Things That Should Not Be von Yuugii (Kunikida/Dazai) ================================================================================ Kapitel 14: Kapitel 14 ---------------------- Als er ihm die Nachrichten überbrachte, wirkte Dazai kein bisschen überrascht. Viel mehr schien er damit gerechnet zu haben. Wieder dieses ekelhafte Lächeln auf seinen Lippen. Kunikida fragte sich, ob es Dazai wirklich gar nichts ausmachte, dass seine Wohnung wortwörtlich in Flammen aufgegangen war. Hatte er denn keine Erinnerungsstücke, die er vermissen würde? Hatte nicht jeder etwas in seinem Leben, das ihm so viel bedeutete, dass es absolut unersetzlich war? Dazai saß im Schneidersitz auf der Coach, immer noch das große Kissen fest umklammert, legte seinen Kopf auf dieses ab und lächelte vor sich hin, während Kunikida einfach nur fassungslos vor ihm stand und versuchte, so etwas wie Trauer in seiner Mimik auszumachen. „Kunikida-kun macht sich Sorgen um mich?“, sagte er dann und kicherte amüsiert. „Du hast dein Hab und Gut verloren, stört dich das denn gar nicht?“ „Nö“, meinte er nur eintönig und sah Kunikida mit großen, leuchtenden Augen an. „Wie kannst du so gelassen bleiben?“, wollte der Blonde dann wissen und setzte sich neben Dazai auf die Coach, dieser tat so, als würde er nachdenken und gab nachdenkliche Laute von sich, obwohl Kunikida bereits wusste, dass alles, was er als nächstes sagen würde, absolut unverständlich sein würde. Er verstand einfach nicht, dass es Dazai so überhaupt nicht berühren schien, dass er alles verloren hatte. „Ich habe doch alles, was mir wichtig ist, bei mir“, meinte er dann und lächelte. Verwundert zog Kunikida eine Augenbraue hoch. Diese Worte ergaben keinen Sinn. Was genau meinte er? Dazai seufzte daraufhin. „Wer nichts hat, der kann auch nichts verlieren. Ich habe keine Gegenstände, die mir besonders wichtig sind. Mein Smartphone, aber das trage ich bei mir und“, begann er und pausierte dann. Kunikida sah ihn neugierig an. War es nicht irgendwie unheimlich traurig, dass ein Mensch so rein gar nichts hatte, das er für sich als wichtig erachtete? Andererseits machte Dazai auch kein Geheimnis daraus, dass er sterben wollte. Vielleicht war der Mangel an persönlichen Gegenständen etwas, das Kunikida alarmieren sollte. Geduldig wartete er darauf, dass Dazai weitersprach, doch dieser lächelte nur verträumt vor sich hin. „Nein, das bleibt mein Geheimnis~ ♥“, meinte er dann und träumte weiter vor sich hin. Kunikida glaubte, dass er ihm etwas verheimlichte und es ärgerte ihn, dass Dazai ihn einmal mehr aus seinem Leben ausschloss. Warum nur konnte dieser Kerl nicht einmal offen und ehrlich etwas über sich erzählen? Wieso nur musste man ihm wirklich alles aus der Nase ziehen? „Das sagst du so, als wäre das etwas Besonderes. Es ist ja nicht gerade so, dass du viel über dich erzählst“, grummelte Kunikida stattdessen und legte ein Bein über das andere, versuchte ruhig zu bleiben. Es war bereits später Abend. Seinem Ideal zufolge würde er in exakt 30 Minuten ins Bett gehen, acht Stunden schlafen und dann morgens aufstehen, um zunächst die Tageszeitung zu studieren und zwei Tassen Kaffee zu trinken, nur um dann zur Arbeit zu fahren. Doch seit Dazai in seiner Wohnung war, war sein Ideal nichts weiter als ein Schatten. Dazai ließ ihn nie zur Ruhe kommen. „Du fragst ja auch nie“, meinte er nur und zuckte mit den Schultern. „Also, nehmen wir mal an, ich würde dich etwas fragen – du würdest mir eine Antwort geben?“ Interessant. Würde er endlich mehr über Dazai erfahren können? „Ja, aber ob sie dich zufriedenstellt, wäre ein anderes Thema.“ „Verstehe“, überlegte Kunikida, rieb sein Kinn nachdenklich und starrte gedankenverloren vor sich hin. „Hast du schon einmal Drogen konsumiert?“ Dazai zog überrascht die Augenbrauen hoch, hob nun seinen Kopf und sah seinen Kollegen entgeistert an. „Was ist das denn für eine Frage?