Things That Should Not Be von Yuugii (Kunikida/Dazai) ================================================================================ Kapitel 6: Kapitel 6 -------------------- Zufrieden grinsend verließ Ranpo Koganecho, während Kunikida hinterherschlurfte und sich über seine verdreckte Kleidung ärgerte. Durch die Schlägerei war sein Gesicht in Mitleidenschaft gezogen worden und seine Klamotten, die er nur zur Arbeit trug, waren verschmutzt und teilweise eingerissen. Trotzdem war Ranpo guter Laune. Kaum verwunderlich. Immerhin hatte er sich aus der Schlägerei rausgehalten und sich in der Menge untergemischt. Dann drehte sich Ranpo plötzlich um und starrte Kunikida hilflos an. Er musterte ihn mehrmals, umkreiste ihn dann wie eine hungrige Hyäne. Macht er sich Sorgen um mich? „Schon gut, Ranpo, es sieht schlimmer aus als es ist“, meinte er und drückte seine Brille sein Nasenbein hinauf. Ein sanftes Lächeln auf seinen Lippen, von dem er hoffte, dass es den Schwarzhaarigen beruhigen würde. „Nein, es ist viel schlimmer als angenommen“, murmelte Ranpo und umkreiste ihn erneut. Kunikida öffnete seine Lippen einen Spalt breit und wollte etwas sagen, doch urplötzlich befand sich Ranpo vor ihm, umfasste seine Oberarme und sah ihn flehend an. „Wo sind meine Süßigkeiten?!“, fragte er verzweifelt. Kunikida fühlte sich erschlagen. Sämtliches Anzeichen von Leben wich aus seinem Körper. Dann räusperte er sich und zwang sich dazu, seine Fassung zurück zu erlangen. „Verdammt... die habe ich während der Schlägerei verloren“, versuchte er sich zu erklären. „Dann müssen wir zurück und sie holen!“ „Garantiert nicht! Hast du etwa schon vergessen, was da gerade passiert ist? Ein zweites Mal lassen die uns nicht einfach so gehen!“ „Aber meine Süßigkeiten!!“, brüllte Ranpo und warf sich auf den Boden, jammerte wie ein kleines Kind, um das eiskalte Herz seines Kollegen zu erweichen. Doch Kunikida blieb standhaft. „Ich kaufe dir neuen Süßkram! Also steh jetzt auf!“ Ranpo wollte etwas erwidern, doch der Klingelton von Kunikidas Smartphone stellte ihn ruhig. Kunikida ergriff sein Smartphone und hob ab. Er lauschte seinem Gegenüber und riss urplötzlich die Augen auf. Ranpo war indes aufgestanden und versuchte die Konversation am Telefon auszumachen, drückte sich näher an den Blonden. Kunikida legte auf und atmete tief ein. „Dazai ist verschwunden“, hauchte er nur. „Der ist schlimmer als jedes Kleinkind“, erwiderte Ranpo und verschränkte die Arme, erntete für diesen Kommentar einen mörderischen Blick seines Kollegen. „Das sagt der Richtige“, flüsterte Kunikida und lief gedankenlos drauf los, hörte noch, dass Ranpo ihn aufforderte, ihm zu sagen, was er da gerade gesagt hatte. Sie liefen zurück in Richtung der Innenstadt von Yokohama. Die Müdigkeit ergriff Kunikida langsam und seine Beine zitterten. Kam diese plötzliche Müdigkeit von dem Herumlaufen oder von der Schlägerei? Er zog ein Taschentuch hervor und wischte sich das Blut von seiner geplatzten Lippe weg. Wie ein feiner Gentleman sah er gerade bestimmt nicht aus. Dennoch fand er keine Ruhe. Dass Dazai allein unterwegs war, machte ihn nervös. Dazais Aktionen und Gedanken waren einfach unverständlich und so extrem gegensätzlich von dem, was er sagte, dass es absolut unmöglich war, genau vorherzusagen, was er als nächstes tun würde. Ob Dazai gerade dabei war, sich von einer Brücke zu stürzen? Sprang er vor einen Zug? Nein. Er wollte einen fröhlichen Suizid, bei dem niemand reingezogen wurde. Allein bei diesem Gedanken kam Kunikida die Galle hoch. Fröhlicher Suizid – so etwas Bescheuertes konnte auch nur aus Dazais Mund kommen. Ranpo hechelte ihm hinterher. Plötzlich