Enemy mine - geliebter Feind von collie ================================================================================ Kapitel 3: Kapitel 3 -------------------- Saber hatte unterdessen in das dunkelblaue Hemd und die helle Hose gewechselt, die er getragen hatte, als sie das Freibad betreten hatten. Er nahm sich noch einen Moment Zeit um rasch seine Haare zukämen und die Kleidung glatt zu streichen. Dann verschloss er den Spint, lief kurz bei seinen Freunden vorbei und gab ihnen die Schlüsselkarte. Sie würden seine Tasche mitnehmen. Er versprach ihnen ein Dankeschön, dann eilte er an die Bar zu seiner Verabredung. „Musstest du lange warten?“ Sie hob den Kopf von der Schürze, die sie gerade zusammenfaltete und auf einen Platz unter dem Tresen schob. „Nein, ich bin gerade fertig“, erwiderte sie. Sie griff noch schnell nach einem halb vollen Glas Wasser und leerte es mit wenigen Schlucken. „Sehr schön“, lächelte er. Das hatte ja gut geklappt. Er bedeute mit der Hand, sie möge vorgehen „Darf ich bitten?“ Wieder nickte sie und verabschiedete sich von ihrer Kollegin. „Wir sehen uns.“ Damit schob sie sich an den Tischen und Stühlen vorbei. Snow erwiderte ihren Gruß und nickte dem Schotten mit einem Augenzwinkern zu. „Anständig bleiben, Blechstern.“ Saber hielt inne, ehe er dem blass lila Schopf folgte. ‚Blechstern‘ war nicht die gängigste Bezeichnung von die er von normalen Menschen so hörte. Die meisten, die ihn so nannten, waren Outrider oder Jesse Blue, also niemand, der ihnen freundlich gesinnt war. Und woher wusste sie von seinem Job? Er erinnerte sich nicht, ihr davon erzählt zu haben. „Natürlich. Alles andere läge mir fern“, erwiderte er und sah Snow grinsen. Sollte wohl ein Scherz gewesen sein. Er folgte Bee, die den Ausgang erreicht hatte und auf die Straße trat. Die Sonne zog ihre letzten Strahlen zurück und ergab sich für heute der Nacht. Warm war diese und von Sternen erhellt. „Warum möchtest du mich eigentlich begleiten?“ Die Fragende sah sich nach ihm um. Er schloss zu ihr auf. „Es ist bereits spät und eine hübsche junge Dame sollte nicht in der Finsternis alleine nachhause gehen. Ich möchte mich aber auch noch gerne etwas mit dir unterhalten. Du bist mir sympathisch“, erwiderte er aufrichtig. Kurz überlegte er, ob er ihre Hand nehmen sollte, dann entschied er sich dagegen. Es wäre zu bindend für jenes unverfängliche ‚sich unterhalten wollen‘. So schob er die Hand in die Tasche. „Die Finsternis ist nicht bedrohlich für 'hübsche junge Damen'. Das sind andere Dinge“, meinte sie nachdenklich und schlenderte die Straße hinunter. Sie wirkte, einmal mehr, als verstünde sie nicht ganz, was er sagte. „Warm sympathisch?“, wollte sie wissen. „Ja, es sind diese Dinge, weil sie sich nur in der Finsternis heraus trauen.“ Er hob die Schultern. Darüber wollte er gerade nicht philosophieren. Er wollte sie kennen lernen, wie er gesagt hatte. Gleichzeitig wollte er die Ahnung, die ihn für einen Moment zuvor beschlichen hatte, überprüfen und als den Unsinn at acta legen, der sie hoffentlich war. „Ich finde dich als Mensch interessant.“ „Du kennst mich gar nicht. Was soll an mir interessant sein?“ „Stimmt, ich kenne dich nicht. Aber du hast etwas an dir, das mir gefällt und aus diesem Grund möchte ich dich besser kennen lernen.“ Er erntete ein Lächeln für diese Worte. „Wie kann ich dir dabei helfen?