“, wollte er wissen, wirkte empört darüber, doch gab dem Blonden nicht die Antwort, die er haben wollte, weshalb er ihn mit ernster Miene anstarrte und nicht einmal blinzelte. „Du weichst also mit Gegenfragen aus? Typisch für dich.“ „Kunikida-kun ist naiv“, meinte er nur und zuckte dann mit den Schultern, gab einen beleidigten Laut vor sich. „Warum?“ „Ich war in der Port Mafia, du kannst dir die Antwort doch denken. Du stellst Fragen, auf die du die Antwort schon kennst. Das ist Zeitverschwendung“, seufzte Dazai frustriert. „Du hast also Drogen konsumiert?!“, kam es sichtbar erschrocken von Kunikida. Keine Antwort. Dazai drückte das Kissen näher an sich, suchte instinktiv nach Halt. In Kunikidas Kopf ratterten sämtliche Zahnräder auf Hochtouren, man hätte meinen können, dass Dampf aus seinen Ohren stieg, während er versuchte, diese Information zu verarbeiten. Dazai und Drogen. Gut, das würde so einiges an seinem Charakter erklären, aber es fiel ihm schwer, zu glauben, dass jemand, der so intelligent war, Drogen genommen haben soll. Drogen zerstörten das Gehirn und führten zwangsläufig dazu, dass Menschen weniger aufnahmefähig wurden. Dazai war überdurchschnittlich intelligent. Jemand wie er soll Drogen konsumiert haben? „Etwa regelmäßig?“, fragte er dann und flehte darum, dass Dazai ihm antwortete. „Kunikida-kun“, hauchte er dann und drückte sein Gesicht in das Kissen. Für ihn war das Gespräch beendet. Sobald Dazai sich auf diese Weise zurückzog, war es unmöglich, zu ihm durchzudringen. Ab jetzt würde er alles abblocken und höchstens beleidigt reagieren. „Tut mir leid“, seufzte Kunikida dann und kratzte sich am Nacken, erhob sich und ließ Dazai allein zurück, verschwand im Bad, wo er sich fürs Bett fertig machte. ——————————— „Keine Sorge, Dazai-kun, gleich fühlt es sich gut an“, flüsterte die tiefe, dröhnende Stimme beinahe sanft in sein Ohr, sodass sein ganzer Körper erschauderte. Die Wände atmeten, sein Körper gehorchte ihm nicht. Oder vielleicht doch? Bewegten sich seine Hände oder waren diese wellenartigen Dinger vor ihm nur eine Illusion? Ein Teil einer Halluzination? Das kalte Licht der Operationslampe veränderte sich langsam. Er schloss seine Augen und atmete tief ein. Sein Kopf war leer. Alle quälenden Gedanken waren fort, alles um ihn herum vergessen und die Probleme in seinem Leben restlos verschwunden. Eine warme Hand, die ihm tröstend über die Wange streichelte und im nächsten Moment verlor er sich in der Hitze des Moments. Gierig presste er sich an den Doktor, wimmerte und flehte um Sex. Ein High setzte ein und er folgte nur noch seinem instinktiven Verlangen. Es gab keine Hemmschwellen mehr. Als er runterkam, konnte er das Zittern am ganzen Körper nicht unterdrücken. Dabei war ihm nicht einmal kalt. Übelkeit überkam ihn und er konnte seine Augen nicht mehr geschlossen halten. Er riss die Augen auf, doch er sah dennoch nichts. Erst jetzt wurde ihm klar, dass er gefesselt war. Verzweifelt versuchte er sich zu befreien. Er hörte das Klirren der Ketten, die bei jeder Bewegung raschelten. Ein Nachhall der Geräusche. Befand er sich etwa im Verhörkeller? Wie war er hierhin gekommen? Sein Kopf war leer. Was war am Vorabend geschehen? Er hatte mit dem Boss auf eine erfolgreiche Mission angestoßen. Nach dem ersten Glas fühlte er sich merkwürdig befreit, schwerelos und er war eingeschlafen. War das alles? Er hatte einen kompletten Filmriss. Er versuchte gedanklich die Puzzleteile zusammenzufügen und sich ins Gedächtnis zu rufen, was geschehen war. Aus der Entfernung hörte er dumpfe Schritte und er schluckte hart. Er wollte etwas sagen, doch aus seinem Mund kamen keine formulierten Sätze, nur eigenartige Laute, die er selbst nicht wirklich definieren konnte. Verwirrt ob dieser Machtlosigkeit, biss er sich selbst auf die Unterlippe, hinderte sich daran, weiterzusprechen und atmete tief ein. Man hatte ihm die Augen zugebunden und ihn an eine Wand gefesselt. Das eiskalte Gemäuer an seinem Rücken ließ ihn erschaudern, doch dann versteifte