Kontrolle von Alaiya (Urban Fantasy Thriller) ================================================================================ Kapitel 7: Suche ---------------- Der Trank erlaubte einen tiefen, traumlosen Schlaf, erlaubte damit so etwas wie Erholung für sie. Dennoch blieb ein seltsam hohles Gefühl in ihrer Brust, als sie am nächsten Tag erwachte. Vielleicht waren da doch Träume gewesen, selbst wenn sie sich nicht erinnerte. Sie wollte nicht darüber nachdenken – sie konnte nicht. Noch nicht. Sie würde später Zeit dafür haben. Als sie erwachte fand sie die weiße Katze Weiwens neben sich auf der Matratze liegen. Dabei konnte sie nicht genau sagen, ob das Tier sie einfach mochte, oder vielleicht dieses Zimmer eigentlich als sein Revier ansah und es daher gegen die fremde Person verteidigen musste. Als Pakhet sich jedoch aufrichtete, rieb die Katze ihren Kopf an ihr. Das war ein Zeichen, dass diese Tiere einen mochten, oder? Vorsichtig strich Pakhet durch das weiche Fell, ehe sie sich aufrichtete. Wenigstens hatte sie niemand im Schlaf angegriffen – selbst die Katze nicht. Es schien hier wirklich sicher zu sein. Gut. Das hieß, sie könnte sich dem nächsten Teil ihres Plans widmen, selbst wenn sie dafür noch eine andere Frage würde klären müssen. Sie streckte sich, stand auf, machte ihre üblichen Dehnübungen und nahm dann ihre Kleidung vom Fußende der Luftmatratze, um sich im Badezimmer umzuziehen. Wie immer hatte sie in Shorts und einem Tanktop geschlafen. Sie hatte einen Plan für den Tag: Sie würde sich auf die Suche nach Li machen, ihm folgen und sich dann einen Plan überlegen, wie sie ihn erledigen konnte. Doch dafür musste sie mehr wissen. Sie würde die Planung dieses Mal niemand anderen anvertrauen. Nicht Michael. Nicht jemanden wie Tenzien. Das war eins der Probleme beim letzten Versuch gewesen. Sie hatte sich darauf verlassen, dass Michaels Informationen verlässlich und vollständig waren. Es war eine dämliche Idee gewesen Li dort anzugreifen. Davon abgesehen, dass sie nicht gewusst hatte, dass er Magier war, wäre es an einem Ort ohne mehrere Sicherheitsleute verdammt noch einmal einfacher. Und hey, irgendwo musste Li leben. Er hatte eine Familie, hatte er gesagt. Eine erwachsene Tochter. Er war wahrscheinlich nicht arm. Da würde er nicht irgendwo direkt umgeben von seinen Leuten leben, oder? Ach, sie wusste es nicht. Bei diesen Mafia-Leuten konnte man nie wissen. Es gab welche, die folterten Leute vor ihren Kindern. Jedenfalls hatte sie solche Geschichten gehört. Und dann wurden die Kinder zu Leuten, die andere vor ihren Kindern ermordeten. Und so weiter … Pakhet massierte sich die rechte Schläfe und schloss die Augen. Sie durfte nicht so viel darüber nachdenken. Ihr saß der Horror noch immer in den Knochen und es würde so bleiben. Wichtig war nur, dass sie ihren Job erledigte. Dass sie das ganze beendete. Das würde ihr wenigstens etwas Ruhe geben, etwas Frieden. Angezogen erlaubte sie es sich in die Küche zu lugen, wo die Katze bereits an ihrem Futternapf saß, aber auch Weiwen mit einer Zeitschrift zu finden war. Die junge Frau sah auf. „Ah, guten Morgen. Hast du gut schlafen können?“ Pakhet nickte und ging zu ihr hinüber. „Ja. Danke. Für den Zauber, meine ich.“ Ein mattes Lächeln zeigte sich auf Weiwens Gesicht. „Gerne.“ Natürlich tat sie es gern, solange man sie dafür bezahlte. „Hast du Hunger? Willst du Frühstück?“ „Hast du Kaffee?