The Diary of Mrs Moriarty von Miceyla ================================================================================ Kapitel 24: Der Fluch im Spiegel -------------------------------- Mit glasigen Augen, beobachtete William den bleichen Vollmond am finsteren Nachthimmel. Um darüber urteilen zu können, ob die Luft sich für ihn nun warm oder kalt anfühlte, fehlten ihm jegliche Empfindungen. „Das blasse Licht des Mondes ist wunderschön, nicht wahr? Doch bald wird auch dieses Licht für dich verschwinden und dich in einer pechschwarzen Dunkelheit zurücklassen…“ Plötzlich wurden seine Sinne wieder etwas schärfer, als er den sanften Klang einer Stimme vernahm, welche ihm das Gefühl vermittelte, sich am richtigen Ort zu befinden. Sehnsuchtsvoll blickte er das junge Mädchen an, zu welchem jene Stimme gehörte. Das helle Mondlicht schenkte ihrer Haut einen schneeweißen Schimmer. Mit ihren langen blonden Haaren und dem schlichten weißen Kleid das sie trug, sah sie aus wie ein vom Himmel gestürzter Stern, der sich in einen unschuldigen Engel verwandelt hatte. „Ich fürchte keine ungewisse Dunkelheit, denn ich befinde mich schon zu lange in ihr. Und ich werde stets ein führendes Licht bei mir haben, solange sich ein solch strahlender Stern wie du bei mir befindet…liebste Tochter…“, sprach William sanft und schenkte Evelyn ein Lächeln, welches sie jedoch nicht erwiderte. „Die Umstände der Gegenwart, können sich in wenigen Augenblicken schon wieder geändert haben… Du müsstest das doch am besten wissen. Ich werde verschwinden und du wirst mich nie wieder sehen. Genau wie Mutter verschwunden ist. Oder siehst du sie hier irgendwo? Hast du sie bereits etwa vergessen?! Und solch ein Scheusal soll mein Vater sein…“, erwiderte Evelyn verächtlich und wendete verbittert ihren Blick von ihm ab. „W-wo befindet sich Miceyla?“, fragte William zögerlich und bekam es mit einer fesselnden Angst zu tun, die er noch nie zuvor verspürt hatte. „Du willst sie sehen? Soll mir nur recht sein! Die Folgen deiner Verbrechen mögen nun endlich bestraft werden. Dein Herz wird dieselben Qualen erleiden, die du mir hinterlassen hast. Folge mir… Du hast den Abschaum der Welt in die Hölle vertrieben, jetzt ist es an der Zeit, dass du ihm dorthin folgst…“ Die Kaltherzigkeit in ihrer Stimme, brachte sein Herz bereits jetzt zum zersplittern. Doch eine leise Vorahnung flüsterte ihm zu, dass er gleich einen grausigen Anblick über sich ergehen lassen musste, der selbst seine unerschütterliche Fassung ins Wanken geraten ließe. Und dennoch zwangen Williams Beine ihn seiner Tochter zu folgen. Nach und nach erlosch das sanfte Mondlicht über ihm und verlor sich bei jedem Schritt den er tat in weiter Ferne. Ihm entging nicht, dass es seiner Tochter vor ihm nicht gelang, ihr Zittern zu unterdrücken. Er wusste das auch sie am liebsten in die Richtung des schützenden Mondlichts zurückgerannt wäre. Sein Herz verkrampfte sich dabei mitansehen zu müssen, wie tapfer sie sich gab. William vergaß kurz das gleichmäßige Atmen, als Evelyn abrupt zum Stillstand kam. Er meinte schon taub geworden zu sein, da er kein einziges Geräusch mehr vernahm und dann kam noch das Aufblitzen von Evelyns hellgrünen Augen hinzu, welche ihn argwöhnisch anfunkelten und bei dem er eine Gänsehaut bekam. „Nun erblicke es, dein größtes Verbrechen… Du wirst kein Grab, keine Blumen vorfinden. Für den Tod gibt es keine verschönernde Zierde…“ Evelyns Stimmer hallte beinahe schmerzhaft in seinen Ohren wider und keine Finsternis der Welt, hätte für ihn jenen grausamen Anblick verschleiern können. William sah Miceylas leblosen Körper, unmittelbar vor sich auf der schmutzigen Erde liegen. Sie war bedeckt mit ihrem eigenen Blut, welches aus etlichen Wunden hervorquoll, die sie sich in einem ausweglosen Kampf zugezogen haben musste. Er erstarrte auf der Stelle und ihm gefror sein eigenes Blut in den Adern. Von Schwindel gepackt, verschwamm die gesamte Welt vor seinen Augen, nur von seiner übel zugerichteten Miceyla, konnte er nicht den Blick abwenden. Verzweiflung, Entsetzen und Bedauern ergriffen von ihm Besitz. Am liebsten hätte er sich sein wild pochendes Herz aus der Brust gerissen, um all das nicht ertragen zu müssen. Und dennoch führte kein Weg an der gerechten Strafe vorbei, die das Schicksal sich für ihn zurechtgelegt hatte. „Meine liebste Miceyla… Versagt habe ich, dich zu beschützen… Haben wir selbst dieses düstere Ende heraufbeschworen…? Gäbe es nur einen Weg, um die Tragödie der Vergangenheit ungeschehen zu machen, ich würde…“, sprach William verbittert und kniete sich neben Miceyla. Dabei wünschte er sich nichts sehnlicher, als seinen eigenen Tod. Die einzige Flucht, vor seinem auf ewig andauernden Schmerz. „Nun begreifst du es endlich, dass nur du allein die Schuld an Mutters Tod trägst. Du bringst der Welt nur Unheil. Ich hasse dich dafür!... Mit ihm…wäre sie viel glücklicher geworden…“ Evelyns verfluchenden Worte, ließen sein Herz vollends ausbluten und die blasse Gestalt seiner Tochter, war nun nicht viel mehr als eine unscharfe Silhouette, die immer weiter in die unerreichbare Ferne rückte. Doch an ihrer Statt erschien ganz plötzlich Sherlock, der seinen Blick gesenkt hatte und seine glasigen Augen auf Miceylas Leichnam richtete. Wut gepaart mit Trauer ergab ein gefährliches Duo, welches zerstörerische Mächte hervorrufen konnte. Dies waren Williams eigene Gefühle und er hatte daher darauf gewettet, dass Sherlock diese erwidern würde. Zum Teil traf dies auch zu, jedoch dominierte bei ihm ganz klar die Hoffnungslosigkeit. „Alles ist eingetroffen, wie ich es vorausgesehen habe… Doch ich gestehe mir einen fatalen Fehler ein… Ich hätte dem Meisterverbrecher den Garaus machen sollen, als ich noch die Gelegenheit dazu hatte… Und wenn ich dafür für den Rest meines Lebens hinter Gittern gelandet wäre, ich hätte alles für Miceylas Leben in Kauf genommen. Nun bin ich ein Versager und Feigling genau wie er. Ihr Leben hätte gerettet werden können. Dann sind jetzt wohl die brennenden Schuldgefühle, alles was uns noch miteinander verbindet. Und ich habe mich geirrt, mein Guter. Wir haben wohl doch nicht in allen Bereichen identische Gedankengänge… Aber natürlich…es gibt tatsächlich noch eine nicht zu verkennende Kleinigkeit, welche wir teilen. Miceyla…hat mir mindestens genauso viel bedeutet wie dir. Und jener Tatsache galt deine größte Furcht…“ Es gab keinen Weg für William, um der Beharrlichkeit von Sherlocks Worten entfliehen zu können. Mit einem elendigen Gefühl war er auf der Stelle gefesselt und musste mitansehen, wie Miceylas erkalteter Körper immer mehr verblasste. Auch von Sherlock fehlte nun jede Spur. Nur die Intensivität seiner Stimme, hallte noch immer in seinen Ohren wider. Die Gewissheit Miceyla nie wieder zu sehen, ihr liebliches Lächeln zu erblicken und nie mehr in ihre wunderschönen Augen blicken zu können, hinterließ eine verzehrende Leere in ihm, die sich durch nichts und niemanden jemals erneut füllen würde. Es kam dem Gefühl, eines ewig andauernden Falls gleich. Ein endloser Sturz ins Verderben, bei dem er dazu verdammt war bei Bewusstsein zu bleiben. „Ich opferte dir meinen ganzen Besitz, sogar mein eigenes Leben… Für dich und deine Ideale war ich bereit zu sterben. Doch nun hat meine Seele, noch vor meinem Körper ihren Tod gefunden… Du hast den Menschen geopfert, dem deine größte Liebe gelten sollte und nicht nur die deine… Jetzt ist es endgültig vorbei, ich habe alles verloren und nichts mehr übrig, was ich dir noch geben könnte. So heißt es nun Abschied nehmen… Die Familie Moriarty, ist ab dem heutigen Tage Geschichte…“ Mit verbitterter Miene blickte William in Alberts trübes Gesicht, in dem er keine Spur mehr von dessen ehemaliger Standhaftigkeit vorfand. „Bruderherz… Jetzt wenden sich wohl alle von mir ab… Was ich allein in meinen Vorstellungen begonnen habe, werde ich scheinbar auch wieder in stiller Einsamkeit beenden müssen…“, gestand er sich missmutig ein und sah mit einem unerträglichem Krampf im Herzen dabei zu, wie all seine engsten Verbündeten, die ihm in den vergangenen Jahren mit blinder Treue zur Seite gestanden hatten, sich wie blasse Sterne bei Anbruch des Tages in Luft auflösten. Doch völlig unerwartet erschien eine weitere Person dicht neben William, deren Erscheinung im Gegensatz zu den vorherigen Gestalten gut zu erkennen war und kein wenig bleich aussah. Und seltsamer Weise war der Gesichtsausdruck dieser Person, mit keinem der Menschen zu vergleichen, welche sich zuvor von ihm abgewendet hatten. Die Lippen jener Person waren zu einem Lächeln geformt, welches weder Glück noch Schadenfreude zum Ausdruck bringen sollte. Nein, es war ein Lächeln, welches den puren Seelenfrieden darstellte und bei dem keinerlei Hass und Reue mehr vorzufinden war. William blickte verwirrt drein, denn er besaß eigentlich ein völlig anderes Bild von dem Mann, der sich soeben zu ihm gesellt hatte. Und trotz seines gebrochenen Herzens, konnte er noch immer exzellent zwischen Heuchelei und Ehrlichkeit unterscheiden. „Mein Freund, nun stehen wir beide auf derselben Stufe. Erinnerst du dich noch an meine Worte, dass der Verlust der Liebe der grausamste Schmerz ist, den ein Mensch nur fühlen kann? Jetzt darfst du das durchleben, was ich selbst durchleben musste. Und mache dir keine großen Hoffnungen, der Schmerz wird weder jemals komplett verschwinden, noch wird es leichter werden ihn zu ertragen. Denn Gefühle haben ein vernichtendes Ausmaß gegenüber dem rationalen Denken. Wie entscheidest du dich nun? Dir stehen zwei Pfade zur Verfügung, an deren Enden jeweils die Vergangenheit und die Zukunft auf dich warten…“ William sah schweigsam hinab, unter ihm befand sich nicht viel mehr als das tiefschwarze Nichts, welches ihm jegliche Hoffnungen und Emotionen zu entreißen versuchte. Dennoch hörte er von weit entfernt eine leise Stimme zu ihm flüstern. `Verbrechen können niemals vergeben werden… Doch solange wir am Leben sind, haben wir die Möglichkeit Gutes zu tun und etwas zu ändern. Wir haben einander, darum lasse bitte nicht los…niemals…` „Miceyla…“ Als William erkannte, zu wem jene sanfte Stimme gehörte, hob er ruckartig wieder den Kopf und erblickte am fernen Horizont einen letzten verbliebenen Stern, der mühsam darum kämpfte, sein Leuchten nicht zu verlieren. Auch in ihm wurde erneut die Flamme des Willens entfacht und in seine leblosen Augen, kehrte wieder eine eiserne Entschlossenheit zurück. „Ich habe längst gewählt, Clayton. Für mich existiert nur der dritte Pfad, nämlich die Gegenwart. Auf diesem Pfad kann ich die Vergangenheit hinter mir lassen und die Zukunft nach meinen Vorstellungen gestalten. Und für dich wäre es ebenfalls besser, du würdest dich auf demselben Pfad wie ich befinden. Denn dein Herz ist in der Vergangenheit gefesselt und dein kopfloses Ich aus der Gegenwart, ist dabei nicht nur deine eigene, sondern auch die Zukunft deiner Mitmenschen zu sabotieren“, tat William vor Clayton seinen Entschluss kund und ermahnte ihn dabei mit seinem warnenden Unterton dazu, über seine eigenen Entscheidungen nachzudenken. „So lautet also deine Antwort… Wir unterscheiden uns vom Wesen her doch ein klein wenig… Ich bin viel zu weit entfernt, um deinen aufrichtigen Pfad noch erreichen zu können… Und darum… Wirst du derjenige sein, der meiner schmerzenden Seele ihre langersehnte Erlösung schenkt und mich aufhält? Denn dann kann ich dich wohl als meinen einzig wahren Freund bezeichnen…“, kommentierte Clayton wenig überrascht Williams Vorsatz, während plötzlich ein stürmischer Wind aufkam und seine Gestalt hinfort riss. „Das werde ich…mein Freund…“ Mit hektischem Atem erwachte William aus seinem unangenehmen Alptraum und packte sich mit der Hand auf sein unkontrolliert klopfendes Herz. Er setzte sich im Bett auf und blickte zitternd zu Miceyla, die friedlich neben ihm schlief. Zaghaft strich er mit der Hand über ihre warme Wange, als wollte er sich davon vergewissern, ob er sich tatsächlich nicht mehr in seiner Traumwelt befand und sie am Leben war. Da sie meistens einen recht leichten Schlaf hatte und auf das leiseste Geräusch und die kleinste Berührung reagierte, öffnete sie verschlafen die Augen. „Will…“ Trotz der Dunkelheit erkannte sie seine Angespanntheit und die Leere in seinem Blick. Beunruhigt setzte Miceyla sich ebenfalls auf und nahm besänftigend seine Hand. „Verzeih… Ich wollte dich nicht wecken… Und dennoch beruhigt mich die Tatsache, dass dich keiner leichtfertig im Schlaf überfallen könnte, ha, ha“, sprach er ablenkend und war sichtlich erleichtert darüber, nach der unwirklichen Folter wieder wach zu sein. `Ein Alptraum…` Miceyla brauchte nicht lange, um zu ergründen was mit ihm nicht stimmte. Und sie wusste, dass Träume beim Erwachen einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen konnten und sei es auch nur für einen kurzen Moment, die Wirkung durfte man nicht unterschätzen. Ihr Herz verkrampfte sich ebenfalls dabei mitanzusehen, wie seine seelische Belastung weiter zunahm und ihm nicht einmal im Schlaf Erholung vergönnt war. William nahm sie liebevoll in die Arme und gab ihr auf diese Weise ohne Worte zu verstehen, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchte, auch wenn ihm schmerzlich bewusst war, dass dies kaum eine Wirkung hatte. `Momentan kann ich noch aus meinen finsteren Träumen erwachen… Doch wie lange es wohl dauert, bis sie wahr werden…? Entfliehen kann der bitteren Realität ohnehin keiner von uns…darum…` „Wie geht es Evelyn?“, erkundigte William sich plötzlich und hatte nun wieder mehr an Standhaftigkeit gewonnen. „Sie…schläft friedlich in ihrem Bett, es fehlt ihr an nichts“, antwortete Miceyla etwas zögerlich und blickte dennoch mit sanftem Lächeln zu der Wiege, in welcher ihre Tochter schlief. „Ich bin erleichtert dies zu hören… Jedoch wäre es besser, wenn sie mit Miss Moneypenny nach Durham zurückkehren würde. Sie ist hier nicht sicher“, erwähnte er erneut seine Bedenken, auch wenn man ganz deutlich den Widerspruch heraushörte, dass er seine Tochter am liebsten in nächster Nähe behielt, um sie eigenständig beschützen zu können. `Nein Liebster, trenne uns nicht widerwillig von unserem eigenen Kind… Wir wissen doch alle, dass kein sicherer Ort auf dieser Welt existiert… Allerdings…vielleicht kein sicherer Ort, aber dafür…` Miceyla beendete ihren Gedankengang abrupt, als William plötzlich vom Bett aufstand und sich ausgehfertig anzog. „Wir haben drei Uhr nachts… Ich weiß ja, dass du nun keinen Schlaf mehr finden wirst… Dennoch…wohin willst du um diese Uhrzeit?“, fragte sie etwas kummervoll und zögerte mit dem Vorschlag ihn zu begleiten. „Einen Freund besuchen… Auch dir steht es frei deine Freunde zu besuchen, wann immer du magst. In letzter Zeit hältst du dich damit eher etwas zurück, doch das ist nun wirklich nicht nötig. Ebenso wenig brauchst du dich vor ihrer Reaktion zu fürchten, sobald sie die Wahrheit erfahren haben. Sie werden dich noch besser verstehen als vorher und zu dir…zu uns allen halten. Wir streben alle dasselbe Ziel an, machen nur von unterschiedlichen Methoden Gebrauch. Rufe dir diese Tatsache stets erneut ins Gedächtnis und deine Anspannung wird sich etwas lockern. Bleibe dir treu und habe Vertrauen… Nicht nur ich bin derjenige, der dir jenen Zuspruch des Öfteren ans Herz legt… Und ich bin nicht lange weg, versprochen.“ Mit diesen Worten und einem flüchtigen Lächeln auf den Lippen, verschwand er geräuschlos wie ein Schatten die Tür hinaus. `Welcher Freund…?` Miceyla widersetzte sich der Versuchung ihm zu folgen und lächelnd erinnerte sie sich selbst daran, dass es nicht viele Menschen gab, die er mitten in der Nacht aufsuchen würde. Da auch sie nun hellwach war, lief sie zu Evelyn in ihrer Wiege und setzte beim Betrachten ihrer Tochter, ihre soeben beendeten Überlegungen fort. `Wir finden einen sicheren Ort für dich… Fern von der Saat des Krieges, welche wir magisch anziehen. Und dieser Ort wird nicht einmal weit weg sein. Vergib mir Will, dass ich ausnahmsweise mal eine Entscheidung ohne dein Urteil treffe…` Die Nacht war unbarmherzig kalt und der raue Wind verwehte jegliche Spuren, welche einen daran erinnern sollten, dass der Mai vor der Tür stand. Aber in den Herzen der meisten Menschen, herrschte ohnehin ein ewiger Winter… William fuhr mit einer der wenigen betriebsbereiten Kutschen ein Stück weit und setzte anschließend seinen Weg zu Fuß fort. Dabei achtete er ohne es sich anmerken zu lassen darauf, ob ihm auch keiner folgte. Schließlich war er an seinem Zielort angelangt und lief nun etwas langsamer, während er an Claytons Turm emporblickte, wo an dessen obersten Raum ein schwaches Licht flackerte. `Kluge Köpfe lassen sich nicht vorschreiben, wann sie am produktivsten sein wollen…`, dachte er im Stillen und lächelte wohlwollend. Gesittet betätigte er die Türklingel und wartete geduldig. Nach einigen Minuten des Wartens, öffnete sich die Tür einen Spalt weit und Clayton schaute ihn mit der zwiegespaltenen Skepsis an, welche William von dem jungen Physiker erwartet hatte. „Schau an, wer hier in der Finsternis herumgeistert… Sie leben wahrlich nach dem Motto, `Der frühe Vogel fängt den Wurm`. Dann verraten Sie mir mal bitte, was Sie dazu bewogen hat, mein von der Außenwelt abgeschottetes Heim aufzusuchen? Ein nächtliches Fechtduell, scheinen Sie jedenfalls nicht im Sinn zu haben…“, erklang sogleich eine leicht schroffe Begrüßung und er grinste herausfordernd. Claytons musternder Blick ob er bewaffnet war, amüsierte ihn beinahe. „Reicht Ihnen mein Wunsch, nach einer Begegnung mit einem Menschen, mit dem man ausgelassen fachsimpeln kann, als Grund aus?“, begründete William lächelnd seinen unangekündigten Besuch. Anstatt das Claytons Skepsis weiter wuchs, brachten ihn die Worte seines spontanen Besuchers zum Lachen und er öffnete die Tür nun ein Stück weiter. „Ha, ha, ha! Sie besitzen mit Ihrer ungekünstelten Authentizität, jedenfalls das Zeug zum Komiker, Hut ab! Und da haben Sie ja wirklich Glück, dass Sie nicht umsonst herkommen sind und ich gerade zugegen bin. Na dann will ich mal nicht unhöflich sein und Sie eintreten lassen. Doch sollten Sie lieber davon absehen, faule Tricks zu benutzen, damit beißen Sie bei mir nur auf Granit… Aber weswegen sind Sie nun wirklich auf einen Plausch mit mir aus? Haben Sie sich Ihr kluges Köpfchen gestoßen oder zu tief ins Glas geschaut?