Kontrolle von Alaiya (Urban Fantasy Thriller) ================================================================================ Kapitel 9: Rückkehr ------------------- Der Shanghai Hongqiao Flughafen sah aus, wie so viele andere Flughäfen auch. Die Atmosphäre hatte etwas seltsam vertrautes, erinnerte nur an so viele andere Flughäfen, an denen Pakhet schon gewesen war. Sie atmete durch, als sie mit Weiwens Wagen ins Parkhaus fuhren. Ihre Gastgeberin hatte es sich nicht nehmen lassen sie – gegen eine kleine weitere Bezahlung – selbst zum Flughafen zu bringen. Es war vorrangig aufgrund ihrer noch immer anhaltenden Nervosität, dass Pakhet zugestimmt hatte. Sie sah zu der jungen Chinesin neben sich, deren Blick offenbar nach einem freien Parkplatz suchte. Selbst wenn Weiwen geschäftstüchtig dabei gewesen war, so hatte sie ihr doch deutlich geholfen. Auch die aktuellen Verbände, die ihre Wunden bedeckten, hatte Weiwen angelegt, hatte die Wunden vorher versorgt. Schließlich fuhr Weiwen in eine Parklücke. Sie schaltete den Motor ab und lächelte Pakhet dann an. „Ich bringe dich noch rein.“ Pakhet nickte. Sie sah nicht, warum sie sich dagegen wehren sollte. Vornehmlich war sie müde. Sie hatte letzte Nacht nicht besonders gut geschlafen. Aktuell wollte sie nichts mehr, als nach Kapstadt zurück. Sie wollte mit Robert sprechen, wollte eine der Ärztinnen in der Zentrale auf ihre Wunden schauen lassen und dann einfach vergessen. „Du bist dir sicher, dass du nicht noch einen Heiler sehen willst?“, fragte Weiwen, während sie den Kofferraum öffnete. Pakhet nahm ihren Koffer, schüttelte dabei den Kopf. „Nein. Es wird schon bis daheim reichen.“ Der Rückflug bereitete ihr noch immer Kopfschmerzen. Die schnellste bezahlbare Verbindung, die sie bekommen hatte, bedeutete für sie noch immer eine Reise von 27 Stunden von denen sie mehr als die Hälfte am Flughafen in Amsterdam verbringen würde. Doch was sollte sie tun? Sie konnte im Flugzeug schlafen und am Flughafen würde sie sich wohl ein Buch holen und die Zeit in einem Coffeeshop totschlagen. Zugegebenermaßen war sie unsicher, ob es keine Probleme mit ihren Wunden geben würde. Ging sie damit zum Flughafenarzt, würde es nur dumme Fragen geben. Dennoch: Wenn sie jetzt noch Geld für einen weiteren Heiler ausgab, wäre sie weit im Minus. Also musste es gehen. Sie hatte schlimmere Wunden überlebt. „Danke dir noch einmal für deine Hilfe“, meinte sie zu Weiwen. Selbst wenn die Frau es vornehmlich wohl für das Geld getan hatte, so war sich Pakhet nur zu deutlich dessen bewusst, dass sie ihr auch das Leben gerettet hatte. Ohne Weiwen wäre sie allgemein aufgeschmissen gewesen. Weiwen lächelte nur und zuckte mit den Schultern. „Immer wieder gerne.“ Sie hielt inne. „Soll ich dir den Koffer noch mit reinbringen?“ Pakhet nickte. „Danke.“ „Gerne. Sag mir Bescheid, solltest du noch einmal Hilfe in Shanghai brauchen.“ „Sicher.“ Pakhet seufzte, während sie sich nach dem nächsten Übergang ins eigentliche Flughafengebäude umsah. „Du rufst mich an, wenn dein Meister sich entschieden hat …“ Irgendwie musste sie immerhin erfahren, welche Gefallen der Drache von ihr wollte. „Ja“, antwortete Weiwen und zeigte zu einem Schild, das den Weg zur Halle der Terminals ausschilderte. Pakhet setzte sich in Bewegung. Auch der Gedanke an die zwei großen Gefallen bereitete ihr Bauchschmerzen. Aber sie würde es überleben. Sie hatte auch das hier überlebt. Und