wurde er an seinem Pferdeschwanz gezogen. Der Schwarzhaarige hielt ihn davon ab, noch weiter sinnlos durch die Gegend zu laufen. „Wir wissen gar nicht, wo er ist“, sagte er und ächzte, stöhnte, musste erst wieder zu Atem kommen. „Wir verschwenden unsere Zeit, wenn wir hier planlos durch die Gegend laufen“, fügte er noch hinzu. „Und was soll ich jetzt tun? Nachhause gehen und Tee trinken? Eine Nacht drüber schlafen? Und was dann? Darauf warten, dass sich jemand bei der Detektei beschwert, weil sie einen Körper in ihrem Fischernetz gefunden haben? Ich kann jetzt nicht ruhig bleiben!“ „Kunikida Doppo!“, schrie ihm Ranpo entgegen. Seine ganze Aura hatte sich verändert und sein sonst so lässiger Gesichtsausdruck war todernst. Seine grünen Augen blitzten ihn gefährlich an. Es kam äußerst selten vor, dass Ranpo jemanden direkt in die Augen sah und wenn dies geschah, war dies meist kein gutes Zeichen. Trotzdem konnte er nicht anders. Ranpo hatte es nicht gesehen. Er war nicht dort gewesen, als er Dazais halbtoten Körper aus dem Wasser gezogen hatte. All das Blut. Diese tiefe Wunde auf Dazais viel zu dünnem Arm. Die tiefblauen Lippen und seine schneeweiße Haut. Hatte es nicht gefühlt. Diese Eiseskälte, die von Dazais Körper ausging. Er kämpfte mit der Erinnerung, mit diesen Gefühlen, die aufkamen, wenn erneut dieses Bild vor seinem geistigen Auge auftauchte. „Schreib ihm eine Nachricht. Oder ruf ihn an. Wenn er rangeht, kannst du ihn fragen, wo er ist und wenn nicht, versuchen wir ihn mit dem GPS-System in der Detektei zu orten“, erklärte er ruhig. „Stimmt“, murmelte Kunikida und wählte Dazais Nummer. Die Sekunden vergingen und der Piepton war quälend lang, doch dann nahm jemand tatsächlich ab. Aufgebracht rief er Dazais Namen und fragte sofort, wo er war, erhielt aber keine direkte Antwort. „Kunikida-kun?“, fragte Dazai dann überrascht. „Wo bist du gerade?!“, brüllte Kunikida und konnte nicht sagen, ob er in Rage oder in Sorge war. Eine Mischung aus beidem vermutlich. „Ah~“, meinte Dazai mit seiner üblich süßlichen verstellten Stimme und lächelte wie so oft. Kunikida konnte sein Gesicht nicht sehen, war sich aber sicher, dass er dieses ekelhaft falsche Lächeln auf seinen Lippen trug und ihm sagen würde, dass alles in Ordnung wäre, obgleich sie beide wussten, dass jedes Wort aus seinem Mund nichts weiter als eine Lüge war. „Ich dachte, unser Date wäre erst morgen? Hast du es echt so eilig mich wieder zu sehen? Da werde ich ja ganz rot~“, kicherte Dazai ins Telefon. „Ich will wissen, wo du bist, verdammt!“ „An einem ganz grausigen Ort, du solltest wirklich nicht kommen. Wir sehen uns Morgen~“, säuselte Dazai amüsiert. „Wo bist du?!“, keifte Kunikida nur noch lauter. „Ah! Da fällt mir ein! Um wie viel Uhr treffen wir uns? Hol mich morgen um 18 Uhr am Yokohama Museum of Art ab, ja? Ich freue mich schon auf dich~ ♥“, zwitscherte Dazai und legte einfach auf. Kunikida platzte vor Wut der Kragen und ein Vulkan brach aus, heißer Dampf stieg aus seinen Ohren, während Ranpo ihn belustigt beobachtete und breit grinste. „Ihm geht es gut, also müssen wir uns keine Sorgen machen. Ausschimpfen und ihm eine verpassen kannst du dann ja morgen“, meinte Ranpo und wandte sich zum Gehen. ——————————— Seine Schritte hallten im Flur wider, dann blieb er vor einer großen Tür stehen und klopfte zaghaft gegen diese. Man bat ihn herein. Ein letzter, tiefer Atemzug, um seine Nerven zu sammeln, dann drückte er die Türklinke nach oben und trat in das geräumige Büro ein. Die Lichter waren gelöscht und die riesigen verglasten Wände gaben ihm die Möglichkeit, die Skyline Yokohamas zu betrachten. Ein nostalgisches Gefühl