“, ließ Clayton ihn schließlich in sein geheimnisumwobenes Heim eintreten und setzte dabei einen gespielt vorwurfsvollen Blick auf. „Nichts dergleichen, nur schlecht geträumt…“, gab William ihm eine ehrliche Antwort und fand direkt Gefallen an der exzentrischen Innenausstattung, welche Claytons beispiellosen Freigeist widerspiegelte. „Nun, da fühle ich mit Ihnen… Wir können der Grausamkeit des Lebens im Schlaf entfliehen, doch den Fesseln der Traumwelt kann keiner entkommen. Träume führen uns die Dunkelheit vor Augen, welche sich tief in unserem Herzen manifestiert hat und entfesseln die Angst, den Hass und die Trauer auf korrupte Weise. All jene negativen Emotionen, die wir im Alltag zu verdrängen versuchen, kommen heuchlerisch im Schlaf hervorgekrochen. Oh ja, Träume sind wie ein Spiegel unserer befleckten Seele, ein Fluch der so manch einen verzweifeln lässt. Die einzige Möglichkeit um ihn zu brechen besteht wohl darin, sich der Finsternis des Herzens in der Realität zu stellen… Ho, ho, ho! Nun aber genug von Matador Muscaris begnadeten Weisheiten! Lassen Sie uns die Treppe zum Universum emporsteigen und die physikalischen Grenzen durchbrechen, denn die Kraft unserer Vorstellungen ermöglicht es uns, jeden noch so fernen Ort zu erreichen“,…sprach Clayton mit einer Ergriffenheit, die sowohl sein schauspielerisches Talent, als auch seine wahren Gefühle zum Vorschein brachte. „Bei Ihrem Drahtseilakt zwischen Poesie und Realismus, werden Sie wohl auf ewig konkurrenzlos bleiben…“ Beide erreichten das oberste Stockwerk und William sparte sich die Mühe, sein Interesse für Claytons seltene Fachliteratur und Gerätschaften zu verbergen. „Darf ich mir die direkte Frage erlauben, weshalb Sie im stillen Kämmerlein herumtüfteln, wenn Ihr großer Erfindergeist den Alltag vieler Menschen erleichtern könnte? Was spricht dagegen, in die Fußstapfen Ihres Vaters zu treten? Sie brauchen sich nun wirklich keine Gedanken darüber zu machen, ihm damit eine Schande zu bereiten. Ich habe ihn zwar nie persönlich kennenlernen können, aber seine Arbeit hat die Fakultäten für Physik, beinahe in allen Universitäten des Landes vorangebracht. Jeder Student wird den Namen Ihres Vaters in der ein oder anderen Vorlesung zu hören bekommen. Daher können Sie stolz auf Ihren Familiennamen sein. Sie sind ein Adeliger dem es erlaubt ist, seinen Titel mit Würde zu tragen, obgleich man ihn Ihnen genommen hat…“, begann William sich taktvoll an Claytons verschlossenes Herz heranzutasten, ohne dabei zu aufdringlich sein zu wollen. Clayton wirkte jedenfalls weitaus redewilliger als argwöhnisch, machte es sich auf einem Sessel bequem und bedeutete seinem Besucher es ihm gleichzutun. „Sie bemerken doch sicher, dass mein gesamtes Herzblut dem Theater gewidmet ist und ich meine Begabung für Physik nur als Mittel zum Zweck nutze. Mögen Sie dies auch als Verschwendung betrachten und behaupten, ich verstecke mich auf der Bühne nur hinter einer falschen Maske, um die Schandtaten meines wahren Ichs zu verschleiern. Aber mit meinem Theater habe ich nicht nur mir, sondern auch dem täglich dort erscheinenden Publikum ein Universum erschaffen, in welchem noch erlaubt ist zu träumen und an Wunder glauben zu dürfen. Im Theater verbreitet sich die Inspiration exponentiell, wie Sie es sicher ebenfalls sagen würden. Und dies sehe ich als das größte von mir geschaffene Meisterwerk an. Stolz bin ich dennoch allemal und schäme mich keineswegs für meinen Namen. Doch eines muss ich klarstellen, ich bin kein guter Mensch, dass Böse hat in mir unübersehbar die Oberhand gewonnen. Denn Harleys einzige Lehre war es, gefallen an Verbrechen zu finden. Mein verbliebener Trost sind die Kinder und ihre glücklichen Gesichter. Und im Gegensatz zu Ihnen habe ich es vermieden, mich an das fesselnde Band einer Familie zu binden, welches meinen Vorhaben im Weg stehen könnte. Hätte ich Ihr Glück, ich würde dem Verbrecherleben den Rücken kehren und weit fortgehen. Aber ich weiß, dass Sie größere Utopien anstreben, für die Sie schon fast Ihr ganzes Leben daraufhin gearbeitet haben…“, erwiderte Clayton gelassen, ohne seinen Gesprächspartner dabei direkt anzublicken. „Nun… Wenn Sie sich selbst als schlechten Menschen bezeichnen, wie würden Sie dann erst die verdorbenen Schandtäter nennen, welche die schwersten Gräueltaten verrichtet haben, über die Sie richten? Gibt es dafür überhaupt noch eine Steigerung? Aber es ist sicher kein Geheimnis, dass Ihre Vorhaben, erweckt aus Ihren finsteren Gedanken, immer gnadenloser werden. Ist es daher nicht von Zeit zu Zeit angebracht, wenn einem ein guter Freund Einhalt gebietet?“ Erst in jenem Augenblick wo William zu Ende gesprochen hatte, blickte Clayton in dessen gütiges Gesicht. „Sie nennen mich einen Freund…? Hm… Es rührt mich beinahe, dass dies kein Scherz sein soll. Aber sorgen Sie sich lieber um Ihre wahren Freunde. Ich kenne da nämlich so einen dickköpfigen Detektiv, der für Sie den Kopf herhalten würde und das nicht nur Miceyla zuliebe… Und da wir nun so vertraulich miteinander plaudern, dürfen Sie ruhig wissen, dass ich weitaus weniger egoistisch bin, als alle vielleicht denken. Ich will nicht nur Harley aus persönlichen Gründen einen Kopf kürzer sehen, sondern ihm vorrangig das Handwerk legen, da er einen Krieg plant. Nein, ich bin nicht vollkommen begriffsstutzig und erkenne, dass er sich um die Bürger Londons sorgt. Jedoch ist England für ihn das Zentrum der Welt und will erzwingen, dass die benachbarten Nationen vor seinem Regiment niederknien. Nur ein hirnloser Narr, würde einen Mann in einem gnadenlosen Krieg als Sieger auserkoren, bei dem er auf etliche Opfer herabblicken müsste. Dagegen wäre Ihre und meine erbrachte Opferanzahl wortwörtlich nichtig. Denn bei einem Krieg gibt es tausende von Toten. Da darf Harley schon mal fleißig Gräber ausheben gehen, sein eigenes inbegriffen. Eins noch vorneweg, ich werde mich nicht nach Ihnen richten. Also was auch immer Sie dagegen unternehmen wollen, ich werde mich dieser Problematik eigenständig entgegenstellen. Wenn ich Harley dabei nicht alleine zu fassen bekomme, mache ich auch nicht davor Halt, die gesamte Kavallerie an führenden Köpfen ins Jenseits zu befördern. Falls Sie mich wirklich aufhalten wollen, wünsche ich Ihnen viel Glück dabei… Und Sie brauchen nicht zimperlich zu sein, wenn die Zeit gekommen ist, dürfen Sie sich ruhig an meiner Fachliteratur bedienen. Ich kenne den Inhalt jedes einzelnen Buches ohnehin auswendig. Sie finden sicherlich für selbst das kleinste Fünkchen Wissen eine passende Verwendung, denn ich habe dafür keinen Zweck mehr. Sie können sich also nach Herzenslust hier austoben, dafür gebe ich Ihnen meinen Segen… Zeit das auf dem zähen Geschwätz endlich bannbrechende Taten folgen! Das größte Schauspiel ist unser eigenes Leben, mit all ihren Lügen und Intrigen. Perfektion ist ein reines Hirngespinst. Die Fehlschläge mit all ihren Ecken und Kanten, sind der wahre Lichtblick in einer Hölle von abgerichteten Zinnsoldaten…“ William schmunzelte über die versteckte Andeutung seines Gesprächspartners, welche ihm verriet das dieser bereits genug Gesellschaft für eine Nacht hatte. `Das hört sich für mich beinahe danach an, als überließe er mir seinen Turm wie ein hinterbliebenes Vermächtnis… Doch damit ist er bei mir an der falschen Adresse, da uns beide dasselbe Schicksal erwarten wird…` Lächelnd erhob William sich von seinem Platz, um auf unkomplizierte Weise seinen Aufbruch kundzutun. „Nun, alles was ich Ihnen versprechen kann ist dafür zu sorgen, dass Ihre Heiligtümer nicht in falsche Hände geraten, ungeachtet dessen was Ihr `perfekt` geplanter Komplott für ein Ausmaß nehmen wird… Aber Ihr größtes Heiligtum wird wohl mit aller Wahrscheinlichkeit, vor den Augen der gesamten Welt in scharlachroten Flammen aufgehen…“ Alberts Füße versanken im tiefen Matsch und ein rasselnder Wind peitschte ihm unbarmherzig ins Gesicht, je näher er dem Flussufer kam. Aus einem vor wenigen Augenblicken angelegten Boot, stiegen einige sich verdächtig verhaltende Männer ans Ufer, die sich mit dem Schutz ihrer geladenen Schusswaffen geborgen fühlten. Albert blieb im Dickicht bei dunkler Umgebung für sie vollkommen unsichtbar. Mit Leichtigkeit hätte er die Männer bereits von seinem derzeitigen Standpunkt aus, zum Opfer seiner eigenen Pistole machen können. Doch er wartete wie ein geduldiges Raubtier darauf, bis seine Beute sich in vermeintlicher Sicherheit zu befinden glaubte. Und auch er selbst war nicht allein, denn auf der gegenüberliegenden Uferböschung wartete sein Soldatentrupp, welcher ebenfalls gut versteckt auf seinem Posten verharrte, auf das Zeichen, welches die gierigen Halsabschneider an einer Flucht hindern sollte. Alberts Geduld zahlte sich aus und er warf eine Rauchbombe mitten in die Gruppe, welche aus insgesamt sieben Männern bestand. Augenblicklich war wildes Fluchen zu hören und rasch breitete sich die Panik darüber aus, entdeckt worden zu sein. „Was soll der verdammte Mist?! Pah, Rauch! Es ist ohnehin stockfinster! Welch ein hirnverbrannter Einfallspinsel!“ „Verzeihen Sie mir, dass ich Ihren Anforderungen nicht gerecht werden konnte… Wäre Ihnen eine richtige Bombe lieber gewesen? Ich habe mir erlaubt Sie zu testen und Sie sind auf ganzer Linie durchgefallen. Denn wenn eine solche Kleinigkeit bei Ihnen bereits für Verwirrung sorgt, fehlt Ihnen noch jahrelanges Training und die Erfahrung, um im Leben eines Verbrechers länger als ein paar Tage durchhalten zu können. Ein Menschenleben zu rauben und damit seine eigene Haut zu retten, kann jeder Feigling…“, erklang Alberts Stimme zynisch, während er im Schutze des Rauchs nicht ausfindig zu machen war. Nach seinem kurzen Zeichen wurde das Schussfeuer eröffnet und die verwirrten Verbrecher fielen einer nach dem anderen leblos zu Boden. Den letzten Überlebenden schlug Albert bewusstlos, um ihn später verhören zu können. „Ausgezeichnet! Ihre Vorgehensweise ist wie immer tadellos, allein das Zuschauen ist ein Hingucker der Königsklasse. Dies bestärkt nur meine Überlegungen, Sie zukünftig öfter Einsätze im Außendienst leiten zu lassen…“ Albert wandte sich kurz, von der nun mit frischem Blut bedeckten Moorlandschaft ab und blickte in den zufriedenen Gesichtsausdruck von Harley, der ein solches Leuchten in den Augen hatte, als hätte er gerade eine spektakuläre Vorstellung auf einem Jahrmarkt gesehen. „Ich grüße Sie, Sir Granville. Dieser kleine Einsatz war meines Erachtens nicht der Rede wert. Aber das Sie sich die Mühe gemacht haben, persönlich hier zu erscheinen, um am Erfolg der Mission teilhaben zu können, bezeugt Ihren Willen, unser Land von Grund auf verändern zu wollen… Und es ehrt mich stets die Leitung übernehmen zu dürfen, gerade wenn junge Rekruten mit dabei sind. Ich möchte dafür Sorge tragen, dass deren Menschlichkeit bewahrt wird und sie sich nicht zu kaltblütigen Kriegsmaschinen entwickeln… Denn das menschliche Herz kann zwar viel ertragen, doch es gibt noch lange nicht für jede davongetragene Wunde eine Heilung. Wir lassen die Waffen sprechen in Situationen, in denen man mit Worten nicht mehr weiterkommt und reißen die Blockade ein, welche unsere Feinde von ihrer Vernunft trennt. Ich wünsche keinem jungen Mann, die Qualen des Krieges am eigenen Leib miterleben zu müssen. Doch manchmal ist der ungemütliche Weg der jeweilige, um wertzuschätzen was Frieden und die Sicherheit der eigenen Familie bedeuten…“, begann Albert mit gemischten Gefühlen zu erzählen, doch sein selbstbewusstes Lächeln bezeugte, dass er keineswegs an seinen Idealen zweifelte. Harleys Blick ruhte friedvoll, gar fürsorglich auf Albert und er schien ihm mit großer Freude zuzuhören. „Hätte ich einen Sohn mit Ihren Ambitionen, ich würde ihm keinerlei Vorschriften machen, wie er seinen Lebensweg zu gestalten habe. Die Entwicklung eines anderen Menschen, kann man nur fördern und nicht selbst kreieren. Ob nun der eigene Aufstieg oder Untergang, dies bleibt der Undurchsichtigkeit des Lebens überlassen… Aber wer seinen Weg einmal gewählt hat, sollte Courage zeigen und nicht zurückblicken. Albert, ich betrachte Sie als einen Freund, nicht als einen mir untergeordneten Soldaten. Und ich lasse Ihrem Bruder weiterhin freies Handlungsfeld, wie wir es in unserer Abmachung besiegelt haben. Denn ich beharre auf meiner Meinung, dass weder ein Meisterverbrecher, noch ein Meisterdetektiv die Befähigung besitzt, einen Krieg zu verhindern bei dem mehrere Nationen involviert sind… Und halten Sie sich die Erinnerung an Ihren Teil der Abmachung warm. Keiner von uns mag schließlich plötzlich in einer ungemütlichen Realität aufwachen…“, verkündete Harley teils feierlich, teils mit einem bitterernstem Unterton und wandte sich mit einer winkenden Handbewegung wieder von ihm ab, damit Albert seinen Auftrag zu Ende bringen konnte. „Sie wünschen sich einen richtigen Bruder. Ihr sehnlichster Herzenswunsch steht Ihnen wahrlich ins Gesicht geschrieben. Aber nicht dasselbe Blut macht zwingend eine loyale Bruderschaft aus… Wenn es einen Menschen gibt, den Sie vorrangig beschützen wollen, dann muss dies keiner familiären Bande zugrunde liegen. Wir brauchen uns nicht an quälende Fesseln zu binden, die unsere eigenen Schritte behindern. Mein Bruder glaubt alle Schuld alleine schultern zu müssen, doch Sie und ich haben jeweils einen eigenen Krieg begonnen und einiges an Buße abzuarbeiten. Wir lehrten William und Clayton den Abschaum dieser Welt auszumerzen. Und nun werden sie gleichermaßen bewundert und gehasst. Jene begabten Menschen verdienen eine glorreiche Zukunft… Und mir obliegt nur eine einzige Wahl, Abmachung hin oder her. Mein Leben habe ich voll und ganz meiner Familie verschrieben. Und sollten Sie irgendetwas in die Wege leiten, was ihr in irgendeiner Weise schaden könnte, werde ich mich dafür wappnen und stets einen letzten Pistolenschuss für Sie aufsparen. Sie merken, ich halte nicht viel von dem Sprichwort `Reden ist Silber, Schweigen ist Gold`. Doch da die Freundschaft mit Ihnen, mir tatsächlich auch etwas bedeutet, möchte ich Ihnen Vertrauen schenken. Ich schätze nun mal ehrliche Menschen, die ihre Hintergedanken gleich offenbaren ohne sie verbergen zu wollen, da weiß man woran man ist… Herrje… Jetzt haben meine Männer die meiste Arbeit machen müssen. Nun muss ich Sie doch noch dafür ausschimpfen, mich unterbrochen zu haben, ha, ha! Und noch etwas… Wir sollten wohl beide aufgeben, vergangene Fehler wieder gutmachen zu wollen, sondern lieber an der Zukunft arbeiten. Ich für meinen Teil könnte mir zudem gut vorstellen, dass ein Meisterverbrecher und ein Meisterdetektiv im Duo dazu in der Lage wären, einen Krieg zu verhindern. Also Obacht…“ Nach Alberts schlagfertiger Argumentation, blieb Harley augenblickliche auf der Stelle stehen und blickte ihn verdutzt an. Es schaffte so gut wie keiner, Harley Worte an den Kopf zu werfen, die ihm die Sprache verschlugen. Jedoch fand man nicht mal einen Funken Zorn in dessen Gesichtsausdruck. Stattdessen formten sich seine Lippen zu einem stillen, wohlwollenden Lächeln. Von seiner Dominanz ausstrahlenden Persönlichkeit würde wohl niemand erwarten, dass er solch sanfte und ausgeglichene Charakterzüge besaß, die einen gereizten Gemütszustand bei ihm verhinderten. Plötzlich fand die ruhige Atmosphäre ihr jähes Ende, als aus heiterem Himmel in einiger Entfernung, auf der gegenüberliegenden Seite der Themse, eine brüllende Explosion zu hören war, welche den dunklen Nachthimmel für einen kurzen Moment erhellte. Schockiert blickte Albert in jene Richtung und ein Gefühl der unerträglichen Sorge machte sich in ihm breit. Denn bei dem Gedanken, dass seine Kameraden gerade zeitgleich einen anderen Auftrag ausführten, bekam er ein schlechtes Gewissen. „Ich werde umgehend aufbrechen und mir ein Bild von dem verursachten Schaden machen…“, suchte Albert hastig nach einem Vorwand, um den Ort verlassen zu können. Doch wie es nicht anders sein sollte, ließ Harley ihn nicht gewähren und machte ihm einen strikten Strich durch die Rechnung. „Sie werden sich nicht von der Stelle rühren und Ihre aktuelle Mission ordnungsgemäß fortführen. Zweigleisig zu fahren hilft weder Ihnen noch Ihrer geschätzten Familie. Gerade eben sagten Sie noch selbst, dass Sie mir vertrauen. Daher werde ich mich der Sache annehmen. Es war schließlich kein Zufall von mir, hier vorbeizukommen. Keiner von uns hat Zeit im Überfluss. Mit Geld und Macht lässt sie sich nun mal nicht erkaufen. Im Alleingang können wir die Welt nicht retten, nur gemeinsam. Wollten Sie mir jene naiven Ideale nicht beweisen? Vorauspreschende Helden können mir gestohlen bleiben…“, hielt Harley ihn beharrlich auf und ging bereits ehe er zu Ende gesprochen hatte seines Weges. Albert blieb daraufhin nichts anderes übrig, als seufzend nachzugeben, um einer zeitverschwendenden Diskussion aus dem Weg zu gehen… Keuchend rannte Miceyla eine stählerne Treppe hinab, bis sie eine großflächige, unterirdische Lagerhalle erreichte. Dicht hinter ihr, sprang ebenfalls eine Person die letzten Treppenstufen hinunter und griff sie ohne eine Atempause einzulegen, mit einem funkelnd scharfen Dolch an. Sie schaffte es zwar geschickt auszuweichen, doch bemerkte nicht, wie sich bereits ein weiterer Angreifer von hinten in der Dunkelheit an sie heranschlich. „Miceyla, Vorsicht!“ Verschreckt fuhr Miceyla bei dem hektischen Warnruf herum und bemühte sich dabei beide Männer im Auge zu behalten. Gerade noch rechtzeitig ertönte ein Schuss und der Mann hinter ihr sackte mit schmerzverzehrter Miene zu Boden. Miceyla zögerte nicht lange und wandte sich wieder ihrem ersten Gegner zu. Konzentriert wich sie dessen kraftvollen, jedoch langsamen Hieben aus und sprang mit überlegender Geschwindigkeit hinter ihn, außerhalb seines Sichtfeldes. Dabei legte sie keine Pause ein und rammte ihm mit vereinten Kräften, ihren Degen von hinten durch seinen Brustkorb. Der Mann verkrampfte augenblicklich am gesamten Körper und begann unkontrolliert zu zucken. Bereits nach wenigen Sekunden, zog sie ihren nun mit Blut getränkten Degen wieder heraus und wich etwas zurück, ehe der Mann mit seinen letzten schweren Atemzügen vor ihren Füßen zusammenbrach. Ein wenig benommen wandte Miceyla ihren Blick ab und rang darum die Fassung nicht zu verlieren. Auch wenn sie sich niemals an das Töten gewöhnen würde, waren Opfer unabdingbar um überleben zu können. Auf einmal spürte sie eine beruhigende Hand auf ihrer rechten Schulter, die sie dazu ermutigte nicht den Fokus bei ihrer Aufgabe zu verlieren und sie daran erinnerte nicht alleine zu sein. „Alles in Ordnung? Ich denke, jetzt haben wir weitestgehend freies Handlungsfeld.“ „Ja, danke Louis. Lass uns nachsehen, wie die anderen zurechtkommen. Ich mache mir Sorgen wegen des ganzen Sprengstoffs… Ein falscher Schritt und alles könnte hier in die Luft fliegen. Und diese Sorge wird nicht nur mir ein schlechtes Gewissen einbringen…“, sprach Miceyla beunruhigt und schenkte Louis dennoch ein Lächeln der Dankbarkeit. „Da hast du recht. Beeilen wir uns besser…“, meinte dieser daraufhin zustimmend und beide liefen geschwind weiter. „Da seid ihr ja endlich! Hier herüber! Wir haben besagten Sprengstoff gefunden. Nun müssen wir den Kram nur noch über Williams Route zu von Herder bringen, ehe es weiteren Schmugglern oder gar dem Militär in die Hände fällt und ein falsches Spielchen damit getrieben wird. Aber leichter gesagt als getan…“ Miceyla und Louis gesellten sich zu Fred und Moran, während letzterer mit einer kritischen Handbewegung, auf einige prall gefüllte Kisten mit Sprengstoff verwies. „Wie wahr… Mir wird übel wenn ich daran denke, dass hier an Sprengkörpern gebastelt wurde, welche einen überdimensionalen Explosionsradius besitzen… Alles zu vernichten wäre auch keine Option, da genug Menschen das Wissen besitzen um den Sprengstoff herzustellen… Dann lasst uns diese düsteren Hallen, auf die gute alte Art plündern und von hier ver…“ Miceyla kam nicht dazu ihren Satz zu beenden, da plötzlich ein grelles Licht die Lagerhalle erhellte und sie schützend einen Arm vor die Augen legte. Kurz darauf begann ein Teil der Decke einzustürzen und sie spürte nur noch wie Moran neben ihr sie mit sich riss, damit keiner von ihnen begraben wurde. Als sich die Lage nach einer kurzen Zeit etwas beruhigte, wagte Miceyla wieder ihren zitternden Körper aufzurichten. „Die Explosion kam von Oberhalb! Aber es sollte doch niemand mehr hier sein! Wäre der brandgefährliche Inhalt der Kisten in Mitleidenschaft gezogen worden…dann…“, begann Louis mit fröstelnder Stimme und bekam ein kreidebleiches Gesicht. „…Dann wäre von uns nicht viel mehr, als ein mickriges Häufchen Asche übrig geblieben…“, wisperte Miceyla heiser und starrte bibbernd auf den Trümmerhaufen vor ihr auf dem Boden. „Jetzt reißt euch mal am Riemen, ihr zwei Panikmacher! Wir haben Momente erlebt, da standen die Karten weitaus schlechter für uns. Und wie oft sind wir bereits knapp dem Tode entkommen? Ihr hättet mal die erbarmungslose Kriegsfront miterleben müssen!