Li war tot. Sie würde auch noch andere Dinge überleben. Der Schlaf war auch während des Fluges nicht erholsam. Albträume mischten sich mit Erinnerungen. Da waren die Schmerzen. Die Hände, die sie berührten. Die Schnitte. Die Verbrennungen. Die Dinge, die sie in ihren Körper steckten. Die Fesseln. Atemlos erwachte sie, nur um im nächsten Moment festzustellen, dass sie sich noch immer im Flieger befand. Sie saß mittig im Flieger. Da sie kurzfristig und Economy gebucht hatte, war kein Fensterplatz frei gewesen. Nicht einmal am Gang hatte sie einen Platz bekommen, so dass sie nun zwischen einer Japanerin und ihrem recht jungen Sohn auf der einen und einem schwitzigen Niederländer auf der anderen Seite eingeklemmt saß. Eigentlich hatte sie einen Film geschaut. Genau. Eine Doku im Unterhaltungssystem des Fliegers. Diese war mittlerweile durchgelaufen, der Bildschirm in den Ruhemodus gegangen. Sie seufzte. Ihr war kalt. Gleichzeitig klebte ihre Kleidung nassgeschwitzt an ihrem Körper. Vielleicht eine Folge des Albtraums. Vielleicht entwickelte sie auch eine Entzündung aufgrund einer der Wunden. Sie schaltete den Bildschirm an und rief die Informationen zum Flug auf. Es war gerade später Abend – Ortszeit – und sie waren irgendwo über Russland. Wirklich lange hatte sie nicht geschlafen. Bis zur Ankunft in Amsterdam waren es noch knapp drei Stunden. Pakhet atmete tief durch und rieb sich über die verschwitzte Stirn. Vielleicht sollte sie nach ihren Wunden schauen. Sie hatte ohnehin nichts besseres zu tun. Also stieß sie den verschwitzten Niederländer, der sie beim Start des Fluges zugelabert hatte, als er gemerkt hatte, dass sie seine Sprache verstand, vorsichtig an. Auch er war am Dösen, öffnete jedoch rasch die Augen. „Ja?“, fragte er in Niederländisch. „Ich müsste aufs Klo“, flüsterte sie und kramte in ihrem Bordgepäck nach ihrer Toilettasche, in dem sie Verbandszeug hatte. „Oh, natürlich.“ Er schnallte sich ab und stand auf, damit sie in den abgedunkelten Gang konnte. Als sie erst einmal stand, atmete sie etwas befreiter. Die Wunde an ihrer Seite schmerzte deutlich. Dennoch war es gut, nicht in den Sitz gequetscht zu sein. Der Flug war ruhig. Es gab keine Turbolenzen. Und allgemein war es ruhig in der Kabine. Viele versuchten etwas zu schlafen. Vorsichtig ging Pakhet den Gang entlang nach hinten, wo sich die Toiletten befanden. Hier hinten standen zwei der Stewardessen bei der kleinen Küche und unterhielten sich. Beide lächelten auf die übliche professionelle Art, als sie Pakhet sahen, wirkten jedoch erleichtert, als diese in einer der Toiletten verschwand. In der kleinen Kabine ließ sich Pakhet auf die geschlossene Toilette fallen. Sie tastete nach der Wunde an ihrem Hinterkopf. Bei dieser hatte Weiwen mit etwas Magie nachhelfen müssen, da sie eigentlich hätte genäht werden müssen. Entsprechend war sie jedoch von allen am wenigsten dramatisch. Auch die Wunde an der Schulter schien wenig Probleme zu machen. Sie schmerzte zwar, jedoch hielt sich dieser Schmerz im Rahmen. Es war nicht das erste Mal, dass sie angeschossen worden war und alles in allem war der Schmerz aushaltbar. Anders sah es mit ihrer Seite aus. Dort hatte sich der Schuss knapp unter der Haut durch ihre Seite gebohrt. Zwar schienen die Organe nicht verletzt und es war ein glatter Durchschuss gewesen. Dennoch musste irgendetwas darein gekommen sein. Das Fleisch um die Wunde herum war heiß und