“ Die Art der Frage erinnerte ihn an April, wenn er als ihr Vorgesetzter eine Aufgabe an sie delegierte. Es wunderte ihn, schien aber zu ihr und ihrer etwas unbeholfenen Art zu passen. „Naja, für gewöhnlich lernt man sich kennen, indem man miteinander spricht, dem anderen etwas über sich erzählt, etwas miteinander unternimmt. Solche Dinge. Natürlich nur unter der Voraussetzung, dass du das auch tun möchtest. Du musst mir nichts erzählen oder etwas mit mir unternehmen, wenn du nicht willst.“ „Etwas unternehmen? Was genau meinst du damit? So etwas wie Essen gehen?“ Sie schaute in den Himmel als versuche sie sich an bestimmte Dinge zu erinnern, die sie mal gehört oder gelesen oder sonst wie erfahren hatte. „In eine Bibliothek gehen? So etwas?“ Sabers Magen verknotete sich unwillkürlich. Bibliothek. So wie sie das gesagt hatte, hatte es an jener Erinnerung gekratzt, welche er sich lieber erspart hätte. An das braune Haar, an die Brille, das freundliche Lächeln und die interessanten Gespräche, aber eben auch an den hinterhältigen Verrat und die bittere Enttäuschung. Nichts davon war verblasst. Er erinnerte sich gut, er erinnerte sich an die meisten Dinge gut. „Ja, zum Beispiel. Man unternimmt gemeinsam etwas, das beiden Spaß macht.“ Ihre großen Augen leuchteten interessiert auf und schlugen die bösen Erinnerungen in den Wind. „Was macht dir so Spaß?“ „Ich lese zum Beispiel gerne, spiele gerne Tennis und fechte. Was macht dir Spaß? Vielleicht haben wir ja etwas gemeinsam.“ Sie hob nachdenklich den Zeigefinger an die Lippen und schaute zum Himmel auf. „Ich denke, ich finde lesen interessant. Kürzlich habe ich was über Pferde gelesen. Das klang faszinierend. Darüber würde ich gern noch mehr lernen.“ „Du denkst? Und Pferde sind faszinierend? Hast du noch nie ein Pferd gesehen?“ Er kräuselte die Stirn. Es war wie April es formuliert hatte, als hätte diese blasse junge Frau erst gestern laufen gelernt. „Doch, natürlich. Es gibt hier eine Ranch auf der viele laufen.“ Sie hob die Schultern. „ Ich weiß nicht, was mir gefällt. Da wo ich herkomme, hatte ich nicht so viel Zeit mich mit Spaß zu beschäftigen. Da war es wichtiger das man den nächsten Tag erlebt.“ „Oh.“ Damit hatte er nicht gerechnet, aber das würde wohl einiges erklären. Seine verwunderte Skepsis verflog und Mitgefühl überzog seine Miene ahnungsvoll. „Wo kommst du denn her?“ Für einen Sekundenbruchteil schien sie über diese Frage erschrocken. Sie zuckte leicht zusammen. Nur langsam antwortete sie ihm. „Von ... weiter weg. Es ist ein Randbezirk. Da wo die Outrider oft ihre Dimensionssprünge machen. Nahe Pecos.“ „Du kommst aus einer hart umkämpften Gegend.“ Er sah mitfühlend zu ihr hinunter. Pecos war ein Brennpunkt schon während des Krieges, doch auch jetzt, da die Kämpfe nachließen, kam es dort immer wieder zu neuen Auseinandersetzungen. Auf den kleineren Planeten darum musste es noch schlimmer gewesen sein. Wahrscheinlich war es, wäre sie direkt auf einem Schlachtfeld aufgewachsen. „Verständlich, dass du dort nicht Zeit und Muße für Hobbies hattest. Bist du mit deinen Eltern geflohen?“ „Nein, mit meinen Geschwistern. Mein Bruder hat uns hierher gebracht, mich und meine Schwestern.“ Sie korrigierte sich rasch, „meine Schwester“ und biss sich auf die Unterlippe. Ihr Blick heftete sich auf die Straße und ihre eigenen Schuhspitzen. Ihre Miene war nicht mehr zu erkennen, ein welliger Vorhang blass lila Haares verbarg es. „Du sagtest eben Schwestern. Ist einer von euch auf der Flucht etwas widerfahren?“ „Ja, sie wurde getötet.“ Sie klang sehr sachlich, beinahe unbeteiligt. „Was ist passiert?