Das Schlachthaus in der Minton Street von ReptarCrane ================================================================================ Kapitel 9: Chapter 3 - 2 ------------------------ Wie automatisiert nickte Eddie. Dann griff er die Vorlage seines Freundes auf und fuhr fort: „Ja, genau. Wir sind vorhin an einem Haus vorbeigekommen, das echt alt und verlassen aussah, und irgendwie wirkte das…ziemlich spannend!“ Er war sich nicht sicher, ob das für seine Eltern nachvollziehbar klang, doch im Großen und Ganzes ansprach es schon der Wahrheit. „Das war in der Minton Street. An der Ecke zur Hamilton Road. Ich dachte nur, vielleicht kennt ihr das Haus ja…“ „Die Minton Street?“ Die Überraschung war Mom deutlich anzuhören, ein wenig perplex blickte sie erst Eddie und dann Victor an, dann lachte sie. „Mensch, sagt bloß, ihr habt noch nie von dem Schlachthaus gehört!“ „…Schlachthaus?“ Nun war Eddie derjenige, der überrascht klang, und er fragte sich, ob Mom wirklich dasselbe Haus meinte wie er, denn wie ein Schlachthaus hatte es darin nun nicht grade ausgesehen. Andererseits war er ja auch bloß in einem einzigen Kellerraum gewesen… „Ja, das Schlachthaus in der Minton Street!“ Mom nickte, und sie schien sich vollkommen sicher zu sein, dass Eddie von eben diesem Gebäude sprach. „Als ich jung war, haben wir uns ständig Horrorgeschichten über dieses Haus erzählt! Das war quasi… eine typische Kleinstadtlegende halt. Das Spukhaus von Seborga!“ „…Spukhaus?“ Ein wenig skeptisch sah Eddie seine Mutter an. Er hatte nicht erwartet, wirklich derart viel Input auf seine Frage zu erhalten, und schon gar nicht hatte er damit gerechnet, dass es sich bei diesem Haus, in dem er sich gezwungenermaßen aufgehalten hatte, um eine lokale Berühmtheit handelte. Nun war es Dad, der ihm antwortete. „Na ja, es gab halt diese ganzen Geschichten, wie diene Mutter schon gesagt hat. Ich weiß auch nicht, dass es bei uns in der Schule eine beliebte Mutprobe war, Leute in dieses Haus zu schicken. Manche haben danach gemeint, dass sie darin etwas gesehen hätten… Schwachsinn, wenn ihr mich fragt!“ „Oh, ja!“ Mom nickte, und ihre Augen leuchteten voller Begeisterung als wäre sie ganz in ihrem Element. „Die Geister von Phillip und Felicia Crichton!“ „Wer sind Phillip und Felicia Crichton?“, hakte Eddie weiter nach, das Ganze nahm Ausmaße an, die er definitiv nicht hatte kommen sehen. Mittlerweile hatte er die Gabel neben seinen Teller gelegt und ganz vergessen, dass er grade am Essen gewesen war, und Victor und Lilith ging es augenscheinlich ebenso. Dad hingegen wirkte weniger begeistert. Mit einem leicht unsicher anmutenden Blick sah er zu seiner Frau hinüber, zog die Augenbrauen hoch, und warf mit zögerlicher Stimme ein: „Also ich glaube nicht, dass das eine Geschichte ist, die man beim Essen…“ Mom unterbrach ihn, bevor er seinen Satz beendet hatte. Sie schien in der Tat ganz in ihrem Element zu sein, was bei genauerer Betrachtung nicht einmal sonderlich verwunderlich war, war sie von alten Geschichten, insbesondere wenn diese von gruseliger oder anderweitig spannender Natur war, ebenso begeistert wie Eddie. „Phillip und Felicia Crichton haben Ende des zwanzigsten Jahrhunderts in diesem Haus gelebt, zusammen mit ihren acht Kindern. Wie gesagt, damals war das ein Schlachthaus, und davon lebte die Familie auch. Sie züchteten Kühe und Schweine und verkauften das Fleisch.“ „Wow, klingt ja wirklich gruselig…“, kommentierte Lilith, woraufhin Eddie ihr einen genervten Blick zuwarf. Mom fuhr indessen unbeeindruckt fort: „Irgendwann, so in den 1890er Jahren, breitete sich in ihrem Betrieb allerdings eine Krankheit aus. Die Tiere starben, und das Geschäft drohte so natürlich, zusammenzubrechen…“ „Nora, ich glaube, das ist wirklich kein Thema für den Essenstisch!