sich sein ganzer Körper, als er eine Hand an seinem Kinn spürte, die sich noch kälter als das Gestein hinter ihm anfühlte. Berührungen an seinem Körper, die sich anfühlten, als würde irgendjemand mit einem Eisblock über seine bloße Haut fahren. Erst jetzt wurde ihm gewahr, dass er keine Kleidung trug. Genau in diesem Moment schaltete sich irgendetwas in seinem Verstand ein und das Gefühl der Scham kehrte zurück. Verlegen wandte er den Kopf ab und versuchte sich von der Person vor sich wegzudrehen, doch diese griff nach seinen Hüften, hinderte ihn daran, seine Scham zu verstecken. „So ein abscheuliches Wesen, erfüllt von Gier und Trieb. Absolut unmenschlich, wie ein Tier“, hauchte die Person und küsste seine Leisten, biss zaghaft in die dünne Haut und leckte dann drüber. „N-nicht“, brachte er endlich heraus, unsicher, ob er dies wirklich gesagt hatte oder nicht doch etwas anderes über seine Lippen gekommen war. Dann ging alles zu schnell. Er wurde angehoben und ein stechender Schmerz durchfuhr seinen Unterleib. Er schrie vor Schmerz auf, atmete dann tief ein und ließ zu, dass der Mann vor ihn brutal nahm. Das Metall der Handfesseln hatte sich bereits in seine Hände geschnitten und er spürte, wie sein warmes Blut seine Unterarme entlang lief. Auch an seinen Beinen konnte er eine Flüssigkeit spüren. „B-bitte, hör auf“, wimmerte er leise. Das Tuch um seine Augen wurde nass. Nach einigen letzten viel zu harten Stößen spürte er, wie der Mann sich in ihm ergoss. Angewidert verzog er das Gesicht. „Es schickt sich nicht für ein Mafiamitglied zu betteln“, sagte der Mann vor ihm und küsste ihn beinahe liebevoll auf die Lippen. „Das treibe ich dir noch aus, mein süßer, süßer Dazai-kun“, kicherte er amüsiert. Die Schläge mit dem Lederriemen hallten im ganzen Keller nach. „Anders lernst du es ja nicht.“ ——————————— Es war mitten in der Nacht. Er schrie. So laut, wie er konnte. Schweißgebadet setzte er sich auf. Sein Blick ging ins Leere. Die Erinnerung an die Erziehungsmaßnahmen seines vorherigen Bosses verfolgten ihn bis heute in Form von Alpträumen. Obwohl seine Augen geöffnet waren, sah er nichts, blendete sein gesamtes Umfeld aus. Dass zwei Hände auf seinen Schultern ruhten und dass Kunikida ihn sanft schüttelte und versuchte, ihn aufzuwecken, bemerkte er nicht einmal. Vor sich sah er nur Mori. Er roch das Blut, schmeckte es förmlich in seinem Mund. Überall Blut. Alles blutüberströmt. Er sah auf seine Unterarme. Mori hatte diese Arme berührt, ihn sanft geküsst und markiert. Er war nicht hier, aber spürte ganz genau, wie er ihn anfasste. Dieses Gefühl erfüllte seinen Verstand. Nichts anderes war da. Ja, er musste es loswerden. Ein Messer, schneide es raus! Entferne die Sünde, schneide Mori und deine Vergangenheit raus... Er wollte aufstehen, doch irgendetwas hinderte ihn. Das Klingen in seinen Ohren brachte ihn zurück in die Realität. Verwundert sah er Kunikida an, dessen Hand immer noch mitten in der Luft ruhte. Mehrmals blinzelte der Brünette, setzte dann ein Lächeln auf und grinste. „Wollte Kunikida-kun etwa im Schlaf über mich herfallen? ♥“, scherzte er und setzte zum Kichern an, doch Kunikida packte seine Schultern fest, schüttelte ihn und kam seinem Gesicht so nahe, dass er scharf die Luft einsog und panisch überlegte, wie er aus dieser Situation herauskommen sollte. „Du hattest einen schlimmen Alptraum. Dazai, geht es dir gut?!