machte sich in ihm breit, als er dem Schreibtisch näher kam. Wie damals. Aber irgendwie anders. Sein Magen verkrampfte sich und sein ganzer Körper schien unter Strom zu stehen. Direkt vor dem edlen Mahagoni Schreibtisch blieb er stehen. Er wartete darauf, dass sein Gegenüber sich umdrehte. Quietschend drehte er sich mit dem Lederbürostuhl zu ihm. Dieses süffisante Grinsen. Dieser stechende, alles durchdringende Blick. Dazai glaubte, in einen Spiegel zu sehen. „Da bist du ja, Dazai-kun“, meinte der Mann. Als er seinen Kopf schief legte, fielen ihm einige seiner schwarzen Haarsträhnen ins Gesicht, was ihn auf merkwürdige Art und Weise jünger aussehen ließ, als er war. Dazai sagte nichts, sog scharf Luft ein und suchte nach den richtigen Worten. Er war diesen Weg so oft gegangen. Jeder Schritt fühlte sich vertraut an. Selbst die Luft in diesem Raum hatte etwas eigenartig Geborgenes an sich. Mori stützte seine Ellbogen auf dem Schreibtisch ab, verschränkte seine Hände und ließ sein Kinn auf seinen Handflächen ruhen, während er ihn musterte. Seine Augen funkelten wie die einer Bestie. Ein Blick, dem er sich nicht entziehen konnte. „Du bist verletzt, Dazai-kun“, sagte er nach einer schieren Ewigkeit. „Du sagst das so, als wäre das etwas Neues.“ „Hm~ soll ich einen Blick auf die Wunde werfen?“ „Ich bin bereits gut versorgt, trotzdem danke fürs Angebot, Mori-san.“ Mori kicherte amüsiert und warf einen Blick aus dem Fenster. Die bunten Lichter der Stadt erfüllten sein Büro. Yokohama war eine prachtvolle und lebendige Stadt und in der Nacht zeigte sie ihr wahres Gesicht, ihre absolute Schönheit. Wie wundervoll das mit Neonlichtern bekleidete Riesenrad am Hafen in der Nähe des Royal Park Hotels leuchtete. Diese Lichter waren verzückend. Auch Dazai warf einen Blick über diese Stadt. Er sah die Lichter. Doch er fühlte nichts bei diesem Anblick. Es war ihm absolut gleichgültig. Innerlich fragte er sich, ob er sich anders fühlen würde, wenn dieses Licht der Stadt durch lodernde Flammen ersetzt wurde, schüttelte diesen makabren Gedanken sofort ab. „Hast du die Informationen?“, fragte Mori und unterbrach die Stille. „Denk an unsere Abmachung“, murrte Dazai und sah ihn direkt an. Moris Blick war immer noch auf die Stadt gerichtet. In den Augen des Mannes, den er so sehr hasste, wie auch vergötterte, spiegelten sich die bunten Lichter der Stadt wieder, wodurch seine Augen an ein Gemälde erinnerten. Dazai verlor sich in diesen Augen. Er hasste sich selbst dafür. Warum nur konnte er seinen Blick nicht einfach abwenden? Warum nur hatte er diesen Deal überhaupt zugelassen? Obgleich er sich selbst sagte, dass er hier nicht sein wollte, so fühlte er diese Verbundenheit zwischen ihnen und ein Gefühl der Zugehörigkeit. Es machte ihn krank. Dass Mori diese Gefühle in ihm auslöste, verwirrte ihn. Plötzlich wandte Mori seinen Blick von der Stadt ab, lächelte gequält und sah seinen Gegenüber beinahe mitleidig an. „Schon klar, ich lasse deine kleinen Freunde und den Tigerjungen in Ruhe, solange du mir Informationen zur Konkurrenz beschaffst. Hach, aber dass du dabei so herzlos sein musst! Das schmerzt mich sehr~“ „Ich bin nur hier, um dir das hier zu geben...“ Dazai zog einen kleinen USB-Stick aus seiner Jackentasche und legte ihn auf dem Schreibtisch ab. „Oh? Ist das so?