Things That Should Not Be von Yuugii (Kunikida/Dazai) ================================================================================ Kapitel 7: Kapitel 7 -------------------- Er fühlte sich taub. Den Weg zur Detektei nahm er wie in Trance. War er überhaupt wach? Er hatte die Kontrolle über sein Denken und Handeln verloren. Was nur hatte ihn geritten, sich erneut auf Mori einzulassen? Dabei wusste er doch, dass dieser es ihn lediglich vorhalten würde und es irgendwann gegen ihn nutzen würde, um ihn an sich zu binden. Dazai war mindestens genauso abartig wie Mori und er selbst würde nicht zögern, die Schwäche seines Gegenübers schamlos auszunutzen und zu seinem Vorteil zu nutzen. Obgleich er genau wusste, dass es ein Fehler war, mit Mori anzubandeln, so hatte er gestern Nacht einfach verzweifelt nach Nähe gesucht. Jemand, der ihm das Gefühl gab, am Leben zu sein und diese widerlichen Stimmen in seinen Kopf ausschaltete. Was nur war es, dass Mori so mächtig machte? Mori brauchte nur seinen Namen auszusprechen und schon verlor er jeglichen Kampfgeist und lief auf ihn zu, ließ sich in dessen Arme fallen und suchte verzweifelt nach irgendeiner Form von Bestätigung, die Rechtfertigung gegenüber seinen eigenen verkorksten Verstand, dass er am Leben war. Mori vermochte die Stimmen zum Schweigen zu bringen. Zumindest für einen Moment. Nie für immer. Dafür waren sie zu laut. Die Stimmen in seinen Kopf sprachen erneut zu ihm. Nicht zur Detektei. In den Fluss. Zur Brücke. Eine scharfe Klinge. Ein Messer oder eine Rasierklinge. Diese düsteren Gedanken ließen ihn einfach nicht los. Er hasste diese Schwäche. Diese Hilflosigkeit, die ihn jeden Tag aufs neue fesselte und ihn zu irrationalen Entscheidungen zwang. Irrational? Das Leben als solches war freudlos und bedeutungslos, nichts vermochte diese alles verschlingende Leere in ihm auszufüllen, also was für einen Grund gab es, diese Existenz weiter zu führen? Alles war ihm gleichgültig. Unfähig, mit Menschen zu leben, zu reden. Vollständiges Versinken in mich. Stumpf, gedankenlos, ängstlich. Ich habe nichts mitzuteilen, niemals, niemandem, quälten ihn diese Stimmen. Diese Stimmen, die er am liebsten anderen zuordnen wollte, doch letztendlich immer seine eigene war. Das Bewusstsein darüber ein „Sonderling“ zu sein, der alltägliche Kampf mit sich selbst und das zwanghafte Verstellen seines Seins. Er wurde es müde. Jeden Tag aufs Neue so tun zu müssen, als würde ihm irgendetwas auch nur ansatzweise reizen. Denn nichts entflammte seinen zermürbten Verstand. Seine Schritte stoppten abrupt. Inmitten der belebte Fußgängerzone blieb er stehen und beobachtete die Menschen, die an ihm vorbeieilten, betrachtete das flüchtige Leben, das sich hier in Massen drängelte und versuchte einen Sinn hinter all dem zu erkennen, nur um zu dem Schluss zu kommen, dass nichts von alledem auch nur im Entferntesten nachvollziehbar war. Sie alle folgten ihren Pflichten und erfreuten sich der Gesellschaft, die sie umgab, doch für ihn war es quälend, geradezu schmerzhaft, hier zu stehen und zu wissen, dass er niemals ein Teil dieser Welt sein würde, dass er für immer und ewig dazu verdammt war, als einziger von einem Logenplatz zuzusehen und stets als stiller Beobachter nur hinterfragen zu können. Was war es, dass diese Menschen antrieb? Wieso fiel es ihnen so leicht, den nächsten Schritt zu gehen? Einem Ziel zu folgen? Wo doch