“, tadelte Moran leicht scherzhaft und klopfte den beiden jeweils einmal kräftig auf die Schulter, um sie daran zu erinnern noch am Leben zu sein. Louis wollte erzürnt etwas erwidern, doch Fred kam ihm zuvor und blickte mit weit aufgerissenen Augen verängstigt hinauf. „Ich höre Stimmen! Da ist Amelia!“ „Fred, warte! Du weißt nicht was uns dort oben erwartet!“, rief Louis sogleich besinnend. Doch noch ehe es einer der drei geschafft hatte, den quirligen Fred aufzuhalten, war er auch schon auf die obere Etage geflitzt… Der übelriechende Schwefelgeruch von der Explosion, brannte unangenehm in Freds Kehle. Darum bemühte er sich konzentriert darum, so wenig wie möglich davon einzuatmen. Und sein scharfes Gehör hatte ihn nicht getäuscht. Amelia versuchte sich vergebens gegen eine Scharr Männer zu behaupten. Trotz ihrer ausgereiften Fähigkeiten war sie ganz klar unterlegen. `Diese Männer tragen Militäruniformen… Ich kann aber mit bloßem Auge erkennen, dass sie nicht der Armee von England angehören. Was geschieht hier eigentlich genau? Soll die ganze Lagerhalle, als Tarnung für eine Basis von feindlichen Truppen dienen? Und hat Clayton Amelia zur Spionage hergeschickt?... Verdammt! Ich muss ihr helfen! Will würde niemals seine Kameraden in brenzligen Situationen im Stich lassen!`, dachte er nervös und wollte Hals über Kopf lospreschen, auch wenn ihm bewusst war, in was für einer misslichen Lage er und Amelia sich befanden. Doch jemand packte ihn energisch am Arm, um ihn gegen seinen Willen, an seinem aufopferungsvollen Rettungseinsatz zu hindern. Erschrocken versuchte Fred sich loszureißen, bis er erkannte wer genau ihn festhielt. „William?!“ „Du hast dir sicher gerade gedacht, dass der gute alte Will seine Freunde niemals im Stich lassen würde… Daher darf ich euch also mal nicht enttäuschen!“, sprach William enthusiastisch und ohne noch länger auf der Stelle zu verharren, lief er mit seinem Degen in der rechten Hand an Fred vorbei, auf die Feindesfront zu. „D-das sind zu viele! Selbst du schaffst das niemals alleine!“, rief Fred noch verzweifelt, jedoch hatte seine Warnung keinerlei Wirkung mehr. Mittlerweile lag Amelia halb bewusstlos am Boden und war ihren Gegnern hilflos ausgeliefert. Aber noch ehe die Meute über die schutzlose junge Frau herfallen konnte, rannte William mit rasender Geschwindigkeit dazwischen und trennte dem ersten Mann einen halben Arm, mitsamt Pistole in der Hand, mit seinem Degen ab wie einen dünnen Ast. Voller Entsetzen schrie dieser auf und kämpfte mit einem unerträglichen Schmerz. Zwar hatte William nun einen Mann kampfunfähig gemacht, doch war er jetzt das Zielobjekt für die gesamte verbliebene Soldatenschar. Instinktiv wollte Fred für ihn ein unterstützendes Ablenkungsmanöver starten. Aber bei dem Anblick, wie konzentriert und mit welch einem graziösen Geschick William den feindlichen Angriffen auswich, blieb er beinahe mit ehrfürchtiger Bewunderung stehen und vermied es einzuschreiten. Und aufgrund dessen bemerkte er trotz seiner scharfen Sinne etwas verzögert, wie Miceyla, Louis und Moran bereits zu ihm aufgeschlossen waren. „Will!“, rief Miceyla entsetzt und ohne nachzudenken zückte das Trio ihre Waffen und wollte sich an der Seite von William ins Gefecht stürzen. Doch alle drei hielten verdutzt inne als jener Soldat, welcher mit einer Pistole aus einem versteckten Winkel auf ihn zielte, von einem auf den nächsten Moment umkippte. Und sobald für die Gruppe erkennbar wurde, wer den Mann gerade niedergestreckt hatte, trauten sie allesamt ihren Augen kaum. „Harley Granville…“, murmelte Louis ungläubig dessen Namen und wusste nicht recht, ob ihn sein plötzliches Erscheinen verunsichern oder erleichtern sollte. Doch selbst Moran senkte vorübergehend seinen Revolver und beobachtete den weiteren Verlauf des Geschehens mit kritischer Miene. Miceyla fühlte sich mit wildem Herzklopfen hin und hergerissen, allerdings zwang sie sich dazu, ebenfalls für einen Moment ruhig zu bleiben. Nun kämpften William und Harley gemeinsam gegen die unbekannte Soldatenmeute und sie schafften es, obwohl sie ganz klar in der Unterzahl waren, binnen kürzester Zeit die Oberhand zu gewinnen. Die Lagerhalle wurde zu ihrem ganz persönlichem Schlachtfeld und Miceyla hätte nicht sagen können, wer von beiden geschickter mit dem Degen umgehen konnte und dennoch besaß Harley sichtlich die meiste Erfahrung. In dem Augenblick rief sie sich die Erinnerung wach, dass Clayton es sogar geschafft hatte William zu verletzen. `Vielleicht wäre es für Clayton daher tatsächlich möglich, aufgrund seines harten Trainings und gestählten Willens, Harley in einen Duell zu besiegen…`, dachte Miceyla und bekam eine kribbelnde Gänsehaut, während sie bei dem dynamischen Gefecht zusah. Es dauerte nur wenige Minuten, bis keiner der fremden Soldaten mehr aufrecht stand und William und Harley als Sieger aus dem unausgeglichenen Kampf hervorgingen. Die darauffolgende Stille tat beinahe in den Ohren weh. Fred wäre nun am liebsten losgestürmt, um sich davon zu vergewissern, ob Amelia auch nicht ernsthaft verletzt worden war. Jedoch hielt seine Furcht vor Harley ihn davon ab. Und er meinte den Schmerz seiner mühsam verheilten Wunden erneut zu spüren, welche ihn daran erinnerten, wie unberechenbar dieser Mann sein konnte. William war sichtlich erleichtert darüber, dass der Kampf vorüber war, denn er hatte sich aufgrund der hohen Anzahl an Gegnern nicht zurückgehalten und alles gegeben. Nichts destotrotz versuchte er sich seine Erschöpfung vor Harley nicht anmerken zu lassen und beobachtete ihn und dessen Bewegungen bis ins kleinste Detail. Keiner wagte zu sprechen und als die angespannte Atmosphäre allmählich für alle Anwesenden unerträglich wurde, brachte Harley den Fluss der Zeit wie ein einschlagender Blitz wieder zum fließen und schoss im gnadenlosen Tempo auf William zu, ohne den am Boden liegenden Leichen Beachtung zu schenken. Da er Harleys unangekündigten Angriff vorausgesehen hatte und nicht auf einen friedlichen Anstoß zu ihrem gemeinsam Sieg, mit dem streitlustigen General hoffen konnte, parierte er gekonnt seinen Degenhieb. Und Harleys genussvolles Lächeln brachte seine Freude darüber zum Ausdruck, endlich einen ebenbürtigen Gegner gefunden zu haben, mit dem er die Klingen kreuzen konnte. Auch für Miceyla und ihre Freunde, stellte die Entwicklung des Geschehens keinerlei Überraschung dar. Und dennoch machten sie sich angespannt dazu bereit einzuschreiten. Sie konnte einen plötzlichen Entsetzensschrei nicht unterdrücken, als William kurz mit dem linken Fuß, auf dem blutgetränkten Boden wegrutschte. Harley mit seinem teuflischem Funkeln in den Augen, hatte auf eine solch feine Blöße seines Gegners nur gewartet und seine Degenhiebe gewannen an unbarmherziger Härte. „Aufhören! Das reicht jetzt! Schluss mit dieser grenzenlosen Dummheit, Harley! Es wurde genug Blut vergossen! Ein Kräftemessen ist völlig sinnlos!“, schrie Miceyla in ihrer Verzweiflung und wusste das wenn es nach Harleys eigentümlichen Ehrgefühl ginge, er bis zum Tod weiterkämpfen würde, um festzustellen wer von ihnen beiden der Stärkere war. Ihr flehender Ruf stieß natürlich auf taube Ohren bei dem hitzköpfigen General. Und auch wenn William tapfer blieb und ihm mit ebenbürtigem Fechtgeschick entgegentrat, schaffte es Harley seinen Degen aus der Hand zu schlagen und wurde schicksalhafter Weise zur wehrlosen Beute. Miceyla und Moran reagierten als erstes und richteten beide zeitgleich ihre Pistolen auf Harley, dessen unliebsame Angewohnheit es war, sich vom Retter zum Berserker zu entpuppen, worüber alle mittlerweile recht gut Bescheid wussten. „Ha, ha, ha…! Ein Duell im geschwächten Zustand ist eine unfaire Voraussetzung, dies gestehe ich mir ein. Aber selbst der stärkste Wille kann gebrochen werden, Herr Meisterverbrecher… Einen widerstandsfähigen Gegner wie Sie zu finden ist eine Rarität. Ruhig Blut, lasst uns für heute die Waffen niederlegen. Bringen Sie nur zu Ende, was Sie begonnen haben. Mein Schweigen über Ihr Verbrechen sei Ihnen gewiss. Mit der einzigen Bedingung, dass ich Fairburns Attentäterin in meine Obhut nehme. Ich werde ihr nichts antun, auch da haben Sie mein Wort“, verhandelte Harley standhaft und belächelte nur kühn, wie er ins Schussfeuer genommen wurde, als sei er unverwundbar. Fred wollte selbstverständlich lautstark Protest erheben, doch Louis ermahnte ihn mit einer deutlichen Handbewegung zu schweigen, woraufhin der Junge erzürnt gegen seine Frustration und Machtlosigkeit ankämpfte. „Damit bin ich einverstanden. Belassen wir es bei diesem Zusammenschluss, fürs erste… Falls Sie Clayton damit provozieren wollen, unterschätzen Sie seine Intelligenz. Mehr Worte bedarf es für unsere kleinliche Konversation nicht. Wohlan, wir hören voneinander, Herr General…“, erwiderte William mit lässigem Selbstbewusstsein und dennoch beinhaltete sein Ausdruck Respekt ihm gegenüber, keineswegs Verachtung. Mit dezent dämonischem Lächeln salutierte er kurz vor Harley, hob anschließend seinen Degen vom Boden auf und machte sich endlich wieder auf den Weg zu seinen wartenden Kameraden. Miceyla lief ihm bereits entgegen und drückte verängstigt ihren Kopf gegen seine Brust und war bei dem beruhigenden Klang seines Herzschlags heilfroh, ihn wieder in einem Stück bei sich zu haben. Tröstend legte William einen Arm um sie und für einen Moment blickten sie beide sich direkt in die Augen und gaben sich auf diese Weise schweigsam zu verstehen, dass sie die Stärke besaßen, ihren Weg gemeinsam weiterzugehen. Mit zusammengebissenen Zähnen musste Fred mitansehen, wie Harley die bewusstlose Amelia unsanft vom Boden aufhob und davontrug. „Amelia ist nun seine Gefangene. Er wird sie nicht einfach wieder frei lassen, ohne das jemand mit Gewalt gegen ihn vorgeht. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass er ihr nichts antun wird, genau wie es bei Miceyla der Fall gewesen ist… Wenn Clayton der Einsatz zu aufwendig ist, um sie zu retten, werde ich selbst…“, platzte es sogleich wutentbrannt aus Fred, als Harley verschwunden war und sein sonst so ruhiges Gemüt löste sich in Luft auf. „Fred mein Guter, ich kann deinen Zorn sehr gut nachempfinden. Die Optionen um Amelia mit uns zu nehmen, zugleich seinem Schweigen, waren leider gleich null. Vertraue unserem Meisterdieb. Wir werden ihn über die Lage in Kenntnis setzen und er wird alles stehen und liegen lassen um sie zu befreien. Für ihn ist dies Routine, auch wenn Clayton dafür an seinem größten Erzfeind vorbei muss. Es bedarf nur etwas Diskretion und zudem hat Harley nicht alle Zeit der Welt, um seine Gefangenen rund um die Uhr persönlich zu bewachen. Auch Clayton besitzt seinen Stolz und wie käme es da, wenn wir ihm bei jedem brenzligen Einsatz zuvorkämen? Bereit ihn zu unterstützen, werden wir dennoch zu jeder Zeit sein. Außerdem haben wir jemanden auf unserer Seite, der einen nicht zu verkennenden Draht zu Harley besitzt, vergiss das bitte nicht…“, beschwichtigte William ihn mit überzeugenden Argumenten. Fred hatte zwar noch immer einen missmutigen Gesichtsausdruck, jedoch gab er sich fürs erste geschlagen und blickte abwesend zu Boden. Moran tätschelte ihm aufmunternd den Kopf und die Gruppe kam nun endlich dazu ihr begonnenes Werk zu beenden. „Ich danke Ihnen, Mr Holmes! Jetzt wo die Lügen des Schwindlers aufgedeckt sind, kann ich wieder ruhig schlafen und meiner Arbeit nachgehen. Es gibt wahrlich nichts ungerechteres, als wenn der eigenen Ehrlichkeit mit Verachtung entgegengetreten wird. Ich werde auch anderen in Frage kommenden Klienten, eine Empfehlung für Sie aussprechen. In diesem Sinne, einen angenehmen Abend noch!“ „Ebenso…“ Sherlock blickte mit leicht schiefgelegtem Kopf, einem über die Maße höflich wirkenden jungen Mann nach, der wegen Betrugs fälschlicher Weise beschuldigt worden war und um ein Haar seine Arbeitsstelle verloren hätte. `Du wirst es wohl nicht sehr weit bringen. Wer sogar zu faul ist, seine überteuerten Lederstiefel zu putzen, dem fehlt es an Disziplin. Welch eine Verschwendung… Und dann auch noch die Arbeit auf andere abwälzen. Wäre dir dein Posten wirklich wichtig, dann hättest du das Schreiben für den Gerichtsprozess selbst verfasst und eingereicht. Die Söhne aus reichen Familien meinen wohl, Bildung und Anerkennung mit ihrem dicken Geldbeutel erkaufen zu können. Den Aufruhr will ich erleben, wenn jeder plötzlich seinen hohen Stand in der Gesellschaft verlieren würde und alle auf gleicher Stufe stünden, he, he. Enttäusche mich nicht, Meisterbrecher. Uns läuft die Zeit davon, wir sollten uns sputen, ehe ein Krieg diese vor sich hinvegetierende Stadt in ihren Grundmauern erschüttern lässt…` Begleitet von diesem stillen Gedanken, blickte Sherlock dem adretten jungen Mann nach, bis er in eine Seitenstraße abbog und nicht mehr zu sehen war. Mit grübelnder Miene zündete er sich eine Zigarette an und schlenderte selbst davon. Da es ohnehin ein sehr trüber Tag gewesen war und der Himmel lückenlos mit Wolken bedeckt war, fiel es kaum jemanden auf, dass die Sonne bereits am untergehen war. Sein Weg führte ihn vorbei am Regierungsviertel und er beobachtete unauffällig einige Mitglieder des Parlaments und lauschte ihren Gesprächen, während diese ihren Heimweg antraten. Dabei entdeckte Sherlock plötzlich eine ihm wohlbekannte Person, die beinahe unscheinbar in einiger Entfernung, unter einem Baum auf einer Bank saß und für die vorbeilaufenden Passanten den Anschein erweckte, als würde sie auf jemanden warten. Seine aufflammende Freude, verscheuchte vorübergehend die sich anbahnenden Fragen und er lief zielstrebig weiter. „Wie es scheint, wartet die feine Dame hier geduldig auf ihren vornehmen großen Bruder. Oder planst du einen geheimen Komplott? Nur keine Scheu, stürme das Parlamentsgebäude und sag der einfältigen Führerschaft mal ordentlich die Meinung! Ich stehe voll und ganz hinter dir! Wir haben es lange nicht mehr zusammen auf die Titelseite geschafft, ha, ha, ha!“ Miceyla zuckte kurz reflexartig zusammen, da sie nicht erwartet hätte, von hinten angesprochen zu werden. Doch als sie Sherlocks breites Grinsen erblickte, entspannte sie sich wieder etwas und lächelte ihn amüsiert an. „Sei gegrüßt, Sherly! Die Stadt ist riesig und dennoch befinden wir uns beide, öfters als das man es einen gewöhnlichen Zufall nennen kann, zur selben Zeit am selben Ort. Wogegen wir zwei sicherlich gleichermaßen nichts einzuwenden haben, he, he“, begrüßte Miceyla ihn mit einem heiteren Lächeln, welches jedoch keineswegs ihre beißende Nervosität vor ihm verbergen konnte. `Heute ist es ausnahmsweise einmal dein großer Bruder, auf den ich warte… Es gäbe so vieles, worüber ich nur zu gerne mit dir reden würde. Doch meine Lippen müssen momentan noch versiegelt bleiben. Und selbst wenn die Gegebenheiten sich ändern sollten, hätte ich dann überhaupt noch etwas von deinem Vertrauen mir gegenüber übrig…? Aber…die endlosen Grübeleien bringen mich nicht weiter. Solange ich mir selbst vertraue, besitze ich das größte Fundament, um an unsere Freundschaft glauben zu können. Lüge und Wahrheit werden immer die gnadenlosen Gegenspieler bleiben, mit denen wir lernen müssen zu leben…`, dachte Miceyla sich flüchtig und zeigte ihm dennoch ein ehrliches, von Herzen kommendes Lächeln. „Du hast etwas vor… Deine Gedanken kreisen einzig und allein darum, ob deine Entscheidung richtig oder falsch ist. Es quält und verzehrt dich. Wieso Mia? Weshalb machst du dir das Leben unnötig schwer? Da ist mal wieder der Rat eines guten Freundes gefragt! Na komm schon, hier unten vor diesem monströsen Gebäude meint man ja beinahe, dass einem die Decke auf den Kopf fällt und die Luft zum Atmen geraubt wird… Und es würde mich wundern, wenn heute mal keine Überstunden gemacht werden“, erriet Sherlock mühelos mit einem freundschaftlichen Augenzwinkern und tippte ihr sanft mit den Fingern auf ihre Schulter. Lächelnd versuchte Miceyla erst gar nicht, nach der Geste ihm zu folgen, Widerspruch zu erheben und erhob sich von der Sitzbank, als wäre sie gerade von der Warterei erlöst worden. Weit brauchte sie ihm nicht zu folgen, da schloss er an einem Gebäude in der Nähe des Parlaments die Hintertür auf. „Ist das gerade nicht ein Einbruch? Gib acht, bald wird auf den meistgesuchtesten Verbrecher Londons ein Kopfgeld ausgesetzt…“, scherzte Miceyla und folgte ihm mit einem amüsierten Lächeln in das dunkle Haus hinein. „Ein Einbruch der sich lohnt, du wirst schon sehen…“ Gemeinsam stiegen sie die Treppe bis zum Dachboden empor. Bereits bevor sie dort angelangten, hatte Miceyla außer Atem aufgegeben die Stockwerke zu zählen. Wie ein abenteuerlicher Junge erklomm Sherlock eine Leiter und stieß die Dachluke auf. Daraufhin blickte er mit einem forschen Funkeln in den Augen zu ihr hinab. „Worauf wartest du noch? Folge mir in die Freiheit, wo keiner dich mit seinen missachtenden Blicken durchlöchern kann und keine nervtötenden Gespräche dich erreichen können!“, sprach er lächelnd und hielt ihr einladend seine Hand entgegen. „Na da sage ich doch nicht nein. Freiheit ich komme!“, erwiderte sie freudig und ließ sich von ihm hinaufhelfen. In dem Moment als Miceyla erkannte, in was für einer schwindelerregender Höhe sie sich befand, ergriff kurz ein fesselndes Gefühl der Panik von ihr Besitz. Doch der atemberaubende Anblick, welcher ihr ermöglichte über die Dächer von London hinwegzublicken und all die friedlich schimmernden Lichter, beruhigten sie wieder etwas. Sie hatte sogar den Eindruck, dass die Luft aufgrund der Höhe frischer und reiner war. Sie setzten sich beide nebeneinander, auf eine flache Stelle des Daches und genossen für eine Weile, einfach nur schweigsam die außergewöhnliche Aussicht. Doch Miceyla war nicht dazu in der Lage, auch nur annähernd so etwas wie Frieden zu empfinden Amelia befand sich nun schon seit fast vier Tagen in Harleys Gewalt. Und selbst Clayton hatte den Ort noch nicht ausfindig machen können, wo er sie versteckt hielt. Oder wusste Clayton längst das Versteck und wartete bloß auf einen günstigen Moment, bei dem er Harley dort allein antraf? Würde er wirklich so weit gehen und Amelias Sicherheit aufs Spiel setzen? Miceyla schloss kurz mit verbitterter Miene die Augen. Misstrauen konnte sie momentan nun wirklich nicht gebrauchen, denn dies verschlimmerte die Situation nur unnötig. „Wir werden sie retten, deine Freundin.