Insecurity von kleines-sama (Dofladile) ================================================================================ Kapitel 4: Rückschläge ---------------------- Crocodile hasste es warten zu müssen. Bei ihm handelte es sich um einen Menschen, der es nur schlecht ertragen konnte, wenn er nicht die die absolute Kontrolle über sein Leben hatte. Und im Moment fühlte er sich buchstäblich als würde er ohnmächtig in der Schwebe hängen. Normalerweise verbrachte er nicht viel Zeit an seinem Handy, doch nun schaute er manchmal dreimal pro Minute auf den Display. Wartete auf einen Anruf von der Kinderwunschklinik. Auf eine Nachricht von seinen Geschwistern oder Daz. Seit dem Grillfest, das am Ende völlig aus dem Ruder gelaufen war, hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen. Crocodile rechnete damit, dass Mihawk oder Hancock sich bei ihm melden würden, um sich für ihre unverschämten Reaktionen auf seinen Kinderwunsch zu entschuldigen. Daz würde ihn auch um Verzeihung bitten. Er war Crocodiles ältester Freund und ständig besorgt um ihn. Bestimmt würde er ihn anrufen und mitteilen, dass er seine Worte nicht so gemeint hatte. Dass er bloß das Beste für ihn wollte. Aber es meldete sich niemand bei ihm. Inzwischen war es Freitag und weder ein Anruf noch eine Textnachricht fand ihren Weg zu ihm. Auch von Dr. Raffit gab es noch keine Rückmeldung bezüglich der künstlichen Befruchtung. Der Arzt hatte versprochen sich zu melden, sobald es Neuigkeiten für sie hatte. Crocodile war sich dessen bewusst, dass eine in-vitro-Befruchtung nicht in fünf Minuten erledigt war: Zuerst wurden die Samenzellen aufbereitet, um die Qualität zu verbessern und die Chancen einer erfolgreichen Fertilisation zu erhöhen. Dann brachte man seinen Samen mit den Eizellen zusammen und zog sie einige Tage lang in einer Nährlösung heran. Erst danach wurde eine befruchtete Eizelle in Rebecca Rikus Gebärmutter eingesetzt. Der Vorgang dauerte also eine ganze Weile. Es war nicht ungewöhnlich oder besorgniserregend, dass sie noch nichts von der Kinderwunschklinik gehört hatten. Trotzdem spürte Crocodile, dass er mit jedem Tag, der ereignislos verstrich, nervöser wurde. Beim gemeinsamen Abendessen mit Doflamingo starrte er praktisch im Sekundentakt auf den Display seines Smartphones. Irgendwann konnte selbst sein Ehemann diese Situation nicht mehr mit Humor nehmen. "Jetzt leg bitte endlich dieses verdammte Handy weg", maulte er zwischen zwei Bissen. "Du hast deine Paella kaum angerührt. Dabei ist sie wirklich gut. Dadan stand dafür heute über drei Stunden in der Küche." Dadan war ihre Haushälterin, die wochentags für sie tätig war. Eine runde Frau Mitte fünfzig mit langen, rot-orangenen Locken. Seit Crocodile und Doflamingo vor etwa fünf Jahren in ihr neues Domizil gezogen waren, kümmerte sie sich hier um alles. Dadan putzte, räumte auf, kaufte ein und kochte das Abendessen für sie. Sie war eine wirklich große Hilfe. Früher, als sie beide noch in Doflamingos gigantischer Villa gewohnt hatten, waren ständig Dutzende Angestellte und Dienstmädchen um sie herum geschwirrt. Crocodile war sich vorgekommen wie in einem Hotel; mit nur einer einzigen Haushälterin fühlte er sich deutlich wohler. "Ich möchte nichts verpassen", verteidigte sich Crocodile. Und um seinen Ehemann ein wenig zu beschwichtigen, nahm er einen großen Bissen der Paella zu sich. Sie war wirklich gut. Traditionell mit Meeresfrüchten, frischem Gemüse und Safran. Crocodile wusste, dass Doflamingo spanisches Essen liebte. "Dr. Raffit könnte sich jeden Moment melden. Willst du denn nicht wissen, ob die künstliche Befruchtung erfolgreich war oder nicht? Ich meine, unsere Chance liegt bei höchstens einem Fünftel." "Natürlich bin ich auch gespannt", erwiderte Doflamingo sofort. "Aber du lässt dich regelrecht verrückt machen. Er wird nicht eher anrufen, bloß weil du permanent auf dein Handy starrst. Außerdem ist unser Besuch in der Klinik gerade mal drei Tage her. Wir müssen uns noch gedulden. Es bringt nichts sich in der Zwischenzeit verrückt machen zu lassen." Crocodile senkte den Blick. "Ich warte nicht nur auf Dr. Raffits Anruf", gestand er schließlich. "Meine Geschwister und Daz haben sich auch noch nicht gemeldet. Es ist ein komisches Gefühl mit ihnen auf Kriegsfuß zu stehen." "Du solltest euren Streit nicht überbewerten", meinte Doflamingo. "Es ist doch schon häufiger vorgekommen, dass ihr euch zerstritten habt. Seid eben alle Drei echte Sturköpfe. Das wird sich schon alles wieder einrenken." "Wir streiten uns hin und wieder", gab Crocodile zu. "Aber normalerweise vertragen wir uns auch schnell wieder. Fast eine Woche vollständige Funkstille ist wirklich ungewöhnlich. Ich mache mir allmählich Sorgen. Ich habe nicht damit gerechnet, dass sie alle dermaßen wütend und nachtragend sein würden." "Das kommt schon wieder in Ordnung", versuchte sein Ehemann ihn zu trösten. "Sie brauchen wahrscheinlich ein bisschen Zeit, um sich zu beruhi..." Doflamingo bekam keine Gelegenheit seinen Satz zu Ende zu führen. Crocodiles Handy vibrierte; sofort stürzte er sich auf das kleine, elektronische Gerät. Nur um es gleich wieder enttäuscht sinken zu lassen. "Bloß Law", seufzte er niedergeschlagen. "Er fragt, ob wir morgen mit ihm und ein paar Freunden in Shakkys Bar gehen wollen." Doflamingo warf ihm einen entnervten Blick zu. Zwar wurden seine Augen durch die getönten Gläser seiner Sonnenbrille verdeckt, doch nach sechs Jahren Ehe konnte Crocodile seinen Gesichtsausdruck gut genug deuten. Die pulsierende Ader an seiner Stirn war sicher auch kein positives Zeichen. "Weißt du was?", meinte Doflamingo und verzog den Mund. "Ich finde, wir sollten uns morgen mit den Anderen in Shakkys Bar treffen. Und dieses beschissene Handy lässt du Zuhause liegen. Du brauchst ein bisschen Ablenkung." Crocodile rollte mit den Augen, doch wagte es nicht zu widersprechen. Er wollte sein Glück nicht herausfordern. Es kam nur extrem selten vor, dass Doflamingo genervt war. Normalerweise handelte es sich bei seinem Ehemann um einen Menschen, der alles mit Humor nahm und ständig grinste. Dass er auf diese Weise auf ihn reagierte, konnte nur bedeuten, dass Crocodile sich in den letzten Tagen wirklich anstrengend verhalten haben musste. Eigentlich hielt sich Crocodile sehr gerne in Shakkys Bar auf. Der Laden war klein und urig mit lauter kunterbunten Möbeln, die kein bisschen aufeinander abgestimmt waren. Es verschlugen sich immer allerhand interessante und exzentrische Persönlichkeiten hierher. Selbst Doflamingo, der eine pinkfarbene Caprihose, ein bis zum Bauchnabel geöffnetes Hemd und seinen furchtbaren Federmantel trug, fiel gar nicht allzu sehr auf. Law war bereits anwesend; er hielt sich gemeinsam mit ein paar weiteren Leuten in der Nähe einer kleinen Tischgruppe auf. Doflamingo und Crocodile steuerten die Bar an und besorgten sich Getränke, ehe sie sich auf den Weg zu ihrem Freund machten. Law hatte eine größere Gruppe von Bekannten in Shakkys Bar eingeladen. Im Gegensatz zu Doflamingo kannte Crocodile bloß etwa die Hälfte von ihnen. Das überraschte ihn nicht sonderlich; er hatte keinen so großen Freundeskreis wie sein Ehemann. Bevor sie beide sich kennengelernt hatten, hatte er seine Freizeit praktisch ausschließlich mit seinen Geschwistern oder Daz verbracht. Der Gedanke an seine Familie vermieste ihm die Laune. Crocodile schüttelte geistesabwesend den Kopf und ließ sich neben seinem Ehemann nieder, der fröhlich seine Freunde begrüßte. Crocodile hatte sein Handy Zuhause gelassen, so wie Doflamingo es von ihm verlangt hatte. Nun wünschte er sich, er hätte es heimlich mitgenommen. Dann könnte er wenigstens hin und wieder mal schauen, ob Mihawk, Hancock oder Daz versucht hatten ihn zu erreichen. Obwohl er von vielen gut gelaunten Menschem umringt war, fühlte er sich isoliert. Seine sowieso schon schlechte Laune