Das Schlachthaus in der Minton Street von ReptarCrane ================================================================================ Kapitel 13: Chapter 4 - 1 ------------------------- „Also steht das Haus wirklich leer!“ Eddies Stimme klang ebenso erleichtert, wie er sich fühlte, mit einem tiefen Seufzen warf er seine Tasche in die Ecke neben dem Kleiderschrank und ließ sich selbst auf sein Bett fallen. Victor war grade im Begriff, die Tür zu schließen, als sich Styx noch ins Zimmer quetschte und mit einem Satz neben Eddie auf die Matratze sprang. Nun lag er halb auf dem Notizbuch, das Eddie auf dem Weg nach oben aus seiner Tasche geholt hatte. „Nun, vermutlich steht es leer“, berichtigte Victor ihn, während er sich vor dem Bett auf den Teppich setzte. „Oder vielleicht auch von Geistern bewohnt, wer weiß!“ Der letzte Satz hatte spöttisch geklungen, und Eddie wusste, dass es nichts weiter als ein Witz gewesen war. Victor glaubte nicht an Geister, und er selber tat das auch nicht…nicht wirklich… aber der Gedanke war eben doch ziemlich spannend… Styx stieß ein unwilliges Knurren aus, als Eddie das Notizbuch unter seinen Pfoten hervorzog und es aufklappte. Der Einband fühlte sich wirklich alt an, doch nicht wirklich so alt, als würde er aus dem vorletzten Jahrhundert stammen… während er ein weiteres Mal durch die Seiten blätterte, in der Hoffnung, vielleicht doch noch irgendwo einen Hinweis auf die genaue Herkunft dieses Buches zu finden, murmelte Eddie abwesend: „Ich würde aber wirklich gerne wissen, wer diese Notizen gemacht hat! Und warum er das Buch da liegen gelassen hat… beziehungsweise, wieso da überhaupt noch so viel liegt! Nimmt man seine Sachen nicht eigentlich mit, wenn man umzieht?“ Er selbst war noch nie umgezogen, hatte sein ganzes Leben lang in diesem Haus gelebt, Victor jedoch zuckte mit den Schultern und erwiderte: „Als wir nach Seborga gezogen sind haben wir auch jede Menge Kram im alten Haus gelassen. Mein Vater hatte… nicht wirklich Nerven dazu, das alles zusammenzupacken… er wollte da eigentlich nur weg.“ Zum Ende hin war seine Stimme brüchig geworden, hatte zu zittern begonnen, und nun senkte Victor den Blick und drehte sich von Eddie weg, ganz so als wollte er nicht dass dieser seinen Gesichtsausdruck sehen konnte. Eddie starrte ebenfalls zu Boden. Er kannte diesen Tonfall von Victor, hatte ihn bereits einige Male so reden hören, und er wusste, dass das Beste, was man in dieser Situation tun konnte, war, abzuwarten. Normalerweise dauerte es nicht lange, bis Victor sich wieder gefasst hatte, doch das änderte nichts daran, dass Eddie sich währenddessen jedes Mal unglaublich hilflos fühlte… Tatsächlich hob Victor nach einigen Augenblicken wieder den Kopf, und als er weitersprach klang seine Stimme wieder ganz normal: „Vielleicht wollten die Bewohner den Kram loswerden. Vielleicht liegt das alles auch schon ewig im Keller, und der eigentliche Besitzer ist verstorben, und keiner hatte Lust den Kram auszusortieren…“ Er zuckte mit den Schultern, überlegte kurz. „Ich weiß ja auch nicht, wie groß dieses Haus ist. Nach dem was diene Mutter erzählt hat, muss das ja ein ziemlich großes Grundstück sein…“ „Ja, schon“, stimmte Eddie ihm zu. Nachdenklich lehnte er sich zurück, rief sich die Bilder des Hauses zurück ins Gedächtnis. „Also… ich hab eigentlich wirklich nur dieses Haus gesehen… es sah nicht aus wie ich mor ein Schlachthaus vorstelle. Ställe hab ich auch keine gesehen…“ „Na ja, gut, das war achtzehnhundertnochwas. Die Ställe können ja auch abgerissen worden sein…“ „…vielleicht hat das Haus auch einen Hinterhof.