“ Als Sherlock schließlich die Stille brach, starrte sie ihn verblüfft an und musste in Gedanken noch einmal wiederholen was er gerade gesagt hatte, ehe sie auf seine Worte reagieren konnte. „Woher…“, begann Miceyla mit überraschtem Gesichtsausdruck und bekam wieder mal bei seinen unangefochtenen Fähigkeiten, die denen eines Hellsehers glichen, eine Gänsehaut. „Wenn ich ehrlich bin, enttäuscht es mich schon etwas, dass du dich mir nicht auf Anhieb anvertraut hast. Dies musste erst ein guter Bekannter von dir übernehmen. Auch wenn es ein anonymer Hilferuf war kann ich davon ausgehen, dass ihr im engen Kontakt zueinander steht. Ich nehme den Auftrag an, nicht nur weil ein nettes Sümmchen als Belohnung winkt…“, verriet Sherlock mit freundschaftlichem Lächeln und warf ihr kurz einen Versprechen untermalenden Blick zu, ehe er wieder träumerisch in die Ferne blickte. `Oh Fred… Ich habe es fast geahnt. Es ist sehr heikel, Sherlock auf solch direkte Art, in unsere gesetzeswidrigen Angelegenheiten zu involvieren. Bestimmt hast du es vor William geheim gehalten. Aber ich verstehe dein offensives Handeln, denn wir müssen etwas unternehmen. Die Probleme häufen sich, ehe wir geeignete Lösungen finden…`, dachte Miceyla und erhob sich voller Entschlossenheit. Dabei verdrängte sie sogar jegliche Erinnerungen an ihre Höhenangst. „Vorsicht Mia!“ Augenblicklich stellte Sherlock sich neben sie und hielt ihren Arm fest, aus Angst sie könne auf dem Dach ausrutschen. „Ich spare mir lieber die entschuldigenden Worte, schließlich weiß ich genau, was du von mir hören willst. Aber ich danke dir von ganzem Herzen, Sherly. Packen wir die Dinge gemeinsam an! Beweisen wir, dass gegen unsere Freundschaft so leicht niemand ankommt, selbst Harley Granville nicht! Und…und falls du noch Einzelheiten benötigst, wie es überhaupt zu Amelias Gefangenschaft kam, stelle ich mich als deine erste Anlaufstelle dafür zur Verfügung. Ich bin das Schweigen mehr als leid. Du hast immer recht gehabt, da gibt es nichts wovor ich mich fürchten müsste, außer vor dem was ich mich nie gewagt habe zu tun. Das Leben hat uns dazu herausgefordert, unsere Ängste zu überwinden und Mut zu beweisen. Was sagst du, nehmen wir diese Herausforderung an, mein Freund?“ Sherlock stand kurz unter dem Bann ihres feurigen Enthusiasmus, den ihre dunkelgrün schimmernden Augen verströmten. Und obwohl sein Unterbewusstsein sich dagegen wehrte, strich er sanft an ihrem Arm hinab und nahm ihre Hand. Dabei lächelte er so gutmütig, als hätte er gerade seinen wahren Seelenfrieden gefunden. `Egal was auch geschieht, bei einer Sache habe ich mich nie geirrt… Du und Liam seid beide die harmonischen Klänge, welche im Einklang miteinander die perfekte Melodie des Lebens ergeben. Dabei entdeckt man weder Trugbild noch Lüge, nur Reinheit und Wahrheit. Das die Liebe tatsächlich in jener authentischen Form existiert, welche sich mit keiner Wissenschaft der Welt erklären lässt, macht mich beinahe etwas neidisch…` „Genau diese Entschlossenheit habe ich mir von dir gewünscht! Dann lass es uns gemeinsam anpacken! Die Flamme des Willens kann niemals erlöschen, solange wir uns gegenseitig Mut und Inspiration schenken. Doch…wolltest du nicht noch etwas Wichtiges mit meinem Bruder besprechen? Ist schon in Ordnung, Mia. Ich weiß längst, dass Albert sich heute Abend anderenorts aufhält. Und ich werde nicht lauschen, versprochen. Denn gewisse Themen, erfordern ab und zu den geeigneten Gesprächspartner. Ausnahmsweise gebe ich zu, dass du mit Mycroft eine gute Wahl getroffen hast. Dann lass uns mal wieder hinabsteigen. Hoffe die klare Luft hat dir gutgetan, denn gleich wird das Atmen bestimmt wesentlich schwerer fallen…“ Beinahe etwas verlegen blickte Miceyla hinab und versuchte ihr Schmunzeln zu verbergen. „Von Anfang an hast du mich durchschaut… Natürlich hast du das… Ich sollte wohl wirklich diejenige sein, von der du die Wahrheit erfährst…“, flüsterte sie und es spielte für sie keine bedeutsame Rolle mehr, ob er ihren Worten lauschte oder nicht. „Ich danke dir Sherly, für alles…“, sprach sie nun etwas lauter mit Tränen in den Augen, als sie wieder ihren Kopf gehoben hatte. Sherlock schnipste sanft mit dem Finger gegen ihre Stirn und seine Lippen formten sich zu einem aufheiternden Lächeln. „Dummchen, das hier ist doch kein Abschied. Wir stehen gerade mal am Anfang unserer Bühnenshow. Die Geschichte kann kein richtiges Ende gefunden haben, ehe die Darsteller nicht mit absoluter Sicherheit sagen können, welche Rolle sie in ihrem Stück zu spielen haben… Hör dir nur mal mein Gefasel an, jetzt zitiere ich schon den Harlekin der Unterwelt… Ha, ha, ha!“ Miceyla wusste genau, dass sich hinter seinen scherzhaft wirkenden Worten, eine ernsthaft gemeinte Botschaft verbarg. Er ließ ihr den Vortritt die Treppe hinabzusteigen und sie hoffte insgeheim, während sie die `Freiheit` verließen, dass Mycroft bereits auf dem Heimweg war und darum ein Gespräch mit ihm vermieden werden konnte. Doch die erleichternde Tatsache, dass ohne die Wankelmütigkeit, welche ihr bei jedem Schritt wie Dornen in die Füße stach, das Leben an einer befreienden Leichtigkeit gewinnen würde, schenkte ihr einen bestärkenden Mut. Um den Plan für Amelias Rettung, konnte Miceyla sich später noch Gedanken machen. Denn für den Rest des Abends, musste sie sich auf etwas anderes konzentrieren… Von Sherlock hatte sie bereits Abschied genommen, aber auf der Bank brauchte sie nicht erneut Platz nehmen, da sie Mycroft vorher erspähte, wie er das Parlamentsgebäude verließ. Mit gemächlichen Schritten lief sie ihm entgegen und er zeigte schon aus der Ferne ein begrüßendes Lächeln, welches einzig und allein ihr gewidmet war. „Ich wünsche einen guten Abend, Mrs Moriarty. Gebührt tatsächlich nur meiner Wenigkeit die Ehre, Ihres Wartens in der Dunkelheit? Denn Ihr Bruder ist an dem heutigen Tage nicht zugegen“, grüßte Mycroft Miceyla mit kühler Miene, als er ein Stück von ihr entfernt zum Stehen kam. Seine distanzierte Autorität konnte sie längst nicht mehr einschüchtern. Schließlich war die Güte und Offenherzigkeit seines Wesens ihr kein Geheimnis mehr. „Guten Abend, Mr Holmes. Steht Ihr `Angebot` noch…?“, ließ sie direkt ihr Anliegen zur Sprache kommen und in ihren hellwachen Gesichtsausdruck, war nicht die kleinste Spur einer zögerlichen Zurückhaltung zu entdecken. Mycrofts Augen weiteten sich kurz vor Erstaunen, jedoch formten sich seine Lippen rasch wieder zu einem zufriedenen Grinsen. „Ich würde Sie ja liebend gern zum Essen einladen, aber ich denke das Sie es vorziehen, mit mir ungestört unter vier Augen zu sprechen. Folgen Sie mir bitte, wir gehen in mein Büro…“ Miceyla folgte Mycroft durch einen beinahe verlassenen Abschnitt des Parlamentsgebäude und betrat hinter ihm einen ordentlich eingerichteten Raum, der für ein gewöhnliches Arbeitszimmer einen angenehmen Flair verströmte. Das rhythmische Ticken einer großen, rötlich braunen Standuhr aus Eichenholz, besänftigte ihre Nervosität. „Harley Granville ist heute Abend hier nicht in der Nähe. Sorgen Sie sich daher nicht“, meinte Mycroft gelassen mit einem kurzen Blick zu ihr über die Schulter, dem ihr unruhiges Durchforsten der Umgebung auf dem Weg nicht entgangen war. „Wo er wohl stattdessen gerade sein mag… Und ich denke immer noch, dass Sherlock es um einiges leichter im Leben hätte, wenn er nur halb so ordentlich wäre wie Sie, ha, ha, ha! Aber sogar ich habe sein kreatives Chaos zu schätzen gelernt“, sprach Miceyla ablenkend und als sie erkannte, wie Mycroft ihr mit einem genussvollen Schmunzeln zuhörte, errötete sie verlegen. „Es erfüllt mich zwar mit Freude dabei zuzuhören, wie Sie über die Sonderheiten meines kleinen Bruders schwärmen, aber ich denke nicht, das Sie dafür Ihre wertvolle Zeit opfern wollen…“ „Nein…gewiss nicht…“, begann Miceyla mit einem Hauch von Melancholie in der Stimme, wobei sie versuchte ihre Gedanken zu ordnen und nicht zu sentimental zu werden. „Wer den Bezug zur Realität verloren hat und in einer scheinheiligen Traumwelt lebt, wird mehr verlieren, als er je gewonnen hat… Auch wenn ich die glücklichen Momente der Familie Moriarty in vollen Zügen genieße, so wird dennoch zu jeder Zeit, die erdrückende Last an Schuldgefühlen mein Herz fest umklammern. Doch die Konsequenzen spielen für mich längst keine bedeutsame Rolle mehr. Denn jenes Herz schenkte ich dem Mann, der mir die facettenreiche Schönheit des Glücks und der Hoffnung präsentierte und der die unübertreffbare Gabe besitzt, dieses Land von seinem ungerechten Klassensystem zu befreien..“ Miceyla musste kurz eine Atempause einlegen und ihr Herz begann vor Anspannung wild zu klopfen, als sie versuchte mit Mycroft Blickkontakt zu halten, der gegenüber von ihr auf einem Sofa saß. „…William Moriarty, der Meisterverbrecher…“, kam er ihr zuvor dies auszusprechen, doch seine Stimme war dabei so ruhig, beinahe schon sanft, dass in ihr erst gar kein Gefühl eines schlechten Gewissens aufkam. Und nach seiner kurzen Unterbrechung schwieg er wieder, um sie in Ruhe fortfahren zu lassen. „Doch ich mag nicht akzeptieren, dass unschuldige Menschen ein Leben lang für unsere Sünden Buße tun müssen… Dies gilt insbesondere für meine Tochter Evelyn… Keine Macht der Welt könnte sie von unserem Schicksal trennen… Jedoch….nur solange sie an den Namen Moriarty gefesselt ist… Sicherlich können Sie bereits erahnen, worauf ich hinaus will. Schimpfen Sie mich ruhig eine grausame Mutter, doch auch wenn es mir das Herz zerreißen würde, wünsche ich mir nichts sehnlicher, als das Evelyn glücklich aufwachsen kann, ohne sich den gnadenlosen Vorwürfen stellen zu müssen. Denn ich weiß selbst, ein starker Wille allein reicht nicht aus, um dies ertragen zu können. Die perfekt unbefleckte Welt wird auf ewig nur als Illusion, in unseren grenzenlosen Vorstellungen zu finden sein. Aber Güte, Liebe, Vertrauen und Treue existieren wirklich. Jene Gefühle sind in einem jeden von uns vorzufinden. Manchmal braucht man sie nur zu erwecken, um den Pfad zum individuellen Frieden zu finden. Verzeihen Sie meine umständliche Wortwahl… Es fällt mir nur enorm schwer, mein Anliegen auf eine direktere Art auszusprechen. Sie sind ein intelligenter und bodenständiger Mensch, der bei seiner Arbeit nichts außer Acht lässt und gleichzeitig liebevoll seine Familie umsorgt. Bei Ihnen…ist Evelyn besser aufgehoben. Dies ist kein verzweifelter Hilferuf, sondern nur eine der Vernunft entspringende, endgültige Entscheidung. Daher bitte ich Sie, adoptieren Sie Evelyn, noch versteht sie nicht richtig, was in ihrem Umfeld geschieht. Auch wenn eine Trennung natürlich für beide Parteien mehr als nur schmerzhaft sein wird… Aber nur mit der Gewissheit, dass es ihr auch ohne William und mir gut geht, kann ich vollen Einsatz zeigen. Es gäbe keinen Menschen außer Ihnen, der meines Erachtens dafür in Frage käme und dem ich vertraue…“ Miceyla sprach zu Ende und war unsagbar froh es hinter sich gebracht zu haben. Zwar wirkte sie nach außen hin entschlossen, doch in ihr tobte ein aufbrausender Sturm von negativen Gefühlen. Für einen Augenblick herrschte stilles Schweigen und Mycroft schien über eine angemessene Antwort nachzudenken, wobei er wesentlich ernstere Gesichtszüge annahm als zuvor. „Die kleine Evelyn soll also eine Holmes werden… Sie selbst schrecken nicht davor zurück, die meisten Qualen alleine zu tragen, wie könnte ich da eine grausame Mutter in Ihnen sehen. Sie wollen das opfern, woran ihr Herz am meisten hängt, um es retten zu können. Ein wahrlich edelmütiger Schritt… Aber ist Ihnen denn nicht möglicher Weise einmal in den Sinn gekommen, dass die Familie Holmes ebenfalls ihre Schattenseite verbirgt und mit unumkehrbaren Sünden zu kämpfen hat, über die bloß in Geheimhaltung geschwiegen wird?! Sie werden bei uns keine unbefleckte Biografie vorfinden, welche Ihre Tochter ein Leben lang schützen könnte. Und auch ich selbst mische direkt an der Front bei politischen Angelegenheiten mit. Mag ich auch im Gegensatz zu Ihrem Verbund, die Waffen eingesteckt lassen und nach dem Gesetz vorgehen. Um es kurz zu fassen sind Sie eine über die Maße unbelehrbare Närrin, Mrs Moriarty. Sie wünschten sich eine vorbildliche Familie und nun zerstören Sie Ihr eigenes Glück“, tadelte Mycroft Miceyla mit einer ungezügelten Strenge, welche für sie keineswegs unerwartet kam. Und dennoch hagelten seine eisigen Worte, wie ein unbarmherziger Schneesturm auf sie nieder, der wieder die prickelnde Kälte des vergangenen Winters in ihr erweckte und sie wagte nicht mehr ihm direkt in die Augen zu blicken. Nicht weil sie sich eingeschüchtert fühlte, sondern sein aufrichtiger Charakter und Einflussreichtum ihre letzte Hoffnung war, an welche sie sich klammern konnte. Plötzlich lehnte er sich tiefenentspannt auf seinem Sofa zurück und blickte sie mit einem solch sanftmütigen Lächeln an, als wollte er sie damit vor allem Übel der Welt beschützen. „Jedenfalls sind Sie die klügste und willensstärkste Närrin, der ich je begegnet bin. Es kommt schließlich nicht von Ungefähr, dass Sie und Sherlock so gut miteinander auskommen. Meine Bewunderung für Ihre Stärke sei Ihnen gewiss und dennoch stehen Sie was Sturheit anbelangt, mit ihm auf einer Ebene. So haben Sie also Ihre erste Buße, für die begangenen Sünden frei gewählt. Haben Sie keine Bedenken, mein Versprechen werde ich unter keinen Umständen brechen. Ich ahnte bereits, dass die Familien Holmes und Moriarty, zukünftig ein schicksalhaftes Band miteinander verbinden wird. Vier Monate Bedenkzeit gebe ich Ihnen, hier geht es immerhin um Ihre einzige Tochter. Und ich überlasse es Ihrer Kreativität, eine glaubwürdige Geschichte für den Grund der Adoption zu erfinden. Meine Frau wird das Mädchen ebenso sehr lieben wie unser eigenes Kind, welches sehr bald auf die Welt kommt. Doch vergessen sie eines bitte nicht, im Herzen wird Evelyn immer eine Moriarty bleiben und da sie sicherlich die Klugheit ihrer Eltern geerbt hat, erfährt sie auch folglich bereits sehr früh die Wahrheit. Und diese Wahrheit wird die Entscheidungen des Mädchens im Leben, auf eine unabänderbare Art und Weise beeinflussen…“ Verbissen kämpfte Amelia gegen ihre Müdigkeit an. Die unliebsamen Erfahrungen haben sie spüren lassen, dass einem im Schlaf die unberechenbarsten Gefahren auflauerten und eine hilflose Verwundbarkeit hervorriefen. Dabei hatte sie inständig gehofft, diese Schwäche endlich besiegt zu haben. Denn sie kämpfte in ihrer Vergangenheit so hart dafür, um sich selbst verteidigen und anderen ein Schutzschild sein zu können. Doch nun in Gefangenschaft, im größten Moment der Machtlosigkeit, wünschte Amelia sich nicht viel mehr, als erneut von ihrer Hilflosigkeit befreit zu werden. Sie war daran gewöhnt, wie ein unscheinbarer Schatten durchs Leben zu wandern. Aus Verstecken ihren Feinden aufzulauern und sie anschließend unbemerkt zu töten, war zu ihrer Spezialität geworden. Sie hatte immerzu Claytons Angebot abgelehnt, gemeinsam mit ihm auf der Bühne zu stehen. Es heiterte sie auch nicht auf, wenn er stets betonte, wie bildhübsch ihr Gesicht war. Amelia besaß einfach nicht genug Selbstvertrauen und jene unvergleichbare Ausstrahlung, wie Irene sie besaß. Sie hasste sich und ihren vernarbten Körper und dennoch quälten sie ihre nie zur Ruhe kommenden Träumereien, dass Clayton ihre Gefühle eines Tages doch noch erwidern könnte. Und nichtsdestotrotz, wollte ihr das warmherzige Leuchten in Freds Augen nicht mehr aus dem Kopf gehen. Und immer wieder aufs Neue fragte sie sich, was sie selbst eigentlich in ihm sah. War es lediglich ein Gleichgesinnter, der mit ihr dasselbe Schicksal teilte, oder ein guter Freund, dem sie sich anvertrauen und mit dem sie ihre Sorgen teilen konnte? Oder waren dabei doch schon tiefgründigere Gefühle im Spiel? Amelias Herz wehrte sich jedoch dagegen und sie wollte nicht länger darüber nachdenken. Derart viel Zeit für wirre Gedanken zu verschwenden, brachte sie nur um den Verstand. Da kam es ihr wie eine Erlösung vor, als die Tür plötzlich geöffnet wurde. Die Uhrzeiten wann man ihr etwas zu Essen brachte, waren stets exakt die gleichen. Einmal früh morgens und einmal spät am Abend. „Sie dürfen sich gerne die Mühe sparen, mich am Leben zu halten. Wenn Sie Claytons Zorn wecken wollen, töten Sie mich einfach…“; sprach Amelia heiser und konnte ein kurzes Zucken bei Harleys Anblick nicht unterdrücken, da seine Ähnlichkeit mit Clayton sie beinahe etwas verunsicherte. „Wer hat denn jemals behauptet, ich wolle das Feuer seines Hasses noch weiter entfachen? Ist schon amüsant, wie rasch die Begebenheiten missverstanden werden… Du hast wieder sehr wenig gegessen. Soll ich deine Fesseln lösen? Sich so eingeschränkt bewegen zu können, muss ebenfalls sehr unangenehm sein“, erwiderte Harley gelassen und stellte lächelnd das Essen vor ihr auf den Boden. Misstrauisch funkelte Amelia ihn an und fragte sich, ob er ihr seine Freundlichkeit nur vorspielte. „Nein, lassen Sie mich ruhig den Schmerz meines Versagens spüren. Und ich glaube kaum, dass Sie mir freiwillig eine Chance geben wollen um Sie zu töten. Aber dann findet Clayton vielleicht endlich Erlösung, von der Besessenheit seiner Rache. Jedoch beharrt er auf seiner Sturheit, es mit eigenen Händen verrichten zu müssen…“, blaffte sie ungehalten und drehte desinteressiert ihren Kopf zur Seite. „Wenn die Probleme sich so leicht lösen ließen, hätten wir längst Weltfrieden… Eine Schande, all deine Gefühle prallen an ihm wieder ab, wie von einer undurchdringbaren Mauer. Und mit jedem Tag blutet dein Herz mehr, bis zum allerletzten Tropfen. Alles was zurückbleiben wird, ist eine widerwertige leere Hülle, für die sich keiner mehr interessiert“, analysierte Harley herabwürdigend ihren kläglichen Gemütszustand. Voller Zorn drehte Amelia wieder ihren Kopf zu ihm herum. „Ihre taktlose Wortwahl ist das einzig widerwertige hier! Sie sind ein Abbild der blutdurstigen Zerstörung! Daher wird das Wort Liebe bloß ein Fremdwort für Sie sein! Ihr Männer traut euch doch nur dann überheblich zu handeln, wenn ihr eine geladene Knarre in Händen haltet! Was kümmern euch schon die Gefühle von uns Frauen!