Unter den Schwingen des Horusfalken 2 von Hotepneith (Die Gefahren des Delta) ================================================================================ Kapitel 17: Im Dickicht ----------------------- So brach am folgenden Morgen eine Reihe von Papyrusbooten nach Norden auf. Nicht nur Meruka und seine Leute waren dabei, sondern auch Merimaat, der Palastvorsteher. Die Bürgermeister von Pe und Dep waren an ihren Amtssitzen geblieben, um alles perfekt für den in drei Tagen stattfindenden Besuch des Lebenden Horus und seines Gefolges vorzubereiten. Auch der Palastleiter wollte vorbereitet sein und hatte seine eigenen Vorräte ergänzt. Es war eine beachtliche Flottille an großen Papyrusbooten, die dem Arm des iteru nach Norden folgte. Jedes der großen Papyrusboote wurde von Ruderern angetrieben, die jeweils zu zwölft auf einer Seite der Bordwand saßen. Merimaat selbst befand sich, seinem rang entsprechend, im vordersten Boot, links neben Merit, auf deren rechter Seite sich Meruka niedergelassen hatte, der so demonstrativ bewies, dass er für die potentielle Schwiegertochter des Herrn der beiden Länder verantwortlich zeichnete. Merit war schon in solchen Booten gefahren und wusste, dass angeblich selbst die Krokodile sie mieden, warum auch immer. Die Boote waren aus frischem Papyrus zusammengefügt worden, das erkannte sie an dem noch saftigen Grün. Wurde es gelb, saugte es sich mit Wasser voll – und damit fuhr niemand mehr. „Du interessierst dich für das Boot?“ erkundigte sich Merimaat etwas väterlich, schließlich hatte er Meresanchs Vater gekannt. „Keine Sorge, es ist frisch. Sie werden damit auch noch einmal nach Dep fahren können. Vier Tage halten diese Boote gut durch. Und es ist einfacher sie zu bauen als das Risiko einzugehen zu sinken.“ „Ja, ich weiß. Ich fuhr ja öfter mit meinen Eltern von Per-Bast nach Ibenu-hedj. Ich sah auch, wie diese Boote hergestellt wurden. Bündel frischen Papyrus werden eng zusammengelegt und geschnitten, dann gebunden, nicht wahr?“ „Ja, und diese Bündel dann wiederum zu festen, diese zu den Booten. Man braucht viele Seile, aber das geht schnell. Die Bootsbauer verstehen sich darauf.“ Damit schien dieses Thema erschöpft. Merit wusste nicht so ganz, über was sie sich mit hohen Beamten unterhalten sollte. Bei der maat-hor oder gar der Königinmutter hatte das immer so leicht ausgesehen. Oh, Merimaats Halbbruder kannte sie. „Ich sah Achtihotep erst vor zwei Wochen das letzte Mal. Er ist ja dein Bruder?“ „Ja, mein kleiner Halbbruder. Und mein Neffe wird ihm gewiss nachfolgen, hoffe ich.“ Es ziemte sich schließlich nicht der Anweisung des Lebenden Gottes vorzugreifen. Aber Achtihotep der Jüngere folgte jetzt schon seinem Vater bei jeder Tätigkeit und wurde von ihm ausgebildet. Solange der Junge keinen Fehler beging, würde er auch die Verwaltung des ipet übernehmen, die Güter, die der maat-hor und den königlichen Kindern zustanden. Achtihotep arbeitete eng mit den wenigen weiblichen Schreibern zusammen – wie Merit. Vielleicht sollte er Achtihotep mal ausfragen, wie die junge Dame so sei. Wobei – sie wäre nicht Schreiberin geworden, geschweige denn der Königinmutter oder der maat-hor, wäre sie dumm. Sie war recht schweigsam, aber das mochte auch an der gewissen Anspannung liegen hier mehr oder weniger allein zu reisen, nun ja, mit einer Dienerin auf dem anderen Boot und einem Schreiber des Horus neben sich. „Ja, das glaube ich auch. - Ich hatte die Fahrt in den Palast gar nicht als so eintönig in Erinnerung.