“ „Ja. Sogar eine Kaffeemaschine.“ Weiwen schien darauf unnatürlich stolz, doch Pakhet würde sich darüber nicht beschweren. Kaffee machte viele Dinge in ihrem Leben besser, erträglicher. „Also. Frühstück?“, fragte Weiwen. Pakhet lächelte matt. „Ja. Sicher. Danke.“ Knapp eine Stunde fuhr Weiwen mit ihr bei einem Leihwagenhändler vor. Zugegebenermaßen mochte Pakhet diese Idee noch immer nicht ganz, da auch solche Wagenverleihe öfter einmal zur Geldwäsche genutzt wurden. Doch Weiwen sagte, dieser wäre nicht mit den Triaden in Verbindung und was blieb Pakhet übrig, als ihr zu vertrauen? Sie trug ihre simple Prothese und einen Glamour, in der Hoffnung, dass dieser sie vor Diskussionen mit dem Verleih bewahrte. Sie hatte immer einmal wieder Probleme damit gehabt. Menschen, die nicht glaubten, dass sie so fahren konnte. Zugegebenermaßen tat sie sich noch immer mit Motorrädern schwer. Etwas, das sie ärgerte. Gerade hier wäre ein Motorrad, das schneller, wendiger in der Stadt war, von Vorteil gewesen. Doch sie traute es sich nicht zu, blieb bei einem sehr kleinen Wagen, zahlte mit einer ihrer Kreditkarten im Voraus. Dann verabschiedete sie sich – für den Tag – von Weiwen. So sehr sie es auch hasste zu warten, wusste sie, dass sie bestenfalls heute nur nach Li suchen konnte. Bis die Zauber, die sie in Auftrag gegeben hatte, fertig waren, war es zu riskant zuzuschlagen. Sie wollte nicht noch einmal in so einer Situation landen. Also fuhr sie mit der Hilfe eines Navis zum Apartmentkomplex, wo diese ganze Sache vor nun mehr fünf Tagen angefangen hatte. Diesige Wolken – oder war es Smog? – hingen am Himmel, der darüber jedoch blau zu schien. Es war gerade klar genug, um dieses Blau noch durchschimmern zu sehen. Ihr Magen zog sich zusammen, als sie aus dem Wagen ausstieg. Sie trug eine andere Perücke, dieses Mal eine blonde, die damit eher zu ihren Augenbrauen passte. Die Haare hingen nur knapp über ihre Ohren. Dazu trug sie dieses Mal Jeans und eine Lederjacke. Damit fühlte sie sich zumindest etwas sicherer. Wahrscheinlich war Li nicht hier. Sie wusste nicht einmal, wo sie gefangen gehalten worden war. War es hier gewesen? Noch immer konnte sie sich nicht wirklich erinnern. Dennoch war zumindest eine Sache auch hier, an die sie sich von ihrer Flucht erinnerte: Kräne. Sie stieg aus dem kleinen Wagen aus und sah sich nervös um. Die Straße war nicht so leer, wie bei ihrem letzten Besuch. Da hinten war eine Frau mit einem Kinderwagen. Zwei Männer standen an einer Straßenecke und redeten. Eine Gruppe Schulkinder kam ihr entgegen. Es gab keinen Grund nervös zu sein, oder? Nervös sah sie zu den Häusern zu beiden Seiten der Straße. Die hier waren jedenfalls höher als das, von dem sie geflohen war. Die Gebäude weiter die Straße herunter konnten jedoch passen. Verflucht. Sie brauchte eine bessere Ausblickstation. Dabei war das hier ohnehin nicht mehr als eine vage Idee. Sie wusste nicht, ob Li hier war. Ach, sie hasste es, so wenig Informationen zu haben. Natürlich hatte Michael mehr Informationen, aber ihr grauste vor dem Preis. Nein, sie würde Li selbst finden. Sie würde ihn finden, ihm folgen und dann … Sie atmete tief durch. Konzentration. Zuerst musste sie sich konzentrieren. Langsam, aber mit festem Schritt bewegte sie sich die Straße hinab, die Hand in der Tasche ihrer Jacke. So konnte sie eine kleine Waffe in der rechten halten und gleichzeitig