“, hakte er ehrlich interessiert nach. Die meisten Menschen, denen er begegnete, reagierten bewegt, wenn die Rede auf den Verlust eines Angehörigen kam. Sie blieb so nüchtern, das war ihm fremd. Vielleicht musste sie das sein. Wie das Leben auf diesem Planeten, wahrscheinlich Pea oder Con, gewesen sein musste, konnte er sich nur schwer vorstellen, aber für Sentimentalitäten war sicher nicht viel Zeit. „Das was eben so passiert. Hyperjumper, Sprengkörper, Explosionen und das Rennen ums eigene Überleben“, erwiderte sie und es klang, als schildere sie einen ganz normalen Tag. Er hörte sie ausatmen und endlich hob sie den Kopf wieder. Sie sah zu ihm auf. „Lass uns über was anderes sprechen. Erzähl mir was von dir. Du liest, spielst Tennis und fichst? Erzählt mir davon“ bat sie schlicht. Dass sie das Thema wechseln wollte, konnte er verstehen. Dass sie ihm so aufmerksam zu gehört hatte, freute ihn. Trotzdem hatte er das Gefühl ihr signalisieren zu müssen, nein, er wollte ihr signalisieren, dass sie mit ihm über einfach alles sprechen konnte. „Wenn dich etwas bedrückt, oder du doch einmal darüber sprechen möchtest, ich höre dir zu.“ Er sah sie prüfend an, ehe er fortfuhr. „Nun ja, ich arbeite als Star Sheriff. Wir versuchen das Neue Grenzland zu beschützen.“ „Ich habe gelernt, dass es nichts ändert, wenn man über so etwas spricht. Es ändert sich etwas, wenn jemand wie ihr euren Job richtig macht. Das ändert einiges. Ich kann mir zum Beispiel Gedanken darum machen, was mir ... Spaß macht. Aber du erzählst mir nicht, was ich wissen möchte.“ Sie lächelte leicht. „Möchtest du nicht über Tennis und Fechten sprechen?“ „Naja, Tennis ist nicht für alle so ein Spaß. Es ist ein Sport. Ich mache ihn gern, weil man dabei abschalten kann. Man muss sich auf nichts anderes als die kleine gelbe Filzkugel konzentrierten und sie treffen. Man kann im Einzel gegen jemanden spielen, oder zu zweit. Das Doppel macht allerdings nur dann Spaß, wenn dein Partner ernsthaft mitspielt.“ Zumindest Colt und Fireball spielten eher halbherzig und mehr ihm und April zuliebe. Er lächelte kaum merklich vor sich hin bei dem Gedanken. „Und Fechten?“ „Fechten ist mein persönlicher Lieblingssport, obwohl es eine Art Kampf ist. Man steht einem Gegner gegenüber. Ich finde es aufregend, gegen einen anderen guten Fechter zu kämpfen.“ „Eine Art Kampf?“ Sie klang überrascht. „Deshalb bist du also Star Sheriff, weil du da kämpfen kannst.“ „Nein. Ich bin Star Sheriff, weil ich den Menschen helfen will und eine friedliche Zukunft will. Wir kämpfen nicht, weil wir es gern tun, sondern weil wir es müssen. Um Menschen zu beschützen, die sich nicht alleine verteidigen können.“ Den Schock darüber, dass sie offenbar dachte, er liebe den Kampf, konnte er nicht verbergen. Aufmerksam sah sie ihn an. „Aber du hast gesagt, dass dein Lieblingssport ein Kampf ist, also muss dir das Kämpfen gefallen.“ „Fechten ist ein alter Sport und wurde früher nur von Edelmännern ausgeübt. Es ist in meiner Familie eine Tradition. Aber beim Fechten verletzt man niemanden, oder tötet seinen Gegner. Es geht mehr um die Einstellung des Fechters. Man versucht durch Treffer Punkte zu machen, eins mit dem Florett zu sein. Ja, ich fechte gerne, aber nein, mir gefällt deswegen das Kämpfen überhaupt nicht“, beeilte er sich ihr zu erklären und den Eindruck, den er womöglich geweckt hatte sofort zu revidieren. Daher ergänzte er gleich noch: „ Ich sehe keinen Sinn darin, andere Menschen zu töten. In unserem Universum sollte genug Platz für alle sein. Es sollte uns möglich sein, zusammen in Frieden zu leben. In meinem Team hat jeder zumindest ein Familienmitglied durch die Outrider verloren. Mir blieb das zum Glück erspart. Ich kämpfe, weil niemand mehr einen geliebten Menschen durch einen Outrider verlieren soll. Wenn wir einen Outrider phantomisieren, kehr er lediglich geknickt zu Nemesis zurück und bereitet sich auf einen neuen Überfall vor. Wenn ein Outrider einen Menschen trifft, stirbt er im schlimmsten Fall.