gerötet. Als sie das Pflaster anzog, war deutlich, wie viel Flüssigkeit aus der Wunde gelaufen war. Wahrscheinlich bildete sich irgendwo Eiter. „Scheiße“, flüsterte Pakhet. Aber sie würde durchhalten müssen, bis sie in Südafrika ankam. Bis dahin konnte sie nur hoffen, dass Ibuprofen die Infektion halbwegs unter Kontrolle halten würde. Sie wusch sich die Wunde aus. Es wären nur noch zwanzig Stunden. Sie verzog das Gesicht. „Nur noch“ … Irgendwie schaffte sie es. Als das Flugzeug in Kapstadt auf der Landebahn aufsetzte, war ihr übel. Sie war sich recht sicher, dass sie Fieber hatte. Aber sie konnte noch aufstehen. Sie konnte noch laufen. Und sie war endlos froh, von Amsterdam aus Robert erreicht zu haben. Eigentlich hatte sie vorgehabt, erst einmal nach Hause zu fahren und sich in ihrem eigenen Bett auszuruhen. Doch allem Anschein nach würde sie doch heute noch zur Zentrale müssen. Sie brauchte einen Arzt. Sie brauchte besser noch einen Heiler. Sie hasste es. Sie wusste, dass Michael dort auf sie warten würde. Dennoch stand sie zusammen mit den anderen Passagieren auf, nahm ihre einfache Handtasche von unter dem Sitz und bemühte sich, sich nichts anmerken zu lassen. Ihr Instinkt war, leicht gebeugt zu gehen, doch es würde die Wunde an ihrer Taillie nicht entlasten. Also bemühte sie sich gerade zu gehen. Irgendwie schleppte sie sich durch den Zoll und die Sicherheit. Sie war nur froh, dass mit dem Koffer alles geklappt hatte. Zwar waren ihre Waffen auseinandergebaut und gut versteckt, doch war zumindest Munition das ein oder andere Mal aufgefallen. Aber sie hatte Glück gehabt. So holte sie den kleinen Koffer vom Gepäckband ab und schleppte sich so endlich in die Haupthalle des Flughafens. Sie sah sich um. Ihr war so unwohl … „J … Pakhet!“ Das war Robert. Er wartete an einer der Säulen auf sie, winkte nun und kam ihr entgegen. Sein rotes Haar leuchtete aus der Menge hervor. Als er näher kam, wurde sein Gesichtsausdruck besorgt. „Joanne?“, fragte er verhalten und kam näher. Sie hasste es, dass er sie auch noch nach zwei Jahren bei diesem Namen nannte. Doch sie sagte nichts, fiel ihm stattdessen in die Arme. Für einen Moment brauchte sie es. Überrascht erwiderte Robert die Umarmung, tätschelte vorsichtig ihre Schulter und schien halb erleichtert, als sie sich von ihm löste. „Was ist los?“ Er musterte sie. „Du siehst nicht gut aus.“ „Verletzt“, murmelte sie. „Kannst du mich zur Zentrale bringen?“ „Du meinst …“ Er zögerte für einen Moment. „Deine Firma?“ Er sprach das letzte mit Abscheu aus. Sie wusste warum, nickte aber. „Ja. Ich brauche einen Arzt.“ „Was ist denn los?“ „Wie gesagt“, erwiderte sie. „Verletzt. Ich glaube, es hat sich entzündet.“ Noch immer zögerte er, dann aber nickte er. „Natürlich. Gib mir den Koffer.“ Bevor sie etwas erwidern konnte, nahm er ihr das Gepäck ab. Er warf ihr einen besorgten Seitenblick zu, ging dann aber voraus. Sein Wagen stand auf der Großen Parkfläche etwas weiter vom Flughafen fort. Es machte aber auch keinen Unterschied mehr. Irgendwie funktionierte sie ja noch. Zur Hölle, vor ein paar Tagen hatte sie trotz der Blutverluste noch funktioniert. Das hier war eine einfache Entzündung. Sie fühlte sich vielleicht elend, aber es würde sich wieder unter Kontrolle bringen lassen. Ein Heilzauber, ein wenig Antibiotikum und es wäre in ein paar Tagen ausgestanden. Im Vergleich zu dem, was sie dort überlebt hatte … „Du siehst elend aus, Jo“, meinte Robert vorsichtig, als sie endlich in seinem roten Wagen saßen. „Was du nicht sagst“, murmelte sie. „Nein … Ich meine …“ Er hielt inne, startete den Wagen und schien nach Worten zu überlegen. „Irgendetwas ist passiert, oder? Etwas schlimmes?