ihre Prothese versteckt halten. Zumindest hatte sie einen vagen Plan. Sie sah sich zwischen den Gebäuden um. Es war wie so oft in den Großstädten mit den Kränen: Sie waren auch am Tag nicht alle im Einsatz. Da hinten war einer, der nicht in Benutzung zu sein schien, auf einer Baustelle, die offenbar im Moment leer stand. Sie hielt darauf zu, nahm kurz vor dem Zaun anlauf und sprang hinüber. Dankbarerweise sollte sie Recht behalten. Es war leer. Niemand hielt sich hier auf. Von der Tür unten am Kran ließ sie sich nicht aufhalten. Ihre Kräfte reichten, dass sie hoch genug springen konnte, um sich zwischen den Metallstreben hindurch zu winden und so zur Leiter zu kommen, wie sie es auch an dem Tag ihrer Flucht getan hatte. So kletterte sie empor. Es war auch mit Prothese nicht leicht, doch war der Gedanke ihrer Rache Motivation genug, um sie ohne große Pause hinaufklettern zu lassen, ehe sie die kleine Plattform bei der Kabine zu erreichen. Letztere war natürlich abgeschlossen, für Pakhet jedoch unwichtig. Stattdessen stand sie auf der Plattform, sah sich um und versuchte sich zu orientieren. Dahinten war der Fluss. Sie konnte sich erinnern, dass sie ihn vom Gebäude aus gesehen hatte, als sie geflohen war. Wahrscheinlich war es leichter, sich zu orientieren, wenn es dunkel war, da sie die Gegend bisher im Dunkeln kannte. So wäre es vielleicht einfacher gewesen, das richtige Stück Skyline zu erkennen. Leider war es mitten am Tag und sie musste sich versuchen anders zurecht zu finden. Also versuchte sie sich weitere Details in Erinnerung zu rufen, auch wenn es ihr Herz schmerzhaft rasen ließ. Ein scharfer Wind wehte in ihr Gesicht, während ihr Blick über die Häuserdächer wanderte. Das Gebäude, auf dem sie gewesen war bei ihrer Flucht war eins von einer Reihe identischer Gebäude gewesen. Wie viele waren es gewesen? Vier? Nein, es mussten fünf gewesen sein. Es war das vorletzte gewesen – nun, oder das zweite, je nachdem aus welcher Richtung man zählte. Und der Kran war – was? – acht bis zehn Meter entfernt gewesen. Also. Wo? Ihr Blick wanderte weiter über die Dächer, ehe sie einen Kran und eine Häuserreihe entdeckte. Zwei Blocks von dort entfernt, wo sie Tenzien getroffen hatte. Sie hatte Recht gehabt. Man hatte sie nicht weit fort gebracht. Es wäre wahrscheinlich zu auffällig gewesen. Dann hatte sie zwei mögliche Aufenthaltsorte, wo Li sein konnte. Jedenfalls wusste sie, dass jemand Lis kleine Folterkammer genau für diesen Zweck angepasst hatte. Da waren die Haken in Wänden und Boden gewesen und die Tür, da war sie sich recht sicher, war dicker gewesen. Vielleicht waren die Wände auch gegen Lärm isoliert gewesen. Ihr war es jedenfalls darin leiser vorgekommen und es machte Sinn, dass man verhindern wollte, dass Schreie zu weit zu hören waren. Sicher, oft waren organisierte Gruppen wie die Triaden auf ihrem eigenen Turf nicht zurückhaltend, doch waren Mord und Folter nichts, womit man allgemein hausieren kann. Auch nicht, wenn es zur Abschreckung geschah. Immerhin waren die Chancen ab einem gewissen Punkt zu groß, dass ein abbezahlter Polizist trotz allem sein Gewissen entdeckte. Die Frage war, was sie nun machen sollte. Ohne zu wissen, ob Li wirklich da war, blieb ihr wenig übrig, als zu warten. Durch die Nähe wäre es wenigstens möglich einen guten Ausguck zu finden. Ein Gebäude genau in der Mitte zwischen ihren beiden bekannten Punkten. Sie