“ „Du glaubst, das ist alles was passiert? Dass der schlimmste Fall der Tod ist?“ Ihre Stimme klang seltsam hohl. Ihr Blick prüfte ihn. Sie war stehen geblieben. Er hielt ebenfalls und sah zu ihr. „Nein. Ein Mensch kann ein Leben lang durch die Verletzungen beeinträchtigt sein. Wie gesagt, ich heiße Krieg nicht gut. Ich, als Soldat“, antwortete er ernst. Sie sah ihn an. Zwei Minuten, vielleicht drei oder vier. Es schien sehr lange, da sie schwieg. „Du bist ein seltsamer Mensch“, sagte sie schließlich und setzte langsam ihren Weg fort. „Weshalb bin ich seltsam?“ Vor Verwunderung hätte er fast vergessen mit ihr zu gehen. Rasch schloss er zu ihr auf und fragte: „Was bringt dich zu dieser Annahme?“ „Deine Ansicht über das Kämpfen. Sie ist ziemlich widersprüchlich, findest du nicht?“ „Nein, das finde ich nicht. Ich würde nicht, wenn wir nicht dazu gezwungen wären. Wir tun das, wie gesagt, um die Schwachen zu beschützen. Wir helfen all jenen im Grenzland, die sich nicht selbst verteidigen können. Da ist nichts widersprüchliches daran.“ „Wer zwingt dich denn dazu?“ „Mich zwingt niemand dazu. Ich sehe mich in der Pflicht, im Grenzland ein friedliches Leben zu ermöglichen. Ich möchte der Gesellschaft so etwas zurückgeben.“ An der Aufrichtigkeit seiner Worte schien sie keinen Zweifel zu haben, nur der Sinn erschloss sich ihr nicht ganz. Sie runzelte die Stirn. „Also zwingst du dich zu etwas, das du eigentlich nicht gut findest, weil du meinst, du seist irgendwem irgendwas schuldig was nicht mal deine Verantwortung ist?“, fasste sie zusammen, was sie seinen Worten entnommen hatte. „Und das soll nicht seltsam sein?“ „Wie soll ich dir das erklären, damit du mich verstehst?“ Wann hatte ihn jemals jemand so sehr in Frage gestellt, wie sie gerade. Schon lange hatte er, als der gefeierte Held, niemand mehr erklären müssen, warum er tat, was er tat. Die Menschen, welche ihm begegneten, stellten das nie in Abrede. Im Gegenteil, sie feierten ihn dafür. Nun, sah er sich aber in Erklärungsnot. Das war schlichtweg ungewohnt. „Jeder tut das, was er kann, um seinen Beitrag in der Gesellschaft zu leisten und das Zusammenleben zu ermöglichen. Einer ist Farmer, ein anderer Installateur, eine Kellnerin und ich bin Star Sheriff. Ich hätte auch Polizist oder Feuerwehrmann werden können. Mir liegt das Wohl meiner Mitmenschen am Herzen. „Wenn du es dir aussuchen konntest, warum hast du dann nicht etwas anderes gemacht? Warum überhaupt dieses Leisten eines Beitrages zur Gesellschaft? Warum diese Pflicht? Es ist doch der Gesellschaft geschuldet, wenn etwas wie Krieg entsteht.“ „Die Generation vor uns hat für uns gesorgt, damit wir in Frieden aufwachsen konnten. Es ist der natürliche Lauf der Dinge. Ich finde, wir Menschen können nur überleben, wenn wir alle füreinander da sind, in welcher Form auch immer, und auch gegenseitig auf einander Rücksicht nehmen. Es gibt natürlich auch Menschen, die nicht so denken. Deswegen gibt es immer wieder Konflikte. Aber Krieg in eigentlichen Sinne begann, die Outrider in unsere Dimension sprangen und unsere Siedlungen angriffen. Ich weiß nicht, ob sie das tun, weil sie Spaß suchen oder neue Rohstoffe, aber man hätte auch mal freundlich anklopfen können, anstatt gleich ganze Siedlungen dem Erdboden gleich zu machen.