sank noch weiter. Aufgewühlt nippte Crocodile an seinem Wasserglas. "Versuch ein bisschen Spaß zu haben", sagte Doflamingo und bot ihm ein freundliches Lächeln an. Vor ihm stand ein Cocktail, der mit vielen bunten Schirmchen und Obstspießen dekoriert war. "Ich gebe mir Mühe", erwiderte Crocodile, doch seine Stimme klang so wenig überzeugt, dass er sich nicht einmal selbst glauben konnte. "Hey, Doffy, schau mal her!", rief Dellinger gut gelaunt über den Tisch hinweg. Er zog sein T-Shirt hoch und präsentierte seinen Bauchnabel, der von einem goldenen Piercing verziert wurde. "Das habe ich mir vorgestern stechen lassen. Wie findest du es?" "Schick", kommentierte Doflamingo das Schmuckstück begeistert und beugte sich sogar über die Tischplatte, um es besser begutachten zu können. Crocodile seufzte leise und rollte mit den Augen. Er fragte sich, ob sein Ehemann bei den schlechten Lichtverhältnissen in der Bar überhaupt etwas erkennen konnte. "Vielleicht lasse ich mir noch eins stechen", erklärte Dellinger ihm. "Ich dachte vielleicht an meine Augenbraue oder Unterlippe. Was meinst du?" Dellinger war über zehn Jahre jünger als Doflamingo und ein Cousin von ihm. Nicht ersten Grades, eher ein entfernter Verwandter. Er legte sehr viel Wert auf die Meinung von Doflamingo, an dem er sich grundsätzlich stark orientierte. Sein Outfit war ähnlich flamboyant; allerdings topte er es noch mit violetten Stöckelschuhen. "Würde dir gut stehen", meinte Doflamingo grinsend. Dellinger wirkte zufrieden und wandte sich wieder seinem Sitznachbarn zu. Crocodile nippte unterdessen erneut an seinem Wasserglas. "Hast du Magenschmerzen?", fragte sein Ehemann ihn im Flüsterton. "Du wirkst so angespannt." Crocodile schüttelte den Kopf. "Wer wäre nicht angespannt, wenn er sich Dellingers schreckliches Outfit ansehen müsste?" Seine Aussage sollte sich eigentlich witzig und locker anhören, doch sogar auf ihn selbst wirkte sie bitter. Doflamingo nahm es ihm nicht übel. "Er ist nun mal schwul", lachte er und stupste Crocodile vorsichtig mit dem Knie an. "Ich bin auch schwul", erwiderte Crocodile schulterzuckend. "Und ich laufe nicht so herum. Um ganz ehrlich zu sein, habe ich nie verstanden, warum manche schwulen Männer auf Frauenkleidung stehen. Dann kann man es mit der Homosexualität doch gleich bleiben lassen." Doflamingo kicherte leise. "Und was ist mit mir?", fragte er und deutete auf sein eigenes Outfit. "Ich habe einen ähnlichen Stil wie Dellinger, fufufufu." "Nun ja, du warst für mich schon immer ein Buch mit sieben Siegeln", gab Crocodile schelmisch zurück und brachte dieses Mal sogar ein richtiges Lächeln zustande. Sie wurden unterbrochen, als eine junge Frau mit rötlichem Haar zu ihnen stieß. "Das ist meine Freundin Scarlet", stellte Violet sie ihnen vor. Scarlet begrüßte die Runde und ließ sich dann auf dem freien Stuhl neben Violet nieder. Scarlet erinnerte ihn ein wenig an Rebecca Riku, die Leihmutter, die Doflamingo und er ausgesucht hatten. Ob die beiden womöglich verwandt waren? Der Gedanke an die künstliche Befruchtung ließ Crocodile wieder unruhig werden. Bestimmt war Rebecca inzwischen die befruchtete Eizelle eingesetzt worden. Nun war die Zeugung seines Kindes außerhalb der Reichweite der Kinderwunschklinik; von hier an würde das Schicksal entscheiden. Dellinger zog erneut alle Aufmerksamkeit am Tisch auf sich, indem er von seinem Date mit einem Typen namens Blue Gilee erzählte. Sie hatten sich offenbar letztes Wochenende auf einer Party kennengelernt. "Er ist wahnsinnig groß", schwärmte Dellinger. "Und seine langen Beine... Ich bin wirklich neidisch geworden. Manchmal ist es gar nicht so einfach schwul zu sein: Du weißt nie ganz sicher, ob du den Typen einfach nur vögeln möchtest oder ob du so sein möchtest wie er." Diese Aussage sorgte für allgemeines Gelächter am Tisch; lediglich Crocodile rollte mit den Augen. Er konnte es nicht leiden, wenn Menschen ihre Sexualität zu ihrem wichtigsten Persönlichkeitsmerkmal stilisierten. Er selbst war auch homosexuell, aber er hatte nicht das Gefühl, dass ihn diese Eigenschaft am stärksten ausmachte. Es war nicht so als würde er seine sexuelle Orientierung verheimlichen; sie nahm in seinem Leben einfach keinen sonderlich großen Stellenwert ein. Seine Arbeit als Manager und sein stolz-sturer Charakter waren deutlich prägnanter. Viele seiner Bekannten erfuhren erst davon, dass er auf Männer stand, wenn sie ihm gemeinsam mit seinem Ehemann begegneten. "Ich mache nur Spaß", fuhr Dellinger kichernd fort und wedelte mit seiner Hand. "Natürlich habe ich ihn gevögelt." Erneut erntete er amüsiertes Gelächter von den umstehenden Leuten. Crocodile fragte sich unterdessen, ob er nicht lieber nach Hause gehen sollte. Bei ihm handelte es sich nicht per se um eine Spaßbremse. Eigentlich ging er gerne mit Freunden aus. Aber die Gesprächsthemen an diesem Abend entsprachen absolut nicht seinem Niveau. Er war kein so verrückter Paradiesvogel wie Doflamingo oder Dellinger. Seinem Ehemann zuliebe nahm Crocodile sich vor wenigstens noch eine Stunde in Shakkys Bar abzusitzen. Ihm war bewusst, dass Doflamingo es mit seiner schlechten Laune in letzter Zeit nicht leicht hatte. Er gönnte ihm ein bisschen Ablenkung durch seine Freunde und deren primitiven Humor. Die Stimmung kippte später am Abend, als Dellinger es übertrieb und einem Mann am Nachbartisch einen obszönen Flirtspruch zurief. Crocodile bekam die genaue Wortwahl gar nicht mit; irgendetwas mit süßem Mäuschen oder so etwas. Wahrscheinlich eine Anspielung auf die weiße Kappe mit Mäuse-Ohren, die dieser trug. Leider nahm er den Flirt nicht Humor. "Lass mich bloß in Ruhe, du Tunte", gab er zischend zurück und warf Dellinger einen verächtlichen Blick zu, der insbesondere an seinen Stöckelschuhen haften blieb. "Mit Typen wie dir will ich nichts zu tun haben." Doflamingo, der sich immer für seine Freunde einsetzte, fühlte sich sofort dazu veranlasst Dellinger zu verteidigen. "Nimm das sofort zurück, du elendige Ratte!", sagte er zornig und erhob sich von seinem Sitzplatz. Andere Leute aus ihrer Gruppe schlossen sich Doflamingo an. "Du homophobes Arschloch!", hörte Crocodile Cirkies sagen. Scarlet stimmte mit ein. Crocodile war einer der wenigen, der sich zu keiner beleidigenden Äußerung herabließ. "Doffy", sagte er stattdessen und zupfte an dessen Hemdsärmel. "Lass es gut sein. Du tust keinem hier einen Gefallen, wenn dieser Abend in einer unnötigen Prügelei endet." Doflamingo setzte eine verständnislose Miene auf. "Der Kerl hat Dellinger beleidigt", meinte er wütend. Sein Atem roch nach Alkohol. "Das kann man doch nicht so einfach stehen lassen!" "Dellinger hat ihn zuerst angemacht", erinnerte Crocodile seinen Ehemann. "Und davon mal abgesehen: Wenn man als Mann mit Hotpants und Stöckelschuhen rumläuft, darf man sich nicht wundern, wenn man als Tunte bezeichnet wird." Diese Aussage sorgte nicht nur bei Doflamingo, sondern auch bei einigen anderen Leuten am Tisch für entsetzte Reaktionen. "Das ist doch wohl nicht dein Ernst!", meinte Bellamy und warf ihm einen durchdringenden Blick zu. "Dellinger findet es sich nicht schön als Tunte bezeichnet zu werden!" "Vielleicht findet es dieser Kerl auch nicht schön als Mäuschen oder was auch immer bezeichnet zu werden", hielt Crocodile dagegen ohne Bellamys Blick auszuweichen. "Er hat verdammte Mäuseohren auf seiner Mütze!" "Und Dellinger hat Stöckelschuhe an den Füßen!" Crocodile war es völlig unbegreiflich, wie weder Bellamy noch dessen Freunde diese Doppelmoral erkennen konnten. Sie verteidigten Dellinger bloß, weil er zu ihnen gehörte. Aber im Grunde hatte er sich nicht besser benommen als der Kerl, gegen den nun alle schossen. "Dellinger wollte nur ein bisschen flirten", schaltete sich nun auch wieder Doflamingo ein. Ausnahmsweise schien er einmal nicht auf der Seite seines Partners zu sein. "Das