nahm einen tiefen Atemzug, dann kletterte sie wieder hinab, sprang auf halber Höhe zu einem der anliegenden Dächer ab. Eigentlich waren die Schluchten zwischen einigen dieser Häuser zu breit, doch sie musste es schaffen. Sie wollte nicht in eins der Gebäude hinein, wenn es sich vermeiden ließ. Nicht bis sie mehr wusste. Also nahm sie Anlauf, sprang und knallte unsanft gegen die Häuserwand auf der anderen Seite der Straße. Dennoch bekam sie die Kante des Flachdachs zu fassen und zog sich hinauf. Ach, verdammt. Sie konnte nicht mehr tun, als zu warten. Und so wartete sie … Es war eine andere Sache, die man beim Militär lernte. Herumzustehen – oder zu sitzen – ohne etwas zu tun. Stunden um Stunden konnten damit verbracht werden. Es brauchte Gewöhnung, Training, vor allem um nicht in Gedanken zu versinken und am Ende Löcher in die Luft zu starren. Zugegebenermaßen war es an diesem Tag schwerer. Denn immer wieder drohten diese Erinnerungen zurück in ihre Gedanken zu klettern, während sie auf dem Dach des Gebäudes hin und her lief. Sie musste beide Seiten im Auge behalten. Da waren diese Erinnerungen und immer wieder dieselbe innere Stimme, dass es sinnlos war, dass sie sich unnötig in Gefahr begab. Doch sie blieb hier, wartete. Sie musste einfach Li finden. Ohne Michaels Hilfe. Sie würde ihn finden. Und dann … Sie ging erneut zur anderen Seite. In der Tiefe gingen unterschiedliche Menschen entlang. Leute, die von der Arbeit kamen. Familien mit Kindern. Kinder ohne Familien, die von Schule, Nachhilfe, AGs oder Freunden kamen. Es war eine normale Wohngegend. Insofern war es wohl nicht überraschend. Dennoch kam ihr der Gedanke gruselig vor. Was machte sie, wenn sie Li nicht fand? Immerhin wusste sie nicht, wie oft er hierher kam. Einmal ganz davon zu schweigen, dass sie sich selbst in Gefahr begab, je länger sie sich hier aufhielt. Sicher, sie war recht weit oben und die wenigsten Menschen sahen zum Himmel empor. Dennoch konnte sie jemand entdecken, vor allem, wenn sie bedachte, dass Li magisch war. Vielleicht gab es irgendwo Geister, die die Gegend für ihn bewachten. Oder einfache Schutzzauber, Alarmzauber, irgendetwas der Art … Arm und Prothese vor der Brust verschränkt ging sie wieder zur anderen Seite. Mehr Menschen in der Tiefe. Konnte sie von hier oben Li überhaupt erkennen? Immerhin konnte sie nicht von sich sagen, dass sie wesentlich besser als andere Amerikaner darin war, chinesische Gesichtszüge zu unterscheiden. Es war albern und sicher auch irgendwie rassistisch, aber dennoch tat sie sich schwer. Vor allem aus der Höhe. Sicher, ihr magisches Auge wirkte wie ein einfaches Fernglas und ab und an hob sie ein tatsächliches Fernglas an die Augen, doch half die Perspektive von hier oben nicht, um Menschen zu erkennen. Scheiße. Vielleicht war es wirklich hoffnungslos. Vielleicht war es doch klüger nach Südafrika zurückzufliegen. Dann aber wiederum … sie würde es sich nie verzeihen, würde ewig über ihre eigene Schulter schauen. Nein. Li musste sterben. Als sie umdrehte und zur anderen Seite – der Seite des Casinos – ging, hielt sie auf einmal inne. Sie zog das Fernglas hervor und schaute in die Tiefe. Ihr Herz machte einen kurzen Aussetzer. Das konnte nicht sein. Doch da unten lief eine Frau, die Pakhet sehr bekannt vorkam. Ja, die kokette Art, das lange, wallende Haar. Das war das Weib, das Lis Leibwächterin gemiemt hatte. Das Weib, das