“, wollte er wissen und drückte seine Stirn gegen Dazais. Er reagierte auf Dazais Versuch, vom Thema abzulenken, überhaupt nicht. In seiner Stimme schwang Sorge mit. Dazai schämte sich sogleich dafür, dass Kunikida ihn erneut so vorfinden musste. „Du hast erhöhte Temperatur“, murmelte er dann und setzte sich nun um, rieb sich angestrengt das Nasenbein. „Tut mir leid, dass ich dich schon wieder geweckt habe“, sagte Dazai mit fester Stimme und senkte den Blick, vermied es den Blonden anzusehen, aus Angst, noch mehr seiner Schwächen zu offenbaren. Im Schlaf konnte er die Maske, die ihn tagsüber vor neugierigen Blicken schützte, nicht aufsetzen und so verriet sein Körper ihn. „Ich weiß, dass ich gesagt habe, dass ich dir keine unangenehmen Fragen mehr stellen werde, aber du brauchst Hilfe, Dazai. So kann es nicht weitergehen“, grummelte Kunikida. „Ich weiß, deshalb sollte ich so schnell wie möglich ausziehen“, hauchte Dazai, umklammerte seinen Unterarm so fest, dass seine Knöchel schon weiß wurden. Der Schmerz ließ ihn vergessen und brachte ihn zurück, verbannte all die schlimmen Erfahrungen. „Du Vollidiot! Darum geht es mir gar nicht!“, keifte Kunikida urplötzlich, sodass Dazai zusammenfuhr und ihn perplex ansah. „Du brauchst Hilfe! Jede Nacht wachst du schreiend auf, du verletzt dich selbst und nutzt jede Chance, dich von der nächstbesten Brücke zu werfen. Verdammt, ich weiß nicht, was man dir angetan hat, aber wenn du mir nicht sagst, was dich so bedrückt, kann ich dir nicht helfen! Und denke ja nicht, ich wüsste nicht, dass du nachts weinst, wenn du glaubst, dass ich schlafe“, sprudelte es aus dem Blonden heraus. Dazai schämte sich und sagte nichts, suchte verzweifelt nach den richtigen Worten. „Ich komme damit allein klar, du musst dir wirklich keine Sorgen machen“, murmelte Dazai. „Lüg mich nicht an! Verdammt, Dazai! Du musst akzeptieren, dass du deine Vergangenheit alleine nicht verarbeiten kannst und wenn du dich dem, was dir widerfahren ist, nicht stellst, wird es nur schlimmer. Wir arbeiten seit zwei Jahren zusammen und ich sehe doch, dass es dir von Tag zu Tag schlechter geht.“ „Es hat dich doch vorher nicht interessiert, warum also jetzt?“ „Ich wollte dir nicht zu nahetreten und hatte gehofft, du würdest irgendwann von alleine zu mir und deinen Kollegen kommen, aber ich habe mich geirrt. Du bist zu stur und feige, um dich deinen Gefühlen zu stellen.“ Dazai antwortete nicht. Eine unangenehme Stille kam auf. „Hast du Whiskey im Haus?“, fragte Dazai dann irgendwann und kratzte sich verlegen an der Wange. „Willst du dich mit Alkohol betäuben, nur um deine Probleme verdrängen zu können?“, grummelte Kunikida und schüttelte enttäuscht den Kopf. Nicht, dass er erwartet hätte, dass Dazai auf diese Konversation eingehen würde. Immerhin blockte er seit Tagen ab und weigerte sich, irgendetwas zu erzählen, das ihn oder seine Vergangenheit anging. Dabei wollte Kunikida endlich mehr wissen. Die Neugier in ihm ließ auch ihn nachts nicht mehr schlafen. Ständig musste er an Dazai denken. Entweder weil dieser mal wieder etwas angestellt hatte oder weil er sich Sorgen machte, dass Dazai sich selbst verletzte, wenn er einen Moment lang seine Augen von ihm nahm und ihn nicht wie ein kleines Kind beobachtete. Dazai zuckte teilnahmslos mit den Schultern. „Ich kann nicht schlafen, also saufe ich so lange, bis ich bewusstlos werde und wenn ich irgendwann einschlafe, sehe ich ihn und das Verließ, spüre die Kette um meinen Hals, höre das Klirren von Metall und dann wache ich auf und harre bis zum Morgengrauen aus.“ Kunikida hob fragend die Augenbrauen. Moment. Hatte Dazai gerade etwas über seine Vergangenheit erwähnt? „Manchmal fällt es mir so schwer, einen Traum von Realität zu unterscheiden, aber wenn ich betrunken bin, ist alles unwichtig. Dann gibt es keine quälenden Gedanken mehr. Findest du das schlimm? Dass ich meine Probleme auf diese Weise verdränge?“ „Dazai, du hast ein Alkoholproblem, du solltest selbst am besten wissen, wie schädlich das ist...