also durch Förderung und Talent vom einfachen Fischerjungen bis zu einem Vorsteher in einem königlichen Palast aufgestiegen. Welches Interesse sollte er daran haben irgendwelche einzelnen Leute irgendwo im Delta zu töten? Überdies, gab Meruka sich selbst zu, glaubte er nicht, dass ein ausgebildeter Schreiber so wahllos töten würde. Man lernte in der Ausbildung ja eben nicht nur Schreiben, lesen, Mathematik, sondern erhielt auch eine Ausbildung in Benehmen und Kultur. Vielleicht auch nur ein Vorurteil. Dennoch: es war unmöglich, eine Amphore Wein stückweise zu vergiften. Doch ein Versehen in der Herstellung? Aber, warum nur eine Person? Ja, Kinder, denen nun wirklich kein Wein gegeben wurde? Senebib? Der gute, treue, Freund? Er war wie Chaamaat nicht ausgebildet, aber besaß sicher gewisse Fähigkeiten. Ganz ohne Grund hatte Seneb ihn kaum hergebracht und gefördert. Überdies konnte er gewiss mit Siegeln umgehen und einige Zeichen, die zur Markierung notwendig waren. Dass dem das ein wenig zu Kopf gestiegen war und er nun auf einfache Arbeiter hinabblickte – nun, das war möglich, um nicht zu sagen, üblich. Was war es nur, was ihm entfallen war? Irgendetwas lauerte unter der Oberfläche seines Bewusstseins, wie Sobeks Freunde im Wasser.   Die zwei betroffenen Kinder aus einer Familie. Die Kinder waren ein Schlüssel zu dem Rätsel. Und? Datteln. Datteln in Wein? Sie waren bei jedem Todesfall dabei gewesen, oder? Er richtete sich abrupt auf. Seine Mitarbeiter, die Merit inzwischen nach dem Ablauf der Festivitäten der nächsten Tage ausgeforscht hatten, schwiegen sofort und blickten ihn an. „Merit,“ meinte er nachdenklich. „Wenn Kinder mitessen und es Datteln in Wein eingelegt gibt, bekommen sie sie?“ „Nicht den Wein, soweit ich weiß,“ antwortete das Mädchen aus dem ipet prompt. „Aber natürlich die süßen Datteln.“ Zumal, wenn es sich um ein Ehrengeschenk des Horus handelte. Hm. „Rahotep, was könnte man in den Wein geben, das so ähnlich aussieht wie getrocknete Datteln, aber giftig ist? Und nur im Delta wächst?“ Der Arzt schien überrascht, schließlich hatten sie das Thema die letzten Tage öfter besprochen, aber diesmal war die Frage klarer. „Nichts, soweit ich weiß. Die Datteln werden getrocknet und eingelegt, sie bleiben die ganze Zeit in der Amphore, bis sie geöffnet wird ….Oh.“ „Senebib?“ fragte Ptahnacht prompt. Meruka zuckte ein wenig die Schultern. „Er versiegelt Amphoren mit dem Siegel SEINES Vorgesetzten, was er eigentlich streng genommen nicht darf. Und er schickte den Arbeiter hinaus.“ „Und, das ärgerte den Mann am Meisten, auch noch den Hilfsschreiber, der ihn überwachen sollte,“ fügte der Wächter des Horus hinzu. „Er war allein. Bei einigen offenen Amphoren.“ Meruka holte tief Atem. „Um Neiths Willen.“ Rahotep schloss die Augen. „Du hast recht gehabt, Meruka. Bauern heilen sich selbst, gerade die Frauen wissen viele Heilpflanzen, die auch Ärzte verwenden. Hier im Deltawachsen überall Meerzwiebeln, sie schützen magisch, Ärzte und wohl auch Bauern verwenden sie gegen Schlangen- und Hundebisse .. und so. Aber Seneb und Senebib stammen doch direkt von der Meeresküste. Dort wachsen auch so genannte rote Meerzwiebeln. Sie unterscheiden sich in der medizinischen Anwendung nicht, auch nicht im oberirdischen Wuchs, nur in zwei Sachen. Einmal ist die Schale der unterirdischen Zwiebel weiß, das sind sicher die meisten, einmal rot. Ihre Schalen, also, die roten, äußeren, Hüllen, werden von den … Bauern als Gift ausgelegt gegen Mäuse und Ratten in den Vorräten.