“ Pakhet sah aus dem Beifahrerfenster zu ihrer Linken. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. „Mein Auftrag ist nicht gelaufen, wie gehofft“, murmelte sie. „Es war … nicht gut.“ Sie schürzte die Lippen. „Kann ich heute Abend bei dir schlafen?“ „Sicher.“ Robert warf ihr einen besorgten Seitenblick zu, während er den Wagen vom Parkplatz herunterlenkte. Es war deutlich, dass er abwägte, ob er mehr erfragen wollte oder nicht. Am Ende entschied er sich dagegen. Er schwieg, steuerte den Wagen in Richtung des Hafens. Auch Pakhet schwieg. Ihr war zu elend, um zu sprechen. Und sie war müde. So müde. Doch sie wagte es nicht die Augen zu schließen. Die letzten Stunden hatten ihr gezeigt, dass Schlaf keine gute Idee war. Hoffentlich konnte ihr jemand Schlafmittel geben. Und sei es nur für ein paar Tage. Zwanzig Minuten später fuhr Robert endlich auf den Parkplatz vor der vermeintlichen Sicherheitsfirma. Er war angespannt. Er hasste es hier zu sein, wusste er doch, was es mit der Firma eigentlich auf sich hatte. Dennoch sagte er nichts. Es war nicht der richtige Zeitpunkt, wie sie beide wussten. „Ich werde dir was zu Essen holen, während du drin bist, ja?“, meinte er stattdessen, als sie sich abschnallte. „Ruf mich einfach an, wenn ich dich abholen soll.“ „Danke“, antwortete sie und meinte es. Sie tauschte einen kurzen Blick mit ihrem besten und einzigem Freund, ehe sie ausstieg. Bemüht um eine gerade Haltung, ging sie zum Gebäude hinüber. Sie wollte nicht schwach wirken. Nicht solange sie Gefahr lief, auf Michael zu treffen. Der Gedanke allein ließ ihren Magen sich zusammenziehen. Michael. Hatte er das wirklich geplant gehabt? Hatte er sie loswerden wollen? Doch er wartete nicht am Eingang auf sie und sie würde einen Teufel tun, ihn in seinem Büro aufzusuchen. Sie hatte gut Lust ihn anzuschreien, ihn zu schlagen, irgendetwas zu tun, doch heute wäre nicht der Tag dafür. Wenn es ihr besser ging. Wenn sie wieder klar denken konnte … Stattdessen schleppte sie sich in den nördlichen Flügel des Gebäudes, in dem sich die Krankenstation befand. Ihre Karte öffnete die notwendigen Türen und sie fand zwei Ärzte im erste Hilfe Zimmer vor. Dr. Heath und Dr. Dube. Beide saßen an ihren jeweiligen Schreibtischen, arbeiten offenbar Aktenkram auf, sahen jedoch zu ihr, als sie die Tür öffnete. Dr. Heath hatte Pakhet bereits einige Male behandelt. Sie war eine üppigere schwarze Frau mit geflochtenem Haar. „Pakhet“, meinte sie. „Was ist passiert?“ Offenbar erkannte auch sie, dass sie verletzt war. „Schusswunde“, murmelte Pakhet. „Hat sich entzündet, glaube ich.“ Dr. Heath nickte und kam ihr entgegen. Sie stützte sie nicht, da sie genau wusste, dass es Pakhet widerstrebte, geleitete sie stattdessen in einen anliegenden Behandlungsraum. „Wo?“, fragte sie. „Linke Schulter. Linke Seite. Außerdem eine Platzwunde am Hinterkopf und …“ Pakhet gestikulierte zu ihrem Hals, wo sie ebenfalls die Kratzwunden von dieser seltsamen und sicher nicht menschlichen Frau mit Pflastern überklebt hatte. Wieder nickte Dr. Heath. „Ziehen Sie bitte das Oberteil aus und legen Sie sich hin.