“ Wieder musterte sie ihn und versuchte offensichtlich zu verstehen. Fast konnte er sehen, wie es hinter ihren hübschen Stirn arbeitete. Wieder war sie stehen geblieben. Sie fanden sich an einer kleinen Kreuzung wieder von der eine schmale Straße in die Dunkelheit abzweigte. Nur eine Laterne erhellte diese. „Würdest du bei den Outridern anklopfen? Ich meine, wenn ...“ Ihre Worte verloren sich. Etwas hatte ihre Aufmerksamkeit erregt und nun schaute sie in die Richtung der einsamen Laterne auf der gegenüberliegenden Straßenseite. „Es ist diplomatischer um Hilfe zu bitten …“, setzte er zur Antwort auf ihre begonnene Frage an, doch auch er verlor den Gesprächsfaden. Ihr Innehalten, ihr Beobachten lenkten seine Aufmerksamkeit ebenfalls auf jene Straßenbeleuchtung. Es wunderte ihn halb, dass er für seine Umgebung nicht schon die ganze Zeit die im Beruf begründete Vorsicht übrig hatte und es erstaunte ihn, wie sehr ihre Anwesenheit ihn vereinnahmt hatte. Dann wieder, wenn er sie so betrachtete, wunderte es ihn überhaupt nicht mehr. Im Schatten der Laterne bewegte sich eine Gestalt. Das Gesicht verborgen unter einer tiefsitzenden Kapuze, die Hände tief in die Taschen der zugehörigen Jacke geschoben, hielt sie sich im Dunkel, schien aber zu der jungen Frau zu starren. Saber folgte seinem Instinkt und schob sich schützend vor sie. Die Gestalt bewegte sich fast geräuschlos, näherte sich ein wenig dem Lichtkegel der Laterne um dann wieder stehen zu bleiben, als warte sie auf etwas. Eine Hand legte sich auf seinen Unterarm und die junge Frau, die er Bee nannte, stellte sich vor ihn. „Danke, dass du mich begleitet hast“, sagte sie leise. Alles an der Situation, die Dunkelheit, die Gestalt ohne Erkennungszeichen und deren Art sich fast geräuschlos zu bewegen, stufte Saber als bedrohlich ein. Doch sie schien das nicht so wahrzunehmen. War sie so tatsächlich sogar so naiv? „Habe ich gerne gemacht. Soll ich dich noch zu deiner Wohnung begleiten?“, bot er daher an. „Das ist nicht nötig. Mein Bruder wird mich begleiten.“ Sie lächelte ihn wieder an. Ihre großen Augen schimmerten ahnungsvoll in der Nacht. „Ich habe mich gern mit dir unterhalten. Haben wir uns jetzt kennen gelernt?“ „Wir sind immer noch dabei, uns kennen zu lernen, Bee.“ Jetzt nahm er ihre Hand und gab ihr einen Kuss darauf. Jetzt schien es ihm angemessen und, wenn er ehrlich war, sehr viel länger hätte er nicht auf eine Berührung zwischen ihnen verzichten wollen. Sie blinzelte ihn erstaunt an. „Dann gebe ich dich in die Hände deines Bruders. Gute Nacht.“ „Ich finde kennen lernen sehr interessant. Gute Nacht.“ Mit einem Lächeln verabschiedete sie sich und überquerte dann eilig die Straße. Sie strebte rasch auf die Gestalt zu, die, wie ihre Bewegungen verrieten, tatsächlich auf sie gewartet hatte. Sie schienen mit einander zu flüstern. Dann wandte sich die Gestalt ab und verschwand in der Dunkelheit der schmalen Straße. Sie folgte ihr mit hängenden Schultern. Saber beobachtete dies mit sehr gemischten Gefühlen. Er hatte keine Ahnung, was er davon halten sollte. Als die Gestalt der jungen Frau in der Dunkelheit verschwand, wandte er sich um und kehrte zu seinen Freunden zurück. Er begann zu grübeln. Bee, wie sie sich ihnen vorgestellt hatte, war in jeder Weise interessant. Nicht nur war sie attraktiv und konnte mit ihren großen Augen einem problemlos weiche Knie machen, das war es nicht allein. Das waren Äußerlichkeiten. Schöne