“, schnurrte Mori und erhob sich von seinem Platz, ergriff den kleinen USB-Stick und schloss ihn in seinem Schreibtisch ein, dann umwanderte er seinen Schreibtisch und blieb direkt hinter Dazai stehen, schlang seine Arme um den schmächtigen Körper und drückte sein Gesicht in dessen Halsbeuge. „Du riechst nach Desinfektionsmittel und sterilen Verbänden“, flüsterte Mori und knabberte verführerisch an Dazais Ohrläppchen. Der Jüngere versteifte sich zwar, machte aber keine Anstalten, seinen ehemaligen Boss abzuschütteln, sondern wartete einfach nur. Mori schmiegte sich an ihn. „Du hast stark nachgelassen, Mori-san“, grummelte Dazai leise, während Mori seine Seiten streichelte. „Wie meinst du das?“, kam es verwundert vom Älteren, der ihm einen Kuss auf die Wange drückte. „Als ich noch für dich gearbeitet habe, wäre so etwas nie passiert“, entgegnete Dazai kühl und schnalzte verächtlich mit der Zunge. „Der Informant, den du geschickt hast“, begann er und machte eine kurze Pause, um Mori auf die Folter zu spannen. „Was ist mit ihm?“, hauchte ihm Mori ins Ohr und sog den Duft seines Haars ein, drehte Dazai nun ruckartig zu ihm um, sodass er ihm direkt in die Augen sehen konnte, schob ihn direkt vor den Schreibtisch, sodass dieser gegen die Tischplatte stieß und sich widerwillig absetzte. „Er war ein Spion. Als ich ihm den USB-Stick geben wollte, hat er Verstärkung gerufen“, grummelte Dazai und verschränkte die Arme. „Aber ich nehme an, dass du sie besiegt hast~“, schnurrte Mori und küsste Dazai flüchtig auf die Lippen, legte seine Hände auf seine Wangen ab und zwang ihn dazu, ihm direkt in die Augen zu sehen. „Ich habe deinen Informanten erledigt, aber der andere konnte fliehen. Aber er hat keine Informationen ergattern können, falls du dir deswegen Sorgen machst.“ „Ah, ich mache mir viel mehr Sorgen, dass du verletzt worden bist!“ Dazai senkte den Blick. „Du wusstest es...“, flüsterte er und vermied es den Schwarzhaarigen anzusehen, „oder?“ „Ich war mir nicht sicher. Aber ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann~ ♥“ „Ich hasse dich... ich wollte niemanden unnötig töten und jetzt klebt wieder Blut an meinen Händen“, brachte Dazai heiser hervor. „Hast du dich deshalb selbst verletzt? Weil du nicht ertragen kannst, was du wirklich bist?“ „Was bin ich? Sag mir, was bin ich, deiner Meinung nach?“ „Kein Mensch. Eine Waffe. Nur in den richtigen Händen kannst du dein Potential entfalten und das wirst du auch irgendwann selbst erkennen“, summte er und hinderte Dazai daran, ihm zu antworten, in dem er ihn in einen tiefen und leidenschaftlichen Kuss zog. Dann drückte er ihn grob auf die Tischplatte. Dazai schlang seine Beine um seine Hüften und wimmerte leise. „No Longer Human“, spottete Mori und grinste, küsste seinen ehemaligen Executive erneut. Dazai konnte nicht mehr zurück. Er verlangte danach. Dem Schmerz. Die Lust. Alles war für ihn gleich, doch die Berührungen dieses Mannes gaben ihm das Gefühl, lebendig zu sein und entfachte ein Feuer in ihm, von dem er glaubte, es vor langer Zeit verloren zu haben. Er war süchtig danach. Diesem Gefühl, gebraucht zu werden. Nein. Überhaupt etwas zu fühlen. Ganz egal, wie oft er Mori berührte, das Licht dieses Mannes erlosch einfach nicht. Vielleicht weil sie sich so ähnlich waren. „Bleib über Nacht, Dazai-kun“, stöhnte Mori und öffnete Dazais Hemd. Dazai nickte und griff gierig nach der Krawatte seines Gegenübers, zog ihn in einen leidenschaftlichen Kuss, biss in seine Unterlippe und drückte seine Hüften gegen die harte Beule des Mannes, den er so sehr hasste. „Ich hasse dich“, flüsterte Dazai, doch Mori konnte nichts anderes als Liebe in seinen Worten heraushören. ——————————— Als er am nächsten Morgen erwachte, warf er einen prüfenden Blick hin und her. Mori hatte sich an ihn gekuschelt und hielt ihn in seinen Armen. Dazai schluckte hart. Regungslos blieb er liegen und starrte Mori an. Wenn er schlief, sah er so friedlich aus. Beinahe liebenswert. Seine Gesichtszüge waren