“ Sie sah auf die förmlichen Papyruswälder, die sich nun rechts und links des Flusses erstreckten. Nur vereinzelt sah man Kanäle abzweigen, offenkundig von Menschenhand geschaffen, manchmal blitzte ein weißes Dorf auf einem Sandhügel auf und man erkannte hell darum – Platz für Weiden und Ackerbau. Dattelpalmen und Sykomoren wiegten sich im stetigen Wind. Natürlich war auch hier im Delta bereits der Flachs eingebracht worden und wurde zu Leinen oder auch Öl weiterverarbeitet. Der Tag der Flut näherte sich und dann würde diese ganze Landschaft bis auf die Inseln der Dörfer und Domänen im Wasser verschwinden. Das erklärte auch, warum die Halme des Papyrus derart hoch erschienen. Kehrte die Flut zurück würden auch nur deren Spitzen noch aus ihr ragen. „Wie lange dauert es noch, Merimaat?“ „Ich hoffe, dass wir heute Abend dort sind. Ihr werdet gewiss Zimmer beziehen können, während ich das Abendessen anbefehle. Die Boote werden allerdings vermutlich, je nach Ankunft, erst morgen entladen, falls du also etwas spezielles aus deinem Gepäck wünschst…?“ „Oh, nein, danke.“ Merit fiel ein, dass sie kränklich wirken sollte, zumindest gegenüber dem obersten Bäcker. Besser das zu verstärken. „Ich werde mich lieber zurückziehen. Die Reise hat mich doch ermüdet und ich möchte, wenn der feierliche Einzug stattfindet doch in Schönheit und Wohlbefinden den Herrn der beiden Länder, er lebe, sei heil und gesund, empfangen.“ „Das ist nur zu verständlich. Schicke deine Dienerin dann zu meiner Schwiegertochter. Sie erledigt das für mich. Sie ist die Tochter von Paadigeb, dem Bürgermeister …“ „Ja, und Retenutanch. Ich denke, ihre Mutter stellte sie einmal im ipet vor,“ erwiderte Merit eilig, um sich nicht der Ignoranz zeihen zu lassen. „Ihr Name, nein , Nofret war jünger …“ „Sie heißt Djefadhor, denn sie wurde in der Gegenwart des Lebenden Horus geboren.“ Aber Merimaat war zufrieden, dass seine Schwiegertochter immerhin schon einmal der maat-hor vorgestellt worden war. Nun, er hätte Paadigeb auch nicht der Nachlässigkeit geziehen, aber so war es besser, denn mit dem Lebenden Gott würde gewiss auch dessen Gemahlin anreisen. Eine gute Gelegenheit für Paadigeb und Retenutanch auch ihre letzten beiden Töchter den jungen Beamtensöhnen vorzustellen, weitaus informeller als es am Hofe von Ibenu-Hedj geschehen konnte. Liebe konnte so leichter entstehen. Meruka erkannte durchaus das Bemühen seiner Mitarbeiterin an sich an die Absprachen zu halten hone direkt zu lügen. So übernahm er: „Ich werde mich ein wenig umsehen, wenn du nichts dagegen hast, Merimaat. Nicht, dass ich dir Nachlässigkeit unterstellen möchte, es geht um etwas Privates. Natürlich gibt es doch da einen Vorsteher des Weines?“ „Ja, Seneb. Darf ich fragen warum? Ich könnte dich natürlich sofort ihm vorstellen.“ „Das wäre nett. Ich habe, Befehl des Herrn der beiden Länder, eine neue Domäne im Ostdelta erhalten, auf der ich Wein aus Trauben anbauen lassen soll. Einige Ratschläge wären da nur passend.“ Merimaat unterdrückte seine Frage, warum der hochgeborene Beamte nicht einfach seinen Stiefvater fragte. Mochte der auch der königliche Siegler sein – für direkte Fragen war es sicher besser, vernünftiger, einen Praktiker zu fragen. Ja, eigentlich eine sehr gute Idee. So meinte er mit gewisser Anerkennung: „Ja, da kann er dir gewiss eine Hilfe sein. Wobei er natürlich, ebenso wie wir alle, sehr tätig sein muss.“ Das war klar. Keiner der Zuständigen wollte sich blamieren, wenn der Lebende Gott in wenigen Tagen hier eintraf, in diesem Fall, zu wenig oder gar zu Essig gewordenen Wein servieren. Da wurde gewiss alles überprüft und vorbereitet. Der gesamte alte Palast würde wie ein Rohr voller Bienen summen. Oh ja, Honig musste ja auch herbeigeschafft werden. „Mir geht es auch um die Würze des Weines mit Harz.