“, steigerte Amelia sich immer weiter in ihre Wut hinein und sah allmählich gegen ihren Willen ein, wie kraftlos und wie sehr sie auf Harleys Essen angewiesen war, um nicht elendig zu verhungern und zu verdursten. „Ach, ist dem so? Da hast du aber ein groteskes Bild vom anderen Geschlecht. Seid nicht ihr Frauen daran schuld, dass wir Männer unsere Herzen verschließen? Ihr spielt euer betörendes Spiel, doch seid dabei nicht mal euch selber treu und erwartet glücklich gemacht zu werden. Und vor richtigen Konflikten rennt ihr davon, aus purer Bequemlichkeit und entschuldigt dies mit einer vorgegaukelten Vernunft!... Noch immer…kann ich ihre sanfte Stimme hören, als stünde sie gerade direkt hinter mir. Ich brauche mich nur herumzudrehen und erblicke ihr strahlendes Lächeln, ihre leuchtend blauen Augen und ihre wunderschönen roten Lippen, die sich danach sehnen von mir geküsst zu werden. Doch mein Kuss wird sie niemals mehr erreichen. Sie lebt nun ihr eigenes Leben, fern von meinem und versucht mich zu vergessen, indem sie sich mit einem anderen vergnügt. Eine glückliche Liebe ist nur von kurzer Dauer, wozu daher so verbissen für einen flüchtigen Moment des Glücks kämpfen? Auf der Welt gibt es Bedeutsameres, dem wir unser Augenmerk schenken sollten. Erfolg kann nur durch die eigene Beherrschung von Gefühlen entstehen. Jedoch akzeptiere ich, wenn jemand die Kraft für dieses Opfer nicht aufbringen kann. Und das ist keineswegs ein Zeichen von Schwäche, nein. Nur ein Zeichen dafür, dass derjenige noch nicht seine Menschlichkeit verloren hat und an Wunder glaubt. Ich kenne einige solcher Träumer… Es kümmert mich wenig, dass die große Mehrheit behauptet, die Menschlichkeit sei längst von meinem Körper gewichen. Sie ist verloren gegangen, irgendwo gemeinsam mit meinem Herzen… Und die Person, welche dazu in der Lage wäre, die Scherben meiner zersprungenen Seele wieder zusammenzufügen, hat mich seit geraumer Zeit aufgegeben. Darum mache ich den Menschen jeden Standes Mut, zur Waffe zu greifen und für Besitz und Recht zu kämpfen. Regelbrecher werden bestraft, aber nur mittellose Arme, die niemand verteidigen will. Doch wenn einer aus der Oberschicht gegen das Gesetz verstößt, traut sich kaum einer den Mund aufzumachen. Sie sind alle gleich und ich brauche nicht totzuschweigen, dass auch ich aus solch einer erbärmlichen Familie stamme… Jetzt habe ich dir aber genug von meiner privaten Weltanschauung erzählt. Nun iss etwas, damit du noch eigenständig laufen kannst, wenn deine Rettung hier eintrifft. Sie wird sicherlich kein Hindernis scheuen, um bis hierher vorzudringen…“ Noch ehe Harley zu Ende gesprochen hatte, wandte er ihr den Rücken zu und wollte das kleine fensterlose Kämmerlein wieder verlassen. Sprachlos und überrumpelt von dessen tiefsinniger Rede, durchlöcherte sie ihn mit ihrem Blick, als würde nun ein völlig anderer Mensch vor ihr stehen. Damit rechnete sie wirklich nicht, dass er auf einmal so persönliche Informationen von sich preisgab und Amelias Gespür verriet, dass er ihr keine Märchen erzählte. „Ich…ich kann mir nicht vorstellen, dass die Dame von der Sie sprechen, Sie aufgegeben hat. Zwar sind mir nicht die genaueren Umstände bekannt und ich habe nicht das Recht mich dazu zu äußern, jedoch denke ich…hätte sie an der Liebe festgehalten, wäre vielleicht einer von Ihnen ins Unglück gestürzt. Manchmal will es das Schicksal so. Auch Clayton und Lydia hätten in unserer Gesellschaft kein glückliches Ende gefunden. Sie haben einfach nur frühzeitig beendet, was etwas später von alleine zu Bruch gegangen wäre. Auch wenn ich dies nur ungern zugebe… Aber wir sollten uns nicht selbst belügen. Und trotz allem geht unser Leben weiter und ich sehe es nicht als egoistisch an, einen Neuanfang zu wagen. Trotzdem frage ich mich…kann man sich ein weiteres Mal verlieben und sich dabei vollständig von seiner ersten Liebe loslösen…? Ist das möglich…?, sprach Amelia mit müdem Blick und begann verträumt mit einer Gabel in ihrem Essen herumzustochern. Harleys Augen wanderten noch einmal zu ihr hinüber, doch er hatte längst nicht mehr vor ihre Unterhaltung fortzuführen. Nicht weil er es als Zeitverschwendung ansah, sondern auch er es vermeiden wollte, quälende Erinnerungen zu wecken, welche in der Vergangenheit begraben bleiben sollten. „Du bist wirklich noch ein Kind… Breche erst einmal aus deinem Käfig aus und bereise die Welt, ehe du dir eine Meinung über die Liebe bildest. Clayton ist nicht dein Herr und Meister, nach dessen Pfeife du tanzen musst, auch wenn du ihm dein Leben verdanken magst. Wer in dem Schatten anderer steht, dem wird nie das Licht der Zuversicht und Selbstverwirklichung zuteilwerden… Und nur damit du es weißt, ich verabscheue Schusswaffen… Bevor ich meinem Gegner eine Kugel in das Herz jage, schlage ich ihm lieber still und leise mit dem Degen den Kopf ab. Bei dieser hinterlistigen Erbarmungslosigkeit, unterscheiden wir uns beide nicht mal ansatzweise voneinader…“ Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne fielen in das Schlafzimmer und schenkten den sommerlichen Grün im Freien einen rötlichen Schimmer. Miceyla blickte gedankenversunken aus dem Fenster und betrachtete das prachtvoll blühende Blumenmeer, welches nach wie vor hingebungsvoll von Fred gehegt und gepflegt wurde. Evelyn war auf ihrem Arm eingeschlafen und in wenigen Stunden, musste sie ihr kleines Mädchen wieder in Miss Moneypennys Obhut geben. Denn am Abend stand nicht nur die Besprechung für Amelias Rettung an, sondern auch für einen entscheidenden, wenn nicht sogar `den` entscheidenden Akt von Williams Plan. Dies hatte nicht zuletzt etwas mit Amelias Aufenthaltsort zu tun, welchen mittlerweile Clayton, Sherlock und William selbst binnen einer Woche ausfindig machen konnten. Es schien als wollte Harley damit ein weiteres Mal eine Konfrontation heraufbeschwören… Moran hatte mit Miceyla intensiver trainiert, damit sie sich darauf verlassen konnte, bei allen Eventualitäten in Bestform zu sein. „Veränderungen bedeuten nicht zwingend etwas Schlechtes. Es sind Abenteuer, die uns in das nächste Kapitel unseres Lebens führen…“, sprach Miceyla laut ihre Gedanken aus und legte Evelyn sanft in ihre Wiege. Kurz darauf begab sie sich etwas widerwillig hinunter in das Wohnzimmer. Die Runde war bereits vollzählig, jedoch befand sich darunter auch eine Person, welche sie nur ungern bei einer privaten Besprechung der Moriartys dabei hatte… „Ah, Miceyla! Hast du dein liebes Töchterchen ins Bettchen gebracht? Du hättest dir ruhig mehr Zeit lassen können, wir haben ohnehin schon ohne dich angefangen. Jeder hat nun mal seine eigenen Prioritäten. Du bist eine führsorgliche Mutter, die Rolle passt wirklich ganz ausgezeichnet zu dir. Aber…ich sehe dir an, dass du deine ehemalige Form verloren hast. Vielleicht solltest du bei dieser Mission lieber aussetzen und das Haus hüten. Ich denke dabei nur an dein Wohlbefinden, Liebes“, erklang sogleich Irenes vorlaute Stimme und jene blickte sie mit gespieltem Mitgefühl an. Miceyla verkniff sich eine scharfe Entgegnung und nahm mit würdevoller Körperhaltung, zwischen Moran und Albert auf dem Sofa Platz. „Irene, benimm dich bitte, wir sind hier Gäste! Und es wurde noch nichts Wichtiges besprochen, alle haben auf dich gewartet“, sprach Clayton ungewohnt züchtigend und warf Miceyla einen entschuldigenden Blick zu. Er hatte sich bereits daran gewöhnt, zwischen Irene und ihr zu schlichten. Mit zaghaftem Lächeln nickte Miceyla ihm anerkennend zu und tauschte kurz mit Fred still Blicke aus, welcher zu allem bereit zu sein schien. „Miceyla hat nicht einmal einen Funken ihrer alten Bestform verloren. Ich wage sogar zu behaupten, dass sie sich mittlerweile selbst übertroffen hat. Ich kann Ihnen versichern, sie verfehlt ihr Ziel sogar mit verbundenen Augen nicht und schlägt eigenständig eine ganze Meute von aufgeblasenen Muskelprotzen in die Flucht. Sie sollten sich lieber ordentlich ins Zeug legen, um mit ihr mithalten zu können, Miss Adler!“, verteidigte Moran sie ohne Zögern und nahm ungehemmt einen kräftigen Zug von seiner Zigarette. Es war Miceyla fast schon etwas peinlich, wie übertrieben er vor allen anderen mit ihr prahlte und verkniff sich ein schiefes Grinsen. „Ich sage es dir jetzt zum allerletzten Mal, mach endlich die verdammte Zigarette aus! Hier drinnen wird nicht geraucht, du qualmst das ganze Anwesen voll! Wenn du so stur bist, schläfst du eben künftig im Garten!“, schimpfte Louis mit wütender Miene und gab sich große Mühe, sich nicht wieder zu sehr über Morans ungesittetes Verhalten aufzuregen. Miceyla warf William einen mitfühlenden Blick zu, welcher ihr gegenüber alleine auf einem Sessel saß und während sich die Gruppe ungehalten zankte nachdenklich hinabsah. `Es ist sicherlich nicht gerade leicht, bei uns chaotischem Haufen einen kühlen Kopf zu bewahren… Das ununterbrochene komplexe Denken und immer für jedes Problem in Schallgeschwindigkeit eine Lösung parat zu haben, muss mehr als nur ermüdend sein. Gib auf deine Gesundheit Acht, mein geliebter Will… Zum Wohle der Welt ist es nicht wert, dass du uns umkippst. Du bist nicht allein, wir sind alle für dich da…`, dachte Miceyla bedrückt und ihr liebevoller Blick zog den seinen magisch an. Als hätte er ihre sorgenvollen Gedanken erraten, schenkte er ihr ein beruhigendes Lächeln. Jedoch wurde seine Miene kurz darauf so bitterernst, dass allein dies ausreichte, um die gesamte Truppe zum Stillschweigen zu bringen und er gewann somit die Aufmerksamkeit eines jeden Einzelnen. „Für unnötige Streitereien haben wir keine Zeit. Zumindest nicht wenn wir gegenseitig unsere Leben, noch mehr als ohnehin schon in Gefahr bringen wollen. Wir mögen für Gerechtigkeit kämpfen, doch wartet weder Rum noch Ehre an unserem Ziel. Aber wir erkennen alle die Fortschritte unserer harten Arbeit. Über das Schicksal unzähliger Verbrecher haben wir gerichtet und die Welt hat mit jedem Mal ein Stück seiner Verunreinigung verloren und etwas von ihrem unscheinbaren Glanz ist hervorgetreten. Begonnen haben wir, was spätere Generationen fortführen werden. All jene noch unentdeckten Talente, allerdings ohne sich dabei die Hände schmutzig machen zu müssen, sondern mithilfe von Gesetzen, die jeden einzelnen schützen unabhängig seines Standes. Darauf könnt ihr stolz sein. So viel dazu… Es wird garantiert die letzte Versammlung in dieser Konstellation sein. Denn man hat uns erneut dazu gezwungen, denselben Pfad einzuschlagen…“, begann William einleitend und fixierte Clayton dabei eindringlich mit seinem Blick, der abseits der Gruppe an der Wand angelehnt stand und ihn ebenfalls mit seinen tiefblauen Augen genaustens musterte. Seine neutralen Gesichtszüge ließen keine genauere Deutung seines Gemütszustandes zu. Nur William allein besaß wohl momentan die Gabe zu ergründen was in ihm vorging. „Amelia sitzt im Anwesen von Dain Eldridge in Redbridge fest. Dieser Mann war unter anderem ein ehemaliger Kandidat für die Position des Premierministers. Er ist zudem stolzer Besitzer einer der erfolgreichsten Handelsfirmen Londons und ist für ein Viertel der größten Fabriken der Stadt verantwortlich. Nun ist es folglich für einen jeden von uns erschließend, dass bei all dem Glanz und Gloria, auch eine düstere Schattenseite existiert… Etliche Menschen haben wegen ihm die Arbeit verloren, da er kleinere Handelsunternehmen hat auflösen lassen, die ihre aufgedrückt bekommenen Schulden nicht mehr begleichen konnten. Und weil nichts mehr zum begleichen vorhanden war, mussten diese Menschen, um die Lücke zu füllen und Eldridges Zorn zu beschwichtigen, ihr Leben für ihn opfern. Viscount Dain Eldridge ist somit unser nächstes Ziel, mit einer bescheidenen Abweichung. Wir werden keinen diskreten Tötungsdelikt verüben, sondern unser Vorhaben ohne Verschleierung ankündigen. Hinzu kommt das Eldridge zwei kleine Kinder hat. Seine jüngster Sohn ist nicht mal zehn Jahre alt. Dies wird das Ganze für uns alle auf mehreren Ebenen erschweren. Dennoch führt kein Weg daran vorbei, die Stadt von einem niederträchtigen Mann wie Dain Eldridge reinzuwaschen, der sein Umfeld mit allen Mitteln vergiftet. Sowohl bei dem Attentat, als auch bei Amelias Rettung, wird Harley sich die Mühe sparen dazwischen zu funken. Er wird sich das Schauspiel ganz bequem von seinem Logenplatz aus betrachten. Und uns wird nur beides gelingen, wenn unsere Zusammenarbeit nahtlos ineinander übergeht. Clayton und Fred werden sich auf die Befreiung von Amelia konzentrieren, mit Unterstützung von Miss Adler und Moran, welche das Bindeglied für den reibungslosen Ablauf beider Missionen sein werden…“, erläuterte William sachlich und stoppte abrupt da er erkannte, dass jemand aus der Runde eine Zwischenfrage stellen wollte. „Verzeihen Sie die Unterbrechung, aber wir rechnen alle natürlich damit, dass Sherlock Holmes sich ebenfalls zeitgleich dort bei dem Anwesen von Fürst Eldridge aufhalten wird. Sollte daher nicht jemand für Ablenkung sorgen, um der Gefahr einer Sabotage aus dem Weg zu gehen? Ich bin geübt darin wissen Sie, ich sorge dafür, dass der gute Detektiv die Rolle spielt, welche Sie ihm gegeben haben“, sprach Irene selbstbewusst und schien im Geiste bereits ihre eigenen Pläne zu schmieden. „Davon bin ich überzeugt, miss Adler. Aber ich habe längst beschlossen, wer diese brisante Aufgabe übernimmt, die über Erfolg oder Misserfolg entscheiden wird…“, kam daraufhin Williams Einwand und in Miceyla stieg ein hitziges Gefühl auf, als seine glühend roten Augen auf sie gerichtet waren. Keiner konnte die ihr vorenthaltende Rolle nehmen, dessen war sie sich von Anfang an bewusst gewesen. Pflichtbewusstsein und Gewissensbisse tobten in ihr gleichermaßen. Sie kam sich vor, wie der letzte auf dem Schlachtfeld verbliebene Bauer, der für die Freiheit aller Gefangenen den König schlagen musste. Doch bei allem was sie bereits durchgemacht hatte, gab es nur ein Resümee, nämlich das Unmögliche konnte möglich gemacht werden. Weshalb also nicht endlich mal die erlernten Fertigkeiten einer Königin ausschöpfen? „Miceyla, du wirst Sherlock daran hindern ein Verbrechen zu begehen. Lass ihn zum Helden werden, ohne das der von uns verübte Mord an Dain Eldridge gefährdet wird. Wenn er die Missetaten des Meisterverbrechers ans Licht bringt, bei denen die Leben sowohl von Adligen als auch von gewöhnlichen Arbeitern aufs Spiel gesetzt werden, wird auf diese Weise die gesamte Gesellschaft zum Umdenken angeregt. Allerdings nur falls der Plan perfekt abläuft. Du siehst, der Erfolg hängt ganz allein von dir ab, mein Liebling. Jedoch muss ich gezwungenermaßen einen Misserfolg miteinkalkulieren. Denn die Wahrscheinlichkeit das dir dies gelingt, liegt gerade mal bei fünfundzwanzig Prozent. Wir wissen beide, beim Kampf gegen die eigenen Gefühle, geht man als Verlierer hervor… Aber nichtsdestotrotz werden wir im Endeffekt erreichen, was wir von Beginn an angestrebt haben“, weihte er die gesamte Runde in den am wahrscheinlichsten Ausgang der Geschehnisse ein und Miceyla blickte abwesend hinab, ohne ihm die entschlossene Antwort zu geben, die man von ihr nun erwartet hätte. Albert legte ihr tröstend eine Hand auf die Schulter, was ihr zu einem zaghaften Lächeln verhalf. William erklärte noch eine gefühlte Ewigkeit den Ablauf seinen Plans und ging dabei selbst auf die kleinsten Details ein. Doch niemand zeigte auch nur das unscheinbarste Anzeichen von Müdigkeit. Alle standen unter dem Bann von seiner ungeschlagenen Redekunst, welche in den Köpfen der Zuhörer ein bildgewaltiges Schauspiel entstehen ließ. `Ich kenne noch eine Person, die jene außergewöhnliche Gabe sein Eigen nennen darf…`, dachte Miceyla klammheimlich und schließlich war die opulente Besprechungsrunde an ihrem Ende angelangt und die Truppe löste sich allmählich wieder auf. Da sie so lange gesessen hatte, wollte sie sich etwas die Beine vertreten und von der frühnächtlichen Brise, ihre umherwirbelnden Gedanken ordnen lassen. Sie trat hinter Clayton aus dem Raum und dabei war es für sie nicht verwunderlich, ihn mit einem Degen bewaffnet zu sehen. Jedoch bemerkte sie erst bei genauerem betrachten, dass seine Waffe sich von dem Degen unterschied, welchen er sonst immer bei sich trug. Auf dem Handgriff war ein Wappen eingraviert, es bestand aus zwei mit Flügeln ausgebreiteten Kranichen, in deren Mitte sich eine Seerose befand. „Das…das ist das schönste Familienwappen, welches ich je gesehen habe…“, flüsterte Miceyla verträumt und starrte wie in Trance darauf. Als würden sich die beiden Kraniche jeden Moment von der Waffe loslösen und über einen See voller schillernder Seerosen hinwegfliegen. Unvermittelt blieb Clayton stehen und tastete gefühlvoll mit der linken Hand an den Griff seines Degens. „`Dies sind die Schwingen der Freiheit, sie demonstrieren das den eigenen Gedanken keine Grenzen gesetzt sind. Die Möglichkeiten sind unendlich und jeder erdenkliche Ort kann erreicht werden. Verleihe deinen Träumen Flügeln und höre stets auf die weise Stimme deines Herzens, ohne dich von äußeren Einflüssen in eine verwirrende Falle locken zu lassen. Das Glück beginnt in dir und findet sich nicht als Ziel auf deinem Wege. Also lass es frei, im Hier und Jetzt beginnt dein Leben. Was der Morgen bringt, kann auch der klügste Mann nicht vorhersehen.` Dies waren die prägenden Worte meines Vaters, der einzig wahre Freund in meinem Leben…“, erzählte Clayton wehmütig, ohne sich dabei zu ihr herumzudrehen. `Wie recht er damit hat… Glück sollte kein greifbares Ziel sein. Es ist rein subjektiv, was Glück für einen bedeutet…` „Deinen Vater hätte ich wirklich sehr gerne kennengelernt, aber das weißt du ja. Und auch wenn du mir nicht zuhören willst, bitte ich dich inständig darum, nicht zum Gefangenen deiner eigenen Vergangenheit zu werden. Glück lässt sich finden, jedoch nicht auf ewig festhalten. Jeder von uns ist ein Zahnrad im Lauf des Lebens und nur zusammen können wir die Träume unserer Herzen erreichen. Als großer Erfinder erkennst du doch selbst am besten, was Erfolg und Fortschritt für die eigene Entwicklung bedeutet. Wir mögen Blumen sein, die irgendwann verwelken, doch andernorts beginnen neue Blumen zu blühen und werden sich Geschichten über uns erzählen und unsere Träume auf ihre ganz eigene Art weiterleben…“, wagte Miceyla ihm mit sanfter Stimmer ins Gewissen zu reden und riss erstaunt die Augen weit auf, als Clayton sich plötzlich mit einem strahlenden Lächeln zu ihr herumdrehte. „Mein liebes Vöglein, wer solch empfindsame Worte wählt, dem werde ich zu jeder Zeit zuhören. Ich bin frei, ich lasse mich von niemandem einsperren und schon gar nicht von einem dreckigen schwarzen Loch, das sich die Vergangenheit schimpft. Und zudem bin ich vom Glück umgeben. Amelia, die Kinder, du und die Moriartys. Ich bin unendlich dankbar, die Zeit mit solch herzensguten und gebildeten Menschen verbringen zu dürfen. Doch verrat dies keinem, soll ein Geheimnis bleiben, he, he. Aber mein Hass auf Harley wird dennoch nie erlöschen… Und Herzchen, keine Bange, die Stunde der Finsternis steht zwar kurz bevor, aber die lieblichen Klänge der Violine, werden dich stets zum Licht zurückführen. Das finale Bühnenstück naht! Ich kenne doch euer Motto, vertreiben wir all das Böse… und…und?!