“ Pakhet tat, wie ihr geheißen. Sie hatte aufgrund der Schulterwunde ihre Prothese nicht für den Rückflug getragen, was es schwerer machte, sich zu entkleiden. Sie war es gewohnt, hatte Übung, aber ob aufgrund des Fiebers oder der Müdigkeit waren ihre Bewegungen fahrig und unkoordiniert. Schließlich aber lag sie auf der Liege, bis auf ihren BH mit freiem Oberkörper. Dr. Heath sammelte, was sie brauchte, aus den Schränken. Verbandszeug. Desinfektionsmittel. Sauberes Wasser. Eine Einmal-Pinzette. Salbe. Pakhet erlaubte sich die Augen zu schließen. Sie war so endlos müde und fürchtete sich dennoch vor dem Schlaf. Alles schien sich zu drehen. Die Ärztin zog die Pflaster, die die meisten der Wunden bedeckten, ab, schob dabei auch den Träger des BHs von Pakhets linker Schulter. Ihre Finger waren etwas kühl. Ihre Bewegungen routiniert. Es war beruhigend und jagte Pakhet dennoch einen Schauer über den Rücken. Vorsichtig betastete Dr. Heath nun die Wunde an Pakhets Seite, ehe sie noch einmal aufstand und zum Schrank ging. „Ich werde die Wunde spülen, ja? Die scheint sich wirklich entzündet zu haben. Kein Wunder. Sie werden nicht die richtigen Immunkräfte haben.“ Pakhet deutete nur ein Nicken an. Erinnerungen an die Entzündung, die ihr den linken Arm gekostet hatten, kamen aus dem Nichts in ihr hoch. Dabei war es albern. Das hier war nicht vergleichbar. Dr. Heath arbeitete in Ruhe. Sie hatte ein Tuch unter Pakhets Seite ausgebreitet, so dass die Flüssigkeit, die sie zum Spülen verwendete, sich nicht auf dem Boden verteilte. Ihre Bewegungen waren routiniert, selbst wenn auch die Übung nicht verhindern konnte, dass es schmerzte. Die Wunde hatte sich wirklich entzündet. Trotzdem war Pakhet ruhig. Sie ließ sich nichts anmerken. Was ärztliche Behandlungen anging, hatte sie auch schlimmere Erfahrungen gemacht als das hier. Nachdem Dr. Heath offenbar halbwegs zufrieden war, wandte sie sich der Schulterwunde zu. Auch diese spülte sie aus. Eigentlich war es ironisch, das sich die Wunde an der Seite entzündet hatte, statt dieser. Immerhin war die Kugel an der Schulter steckengeblieben. Eher ein Kandidat für Entzündungen. In dieser Wunde puhlte Dr. Heath mit der Pinzette rum – wohl um sicher zu gehen, dass keine Splitter steckengeblieben waren. Zeit verging. Pakhet war schwindelig. Sie hatte wirklich zu wenig geschlafen. Obwohl sie die Augen geschlossen hatte, blendete das OP-Licht, das die Ärztin angeschaltet hatte, sie. Schlaff legte sie den Arm über ihre Augen. „Ist Ihnen nicht gut?“, fragte Dr. Heath. „Nicht wirklich“, erwiderte Pakhet matt. Die Ärztin griff nach ihrer Hand, spürte ihren Puls für einige Sekunden, wandte sich dann ab, um nach dem Blutdruckgerät zu schauen und mit diesem kurz darauf zurückzukehren. Sie schnallte es an Pakhets Arm, wartete, dass sich die Manschette aufpumpte. Als das Gerät fertig war, schaute sie Pakhet an. „Haben Sie viel Blut verloren?“ Pakhet zögerte. Ihr Blutverlust in den vergangenen zwei Tagen hatte sich im Rahmen gehalten, da sie relativ schnell Druck auf der Seitenwunde hatte. „Es geht“, erwiderte sie matt. „Es ist kompliziert. Ich bin glaube ich vornehmlich müde.“ Dr. Heath schnalzte abschätzig mit der Zunge und schüttelte den Kopf. „Ich lege Ihnen eine Infusion. Ein wenig Flüssigkeit wird Ihnen gut tun.“ Dagegen sagte Pakhet nichts. Meistens half es tatsächlich etwas. Selbst wenn es nicht gegen den eisernen Druck auf ihrer Brust würde tun können. „Was haben Sie nur gemacht?