“ „Ich versuche mich umzubringen, seit ich 12 bin. Mori-san hat nicht zugelassen, dass ich sterbe und hat immer Mittel und Wege gefunden, mich zu retten oder mich wiederzubeleben, wenn jeder andere mich schon aufgegeben hatte“, sagte er und lachte verächtlich. „In Wirklichkeit wollte er mich aber loswerden, weil ich mit dem Attentat an Sendai-sama zu tun hatte. Also hat dieser Bastard mich absichtlich auf Missionen geschickt, von denen er genau wusste, dass ich sie nicht allein bewältigen könnte. Er hat zugelassen, dass man mich gefangen nimmt und foltert“, sagte er dann und lachte dann laut, ließ seinen Kopf in den Nacken fallen. „Es hat ihm überhaupt nicht gepasst, dass der einzige Zeuge seines Verbrechens immer wieder lebendig zurückkehrte. Ich habe ihn gehasst und bin trotzdem immer wieder zu ihm zurück. Wo hätte ich auch sonst hingehen können? Zurück in die Slums? Ich wollte seine Anerkennung, von ihm gebraucht werden, also habe ich mich bereitwillig in seine Arme geflüchtet. Es war besser, als mich mit mir selbst und meinen negativen Gedanken herumschlagen zu müssen.“ Dazai lachte manisch, dann verstummte sein Lachen urplötzlich und er starrte an die Decke, ließ einen tiefen Seufzer heraus. „Ich habe alles für ihn getan, weil er das einzige war, das ich in meinem Leben hatte. Es gab sonst nichts. Niemanden. Er ließ nicht zu, dass ich starb und irgendetwas in mir wollte daran glauben, dass seine Erziehungsmaßnahmen eine Form von Liebe waren, also habe ich zugelassen, dass er mich von Drogen abhängig machte und mich missbrauchte. Ich wusste, dass ich diese Entscheidung im Nachhinein bereuen würde, trotzdem...“ Kunikida riss die Augen auf und setzte sich auf, sah Dazai an. Doch er fand keine Worte. Dazai schielte zu ihm herüber und grinste. „Was ist denn? Du wolltest doch wissen, ob ich Drogen konsumiert habe. Da hast du deine Antwort.“ „Aber...“, hauchte Kunikida, sein Blick wanderte unfokussiert hin und her. Auf einmal konnte er Dazai nicht mehr in die Augen blicken. Es schmerzte, ihn zu sehen. Die Wahrheit war um einiges unerträglicher hat er gedacht hatte. Gequält verzog er das Gesicht. „Ich war süchtig und konnte mit den Entzugserscheinungen nicht umgehen, also blieb mir nichts anderes übrig, als Mori-san um Hilfe zu bitten.“ „Das ist einfach nur schrecklich!“ Kunikida setzte sich auf und stellte sich direkt vor Dazai. „Warum behältst du so etwas für dich?“ Dazai sah ihn nun an, blinzelte mehrmals. Er wusste genau, dass diese Frage kommen würde. Das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben und selbst die Schuld für sein Leid zu tragen, war unerträglich und er sagte kein Wort, biss sich vehement auf die Lippen. Kunikida kam ihm näher, doch Dazai machte mit einer kurzen Handbewegung deutlich, dass er jetzt Abstand brauchte. „Ich hätte dir das nicht erzählen dürfen. Vergiss es einfach“, sagte er dann und lief an Kunikida vorbei und lief in Richtung des Eingangs, wo er seine Schuhe anzog und nach seinem Mantel griff. Der Blonde lief ihm hinterher, sah ihn fassungslos an. Hatte er etwas Falsches gesagt? Wieso war Dazai derartig aufgebracht? „Wo willst du hin? Es ist mitten in der Nacht!“ „Ich sagte doch, ich will Whiskey. Der Konbini[16] hat offen, also~“, sagte er, drehte sich um, doch Kunikida packte ihn am Handgelenk und warf ihn einen besorgten Blick zu, doch Dazai sah nur Ablehnung. Er schämte sich, dass der Kunikida zu viel erzählt hatte. Er wollte nicht als Opfer wahrgenommen werden. Immerhin war er ein Mann. Er wollte nicht als schwach angesehen werden und er befürchtete, dass er mit seinem Aussehen Mori selbst dazu provoziert hatte, sich an ihm zu vergehen. Er schüttelte den Gedanken ab. „Was habe ich falsch gemacht?! Sag mir, wie ich dir helfen kann! Dazai, bitte, dich besinnungslos zu saufen, ist keine Lösung“, kam es aufgebracht von Kunikida, der ihn immer noch nicht losließ, ihn aber dafür flehend ansah und hoffte, dass Dazai sein Vorhaben überdachte. „Lass los, Kunikida-kun, du kannst mir nicht helfen. Niemand kann das“, meinte er und schüttelte die Hand ab, verließ die Wohnung und ließ Kunikida im Eingangsbereich stehen. Dieser atmete tief ein, schimpfte laut und zog sich ebenfalls schnell um, folgte Dazai, der tatsächlich den nächsten Konbini ansteuerte. Dazai hatte seine Händen in den Jackentaschen vergraben, sein Blick war gen Boden gerichtet und er lief im gleichbleibenden Tempo zum Konbini. Kunikida lief ihm wortlos hinterher. Was