ist kein Grund gleich beleidigend zu werden!" "Er hat ihn als Tunte bezeichnet", gab Crocodile angenervt zurück. "Nicht als Missgeburt, Hurensohn oder was auch immer. Und im Grunde liegt er ja nicht einmal falsch. Ich meine, Dellinger ist eine Tunte, oder nicht?" Damit hatte er den Vogel wohl abgeschossen. Der Reihe nach zogen die Leute um ihn herum scharf die Luft ein und traktierten ihn mit giftigen Blicken. Man könnte meinen, er hätte so eben behauptet, dass er die Ausbeutung von Kindersklaven befürwortete. "Es geht nicht darum, was er ist oder nicht", erklärte ihm Doflamingo, der sich schwer um einen sachlich klingenden Tonfall bemühte. "Es geht darum, wie man ihn bezeichnet und was man damit meint. Diese Ratte da drüben hat das jedenfalls nicht nett gemeint." "Er hatte eben keine Lust darauf mit Dellinger zu flirten. Nicht jeder wird gerne von einer Tunte angeflirtet. Das muss man akzeptieren. Ich meine, Shakkys Bar ist nicht explizit eine Schwulenbar oder so etwas in der Art." "Stell dir mal vor, jemand würde dich Narbengesicht nennen", warf Doflamingo ein. "Ich meine, du hast eine auffällige Narbe im Gesicht. Aber du fändest es trotzdem mies, wenn man dich so bezeichnen würde, oder nicht?" "Falls du dich erinnerst, hatten wir exakt diese Situation in exakt dieser Bar schon einmal", erklärte Crocodile ihm augenrollend. "Weißt du noch? Diese junge Frau... Ich glaube, sie hieß Porsche, aber ich bin mir nicht mehr ganz sicher... Sie hat mich so genannt. Und nein, es hat mir nichts ausgemacht. Ich habe nun einmal eine Narbe im Gesicht. Und Dellinger ist eine verdammte Tunte. Es ist keine Beleidigung, wenn es nicht gelogen ist." "Wenn man also jemanden als fett bezeichnet, dann ist das keine Beleidigung, wenn diese Person tatsächlich fett ist?", schaltete sich Cirkies mit mockierender Stimme ein. "Ja", gab Crocodile mit klarer Stimme zurück. Er ließ sich nicht einschüchtern oder kleinmachen. "Verdammt noch mal, Crocodile, das ist nicht okay!" Violet schien kaum mehr an sich halten zu können. "Auch wenn manche Leute vielleicht dick sind... oder Narben haben... oder angezogen sind wie Dellinger... Es ist nicht in Ordnung es ihnen ständig unter die Nase zu reiben. Das ist verletzend." "Wenn Dellinger nicht als Tunte bezeichnet werden möchte, dann soll er eben aufhören sich wie eine zu kleiden", sagte Crocodile, doch mit diesem Satz schien er alles bloß viel schlimmer gemacht zu haben. Ungerührt fuhr er fort: "Mal ehrlich, wenn ihn diese Bezeichnungen so extrem stört, soll er halt eben aufhören die Angriffsfläche dafür zu bieten. Im Gegensatz zu mir hat er jederzeit die Möglichkeit dazu. Ich kann meine Narbe nicht einfach abziehen wie einen verdammten Sticker." "Dellinger hat das Recht sich zu kleiden wie er möchte!", warf Scarlet scharf ein. "Ja, und andere Menschen haben das Recht seine Kleidung und seine Flirts scheiße zu finden. Man kann nicht Freiheit einfordern und sie gleichzeitig anderen nehmen." "Seine Kleidung ist Ausdruck seiner Persönlichkeit, seiner Identität", meinte Scarlet. "Er ist homosexuell und es ist sein Recht seine Sexualität durch seinen Kleidungsstil auszudrücken. Niemand darf ihn deswegen angreifen." Crocodile blickte ihr ungläubig ins Gesicht. "Was hat seine Sexualität mit seiner Kleidung zu tun?", gab er zurück. "Nur weil man auf Schwänze steht, muss man nicht gleich in Stöckelschuhen herumlaufen. Es gibt viele schwule Männer, denen man ihre sexuelle Orientierung nicht ansieht. Sexualität ist doch nicht der einzige Aspekt, der eine Person definiert. Er könnte auch homosexuell sein und sich trotzdem normal anziehen. Das wäre sogar besser. Dann würden sich nämlich die Leute, wenn sie das Wort schwul hören, nicht sofort einen Kerl in Hotpants und hohen Schuhen vorstellen, sondern einen ganz normalen Menschen." "Es hat schon seinen Grund, dass viele homosexuelle Männer diesen Stil für sich wählen", zischte Scarlet und warf ihm einen giftigen Blick zu. "Dein Kumpel Doflamingo zum Beispiel kleidet sich ähnlich wie Dellinger." Sie deutete auf das bis zum Bauchnabel aufgeknöpfte Hemd, die pinkfarbene Caprihose und die flamboyante Sonnenbrille seines Ehemannes. Crocodile schüttelte den Kopf. "Das ist totaler Blödsinn! Erstens hat Doflamingo einfach absolut keinen Geschmack", erklärte er ihr, "und zweitens ist er überhaupt nicht schwul. Er ist bisexuell. Ich glaube, er hatte in seinem Leben sogar mehr weibliche als männliche Partner. Seine Kleidung hat nichts mit seiner Sexualität zu tun. Wahrscheinlich hat er sich mit sechzehn oder so eine pinkfarbene Hose gekauft und niemand hat sich getraut ihm zu sagen, dass es scheiße aussieht!" Alle Leute am Tisch verfolgten aufmerksam ihren Schlagabtausch. Dellingers Unterlippe bebte; er schien die Tränen nur schwer zurückhalten zu können. Crocodile empfand ein klein wenig Mitleid mit ihm. Es war nicht seine Absicht gewesen ihn bloßzustellen. Ganz im Gegenteil: Eigentlich hatte er eine Eskalation der Situation verhindern wollen. "Was weißt du denn schon davon?!", herrschte ihn Scarlet an. "Du weißt überhaupt nicht, wie Dellinger oder Doflamingo sich fühlen! Das kannst du als heterosexueller Mann doch gar nicht nachempfinden!" "Und wieder liegst du falsch", gab Crocodile zurück und warf ihr einen besonders süffisanten Blick zu. "Ich stehe auch auf Kerle. Wer hätte das nur ahnen können? An meiner Kleidung ist es schließlich nicht zu erkennen. Das könnte daran liegen, dass man an dem Kleidungsstil einer Person nicht auf ihre Sexualität schließen kann. Es ist einfach nur persönlicher Geschmack. Dellinger könnte auch mit weniger auffälligen Klamotten ein Leben als schwuler Mann führen. Wenn er das nicht möchte, muss er nun einmal damit leben, hin und wieder als Tunte bezeichnet zu werden." Nun brach Dellinger endgültig in Tränen aus. Er vergrub sein Gesicht in beiden Händen und begann laut zu schluchzen. Alle Augen richteten sich auf ihn. Cirkies tätschelte ihm tröstend die Schulter. "Du solltest dich bei Dellinger entschuldigen", meinte er an Crocodile gewandt. "Du hast ihn zum Weinen gebracht." "Es ist nicht meine Schuld, dass er eine verdammte Heulsuse ist", gab er zornig zurück. Er sah überhaupt nicht ein sich zu entschuldigen. Immerhin hatte er Dellinger nicht beleidigt. Doch seine Aussage ließ Dellinger bloß noch lauter schluchzen. Crocodile rollte mit den Augen. "Ich gebe dir einen Rat, Dellinger", sagte er. "Wenn du ein Problem damit hast als Heulsuse bezeichnet zu werden, dann hör auf zu heulen!" "Du bist wirklich ein verdammtes Arschloch!", blaffte Scarlet ihn an. "Lieber ein Arschloch als eine Heulsuse", hielt Crocodile schulterzuckend dagegen. Dann wandte er sich erneut an Dellinger: "Wenn du ein Opfer sein willst, dann sei eins. Wenn du heulen möchtest, weil dich jemand als eine Tunte bezeichnet hat, dann tu das. Ehrlich, Dellinger, du benimmst dich einfach nur peinlich. Vielleicht überlegst du dir mal, ob noch etwas Anderes in dir steckt als eine übersensible Tunte. Wenn das nicht der Fall sein sollte, hast du mein tiefstes Mitgefühl. Ich für meinen Teil bin jedenfalls lieber ein Arschloch als so eine jämmerliche Figur abzugeben wie du." Damit erhob er sich von seinem Stuhl, griff nach seinem Mantel, schlüpfte hinein und steuerte den Ausgang an. "Hey!", rief Doflamingo ihm hinterher. "Crocodile, wo willst du hin?" "Ich fahre nach Hause", meinte er ohne seinen Ehemann auch nur eines einzigen Blickes zu würdigen. "Diese Gesellschaft hier ist wirklich nicht auszuhalten. Und damit meine ich nicht nur Dellinger." Crocodile bahnte sich einen Weg durch die Gäste von Shakkys Bar ohne darauf zu achten, ob ihm Doflamingo oder irgendjemand Anderes folgte. Draußen atmete er tief die kalte, schneidende Nachtluft ein. Aus seiner Manteltasche fischte er eine Zigarre und zündete sie an. Der Geschmack des teuren Tabaks beruhigte seine angespannten