sie mit Begeisterung mitgefoltert hatte. Das Weib, das Pakhet eigentlich getötet hatte. Jedenfalls war sie sich sehr sicher, dass die Frau tot gewesen war, als sie sie dort zurückgelassen hatte. Wie konnte das sein? Dann wiederum … sie war kaum bei Bewusstsein gewesen. Hatte sie den Puls gefühlt? Nein. Es war nicht ihre Priorität gewesen. Vielleicht hatte die Frau überlebt. Vielleicht hatte man sie magisch geheilt. Genau so wie Pakhet magisch geheilt worden war. Sollte sie ihr folgen? Sie schien mit Li vertraut gewesen sein. Wenn Pakhet sie allein erwischte … Wenn sie nicht gefesselt war, sollte sie es mit dieser Frau locker aufnehmen können. Sie war vielleicht auch irgendwie magisch, war vielleicht auch trainiert, aber sie hatte nicht Pakhets Erfahrung – und nicht ihre Wut. Es war vielleicht eine bessere Methode, als auf Li zu warten. Kurz zögerte Pakhet, während die Frau sich zu einem Wagen hinüber bewegte. Sie war wirklich allein. Keine weiteren Wachen. Verflucht. Die Chance war zu gut, wenn es nicht eine Falle war. Pakhet konnte sich es einfach nicht entgehen lassen. Genau dafür hatte sie einen Zauber mitgenommen. Sie holte das einfache Glasplättchen aus ihrer Tasche. Jetzt kam der unangenehme Teil. Der Teil an dem sie einem vollkommen fremden Magier vertrauen musste. Aber verdammt … sie wollte sich die Chance nicht entgehen lassen. Also sprang sie in der Gasse zwischen diesem und dem nächsten Gebäude hinab. Zwei Mal fing sie sich ab, ehe sie das Plättchen zerbrach und von einem Windstoß abgefangen wurde. Mit zitternden Beinen landete sie in der schmalen Gasse, fing sich aber, um hinaus auf die Straße zu eilen. Wo war das Weib? Ein startender Motor zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Es war ein rotes Auto und als sie sich auf die leicht getönten Fenster konzentrierte konnte sie einen kurzen Blick auf die Frau erhaschen. Praktisch. Roter Wagen. Davon würde es nicht so viele geben. Zumal es ein besserer Wagen war. Schwerer zu verlieren. Pakhet rannte. Sie sprang in den eigenen Leihwagen und startete den Motor. Wenigstens war sie in Shanghai, wo sie sich nicht umgewöhnen musste. Die Wagen fuhren hier weiterhin links, anders als im Rest von China. So brauchte es nicht viel Umdenken für sie. Besser, denn sie musste sich darauf konzentrieren das Weib und ihren Wagen im Auge zu behalten. Wohin war die Frau gerade unterwegs? Würde sie sie zu Lin führen? Wahrscheinlich nicht. Doch das musste sie auch nicht. Es reichte, wenn Pakhet die Frau allein abfangen konnte. Dann würde sie die Information schon aus ihr herausbekommen. Und am Ende würde sie sichergehen, dass auch die Frau tot war. Sie hatte es verdient. Verflucht. Sie hätte sie wirklich beinahe umgebracht. Am Ende hatte sie mindestens genau so viel Spaß an der Sache gehabt wie Li und die Männer. Wieder musste Pakhet Erinnerungen verdrängen, die in ihr aufkommen wollten. Nein. Später. Sie würde all das später verarbeiten. Für jetzt musste sie hinter dem Wagen bleiben, der mit zu großer Geschwindigkeit in Richtung der nächsten Hauptstraßen fuhr. Wohin auch immer das Weib wollte. Dankbarerweise hatte Pakhet einen nicht zu langsamen Wagen geholt, selbst wenn der Kombi es nicht wirklich mit dem Sportwagen des Weibs aufnehmen konnte. Doch der Verkehr galt für sie beide und so schaffte sie es irgendwie, nah genug an dem roten Wagen zu bleiben, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Die