alles letztendlich in der Bedeutungslosigkeit versank und nichts die Leere füllen konnte. Nein. Nicht diese Menschen waren falsch in ihren Beweggründen. Sondern er. Diese absolute Gleichgültigkeit, das Wissen, nichts zu wissen und niemals nachvollziehen zu können, was andere fühlten, war fesselnd und zog ihn herunter, wie schwere Ketten, die man an seinen Gliedmaßen befestigt hatte, die ihn in die Tiefen des Ozeans zogen. Kein Entkommen. Alles war grau. Die Bewegungen der Menschen spielten sich in Zeitlupe ab. Die Geräusche seiner Umgebung verschwanden. Das einzige, was blieb, war das Nichts. Er selbst. Dazai Osamu war als Mensch disqualifiziert. Niemals würde er fühlen, was andere fühlten. Niemals würde er sehen, was andere sahen. Niemals würde er verstehen, was für andere so selbstverständlich erschien. Und trotzdem würde er ein Lächeln aufsetzen und die Rolle des exzentrischen Spaßvogels annehmen und sich eine Maske aufsetzen, die mit einem breiten, ekelhaften Grinsen verziert war, während er, versteckt hinter des falschen Gesichts, was er tagtäglich aufs Neue aufsetzte, bittere Tränen vergoss und verzweifelt nach einem Ausweg suchte. Sein Akt war geradezu perfekt, so glaubhaft, dass er seine Umgebung täuschen konnte und an manchen Tagen er selbst fast glaubte, dass das Lachen, das seiner Kehle entsprang, echt war. Nach außen hin konnte er sein Leiden verstecken, dafür musste er lediglich die Rolle spielen, die er sich hart erarbeitet hatte, doch in den Tiefen seiner Seele schlug die Entfremdung Wurzeln, ließ ihn zweifeln, an sich selbst und seinem Umfeld. An seiner Menschlichkeit. An seinem Recht am Leben zu sein. Odasaku hat mich immer verstanden und wusste immer Rat. Er war Balsam für die Seele. Statt zur Detektei ging er zum Friedhof und besuchte das Grab seines Freundes. Die Zeit verging. Verloren betrachtete er die schön geschwungenen Buchstaben auf Odas Grab, während ein gequältes Lächeln den Weg nach außen fand. Ein Lächeln, das seine wahre Persönlichkeit widerspiegelte. Kraftlos fiel er auf die Knie und verblieb in dieser Position stundenlang. Mori-san und Odasaku... sie haben es verstanden. Mich verstanden. Odasaku ist fort. Kommt niemals wieder zu mir zurück. Ich bin völlig allein. Auf mich gestellt, in dieser großen, einsamen Welt. Ich wünschte, ich könnte bei dir sein. Dazai warf einen trübsinnigen Blick gen Himmel. Tränen hatte er keine mehr. Sie änderten ja ohnehin nichts. Auch sein ewiges Selbstmitleid hing ihm schon aus dem Hals heraus. Er hasste sich selbst dafür, dass er diese Gedanken nicht einfach abschalten konnte. Diese Stimmen liefen wie bei einer Dauerwerbesendung im Hintergrund, mal lauter, mal leiser, doch immer da und niemals völlig verschwunden. Mori und Odasaku hatten die Fähigkeit, diese Stimmen verstummen zu lassen. Nicht ewig. Nicht für lang. Aber für einen Augenblick waren sie weg und ließen ihn friedlich schlummern. Wie lange war es her, dass er zuletzt so richtig ausgeschlafen hatte? Diese schiere Müdigkeit wollte einfach nie verschwinden und fraß sich durch Mark und Bein. Er konnte nichts ändern. Machtlos musste er mitansehen, wie er sich selbst in den Abgrund warf. Diese absolute Ohnmacht, die ihn anheimfiel, war die reinste Qual, die wohl schlimmste Folter. Nichtmal er selbst hätte sich das ausdenken können, dabei war sein Geist abartig und unmenschlich. Gedanken und Gefühle erschufen die