“, unternahm Dad einen weiteren Versuch, seine Frau zu unterbrechen, die das jedoch lediglich mit einem Augenrollen quittierte. „Ach, bitte! Wenn wir abends Horrorfilme gucken, bist du doch auch die ganze Zeit am Chips essen!“ „…Das ist was anderes!“ Nun klang Dad ein wenig trotzig, obgleich auch er durchaus so wirkte, als würde ihn die Geschichte, die Mom im Begriff war wiederzugeben, interessieren. Auch wenn er sie anscheinend bereits recht gut kennen. „Aber ich bin ein erwachsener Mann, und Lilith ist erst zehn…“ „Hey, jetzt behandle mich nicht wie ein Baby!“, rief Lilith beleidigt. Auch Mom verdrehte erneut die Augen. „Du weißt genau so gut wie ich, was Lilith für Bücher liest… ja, Lilith, guck nicht so, ich weiß, dass du meine Stephen King Bücher aus dem Keller geholt hast! Und wir haben uns die Geschichte vom Schlachthaus auch schon als Kinder erzählt!“ „…okay, okay, schon gut.“ Dad seufzte resigniert und wandte sich wieder seinem Essen zu, es war einfach schlichtweg aussichtslos, mit Nora Yard zu diskutieren. Man konnte einfach nicht gewinnen. „Wird es denn jetzt auch endlich mal spannend?“, fragte Lilith, die ebenfalls wieder zu essen begonnen hatte, worauf Mom erwiderte: „Ja, keine Sorge, wenn ihr mich jetzt endlich mal ausreden lasst!“ Abwartend blickte sie in die Runde, doch niemand sagte mehr etwas, alle schwiegen und sahen sie mehr oder weniger interessiert an. Also lehnte sie sich zurück, nahm einen Schluck von ihrem Orangensaft, und fuhr dann, in zunächst übertriebener Tonlage, die sich jedoch schnell wieder normalisierte, fort: „Also, wie gesagt, nach der Sache mit dieser Krankheit, die ihre Tiere befallen hat, bekamen die Crichtons wirklich Probleme. Sie konnten nichts mehr verkaufen, und dementsprechend fehlte es ihnen auch an Geld. Angeblich hat Phil irgendwann angefangen, das Fleisch der kranken Tiere trotzdem zu verkaufen. Doch in einer Kleinstadt spricht sich sowas natürlich rum, und niemand wollte mehr bei ihm kaufen. Aber ob das wirklich stimmt, dass er das versucht hat…“ Sie zuckte mit den Schultern und nahm einen weiteren Schluck Orangensaft. „Keine Ahnung. Wie gesagt, das ist Ende des 19. Jahrhunderts passiert, und es gibt allgemein eine ganze Menge Versionen dieser Geschichte. Die, die wir uns als Jugendliche immer erzählt haben, bei Übernachtungspartys oder am Lagerfeuer oder wann auch immer man sowas eben gemacht hat, war die, dass Phil und Felicia irgendwann derart verzweifelt waren, dass sie begonnen, sich nach Alternativen umzuschauen. Nicht für den Fleischverkauf, damit hatten sie im Grunde schon abgeschlossen. Aber das Ganze ist auch noch im Winter passiert, und es war kalt, und auf den Feldern, die der Familie noch gehörten, wuchs nichts, was man hätte essen können. Verkaufen wollten sie die Felder aber auch nicht, dann hätten sie im nächsten Jahr ja wieder Probleme bekommen, weil die Ernte für das Futter der Tiere dann weggefallen wäre. Also haben sie, so erzählten wir es uns später, zunächst angefangen die Katzen zu essen, die sich damals massenhaft auf dem Gelände des Hofes herumgetrieben haben.“ „Was?“, rief Lilith und hätte um ein Haar ihr Glas umgestoßen. Entsetzt blickte sie ihre Mutter an, als verlange sie, dass diese ihr sagte dass das bloß ein Scherz gewesen sei, doch Nora Yard nickte nur. „Die Zeiten waren hart damals… entweder das, oder sie wären verhungert! Aber wie gesagt, Lilith, falls es dich beruhigt! Keiner weiß, wie viel da wirklich dran ist!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)