entspannt, nichts mehr zu erkennen, von dem eiskalten Geschäftsmann, der über Leichen ging. Im Schlaf hielt er den Brünetten fest an sich. Dazai drückte sein Gesicht gegen Moris Brust, folgte mit dem Zeigefinger der Tätowierung auf Moris Brust. Das traditionelle Irezumi[10] auf Moris Brust strahlte bunt und sah genauso makellos und anziehend aus, wie am ersten Tag. Die Schlange Hebi schlängelte sich auf seiner Brust entlang. Hebi war der Schützer von Macht und Reichtum und ein loyaler Diener, ein Sklave dieser. Dazai konnte nicht anders, als zu glauben, dass Mori das menschliche Abbild der heiligen Schlange war. Seit jeher glaubten die Menschen daran, dass die Schlange den Menschen vor den Folgen ihrer fatalen Entscheidungen bewahrte. Die Schlange war an der Spitze und beschützte die Menschen, opferte sich selbst für sie auf und trug die schwere Bürde ganz allein. Sie war die Weisheit in Person und ihre Entscheidungen waren das beste für die Allgemeinheit. Ich weiß, dass du ihn geopfert hast, um die Organisation zu schützen. Ich weiß, dass es rational betrachtet, die beste Entscheidung war. Trotzdem... ich kann dir nicht verzeihen, überlegte Dazai weiter, während sein Blick distanziert war und er sich an diesen einen Abend erinnerte, wo sein lieber Freund Odasaku seinen letzten Atemzug in seinen Armen aushauchte. Mori hatte Odasaku geopfert, weil es das beste für die Port Mafia war. Nur durch dieses Opfer hatten sie den Vertrag mit der Regierung bekommen. Doch die Leere, die sich in seiner Brust von Tag zu Tag ausbreitete, hinderte ihn daran, das Gute in dieser Tat zu sehen. Wäre es jemand anderes gewesen, jemand, mit dem er nie zuvor zu tun gehabt hätte, dann hätte er nicht so empfunden. Wäre es irgendein Mitglied gewesen, das er nicht kannte, wäre ihm dieses Opfer schlichtweg egal gewesen. Niemals hätte er in Betracht gezogen, die Mafia zu verlassen und Mori zu hintergehen. Doch das Opfer, das erbracht wurde, war nun mal jemand, den er schätzte und den er auf keinen Fall verlieren wollte. Ich bin ein scheinheiliger Mistkerl, kam es ihm in den Sinn und er spürte, wie sein Herz plötzlich schneller schlug, wie sehr ihn diese Erinnerung quälte. Wäre nicht Odasaku gestorben, sondern irgendjemand, hätte es ihn nicht interessiert. Er war ein dreckiger Heuchler. Er sagte, dass er Mori hasste und ihn für diese Tat verabscheute und doch waren sie in Wort und Tat gleich. Es widerte ihn selbst an, wie ähnlich er Mori war. Jedes Mal, wenn er Mori seine Taten vorwarf und beteuerte, ihn zu hassen, wusste er genau, dass er diese Worte nicht an den Schwarzhaarigen richtete, sondern an sich selbst, dennoch hielt er an diesem Glauben fest. Solange er Mori die Schuld für diesen Verlust geben konnte, konnte er wieder aufstehen. Aber in Wirklichkeit verstand er, dass von Moris Sicht aus, dieses Opfer sinnvoll gewesen war und er hasste sich selbst umso mehr dafür, weil er es nachvollziehen konnte. Wie viele Menschen hatte er selbst geopfert? Sogar getötet? Nie hatte er über die Konsequenzen nachgedacht. Es war für das Wohl der Port Mafia gewesen und er hatte nie bereut, sich für seinen Boss die Hände schmutzig gemacht zu haben. Nie hatte er innegehalten und darüber nachgedacht, wie es für andere sein musste, geliebte Menschen zu verlieren. Doch nun lag er hier, in Moris Armen und trauerte über seinen Verlust, wollte sogar bemitleidet werden, obgleich er selbst nie so etwas wie Mitgefühl für andere empfunden hatte. Er verabscheute sich selbst. Wie viel Leid er verbreitet hatte. Am schlimmsten war jedoch, dass er nicht einmal Reue empfand. Es war ihm einfach gleichgültig. Komplett egal. Und dennoch nahm er