“ „Ja, da gibt es sicher Rezepte. Ich kümmere mich da nicht drum, aber der Wein soll natürlich haltbarer gemacht werden, damit er auch die Sommerhitze gut übersteht. Wichtig ist auch der Luftabschluss, soweit ich weiß. Aber, das kann dir Seneb sicher erklären. Er lernte zwar in Ibenu-Hedj, ist aber schon seit Jahren hier der Vorsteher. Zumindest wird er dir sagen können, an wen du dich sonst wenden kannst.“ „Ja, das wäre nett.“   Es war bereits am späten Nachmittag und die Sonne erreichte langsam den westlichen Horizont, als sich endlich das Papyrusdickicht rechter Hand lüftete. Felder dehnten sich und Viehweiden, dazwischen kleine, weiße Häuser, die sich meist eng um ein größeres drängten, Vorratshallen – die Domänen des Palastes des Harpunierenden Horus. Eine Viertelstunde später und eine Krümmung weiter, entdeckte Merit auch diesen vor sich. Obwohl er wie alle menschlichen Gebäude aus Lehmziegeln bestand, die nach Starkregen oder Fluten wieder neu aufgebaut werden mussten, erweckte allein die Außenmauer mit den hohen Pylonen am Kai als Eingang das Gefühl uralter Pracht. Bunte Malereien auf hellem Kalk zierten die Außenwände, die immer wieder ein wenig zurück und vorgesetzt worden waren, uraltes Zeichen des Herrscherpalastes. Das Nahen der Flottille war nicht unbemerkt geblieben und eine Menge Männer in weißen Schurzen eilten auf den Kai um beim Abladen zu helfen. Einige kamen langsamer, bedacht auf ihre Würde. Merimaat nickte nach vorne. „Sieh, Meruka, dort ganz links, das ist Senebib. Er ist die rechte Hand und der Hausvorsteher Senebs. Ihn kannst du sicher auch alles fragen, was du möchtest.“ „Seneb- ib. Das Herz von Seneb. Hat er sich für seinen Vorgesetzten umbenannt?“ Das kam durchaus vor, allerdings nannte sich dann ein geehrter Beamter meist nach dem Lebenden Horus, wie „Der treue Diener des Herrn der beiden Länder“ oder auch nur „Sein Herz ist zufrieden“, was sich natürlich ebenso auf den mächtigen Horus bezog. Ungewöhnlicher war, dass sich ein kleiner Beamter nach seinem Vorgesetzten nannte. Nun gut, gab Meruka sich dann selbstkritisch zu: vielleicht hatte er es nur nicht mitbekommen. In seiner Position sprach er eben meist nur mit den höheren Beamten. So musterte er den Angegebenen, als die Boote durch die Strömung gelenkt wurden. Senebib war ein Mann um die vierzig, sicher nicht älter, auch, wenn das durch die Schminke im Gesicht und das chat-Tuch über der Perücke wie immer schlecht einzuschätzen war. Der hochgewachsene Mann, der gerade zu ihm trat, war sicher Seneb, der Weinvorsteher. Ungefähr gleich alt, vielleicht hatten sie zusammen an der Schreiberschule gelernt? Jedenfalls trug der Ranghöhere auch andere Amulette und einen breiteren Schmuck um den Hals. Der Standesunterschied wurde gewahrt. Unwillkürlich blickte Meruka an sich selbst herab. Das Zeichen der Seschat, als Schreibergöttin, sein Amtsstab, und nicht zuletzt das Zeichen des schakalförmigen Upauut, das ihn als Sab-Beamten auswies, zumindest als Sonderbeauftragten des Herrn der beiden Länder. Gut. Er würde in jedem Fall bei einer harmlosen Frage Auskunft erhalten, sicher auch Rahotep als Arzt bei dem Obersten Bäcker. Vielleicht wäre es sogar besser Senebib zu befragen. Der war seinem Vorsteher gegenüber gewiss treu ergeben, das verriet schon der Name, aber manchmal erfuhr man so eher Dinge aus dem Hintergrund. Merit würde gewiss mit Djefadhor al augenblicklicher Hausherrin sprechen und Nefer und Ptahnacht sich unter den einfachen Leuten umhören. Das war im Augenblick alles und er sollte und musste seine Rolle spielen.   