“ „…Und verhelfen der Welt zu rechter Größe…“, beendete Miceyla etwas verzögert seinen Satz und musste unweigerlich bei der belustigenden Grimasse die Clayton zog schmunzeln. Er wollte sie etwas aufheitern, doch dies wirkte bei ihr nur kurzweilig. `Ich bin aber noch nicht bereit für das Finale, noch lange nicht… Immer wieder muss ich daran denken…Und Sherlock ist eher drauf und dran sich mit mir in die Dunkelheit zu stürzen, wenn ich nicht aufpasse…` Nun wandte er sich wieder von ihr ab und schloss sich Irene an, die bereits außerhalb des Anwesens auf ihn wartete. Und sie war heilfroh, dass es zu keiner problematischen Konversation mehr zwischen ihnen kam. Sie hatten nämlich alle bereits genug Sorgen. Miceylas Herz begann von jetzt auf gleich schneller zu schlagen, als William auf einmal seine Arme von hinten um sie schlang, als wollte er den Moment einfangen und damit verhindern, dass der nächste Tag anbrechen konnte. Mit einem tiefen Atemzug schloss sie die Augen und versuchte die Angst vor dem ungewissen Unheil welches vor ihr lag, mit dem unlöschbaren Feuer ihrer Liebe niederzubrennen… Es war ein ungewöhnlich schwüler Abend Anfang Juni und man meinte, die glühende Sonne weigerte sich schlafen zu legen. Die Natur sehnte sich nach einer belebenden Abkühlung, welche nicht mehr in allzu weiter Ferne liegen konnte... Der Abend vor der Bekanntmachung des angekündigten Attentats war gekommen. Dennoch sollte es anonym, ohne eine konkrete Namensgebung von Statten gehen. Das Rätsel um die Identität des Meisterverbrechers würde erst gelöst sein, wenn die vor Ort befindlichen Zeugen, dessen Namen an die Öffentlichkeit trugen. `Du selbst bist der Held, Will. Befreier der geknechteten Seelen… Alle Menschen ob Ober- oder Unterschicht müssten dies erkennen. Die Frage nach Gut und Böse kann niemals beantwortet werden…` Miceyla trug eines ihrer vornehmsten Kleider und hatte sich mehr Mühe als je zuvor beim feinen Herausputzen gegeben. Und auch wenn sie längst daran gewöhnt war, ließen die aufdringlichen Blicke der Passanten, in denen Neid und Missgunst zugleich lag, ihre Nervosität stetig ansteigen. Dennoch wartete sie geduldig, ohne jegliche Begleitung neben einer Straßenlaterne. Und für jedermann blieben die bedrohlichen Waffen verborgen, welche sie unter ihrem Kleid versteckt hielt. Sie war mit Sherlock verabredet und würde mit ihm einen Ball in London besuchen, bei dem die erfolgreiche Vertragsunterzeichnung gefeiert wurde, die trotz eines länger andauernden politischen Konflikts zustande gekommen war. Dain Eldridge war unter anderem als Gast dort zugegen. Sherlock hatte ihn natürlich ins Visier genommen und war dank seiner schlussfolgernden Gedankengänge der festen Überzeugung, dass er das nächste Ziel des Meisterverbrechers sein musste. Daher war es keine Überraschung, dass es wie gewohnt mit William zeitgleich zur Tat schritt, als hätten die beiden sich heimlich abgesprochen. Selbst eine plötzliche Vorankündigung seiner Taten, wäre für Sherlock kein unvorhergesehenes Ereignis mehr. Er hatte sich dazu bereiterklärt, sich an Amelias Rettung zu beteiligen. Doch die Befreiung ihrer Person, war nur ein kleiner nebensächlicher Akt seiner unerbittlichen Lebensaufgabe, die er niemals aus den Augen verlieren würde. Er und Miceyla durften lediglich dank Alberts und Mycrofts Einflussreichtuns, selbst als geladene Gäste auf der Feier des gehobenen Kreises erscheinen. William war mit der Nachbereitung seiner Vorlesungen beschäftigt, was sogar der Wahrheit entsprach. Selbst kurz vor der Umsetzung einer entscheidenden Mission, vernachlässigte er nicht seine Pflichten. Jedoch wusste Miceyla ganz genau, dass er dies mehr oder minder bereitwillig als Vorwand nutzte, damit Miceyla Sherlock um des Plans Willens aufhalten oder zumindest etwas behindern konnte, ohne das beide Kontrahenten persönlich in der Gegenwart von Dain Eldridge aufeinandertrafen. `Was wird wohl geschehen…? Will er mit mir zusammen diesen Mann nur ausspionieren und Beweise seiner Schandtaten für die Öffentlichkeit finden, damit er zur Buße seine Zeit hinter Gittern absitzen kann? Er ist ein hochrangiger Adliger. Leider besitzen weder Sherlock noch Scotland Yard, eine Befugnis für solch eine Vollstreckung. Mycroft zu involvieren hilft ebenso wenig, da sich der vorrübergehend ruhende Konflikt mit Harley zuspitzen würde. Ich muss einsehen, dass ich allein im Voraus nicht planen kann, daher heiß es wohl mich auf jede erdenkliche Situation einzustellen. Oh Evelyn, wie gerne wäre ich jetzt bei dir… Verzeih mir, dass du so häufig von mir getrennt sein musst. Ich liebe dich über alles…` In Gedanken flog sie fort zu ihrer geliebten Tochter, um sich gemeinsam mit ihr an einen sicheren Ort zu verschanzen, wo sie Evelyn ewig in Armen halten konnte und das hektische Weltgeschehen still und unscheinbar an ihnen vorbeizog. Doch letztendlich konnte sie nur dafür sorgen, dass das Gift der Realität, die Süße ihrer Träume niemals erreichte. Eine herbeigefahrene Kutsche, die unmittelbar vor ihr am Straßenrand zum Stehen kam, unterbrach den reißenden Fluss ihrer ausmerzenden Gedanken, worüber sie sehr dankbar und erleichtert war. Die Tür der Kutsche wurde von innen geöffnet und niemand anderes als Sherlock lugte heraus und hielt ihr wie ein gesitteter Gentleman die Hand entgegen, um ihr beim Einsteigen behilflich zu sein. Er lächelte herzlich, was seinen sanften Gesichtszügen schmeichelte und sie meinte beinahe einen jüngeren Mycroft vor sich zu haben, da er einen vornehmen Anzug trug und seine schwarzen Haare ordentlich glatt gekämmt hatte. „Darf ich die bezaubernde Lady auf einen noblen Ball entführen, um gemeinsam die Langeweile des rückständigen Adels zu ertragen?“ „Verzeihen Sie mein werter Herr, aber hier muss ein Missverständnis vorliegen. Ich bin mit einem Mann verabredet, der noch nie in seinem Leben eine Krawatte richtig gebunden hat und es mit Höflichkeitsfloskeln nicht allzu ernst nimmt“, sprach Miceyla übertrieben aristokratisch und musste sich ein Schmunzeln verkneifen. „Nur keine Bange, meine Teure. Du brauchst dich nicht von fälschlichen Äußerlichkeiten abschrecken zu lassen. Dahinter verbirgt sich immer noch derselbe Halunke, der zusammen mit dir die Straßen Londons unsicher macht und auf der schwarzen Liste von Scotland Yard einen Ehrenplatz belegt“, ging er sogleich mit lässiger Körperhaltung, auf ihr scherzhaftes Wortgefecht ein und grinste dabei schief. „Das erleichtert mich zu hören. Dann lasse ich mich natürlich nur allzu gerne entführen, mein charmanter Poet.“ Während der Fahrt redeten sie beide jedoch nicht viel miteinander, was ihr nicht gefiel. Normalerweise war er in ihrer Gegenwart gesprächiger und sie erwartete, mit ihm Informationen über Fürst Eldridge auszutauschen. Sein unparteiisches Verhalten, alarmierte sie dazu Vorsicht walten zu lassen. Doch die Gewissheit, dass Fred die Geschehnisse des Balls aus den Schatten heraus im Auge behielt, beruhigte ihre brodelnden Nerven. „Ich denke Harley kann Dain ebenfalls nicht leiden und freut sich daher, wenn andere für ihn die Drecksarbeit erledigen, damit er von der Bildfläche verschwindet“, riss Miceyla dennoch voller Ungeduld jenes Thema an, als sie ihr Ziel beinahe erreicht hatten. „Nun, der tugendhafte Graf Granville, darf gerne mit seiner gnadenlosen Hierarchie fortfahren. Dann wird bald kein Volk mehr vorhanden sein, welches er von seinem hohen Thron aus regieren kann. Gewalt beginnt dort, wo die Macht der Gesetze versagt. Und all das Morden wird zwingend dazu führen, dass die zukünftigen Gesetze an einer Härte gewinnen, die selbst den aus der Reihe tanzenden Adel trifft. Doch auch der Meisterverbrecher wird folglich zum Opfer seiner eigenen Ideale. Vielleicht sollte meine Wenigkeit, an diesem Abend Dain Eldridge den Gnadenstoß verpassen, ha, ha, ha! Jetzt schau nicht so schockiert, Mia! Aber verzeih, darüber mache ich besser keine Scherze… Er darf heute noch nicht durch ein `Unglück` sein Leben lassen. Ich befürchte, dass sonst die Rettung deiner Freundin unmöglich sein wird und es zu einem verfrühten Bürgeraufstand kommt… Auf meine Intuition ist zwar nicht immer, aber immer öfter verlass…“, verriet Sherlock dann doch noch vertrauliche Details und zündete sich schnell eine letzte Zigarette an, ehe sie in der Abendgesellschaft des Balls untertauchten. `So ist das also, darauf hätte ich selbst kommen müssen… Dains verfrühtes Ableben würde nicht nur Wills Plan vereiteln, sondern auch Harley einen Anreiz dafür geben, Chaos walten zu lassen. Also bleibt uns nichts anderes übrig, als jenen Mann für einige Stunden zu beschützen, der den Tod mehr als alle anderen verdient hat. Welch eine Ironie…` Gemeinsam reihten sie sich vor dem Eingangstor einer prachtvollen Villa, hinter bereits wartenden Besuchern ein, bis sie ihre Eintrittskarten vorzeigen konnten. Sie wurden ohne Einwände hereingelassen und sie bahnten sich gemächlich einen Weg durch die Gästemenge zum Hauptsaal, in der von einem Orchester angenehme klassische Musik gespielt wurde. Der Ball unterschied sich kaum von den bisherigen, welche Miceyla bereits besucht hatte. Hochangesehene Persönlichkeiten standen in kleinen Grüppchen zusammen und unterhielten sich über belanglose Themen. Einige Paare tanzten auf der spiegelnd glatten Fläche. Und dennoch fand sie keine geeigneten Worte, um die sonderbare Atmosphäre beschreiben zu können. „Mia, die hinterste Säule auf der linken Seite…“, flüsterte Sherlock ihr leise von der Seite zu und sie ließ daraufhin unauffällig, ihren Blick zu besagter Stelle seiner Ortsangabe wandern. `Dain Eldridge! Er passt genau zu Wills Beschreibung. Große Statur, dunkelblonde Haare, etwa im selben Alter wie Harley. Seine Körperhaltung wirkt entspannt und selbstbeherrscht. Er strahlt sogar eine ähnliche freundliche Wohltätigkeit aus. Aber an Harleys machtvoller Aura kommt er bei weitem nicht heran. Trotzdem ist es immer wieder aufs Neue verwunderlich, dass die Männer, welche den größten Dreck am stecken haben, nach außen hin einen glaubwürdigen Musteradeligen spielen und ein ansehnliches Erscheinungsbild besitzen, mit dem sie ihr Umfeld täuschen. Doch in ihrem Innern befindet sich ein hässlicher Teufel, der Pech und Verderben verbreitet…`, analysierte Miceyla nach einem kurzen ersten Eindruck, binnen weniger Sekunden ihr Zielobjekt. „Dann leg mal los, was kannst du mir über ihn sagen, unabhängig von deinem bisherigen Wissen über ihn. Noch hat uns keiner Beachtung geschenkt. Wollen doch mal sehen, ob du nach all der Zeit Fortschritte gemacht hast“, forderte Sherlock sie spielerisch dazu auf, Dain Eldridge aus sicherer Entfernung näher unter die Lupe zu nehmen, ohne mit verdächtigem Verhalten Aufmerksamkeit zu erregen. Miceyla blickte ihn kurz mit einem entschlossenen Lächeln an und gab ihm damit zu verstehen, dass sie seine Herausforderung furchtlos annahm. All ihre gesammelten Erfahrungen waren schließlich nicht umsonst gewesen und sie war sogleich voll und ganz in ihrem Element. „Es sieht ganz danach aus, als hätte er es sehr eilig gehabt, denn sein Hemd unter dem Jackett ist etwas unordentlich. Doch diese Feinheit wird wohl kaum jemand bemerken. Dennoch ist er pünktlich hier erschienen. Ich denke das seine Heiterkeit natürlich ist. Könnte der Grund ein wirtschaftlicher Erfolg sein? Nein, vor einem Auftritt in der gehobenen Öffentlichkeit wird er nicht riskieren, dass man bei ihm auch nur den kleinsten Beweis seiner blutigen Machenschaften findet. Dafür sind Männer wie er zu gründlich. Was gibt es also sonst noch von Bedeutung in seinem Leben? …Seine Kinder… Er versucht so oft es nur geht sie zu besuchen und für sie da zu sein. Und dabei verbirgt er vor ihnen seine düstere Seite und gibt alles um ein guter Vater zu sein. Er lebt eine Lüge und verdrängt dabei die eigenen Gewissensbisse. Für die Kinder wird eine Welt zusammenbrechen, wenn das scheinheilige Glück um sie herum wie dünnes Glas zerspringt. Die Fehler der Eltern bekommen die Kinder als Brandmal aufgedrückt und werden es niemals mehr los. Was bleibt ist eine ruinierte Zukunft… Es reicht, ich habe genug über ihn erzählt. Er ist wie ein offenes Buch für mich…“, beendete Miceyla ruckartig ihre tiefgründige Analyse über den ihr fremden Fürsten. Ein wenig schämte sie sich, dass sie direkt klein beigab, sobald es für ihr zartes Gemüt zu emotional wurde. Aber niemand würde ihr wohl übel nehmen, dass sich ihr Blickwinkel aufs Leben verändert hatte, seitdem sie selbst Mutter war. Sherlock bestätigte weder ihre Worte, noch fügte er etwas hinzu. Stattdessen hielt er ihr lächelnd seine geöffnete Handfläche hin, wie bei einer Aufforderung zum Tanz. Er besaß nun mal seine eigene Art um ihr mitzuteilen, dass sie mit ihrem durchleuchtenden Denken, genau ins Schwarze getroffen hatte. „Darf ich bitten? Es hat sicherlich keiner etwas dagegen, wenn wir uns dem gesitteten Adel anpassen und uns ein wenig bei einem Tanz vergnügen.“ Seine plötzliche Geste reichte aus, dass für Miceyla Dain Eldridge und der Grund weswegen sie eigentlich auf dem Ball waren, in weite Ferne rückte. Erwartungsvoll blickte sie erst zu seiner einladenden Hand, dann direkt in seine gütigen Augen. Miceyla glaubte kurz zurück in die Vergangenheit zu reisen und spürte das prickelnde Gefühl, als sie sorgenlos mit ihm im Pub tanzte. Frei von bedrückenden Verpflichtungen, ehe ihr Leben einen radikalen Wandel bekam. `Du legst dir Fesseln an!` Sherlocks vorausblickende Warnung hallte erneut in ihrem Kopf wider und sie lächelte bitter. `Ich bereu nichts, rein gar nichts! Denn ich bin frei, darum lass uns tanzen, ohne dabei an den nächsten Morgen zu denken… Sie wollte schon zögerlich ihre Hand auf die seine legen, da hielt sie eine weitere Stimme im Geiste zurück. `Du bist eine schlechte Lügnerin, Miceyla…` „Mir…mir ist gerade nicht nach tanzen… Und du solltest an diesem Abend ebenfalls andere Prioritäten gaben. Zudem gibt es hier sicherlich genug andere Damen, die sich über einen hervorstechenden Tänzer wie dich freuen würden…“, umging Miceyla mit monoton klingender Stimme seine Aufforderung zum Tanz und ihr war elendig zumute, dass Sherlock auf Anhieb erkennen musste, dass ihre Antwort gelogen war. „Hach… Ich begnade dich wirklich nicht für dein Talent, dir das Leben unnötig schwer zu machen. Du allein triffst deine Wahl, keiner kann und darf sie dir aufzwingen. Außerdem soll niemand anderes als du meine Tanzpartnerin sein. Insgeheim würdest du nicht abstreiten, dass es andersrum genauso ist…“ `Wir sind beide nicht mehr dieselben Menschen, welche sich damals auf dem Marktplatz begegnet sind. Hätte ich dir an jenem Tag nicht den Rücken gekehrt und dich deinem Schicksal überlassen, wie wäre dann wohl der Geschichtsverlauf gewesen…? Weshalb spekuliere ich darüber bloß…? Keiner von uns kann die Zeit zurückdrehen…` Seine Tonlage hatte sich nun ebenfalls gewandelt, sie klang trist und jegliche Güte war verschollen. Aber dahinter verbarg sich auch noch ein deutlicher Funken der Enttäuschung. Sherlock wandte sich schweigsam von ihr ab und lief ohne Eile in Richtung des perfekt angerichteten Buffets. Miceyla hätte keine geeigneten Worte für die Niedergeschlagenheit finden können, welche sie in jenem Moment empfand. Eine verzehrende Leere breitete sich in ihr aus und sie blieb einfach regungslos auf der Stelle stehen, während ihr trüber Blick weiterhin auf Sherlock haften blieb. Und dabei erwischte sie sich selbst dabei, wie sie überprüfte, ob er auch wirklich keinen Ersatz für sie zum Tanz auswählte. Doch erleichtert erkannte Miceyla, dass er sich lediglich etwas zu trinken holte. `Was denke ich da bloß… Er ist ja nicht Albert… Aber kann es sein…ist Sherlock wirklich ein wenig beleidigt…? Auf keinen Fall spielt er mir etwas vor, dies würde ich direkt bemerken. Wieso…wieso nur? Wir müssen uns doch beide konzentrieren!`, versuchte sie angestrengt, den Faden ihres wichtigen Auftrags nicht zu verlieren und bemühte sich nicht allzu verloren zu wirken, ehe sie sich vor einer aufdringlichen Kolonie von männlichen Gästen nicht mehr retten konnte. Da fiel ihr Blick genau auf einen Solchen, der plötzlich mit ernster Miene auf Dain Eldridge zulief. Ohne ein Wort ihrer Unterhaltung zu hören, kam sie ohne Schwierigkeiten zu dem Zusammenschluss, dass der Fürst zu einem anonymen Vieraugengespräch aufgefordert wurde. `Wenn Dain aus der Menschenmenge an ein unbeaufsichtigtes Örtchen gelockt wird, kommt das heikle Spektakel ins Rollen, bei dem wir gezwungen sind einzuschreiten, um ein Unglück zu verhindern. Keiner würde das Verhalten des fremden Mannes als verdächtig einstufen, aber ich erkenne die Merkmale eines gewieften Attentäters sofort… Wo ist Sherlock…?` Dain Eldridge war bereits dabei, den Ballsaal mit dem suspekten Mann zu verlassen, während Miceyla sich verzweifelt nach Sherlock umblickte, ihn aber nirgends ausfindig machen konnte. `Ich kann nicht auf ihn warten, dann muss ich eben eigenständig handeln! Ein alter Trick gelingt immer…` Hastig schnappte Miceyla sich ein Glas dunklen Rotwein und nahm die Verfolgung der zwei sich entfernenden Männer auf. Sie verfolgte das Duo durch einen weitläufigen, schwach beleuchteten Flur, bis die lebhafte Gästeschar hinter ihnen kaum mehr zu hören war. Nun ermöglichte sich ihr die beste Gelegenheit, um Dain und den Mann voneinander zu trennen, ehe sie selbst bemerkt wurde. „Verzeihen Sie, Sir Eldridge…“ „Ja, bitte…? Oh?!... Pardon!“ Bei der ruckartigen Bewegung, mit der sich Dain herumdrehte, stieß er gegen ihr Glas, wobei sich der Wein über ihre Hände ergoss. „Verzeihen Sie mein Missgeschick, werte Lady! Ich eile sofort und hole Ihnen ein Handtuch! Entschuldigen Sie mich kurz, Mr…“, sprach Dain höflich und lief auch schon schnellen Schrittes davon. Miceyla hatte damit erreicht was sie wollte und blieb mit dem mysteriösen Mann allein zurück. Sie war auf alles gefasst und fühlte sich weder unbehaglich noch überlegen. Mittlerweile hatte sie an Mut gewonnen, um ihrer angeeigneten Professionalität vertrauen zu können. „Das war ein wirklich grandioses Meisterstück, ich gratuliere. Machen Sie es sich nur nicht zu leicht. Dann sind Sie eben vor dem Lackaffen dran, elende Hexe!“, zischte der Mann verärgert, zeigte dabei jedoch auch ein blutdurstiges Grinsen. „Der Adel vergisst seine guten Manieren nun mal nicht. Dain Eldridge hat dies gerade beispielhaft demonstriert. Und ich spiele liebend gern die Hexe, welche Sie unzüchtigen Dämon austreibt…“, erwiderte Miceyla unerschrocken und sie zückte zeitgleich mit ihrem Widersacher, welcher nicht viel größer als sie selbst war, ein Messer. „Ich erlaube mir zu erwähnen, dass ich ebenfalls von Adel bin. Wie wäre es mit einem Deal? Wir sind doch beide vernünftige Menschen, oder Mrs Moriarty…?“, zeigte er sich kompromissbereit und gab ihr mit einer kurzen Geste zu verstehen ihm zu folgen, bevor Dain verfrüht wieder eintraf. `Aber vom niedersten Adel der tief gesunkenen Klasse…`, dachte sie verächtlich und ging mit höchster Alarmbereitschaft auf dessen Angebot ein. `Na, der scheint sich aber sehr gut hier auszukennen…` Keine einzige Sekunde ließ sie ihn und jede seiner Bewegungen aus den Augen, bis sie einen kleinen Raum betraten, in dem sie völlig ungestört fortfahren konnten. „Es ist ganz simpel, ich lasse Sie und den Viscount in Frieden, wenn Sie mir bestätigen, wer der Meisterverbrecher ist. Ich werde seinen Namen nennen. Ansonsten wird sein Name vor allen Anwesenden im Ballsaal verkündet und nicht nur der Fürst, sondern auch die Leichen einiger Unschuldiger, werden vor den hochrangigen Persönlichkeiten auf einem Silbertablett serviert… Im Grunde genommen nehmen wir dem Meisterverbrecher nur seine Arbeit ab. Ist doch fantastisch, oder? Und ja, ich bin nicht allein…“, forderte der Mann mit selbstbewusster Miene. Miceyla strengte sich an, dass für ihn kein Funken der Verwirrtheit in ihrem Gesichtsausdruck zu sehen war. `Blufft er? Aber nur ein geübter Schauspieler wie Clayton, könnte eine solche Lüge authentisch und ohne mit der Wimper zu zucken rüberbringen… Wenn er tatsächlich über Will Bescheid weiß, kann mir sein Auftraggeber nicht unbekannt sein… Aber es spielt keine Rolle, ich lasse mich von einen miesen Trick nicht verunsichern!` „Sie könnten jeden x-beliebigen Namen nennen. An welchen Beweisen bedienen Sie sich, die Sie der Öffentlichkeit vorlegen wollen? Solche dahergelaufene Tölpel wie Sie, gibt es momentan zur Genüge.“ Ein schriller Entsetzensschrei vom Flur in einiger Entfernung, jagte ihr einen eiskalten Schauer über den Rücken. `Dain Eldridge!