Mosaik von Alaiya (Urban Fantasy Thriller) ================================================================================ [03.11.2011 – D49 – Hände] -------------------------- Die ältere Magierin, was für eine Art von Magierin sie auch immer war, kümmerte sich um Jack. Verständlich, wenn man seine Verletzungen bedachte. Sie schien zu wissen, was sie tat, hatte ihn unter eine sanfte Narkose gelegt, hatte angefangen zu arbeiten, die Kugeln, von denen zwei offenbar noch in seinem Körper steckten, herauszuoperieren. Siobhan half ihr. Und Pakhet? Pakhet war in einem anderen Zimmer, einem der anderen Behandlungsräume des Krankenhauses, stand neben Heidenstein, der seinerseits auf einer Liege lag, deutlich bemüht den Atem flach zu halten. Sie verstand, warum sie hier war. Sie konnte nichts tun, um der Magierin, Athea, zu helfen. Sie war selbst ermüdet, war keine Ärztin und erst Recht keine Heilerin. Sie konnte im Notfall selbst Wunden nähen, oberflächlichen Dreck aus Wunden entfernen, aber Kugeln aus etwaig empfindlichen Organen fischen? Das überließ sie besser jemanden, der wusste, was er tat. Außerdem musste jemand bei Heidenstein bleiben, um sicher zu gehen, dass sich sein Zustand nicht verschlimmerte. Zur Hölle, hatte die Magierin überhaupt genug Energie, um gleich zwei so schwere Verletzungen zu heilen? Pakhet hasste diese Untätigkeit. Sie lief im Zimmer auf und ab. Sie wollte etwas tun, wollte helfen. „Pakhet“, riss Heidensteins müde Stimme sie aus diesem Gedankenkarrussel. Sie wandte sich ihm zu. „Ja, Doc?“ „Ich weiß, dass es anstrengend für dich ist, aber …“ Er versuchte ein Lächeln, brachte es aber nicht ganz zustande. Schmerz zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. „Die Heilerin wird wissen, was sie tut. Jack wird schon okay sein.“ Sie verschränkte die Arme, ließ sie dann direkt wieder fallen. „Ja, ich weiß“, presste sie hervor. Wieder lief sie das Zimmer hinauf und wieder hinab. „Pakhet“, versuchte es Heidenstein erneut. „Bitte. Rede mit mir.“ Sie wandte sich ihm zu, sah ihn an. Was sollte sie sagen? Mittlerweile hatten sie auch seine Kleidung ausgezogen, wenngleich sie nicht viel an den Wunden getan hatten. Sie hätte zu gerne etwas gemacht. Doch im Moment wirkte sein Heiltrank. Er verbesserte nichts, stillte aber vorerst zumindest die akute Blutung, verhinderte, dass es schlimmer wurde. „Pakhet“, meinte er. Er streckte schwach die Hand aus, in einer eindeutigen Geste. Sie seufzte, stöhnte was entnervt, nahm dann aber den Hocker und setzte sich neben ihn. „Fuck.“ Er schaute sie an. „Ja. Fuck.“ Sie verzog das Gesicht. Im Moment konnte sie ihn kaum ansehen. „Ihr seid beinahe …“ Sie brachte den Satz nicht zu Ende, konnte darüber nicht reden. „Wir sind in Ordnung“, erwiderte er. „In Ordnung?“ Wieder schnaubte sie. „Wenn du Pech hast, hat das Ding deine Niere getroffen.“ Die Einschusswunde des letzten Schusses war etwas seitlich seines Bauchnabels. „Ich bin mir recht sicher, dass es nur der Darm ist.“ „Viel besser.“ Ihre Stimme war sarkastisch. „Fuck. Warum hast du direkt eingegriffen?“ Er antwortete nicht sofort, konzentrierte sich wieder für einige Sekunden auf seine Atmung. „Habe ich nicht. Ich wurde entdeckt.“ „Fuck“, flüsterte sie. Er nickte nur matt, schloss die Augen. Für eine Weile herrschte Schweigen, ehe er erneut ansetzte. „Wie zur Hölle hast du das überlebt?