So begleitete er Merit zu ihrem Gästezimmer, sah sich von Nefer in Distanz begleitet, damit auch die beiden Frauen wussten, wo sein Zimmer läge. Nefer selbst sollte ihrer Rolle gemäß in Merits Zimmer schlafen, Ptahnacht gemeinsam mit acht anderen Männern. Man musste zusammenrücken, wenn der Hof nahte, damit alle unterkommen würden. Nicht ohne Grund hatte Meruka daher vorgeschlagen, dass Rahotep seine Kammer teilen sollte, zwei Meter lang und ebenso breit. Mehr Platz gab es nie in den königlichen Palästen, ausgenommen natürlich für den Herrn der beiden Länder selbst und die königliche Familie. Aber auch Merit würde bestimmt noch zusätzlich eine Frau aus dem ipet dazu erhalten, wenn die maat-hor in drei Tagen hier eintraf. Als er sicher war, dass alle seine Mitarbeiter wussten, wo er schlafen sollte – und damit, wo sie ihm abends Bericht erstatten sollten – ging er auf die Suche nach Senebib. Rahotep war ihm ein wenig gefolgt, meinte dann jedoch: „Ich gehe zum Kai. Ich bin sicher, dass ich dort jemanden finden werde, der weiß, wo Chaamaat gerade sich befindet.“ „Gut. Bis später.“   Kurz darauf traf der Ermittler den Vorsteher des Öls und der Weine, der, begleitet von Senebib, gerade die Aufbewahrung der mitgebrachten, leeren, Amphoren überprüfte – sicheres Zeichen, dass Seneb angegeben hatte, Merimaat sollte ihm nichts mitbringen. Die Ernten um den Palast schienen genügend gebracht zu haben – oder der Vorsteher war bereits vorsichtig genug gewesen, sich im Vorfeld bereits Wein liefern zu lassen. Dieser hielt in den tönernen Krügen und versiegelt trotz der Sommerhitze über ein Jahr, was man manchmal von Bier wirklich nicht behaupten konnte. Hohe Beamte verzichteten daher, so es möglich war, auf das durchaus erfrischende Getränk zumindest bei Feierlichkeiten und genossen den Traubenwein. Der syrische war zu selten und der königlichen Familie vorbehalten. Der Vorsteher wandte den Kopf.Er hatte Meruka bereits bei der Ankunft gesehen und war zugegeben etwas neugierig, warum ein privater Schreiber des Lebenden Gottes hier ein Mädchen begleitete. Nun gut, wenn das Gerücht stimmte, war sie eine künftige Prinzengemahlin, was nichts weiter besagte und ihr keinen Titel einbringen würde – das sähe allerdings anders aus, wenn der Falke zum Himmel flog und sie an der Seite des neuen Herrn der beiden Länder die maat-hor sein würde, gar später eine Königinmutter. Und da Meruka in ihrer Begleitung war, war es gewiss eine Anweisung. So neigte er grüßend den Kopf. „Meruka ….möchtest du sehen, ob der Wein genügt?“ „Oh, nein, ich bin doch kein Aufseher der Aufseher.“ Der Ermittler beeilte sich das zu betonen. „Ich hätte nur eine private Frage zur Weinherstellung, falls du etwas Zeit für mich erübrigen könntest. Ich soll, Befehl des Lebenden Horus, im Ostdelta eine Domäne mit Trauben aufbauen. Und ich glaubte, du würdest dich gut auskennen….“ „Oh, ja, das schon.“ Seneb warf einen Blick auf seinen Begleiter, der allerdings nur schweigend Meruka ansah. „Senebib wird dir sicher alle Auskunft geben, die du benötigst. Er ist der Vorsteher meines Hauses, meine rechte Hand, und weiß alles ebenso gut wie ich.“ „Vielen Dank. - Wenn es nicht zu viel Umstände macht. Ich weiß, dass ihr momentan viel zu tun habt.“ Seneb sah wieder seinen Hausvorsteher an, der diesmal zu ihm blickte, ehe er lächelte. „Oh, Senebib redet sehr gern. Ich fürchte eher, du wirst keine Fragen stellen müssen.“ „Dann gehen wir in dein Arbeitszimmer, Seneb?“ erkundigte sich der Rangniedere. „Ja, gute Idee. Ich kann ja später dazu kommen.