Nerven. Verdammt, dieser Abend war wirklich ein Reinfall. Er hätte einfach Zuhause bleiben und auf seine lang ersehnten Anrufe warten sollen. Crocodile warf seinen Mantel in die erstbeste Ecke und pfefferte seine teuren Lederschuhe gleich hinterher. Missmutig schlurfte er ins Wohnzimmer hinüber und ließ sich auf dem Sofa nieder. Verdammt, er hatte nicht gewollt, dass dieser Abend dermaßen enttäuschend endete. Eigentlich sollte es doch ein lustiges Treffen mit Freunden und Bekannten werden. Was wohl Law nun von ihm dachte? Er war ebenfalls homosexuell. Nahm er ihm seine Worte auch übel? Crocodile bedeckte seine Augen mit der rechten Hand. Daz, Mihawk, Hancock, Doflamingo, Law... Hatte er nun wirklich alle Leute, die ihm etwas bedeuteten, gegen sich aufgebracht? Ich bin ein verdammter Idiot, dachte er und spürte, dass sich das Gefühl von purer Verzweiflung ausgehend von seinem Magen in seinem gesamten Körper ausbreitete. Vielleicht könnte er wenigstens den Streit mit seinen Geschwistern beilegen. Dann gäbe es immerhin wieder zwei Menschen, die auf seiner Seite standen. Das war eine gute Idee. Er würde gleich sofort bei Hancock anrufen und ihren Streit beilegen. Crocodile griff nach seinem Handy, das den ganzen Abend über auf dem Wohnzimmertisch gelegen hatte. Verwundert stellte er fest, dass ihm sage und schreibe fünfundzwanzig verpasste Anrufe angezeigt wurden. Sie alle stammten von Daz. Dazu einige Textnachrichten, in denen stand, dass er sich unbedingt melden sollte, sobald es ihm möglich war. Die Nummer von Daz war über die Kurzwahltaste 6 auf seinem Handy gespeichert. Crocodile gab sich nicht einmal genug Zeit, um auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen, ehe er die 6 drückte. Er fühlte sich hundeelend und wollte einfach bloß die Stimme eines guten Freundes hören. Daz nahm gleich nach dem allerersten Klingeln ab. "Crocodile", sagte er, "wie geht es dir?" Es tat gut, die ruhige und tiefe Stimme seines Studienfreundes zu hören. "Ehrlich gesagt ziemlich mies", gestand Crocodile. "Ich hatte einen echt beschissenen Abend." "Das kann ich verstehen", hörte er Daz sagen. "Diese Nachricht war für dich sicher alles andere als leicht zu verdauen." "Nachricht?" Crocodile zog skeptisch eine Augenbroche hoch. "Was denn für eine Nachricht?" "Haben sich deine Geschwister nicht bei dir gemeldet?", fragte Daz. Crocodile schüttelte den Kopf, bis ihm einfiel, dass sein Gesprächspartner diese Geste nicht sehen konnte. "Nein", sagte er und fuhr mit der Zunge über seine trockenen Lippen. "Ich habe seit der Grillparty nichts mehr von ihnen gehört. Was ist denn passiert?" "Oh scheiße", sagte Daz. "Ich dachte, du wüsstest es schon." "Wüsste was?" Crocodile spürte, dass er panisch wurde. "Ist irgendetwas passiert, Daz? Geht es allen gut?" Es war doch bloß hoffentlich nichts mit seinen Geschwistern geschehen! "Eigentlich möchte ich nicht, dass du es von mir erfährst. Immerhin ist es eine familiäre Angeleg..." "Verdammt, Daz, jetzt rück schon mit der Sprache raus!", unterbrach Crocodile ihn panisch. "Was ist los?!" "Deine Mutter ist tot", sagte Daz schließlich zögerlich. "Sie hatte gestern eine Lungenembolie und ist daran gestorben." "Meine Mutter ist tot", wiederholte Crocodile mit tonloser Stimme. Er wusste nicht, was er mit dieser Information anfangen sollte. Er hatte die Worte seines Freundes gehört, doch es war, als würden sie nicht bis zu seinem Gehirn vordringen. "Bist du Zuhause?", wollte Daz wissen. Wie immer war er besorgt um ihn. "Dann komme ich zu dir." "Du musst dich zu so später Stunde nicht auf den Weg machen", erwiderte Crocodile kopfschüttelnd. "Die Uhrzeit ist mir egal", widersprach Daz ihm mit energischer Stimme. "Du solltest jetzt nicht allein sein. Diese Nachricht ist doch sicher ein schwerer Schock für dich." "Ich bin nicht allein", log Crocodile. "Doflamingo ist hier. Er ist bloß ... kurz duschen. Wir haben uns mit ein paar Freunden in Shakkys Bar getroffen. Ich hatte mein Handy vergessen." "Okay", hörte er Daz sagen, "aber melde dich bei mir, okay? Du kannst mich jederzeit anrufen oder vorbeikommen." "Weiß ich doch... Ähm, Doflamingo kommt gerade aus dem Bad. Wir reden morgen miteinander, ja?" Er beendete den Anruf, ehe Daz die Gelegenheit bekam ihm eine Erwiderung zu geben. Das Handy fiel ihm aus der Hand und landete auf dem teuren Holzfußboden. Crocodile wollte es aufheben, doch dazu war er nicht imstande. Es war als wäre er zu Stein erstarrt. Irgendwann hörte er Schritte im Flur. Türen wurden geöffnet. Doch nicht einmal als sein Ehemann hinter ihm das Wohnzimmer betrat, drehte Crocodile sich zu ihm um. "Crocodile!" Doflamingos aufgebrachte Stimme hörte sich an als würde sie durch eine Schicht Watte zu ihm durchdringen. "Was zur Hölle ist bloß los? Erst machst du Dellinger so nieder und dann haust du einfach ab?! Geht es dir noch gut?!" "Dellinger", wiederholte Crocodile und fuhr sich mit der Handinnenfläche über die Lippen. "Stimmt... Es gab eine Auseinandersetzung wegen Dellinger..." Obwohl die Situation kaum eine halbe Stunde her sein konnte, kam sie ihm vor wie eine Szene aus einem Film, den er sich vor vielen Jahren mal angeschaut hatte. "Crocodile?" Doflamingos Stimme veränderte sich. Die helle Wut wich einem besorgt klingenden Unterton. "Was ist los mit dir? Hast du... hast du einen Nervenzusammenbruch oder so etwas?" "Ich habe gerade mit Daz telefoniert", sagte Crocodile kaum hörbar. Er sah seinem Ehemann noch immer nicht ins Gesicht. Stattdessen schweifte sein Blick unruhig im Raum umher. "Daz? Daz hat angerufen? Was hat er gesagt?" Doflamingo umfasste behutsam sein Kinn und zwang ihn auf diese Weise dazu ihn anzuschauen. Sein Blick blieb hinter den getönten Gläsern seiner Sonnenbrille verborgen, doch seine Stirn lag in Falten. Es war ein so komischer Ausdruck, dass Crocodile am liebsten laut losgelacht hätte. "Meine Mutter ist gestern an einer Lungenembolie gestorben", sagte Crocodile stattdessen. "Was?!" Doflamingo wirkte absolut entsetzt. Er schien nicht zu wissen, wie er auf diese unerwartete Nachricht reagieren sollte. Crocodile ging es ganz genauso. "Ich weiß nicht, was ich von dieser Sache halten soll", meinte Crocodile mit zögerlicher Stimme. "Seit über zwanzig Jahren habe ich keinen Kontakt mehr zu meinen Eltern. Als ich meine Mutter vor einigen Jahren einmal zufällig getroffen habe, hat sie mich nicht einmal erkannt. Im Grunde besteht keinerlei Verbindung mehr zwischen uns. Sollte es mir also egal sein, dass sie plötzlich gestorben ist?" "Es ist in Ordnung, wenn du um sie trauerst", erwiderte Doflamingo und kniete sich vor ihm auf den Boden. Zärtlich ergriff er seine Hand. "Schließlich ist sie trotz allem deine Mutter Ich weiß, dass du ein Mensch mit einer sehr harten Schale bist. Aber du solltest die Trauer nicht in dich hineinfressen." Crocodile senkte den Blick. "Ich glaube, es ist besser, wenn ich mich jetzt schlafen lege", sagte er. "Bestimmt sehe ich morgen früh klarer. Im Moment weiß ich gar nicht, wie ich mich fühlen soll. Erst dieser Streit mit meinen Geschwistern und Daz... dann die Sache mit Dellinger... und ausgerechnet jetzt erfahre ich, dass meine Mutter gestorben ist. Ich muss mich erst einmal ordnen." Doflamingo nickte. "Das ist eine gute Idee", meinte er und half ihm vom Sofa aufzustehen. "Ich komme mit dir." Leider wollte Crocodiles Körper nicht auf seinen nüchternen Verstand hören. So sehr er sich auch bemühte: Es gelang ihm nicht zur Ruhe zu kommen. Die ganze Nacht lag er wach im Bett. Starrte die Decke an. Wälzte sich von einer Seite auf die andere. Tausend verschiedene Gedanken schwirrten durch seinen Kopf, doch es gelang ihm nie auch nur einen zu fassen zu bekommen. Doflamingo spürte seine innere Unruhe. "Wie ist deine Mutter eigentlich gewesen?", fragte er ihn gegen drei Uhr nachts. "Du hast nie von ihr erzählt." "Seit meine