sollte er sagen? Gab es überhaupt irgendetwas, was er sagen konnte, um Dazais gequälten Geist die nötige Ruhe und Ablenkung zu schenken? Dazai erzählte nie etwas über sich und nun, wo Kunikida etwas so unheimlich Wichtiges erfahren hatte, wusste er nicht, wie er mit dieser neuen Information umgehen sollte. Er war wütend. Nicht auf Dazai. Sondern auf sich selbst. Dazai hatte es nicht verdient, auf diese Weise Ablehnung zu erfahren und er musste einen Weg finden, sein Vertrauen zurückzugewinnen. Dazai lief in den Laden und ließ die Tür hinter sich zufallen, ließ somit auch seinen blonden Kollegen zurück. Missmutig blieb Kunikida vor dem Geschäft stehen, wartete darauf, dass Dazai zurückkam, doch dieser schien den jungen Verkäufer, der ungefähr in Atsushis Alter sein musste, in ein Gespräch zu verwickeln. Er hörte, dass Dazai lachte und er konnte durch die Glastür sehen, dass er wild umher gestikulierte. Hatte Dazai sein seelisches Tief etwa tatsächlich im Griff? Unsinn. Wenn dem so gewesen wäre, hätte er nicht versucht, sich umzubringen und würde auch nicht mitten in der Nacht loslaufen, um sich hochprozentigen Alkohol zu holen. Zumindest wusste Kunikida nun, dass Dazais Alkoholsucht lediglich eine Suchtverschiebung war. Anstatt harte Drogen zu konsumieren, hatte er auf Alkohol gewechselt, was in Kunikidas Augen zwar genauso schlimm war, aber immerhin statistisch betrachtet, weniger Nebenwirkungen mit sich brachte. Minutenlang stand er nun schon vor dem Laden. Immer noch quatschte Dazai angeheitert mit dem Verkäufer. Vermutlich war dem jungen Mann auch langweilig und er freute sich über die Gesellschaft dieses Querkopfes. Ich hatte immer geglaubt, dass Dazais Beziehung zu seinem Boss rein geschäftlich war, doch wenn Mori-san ihn manipuliert und missbraucht hat, würde das zumindest erklären, warum Dazai so viel Selbsthass in sich trägt. Er hat nie wirklich verarbeitet, was passiert ist, sondern es verdrängt. Kein Wunder, dass diese Hilflosigkeit ihn immer wieder heimsucht. Er braucht professionelle Hilfe, eine Therapie, aber ich bezweifle, dass er dem zustimmen wird. Er tippte nervös mit der Fußspitze auf und ab. Zwanzig Minuten stand er nun schon hier. Endlich kam Dazai aus dem Laden, in seiner Hand eine große Flasche Whiskey. Zufrieden kam er die kleine Treppe herunter, lief wortlos an Kunikida vorbei und steuerte in Richtung des nächsten Parks zu. Grummelnd lief Kunikida ihm hinterher. Dazai setzte sich auf die Bank, kicherte amüsiert vor sich hin, sodass der Blonde leicht aggressiv stöhnte. Daraufhin ließ er sich wortlos neben Dazai nieder. Dieser hatte die Flasche geöffnet und genehmigte sich einen Schluck. „Auch was?“, bot Dazai ihm an und hielt ihm die Flasche hin. Kunikida wollte ablehnen. Stattdessen griff er nach der Flasche und trank davon, hielt sie dem Brünetten kommentarlos hin, verschränkte die Arme. Dazai sagte daraufhin nichts weiter. Kunikida linste mehrmals zu ihm herüber. Er konnte Dazais Seitenprofil erkennen. Sein Blick war in die Ferne gerichtet, seine Lippen zu einem Lächeln gebogen. Dieses falsche Lächeln, das Kunikida so sehr hasste, dass es ihm bereits jetzt den Magen umdrehte. Was sollte er sagen? Dazai war offensichtlich nicht zum Reden zumute. Er leerte die Flasche und wirkte ziemlich enttäuscht darüber, dass er nur eine Flasche gekauft hatte. Dann zielte er in Richtung des Mülleimers einige Meter von ihm entfernt und warf die Flasche mit einem gezielten Wurf direkt ins Ziel. Dann ließ er seinen Kopf hängen, schloss die Augen und atmete ruhig. Kunikida drehte sich zu ihm. Schlief er? Vorsichtig tippte er ihn an. Dazai reagierte nicht, zuckte nicht einmal zusammen. Na klasse. Musste dieser Kerl ausgerechnet im öffentlichen Park ein Nickerchen halten? Zum Haareraufen war das! Was, wenn Passanten vorbei kamen und was würden sie denken, wenn sie diesen schlafenden Vagabunden auf der Park vorfanden? Mit Sicherheit würden sie ihn für einen obdachlosen