Frau fuhr in Richtung des Finanzdistrikts – auch wenn Pakhet Zweifel hatte, was sie da wollte. Dennoch hielt sie sich an ihr, fluchte aber innerlich. Der Finanzdistrikt war deutlich besser gesichert, immerhin trieben sich hier die wichtigen Menschen rum, für die die Polizei auch aufmerksam war. Nicht der beste Ort für eine Befragung. Tatsächlich hielt das Weib vor einer Bank, stieg aus ihrem Wagen aus und sah sich um. Sie trug eine Sonnenbrille, die beinahe dazu gemacht schien, das Bösewichts-Bild abzurunden. Am Ende schloss sie den Wagen ab, verschwand in die Bank, während Pakhet missmutig einen Parkplatz gute hundert Meter entfernt auf der gegenüberliegenden Straßenseite suchte. Sie würde warten. Es war wirklich kein guter Ort für einen Angriff. Und so wartete sie mit einem Finger nervös auf dem Lenkrad tippend. Sie wusste nicht, ob die Frau sie vorher bemerkt hatte. Wenn sie um Hilfe rief, wenn es einen Hinterhalt gab … Ein weiteres Mal würde sie nicht entkommen. Und dieser Gedanke lag wie ein Stein in ihrem Magen. Normal war sie nicht paranoid, aber die Erlebnisse in diesem Zimmer … Nach etwa vierzig Minuten stolzierte die Frau in ihrem nicht ganz hierher passenden Kleid wieder aus der Bank heraus. Wieder blieb sie stehen, sah sich um und für einen Moment glaubte Pakhet, dass ihr Blick auf ihrem Wagen verweilte. Hoffentlich nicht. Vielleicht war es besser umzudrehen. Vielleicht … Nein. Sie würde es durchziehen. Das hier war ihre beste Chance. Es war ihre einzige Chance. Sie musste Li finden. Und so wartete sie bis die Frau losfuhr, mit dem Wagen hinter der nächsten Straßenecke verschwand, ehe sie folgte. Es war kurz nach fünf und der ohnehin schon dichte Verkehr nahm zu, machte es schwerer den roten Wagen ausfindig zu machen. Dann aber entdeckte Pakhet ihn, konzentrierte sich darauf ihn im Blick zu halten, während sie den Kombi durch den Verkehr lenkte. Irgendwann würde es eine Chance für sie geben, oder? Sie verdrängte die Zweifel, konzentrierte sich auf den Verkehr und folgte der Frau weiter, der nun wieder in Richtung des Flusses fuhr. Keine zehn Minuten später standen sie in einem Stau, der sich auf der Brücke gebildet hatte, wo hunderte Wagen sich drängten, während ihre Insassen auf dem Rückweg von der Arbeit heimwollten. Es war egal. Sie hatte noch Zeit. Sie behielt den roten Wagen im Auge, fünf Wagen weiter vorne im Gedränge stand. Stück für Stück bewegten sie sich vorwärts, während die Uhr am Armaturenbrett sich auf achtzehn Uhr weiterbewegte. Es war viertel nach sechs, dass sie die andere Seite der Brücke erreichten, und Pakhets Nerven lagen blank. Der Stau bot wenig Ablenkung, machte es schwer ihr Gehirn davon abzuhalten, sich alle möglichen Ausgänge für diese Sache auszumalen. Aber egal wie schwer der Stein in ihrem Magen zu sein schien: Sie fuhr weiter. Folgte der Frau, die nun wieder in ein einfacheres Wohngebiet abbog. Es war eine andere Gegend als die, in der Pakhet gefangen genommen worden war, auch wenn die Apartmenthäuser, die sich rechts und links von der Straße gen Himmel streckten denen in dem Viertel des Casinos erstaunlich ähnlich waren. Auch hier war der Verkehr noch dicht und zähfließend, stand aber wenigstens nicht länger. Endlich bog der rote Wagen in eine kleinere Seitenstraße. An der Straßenecke zögerte Pakhet. Die Seitenstraße war nicht weiter befahren, schien vorrangig