“, fragte Dr. Heath, während sie die Infusion vorbereitete. „Wie gesagt. Mein Auftrag ist nicht ganz so gelaufen, wie geplant. Ich …“ Sie hielt inne und seufzte. „Könnten Sie mir einen Gefallen tun?“ „Vielleicht“, erwiderte die Ärztin. Sie holte eine Kanüle aus einem der an der Wand hängenden Schränke. „Könnten Sie nachher einen Ultraschall machen? Ich …“ Der Mund war ihr trocken, als Pakhet versuchte darüber zu sprechen. „Während ich auf meinem Auftrag war, bin ich in Gefangenschaft geraten und …“ Sie hielt inne. „Ich habe eine magische Heilung gehabt, aber ich will … Ich muss einfach wissen, ob wirklich alles in Ordnung ist. Speziell …“ Sie hasste es, es auszusprechen. „Ich hatte eine innere Blutung und ich muss einfach wissen, ob alles noch richtig ist. Dass es keinen bleibenden Schaden gibt und ich nicht …“ Wieder hielt sie inne. „Dass ich nicht unfruchtbar bin“, endete sie schließlich leise. Dr. Heath betrachtete sie für zwei, drei Sekunden, während sie noch immer die Nadel in der Hand hatte. Es war ihr anzusehen, dass sie sich zusammenreimte, was passiert war. Doch sie fragte nicht weiter. „Natürlich kann ich das. Aber lassen Sie mich erst die offenen Wunden versorgen, ja?“ Pakhet nickte. Sie machte ihren Arm locker, damit die Ärztin die Kanüle legen konnte. Was blieb ihr auch für eine Wahl? Letzten Endes bestand Dr. Heath doch darauf, dass sie erst einmal wartete, bis die Infusion durchgelaufen war. Pakhet wusste, dass sie Recht hatte, aber dennoch hasste sie es zu warten. Die Frage hatte sie von allen Dingen am meisten beschäftigt, seit sie daraus war. Sie wusste, dass die Verletzungen, die Li und seine Leute ihr zugefügt hatten, wahrscheinlich zumindest ihren Uterus, wenn nicht auch die Eierstöcke beschädigt hatten. Die Blutung war aus ihrer Scheide gekommen. Eigentlich redete sie über diese Dinge nicht, doch was sollte sie tun? Sie brauchte ärztliche Hilfe. Sie brauchte eine ärztliche Bestätigung, dass es wirklich alles geheilt war. Denn letzten Endes wollte sie irgendwann ein Kind. Sie wollte zumindest die Option behalten. Dr. Heath holte schließlich das Ultraschallgerät. Sie seufzte dennoch. „Sie wissen, dass das nicht wirklich eine richtige gynäkologische Untersuchung ersetzt, ja?“ Pakhet nickte. „Natürlich.“ Letzten Endes war Dr. Heath … ja, was eigentlich? Chirurgin? Unfallärztin? Von allem was Pakhet wusste, war sie einmal Feldärztin irgendwo gewesen. Wo wusste Pakhet nicht. „Haben sie einen Gynäkologen hier?“, fragte Dr. Heath, während sie das Gerät startete. Pakhet presste die Lippen zusammen. Sie hatte vermieden Ärzte außerhalb der Firma zu besuchen. „Nein.“ Die Spirale hatte ihr auch hier jemand einsetzen können. Andere Ärzte führten nur zu mehr fragen. Es war unangenehm. „Vielleicht sollten Sie darüber nachdenken“, meinte Dr. Heath und gab etwas von dem Gel. „Ich bin nicht besonders erfahren mit diesen Dingen. „Und es wird wahrscheinlich noch ein paar mehr Untersuchungen brauchen, um genaueres zu sagen.“ Darauf nickte Pakhet nur. Wahrscheinlich hatte die Ärztin auch hiermit Recht. Diese verteilte das Gel mit dem Ultraschallkopf, darauf bedacht, möglichst nichts auf das frische Pflaster zu bekommen. Für eine Weile war sie ruhig, während sie den Kopf bewegte. „Nun, ich sehe jedenfalls keine offenen Wunden hier“, meinte sie. „Keine aktiven Blutungen.“ Sie drückte mehrfach auf einen Knopf an dem Gerät. „Auch keine Narben.