` „William Moriarty ist der Meisterverbrecher. Wiederholen Sie den Namen oder dem geldgierigen Drecksack wird der Schädel abgehackt! Und der ach so unschuldigen Lady Moriarty, wird die Schuld für den Mord in die Schuhe geschoben. Beweise für die leichtgläubige Gesellschaft, gibt es im Überfluss. Die Dummheit der Menschen kennt schließlich keine Grenzen… Sie haben sechzig Sekunden…“ Ohne eine Miene zu verziehen, starrte Miceyla den niederträchtigen Ganoven, mit seinem gefährlich geschärften Messer in der Hand an. Sie konnte nicht riskieren, auf den Flur hinauszulaufen, um herauszufinden was dort vor sich ging. Ihr blieb nichts anderes übrig, als alles auf eine Karte zu setzen. `Er soll bekommen wonach er verlangt und anschließend bei einem ewigen Schlaf Reue zeigen!` Kurz bevor die Zeit um war, nahm sie einen tiefen Atemzug und gab mit einer gelockerten Körperhaltung vor sich zu entspannen. „William Moriarty ist der Meisterverbrecher!“, gab sie ihm mit fester Stimme die Antwort welche er hören wollte und unterdrückte ihre Wut, als er höhnisch zu grinsen begann. „Fabelhaft! War doch gar nicht so schwer, oder Teufelsbraut…?“ Es kam wie Miceyla es vorausgesehen hatte. Der Mann brach sein Versprechen und attackierte sie in sekundenschnelle mit einem siegessicheren Messerhieb. Doch noch ehe die Messerspitze ihr gefährlich nah werden konnte, hatte sie sich unter seinem Arm weggeduckt. Und bevor er nach dessen Angriff ins Leere, wieder die Gelegenheit bekam zu reagieren, packte sie seinen Arm und verbog ihn erbarmungslos nach hinten. Nicht einmal die Chance für einen Schmerzensschrei ließ sie ihrem Kontrahenten und schlitzte ihm mit ihrem eigenen Messer in Windeseile die Kehle auf. Ruckartig löste Miceyla ihren Griff von dem erschlafften Körper, von dem nun keine Gefahr mehr ausging und blickte unfreiwillig auf den am Boden liegenden Leichnam, um welchen der dunkle Teppich, aufgrund des Blutes einen kräftigen Rotton annahm. In Momenten wie diesen war sie zwar heilfroh, für Morans ihr beigebrachte Selbstverteidigung, doch würde sie niemals wagen Stolz zu empfinden, wenn sie um selbst überleben zu können, einem anderen Menschen das Leben nehmen musste. Dennoch sah sogar sie mittlerweile ein, dass der Respekt vor einem Scheusal wie diesem Mann, verschwendete Liebesmüh war. Aber ihre Schuldgefühle konnte ihre besinnende Einsicht noch lange nicht lindern. `Der wahre Dämon…bin letzten Endes ich selbst…` Ihr Nacken fühlte sich allmählich steif an und trotzdem besaß sie nicht die Kraft ihren Kopf zu heben. Plötzlich wurde das Knistern, der glühenden Wandfackeln um Miceyla herum hörbar und sie meinte in einem lodernden Feuer zu stehen, dem ihre größte Furcht galt. Dabei glaubte sie, die Manifestation von Williams mächtiger Flamme zu sehen, welche unaufhörlich in seinen funkelnden Augen brannte. `Das Feuer sollte zu meiner beschützenden Kraft werden…aber…wird es am Ende nicht doch mein Untergang sein? Sage es mir, mein Liebster…` Miceyla rang nach Atem, als die schmerzvolle Hitze ihren Körper vereinnahmte und versuchte panisch ihrer realistischen Vision zu entkommen. Nach und nach begann sich der Nebelrauch um sie herum zu lichten und ihre Wahnvorstellungen rückten immer mehr in weite Ferne, als sie leise Schritte auf dem Flur vernahm, die ihr gefährlich nah kamen und eine eisige Kälte wehte die unerträgliche Hitze hinfort. `Was bleibe ich hier auch wie angewurzelt stehen… Wenn ich mit der Leiche entdeckt werde, ist es aus und vorbei… Hoffentlich ist Fürst Eldridge unversehrt geblieben. Nur…wie erkläre ich Sherlock das Ganze…? Ich habe Dain beschützt, wie wir es geplant hatten und nichts falsch gemacht. Manchmal hilft einem nur die Wahrheit weiter. Aber warum ist er solange verschwunden, ohne mir etwas mitzuteilen, das ist nun wirklich nicht seine Art… Sherlock… Du gütiger Himmel, bin ich blind gewesen! Nein…Sherlock…du…bitte nicht…!` Als Miceyla mit einem Mal begriff wie ihr geschah, konnte sie nicht die Kraft aufbringen zu flüchten und ihr Herz klopfte wild im Takt, mit den näherkommenden Schritten auf dem Gang. Und im selben Moment, als die Person für sie sichtbar an der Türschwelle erschien, hätte sie sich am liebsten gewünscht, dass ihr Herz zum Stillstand kam, um sich zu der vor ihren Füßen liegenden Leiche zu gesellen. Eine andere Flucht gab es für sie nicht mehr. `Sherlock…` Sie konnte noch nicht mal seinen Namen laut aussprechen, da ihre Stimme versagte. Ihren besten Freund belogen und getäuscht zu haben, war ihr nun zum Verhängnis geworden. Vom Jäger zur Gejagten, lag sie jetzt in die Enge getrieben in Ketten, ohne jegliche Hoffnung auf eine rettende Handlungsmöglichkeit. Sherlock hatte alles mitangehört und sie stand vor ihm mit einem blutgetränkten Messer in der Hand, neben einem Mann, welchen sie eigenständig das Leben genommen hatte. Alles war dafür geebnet, damit der Meisterdetektiv über sie, den Meisterverbrecher und alle Involvierten richten konnte. `Vergib mir Will, ich bin kläglich gescheitert…` Mit getrübtem Blick sah sie in Sherlocks ausdrucksloses Gesicht. Normalerweise gelang es ihr seine Emotionen zu ergründen und was ihm gegenwärtig durch den Kopf ging. Doch ihre sonst so vertrauliche Nähe, war mit einem Schlag durch eine fremdartige Distanz zerstört worden. Miceyla kam sich mehr als nur dämlich vor, dass sie geglaubt hatte, sich für genau jenen Augenblick wappnen zu können. Es war für sie zu schmerzhaft um es zu ertragen. Auch die Frage wie sie sich nun verhalten sollte, konnte nicht mehr beantwortet werden. Sie musste sich geschlagen geben und warf zum Zeichen ihrer Kapitulation das Messer neben die Leiche und stürmte ohne Sherlock eines Blickes zu würdigen, an ihm vorbei aus dem Raum hinaus. Mit noch immer getrübten Sinnen, rannte sie auf dem Flur in die entgegengesetzte Richtung und hoffte eine Art Hinterausgang des Gebäudes zu finden. „Miceyla!“ Kurz zuckte sie am ganzen Körper zusammen, als ihr Name hinter ihrem Rücken widerhallte. Dennoch blieb sie keinen Moment stehen und es war ihr gleichgültig, ob Sherlock sie verfolgte oder nicht. In dem Labyrinth aus etlichen Gängen und Räumen, fand sie auf die Schnelle keine Tür, durch die sie hätte unbemerkt nach draußen fliehen können. Jedoch entdeckte sie ein niedriges Fenster, das ebenfalls seinen Zweck erfüllte und von welchem sie nur ein Stück weit hinunterspringen brauchte. Es klemmte etwas, aber nach einem kurzen Kraftaufwand, gelang es ihr das morsche Fenster zu öffnen. Ein kräftiger nasser Windstoß, blies Miceyla sogleich unsanft in das Gesicht. Draußen tobte ein Sturm und es regnete in Strömen. Doch selbst der Weltuntergang, hätte sie nicht davon abhalten können hinauszuspringen. Unterhalb blieb sie für eine flüchtige Weile stehen und hob mit geschlossenen Augen den Kopf, um die niederprasselnden Regentropfen auf ihrer Haut zu spüren, welche ihr die Abkühlung bescherten, nach der sie sich gesehnt hatte. Doch es war ihr nicht länger vergönnt innezuhalten und so sprintete sie weiter, durch das nächtliche Unwetter…Der strömende Regen nahm Miceyla die Sicht und dennoch rannte sie unaufhaltsam weiter, ohne auf ihren Verfolger Sherlock zu achten. Ihre Gedanken rasten, da rutschte sie plötzlich aus und stürzte. Zitternd und mit schwerem Atem richtete sie sich wieder auf. Das aufgeschürfte Knie und ihr zerrissenes Kleid ließen sie völlig kalt. Schließlich holte ihr Sherlock sie in einer engen Seitenstraße ein. Mit einem erzwungenen Lächeln blickte sie ihn an. „Ich bin der letzte Abschaum, nicht wahr? Hintergehe meinen besten Freund…“, sprach sie verbittert. Selbst der starke Regen konnte ihm nicht verbergen, dass sie weinen musste. Vor Zorn und ebenso aufgewühlt wie sie es war, umklammerte er seine Pistole, welche noch zu Boden gerichtet war. „Der Meisterverbrecher hat dir eine schreckliche Prüfung auferlegt. Du hättest eine Entscheidung treffen sollen, solange du die Möglichkeit dazu hattest. Ich habe es geahnt und gleichzeitig auch nicht geahnt. Er war…“, Sherlock brach ab, unwissend darüber auf wen oder was er eigentlich wütend sein sollte. „Da irrst du dich, ich habe niemals eine Wahl gehabt. Merkst du es denn nicht? Wir sind alle bloß Marionetten für ihn. Wie verzweifelt ich versuchte etwas zu ändern… Wie sinnlos und dumm von mir… Töte mich… Nun ist die beste Chance dafür. Ich ertrage diese Verzweiflung nicht länger… Ich…ich bin kurz davor alles zu verlieren was mir lieb ist. Erlöse mich…bitte…“ Flehend ging sie vor ihm auf die Knie. Ihre beiden Blicke trafen sich und die Zeit schien still zu stehen. `Nicht nur du verlierst alles…` Gefolgt von seinem letzten Gedanken ertönte ein Schuss, den niemand in dieser schicksalhaften Nacht hören sollte… Mit gesenktem Blick, verharrte sie regungslos auf dem klatschnassen Steinboden und alles was sie verspürte war ihr pochendes Knie und den tosenden Regenschauer. Die Kugel war dicht neben ihr auf dem Boden aufgekommen und Sherlock schritt mit nach unten gerichteter Pistole auf sie zu. „Jetzt hast du mich doch dazu gebracht, eine Waffe auf dich zu richten. Aber ich versichere dir, das wird garantiert das letzte Mal gewesen sein. Sprich nicht so leichtfertig vom Sterben, denke vorher erst darüber nach, wie sehr du damit andere verletzt…“, tadelte Sherlock streng, jedoch überwiegte eine beinahe besorgte Sanftheit in deiner Stimme. Er kniete sich unmittelbar vor Miceyla auf den rutschigen Boden nieder und drückte sie so fest an sich, als wollte er dafür sorgen, dass jeglicher Kummer von ihr wich. Instinktiv schlang sie ihre Arme um ihn und Tränen der Erleichterung und Erschöpfung rollten über ihre Wangen und konkurrierten mit den herabfallenden Regentropfen, welche mit ihr weinten. „Vergib mir Mia, ich musste das auf diese rabiate Weise tun. Die Antwort wäre sicherlich nicht gewesen, wenn ich freundlich gefragt hätte, `Mein lieber Will ist der Meisterverbrecher`“, sprach er entschuldigend und versuchte sie mit einem kleinen Scherz ein wenig aufzumuntern. Sachte löste sie sich von ihm und lächelte zaghaft. „Nein…das hätte ich wohl nicht… Und ich sollte mich eher anständig bei dir entschuldigen. Ich habe dich an der Nase herumgeführt, auch wenn du das Meiste längst erahnen konntest. Die radikale Art bin ich gewohnt. Bei meiner Bewährungsprobe von Will war es ganz ähnlich… Will mag das Böse repräsentieren, welches das wahre Böse von unserer Gesellschaft zu verbannen versucht. Doch in meinen Augen ist er ein Held und Retter. Aber nicht nur ich, unsere Familie und Freunde denken genauso. Und ich weiß, dass auch du ihn auf ewig für seine aufopferungsvollen Taten bewundern wirst…“, ergriff Miceyla emotional für William Partei und der Anblick seines gütigen Lächelns, besänftige ihr kurz vor der Verzweiflung stehendes Herz. „Gewiss…ich werde ihn immer bewundern. Das gilt für euch beide… Damals im Zug…ich habe ihn nicht vergessen, deinen leisen Hilferuf. Liam ist ebenso selbstlos wie du. Ihr habt euch wahrlich gesucht und gefunden… Ich war nie eine Spielfigur auf seinem Schachbrett. Retten sollte ich dich, das war alles. Aber ich rette euch `beide`. Er respektiert mich so sehr, wie ich ihn respektiere. Doch wie er auf meine improvisierte Lösung der Probleme reagieren wird, kann ich dir noch nicht sagen…“, offenbarte Sherlock ehrlich und sah kurz verschwiegen hinab. Voller Neugierde blickte Miceyla ihn an und stellte verwundert fest, dass die unerbittliche Konfrontation mit der Wahrheit, ihr unsichtbares Band noch enger zusammengeschweißt hatte. Ehrfürchtig erkannte sie, welche Macht eine wahre Freundschaft besaß und stellte dabei einen ähnlichen Einfluss auf das Herz fest, wie die Liebe. Dabei erinnerte sie sich an eine ihm in der Vergangenheit gestellte Frage, die sie jedoch hastig aus ihren Gedanken zu verdrängen versuchte… `Du hast natürlich etwas vor… Ich befürchte, dass dadurch alles durcheinandergeraten könnte… Aber wir haben es bis hierher geschafft, dann werden wir uns auch von allem was noch vor uns liegt, nicht abschrecken lassen… Da fällt mir ein…!` Erschrocken kehrte sie in die Gegenwart zurück und sah Sherlock verunsichert an. „Dain Eldridge…hat doch hoffentlich keinen Schaden genommen…oder? Wir haben außerdem einfach die Leiche zurückgelassen und ich war auch noch so zuvorkommend und ließ die Tatwaffe vor Ort…“ Sherlock bemühte sich darum, sein Lachen beim Anblick ihres entsetzten Gesichtsausdrucks zu unterdrücken, was ihm allerdings nicht gelang und er grinste breit. „Tja, was machen wir da bloß? Ein beinahe perfekt verübter Mord, mit einer schlampigen Diskretion im Abgang. Das wird dir Liam aber bestimmt besser beigebracht haben, ha, ha, ha! Keine Sorge Mia, hast du etwa deinen treuen Kamerad vergessen? Er hat sich dafür bereiterklärt, deine hinterlassene Sauerei zu beseitigen. War gar nicht so leicht ihn dazu zu bringen mitzuspielen. Sonst wäre mein bescheidener Plan nach hinten losgegangen. Fred ist dir wirklich ein unersetzlich loyaler Freund. Du hast einige herzensgute Menschen kennengelernt, daran besteht kein Zweifel… Ach ja, Dain Eldridge ist gesund und munter, bis er in einigen Stunden dann wirklich das Zeitliche segnen darf. Ich werde Liam bei seinem Unterfangen freien Lauf lassen. Auf einen Menschen der Böses verrichtet, fällt letztendlich auch Böses wieder zurück. Daher lassen wir den Viscount seine gerechte Strafe erhalten. Aber du kannst mir vertrauen, die Gesetze werden härter. Wir kämpfen schließlich nicht umsonst Tag ein, Tag aus für eine gerechtere Welt…“, verriet er und lächelte so warmherzig, dass sie sogar kurz ihr schmerzendes Knie vergaß. `Also hast du erneut mit Fred gesprochen… Dann brauche ich mir ja wirklich vorerst keine Sorgen zu machen. Verzeih Fred, für die komplizierten Umstände…`, dachte Miceyla beruhigt und hoffte, dass Fred vor der morgigen Rettungsaktion, noch genug Zeit fand um sich etwas auszuruhen. Der kräftige Regen ließ allmählich nach und langsam klebte ihr durchnässtes, violett-weißes Kleid, welches sie sich bei ihrem unsanften Sturz ruiniert hatte, unangenehm an ihrer Haut. „Wirst…wirst du für mich weiterhin Violine spielen…? Bitte spiele für mich, ich liebe deine Musik sehr…“, flüsterte Miceyla leicht verlegen und blickte dabei lächelnd in Sherlocks dunkelblaue Augen, welche sie zuneigungsvoll ansahen. Für einen Wimpernschlag fand sich ein wenig Verwunderung in seinem Gesichtsausdruck, doch nach einem Moment der schweigsamen Stille, legte er ihr behutsam seine linke Hand auf ihre rechte Wange. „Ich werde für dich ganze Serenaden spielen, bis dir die Ohren bluten… Aber versprich mir im Gegenzug dafür, mit dem Bedauern und Beklagen aufzuhören. Selbstmitleid wird weder deine begangenen Taten kompensieren, noch wird es dir die aufgegebene Hoffnung zurückbringen. Denn ansonsten kannst du dich direkt lebendig begraben lassen. Alles was du tun musst, ist einfach zu leben. Daher lebe, Mia… Nicht für mich brauchst du dies zu tun, aber du solltest stets an deine Tochter denken. Evelyn ist dein vorrangiger Grund um zu leben… Du bist doch meine tollkühne Marktplatzmordheldin! Oder hast du deine Verwegenheit, in den schottischen Highlands verloren?“ Miceyla blickte errötet hinab, ehe sie ihm wieder ein strahlendes Lächeln schenkte und entschlossen auf seine liebevollen Worte antworten konnte. „Nein, das habe ich nicht… Genauso wenig, wie du deinen Enthusiasmus für schwierige Fälle verloren hast, mein edler Verfechter der Gerechtigkeit…“ Williams Umgebung lag in absolute Finsternis gehüllt und glich einer Hölle, welche er nur aus seinen düstersten Alpträumen kannte. Bedienstete lagen regungslos in ihrer eigenen Blutlache und auch die Klinge seines Degens war mit Blut benetzt. Zielstrebig stieg er die Treppenstufen in Dain Eldridges Anwesen empor. Ein leises Geräusch im ersten Stockwerk erregte seine Aufmerksamkeit und er hielt inne, um zu überprüfen worum es sich dabei handelte. Kurz darauf erschien ein etwa elf Jahre altes Mädchen, welches mit ihren zitternden Händen ein Messer umklammerte. „B-bist du tatsächlich der Meisterverbrecher? Ich…ich werde meinen Vater vor dir beschützen!“ Williams Herz verkrampfte sich beim Anblick der Tränen in den Augen des Kindes und bei dem Wissen, welche Trauer und Verzweiflung es gerade durchleben musste. Er unterdrückte seine Reue und kniete sich nieder, um mit Dains Tochter etwa auf Augenhöhe sein zu können. „Ja…es ist richtig so, hasse mich ein Leben lang. All deine Wut soll mir gelten. Aber eines Tages wirst du verstehen, dass es bedeutungslos gewesen war, deinen Vater beschützen zu wollen… Wen du an seiner Statt beschützen solltest, ist deinen kleinen Bruder. Er wird dich mehr als jeden anderen brauchen. Sei ein Vorbild für ihn. Ihr habt einander, daher wird keiner von euch jemals allein sein. Gehe weise mit Worten um und greife erst zur Waffe, wenn du alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft hast. So lautet mein letzter Rat an dich… Wie heißt du, meine Kleine?