“ Natürlich wusste sie, wovon er sprach, doch noch immer hatte sie keine Ahnung. Sie griff in ihre Tasche, sah sich die Kugel erneut an. Es ergab keinen Sinn. Sie war zwei Mal getroffen worden. Das erste Mal von dem Typen im Nahkampf. Er hatte ihre Schulter getroffen. Sie hatte die Kugel nicht gefunden, doch hatte sie es gespürt. Er hatte die Schulter getroffen. Dennoch war da nichts, außer ein Loch in ihrer Jacke. Und dieses Ding? Es war gut gezielt gewesen, hätte knapp unterhalb des Herzens getroffen, das Herz dank des Kalibers wahrscheinlich mit geschädigt. Und doch war sie unverletzt, von schmerzenden Rippen und einem wahrscheinlich sehenswerten Hämatom einmal abgesehen. „Pakhet?“, frage Heidenstein, als sie schwieg. „Ich weiß es nicht“, erwiderte sie leise. Sie zeigte ihm die Kugel. „Das Ding hat mich getroffen, aber … Es hat mich nicht verletzt.“ Müde schüttelte sie den Kopf. „Ich habe keine Ahnung, wie das passiert ist.“ Mit zittriger Hand griff er nach der Patrone, musterte sie genauer. „Deine Weste?“ „Normal hält sie so etwas nicht“, erwiderte Pakhet. „Normal hält sie nur kleine Kaliber.“ Er sah zu ihr und dieses Mal erschien ein tatsächliches, ein ehrliches Lächeln auf seinem Gesicht. „Ich verstehe es nicht“, hauchte er. „Aber ich bin froh.“ Er gab ihr die Kugel zurück. Wieder steckte sie sie weg. Sie verstand es wirklich nicht. Sie verstand gar nichts mehr. Eigentlich wollte sie nur … Ja, was eigentlich? „Ich hasse es, dass wir sie zurücklassen mussten“, murmelte sie. Jedenfalls hatte sie keine Alternative gesehen. Sie hatte die verletzten Angreifer, wer auch immer sie waren, dort zurückgelassen. Ohne sie zu befragen. Sie waren geflohen. Jacks Überleben und das Heidensteins waren wichtiger gewesen. Doch nun wünschte sie sich, sie könnte aus einem der Typen die Antworten, die sie suchte, herausprügeln. Sie schloss die Augen, stützte die Ellenbogen auf der Liege ab und bedeckte das Gesicht mit dem Händen. Die Oberfläche ihrer Prothese lag kühl auf ihrer Haut. Da griff Heidenstein nach ihrer Hand, hielt sie, brachte sie damit doch dazu, wieder zu ihm zu schauen. Sie seufzte. „Du bist ein verfickter Idiot.“ Er sah sie stumm an, ehe er schließlich flüsterte: „Ich weiß.“ Ihre Blicke trafen sich wieder und sie hasste es, trotz seiner Verletzungen, trotz der Schmerzen, die er fraglos trotz Schmerzmittel hatte, wieder seine übliche Sanftheit dort zu sehen. Warum musste er so sein? Warum hatte sie das Gefühl, etwas sagen zu sollen? Warum konnte er nicht wütend sein und fluchen, wie sie es fraglos tun würde, wenn sie so verletzt worden wäre? Warum war er so ein Idiot? „Was ist?“, fragte er. Sie schüttelte den Kopf, biss sich auf die Lippen. Dann öffnete sich die Tür und Siobhan kam herein. Sie sah zu ihnen, lächelte matt, wenngleich müde. „Wir sind soweit.“ „Wie geht es Jack?“, fragte Pakhet. „Den Umständen entsprechend gut. Er schläft.“ Dann wandte sie sich Heidenstein zu. „Ich würde dich unter einen Schlafzauber legen, Doc.“ Heidenstein zögerte, sah kurz zu Pakhet, die sein Zögern verstand. Schlafzauber waren in der Regel eine Form von Geistesmagie und daher nicht immer ungefährlich. Doch nickte sie und er schloss die Augen. „Okay.“ Siobhan schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln und trat an das Kopfende der Liege. Dann begann sie zu zaubern. Nach wenigen Sekunden schon entspannte sich Heidensteins Körper, als die Tür erneut aufging und Athea hereintrat, eine vielleicht Mitte oder Ende vierzigjährige Frau. Sie trocknete sich noch immer die Hände ab, desinfizierte sie sich erneut als sie ins Zimmer kam. Sie sah furchtbar müde aus, doch musterte sie Heidenstein und seufzte. „Dann kümmern wir uns um ihn.“ Sie sah zu Pakhet. „Und bei Ihnen ist alles in Ordnung?“ Pakhet nickte matt. Warum hielt sie noch immer Heidensteins Hand? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)