Realität und beeinflussten diese, doch was, wenn man keine Gefühle hatte? Keine eigenen Gedanken? Nichts, das einen antrieb? War dann nicht auch die Welt, die Realität, in der man sich befand, absolut frei von Sinn? Warum leben, wenn alles, was einen erwartete, doch nur Schmerz war? Alles war vergänglich. Odasaku hätte sicher die richtigen Worte gefunden. Er hatte dieses Charisma, diese Macht, diese Negativität zu verbannen. Doch ohne ihn bin ich völlig aufgeschmissen, überlegte er und seufzte, ließ sich nun nach hinten in den Dreck fallen, betrachtete die raschelnden Blätter des Baumes, der sich hinter Odas Grab befand. Eine sanfte Brise kam auf, die ihn kurz frösteln ließ. Kälte. Hitze. Schmerz. All das waren äußere Eindrücke, die er sehr gut verarbeiten konnte, doch seine mangelnde Fähigkeit Gefühle zu kommunizieren und richtig zu deuten, machte es ihm unmöglich, sich als Mensch zu betrachten. Mori-san versteht es auch, aber ich kann nicht zu ihm zurück. Außerdem... ist er für Odasakus Tod verantwortlich. Er musste sich nur lange genug einreden, dass Mori Odasaku getötet hatte, dann würde er den Hass und die tiefe Abneigung in ihm erneut verspüren, die ihm Kraft zum Aufstehen gab. Er war gefangen in seinem eigenen Kopf. Gefangen in diesen Gedankenkreisen. Es gab einfach kein Entkommen. Er war nichts weiter als ein Gefangener seines Verstands, ein Besucher, der machtlos das Leben um sich herum vorbeiziehen sah, aber nie wirklich eingreifen konnte. Er schlief ein. Geplagt von Albträumen. Verängstigt. Hilflos gegenüber seinem Unterbewusstsein, das ihn im Schlaf heimsuchte und ihn daran erinnerte, wie wertlos er war und dass sein Streben ein Teil der Detektei zu sein, niemals erfüllt werden würde. ——————————— Er lief umher in der Dunkelheit. Er stolperte voran. Der Boden unter ihm schlug Wellen und in der Ferne befand sich ein kleines gedämmtes Licht. Vorsichtig tastete er sich heran. Als er dem Licht näher kam, veränderte sich seine Umgebung und er befand sich in einem abgedunkelten Raum wieder. Er brauchte nicht lang, um die Silhouetten, die ihn umgaben, richtig einzuordnen. Das hier war die Detektei. Die Lichter waren gedimmt und an den Plätzen saßen seine Kollegen. Sie waren gesichtslos, doch er konnte sie anhand ihrer Stimmen und Kleidung einordnen. Zögerlich streckte er seine Hand aus, doch man bemerkte ihn nicht. „Ohne Dazai geht’s uns viel besser!“, hörte er Ranpos Stimme, der daraufhin heiter lachte. „Ach, wem sagst du das! Seit er weg ist, ist keine einzige Beschwerde mehr reingekommen“, stimmte Kunikida erleichtert zu. „Dazai-san hat mich zwar gerettet, aber er wollte mir nie wirklich helfen. Er hat mir nur geholfen, um sich als Märtyrer aufzuspielen! Dieser scheinheilige Bastard hat mich nur ausgenutzt!“, grummelte Atsushi und schnaubte verächtlich. „Und die Kosten für Verbandsmaterialien sind so stark gesunken, dass wir genügend Geld für eine Betriebsreise haben“, erklärte Yosano lächelnd und klatschte begeistert in die Hände. „Ohne Dazai hat sich der Ruf meiner Detektei verbessert“, kam es von Fukuzawa, dessen Schritte dumpf widerhallten. „Hätte ich damals gewusst, was für ein Laster er sein würde, hätte ich ihn niemals aufgenommen. Hätte Taneda-san mir von Anfang an gesagt, dass er ein Mitglied der Port Mafia war, hätte ich sofort die Polizei verständigt und ihn abführen lassen. Dazai ist ein kranker Massenmörder, so jemanden kann ich ihn meiner Detektei nicht gebrauchen!