“ „Im Wein fällt das kaum auf,“ meinte Nefer langsam. „Und gut, wenn ich davon ausgehe, dass eine Meerzwiebelschale ähnlich einer Gemüsezwiebelschale ist, nur größer, glaube ich kaum, dass man vollgesogen einen Unterschied zu einer getrockneten und dann mit Wein vollgesogenen Datteln bemerkt. Zumal, wenn das der Abschluss eines Festessens ist.“ Und alle schon satt, müde und abgespannt waren. „Aber…“ Merit sah erschrocken aus. „Das würde ja bedeuten, dass es ihm vollkommen gleichgültig war, wer zufällig diese Zwiebelschale isst … Oder wird das Gift nicht im Wein gelöst und verdünnt, oder wie man das nennt?“ „Ich hätte es bis eben auch gedacht,“ erwiderte Rahotep. „Aber es kann auch sein, dass es nur tiefer eingeschlossen wird. Ich weiß es nicht, dazu gibt es kein Papyrus.“ „Senebib hätte Gelegenheit dazu,“ erklärte Meruka. „Und ehrlich gesagt, die beste Gelegenheit aller Drei. Das Motiv ist rätselhaft, denn ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass er zugunsten Senebs morden will – die Wahrscheinlichkeit ist gering, dass dieser zu einem Stadtvorsteher befördert wird, selbst, falls jemand stirbt. Und, da er ja offenkundig auch in Kauf nahm, dass Unbeteiligte starben … Das Motiv ist mir rätselhaft, Aber, denkt an unseren letzten Fall – irregeleitete Vaterliebe trieb einen Haushofmeister und Beamten zu Morden. Dennoch wage ich zu bezweifeln, dass solche Motive sonderlich häufig sind. Es müsste schon etwas pragmatischeres sein, wie, dass er selbst befördert wird. Aber er müsste inzwischen gelernt haben, dass er als ungelernter Schreiber kaum höher steigen kann.“ „Außer im Gefolge seines Freundes, denn der würde ihn doch mitnehmen,“ warf Merit augenblicklich ein. „Ja, aber Seneb wiederum sollte klar sein, dass er als Vorsteher in einem königlichen Palast wahrlich schon viel erreicht hat.“ „Wen alle Leute so denken würden wie du, gäbe es keine Mörder.“ Ptahnacht lächelte. „Fangen wir doch mal anders an. Nicht, was ist sein Ziel, sondern warum will er einfach so Menschen töten? Weil es ihm Spaß macht?“ „Du hast recht. Vage Vermutungen bringen nichts. Nehmen wir das, was wir haben. Mehrere Todesfälle an Frauen, Männern und Kindern quer durch das Delta, jedoch immer in der Familie des Stadtvorstehers. Das ließ die Annahme zu, dass es sich um Gaben aus diesem Palast handelt, da das die einzige Ursache ist, die es möglich macht, dass stets nach Essen die Krankheiten und schließlich Todesfälle passieren. Überdies glaube ich kaum, dass alle Vorfälle gemeldet wurden. Wurde jemand gesund, hat der zuständige Arzt das kaum nach Ibenu-Hedj in das Lebenshaus gemeldet. Was hat jemand davon – außer das unbestimmte Gefühl der Macht über Leben und Tod?“ Der Arzt sah zu Boden. „Meruka, ich sage es ungern, aber könnte das eine Probe gewesen sein?“ Alle starrten ihn an, nur der Vorsteher fragte: „Kannst du das genauer erklären?“ „Nun, jemand tötet eine Reihe von Menschen, um zu sehen, ob das Gift wirkt. Unauffällig wirkt. Auch hier im nördlichen Palast kann man sicher über Dep oder Djedu in Erfahrung bringen, ob einige Stadtvorsteher selbst starben oder ihre Verwandtschaft. Bedenke, dass auch die Beamten von hier öfter in Dep sind, gerade die Frauen auch viel reden. Nun, nicht nur. So erfährt er, dass es funktioniert hat, ja, niemand an Mord denkt. Und er kann den eigentlichen Plan umsetzen.“ „Noch mehr Menschen zu töten?