sich das Recht heraus, um Odasaku zu trauern. Mori hatte recht. Er war kein Mensch. Ein Monster. Nur ein Monster konnte so denken. Vielleicht war das der Grund, warum er sich von Mori verstanden fühlte und sich zu ihm hingezogen fühlte. Mori und er waren sich ähnlich. Sie mussten nicht einmal Worte wechseln, um zu wissen, was in dem anderen vor sich ging. Vielleicht war das auch ein Grund, warum er Mori hasste. Mori verstand ihn besser als jeder andere. Mori verstand ihn, während er selbst damit kämpfte, seine Gedanken zu sortieren. Du bist weise und genauso abartig wie ich. Dazai streichelte behutsam über das Irezumi, folgte den perfekt gesetzten Strichen und verlor sich in seinen Gedanken. Die Schlange war ebenfalls ein Symbol für Heilung und Wiederbelebung. Vielleicht war das der Grund, dass Dazai sich jedes Mal, wenn er eine Nacht mit diesem Mann verbrachte, wie neugeboren fühlte. Er hasste sich selbst dafür, dass er ständig nach Gründen suchte, nach irgendeiner Rechtfertigung, warum er immer wieder zu ihm zurückkehrte. Er wollte Mori hassen und ihn niemals wiedersehen, doch genauso sehr verzehrte er sich nach ihm und diesen Momenten, in denen er sich einfach fallen lassen konnte. Dazai erschrak, als er Moris Hand sanft über seinen Kopf streicheln spürte. Liebevoll küsste Mori seinen Haarschopf. „Guten Morgen~ ♥“, säuselte Mori, wirkte aber immer noch recht verschlafen. „Hast du gut geschlafen?“, fragte er dann. Dazai nickte. Tatsächlich fühlte er sich gut ausgeruht und bei vollen Kräften. „Dazai-kun, bist du dir sicher, dass du nicht zurückkommen willst?“ „Es ist pure Zeitverschwendung, Fragen zu stellen, von denen man die Antwort bereits kennt.“ Mori kicherte und setzte sich auf, zwang Dazai somit, sich von ihm zu lösen. Ruckartig griff er nach Dazais Unterarm, sodass dieser vor Schmerz zusammenzuckte. Böse sah er ihn an und wollte sich lösen. „Ich hätte das hier nicht zugelassen“, grummelte Mori und zog Dazais Arm näher zu sich, küsste seine Handknöchel und drückte sanft zu. „Lass los“, zischte Dazai und riss sich los, drehte seinen Arm so von Mori weg, dass dieser ihn nicht mehr sehen konnte. Du hättest mich in Ketten gelegt und mir meine Freiheit genommen. Du hättest mir auf deine eigene kranke Weise gezeigt, was Schmerz ist und mich für meine dummen Gedanken bestraft. In Wirklichkeit genießt du es doch, mich so zu sehen. Willst mit deinem Skalpell über meine Haut fahren und sehen, wie das Blut aus mir herausläuft. Dazai erinnerte sich an die Dunkelheit des Verhörkellers, wo man ihn tagelang ohne Nahrung oder gar Wasser gefesselt hatte und ihn seinem eigenen Schicksal überlassen hatte. Mehr als einmal wurde er für seine „Sabotage“ – so nannte es zumindest Mori – auf diese Weise gezüchtigt. Obgleich Dazai der Ansicht war, dass es sich um Folter handelte, schwor Mori stets darauf, dass es sich lediglich um eine Erziehungsmaßnahme handelte. Der eiskalte Operationstisch unter seiner nackten Haut und der stechende Schmerz, wenn das Messer zum ersten Schnitt ansetzte und das Licht der grellen OP-Lampe, die direkt auf ihn gerichtet war und ihn blendete. Auch heute noch träumte er immer wieder von diesen „Erziehungsmaßnahmen“, von denen er ganz genau wusste, dass Mori lediglich seinen kranken Gelüsten nachging. Jeder, der in die Port Mafia abrutschte und diesen Weg einschlug, hatte schließlich eine unergründliche Finsternis in seinem Herzen. Dazai war nicht anders. Er hasste Mori und er war ihm zu Dank verpflichtet. Schmerz war eine der wenigen Emotionen, die er bewusst wahrnahm und greifen konnte. Er hasste sich selbst dafür, wie gleichgültig er war und dass selbst die schönsten