“, sagte Fukuzawa noch lauter, eindringlicher und obwohl ihn niemand wahrnahm, waren diese Worte eindeutig an ihn gerichtet. Dazai schluckte hart. „Ginge es nach mir, könnte er in der nächsten Gasse verrotten. Ständig macht er Ärger und macht, was er will! Der Kerl zerstört das Betriebsklima und behindert unsere Arbeiten“, fügte Kunikida hinzu. Selbst Kyouka, die einen ähnlich dunklen Pfad im Leben beschritten hatte, nickte. Ihr Blick war kalt, doch Dazai glaubte, so etwas wie großen Schmerz in ihnen erkennen zu können. „Dazai-san hat nie bereut, Menschen ermordet zu haben. Ich verstehe nicht, wie ein Mensch so etwas Grausames tun kann und nachts schlafen kann“, flüsterte sie und senkte den Blick betroffen. Zaghaft spielte sie an ihren Zöpfen, ehe sie ihr kleines Handy in die Hand nahm und es traurig ansah. Tränen waren in ihren Augenwinkeln zu sehen. Dazai senkte den Blick, biss sich auf die Unterlippe. Plötzlich standen seine Kollegen um ihn herum, immer noch gesichtslos, doch sie alle trugen ein hämisches Grinsen, als würden sie ihn verspotten. Dazai hielt sich die Ohren zu. Ihre Stimmen prasselten auf ihn herab. Er wollte hier weg. Nichts mehr hören. Nichts mehr sehen. Er fiel auf die Knie. Doch das Lachen seiner Kollegen erreichte ihn dennoch. ——————————— Nach Luft ringend erwachte er und riss die Augen auf. Die Sonne ging bereits unter. Schweißgebadet erhob er sich und wischte sich panisch die herunterlaufenden Schweißperlen vom Gesicht. Er hatte tatsächlich den ganzen Tag verschlafen. Dann atmete er tief durch. Nicht in Panik geraten. Rasch zog er sein Smartphone hervor. Shimatta[11]! Kunikida-kun hat zweimal angerufen!, fluchte er gedanklich und befand sich von einer Sekunde zur nächsten im Sprint, lief in die Richtung der Innenstadt. Dabei hasste er körperliche Anstrengung! Aber er hatte Kunikida ja selbst gesagt, dass er ihn am Museum of Arts abholen sollte und er durfte unter keinen Umständen zulassen, dass Kunikida aus Sorge eine große Rettungsaktion startete. Bei diesem Gedanken zog sich sein Magen zusammen. Er wollte ihnen nicht noch mehr zur Last fallen. All diese schrecklichen Ängste und diese Träume, die ihn plagten, zermürbten seinen Verstand, doch er durfte nicht zulassen, dass sein Unterbewusstsein sein Handeln diktierte. Er musste weiter funktionieren. Dazai betrat den nächstbesten Bekleidungsladen, kleidete sich dort neu ein. Eine schicke himmelblaue Weste, mit versilberten Knöpfen, die im Licht seicht schimmerten, einen silbernen Krawattenschal aus feinster Seide, ein weißes Hemd mit leichtem Stehkragen und eine graue Hose, die einerseits lässig, aber andererseits elegant wirkte. Dazu ein schwarzer Mantel mit zweiknöpfiger Reihe und einem weißen Einstecktuch. Er betrachtete sich zufrieden im Spiegel. Modisch, klassisch, aber in gewisser Weise auch extravagant. Die Lackschuhe, die er zu seinem Outfit aussuchte, waren nach vorne leicht gespitzt. Ob Kunikida-kun etwas sagen wird? Vielleicht verliebt er sich in mich~, sagte er sich selbst vor seinem Spiegel und versuchte sich in seine selbstbewusste, gewohnte Rolle zurückzufinden, stets mit einem heiteren Lächeln bewaffnet und einer frechen Bemerkung auf der Zunge. Immer provokant, humorvoll und ein wenig sarkastisch. Schnellen Schrittes trat er aus dem Geschäft und verstaute seine alten Klamotten in einem