“ fragte Meruka ungläubig. „Dann bliebe immer noch die Frage, was er von einem Massenmord hat, unabhängig davon ob Senebib oder wer anders.“ „Ich dachte nicht an Massenmord,“ murmelte Rahotep unglücklich. „Eher an eine Einzelperson, die auffällt, oder er gar ein Motiv hat.“ „Merimaat, zum Beispiel,“ schlug Merit vor. „Er hat einen Sohn,“ antwortete Nefer prompt. „Der jetzt schon hier arbeitet und gewiss zum Palastleiter ernannt wird.“ „Das meinte ich nicht.“ Das Mädchen aus dem ipet zuckte ein wenig die schmalen Schultern. „Angenommen, Palastleiter Merimaat stirbt nach einem Essen mit der Familie seines Sohnes. Wenn Merimaat der Jüngere auch nur im Verdacht steht seine Hände im Spiel gehabt zu haben, seinen Aufstieg zu beschleunigen, wird er im besten Fall nicht befördert, sondern degradiert.“ „Und einer der anderen Vorsteher übernimmt vorübergehend den Posten, womöglich, wenn er sich bewährt, auf Dauer.“ Meruka dachte an die Regeln in der Beamtenschaft. „Dann kämen von den jetzigen Vorstehern alle außer Chaamaat in Betracht, der ja kein Schreiber ist.“ „Aber Seneb. Und Anchka. Und die alten Herren, die momentan in Ibenu-Hedj waren und jetzt mit der königlichen Flotte anreisen,“ ergänzte Nefer. „Nun, Anchka ...ich kann ihn mir wirklich nicht als Mörder vorstellen.“ „Außerdem muss ein Palastleiter reisen und viel unterwegs sein,“ erklärte der Ermittler sofort. „Nein, Anchka kann man sicher ausschließen, aber die von dir so genannten alten Herren auch, eben weil sie schon ein fortgeschrittenes Lebensalter haben und das Ende ihrer Laufbahn. Es wäre eine Ehre für sie zum Palastleiter ernannt zu werden, aber sicher kaum praktikale, zumal in diesem Palast, im Unterschied zu den neuen in Abu und anderswo, auch altehrwürdige Riten stattfinden, der Herr der beiden Länder häufig hier ist und viel organisiert werden muss. Seneb wäre durchaus in der Position zumindest vorübergehend die Stelle zu übernehmen, sich zu bewähren. Hm. Senebib würde vermutlich alles tun, sowohl, um was der ihn bittet, als auch für den. Moment.“ Er wirkte jäh angespannt und seine Mitarbeiter starrten ihn an. Endlich meinte Ptahnacht: „Würde es dir viel ausmachen, uns an deiner Erkenntnis teil haben zu lassen?“ „Unter der Voraussetzung, dass diese Morde wirklich nur ein Probelauf waren und der eigentliche Schlag noch bevor steht – solche Mühe und solche, wahrlich vielen, Opfer, deuten darauf hin, dass bei der eigentlichen Tat nichts schief gehen soll und darf, dass niemand auch nur an Mord denken soll. Großer Aufwand spricht immer für Wichtigkeit des Zieles.“ Merit schlug instinktiv die Hände vor den Mund, brachte jedoch hervor: „Der Lebende Horus kommt mit Gefolge.“ „Das ist doch verrückt!“ Ptahnacht war der erste, der sich fing. „Ich meine, selbst wenn Seneb oder Senebib das Undenkbare planen würden – was sollten sie denn davon haben? Du, Merit weißt doch am Besten, dass es einen Thronfolger gibt und noch einen zweiten Sohn. Überdies – sie könnten doch nie davon ausgehen, dass jemand von ihnen Herr der beiden Länder, Horus auf dem Thron der Lebenden wird!“ „Das ist wahr.“ Die Stimme des Arztes klang ruhig wie immer. „Aber vielleicht sehen wir auch den Halm im Schilf nicht. Senebib darf das Siegel des Vorstehers führen, also wäre nie gesagt, ob er das aus eigenem Antrieb oder weil Seneb es ihm sagte, tat. Bedenke, sein Name bedeutet nicht nur Senebs Herz, sondern auch Senebs Wille. Er würde vermutlich alles für seinen Freund tun. Übrigens scheint er sich ja für fast so etwas wie einen Vorsteher zu halten und wird von den Arbeitern auch wie ein solcher behandelt. Er müsste in der Tat verrückt sein, das ohne guten Grund aufs Spiel zu setzen. Aber, falls diese Morde keine Probe waren … was waren sie dann?