Säufer halten! Erschrocken riss er die Augen auf. Was würden die Leute über ihn denken?! Ihn, Kunikida Doppo, das öffentliche Gesicht der Armed Detective Agency? Wenn Dazai unangenehm auffiel, war das ja eine Sache, aber er konnte sich so etwas nicht erlauben. „Dazai, du kannst hier nicht schlafen“, murrte er dann und tippte Dazai mehrmals an, dieser zuckte nur und grummelte, machte aber keinerlei Anstalten, seine Augen zu öffnen und sich zu erheben. Ruhig bleiben. Bis zehn zählen. „Dazai, wach auf, wir gehen jetzt nach Hause“, schimpfte er dann und Dazai öffnete jetzt die Augen. „Du kannst nach Hause gehen, ich bleibe hier. Ohne mich bist du besser dran“, sagte er lächelnd. Kunikida seufzte, schob seine Brille zurecht und hob Dazai ungefragt hoch. Dieser war nun endgültig wach und schimpfte, wollte, dass er sofort heruntergelassen wurde, doch Kunikida drückte ihn nur noch näher an sich und trug ihn in Richtung Ausgang des Parks. Jeder Versuch, sich von Kunikida loszureißen, scheiterte. Kunikida hielt ihn dermaßen fest in seinen Armen, dass Dazai sich nicht befreien konnte. Entschlossen lief Kunikida zurück in seiner Wohnung. Dazai grummelte leise vor sich hin und ließ sich zurücktragen. Irgendwie empfand er Kunikidas Wärme auch tröstend, schloss dann die Augen für einen Moment und schlummerte ungewollt ein. ——————————— Am nächsten Morgen saßen sie schweigend in der Küche. Dazai rührte sein Frühstück nicht an, nippte aber entgeistert an seinem Kaffee. Zwischendurch warf er Zuckerwürfel in sein Getränk. Kunikida schauderte es bereits bei dem Gedanken, dass irgendjemand, diese Zuckerbrühe freiwillig trank. Ein Kaffee sollte aromatisch und leicht bitter sein und nicht nach purem Zucker schmecken. Wie konnte Dazai das überhaupt herunterkriegen? „Dazai, ich denke, dass du eine Verarbeitungstherapie machen solltest“, brach Kunikida irgendwann die Stille, erntete für diese Aussage lediglich ein amüsiertes Lachen. „Kunikida-kun macht am frühen Morgen Witze! Er sollte wohl öfter einen Schluck Whiskey vor dem Schlafengehen zu sich nehmen~“, erklärte Dazai erheitert. „Das war kein Witz, ich meine das ernst“, sagte er und sah von der Tageszeitung nicht weg, griff nach seinem Kaffee und genehmigte sich einen Schluck, zugleich verstummte Dazais Lachen und er sah ihn ungläubig an. „Mori-san hat dich über Jahre hinweg missbraucht, auch jetzt kontrolliert er dich.“ „Aber Mori-san hat mich nicht missbraucht, alles, was zwischen uns geschah, war im beidseitigen Einverständnis und außerdem“, begann Dazai und wollte das Thema erneut vom Tisch schieben. „Du verteidigst ihn auch noch?!“ „Ja, er hat mich zu nichts gezwungen, dass ich meine Entscheidungen bereue, hat nichts mit ihm zu tun.“ „Dazai, du musst verstehen, dass dir etwas Schlimmes widerfahren ist und es ist vollkommen natürlich, dass du das nicht einfach vergessen kannst“, meinte er dann und sah nun doch von der Zeitung hoch. Dazai wirkte leicht verärgert. „Kunikida-kun will mich ärgern! Dabei bin ich keine zehn Minuten wach! Das muss ein Alptraum sein!“, wimmerte er dann und spielte einen sterbenden Schwan, tupfte sich imaginäre Tränen mit einer Serviette von seiner Wange, doch Kunikida ließ nicht locker. „Kannst du nicht einmal ernst sein? Verdammt, du warst ein Opfer eines Verbrechens und du musst das, was geschehen ist, endlich richtig verarbeiten, ansonsten–“, begann Kunikida, wurde jedoch jäh unterbrochen. Dazais Augen funkelten so gefährlich wie die einer hungrigen Bestie. „Ich bin kein Opfer! Ich bin stark! Wenn mich so etwas brechen würde, wäre ich heute nicht hier, also hör auf, mir einreden zu wollen, wie schwach ich bin!“ „Das habe ich überhaupt nicht gesagt!“ „Aber du hast es so gemeint! Schau mich nicht so mitleidig an, ich brauche weder dein Mitleid noch von sonst irgendjemanden! Ich komme damit allein zurecht!“ „Warum schließst du mich aus deinem Leben aus?