Schließfach am Bahnhof und bestieg den nächsten Zug in Richtung des Museums, wo er von Kunikida abgeholt werden wollte. Ein missmutiges Gefühl überkam ihm. Skeptisch sah er sich um. Wurde er verfolgt? Mehrmals ließ er seinen Blick hin und herschweifen, um sicher zu gehen, dass kein Feind in der Nähe war, doch er konnte dieses eigenartige Gefühl nicht abschütteln. Plötzlich waren ihm alle Personen verdächtig. Dann warf er einen Blick auf sein Smartphone. Eine Textnachricht. Nicht von Kunikida. Nicht von Atsushi. Keiner seiner Kollegen aus der Detektei hatte ihm geschrieben – Mori. Er atmete tief ein und schluckte, warf einen Blick auf die Nachricht. Hey, mein süßer Dazai-kun~ ♥ Dazai verdrehte sich direkt der Magen. Mori hatte immer diese ekelhaft überschwängliche Art, von der er sich sicher war, dass er sie nur spielte, um ihn zu manipulieren. Dabei hätte ihm schon längst auffallen müssen, dass Dazai sich von seinem Süßholzgeraspel nicht um den Finger wickeln ließ. Angewidert las er die nächsten Zeilen. Ich habe leider schlechte Nachrichten. Der Informant, den du getötet hast, gehört zu einer kleinen Bande, die sich in meine Geschäfte einmischt. Sie nennen sich Henkō[12] und sind bereits mehrmals auffällig geworden. Du hast den Spion zwar ausgeschaltet, aber du sagtest, dass sein Kollege entwischen konnte. Sei vorsichtig da draußen. Sie wissen, wie du aussiehst und es könnte sein, dass sie dich aufsuchen werden. Komm doch zum Abendessen vorbei, dann klären wir alles weitere~ Knurrend schaltete Dazai sein Smartphone aus. Na toll, das kann ich ja mal überhaupt nicht gebrauchen! Sie nennen sich also Henkō – die Veränderung und legen sich mit der Port Mafia an. Entweder sind sie bescheuert oder haben ein Ass im Ärmel. Verdammter Mori-san! Dabei habe ich ihm gesagt, dass ich ihm Informationen beschaffe, nicht, dass ich für ihn kämpfe. Ich will mit dem ganzen Scheiß nichts zu tun haben... vor allem darf ich die anderen da nicht mit reinziehen, überlegte er und warf einen Blick aus der S-Bahn. Bei der nächsten Haltestelle stieg er aus und machte sich auf den Weg zum Museum, wo er weiterhin das Gefühl beobachtet zu werden, nicht abschütteln konnte und beinahe paranoid seinen Blick durch die Menge schweifen ließ. ——————————— „Arg, dieser verdammte Dazai!“, keifte Kunikida so laut, dass das gesamte Büro zu beben schien. Nichts als Ärger mit ihm! Immer musste man sich Sorgen machen. Konnte dieser Kerl nicht einmal, so wie jeder andere normale Mensch, zur Arbeit erscheinen? Pünktlich? Mehrmals hatte er seine Nummer gewählt und darauf gewartet, dass dieser endlich abhob, doch der Brünette ignorierte ihn. Grummelnd schlug Kunikida auf die Tischplatte und ließ dann den Kopf hängen. „Du weißt doch, wie er ist“, versuchte Atsushi ihn zu beruhigen, doch Kunikidas Zorn flammte nur erneut auf. „Das ist ja das Problem! Was ist, wenn er sich wieder in den Kanal geworfen hat?!