“ Beinahe krampfhaft versuchte Eddie, sich daran zu erinnern, ob es dort irgendeinen Durchgang gegeben hatte, eine Gasse oder etwas ähnliches, das zu einem Hof oder einem Garten hätte führen können, doch wäre dem so gewesen, dann hätte er sich auf seiner Flucht wohl kaum durch das zerbrochene Fenster gequetscht. Daher fügte er hinzu: „Vielleicht kommt man da aber nur durch das Haus hin. Von außen war das alles eigentlich ein einziger grauer Block mit einer Haustür und dreckigen Fenstern!“ Vielleicht hatte es auch am Anfang der Minton Street einen Weg zu einem Hinterhof gegeben. Dort hatte Eddie nach seiner Erkenntnis, in eine Sackgasse gerannt zu sein, natürlich nicht mehr hinlaufen können; er war schließlich nicht lebensmüde. So oder so - sein Entschluss, noch einmal zu dem Haus zu gehen und sich dort genauer umzusehen, festigte sich mehr und mehr. Er klappte das Notizbuch zu, ohne dass er irgendetwas neues darin gefunden hatte, und betrachtete erneut den Einband, der von Rissen und Flecken überzogen war, aber dennoch robust wirkte. Mehr zu sich selbst als zu Victor murmelte er: „Aber wen gehört dieses Buch, und warum hat er das alles aufgeschrieben?“ Nun stand Victor auf und setzte sich neben Styx auf das Bett, während er den Hund im Nacken kraulte betrachtete er ebenfalls das Buch. „…eigentlich würde ich ja sagen, dass sowas wirklich gut zu einem Schlachthaus passt…“ Er grinste. „In Horrorfilmen zumindest.“ Eddie nickte, grinste ebenfalls. „Ja, in einem Horrorfilm hätten die Crichtons ihre Kinder wirklich umgebracht, aber statt sie nur zu essen haben sie umfangreiche anatomische Studien durchgeführt und festgehalten, was sie in den aufgeschnittenen Körpern vorgefunden haben!“ „Für die Wissenschaft!“, ergänzte Victor theatralisch. „Was sollte man damals auch machen; entweder man hat Leichen vom Friedhof geklaut oder eben die Leute frisch umgebracht! Vielleicht wollte einer von den Eltern ja auch eigentlich Arzt werden…“ „Oh ja, das klingt wirklich nach dem Plot einer Horrorgeschichte!“ Eddie musste zugeben, dass dieser Gedanke ihn faszinierte, und vielleicht könnte er aus dieser Idee etwas machen, sie in seiner geplanten Geschichte verarbeiten… doch bei der Antwort auf die Frage, wer der Urheber dieses Buches gewesen war, half ihm das nicht wirklich weiter. „Ja, das klingt wirklich ganz spannend…“, fügte er hinzu, noch immer den Einband des Büchleins studierend. „Aber wenn ich grade am verhungern bin, dann habe ich wahrscheinlich andere Sorgen als an meinen toten Kindern anatomische Studien durchzuführen… wenn man jetzt von der langweiligen Version ausgeht, dass die Familie einfach erfroren und verhungert ist, und niemand umgebracht wurde!“ „Auch wenn man jemanden umbringt, um ihn eben zu essen, hat man da wahrscheinlich nicht wirklich die Nerven zu…“, ergänzte Victor, doch irgendwie klang er dabei nicht wirklich überzeugt. Wieder musste Eddie grinsen. „Ach, gib’s zu, Frankenstein, du würdest wahrscheinlich verhungern weil du so fasziniert vom Innenleben des Körpers wärst, dass du vergessen würdest dass du ihn eigentlich essen wolltest!“ „Oh, wow, gut zu wissen, was du mir zutraust!“ Victor versuchte, beleidigt zu klingen, doch das gelang ihm nicht wirklich, und wieder einmal war Eddie sehr froh darüber, dass sein Freund seinen morbiden Humor verstand, für den die meisten Leute ihn lediglich vorwurfsvoll ansehen würden. Victor warf einen weiteren Blick auf das Notizbuch, um dann das auszusprechen, was Eddie sich ebenfalls bereits gedacht hatte: „Aber das Ding sieht nicht so aus, als wäre es über einhundert Jahre alt. Alt ja, aber so alt…“ Er schüttelte den Kopf. „Vor allem wenn du sagst, in diesem Keller war alles voller Pilze. Demnach