“ „Sofern meine Neugier nicht schon längst gestillt ist,“ lächelte Meruka. Da war leichter Spott gewesen, aber nicht sonderlich bösartig. Schön, das ziemte niemandem, aber es mochte gut sein, dass die beiden Männer privat befreundet waren. Was natürlich erneut den Verdacht bestärkte, dass sie zusammen an der Schule gewesen waren.   In dem kühlen Arbeitszimmer griff Senebib, nachdem er auf einen Hocker gedeutet hatte, einen Krug und einen Becher. „Ich vermute, Schreiber des Lebenden Gottes, dass du etwas von dem Wein versuchen möchtest?“ „Sage nur Meruka. Ich bin nicht in offiziellem Auftrag hier. Und ja, es wäre freundlich.“ Der Ermittler sah, wie der Beamte sich ebenfalls eingoss, offenbar sicher, dass Seneb nichts dagegen hatte. Wieder ein Indiz für Freundschaft. „Ich bin sicher, wenn Seneb sagt, du kennst dich ebenso gut aus wie er selbst, dass du mir vollständige Auskunft geben kannst. Ich weiß, dass die Trauben gepresst werden und dann haltbar gemacht… mit Baumharz?“ „Ja, Koniferenharz. Hier wird es aus retenu oder kanaan geliefert, das sollte dir gerade im Ostdelta auch möglich sein.“ „Ich werde diese Aufgabe also einem Vorsteher überlassen müssen, der dort stets wohnt. Wo hast du das denn gelernt?“ „Oh, Seneb hat mir alles beigebracht.“ Zum ersten Mal klang Stolz in der Stimme. „Er kam aus der Schule zurück, nun, er hatte einige Jahre in Ibenu-Hedj verbracht, und erinnerte sich noch an mich, holte mich her.“ „Ach, du bist kein Schreiber.“ Nun ja, angelernter Schreiber, Schreiber zweiter Klasse, oder wie auch immer man diese Männer nennen wollte, die nicht die sieben Jahre Ausbildung hinter sich gebracht hatten, sondern nur in der Praxis die wenigen Zeichen und Zahlen lernten, die in ihr Aufgabengebiet fielen. Meruka erkannte das Aufblitzen und hob eilig die Hand. „Nicht jeder kann in eine Schule gehen. Mir scheint jedoch, dass du klug genug dafür gewesen wärst …“ „Keine Förderung.“ Senebib klang nur sachlich. „So stammst du wohl, wie auch Seneb, wenn ich mich recht entsinne, hier aus der Gegend?“ „Ja, aus einem Dorf an der Meeresküste. Unsere Väter waren beide Fischer.“ Damit war klar, warum Senebib so an seinem Vorgesetzten hing. Der hatte, als er die Stelle hier erhalten hatte, sich an seinen Freund aus Kindertagen erinnert und den zu sich geholt. Meruka hob den Becher. „Auf dein Ka.“ „Und auf das deine,“ ergänzte Senebib den alten Trinkspruch, eher er nippte. „Was hast du noch für Fragen?“ „Nun ja, ich versuche ein wenig herauszufinden, woran ich einen guten Vorsteher erkennen kann. Wer kennt sich mit Wein aus?“ „Das kann man lernen. Seneb oder ich, wir hatten keine Ahnung davon, aber die Arbeiter hier kannten sich aus. Oh. In einer neuen Domäne, womöglich Arbeiter aus dem Süden…. Ja, ich verstehe das Problem. Aber da müsstest du wirklich Seneb fragen, er holte mich ja auch her.“ Meruka wollte eigentlich nur plaudern, etwas für Entspannung sorgen, ehe er nach Namen fragte. „So hat er keinen Sohn?“ Der Beamte schien zu zaudern. „Doch, aber der lebt bei seiner Mutter, wie auch die Töchter, in dem Dorf, aus dem wir stammen.“ „So erschienst du ihm wohl geeigneter.“ Eigenartig. Jeder Vater versuchte doch seinen Sohn, seine Söhne in seine Postion nachfolgen zu lassen, jeder Bauer, jeder Beamte, ja, selbst der Herr der beiden Länder. War der Junge so unfähig? Krank? Aber das müsste er wohl Seneb wirklich selbst fragen. Senebib lächelte etwas. „Ja, wohl.“ „Wie ist denn insgesamt die Hierarchie der Weinabteilung gegliedert? Gibt es außer dir noch jemanden, der direkt mit Seneb zusammenarbeitet, oder der gesondert die Lieferungen nach Ibenu-hedj betreut?