“ „Hat er nicht“, meinte Ranpo nur nebenbei und biss von einem Schokoriegel ab. Er saß an seinem Schreibtisch, hatte die Beine übereinander geschlagen und die Füße auf der Tischplatte abgelegt, während auf dem Tisch sein Laptop heiß lief und in seinem Schoß ein Manga lag, in dem er gelangweilt blätterte. Kunikida verstummte und erhob sich von seinem Platz, blieb direkt vor Ranpo stehen. Mit den dreckigen Schuhen auf dem Tisch. Was für schreckliche Manieren! Aber er wagte nicht, etwas zu sagen, um Ranpo nicht zu verärgern. „Er befindet sich am Friedhof, ist dort schon eine ganze Weile und bewegt sich nicht vom Fleck“, erklärte er und zeigte lässig auf den Laptop. Kunikida lief um den Tisch herum und warf einen Blick auf den Bildschirm, wo eine Karte der Umgebung angezeigt wurde und ein roter Punkt blinkte. „Du hast sein GPS-Signal geortet“, murmelte Kunikida und zog überrascht die Augenbrauen hoch. „Dazai ist ein anstrengender Typ. Ständig nimmt er die Wanzen ab, setzt sie irgendwelchen Hunden oder Ratten auf und führt mich in die Irre, aber die neue Wanze in seinem Smartphone hat er noch nicht gefunden“, grinste Ranpo und lachte böse. „Wann...?“, fragte der Blonde, völlig überrumpelt. „An dem Tag, als Dazai ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Du warst so nett und hast sein Smartphone mitgebracht und ich war so frei, eine kleine Wanze in der Größe eines Nadelohrs in die Elektronik einzuspeisen“, erklärte er, immer noch mit einem breiten Grinsen im Gesicht. „Warum befindet er sich auf dem Friedhof?“ „Meine Fähigkeiten als Ermittler sind geradezu überirdisch, aber das gehört zu den wenigen Rätseln, die ich noch nicht entschlüsseln konnte“, grummelte Ranpo und klappte nun den Manga zu, legte diesen auf dem Tisch und nahm die Beine vom Tisch. „Oder anders gesagt... Dazai würde nicht wollen, dass ich ihm nach spioniere. Ein bisschen Respekt vor seiner Privatsphäre habe ich noch“, sagte er schulterzuckend. „Du hast eine Wanze in sein Smartphone eingebaut...“, kam es von Atsushi, der ihn entgeistert ansah. „Nur weil ich weiß, wo er ist, weiß ich nicht, was er gerade macht oder mit wem er sich trifft. Du tust ja so, als wäre ich irgendein kranker Stalker, der seinem Ex hinterherläuft!“ Kunikida schob sich die Brille hoch und seufzte. Traf sich Dazai mit jemanden? Mit einem Informanten? Oder war er allein an diesem Ort? War er in Gefahr und brauchte Unterstützung? Zu viele Fragen, auf die er keine Antwort finden konnte und die die Sorge nur noch größer werden ließ. Warum konnte Dazai nicht einfach mal sagen, was er vorhatte und was gerade in seinem Kopf herumgeisterte? Kunikidas Augenbraue zuckte. Den Gedanken musste er sofort verdrängen. Zu wissen, was in Dazais Kopf vor sich ging, wäre, als würde man eine Bombe zünden und sich selbst zerstören. Dennoch... warum schaffe ich es einfach nicht, Dazai zu einem ehrlichen und hart arbeitenden Mitglied zu machen? Ich werde heute Abend ein ernstes Wörtchen mit ihm reden müssen. Aber was mache ich, wenn er wieder abblockt? ——————————— Mit mulmigen Gefühl in der Magengegend fuhr Kunikida mit seinem Auto in Richtung des Museums. Er hatte noch 20 Minuten Zeit und somit hatte er idealerweise noch genügend Zeit, sich einen Parkplatz zu suchen, seine Krawatte zu richten und dann Dazai abzuholen. Hoffentlich war sich dieser Träumer im Klaren, dass im Shikitei Anzugpflicht herrschte und man mit legeren Klamotten nicht einmal in die Nähe des Eingangs kam. So ein extravagantes Restaurant war überhaupt nicht Dazais Art. Oder doch? Er wusste einfach viel zu wenig über Dazai. Er hatte nie den Eindruck gemacht, irgendetwas überhaupt gerne zu essen. Krabbenfleisch in der Dose und Fertiggerichte – er war davon ausgegangen, dass er einfach gerne ungesundes Zeug in sich hineinstopfte, wo er ja auch nicht gerade einen gesunden Lebensstil verfolgte. Sofern man seine suizidalen