“ Dazai wurde etwas ruhiger und überlegte. „Ich will nur nicht, dass du mich als Schwächling siehst“, murrte er dann und nippte an seiner Zuckerbrühe, verzog selbst angewidert das Gesicht und stellte die Tasse zurück auf den Tisch, schob sie langsam in Kunikidas Richtung, während er dann nach Kunikidas Tasse seine Hand ausstreckte, doch dieser zog diese mit einer eleganten Handbewegung einfach weg und leerte seine Tasse. Sollte er dieses Zuckerzeug gefälligst selbst trinken! „Erst gestehst du mir deine Gefühle und sagst mir, dass du auf mich stehst, aber du verlangst im selben Atemzug Abstand. Dazai, so funktioniert eine Beziehung nicht.“ Dazai blinzelte verwirrt und fiel aus allen Wolken. „Will Kunikida-kun etwa sagen, dass er sich verliebt hat? In mich? ♥“ Dazai wirkte beinahe fröhlich, doch Kunikida gab keine direkte Antwort, räusperte sich. „Du erfüllst nicht einmal die Hälfte meiner Heiratskriterien. Du fällst also eindeutig durch das Raster“, erklärte er und zückte sein Notizbuch hervor. Dazai gab einen empörten Laut von sich. „Auch wenn ich hier und da meine Ideale leicht umgehe, komme ich gerade mal auf 28 Punkte von 58 Punkten, doch ich erwarte, dass mein zukünftiger Partner mindestens 29 Punkte erfüllt.“ „Da bin ich ja gar nicht so weit von entfernt! Dann drücke noch ein Auge zu und wir können uns direkt ins nächste Date stürzen~ ♥“ „Nein. Dazai Osamu. Ich kann niemanden lieben, der nicht mit sich selbst im Reinen ist.“ Dazai blies beleidigt die Wangen auf und legte sich nun mit den Oberkörper auf den Tisch, grummelte vor sich hin und erklärte Kunikida als Spießer, der den Rest seines Lebens als ewiger Junggeselle verbringen würde. Angesprochener schnaufte nur, schob sich seine Brille zurecht. „Ich kann dir nicht helfen, deine Vergangenheit zu überwinden, wenn du das nicht willst und solange du dich selbst nicht liebst, kannst du auch niemand anderen lieben. Du sagtest, du wärst in mich verliebt, aber ich glaube, dass du dir das nur einredest, um erneut deine seelischen Probleme zu unterdrücken. Also suchst du nach einer Ablenkung und überzeugst dich davon, verliebt zu sein, damit du nicht weiter nachdenken musst. Wenn dir wirklich etwas an mir liegt, wirst du dich deinen Problemen stellen. Ich lasse mich von dir nicht ausnutzen oder manipulieren.“ Dazai saß direkt aufrecht. „Ich würde dich niemals ausnutzen!“, kam es empört von ihm. Dann wurde es ruhig. Dazai lachte verschämt. Sie wussten beide, dass das seine dreisteste und vor allem auffälligste Lüge war, die er bisher verbreitet hatte. Wie oft hatte er die Zeche geprellt und seinen Kollegen zahlen lassen? War während einer Mission verschwunden, damit Kunikida die anstrengenden Aufgaben übernahm? Oder hatte gar einen völlig fremden Waisenjungen mit dem Geld seines Kollegen zum Essen eingeladen? Es gab viel zu viele Beweise, die offensichtlich gegen ihn sprachen. „Guut, das war eine Lüge. Aber ich würde Kunikida-kun niemals mit Absicht schaden oder wehtun!“ „Wenn es dir wirklich ernst ist, wirst du an dir arbeiten und lernen, deine Vergangenheit zu verarbeiten, damit sie dich im Schlaf nicht mehr verfolgt. Wenn du diesen entscheidenden Schritt nimmst, werde ich dir auf jede erdenkliche Weise helfen, auch wenn ich dafür mein Ideal in den Hintergrund stellen muss. Das ist es mir wert. Du bist mir das wert.“ Dazai schien zu überlegen. „Haben wir einen Deal?“ Dazai sah ihn mit leuchtenden Augen an. „Unter einer Bedingung!“, sagte er dann und strahlte weiterhin. Kunikida verzog fragend das Gesicht, stöhnte dann genervt und wartete auf die Bedingung. „Du lädst mich ins Sakanoue[17] ein~ ♥“ Kunikida warf seine leere Kaffeetasse nach ihm. Minutenlang tobten sie durch die Wohnung. Dazai lachte angeheitert, während Kunikida laut brüllte und versuchte, ihn zu fassen zu bekommen. Als er sich endlich beruhigt hatte und Dazai erschöpft und klagend am Boden lag, hielt er ihm seine Hand hin. „Wir haben einen Deal“, meinte er dann und lächelte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)