zwar, sehr, sehr anziehende, aber eben Äußerlichkeiten. Für ihn war sie eine Mischung aus hilfebedürftigen Bambi, wie Colt es recht treffend genannt hatte, und scharfsinniger, wissbegieriger junger Frau. Sie stellte Fragen, deren Antwort für ihn so selbstverständlich waren, dass er nicht auf die Idee gekommen war, dass man danach fragen könnte. Dann kam sie ihm recht weltfremd vor. Gleichzeitig konnte sie ihn in Frage stellen auf eine Weise, die ihm neu war, die hartnäckig und, wenn er so über ihre Fragen nachdachte, tiefsinnig und in der Tat berechtigt waren. Gab sie ihm auf der einen Seite das Gefühl etwas wie ein Lehrer zu sein, der sie anleitete, vermittelte sie ihm andererseits das Gefühl oberflächlicher zu sein, als er je von sich geglaubt hatte. Das eine Gefühl war sehr angenehm, es weckte den Beschützer in ihm, der er gern war und sein wollte, für eine so hübsche, zarte Frau. Das andere Gefühl forderte ihn heraus, Antworten auf Fragen zu suchen, sich selbst zu reflektieren und noch weit tiefer zu forschen als er es bisher getan hatte. Es sprach ihn, nein es schrie ihn förmlich auf intellektueller Ebene an, zu wachsen. Wie konnte der wissenshungrige Wahrheitssucher und Philosoph in ihm das nicht anziehend finden? Aber nicht nur diese starke Anziehung hielt ihn in der Nacht wach, als seine Freunde längst schliefen. Ein Schatten lag über ihr, den er nicht los wurde und er verabscheute ihn. Er wollte nicht misstrauisch sein, nicht skeptisch ihr gegenüber. Ihr Verhalten gab dafür kaum Anlass. Doch das ein oder andere Wort schlug eben jene Seite in ihm an. Wahrscheinlich wäre er ohne diese frühere Erfahrung nicht auf diesen Gedanken gekommen, hätte er jene junge blass lila haarige Frau nicht eine Sekunde lang verdächtigt eine Outriderin zu sein, wäre er nicht in der Vergangenheit genau in diese Falle getappt. Lilly. Sie war schön. Sie war klug und ähnlich wie nun eben Bee, hatte sie genau damit sein Interesse geweckt und seine Aufmerksamkeit so abgelenkt, dass er seine Mission in Gefahr gebracht hatte. Er hatte die Zeit mit ihr genossen, ihre Gespräche, deren Tiefgang über Themen, über die er zumindest mit seinen Freunden nicht so ausführlich reden konnte. Sie hatte ihn glauben lassen, sie empfände etwas für ihn und er war darauf hereingefallen wie ein Schuljunge. Sie hatte gelächelt, sie hatte ihm geschmeichelt und war so … anschmiegsam … gewesen, dass es kaum anders hätte kommen können. Es hatte unter die Gürtellinie gehen müssen. Es musste ein leichtes gewesen sein, bei ihrer Zielstrebigkeit. Einsamkeit und der Wunsch nach einer Beziehung hatten einen großen Anteil an Lillys Erfolg gehabt. Er seufzte in sein Kissen. Es gab entscheidende Unterschiede zwischen Bee und Lilly. Falls Bee tatsächlich eine Outriderin war, was er nicht wusste. Bee, und das war für ihn so oder so nicht von der Hand zu weisen, war nicht im Geringsten so zielstrebig anschmiegsam wie Lilly. Zwar sah sie ihn an, zwar musterte sie ihn – und er hatte das Gefühl, ihr gefiele was sie sah – aber sie suchte nicht nach Körperkontakt, war nicht darauf aus Gelegenheiten zu schaffen, ihn zu berühren. Das Bild ihrer großen, fast schwarzen Augen schob sich in seinen Kopf. Das Leuchten darin, als sie ihn interessiert gefragt hatte, was ihm Spaß machte und die Überraschung, als er ihre Hand geküsst hatte. Nein, wirklich, sie suchte nicht nach seiner Berührung, aber ein Teil von ihm wünschte sich in diesem Moment fast schmerzhaft bohrend, sie würde es tun. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)