Neigungen überhaupt als Stil bezeichnen konnte. Reflexartig schob er sich die Brille hoch und warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Zu einer Verabredung war es stets ideal in einem Zeitrahmen von 15 Sekunden vor dem eigentlichen Termin zu erscheinen. Zufrieden stellte er fest, dass er noch drei Minuten hatte. Er sah sich um, betrachtete die Menschen, die aus dem Museum strömten, welches nun seine Pforten schließen würde. Er stand dort vor dem Eingang und wartete ungeduldig. Als Dazai auch nach zehn Minuten nicht aufkreuzte, sah er sich um und erkundete die Umgebung. Ob Dazai überhaupt erscheinen würde? Vielleicht verarschte er ihn nur wieder, beobachtete ihn aus der Ferne und lachte sich nun zufrieden ins Fäustchen, weil er Kunikida mal wieder aus der Reserve locken konnte. Bei dem Gedanken atmete er scharf Luft ein. Wäre ja nichts neues! Auf dem großen Platz vor dem Museum blieben einige Menschengruppen stehen und sprachen laut in verschiedenen Sprachen. Touristen, überlegte er und sah sich weiter suchend um. Plötzlich spürte er eine Präsenz, die näher kam und sich von hinten anschlich, auf Gewohnheit packte er die Hände, die sich von hinten um ihn legen wollten und warf den unbekannten Angreifer voller Wucht von sich weg. „AUUUU!!!!“, schrie die Person lauthals und wandte sich vor Schmerzen auf dem Boden. Sämtliche Blicke der Touristen lagen nun auf Kunikida. „Dazai?!“, entwich es dem Blonden erschrocken. „Kunikida-kun ist sooo gemein! Immer schlägst du mich!“, jammerte Dazai und zupfte auf seiner Brusttasche das weiße Einstecktuch und tat so, als würde er sich Tränen fortwischen. Dann ließ er seinen Kopf nach hinten fallen und wimmerte in extra lauter Stimme. „Zu Hilfe! Zu Hi–“, rief er, doch Kunikida hielt seinen Mund zu, um ihn daran zu hindern, weiterhin eine Szene zu machen. Als die Menschenmenge wieder von ihnen abließ und sich ihren Gesprächen widmete, atmete Kunikida erleichtert aus. Nicht nur, dass dieser Taugenichts immer zu spät kam – obgleich er selbst die Uhrzeit und den Ort vorgeschlagen hatte – musste er selbstverständlich direkt die gesamte Aufmerksamkeit auf sich ziehen, nur um ihn zu blamieren und seinen guten Ruf durch den Dreck zu ziehen. Was würden diese Touristen nun denken? Dass er ein gewalttätiger Schläger war? Das würde ein schlechtes Licht auf ihre Agentur werfen! „Du bist aber früh dran~“, kicherte Dazai und lief beinahe tänzelnd neben Kunikida her, als sie gemeinsam zur Hotelanlage liefen, die einige Wohnblöcke entfernt war. „Mitnichten. Du warst zu spät“, grummelte Kunikida monoton. „Ja, aber wenigstens verprügle ich mein Date nicht beim ersten Rendezvous“, stichelte Dazai zurück und verzog das Gesicht. „Du hättest dich nicht von hinten anschleichen sollen. Das war deine eigene Schuld“, rechtfertigte sich Kunikida und räusperte sich. „Trotzdem wollte ich dir nicht wehtun. Tut mir leid, dass ich dich geworfen habe“, fügte er seufzend hinzu und schloss kurz die Augen. Dazai machte einen gigantischen Ausfallschritt, vergrößerte den Abstand zwischen sich und seinem Kollegen und sah ihn als, als wäre er aus allen Wolken gefallen. „Wer bist du?! Kunikida-kun würde sich nieeemals bei mir entschuldigen!“ „Hör auf so zu tun, als wäre ich der schlimmste Unmensch auf der Welt!