eine Lieferanfahrt für ein paar Geschäfte und Restaurants, die sich in den Erdgeschossen der anliegenden Gebäude befanden, zu sein. Wenngleich nach einem kurzen Halt bog Pakhet dennoch ab, nur um den Wagen einen Moment später anzuhalten. Der rote Wagen stand. Die Rücklichter waren aus. Offenbar geparkt. Jeder von Pakhets Sinnen schlug Alarm. Das hier musste eine Falle sein. Ja, sie war sicher bemerkt worden. Was sollte sie tun? Wegfahren? Nein. Das konnte sie nicht. Es kam nicht in Frage. Sie atmete tief durch. Dieses Mal war sie besser bewaffnet. Sie würde es schon mit dieser Frau aufnehmen können. Mit der Frau und etwaigen Triadenmitgliedern, die hier auf sie warteten. Die Gebäude hier waren nur vier bis fünf Stockwerke hoch. Da waren Gassen zwischen ihnen. Vielleicht war es eine Möglichkeit. Wenn sie nach oben kam und sich eine Übersicht verschaffte. Ja, das war ein guter Plan. Sie nahm ihre Waffe, befestigte das Holster außen, überprüfte dann ihre Messer. So würde es gehen. Mit einem letzten tiefen Atemzug stieg Pakhet aus dem Wagen aus. Sie riskierte es, sich kurz umzusehen, ehe sie über den Wagen hinwegsetzte und zur Gasse hetzte. Schon erklang der erste Schuss. Sie hatte nicht genau gesehen, woher, doch verfehlte er sie nur um wenige Zentimeter. Gerade als der zweite Schuss erklang hatte sie die Gasse erreicht und sprang. Sie musste aufpassen, dass sie nicht zu viel ihrer Energie für solche Stunts verschwendete, aber Übersicht war wichtig. Wenn sie einmal oben war, wäre sie relativ sicher. Die meisten Menschen waren mies darin nach oben zu schießen. Zu viele Nicht-Menschen würden sie wohl nicht haben. Also sprang sie, stieß sich an der Hauswand ab, sprang weiter und erreichte das Flachdach. Sie ließ sich auf den Bauch fallen, zog dabei ihre Waffe und robbte dann zum Rand des Daches. Rufe erschalten unten auf der Straße. Da waren vier Männer. Von der Frau fehlte jede Spur. Verflucht. Zwei der Männer liefen nun zu der Gasse hinüber. Nun, sie waren das erste Problem, was es zu beseitigen galt. Sie entsicherte ihre Waffe, hielt sich soweit möglich unter dem Mäuerchen am Rand des Daches verborgen und zielte. Einatmen, nachjustrieren, ausatmen, schießen. Ihr Schuss traf den ersten Mann in den Kopf. Sie schoss noch einmal, traf den zweiten in die Schulter, bevor er eine Chance hatte zu reagieren. Es würde ihn nicht töten, reichte aber, um ihn zu Boden zu reißen. Allerdings reichte es ebenso, um die anderen beiden auf ihre Position aufmerksam zu machen. Sie duckte sich wieder, rollte sich ein Stück zur Seite. Immerhin dämmerte es langsam. Ihre Position war besser als die der Männer. Sie hatte Schutz und soweit prallten alle Schüsse nutzlos an der Mauer ab, schafften es nur Putz von der Fassade zu lösen. Die beiden Kerle da unten entleerten beide ihre Magazine. Pakhet zählte. 24 Schüsse gesamt. Zwölf pro Magazin. Jetzt war ihre Chance. Sie wagte den Blick über die Kante, richtete sich ein Stück auf und legte an. Einatmen, nachjustieren … Jemand packte sie von hinten am Kragen der Jacke, warf sie mit einer magischen Leichtigkeit. Unsanft prallte Pakhet mit dem Rücken auf dem Kies auf, dass das Dach bedeckte. Sie keuchte. Es waren ihre Instinkte, die sie warnten und dazu brachten, sich zur Seite zu rollen, so dass das Messer den Boden neben ihr traf. Sie wollte nach der Gestalt treten, verfehlte aber. Die Gestalt war schnell. Magisch. Natürlich. Keuchend