hat es da wahrscheinlich noch gar nicht so lange gelegen…“ Dieser Gedanke, obgleich er Eddie schon selbst im Hinterkopf herumgeschwebt war, lies ihn nun wieder um einiges unruhiger werden. Ja, das Buch war verstaubt gewesen, im Grunde genau so verstaubt wie alles andere in diesen Raum, aber wenn es nun doch erst nach allem anderen dort hingelegt worden war…? Wann sollte das gewesen sein? Warum? Von wem? Offensichtlich war ihm seine Beunruhigung deutlich anzusehen, denn Victor fügte seinem vorigen Satz hinzu: „Was jetzt nicht heißt, dass du glauben musst, dass da erst vor ein paar Tagen jemand war oder so. Aber dann ist es wahrscheinlich nicht aus der Zeit, in der sich diese ganze… Familientragödie da abgespielt haben soll.“ Eddie nickte langsam. Das klang einleuchtend. Auch wenn die Vorstellung, die Schlachterfamilie habe sich damals ausführlich mit der menschlichen Anatomie beschäftigt und eigene „Studien“ durchgeführt, natürlich faszinierend, wenngleich auch grausam war… „Vielleicht hat da ja mal ein Arzt gewohnt“, schlug er stattdessen vor, und griff damit seinen ersten Gedanken auf, der ihm noch in diesem Keller gekommen war als er das Buch zum ersten mal durchgeblättert hatte. „Oder ein Lehrer, oder jemand, der sich eben so für Anatomie interessiert wie du. Ich find’s nur… wirklich spannend! Sowas findet man ja jetzt auch nicht alle Tage!“ „Man klettert ja auch nicht jeden Tag in Kellerräume von verlassenen Gebäuden!“, ergänzte Victor, und das stimmte natürlich… obgleich Eddie auch vorhatte, das zumindest in den nächsten Tagen zu ändern. Unsicher blickte er seinen Freund an, zwar hatte Victor bereits gesagt, dass es mitkommen würde in dieses Haus, doch war Eddie sich mit einem Mal nicht mehr sicher wie ernst es ihm damit gewesen war, und wenn er ehrlich war, dann behagte ihm der Gedanke, sich dort alleine weiter umzusehen, nicht wirklich. Darum fragte er: „Also… du würdest wirklich mitkommen? Ich… hab mir gedacht, dass ich morgen nach der Schule noch mal da hin will. Würde dir das passen?“ Es klang ein wenig so, als würden sie sich für ein Schulprojekt in der Bibliothek verabreden, nur dass dieses Unterfangen wohl noch um einiges interessanter werden würde. Victor schien einen Augenblick zu überlegen, dann nickte er. „Ja, sollte kein Problem sein. Ich bin gespannt, was du da für einen Ort gefunden hast!“ Er klang wirklich begeistert, und Eddie atmete erleichtert auf, er hatte wirklich befürchtet dass Victor es sich anders überlegt haben könnte, aus welchem Grund auch immer. „Super!“, rief er, wobei er merkte, dass er viel zu laut sprach, weshalb er in leiserem Tonfall fortfuhr: „Diesmal sag ich Mom auch vorher Bescheid, damit sie nicht wieder einen halben Nervenzusammenbruch kriegt. Und ich nehm auch eine Taschenlampe mit. Hast du auch noch eine?“ Victor nickte. „Super!“ Zufrieden lehnte Eddie sich zurück und legte das Notizbuch auf seinen Nachtschrank. Er freute sich wirklich darauf, zurück zu diesem Haus zu gehen, wenngleich er auch noch ein wenig nervös war… die Aussage seiner Mutter, dort würde ihres Wissens nach niemand mehr wohnen, war zwar beruhigend gewesen. Dennoch hatte das Ganze etwas Verbotenes an sich. Und noch dazu etwas Gruseliges. Doch grade letzteres war genau das, was Eddie an der ganzen Sache so faszinierte; dieser Nervenkitzel, die Vorstellung, sich an einem verlassenen Ort aufzuhalten, wo sich wer weiß was ereignet hatte, und all das auf Bildern und in Geschichten festzuhalten… ja. Das war wirklich ganz nach seinem Geschmack. Und damit würde morgen mit Sicherheit ein reichlich aufregender Tag werden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)