“, sprach William einfühlsam und auch wenn er ihren Namen bereits kannte, versuchte er die Ängste des Mädchens, ein wenig durch ein gewöhnliches Gespräch zu dämpfen. `Ich wünschte Evelyn könnte eines Tages das Glück erfahren, die Verbundenheit mit Geschwistern kennenzulernen. Die Gewissheit jemanden beschützen zu dürfen und selbst beschützt zu werden, macht stärker als jegliche Erfahrungen als Einzelkämpfer an der Front…`, dachte er wehmütig und hatte dabei das liebliche Lächeln, seiner unschuldigen kleinen Tochter vor Augen. „Viola…“, antwortete sie zaghaft und schien nicht recht zu wissen, wie sie auf die Freundlichkeit jenen Mannes reagieren sollte, von dem sie erwartet hatte, dass er den unberechenbaren Charakter einer wilden Bestie besäße. „Sei für deinen Bruder in jeder Lebenslage da, Viola. Auch ich habe einen kleinen Bruder und wir unterstützen uns zu jeder Zeit gegenseitig…“ `Und nun ist die Zeit der Rechenschaft gekommen… Kämpft zusammen, verbündet euch gegen das wahre Übel. Ihr werdet erkennen, wie nichtig dabei Rang und Familienname doch eigentlich sind…` Mit glasigen Augen blickte Amelia hinab und bekam mittlerweile den pessimistischen Gedanken, dass man es bereits aufgegeben hatte sie retten zu kommen. Auch wenn ihr bewusst war, dass Miceyla selbst durch Feuer gehen würde um sie zu befreien. Denn ein weiteres Mal, wollte sie die schmerzliche Erfahrung des Verlustes, sicherlich nicht durchleben… Harley war nun schon einen ganzen Tag nicht bei ihr gewesen und sie witterte eine entfernte Anspannung. Untätig rumzusitzen brachte sie beinahe um den Verstand. Aber es erstaunte sie selbst, wie es ihr dennoch gelang ruhig zu bleiben. Die Zeit verstrich und Amelia bemerkte sogar im Halbschlaf, dass sich etwas ihrer Zellentür näherte und vernahm den sachten Klang eines dumpfen Geräusches. Wachgerüttelt riss sie die Augen weit auf und schärfte all ihre Sinne für ein mögliches Unheil, das auf sie zukam und die Verwundbarkeit ihrer momentanen Schwäche zum Vorteil nutzen könnte. Sie erhob sich angespannt und konnte nun doch froh darüber sein, dass ihre Fesseln gelöst worden waren. Die Tür wurde leise von außen aufgeschlossen und sie wagte auf eine Gelegenheit zur Flucht zu hoffen. „Amelia!? Geht es dir gut? Vergib uns, dass wir so lange gebraucht haben, um dich hier rauszuholen…“ Sie entspannte sich reflexartig wieder und das befreiende Gefühl der Erleichterung überwältigte sie. `Fred…` Amelia blickte in dessen sorgenvolles Gesicht und es verschlug ihr die Sprache, derart froh war sie ihn zu sehen. Etwas verzagt darüber, dass sie ihm keine Antwort gab, blickte er betrübt hinab. „Du bist sicher enttäuscht, dass Clayton gerade nicht vor dir steht…“ Fred stoppte abrupt im Satz, da Amelia ohne Vorwahrung auf ihn zugestürmt kam und ihm um den Hals fiel. „Ich hatte solche Angst, Fred… Du glaubst gar nicht wie überglücklich ich bin, dass du mich retten gekommen bist. Danke, ich danke dir von ganzem Herzen, Fred…“, sprach sie liebevoll und ließ ihren Tränen nun freien Lauf. Unendlich gerührt und beruhigt von Amelias ungewohnter Warmherzigkeit ihm gegenüber, legte er sanft seine Arme um sie. Aufgrund des starken Regens vergangener Nacht, hatten sich die Wiesen in eine reine Sumpflandschaft verwandelt. Doch Clayton ließ sich von seinem matschigen Untergrund nicht beirren und stand lässig an einem Baum, außerhalb von Dains Anwesen angelehnt und behielt die Umgebung im Blick. Die Nachricht des anonymen Meisterverbrechers, verbreitete sich unter den Bürgern Londons wie ein Laubfeuer. Und Scotland Yard hatte alle Hände voll damit zu tun, die aufgebrachte Meute vor dem Anwesen in Schach zu halten. Claytons Mundwinkel formten sich beim Anblick der dramatischen Szene, zu einem amüsierten Schmunzeln. Ausnahmsweise war er froh darüber, bei der Mission nur als Nebenfigur zu fungieren und nicht an vorderster Front mitzumischen. Er wollte sein unscheinbares Leben in der Schattenwelt noch weiter als Vorteil nutzen. Dennoch empfand Clayton William gegenüber Respekt, dass dieser seine wahre Identität freiwillig der Welt präsentierte. Sein unabänderbares Opfer für den Erfolg seines Vorhabens. `Der Moment deines großen Auftritts ist gekommen, Sherlock Holmes. Schnapp ihn dir, der Meister aller Verbrechen gehört dir. Und rette die funkelnde Perle aus dem pechschwarzen Abgrund, ehe ihr Leuchten auf ewig erlischt. Zwar bleibt er ungeschlagen, aber neidisch auf seine selbstzerstörerische Rolle bin ich nun wirklich nicht…`, dachte er melancholisch, während er sich die Bilder des weiteren Verlaufs in Gedanken ausmalte. Geduldig wartete er bei seinem versteckten Posten seitlich des Anwesens und würde Amelia und Fred eine sichere Flucht ermöglichen, bei der sie unentdeckt blieben, damit William die komplette Aufmerksamkeit gelten konnte. Für einen kurzen Augenblick unterbrach er seine gelockerte Haltung und spannte seinen gesamten Körper an, als er Schritte einer Person hinter sich hörte, die durch das matschige Gras marschierte und mit etwas Abstand neben ihm zum Stillstand kam. Claytons Hand wanderte bereits zu seinem Degen, doch es gelang ihm mehr oder minder, sich mittels ruhiger Atemzüge einigermaßen zu beherrschen. „Heute Nacht haben wir Blutmond, Clay. Mittlerweile wurde derart viel Blut vergossen, dass der gesamte Mond darin getränkt werden könnte. Ein wahres Kunstwerk, das Spiegelbild unserer verdorbenen Welt, oder?“ „Vielleicht solltest du von Zeit zu Zeit mal selbst in den Spiegel schauen, dann siehst du wer hier wirklich verdorben ist, Harley… Da dir die Rolle des heimtückischen Zuschauers so viel Genuss bereitet, werde ich dir ein Bühnenstück präsentieren, welches dir wortwörtlich die Luft zum atmen rauben wird. Dein hochgeschätzter Blutmond, kann bald dank dir wahrlich erstrahlen…“, blaffte Clayton mit zusammengekniffenen Augenbrauen und versuchte seine Stimme, trotz seines Zornes einigermaßen gedämpft zu halten. „Hach, deine wärmenden Worte schmeicheln mir wie eh und je! Bei deinem finalen Bühnenstück, werde ich einen Platz in der vordersten Reihe belegen, das verspreche ich dir. Aber gib Acht, ob es überhaupt noch so weit kommen mag? Ich habe nämlich den Eindruck, du seist etwas zu festgefahren in deiner Fantasie. Dies könnte dir zum Verhängnis werden… Als erfahrener Schauspieler müsstest du doch gelernt haben, dass im Theater häufig improvisiert wird. Auch andere machen sich das zu Nutze, mein Guter… Und denke immer daran, wer der Hauptsponsor des Waisenhauses ist…“, erwiderte Harley daraufhin unbeeindruckt und schenkte ihm ein düsteres Lächeln. „Nur ein herzloser Teufel, würde unschuldige Kinder wieder auf die Straße setzen. Ach ich vergaß, ich spreche ja gerade mit einem… Aber ich habe alles aus eigener Kraft erreicht, ganz ohne Vermögen und Adelstitel. Das sollte ich doch beweisen, oder etwa nicht? Doch meine mir zugänglichen Möglichkeiten, habe ich noch nicht vollends ausgeschöpft. William gab mir eine Menge Inspiration musst du wissen…“, ging Clayton widerwillig weiter auf ein Gespräch mit seinem Erzfeind ein und sein Blick wanderte flüchtig vom Anwesen zu ihm hinüber. Er würde sich selbst niemals verzeihen können, wenn aufgrund seiner Unaufmerksamkeit etwas bei der Mission schiefginge. Allerdings vermittelte Harley ihm nicht den Eindruck, dass er gekommen war um Unruhe zu stiften. Sein plötzlicher ernster Gesichtsausruck verwunderte ihn beinahe. „Wenn dem so ist müsstest du eigentlich am besten wissen, was unser fortschrittliches Land vergiftet. Nur die kleine Minderheit profitiert vom Wohlstand. Forschung und Wissenschaft werden gnadenlos ausgenutzt. All die klugen Köpfe, sind nur die unscheinbaren Sklaven im Hintergrund. Ich könnte aus dir einen erfolgreichen Physiker machen, vor dem die Menschen jeden Standes, aus Ehrfurcht vor dessen Wissen und Macht niederknien. Du brauchst nur den Willen dazu und mit mir gemeinsam das Herz des wahren Übels zu vernichten. Zusammen würde uns das problemlos gelingen. Es fühlt sich unbeschreiblich greifbar an, so detailgetreu vermag ich es mir vorzustellen…“, schwärmte Harley überheblich. Clayton stieß einen langen Seufzer aus und musterte ihn nun doch etwas eindringlicher. Selbst in der Dunkelheit besaß Harley ein stattliches Antlitz und eine beinahe königliche Würde. Obwohl er sich keinesfalls etwas auf seine hohe Position einbildete. Dieser Mann hatte am eigenen Leib erfahren, wie hart es sein kann für Erfolg zu arbeiten und genau jene Erfahrung erwartete er selbst auch von anderen um diese anzuerkennen. „Warum ist dir die Monarchie ein Dorn im Auge, Harley? Die Menschen mit königlichem Blut kennen ebenfalls Leid und sind an Regeln und Pflichten gebunden, welche sie an eine Verantwortung fesseln, die keiner von uns freiwillig tragen möchte… Ehe ich mich mit dir verbünde und bei deinem selbstsüchtigen Krieg mitmache, beschwöre ich ihn lieber herauf, den gemeinsamen Untergang der Familien Granville und Fairburn. Die Familien Moriarty und Holmes sind die Hoffnungsträger der Gesellschaft. Du bist hier derjenige, der am wenigsten fortschrittlich denkt. Ein Drahtseilakt zwischen Fantasie und Realismus, ist eine hohe Kunst welche nicht jedem gelingt…“, brachte Clayton voller Selbstüberzeugung seine Meinung zum Ausdruck und hoffte, dass er nicht noch länger durch Harleys Anwesenheit gestört wurde. „Wie du meinst… Dann soll deine Zukunft, ebenfalls in den Flammen des Krieges verbrennen. Lassen wir das Schauspiel fortfahren und begraben wir diesen Akt, als unsere letzte Konversation mit `Anstand`. Grüße deinen Vater von mir. Vor meinem geistigen Auge, sehe ich noch immer sein Blut an deinem Degen kleben. Und ich glaube kaum, dass er seinem Mördersohn vergeben wird…“, verabschiedete Harley sich nun höhnisch und ließ sich nicht anmerken, ob er nun zufrieden oder enttäuscht über den Ausgang ihres Gesprächs war. Clayton lief vor Wut rot an und zog mit einem blitzschnellen Handgriff seinen Degen. Doch anstatt den sich entfernenden Harley zu attackieren, trennte er einige Äste des Baumes neben ihm ab. Dabei biss er die Zähne fest zusammen, denn sonst wäre ihm ein wilder Zornesschrei entglitten, der all seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätte. „Rasch raus hier! Wir sind bereits im Verzug! Gleich wird die protzige Bude abgefackelt!“, rief ein vorausstürmender Moran, der aus einem der Fenster heraus gesprungen kam. „Immer müssen wir alles niederbrennen… `Dies ist die effektivste Art Beweise zu beseitigen`, ich weiß… Aber spielt das jetzt überhaupt noch eine Rolle, wo wir ohnehin mit offenen Karten spielen?“, murmelte Fred hinter ihm etwas verdrießlich. An seiner Seite befand sich Amelia, welche Dains junge Tochter an der Hand hielt die kläglich weinte. „Ich gehe nicht ohne meinen Bruder! `Er´ hat gesagt das ich ihn beschützen muss! Und das werde ich auch! Meine Eltern wurden mir genommen, aber mein Bruder… Nein…ich will nicht allein sein!“, flehte Viola verbittert und versuchte sich mit ihren schwachen Kräften von Amelia loszureißen. „Tut mir ja wirklich leid Kleine, aber wir haben bereits alles abgesucht und konnten ihn nirgends finden. Das habe ich nun schon zig mal widerholt. Doch zwei unserer Freunde sind noch im Anwesen und werden deinen Bruder ganz bestimmt rausholen. Bald seid ihr also wieder vereint“, log Moran leicht genervt, um das jammernde Mädchen ruhig zu stellen. Fred blickte Viola mitleidvoll an und war dabei erzürnt über Morans mangelndes Taktgefühl und fehlende Geduld. „Ich werde noch mal hineingehen. Wir haben nicht gründlich genug gesucht. Ich finde deinen Bruder, das verspreche ich dir, Viola“ Fred war schon drauf und dran erneut im Anwesen zu verschwinden, doch ein entschlossener Handgriff auf seiner Schulter hielt ihn davon ab. „Ich übernehme das. Du hast dich bereits genug in Gefahr gebracht. Nun bin ich an der Reihe mit meinem Auftritt. Beschütze du Amelia und das Mädchen für mich vor diesem groben alten Henker“, sprach Clayton mit ernster Miene. Nach seinem aufwühlenden Gespräch mit Harley, konnte er ohnehin nicht mehr länger die Füße still halten und wollte eine Aufgabe übernehmen, die ihm in seinen Augen gerecht erschien. „Du kannst jetzt nicht einfach da drin herumspazieren! Wenn du mit abgefackelt wirst, geht mir das am Allerwertesten vorbei! Aber William darf niemand in die Quere kommen. Was wenn du von einem der Schaulustigen gesehen wirst? Halb London lungert hier herum. Denke an deine Verpflichtungen gegenüber dem Moriarty-Plan! Und ich dachte du würdest bloß Mädchen retten und all die hilflosen Jungen lässt du elendig verrecken!“, brüllte Moran mit unterstreichenden Armbewegungen. Clayton ließ sich von seinen zurechtweisenden Worten nicht beeindrucken und seine blauen Augen fixierten ihn lediglich kurz mit einem gehässigen Funkeln. „Ich kann mich nicht entsinnen, irgendwelche Verpflichtungen euch gegenüber zu haben! Fahrt zur Hölle mit euren ach so perfekten Plänen! Reize mich besser nicht noch mehr, `Oberst`! Mein Zorn ist bereits auf seinem Höhepunkt angelangt. Und Befehle eines gefallenen Soldaten, nehme ich erst recht nicht entgegen! Nimm lieber wieder deine Knarre in die Hand und knall weiter deine `Feinde` ab! Allein dafür bist du zu gebrauchen!“, fluchte Clayton ungehalten, wobei ihm seine Respektlosigkeit gegenüber dem gestanden Soldaten, welcher die Narben des Krieges im Herzen trug, völlig gleichgültig war und sprintete in das Anwesen, ehe ihr Streit eskalierte. `Louis und Irene haben die Residenz garantiert ebenfalls bereits verlassen. Nur William wird aus den Flammen der Verdammnis emporsteigen und sich vor dem unwissenden Volk entblößen… Aber warum hat keiner über einen sichereren Rettungsplan für die Kinder nachgedacht…?` Trotz des Zeitdrucks, versuchte Clayton strukturiert bei seiner Suche nach dem Jungen vorzugehen und hoffte dadurch eine höhere Erfolgschance zu haben. Da gab es plötzlich einen explosionsartigen Knall und grelle Flammen erhellten seine Umgebung. Kurz kniff er die Augen zusammen und hielt seinen Arm vor das Gesicht, um sich vor dem blendenden Licht zu schützen. Doch selbst der tödliche Rauch und die brennende Hitze konnten ihn nicht von seiner Suche abhalten. Von Raum zu Raum rannte er, aber nirgends war ein Lebenszeichen des Jungen zu entdecken und das Feuer um ihn herum breitete sich weiter bedrohlich aus. Für einen Moment hielt er inne, als er die Leiche von Dain Eldridge auf dem Fußboden erblickte. Auf einmal vernahm er ein leises Schluchzen, welches in dem Knistern des Feuers beinahe unterging. Eilig lief er zu einem offen stehenden Raum, in dem vor einem Balkon Dains Sohn stand. Um ihn herum warteten die Flammen nur darauf, seinen zierlichen Körper zu verschlingen. Zu Claytons Überraschung hatte der Junge ihn bereits bemerkt und drehte sich mit einem Gesichtsausdruck zu ihm herum, in dem keinerlei Furcht und Verzweiflung vorzufinden war. Viel eher stand ihm eine Gleichgültigkeit ins Gesicht geschrieben, die ihr Schicksal akzeptierte. Für einen etwa achtjährigen Jungen war es untypisch, aufgrund der misslichen Lage nicht in Panik zu geraten. „Mein Vater hat schlimme Dinge getan… Ich habe davon gewusst, doch hüllte mich in Schweigen… Und nun ereilt uns alle dieselbe gerechte Strafe… Ein Verbrechen zu vertuschen ist ebenso schwerwiegend, wie selbst eines zu verüben… Ich bin bereit das Fegefeuer der Hölle zu betreten, werden Sie mich dorthin geleiten…?“, sprach der Junge mit einer fast harmonischen Stimme und sein unbekümmertes Lächeln, ließ Clayton trotz der glühenden Hitze das Blut in den Adern gefrieren. „Ich werde dich aus der Hölle, zurück nach draußen in das Leben geleiten… Deine Schwester Viola wartet auf dich! Hast du sie etwa vergessen?! Raus hier jetzt, sonst wird uns beide, das Fegefeuer wirklich zu einem Häufchen Asche niederbrennen!“, versuchte Clayton den Jungen aus dessen pessimistischen Trancezustand wachzurütteln und zog ihn hastig am Arm zu sich. „Vorsicht!“ Kurz nach Claytons Warnruf, wurde der schmale Balkon aufgrund des Feuers zum einstürzen gebracht. `Wir müssen einen einigermaßen sicheren Weg hinaus finden. Aus dieser Höhe kann ich mit dem Kind aus keinem Fenster springen…` Ohne länger nachzudenken, machte er kehrt und zog dabei den Jungen an der Hand hinter sich her, welcher glücklicher Weise keinen Widerstand leistete. Zusammen bahnten sie sich einen Weg durch das niederbrennende Anwesen und Clayton blieb nichts anderes übrig, als die Treppe hinunter zur Eingangshalle zu wählen. „Mörder!“ Aus dem Nichts sprang plötzlich ein finster dreinblickender Mann auf ihn zu, der erbarmungslos eine Pistole auf ihn richtete. Ehe dieser abdrücken konnte, durchbohrte Clayton dessen Brust mit seinem Degen. `Stürmen jetzt schon vereinzelte Bürger hier hinein und holen sich freiwillig den Tod…?! Scotland Yard ist wirklich über die Maße unzuverlässig…`, dachte er verdrießlich und blickte verschreckt zu dem Jungen hinab, welcher stark hustend nach Atem rang. „I-ich…kriege k-keine…Luft…“, keuchte er heiser und begann zu schwanken. Clayton nahm ihn auf den Arm und sprang in Höchstgeschwindigkeit die Treppenstufen hinab. Die unerträgliche Hitze trieb ihm selbst Schweißperlen auf die Stirn und der stickige Rauch brannte unerträglich in seiner Lunge. Im Zentrum der Eingangshalle stand eine Person, hervorragend wie ein dunkler Schatten in all den grellen Flammen, die sich langsam in Richtung Tür in Bewegung setzte. Doch deren goldblondes Haar wirkte wie ein rettender Stern, der einen zum Ausgang des endlosen Tunnels geleiten sollte. Dennoch drosselte Clayton nicht sein Tempo und rannte ebenfalls weiter, auf den rettenden Ausgang der Hölle zu. „Clayton…“, hauchte William leise dessen Namen und für einen kurzen Moment konnte man erkennen, wie ein Funken zögernder Unsicherheit in seinen rubinroten Augen aufflackerte. Er verharrte regungslos auf der Stelle und ließ Clayton an sich vorbeilaufen. „Verzeih mir, William, aber ich muss den Jungen retten…“ `Lass mich bitte draußen einfach unauffällig verschwinden. Bis jetzt ist mir dies immer gelungen… Wie töricht von mir… Ich rase geradewegs auf eine Bühne mit hochgezogenem Vorhang zu…` Mit einem letzten gewaltigen Sprung, sprang er hinaus ins Freie, wo der Junge rasend schnell die rettende Luft einatmete. Wenige Sekunden später und er wäre im Gebäude erstickt. Dains Sohn befand sich außer Lebensgefahr. Doch dafür schnürte sich Clayton die Kehle zu, als er sich seines pompösen Publikums bewusst wurde. Er fühlte sich den Blicken von unzähligen Dämonen hilflos ausgesetzt, die sein Leib in Stücke zerreißen wollten Mit wild klopfendem Herzen, versteckte er seinen blutgetränkten Degen hinter dem Rücken. „Raus mit der Sprache, Mr Holmes! Wir haben lange genug nach der Pfeife dieses Unruhestifters getanzt! Welcher Name soll den nun auf seinem Grabstein stehen?!“ Sherlock hielt seinen Blick gesenkt und warf seine qualmende Zigarette vor das brennende Anwesen. Ohne Hast hob er den Kopf und richtete seinen Blick mit einer schaurigen Düsternis in den Augen geradeaus. „Meine Gentleman, er steht vor Ihnen! Der Meisterverbrecher, Clayton Fairburn!“ Liebes Tagebuch, 7.6.1881 Der Regen hatte nur eine flüchtige Abkühlung gebracht. Ich spüre bereits die Hitze des nächsten Feuers… Hier warte ich nun, die Anspannung ist kaum zu ertragen. Ich habe mich freiwillig dafür entschieden, mit Albert und Miss Moneypenny im Anwesen zu bleiben. Denn ich gestehe, dass meine körperliche und geistige Kondition, für den Umfang der Mission nicht ausgereicht hätten. Albert bleibt an meiner Seite, da ein möglicher Überfall auf unser Anwesen nicht auszuschließen ist. Und Sherlock ist unserer Freundschaft treu geblieben. Mir fällt wirklich ein Stein vom Herzen. Es war für mich ein unsagbar unangenehmes Gefühl, als ich Will berichtete, was am Abend auf dem Ball geschehen war… `Sagte ich nicht, dass sich alles von alleine ergeben wird? Euer Vertrauen zueinander, ist stärker als jede Gesetzesgewalt…` Viel mehr hatte er dazu nicht gesagt. Sein gelassenes Lächeln…enttäuschte mich fast etwas. Immer öfter habe ich den Eindruck, dass er seine wahren Gefühlte vor mir verbirgt. Was kann ich nur tun, um ihm seine erdrückende Last wenigstens etwas abzunehmen…? Und was geschieht wohl, wenn die ganze Welt nun die Identität des Meisterverbrechers kennt…? Jedoch sagt mir mein Gespür, dass die Menschen sich bald über ein ganz anderes `Problem` , weitaus größere Sorgen machen werden… Es braut sich ein Sturm zusammen, in dessen Zentrum Harley Granville die Fäden zieht. Dennoch wird nicht er der alleinige Grund sein, dass ein Krieg auszubrechen drohen wird. Zeit das sich das Königshaus und die Regierung erheben und ihr strategisches Geschick demonstrieren. Sonst ist das Militär drauf und dran, seine eigenen Befehlshaber zu überrollen. Wie immer bleiben mir momentan nur die Geduld und das Vertrauen in meine Kameraden. Was ich mir zudem erhoffe ist, dass meine Freundschaft zu Emily und John ebenfalls bestehen bleibt, wenn sie die Wahrheit erfahren haben… Der Fluch im Spiegel Nun lege ich all meine Waffen nieder, entspanne den Geist und meine Glieder. Die ewige Flucht macht mich träge, ich dachte es sei ein Fluch der auf mir läge. Für mich bist du wie ein Spiegel, ich sehe wie ich verkomme hinter Schloss und Riegel. Du führtest mich auf eine falsche Fährte, dies ist was mich jenes Schicksal lehrte. Der Frieden erschien mir so unglaublich kostbar, die Vergangenheit lässt sich nicht ändern, mir ist dies klar. Gehorsam verpflichtete ich dir meine Treue, wie sehr ich mich auf den Anfang vom Ende freue. Ich bin mir selbst mein größter Feind, aufrichtige Liebe kann fortbestehen wie mir scheint. Schenken wir uns gegenseitig die Freiheit, es steht ein gefahrloseres Leben für uns bereit. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)