“, keifte Kunikida und verpasste dem Brünetten eine Kopfnuss. Erneut jammerte Dazai. Daraufhin kicherte er amüsiert und lief summend neben dem Blonden her. Kunikida warf einen flüchtigen Blick auf Dazais Kleidung. Zumindest hatte er sich etwas herausgeputzt, obgleich Kunikida ja fand, dass Hellblau und Silber nicht unbedingt Dazais Farbe war. „Warum eigentlich das Museum? Wir hätten uns doch direkt vor dem Eingang treffen können“, fragte Kunikida und zog eine Augenbraue in die Höhe, warf einen musternden Blick zu Dazai, der einfach nur vor sich hin lächelte und dann eine Eintrittskarte aus seiner Hosentasche zog, mit welcher er hin und her wedelte. „Die Ausstellung war sehr interessant“, sagte er und grinste breit. „Ich hätte dich jetzt nicht unbedingt für einen Kunstfan gehalten“, hauchte Kunikida erschrocken. „Och! Kunikida-kun verletzt meine Gefühle!“ So etwas hast du doch gar nicht!, wollte er antworten, verkniff sich seinen Kommentar jedoch. „Du erzählst nie etwas von dir. Woher soll ich wissen, dass du dich für Kunst interessierst?“ „Aber Kunikida-kun!“, meinte Dazai und seine Augen strahlten. „Ein Selbstmord ist auch in gewisser Weise Kunst! Ich dachte, dass ich dort vielleicht eine neue Eingebung finde, eine Inspiration, weißt du?!“ „DAZAIII!!“, brüllte Kunikida und wollte seinen Kollegen packen, welcher nur kreischend davon lief, sodass sie die restlichen Meter bis zum Hotel rannten. Dazai warf sich atemlos auf den Boden und wimmerte. Wie konnte jemand, der so wenig Ausdauer hatte, so lange in dieser Welt überleben? Dazai ächzte und klagte lauthals darüber, wie grausam die Welt war. Kunikida indes grummelte auch. Immer benahm sich Dazai wie ein Kind. Dabei war er doch schon 22! „Würdest du nicht immer so einen Unsinn von dir geben, müsste ich dich auch nicht erziehen! Anders lernst du ja nicht!“ Dazai wurde still und sah Kunikida emotionslos an. Seine Augen sahen durch ihn hindurch. Was war es, was Dazai sah, das seinem Blick verborgen blieb? Dazai nickte einfach nur und begab sich zum Rezeptionist an der Theke, wo er sich und Kunikida anmeldete, ehe er wortlos in den Aufzug stieg. Während der ganzen Fahrt nach oben sagte Dazai kein Wort. Habe ich irgendetwas gesagt, das ihn verletzt hat? Verdammt... das fängt überhaupt nicht gut an. Dazai war schon oft schlecht gelaunt, aber er wirkt richtig verletzt. Was habe ich gesagt, das ihn dermaßen aus der Fassung gebracht hat?!, überlegte Kunikida und schluckte hart, warf immer wieder prüfende Blicke zum Brünetten, der gedankenverloren auf den Boden starrte und keinerlei Anstalten machte, irgendetwas zu sagen, um die angespannte Atmosphäre wieder zu lockern. Also war es an Kunikida, die Situation zu retten. „Zu deiner Information... ich habe einen Fensterplatz ergattern können“, erklärte er zögerlich, warf erneut einen prüfenden Blick zu Dazai, welcher nun endlich aufsah und ein Lächeln auf den Lippen trug. Ein falsches Lächeln. So falsch, dass Kunikida schlecht wurde. Sein Magen drehte sich um. Dazai zeigte es nicht nach außen, aber irgendetwas bedrückte ihn und sämtliche Zahnräder in Kunikidas Kopf drehten und ratterten unaufhörlich, um dieses Rätsel zu lösen. „Ahh~, wie schön! Da freue ich mich aber!“, erklärte Dazai und grinste breit. Kunikida fühlte sich schuldig. Die Schuld, die auf seinen Schultern lastete, schien ihn herabzuziehen und er versank im Elend. Trotzdem erwiderte er dieses gespielte Lächeln und ließ sich auf dieses Schauspiel ein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)