Eltern mich damals vor die Türe gesetzt haben, habe ich versucht nicht mehr an sie zu denken", erklärte Crocodile seinem Ehemann. "Die Erinnerung an sie verschlechtert immer meine Laune. Ich habe alle Fotos und andere Erinnerungsstücke schon vor langer Zeit weggeschmissen." "Aber du erinnerst dich doch bestimmt trotzdem an sie, oder nicht?", bohrte Doflamingo nach. "Du hast immerhin achtzehn Lebensjahre mit ihr zusammen verbracht." Crocodile zögerte. "Sie ist Hancock sehr ähnlich." Er fixierte die Zimmerdecke, während er sprach. "Nicht nur optisch, auch vom Charakter her. Sie ist... sie war eine sehr strenge, konsequente Mutter. Bei uns Zuhause gab es feste Regeln. Und Gejammere wollte sie sich nie anhören. Aber sie war auch freundlich und hatte oft gute Laune. Insgesamt war sie eine gute Mutter, denke ich... Nun ja, bis sie mich von Zuhause rausgeschmissen hat." "Wieso haben sie denn so heftig auf dein Outing reagiert?", fragte Doflamingo nach. Er rückte unter der Bettdecke ganz nah an Crocodile heran. Intuitiv presste dieser sich an die nackte Brust seines Partners. Er konnte Doflamingos Herz laut schlagen hören. "Meine Eltern haben es sehr gelassen genommen, dass sowohl Corazon als auch ich Männern nicht abgeneigt sind. Ich habe mich nie explizit vor ihnen geoutet, aber ich glaube, es hat sie nicht sonderlich überrascht, als ich irgendwann mit meinem Freund aufgetaucht bin. Für sie war es nie ein großes Thema. Sind deine Eltern vielleicht religiös oder so etwas in der Art?" Crocodile schüttelte den Kopf. "Nein, religiös sind sie nicht... Um ehrlich zu sein, hat mich selbst ihre Reaktion auch sehr geschockt. Mir war schon klar, dass sie nicht gerade begeistert sein würden. Aber dass sie mich von einem auf den anderen Tag rausschmeißen würden, habe ich nicht erwartet. Sie... sie haben all meine Sachen in den Vorgarten geschmissen und mich nicht mehr ins Haus hineingelassen. Meine Mutter hat noch zu mir gesagt, dass ich eine Schande für die Familie bin, und danach hat sie sich geweigert auch nur ein einziges Wort mit mir zu wechseln. Im Nachhinein glaube ich, dass meine Eltern einfach sehr konservative und prüde Menschen sind. Die Vorstellung einen homosexuellen Sohn zu haben war für sie absolut grauenhaft." "Und ihr habt euch nach diesem Tag nie wieder gesehen?" "Nie wieder", bestätigte Crocodile mit leiser Stimme. "Ich bin dann erst einmal bei Mihawk untergekommen. Er hatte damals schon eine eigene Wohnung. Und seitdem komme ich ohne meine Eltern aus." Er zögerte einen Moment, ehe er hinzufügte: "Ich glaube, ich bin nicht sonderlich traurig. Es ist nicht so als hätte ich ihr gewünscht, dass sie früh stirbt.. Aber im Grunde ist es als würde ich vom Tod eines völlig Fremden erfahren. Ich meine... zweiundzwanzig Jahre lang haben wir kein Wort mehr miteinander gewechselt. Es gab überhaupt keine Bindung mehr zwischen uns. Sie hätte auch vor Jahren schon gestorben sein können, ohne dass ich davon erfahren hätte." "Meinst du nicht, Mihawk oder Hancock hätten dir davon erzählt?" Doflamingos versuchte witzig zu klingen, doch Crocodile schüttelte bloß den Kopf. "Wir sprechen nie über unsere Eltern. Ich weiß, dass die beiden immer noch Kontakt zu ihnen haben... aber es ist ziemlich schnell ein Tabu-Thema zwischen uns geworden. Ich meine... sie haben mir ja tatsächlich nichts vom Tod unserer Mutter erzählt. Es war Daz, der es mir gesagt hat. Nicht Mihawk oder Hancock..." Er wusste nicht so recht, was er davon halten sollte. "Bestimmt müssen sie den Tod eurer Mutter auch erst einmal verarbeiten", meinte Doflamingo und streichelte mit seinen Fingern durch Crocodiles Haar. Die Berührung tat unwahrscheinlich gut. "Ich weiß noch, wie schlimm es damals für Corazon und mich gewesen ist, als unsere Mutter gestorben ist. Die beiden sind sicher am Ende ihrer Kräfte." "Meinst du, ich sollte sie anrufen?" Crocodile richtete sich im Bett auf. "Vielleicht könnte ich irgendetwas für sie tun... Es muss wirklich hart für sie sein. Ich weiß nicht viel über Lungenembolien. Passiert das unerwartet? Oder ist das eine lange Krankheit?" "Es ist halb vier morgens", erwiderte Doflamingo kopfschüttelnd und zog ihn wieder zu sich heran. Er schloss seine Arme fest um ihn, als ob er befürchtete, dass er ansonsten aufspringen und aus dem Zimmer rennen würde. "Du rufst jetzt überhaupt keinen an!" "Mihawk und Hancock müssen die Beerdigung unserer Mutter planen", fiel Crocodile plötzlich ein. "Und mein Vater natürlich auch." "Möchtest du hingehen?", fragte ihn Doflamingo. "Hm?" Irritiert blickte Crocodile in das Gesicht seines Partners, "Ob du zur Beerdigung gehen möchtest?", wiederholte er. Crocodile legte die Stirn in Falten. "Keine Ahnung", antwortete er schließlich wahrheitsgemäß. "Ein Teil von mir möchte sich gerne von ihr verabschieden... Andererseits hat sie sich schon vor über zwanzig Jahren von mir verabschiedet. Und bei der Beerdigung würde ich auch zwanzsläufig meinem Vater über den Weg laufen. Er ist nicht so abgebrüht wie meine Mutter, aber ich glaube trotzdem nicht, dass das eine sonderlich gute Idee wäre." "Was ist dein Vater für ein Mensch?" "Eigentlich ist er ein liebenswerter Kerl", erklärte Crocodile seinem Ehemann. "Er war immer eher locker drauf. Ich weiß noch, dass er Mihawk und mich einmal erwischt hat, als wir nachts aus unseren Betten geschlichen sind, um uns den Sternenhimmel anzuschauen. Aber anstatt mit uns zu schimpfen, hat er sich einfach dazu gesetzt und mit uns über den Weltraum gesprochen." "Hört sich ja eher nach dem Gegenteil deiner Mutter an?" "Könnte man so sagen. Sie war definitiv diejenige, die die Hosen anhatte. Mein Vater hat oft einfach getan, was sie wollte, um Streit zu vermeiden." "Du kannst dir ja überlegen, ob du zur Beerdigung gehen möchtest", sagte Doflamingo schließlich. "Aber jetzt solltest du versuchen zu schlafen. Es ist viel passiert in einer einzigen Woche. Du siehst erschöpft aus." Um ganz ehrlich zu sein, fühlte Crocodile sich tatsächlich völlig ausgelaugt. Seine Augen waren müde und sein Körper war schwer. Trotzdem fand er keine Ruhe. Er hatte eine Tür geöffnet, die er über zwanzig Jahre lang geschlossen gehalten hatte. Plötzlich sprudelten zahllose Erinnerungen aus seiner Kindheit auf ihn ein. "Als ich ein kleines Kind war, hat mein Vater mich manchmal Autofahren lassen", sagte Crocodile. Er war sich nicht sicher, ob er mit Doflamingo oder eher mit sich selbst sprach. Ohne seinem Ehemann ins Gesicht zu schauen, erklärte er: "Er hat mich auf seinen Schoß gesetzt und dann durfte ich das Auto lenken. Und als ich älter wurde, so mit elf oder zwölf Jahren, hat er mich sogar ganz ohne Hilfe fahren lassen. Wir haben es vor meiner Mutter geheim gehalten; sie hätte es nie erlaubt." Es waren Erinnerungen, die Crocodile jahrzehntelang verdrängt hatte. Um sich selbst zu schützen, hatte er immer vermieden an seine Eltern zurückzudenken. "Und ich weiß noch, dass meine Mutter mal versucht hat Mihawk mit dem Nachbarsmädchen zu verkuppeln. Ihn hat es furchtbar angenervt und er ist dann kurze Zeit später ausgezogen. Er war schon als Jugendlicher ein ziemlicher Eigenbrötler." "Bereust du es, dass du nie wieder versucht hast Kontakt zu ihnen aufzunehmen?", fragte Doflamingo. Crocodile schüttelte mit dem Kopf. "All diese schönen Erinnerungen aus meiner Kindheit... Im Grunde sind sie nichts wert, wenn wir mal ehrlich sind. Die Liebe und Fürsorge war bloß gespielt. Ein Kind, das man wirklich aufrichtig liebt, setzt man nicht einfach vor die Türe, bloß weil es homosexuell ist. Es war die richtige Entscheidung ein Leben ohne sie zu führen. Und es ist ja nicht so als wäre ich ganz allein gewesen. Mihawk und Hancock waren immer an meiner Seite. Sie sind meine Familie. Und du natürlich auch." Diese Erkenntnis beruhigte Crocodile. Auf einmal sah er wieder ein wenig klarer. Er hatte zwanzig Jahre lang ein