“ Dabei schüttelte sie den Kopf. Wahrscheinlich dachte sie dasselbe wie Pakhet: Magie war seltsam. „Kann es sein, dass da noch Blutreste sind?“ Pakhet nickte. „Ja. Wahrscheinlich.“ Auch die Ärztin nickte. „Aber ansonsten sehe ich nichts Ungewöhnliches.“ Sie schenkte ihr ein zurückhaltendes Lächeln. „Ich würde Ihnen dennoch wirklich nahelegen, einmal zu einem Spezialisten zu gehen.“ „Ja“, murmelte Pakhet und seufzte. „Kennen Sie jemanden, der nicht zu viele Fragen stellt?“ Sie nickte zu ihrer fehlenden Gliedmaße und den Pflastern. „Ja, da gibt es ein paar“, meinte Dr. Heath. „Ich kann mich mal rumhören.“ „Danke.“ Pakhet schloss wieder die Augen. „Ich kann Ihnen nur raten, sich ein paar Tage Ruhe zu gönnen. Ich glaube, das brauchen Sie.“ Die Ärztin lächelte. „Und ich werde Ihnen ein Schlaf- und ein Beruhigungsmittel mitgeben. Und ein Antibiotikum. Ich würde Ihnen raten, alles für die nächsten Tage zu nehmen.“ „Werde ich, Frau Doktor.“ Pakhet schenkte ihr ein zurückhaltendes Lächeln. „Gut.“ Die Ärztin schaltete das Gerät ab und machte erst den Ultraschallkopf sauber, ehe sie Pakhet einige Tücher reichte. „Soll ich Ihnen ein Taxi rufen?“ „Ich habe einen Freund, der mich abholt“, erwiderte Pakhet, während sie das Gel abwischte. Mühsam richtete sie sich auf und schaute auf die mittlerweile leere Infusion. Sie war sich dessen bewusst, dass die Ärztin ihr zwischendurch ein anderes Mittel mit hineingegeben hatte. Sie war sich recht sicher, dass es etwas zur Beruhigung war, denn ihre Gedanken sprangen nicht mehr so viel, wie sie es vor einer halben Stunde noch getan hatten. Dr. Heath schenkte ihr ein Lächeln und fuhr dann das Ultraschallgerät weg, während Pakhet sich aufrichtete. Sie war bis auf ihre Unterwäsche nackt. Nun griff sie nach ihrer Hose und schlüpfte hinein. Als die Ärztin zurückkam löste sie den Tropf. Sie hatte ihr außerdem die versprochenen Medikamente mitgebracht. „Danke“, flüsterte Pakhet und zog sich schließlich an. Die Wunde fühlte sich bereits jetzt ein wenig besser an – doch vielleicht hatte Dr. Heath ihr auch ein Schmerzmittel gegeben, während sie es nicht bemerkt hatte. Sie seufzte und steckte die Medikamente in die Tasche ihrer Lederjacke. Robert anrufen. Zu ihm fahren. Irgendetwas schauen, um sich abzulenken. Das klang sehr gut. Doch so leicht sollte es ihr nicht vergönnt sein. Als sie den Behandlungsraum verließ, hörte sie die Stimme, sie sie nicht hatte hören wollen. „Du bist ja wieder im Lande, Jo.“ Sie holte tief Luft. Also war der kleine König von seinem Thron herabgestiegen. „Du hast den Flug selbst gebucht. Eigentlich solltest du wissen, dass ich heute ankomme, Michael“, erwiderte sie. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Da war diese Wut, die in ihr brodelte. Es war seine Schuld gewesen. Ein Grinsen umspielte seine Lippen. Es war schwer zu sagen, wie alt Michael eigentlich war. Pakhet schätzte ihn um die vierzig. Da waren einige Falten in seinem Gesicht und seine Haut wirkte gegerbt. Er war Europäer, was man sowohl seinem Dialekt anhörte, als auch seiner blassen Haut und dem lichten hellen Haar ansah. Wie so oft trug er ein einfaches Hemd. Obwohl er der vermeintliche Geschäftsführer der „Firma“ war, bemühte er sich selten um einen richtigen Anzug. „Ich habe gehört, dass du den Job am Ende nicht einmal richtig zu Ende gebracht hast“, meinte er. Ein Grinsen umspielte seine Lippen. „Ich hatte keine andere Wahl, als Li zu erschießen“, erwiderte Pakeht. „Insofern. Nein. Nicht ganz. Aber er ist tot.