Momente keine dauerhafte Freude in ihm hervorrufen konnte. „Du hattest schon immer diese selbstzerstörerischen Tendenzen und suizidale Neigungen, aber ich habe nie zugelassen, dass du wirklich stirbst“, meinte er dann und griff nach seinem Haargummi auf dem kleinen Nachtischchen neben dem Himmelsbett, band sich nun seine Haare zusammen. Einige Haarsträhnen fielen nach vorn und umrahmten sein Gesicht. Dazai wollte weg. Er konnte es nicht ausstehen, wenn Mori Predigten hielt. Jedoch kam er nicht weit, da Mori ihn in seine Arme zog und ihn an sich drückte. „Deinen Kollegen in der Detektei ist es völlig egal, dass es dir schlecht geht. Sie suchen nicht mal nach dir, wenn du tagelang verschwindest. Als man dich gefangen genommen hat, warst du tagelang in unserem Verhörkeller gefangen, aber keiner von ihnen hat einen Finger gerührt. Ich verstehe nicht, was du dir dort erhoffst“, grummelte Mori und zupfte an einen der zahllosen Verbände an Dazais Körper. Dieser zuckte zusammen. „Ich weiß es auch nicht, deshalb bleibe ich bei ihnen. Sie... sind mir wichtig.“ „Aber keiner liebt dich so sehr, wie ich“, kam es beinahe beleidigt vom Älteren. „Wenn du mich wirklich liebst, dann halte dich an unsere Abmachung.“ Mit diesen Worten löste sich Dazai von Mori und setzte sich an die Bettkante, suchte seine Klamotten zusammen. Mori legte sich auf die Seite und beobachtete den Jüngeren dabei, wie er sich wieder anzog und zum Gehen bereit machte. „Ich werde deinen kleinen Freunden nichts tun, Dazai-kun“, begann er und seufzte theatralisch. Dazai sah ihn an, hob missmutig eine Augenbraue. „Aber ich kann dir nicht versprechen, dass ihnen nichts passiert, wenn sie in Mafia kontrollierten Gebieten herumlaufen“, erläuterte der Ältere, setzte sich nun ebenfalls an die Bettkante. Dazai verstand nicht recht, was er meinte. Da Mori an seinem Gesichtsausdruck erkennen konnte, dass er nicht verstand, worauf er hinauswollte, lachte er leise amüsiert und erklärte sich weiter. „Gestern sind zwei deiner kleinen Freunde in Kagenecho herumgelaufen und haben Streit angefangen. Chuuya-kun war so nett, die Situation zu entschärfen und hat mir das hier gebracht“, sagte er und zeigte auf zwei Tüten neben der Tür. „Sei so gut und gib ihnen ihre Süßigkeiten zurück, die sie vergessen haben. Ich muss dich hoffentlich nicht daran erinnern, dass ich nicht immer und überall auf deine kleinen Freunde aufpassen kann. Es war reiner Zufall, dass Chuuya-kun in der Nähe war. Wäre er nicht dort gewesen, wäre die ganze Sache sicher anders ausgegangen“, schimpfte Mori und suchte nach seiner eigenen Unterhose, zog diese über und kam Dazai näher, stemmte seine Hände in die Hüften. „Ich lasse deine Freunde in Ruhe und verbiete jegliche Angriffe, aber wenn sie wissentlich in meine Einflussgebiete eindringen, kann ich diese Abmachung nicht einhalten. Das verstehst du doch?“ „Ich werde sie nochmal daran erinnern, dass sie dort nichts zu suchen haben.“ Mori packte ihm grob am Arm und drückte ihn einen forschen Kuss auf. „Hach, es schmerzt, dich wieder gehen zu lassen! Bleib doch zum Frühstück~ ♥“, schnurrte er, doch Dazai riss sich nun los und ließ ihn allein zurück, knallte die Tür hinter sich zu. Plötzlich ein süßes Kichern. Die Stimme eines Mädchens, die gehässig lachte und sich über ihn lustig machte. „Ich schreibe eine Geschichte über euch zwei“, sagte sie dann und griff nach einem Schreibblock und zückte einen Kugelschreiber hervor. „Hat sie ein gutes Ende?“, fragte Mori neugierig nach. „Du sollst doch keine Fragen stellen, wenn du die Antwort schon kennst“, sagte sie und rümpfte ihre Nase. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)