Leben ohne seine Mutter und seinen Vater geführt. Und trotzdem ging es ihm gut. Es war nicht immer einfach gewesen, aber Crocodile hatte sich durchgekämpft. Er war hartnäckig und beharrlich. Wenn es Schwierigkeiten gab, löste er sie selbst. Er war ein Einzelkämpfer. Und im schlimmsten Fall konnte er sich immer auf seine Geschwister, seinen Ehemann und seine Freunde verlassen. "Ich bin wirklich müde", sagte Crocodile und spürte, dass ihm die Augen zufielen. Das Geräusch von Doflamingos gleichmäßig schlagendem Herz an seinem Ohr begleitete ihn in den Schlaf. * Es vergingen drei weitere Tage. Crocodile versuchte nicht an den Tod seiner Mutter zu denken. Das fiel ihm überraschend leicht, denn er war geübt darin, jeden Gedanken an sie schnellstmöglich aus seinem Kopf zu verbannen. Außerdem gab es momentan genug andere Dinge in seinem Leben, um die er sich kümmern musste. Am Dienstag, also genau eine Woche nach seinem furchtbar unangenehmen Besuch in der Kinderwunschklinik, meldete sich Dr. Raffit bei ihnen. Crocodile und Doflamingo lauschten aufgeregt den Worten des Arztes. Leider gab es keine guten Nachrichten. "Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass die Fertilisation nicht erfolgreich verlaufen ist", erklärte ihnen Dr. Raffit mit sachlicher Stimme. "Die Befruchtung von Frau Rikus Eizelle sowie die Weiterentwicklung im Brutschrank hat stattgefunden. Doch leider gelang keine erfolgreiche Embryoübertragung in die Gebärmutter." Für Crocodile waren Dr. Raffits Worte wie ein schmerzhafter Schlag in die Magengrube. Dann waren seine Bemühungen völlig umsonst gewesen. Er hätte sich nicht überwinden und in einer unbehaglichen Masturbationskabine seinen Beitrag zur Zeugung leisten brauchen. Crocodile kam sich vor wie ein Idiot. "Dass der erste Versuch einer in-vitro-Fertilisation scheitert, ist nicht ungewöhnlich", fuhr Dr. Raffit fort. Seine Stimme klang monoton; so als hätte er dies bereits tausenden anderen Paaren vor ihnen mitgeteilt. "Wir können den Vorgang nach Abgabe einer neuen Probe Ejakulat wiederholen. Außerdem gibt es verschiedene Möglichkeiten die Erfolgschancen zu verbessen. Vielleicht möchten Sie darüber nachdenken." "Was sind das für Möglichkeiten?", wollte Doflamingo sofort wissen. Er wirkte deutlich gefasster als Crocodile. Aber er war derzeit auch einfach nicht emotional so stark belastet wie sein Ehemann. "Nun, ich weiß, dass Sie darauf bestanden haben, nur einen einzigen Embryo in Frau Rikus Gebärmutter einsetzen zu lassen, um einer Mehrlingsschwangerschaft vorzubeugen. Wenn Sie sich allerdings dafür entscheiden würden, mit zwei oder sogar drei befruchteten Eizellen weiterzuarbeiten, würde sich natürlich auch die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft erhöhen. Zweitens wäre es nicht unklug, bei der Zeugung hochwertigere Samenzellen zu verwenden. Sie, Mr. Donquixote, sind fünf Jahre jünger als ihr Ehemann und im Gegensatz zu diesem Nichtraucher. Diese Faktoren wirken sich natürlich maßgeblich auf die Qualität der Samenzellen aus. Es bestünde übrigens auch die Option Samenzellen von ihnen beiden bei der in-vitro-Fertilisation zu verwenden. Im Falle einer erfolgreichen Mehrlingsschangerschaft wäre dann eventuell jeder von Ihnen biologischer Vater eines der Kinder." "Wir denken darüber nach", meinte Doflamingo, ehe Crocodile die Gelegenheit bekam sich zu äußern. "Vielen Dank für Ihren Anruf, Mr. Raffit. Mein Ehemann und ich werden uns beraten und uns im Verlauf der Woche bei Ihnen melden, um das weitere Vorgehen zu besprechen." Dann beendete er das Telefonat. Crocodile war nicht dazu in der Lage seine Enttäuschung zu verbergen. "Es hat nicht funktioniert", gab er ernüchtert von sich. Nach all den Niederschlägen der letzten Tage hatte er wenigstens in dieser Hinsicht auf eine gute Nachricht gehofft. Doflamingo nahm die ganze Situation deutlich gelassener. "Es war der erste Versuch", versuchte er ihn zu trösten. "Das hat nichts zu bedeuten. Die allermeisten Paare brauchen mehrere Versuche. Bevor meine Mutter mit mir schwanger wurde, hatte sie zehn gescheiterte in-vitro-Fertilisationen hinter sich. Aber am Ende hat sie dann doch zwei Kinder bekommen." "Du bist auch durch künstliche Befruchtung gezeugt worden?", hakte Crocodile interessiert nach. Sein Ehemann nickte. "Ich glaube, das hatte ich dir irgendwann schon mal erzählt. Meine Eltern haben sich erst spät kennengelernt und waren schon ziemlich alt, als sie versucht haben eine Familie zu gründen. Aber mithilfe einer Kinderwunschklinik hat es dann doch funktioniert." "Nach zehn gescheiterten Versuchen", wandte Crocodile seufzend ein. "Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer erfolgreichen Schwangerschaft kommt, liegt bloß bei fünfzehn bis zwanzig Prozent", erinnerte ihn Doflamingo. "Das ist uns von Anfang an klar gewesen. Um ehrlich zu sein, habe ich nicht damit gerechnet, dass es sofort klappen würde. Wir sollten uns nicht entmutigen lassen. Das ist keine Katastrophe. Bloß ein kleiner Rückschlag." "Dieser Rückschlag bedeutet, dass mir wieder ein Besuch in diesem schrecklichen Masturbationsraum bevorsteht", gab Crocodile von sich und setzte einen gequälten Gesichtsausdruck auf. "Ich hatte gehofft, dass ich mich bloß einmal überwinden müsste. Du kannst dir nicht vorstellen wie unangenehm der Aufenthalt in so einer Kabine ist, Doflamingo." "Nun ja..." Sein Ehemann zögerte einen Moment. "Du musst es nicht noch einmal tun, wenn du nicht möchtest. Mir würde es nicht so viel ausmachen, denke ich." "Was?" Crocodile warf Doflamingo einen entsetzten Blick zu. "Nein! Wir haben ausgemacht, dass ich der biologische Vater sein werde und du das Baby nach der Geburt adoptierst! Das ist meine Bedingung gewesen und du hast zugestimmt!" "Ich weiß", gab dieser sofort zurück und hob in einer beschwichigenden Geste die Hände. "So hatten wir es geplant. Aber offenbar stellt dein Anteil an der Zeugung für dich nichts als pure Quälerei dar. Warum also solltest du diese Tortur noch weitere Male auf dich nehmen, wenn es auch eine andere Möglichkeit gibt?" "Warum sagst du plötzlich so etwas?" Crocodile fühlte sich hintergangen. Kaum war der erste Versuch einer künstlichen Befruchtung gescheitert, versuchte Doflamingo sich vorzudrängeln. Das entsprach absolut nicht ihrer Abmachung. "Du bist damit einverstanden gewesen, dass ich das Kind zeuge! Ständig redest du doch davon wie sehr du dich auf ein Baby mit meinen Augen oder meinen Haaren oder was auch immer freust!" "Es geht nicht darum, dass ich damit nicht einverstanden wäre", versuchte sein Ehemann ihm deutlich zu machen. "Mir geht es hier um rein praktische Vorzüge. Du hast doch Dr. Raffit selbst gehört: Du scheinst eine eher schleche Spermienqualität zu haben. Ich möchte es dir einfach nicht zumuten vielleicht noch zehn weitere Male in einer Klinik in einen Plastikbecher zu wichsen!" "Was heißt denn hier schlechte Spermienqualität?!", gab Crocodile pikiert zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. "Dr. Raffit hat doch gar nicht gesagt, dass meine Spermien nicht gut genug wären! Es war der allererste Versuch! Das muss nichts bedeuten!" "Es stimmt aber, dass du fünf Jahre älter bist als ich und viel rauchst", hielt Doflamingo dagegen. "Und es ist ein Fakt, dass sich das auf die Vitalität und die Beweglichkeit von Spermien auswirkt." "Was willst du damit sagen? Dass du glaubst, ich wäre nicht dazu in der Lage ein Kind zu zeugen?!" "Jetzt dreh mir doch nicht jedes Wort im Mund herum", erwiderte sein Partner mit angenervter Stimme. "Wenn du zeugungsunfähig wärst, hätte uns die Kinderwunschklinik mit Sicherheit darüber informiert. Ich will doch nur darauf hinaus, dass die Wahrscheinlichkei einer erfolgreichen Befruchtung höher ist, wenn ich es versuche. Und dann müsstest du auch nie wieder eine Masturbationskabine von innen sehen. Das ist doch im Grunde