“ „Und etwas sagt mir, dass es am Ende nur Rache war.“ Michael schüttelte den Kopf. „Wie unprofessionell.“ Was hätte sie dafür getan, ihn zu schlagen? Doch es brachte sie nicht weiter. Es würde sie nur wieder in so eine Situation bringen. „Du hast mir die Informationen absichtlich unterschlagen“, erwiderte sie. „Dass er ein Magier ist.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht, was du meinst.“ „Natürlich nicht.“ Sie wandte sich ab und marschierte zur Tür, sich dessen nur zu sehr bewusst, dass er ihr folgte. „Sieh es so, Joanne. Du hast überlebt. Gratulation. Hast du deine Lektion gelernt?“ Ihre Hand zitterte. Es wäre leicht ihn umzubringen. Anders als Li hatte Michael wenig Training. Er war praktisch hilflos. Doch da war auch sein Totmannschalter, den er fraglos hatte. Nicht nur, dass so die Army erfahren würde, dass sie noch lebte – es würde ihr auch noch ganz andere Feinde machen. „Ich dachte, wir hatten eine Abmachung. Keine Aufträge mit Kindern“, erwiderte sie leise, bemüht ihre Stimme unter Kontrolle zu halten. „Manche Dinge lassen sich nicht verhindern“, erwiderte er und zuckte mit den Schultern. „Ist ein wenig Professionalität zu viel verlangt?“ „Ich töte keine Kinder. Es ist die eine Sache, die ich nicht bereit bin zu tun.“ Nun auf dem Flur drehte sie sich zu ihm um und sah ihn an. „Du hast es versprochen, Michael.“ Er musterte sie. Noch immer umspielte die Spur eines Grinsens seine Lippen. Dann aber seufzte er auf übertrieben dramatische Art. „Schau, Pakhet, der Auftrag war wichtig. Und du bist eine meiner besten Kämpferinnen. Du bist effektiv.“ Jetzt versuchte er sich einzuschleimen. Selbst wenn er Recht hatte. Immerhin hatte sie weit mehr Training als so viele andere, die hier arbeiteten. „Ich weiß“, erwiderte sie daher. „Aber ich habe von Anfang an gesagt, dass ich es nicht mache. Wenn du das nicht respektierst …“ „Dann was?“ Er lächelte. „Du kannst nirgendwo anders hin.“ Sie atmete tief durch. „Wenn ich so effektiv bin, ist es dir das wirklich wert?“ Das Spiel konnten auch zwei spielen. „Hätte Li mich getötet, dann hättest du mich verloren. Und dann? So leicht bin ich nicht zu ersetzen, oder?“ Sein Lächeln wurde wieder breiter. Es war offensichtlich, dass er sich bemühte nicht zu lachen. Dennoch schenkte er ihr ein anerkennendes Lächeln. „Nun, du hast überlebt. Ich gratuliere. Und ich hoffe, dass wir es nicht wiederholen müssen.“ Er war so ein Arschloch … „Ich auch“, erwiderte sie durch zusammengepresste Zähne. „Dann sind wir uns ja einig.“ „Offenbar.“ Er hatte verdammt noch mal versucht, sie umzubringen. Er hatte gewollt, dass sie stirbt. Und sie konnte nicht von hier weg. Sie wandte sich ab und eilte den Flur hinab. Sie wollte einfach nur hier weg. Weg von ihm. „Joanne?“, rief er ihr hinterher, folgte ihr aber nicht. Dennoch hielt sie inne. „Ich hätte ja nicht gedacht, dich einmal Weinen zu sehen.“ Ihr Magen zog sich krampfhaft zusammen. Beinahe hätte sie sich übergeben. Sie kämpfte dagegen an, schluckte. Sie erwiderte nichts, sondern ging weiter. Sie verstand nur zu gut, was er sagen wollte. Er hatte das Video gesehen. Woher er es auch immer hatte. Wahrscheinlich hatte er es noch immer. Noch mehr, um sie unter Druck zu setzen. Arschloch. Und sie konnte nichts tun. Er hatte die Kontrolle über sie. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)