Grisha Tales von ChiaraAyumi ================================================================================ Kapitel 1: Flüstern (Harschow) ------------------------------ Die Flammen knisterten leise, als flüsterten sie ihm ihre Geheimnisse zu. Harschow konnte den Blick nicht von ihnen abwenden, während sie auf und ab tänzelten, während sie langsam das Holz verschlangen, das er ihnen gegeben hatte. Mehr Holz, verlangten sie von ihm. Wir wollen ewig weiterbrennen. Er griff in den Korb neben ihm und gab ihnen noch einen Holzscheit, denn er wollte ihnen weiter zu hören. All ihre Geheimnisse erfahren, doch sie waren unnachgiebig, wollten nicht mehr verraten. Er hörte die Flammen knisternd lachen, während sie Funken stoben, und fühlte sich so dumm und klein. Dann würde er ihnen kein Holz mehr geben, wenn sie so stur waren. Er konnte genauso stur und unnachgiebig sein. Doch er konnte den Blick nicht von ihnen lösen. Ihr Tanz faszinierte ihn. Er hatte nie etwas Schöneres gesehen. Wie die Flammen auf und ab zügelten, als hätten sie wahnsinnigen Spaß daran sich leidenschaftlich ihrem Hunger hinzugeben. So frei und ungezügelt wollte er auch sein. Er wollte mit ihnen tanzen und sich ihnen ganz hingeben. Mehr, verlangten sie wieder von ihm. Als er sich ihren Einflüsterungen verweigerte, wurde ihr Knistern sanfter, ihr Tanz ruhiger. Komm näher. Er schüttelte den Kopf, obwohl er sich ihnen immer noch nicht völlig entziehen konnte. Ihre sanften Stimmen ließen ihn müde und schläfrig werden. Sie lullten ihn ein und seine Augen fielen ihm fast zu. Er konnte ihre warmen Berührungen fühlen, die behutsam über sein Gesicht strich. Sie waren so viel liebevoller als seine Mutter, die immer nur mit ihm schimpfte, weil er so verträumt war und manchmal mitten auf dem Weg stehen blieb, um dem Flüstern um sich herum zu lauschen. Komm näher, gib uns frei, wisperten die Flammen ihm zu und er rückte dichter an den Ofen, um ihnen noch näher zu sein. Er streckte die Hand ein weiteres Mal in den Holzkorb und zog den letzten Holzscheit hervor. Er hielt ihn in die Flammen, die sofort auf ihn übersprangen, doch statt ihn schnell fallen zu lassen, genoss er die Hitze. Er hatte keine Angst vor dem Feuer. Es zog ihn an und sein Herz schlug voller freudiger Erwartung schneller, als sich die Flammen seiner Hand immer mehr näherten, während sie versuchten ihm das Holz zu entziehen und es in seiner Gänze zu verschlingen. Dann waren sie an seiner Hand, kitzelten über seine Fingerspitzen, fuhren die Form seiner langer, schmalen Finger nach, sprangen über seinen Handrücken auf seinen Arm, wanderten weiter hoch. Er hielt den Atem an, die liebkosende Berührung hatte etwas Elektrisierendes an sich. Die Hitze durchfuhr ihn und er fühlte sich auf einmal seltsam unbesiegbar. Das Feuer konnte ihm nichts anhaben, es schützte ihn, liebte ihn, flüsterte ihm zu. Lass uns raus aus diesem metallenen Gefängnis, gib uns mehr. Und Harschow wusste plötzlich, dass er es konnte. Er konnte sehen, wie die Flammen aus dem Ofen hervorbrachen und auf den Fußboden, die Vorhänge, den Tisch, übersprangen und sie verschlangen. Sie würden sich die kleine Hütte vollständig einverleiben und dann auf das kleine Dorf, seiner Heimat und seine ganze Welt, übergreifen. Er fragte sich, warum die Flammen dafür ihn brauchten. Sie konnten das ganz alleine bewerkstelligen. So mächtig wie sie waren, doch sie warteten auf sein Kommando. Sie brauchten ihn, deswegen schmeichelten und umgarnten sie ihn. Er lachte. Welch seltsames Gefühl. Er spürte eine Macht in sich selbst, die nun von Innen drin, zu flüstern begann. Sie fühlte sich vertraut an. Sie klang wie die Flammen, knisternd und voller Wärme. Ihr Ruf wurde lauter und dringlicher. Er musste ihr nur folgen, dann würde er endlich alle Geheimnisse des Feuers erfahren und eins mit ihm werden. Er atmete schnell ein und aus, vor Aufregung flatterte sein Herz und das Feuer, das ihn eingehüllt hatte, sprang auf und ab. Er war bereit. Der Ruf in ihm nahm ihn ein und das Feuer folgte seiner Handbewegung, als er es aus dem Ofen hervorholte. Es hüpfte über den Boden, tänzelte um den Tisch herum, nagte an dem Stuhlbein. Noch nie hatte sich Harschow so gut gefühlt. Er glühte vor Glück. Als wäre er plötzlich vollständig, als hätte er das letzte Teil seiner Selbst gefunden. Nie wieder wollte er vom Feuer lassen. Nie wieder würde er es im Ofen einsperren. Plötzlich hörte er Schritte vor der Tür und er zuckte zusammen. Seine Mutter kam von ihrer Arbeit zurück. Erschrocken sah er, wie das Feuer sich gerade am Vorhang hocharbeitete. Es tat ihm in der Seele weh, die Flammen wieder einzufangen, sie wehrten sich dagegen, gaben aber dann doch nach und hinterließen, verkohlte Stellen im Boden, am Stuhl und am Vorhang. Seine Mutter kam herein und zog angewidert die Nase hoch. „Was stinkt hier so verbrannt? Was hast du wieder angestellt? Und wo ist dein Bruder? Er sollte doch auf dich aufpassen!“ Lass uns wieder frei, wisperten die Flammen im Ofen. Harschow nickte begierig. Das war ein Versprechen, das er definitiv halten würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)