eine Win-Win-Situation, oder nicht?" "Nein, das ist es nicht", zischte Crocodile und warf Doflamingo einen bösen Blick zu. "Und wieso nicht? Die Hauptsache ist doch, dass bald ein gesundes Baby bei uns einzieht. Mir ist es egal, wer von uns beiden der biologische Vater ist." "Mir ist es aber nicht egal!" Die Verzweiflung in seiner Stimme erstaunte sogar Crocodile selbst. "Ich habe dir ganz klar gesagt, dass ich derjenige sein möchte, der das Kind zeugt. Und für dich ist das völlig okay gewesen. Ich verstehe nicht, warum du auf einmal dieses Recht für dich veranschlagen möchtest." "Was wäre denn so schlimm daran, wenn es mein anstatt dein leibliches Kind wäre?" Doflamingo wirkte ehrlich gekränkt. "Wärst du nicht dazu in der Lage ein Kind zu lieben, das so ist wie ich?" Crocodile warf seinem Ehemann einen entsetzten Blick zu. "Darum geht es nicht!", gab er zornig zurück. "Worum geht es dann? Warum genau ist dir die Blustverwandtschaft so wichtig? Es ist nicht so als hätte das irgendeine Bedeutung! Deine eigene Mutter hat bis zu ihrem letzten Atemzug jeglichen Kontakt zu dir verweigert, bloß weil du schwul bist!" Doflamingo bemerkte sofort, was er mit seinen Worten angerichtet hatte. Noch ehe Crocodile in Tränen ausbrach, fügte er mit sich überschlagender Stimme hinzu: "Oh scheiße, das habe ich nicht so gemeint! Verdammt! Crocodile! Bitte, das musst du mir glauben! Es tut mir leid! Es tut mir leid! Nein, bitte nicht weinen! Ich nehme es zurück!" Crocodile war kein Mensch, der häufig weinte. Er war keine Heulsuse wie Dellinger. Doch trotzdem kam er nicht gegen die Tränen an. Heiß und schwer brachen sie aus ihm hervor. Hastig wandte er sich von seinem Ehemann ab und bedeckte seine Augen mit seiner rechten Hand. "Es tut mir leid!", wiederholte Doflamingo panisch und griff nach seinem Handgelenk. Crocodile schüttelte ihn ab, als würde die Berührung seine Haut verätzen, und bewegte sich rückwärts, um einige Schritte Abstand zwischen ihn und sich zu bringen. Es war einfach alles zu viel. Der Streit mit seinen Geschwistern. Die Auseinandersetzung in Shakkys Bar. Der plötzliche Tod seiner Mutter. Die erfolglose künstliche Befruchtung. Es war als würde sein Leben einer Abwärtsspirale folgen. Auf ein Unglück folgte das nächste. "Bitte hör auf zu weinen!", bettelte Doflamingo. Crocodile wusste, dass er es nicht ertragen konnte ihn weinen zu sehen. Und nun war er auch noch der Anlass für seine Tränen. "Was ich gesagt habe, ist nichts als dumme Scheiße gewesen! Ich habe es nicht so gemeint! Das musst du mir glauben!" Er streckte erneut seine Hand nach ihm aus, doch wieder wich Crocodile ihm aus. "Weißt du was? Schlag mich!", meinte Doflamingo plötzlich. "Ich habe es absolut verdient!" "Was?" Nun wurde sogar Crocodile hellhörig. Er nahm die Hand vom Gesicht und warf seinem Ehemann einen verständnislosen Blick zu. "Was hast du gesagt?" "Schlag mich", wiederholte Doflamingo mit fester Stimme. "Mit deiner Faust. Schlag mir ins Gesicht, wenn du möchtest." "Ich werde dich sicher nicht schlagen", erwiderte Crocodile fassungslos und trocknete seine Tränen mit dem Hemdsärmel. "Wie kommst du bloß auf so etwas?" "Was ich gesagt habe, tut mir unendlich leid", meinte Doflamingo. "Es war unangemessen und verletzend. Das hätte nicht passieren dürfen. Als Ausgleich darfst du mich schlagen. Du musst dich nicht zurückhalten. Ich habe es wirklich verdient! Komm schon!" Er hielt ihm sogar auffordernd seine linke Wange hin. "Ich möchte dich nicht schlagen", sagte Crocodile. War Doflamingo jetzt vollkommen verrückt geworden? "Aber du verpasst mir doch ständig Schläge, wenn ich dich ärgere", versuchte sein Partner ihn zu überzeugen. "Oder du gibst mir einen Hieb mit dem Ellenbogen." "Das ist doch etwas ganz Anderes!", warf Crocodile sofort ein. "Das mache ich, wenn du blöde Witze reißt oder mich auf den Arm nimmst." "Ich finde, in dieser Situation ist alllermindestens ein Schlag ins Gesicht angemessen", meinte Doflamingo beharrlich. "Also los! Ich warte! Schlag zu!" Er machte sogar eine auffordernde Handbewegung. Nun platzte Crococdile vollends der Kragen. "Ein Schlag ins Gesicht ist ein bisschen wenig, findest du nicht?", mockierte er sich und strafte Doflamingo mit einem abfälligen Blick. "Wie wäre es, wenn ich dir zwei oder drei Rippen brechen würde? Dann hättest du noch deutlich länger etwas von dieser Lektion!" "W-was?" Selbst durch die getönten Gläser seiner Sonnenbrille hindurch konnte Crocodile den entsetzten Blick spüren, den sein Ehemann ihm zuwarf. "Bloß ein Schlag ins Gesicht brennt sich nicht wirklich ins Gedächtnis ein", erklärte ihm Crocodile. "So eine Lektion ist viel zu schnell wieder vergessen. Findest du nicht? Wie wäre es stattdessen mit ein paar gebrochenen Knochen? Glaub mir, das brennt sich ins Gedächtnis ein." "Was redest du da?", wollte Doflamingo mit entsetzter Stimme wissen. "Was meinst du mit Lektionen?" "So hat Enel es immer genannt, wenn er mich misshandelt hat", erklärte Crocodile seinem Ehemann nüchtern und beobachtete, wie mit einem Schlag jegliche Farbe aus dessen Gesicht wich. "Es waren Lektionen für mich. Einmal hat er mich gewürgt, bis ich das Bewusstsein verloren habe, weil er der Meinung war, ich hätte die Küche nicht gründlich genug aufgeräumt. Und auch als er mir meinen rechten Arm und drei Rippen gebrochen hat, war er der festen Überzeugung, das hätte ich verdient. Ganz zu schweigen von der Narbe in meinem Gesicht, die er mir nach unserer Trennung verpasst hat. Das ist auch eine Lektion gewesen, weißt du." "Crocodile..." Doflamingo wischte sich mit einer Hand über den Mund und senkte beschämt den Blick. "Ich bin nicht wie Enel!", herrschte Crocodile ihn an. "Ich schlage niemanden! Und schon gar nicht meinen Partner! Also wage es ja nie wieder mich in Versuchung zu bringen!" Doflamingo schluckte und nickte. "Tut mir leid", wiederholte er zum x-ten Mal. "Ich habe es nicht so gemeint. Und... und wenn es dir wirklich so wichtig ist, dann kannst du auch gerne der biologische Vater von unserem Kind sein. Du hast Recht: So hatten wir es vereinbart. Ich hätte nicht versuchen sollen dich davon abzubringen." "Lass uns darüber ein anderes Mal reden", meinte Crocodile. Plötzlich fühlte er sich wahnsinnig ausgelaugt. "Ich muss jetzt erstmal einige andere Dinge verdauen, bevor ich mich darum kümmern kann." "Klar, das verstehe ich. Es ist viel passiert. Du musst deine Gefühle ordnen." Doflamingo streckte zögerlich seine Hand aus und dieses Mal ließ Crocodile die Berührung zu. Sofort nutzte sein Ehemann die Gelegenheit, um ihn in eine feste Umarmung zu ziehen. "Es tut mir wirklich wahnsinnig leid, was ich gesagt habe." "Ist schon gut", seufzte Crocodile mit matter Stimme. "Es ist schließlich nicht gelogen gewesen." Crocodile dankte Doflamingo stillschweigend dafür, dass dieser das Jetzt fang gefälligst nicht wieder mit diesem Thema an!, das ihm auf der Zunge lag, herunterschluckte anstatt es auszusprechen. * Sonntagabend, nach ziemlich genau zwei Wochen ohne jeglichen Kontakt, tauchte plötzlich Hancock bei ihnen Zuhause auf. Sie verfügte über einen Ersatzschlüssel für ihre kleine Villa; ebenso wie Crocodile und Doflamingo für ihr Haus. Dennoch war es in ihrer Familie nicht üblich einfach so hereinspaziert zu kommen, ohne sich vorher anzumelden oder wenigstens anzuklingeln. Crocodiles Herz blieb beinahe stehen, als seine jüngere Schwester auf einmal das Wohnzimmer betrat. "Hancock!", rief er ihr ohne nachzudenken mit entrüsteter Stimme entgegen. "Du kannst hier nicht einfach unangemeldet hereinspazieren!" In den Händen hielt er einen dicken Aktenordner. Arbeit, die er im Büro nicht mehr geschafft hatte und daher mit nach Hause genommen hatte. "Mein Schlüssel ist für Ausnahmesituationen gedacht", gab Hancock kurz angebunden zurück. "Das hier ist eine Ausnahmesituation." Crocodile legte den Ordner beiseite