kam Pakhet auf die Beine und betrachtete die Frau, deren Kleid locker um ihre Beine wehte. Sie hielt einen langen Dolch in der Hand, hatte ihre Sonnenbrille vom Nachmittag abgelegt. Da war etwas in ihren Augen, das Pakhet nicht in der Folterkammer gesehen hatte. Ein magisches Schimmern, das den Hunger noch gefährlicher wirken ließ. „Gweimu“, zischte die Frau und fixierte Pakhet. Sie war definitiv noch am Leben und allen Anschein nach kein Mensch. Schon sprang sie auf Pakhet zu, aber anders als auf jenen Balkon oder in dieser Folterkammer hatte Pakhet ihre Pistole. Sie schoss, ließ ihre Instinkte ihre Finger leiten. Ein wütender Schrei erklang, als die Frau zur Seite sprang. Sie hielt sich die Seite. Offenbar hatte Pakhets Schuss sie zumindest gestreift. „Ich hatte eigentlich gedacht, du würdest abhauen“, knurrte die Frau in ihrem weiterhin dickem Akzent. „Aber offenbar willst du sterben.“ Normalerweise ließ Pakhet sich gerne auf diese kleinen Pläuschchen ein. Versuche den Gegner auf dem falschen Fuß zu erwischen. Aber nicht heute. „Wo ist Li?“, fragte sie stattdessen kalt ohne ihre Waffe sinken zu lassen. Die Augen der Frau glühten. Sie glühten tatsächlich. Was war sie? Sie antwortete etwas, jedoch auf Mandarin. Dann sprang sie, schien zu verschwinden. Pakhet sah sie nicht, doch ihre Instinkte ließen sie sich umdrehen – gerade Rechtzeitig um zu verhindern, dass der Schal sich um ihren Hals wickelte. Sie schoss, duckte sich dann unter dem Messer hinweg. Die Frau war noch schneller als sie – und ihre eigene Geschwindigkeit war bereits durch ihre Magie verstärkt. Von der Straße erklangen weitere Schüsse, brachten die Frau dazu kurz einen Blick zum Rand des Gebäudes zu werfen. Sie zischte etwas, verschwand dann erneut. War sie zu schnell oder nutzte sie irgendeine Form der Unsichtbarkeit? Anstatt zu versuchen sie zu sehen, vertraute Pakhet ihren Instinkten. Sie duckte sich unter dem Messer hinweg, versuchte erneut zu schießen, traf dieses Mal aber nur das Dach. Ein weiterer Schlag mit dem Messer, ein weiterer Schuss, dann traf auf einmal eine kalte Hand Pakhets Nacken, griff fest zu. Spitze Fingernägel bohrten sich in Pakhets Fleisch, ließen sie keuchen. Sie durfte jedoch nicht schlaff werden. Das Weib hatte noch immer ein Messer. Stattdessen trat sie nach hinten aus, traf die Hüfte der Frau. Dann brachte sie ihre Waffe zu ihrem Hals und schoss. So nah an ihrem Ohr abgefeuert klang der Knall des Schusses als Ringen weiter. Sie konnte die Hitze des Laufs an ihrem Hals fühlen. Dennoch schrie die Frau auf, ließ sie los. Pakhet fuhr herum. Der Schuss hatte den Arm der Frau durchbohrt – allem Anschein nach die Knochen zertrümmert. Schreiend hielt die Frau den linken Arm an ihren Körper gedrückt, die Hand mit dem Messer jedoch weiterhin vor sich. Ihre Worte waren fraglos irgendwelche Beleidigungen, selbst wenn Pakhet sie nicht verstand. Wieder verschwand sie, tauchte nicht sofort wieder auf. Pakhet atmete tief durch, fuhr dann herum und schoss noch einmal. Dieses Mal traf sie die Schulter der Frau, riss sie damit zu Boden. Diese Chance konnte sie sich nicht entgehen lassen. Mit drei Schritten war Pakhet bei ihr, trat den Dolch aus der Hand der Frau, ehe sie ihren Fuß auf die verletzte Schulter setzte. Sie richtete die Pistole auf den Kopf der schreienden Frau. „Wo ist Li?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)