“ Meruka nickte. „Gehen wir einmal davon aus, dass wir nicht wissen, was der Mörder erreichen wollte, ja, schon die ganze Zeit herumraten. Fangen wir also einmal an von den Zielen auszugehen, die der Mörder erreicht HAT.“ „Eine Reihe von Menschen sind tot, alle aus den Familien der Stadtvorsteher.“ Aber Nefer klang verständnislos. „Ja. Und alle starben nach dem essen oder trinken von einem Geschenk des Horus. Falls das so bekannt würde, wäre der Name des Herrn der beiden Länder, er lebe, sei heil und gesund, beschädigt, ja, geschändet. Gehen wir einmal davon aus, das sei das eigentliche Ziel gewesen und der Täter unterschätzte die Ärzteschaft. Das würde auf Rache als Motiv deuten. Nur, wofür sollte sich Seneb rächen wollen? Für die Schreiberausbildung? Für seinen Aufstieg zum Vorsteher eines Palastes, ja, des ältesten königlichen Palastes? Von Senebib ganz zu schwiegen, der nur im Gefolge seines Freundes als ungelernter Schreiber so weit aufsteigen konnte. Gar Chaamaat, der so treu seinem Gott dient? Wünscht der einen Gott durch einen anderen zu ersetzen? So undenkbar es uns auch scheinen mag?“ „Nun ja,“ sagte Nefer. „Vor allem, weil die Zwei aus dieser Gegend stammen und nicht so weit nach Hause haben. Ich persönlich wäre lieber mindestens in Ibenu-Hedj, oder noch lieber weit im Süden, da, wo ich herkomme.“ „Ein Schreiber geht dorthin, wo ihn sein Gott braucht,“ tadelte Meruka sofort. „Das lernen wir alle, und wir werden unterschiedlich eingesetzt. Ich war schon bei Feldzügen dabei, andere bauen, organisieren Expeditionen in die Wüsten, was auch immer notwendig ist. Und, diese einfachen Beamten, wie Seneb, werden eben in der zweiten Verwaltungsebene eingesetzt.“ „Ja,“ sagte Rahotep. „Aber, er war doch in der Ausbildung in Ibenu-Hedj. Wie wäre es, wenn er dort viel lieber wäre, als hier, in den Papyrusmarschen, sei es auch einem königlichen Palast, weil er hoffen darf, dort in der Verwaltung höher, anders, aufzusteigen? Gefördert zu werden? Zumal dann seine, ich nenne es einmal, ungeliebte Familie, die er wohl am liebsten vergessen würde, weiter ist? Bedenke, Chaamaat besucht regelmäßig seine Familie in Djedu, sicher auch um seinen Pflichten als Gottesdiener nachzukommen, aber er erwähnt seine Söhne, seine Tochter im Gespräch. Seneb tut das nie.“ „Wir brauchen Beweise,“ beschloss Meruka. „Ptachnacht, leg dich etwas hin, Nefer, Seneb und Senebib schlafen bereits in einem Raum, in dem Haus hinter der Küche. Ich zeige es dir. Bleib bis zum Morgen unauffällig bei ihnen vor der Tür, dann löst dich Ptahnacht ab. Merit, du kommt allein klar?“ „Ja, danke,“ sagte das Mädchen aus dem ipet, erfreut, dass er an sie dachte. „Du redest bei der Mundwaschung…“ Beim Frühstück: „Mit Merimaat dem Jüngeren und seiner Familie, wie die zu Seneb und Senebib stehen. Rahotep, mit der königlichen Flotte wird in wenigen Tagen auch Nianchnisut, der Arzt aus Dep hier ankommen. Rede mit ihm, versuche aber auch vorher schon herauszufinden, an welcher Krankheit Chaamaat leidet. Er muss krank sein.“ Er war amüsiert, ja, fast geschmeichelt, dass niemand fragte, was er tun wolle. „Wir treffen uns morgen nach dem Mittagessen wieder hier. Und seid unauffällig.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)