und musterte seine Schwester. Eigentlich handelte es sich bei Hancock um eine sehr hübsche Frau, doch heute zierten dunkle Ringe ihre Augen und ihre blasse Haut wirkte ganz fahl. "Ich muss unbedingt mit dir sprechen", meinte Hancock. "Es ist wichtig." "Ich weiß, dass sie gestorben ist", kam Crocodile ihr zuvor. "Daz hat es mir gesagt. Möchtest du etwas trinken? Du siehst matt aus." Angezogen von ihren Stimmen betrat nun auch Doflamingo das Wohnzimmer. Er war gerade erst aus der Dusche gestiegen und nur mit einem Handtuch um die Hüfte und natürlich seiner obligatorischen Sonnenbrille bekleidet. "Siehst du", sagte Crocodile und deutete vorwurfsvoll auf seinen halbnackten Ehemann. "Deswegen sollst du Bescheid sagen, bevor du vorbeikommst." "Hallo Hancock", meinte Doflamingo, den es nicht großartig zu stören schien, dass seine Schwägerin ihn in so knapper Bekleidung zu Gesicht bekam. "Wie geht es dir?" "Bescheiden", antwortete Hancock schlecht gelaunt und ließ ihren Blick zwischen ihrem Bruder und ihrem Schwager hin- und herschweifen. "Immerhin ist meine Mutter unerwartet gestorben." Doflamingo nickte verständnisvoll. "Mein Beileid. Dieser Verlust ist nicht leicht zu verkraften." Crocodile glaubte sich zu erinnern, Hancock irgendwann einmal erzählt zu haben, dass Doflamingos Eltern bereits verstorben waren, ehe sie beide sich kennengelernt hatten. "Können wir uns hinsetzen?", bat sie. "Es gibt einige Dinge, die wir besprechen müssen, Crocodile." "Worum geht es denn?" Wenn Hancock allein über die Beerdigung ihrer Mutter mit ihm reden wollte, brauchten sie sich gar nicht erst hinzusetzen. Er hatte für sich entschieden, dass er nicht teilnehmen würde. Es machte einfach keinen Sinn um jemanden zu trauern, mit dem man seit zweiundzwanzig Jahren kein Wort mehr gewechselt hatte. "Warum gehen wir nicht hinüber in die Küche?", mischte sich Doflamingo mit freundlicher Stimme ein. "Und ich koche Kaffee für uns." Widerwillig begleitete Crocodile seinen Ehemann und seine Schwester in die Küche, die sich gleich auf der anderen Seite des Flurs betrat. Hancock ließ sich am Esstisch nieder, während Crocodile stehenblieb. Doflamingo machte sich daran Kaffee aufzusetzen. (Crocodile hatte ihm kurz nach ihrem Einzug erklären müssen, wie man die Maschine bediente. Sein verwöhnter Partner hatte sich tatsächlich noch nie in seinem Leben selbst einen Kaffee gekocht.) "Die Beerdigung findet übernächsten Samstag statt", begann Hancock. "Wir haben einen Trauerredner gebucht, aber uns überlegt, dass auch jeder von uns ein paar Worte spricht. Also Mihawk, du und ich." "Ich werde nicht hingehen", sagte Crocodile sofort, ehe seine jüngere Schwester Gelegenheit bekam fortzufahren. Seine Stimme klang ruhig, aber bestimmt. "Es ist die Beerdigung unserer Mutter", redete Hancock auf ihn ein. "Du musst kommen!" "Nein, das denke ich nicht", erwiderte Crocodile angesäuert und verschränkte die Arme vor der Brust. "Ist das der einzige Grund, wieso du gekommen bist? Ich dachte eigentlich, du würdest dich endlich mal bei mir entschuldigen, weil du mich wegen meines Kinderwunsches ausgelacht hast?" Hancock strafte ihn mit einem verachtenden Blick. "Das ist doch jetzt wohl völlig irrelevant!", zischte sie und beugte sich auf ihrem Stuhl nach vorne. "Unsere Mutter ist gestorben! Begreifst du das überhaupt, Crocodile?!" "Für mich ist sie schon vor langer Zeit gestorben", entgegnete er unerbittlich. "Und ich für sie auch! Also bitte spar dir deine Moralpredigt." "Das stimmt nicht!" Hancock setzte eine gequälte Miene auf. "Du bist ihr nicht egal gewesen!" "Ach, tatsächlich?", schnaubte Crocodile und ignorierte die dampfende Kaffeetasse, die sein Ehemann vor ihm auf den Tisch abstellte. "Dann muss ich mir die letzten beiden Jahrzehnte vollständige Ignoranz wohl bloß eingebildet haben." "Mir ist bewusst, dass euer Verhältnis nie einfach war", lenkte Hancock ein. "Was für ein Verhältnis?", hielt Crocodile ihr missgelaunt vor. "Sie hat mich vor die Türe gesetzt und nie wieder ein Wort mit mir gewechselt. Man kann gar nicht von irgendeinem Verhältnis sprechen. Ich habe ihr nichts bedeutet, Hancock. Das weißt du ebenso wie ich." Seine Schwester schüttelte den Kopf und fixierte ihn mit ihren hellblauen Augen. Es lag ein unfassbar trauriger Ausdruck in ihnen. Unweigerlich begann Crocodile sich unwohl zu fühlen. "Ich bin bei ihr gewesen, als... als die Lungenembolie passiert ist", erklärte Hancock. "Ich bin mit ihr ins Krankenhaus gefahren. Ich denke, sie hat gespürt, dass sie sterben würde. Vor ihrem Tod hat sie nach dir gefragt, Crocodile. Sie wollte wissen, wie es dir geht." Damit hatte Crocodile nicht gerechnet. Er wusste nicht, wie er reagieren sollte. Mit entgeisterter Miene starrte er seine jüngere Schwester an. "Ich habe ihr Fotos von dir gezeigt. Von deiner Hochzeit. Und ihr von dir erzählt. Dass du bald Vater werden wirst", fuhr Hancock fort. Crocodile wünschte sich, dass sie endlich aufhören würde zu reden, doch leider tat sie ihm diesen Gefallen nicht. "Es war ihr wichtig zu wissen, dass es dir gut geht, bevor sie diese Welt verlässt. Sie hat euer Hochzeitsfoto in den Händen gehalten, als sie gestorben ist." Hancock blickte ihm unverwegs ins Gesicht. Aufgeregt wartete sie auf eine Erwiderung seinerseits. Wahrscheinlich hoffte sie auf eine Absolution. "Das ist mir scheißegal", blaffte Crocodile seine Schwester zornig an und rümpfte die Nase. "Diese Erkenntnis kommt zwanzig Jahre zu spät. Wenn sie mich bei meiner Hochzeit hätte sehen wollen, hätte sie kommen können. Ich weiß, dass Doflamingo ihr und unserem Vater eine Einladung geschickt hat." "Ist das dein ernst?!" Das schien nicht die Reaktion zu sein, die Hancock sich gewünscht hatte. "Ihre letzten Worte auf ihrem Sterbebett galten dir!" "Es wäre mir lieber gewesen, sie hätte zu Lebzeiten ein paar Worte mit mir gewechselt!", zischte Crocodile. "Es ist deine allerletzte Chance, ihr deine Ehre zu erweisen!", redete Hancock unerbittlich auf ihn. "Nein! Danke!" Crocodile erhob sich von seinem Stuhl und fixierte seine jüngere Schwester mit einem entschlossenen Gesichtsausdruck. "Und wenn es nichts anderes gibt, worüber du mit mir reden möchtest, kannst du auch gleich gehen!" Hancock erhob sich mit zu Fäusten geballten Händen. "Ich fasse es nicht! Dir ist es wirklich ernst! Du willst nicht zu der Beerdigung deiner eigenen Mutter erscheinen! Mir fällt dazu wirklich nichts mehr ein! Was bist du bloß für ein Sohn?!" "Ein Sohn, der alles allein meistern musste, seit er achtzehn Jahre alt ist", erwiderte Crocodile ohne ihrem Blick auszuweichen. "Ein Sohn, der jahrelang darauf gehofft hat, dass seine Eltern sich endlich bei ihm melden würden, aber bitter enttäuscht wurde. Ein Sohn, der sich irgendwann damit abgefunden hat, dass seine eigene Mutter sich einen Scheißdreck um ihn schert!" "Sie hat nach dir gefragt! Als sie dem Tod nahe war, hat sie nach dir gefragt!" "Und was war, als ich damals beinahe gestorben wäre? Als ich mit einem Rettungshubscharuber ins Krankenhaus eingeliefert worden bin und die Ärzte um mein Leben kämpfen mussten? Mihawk hat unsere Mutter angerufen und ihr von meinem Unfall erzählt. Und weißt du, was sie getan hat, Hancock?! Sie hat einfach aufgelegt. Sie wollte nichts davon wissen. Und um so eine Mutter soll ich trauern?!" Hancock brachte keinen Ton hervor. Völlig entsetzt, mit weit aufgerissenen Augen musterte sie das Gesicht ihres älteren Bruders. Mihawk schien ihr diese Geschichte nie erzählt zu haben. Das überraschte ihn nicht. Selbst Crocodile hatte sie nur zufällig erfahren, als er heimlich ein Gespräch zwischen Mihawk und seinem Ehemann belauscht hatte. "Sprich in meiner Gegenwart nie wieder von dieser Frau", sagte Crocodile mit leiser, kalter Stimme und ließ Hancock gemeinsam mit Doflamingo in der Küche zurück. bye sb Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)