““ Da war etwas, da war sich Meruka sicher. Aber er sollte erst einmal harmlos tun, um weitere Fragen beantwortet zu bekommen. Zwei Freunde, also, von denen einer in die Palastschule berufen worden war, der andere nicht. Da der Sohn ungeeignet erschien, warum auch immer, holte der neue Beamte seinen Freund zu sich, als er wieder in das Delta versetzt wurde. Gut. Klang plausibel und war nicht verboten. Dennoch, da stimmte etwas nicht. Warum ließ Seneb seine Familie in dem Dorf am Strand leben, anstatt sie in den Palast des lebenden Horus, oder zumindest in eines der kleinen Dörfer darum zu holen? Oder, wie Anchka die meiste Zeit in Dep leben? Schön, auch Chaamaat ließ seine Familie offenkundig in seiner Heimatstadt, auch der war kein ausgebildeter Schreiber. War es etwa so, dass diese nicht so lange geschulten Leute davon zurückscheuten, sich, wie sonst die Beamten aus ihrer Heimat fortzubewegen, zu den verschiedensten Aufgabenbereichen in ganz kemet zu reisen? Wollten die Ehefrauen nicht wechseln, ihre angestammte Familie für länger oder kürzer verlassen? Sah er selbst schon Schatten, wo gar keine waren? Aber jetzt sollte er sich erst einmal geduldig die Namensliste anhören. Vielleicht konnte er noch eine Zwischenfrage stellen.   Chaamaat, der Vorsteher der Bäcker, war ein Mann um die Fünfzig. Sein keuchender Atem weckte den Arzt in Rahotep, der nur sagte: „Ich würde nur gern mit dir ganz kurz reden, ich sehe ja, wie beschäftigt du bist …“ Hatte der Fieber? „Ja, ja, das bin ich. Wenn der Lebende Gott kemets eintrifft muss ja alles stimmen.“ „So hast du keine Söhne, die dich unterstützen?“ „Oh, doch, komm nur, wir gehen dort hinein, da ist es kühler. - Meine Söhne sind in Djedu, sie sind beide Vorsteher der großen Bäckerei.“ Also der Bäckerei, die die Stadtbevölkerung versorgte, in deren kleinen Häusern es seltener möglich war zu backen, schon um der Feuergefahr willen. „Du stammst aus Djedu?“ Chamaat richtete sich unwillkürlich etwas auf. „Ja, der heiligen Stadt des Usir. Meine Familie lebt auch dort, also, meine Söhne mit ihren Familien und meine Tochter. Meine Ehefrau ging schon in den Westen. - Ja, ehrenwerter Arzt, was möchtest du wissen?“ „Oh, ich ...nun, ich müsste dich bitten, diesen Teil unseres Gespräches zu vergessen. Es handelt sich um Meresanch.“ „Ah ja.“ Chaamaat nickte verstehend. „ich hörte schon,dass sie ….wichtig werden könnte.“ „Nun, die junge Dame ist ein wenig .. .kränklich in den vergangenen Tagen gewesen. Ich möchte ungern, dass sie wirklich unpässlich wird, wenn der Herr der beiden Länder, er lebe, sei heil und gesund, hier eintrifft.“ „Ja, natürlich.“ Der Vorsteher konnte sich vorstellen, dass das für einen Arzt immer, aber speziell für einen Hofarzt, unangenehm werden würde. „Ich soll dir helfen.“ „Es wäre einfach nett, wenn du mir sagst, welche Speisefolge geplant wird für den Empfang. Sie sollte nur leichte Küche erhalten.“ „Ja, aber … nun, das Essen bestellt Merimaat als Palastvorsteher. Und, ehrlich gesagt, da wird aufgetischt. Es sind doch am folgenden Morgen Feierlichkeiten, ja, Riten angesagt, ein langer Tag.“ „Das verstehe ich. Aber, was gibt es denn gewöhnlich? Du bist doch bereits länger hier?“ „Ja, seit der tjati mich von Djedu hierher berief. Zehn Jahre,“ „Eine Ehre.“ Auf die der Bäcker offensichtlich gern verzichtet hätte. „Zehn Jahre getrennt von Frau und Kind. Aber ich bin noch immer Priester des Usir.“ „Das ist also Djedus Stadtgott. Hatte der nicht einmal einen anderen Namen?“ „Ja, vor vielen Jahren. Inzwischen ist er Usir. Ein Gott der Fruchtbarkeit schenkt, ja, manchen sogar das ewige Leben!“ Schön, das war vermutlich ein guter Grund dessen Diener sein und bleiben zu wollen. Hier sollte er mal länger nachfragen. Meruka würde möglichst viel wissen wollen.       Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)