Mein zweites Leben von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 8: Kyoko ---------------- Ich weiß nicht, wie sie auf mein Leben reagieren wird. Für das ich mich keine Sekunde schäme, die ich mit Kyoko verbracht hatte. Oje, das wird jetzt hart, nicht nur für Mimi. Immerhin ist Mimi ja schon bei der Erwähnung von Yuna ausgerastet. Andersherum, hat sie kein Recht, dazu. Immerhin ist sie diesen Schritt auch gegangen und zwar vor mir. Hoffentlich halte ich die nächsten Minuten durch, ohne wieder den Boden unter meinen Füßen zu verlieren. Ich sah wieder in die haselnussbrauen Augen. Diese sahen mich neugierig und gleichzeitig nachdenklich an. So wie sie blickt, hat sie eine Ahnung, dass das was sie jetzt zu hören bekommt ihr eventuell nicht gefallen wird. Tja, Augen zu und durch, es tut mir jetzt schon leid, ihr weh zu tun. Aber Kyoko gehörte zu meinem Leben und wird es immer. Vielleicht merkt Mimi auch, dass es Menschen gibt, die sich wirklich aufrichtig lieben. Verdammt, wo soll ich anfangen? Noch einmal tief durchatmen. „Kyoko und ich waren vier Jahre ein Paar. Zwei davon waren wir glücklich verheiratet. Wir hatten beide einen Doppelnamen. Ich heiße mit vollständigen Namen Taichi Yagami Miyasaki. Kyoko hieß mit vollständigen Namen Kyoko Miyasaki Yagami, aber unser Familienname war Miyasaki. Daher trägt Yuna ihren Nachnamen.“ Oh, oh ihr Blick verriet mir, dass sie mal wieder etwas falsch verstanden hatte. Dachte ich zumindest, aber ihre Frage warf mich aus der Bahn. „Wieso hast du im Krankenhaus nicht deinen vollständigen Namen gesagt?“ Innerlich stöhnte ich auf. Diese Frage musste kommen. „Du hattest eine Kopfverletzung. Zu der Zeit konnte Joey noch nicht sagen, wie schwerwiegend diese ist. Er hat mich gebeten dich zu schonen. Daher habe ich Miyasaki wegelassen.“ „Okay, dass verstehe ich. Warum redest du in der Vergangenheitsform?“ Mit dieser Frage riss sie unbewusst frisch verheilte Wunden wieder auf. Trotzdem spürte ich, dass ich ihr eine Erklärung schuldig war. Eigentlich wollte ich nicht sofort mit der Tür ins Haus fallen, da ich dies schon getan hatte, musste ich jetzt auch durch eben diese gehen. Kurz sah ich zu dem Schutzengel, der am Rückspiegel hing. Ein Geschenk von Kyoko, als wir uns dieses Auto gekauft hatten. Ich fasste mir an meine Krawatte. Darunter spürte ich unsere Eheringe, die ich an einer Kette um meinen Hals trug. Ich hatte das Gefühl, dass Kyoko so immer bei mir war. Ich musste schlucken, bevor ich sprach: „Kyoko ist nicht mehr da. Sie kam bei einem Zugunglück sechs Monate nach Yunas Geburt ums Leben.“ Mimi sah mich betroffen an. Sie sah so aus, als wollte sie etwas sagen, fand aber anscheint nicht die richtigen Worte. Ich war auch nicht in der Lage etwas zu erwidern. Meine Gedanken drehten sich mal wieder im Kreis. Tja, nicht nur ihr Leben war hart. Auch bei mir hatte das Schicksal volle Breitseite zugeschlagen. Ich vermisse meine Frau immer noch. Es vergeht nicht einen Tag, an den ich nicht an sie denke. Mein Herz schmerzte immer noch wie verrückt und an manchen Tagen hatte ich das Gefühl, meinen Verstand zu verlieren. Vor allem, wenn ich daran dachte, dass Yuna eigentlich mit Kyoko zusammen in dem Zug hätte sein sollen. Ich danke dem Schicksal dafür, dass es nicht so war. Sonst hätte ich sie auch noch verloren und daran möchte ich gar nicht denken. Das Zugunglück wurde durch technisches Versagen verursacht. Die Versicherungen nervten mich mit irgendwelchen Sachen, die ich bis heute nicht verstanden hatte. Zu der Zeit hatte ich mir Hilfe bei Keisuke geholt. Er hatte mir geholfen und in gewisser Weise hat er Kyoko Gerechtigkeit zukommen lassen. Seine Frau Satoe hatte sich auch einige Zeit um Yuna gekümmert, als ich nicht dazu in der Lage war und Hikari und Sora keine Zeit hatten. So entstand eine enge Freundschaft zu Mimis Eltern. Kyoko, Yuna … Wieso musste das Leben so grausam sein und eine intakte Familie zerstören? Die Luft im Auto war mit einem Mal unerträglich. Ich musste raus aus dem Auto. Schnell riss ich die Fahrertür auf und stürmte raus. Die kühle Luft tat gut, auch wenn sie in meiner Lunge brannte. Ich blickte über die Stadt. Verzweifelt versuchte ich wieder zur Ruhe zu kommen. Unbewusst nahm ich mir meine Kette ab und hielt sie schützend in meiner geschlossenen Hand. Wieder liefen die Bilder von Kyoko vor meinem geistigen Auge wie ein Film ab. Wie wir uns kennen gelernt hatten. Jedes Lächeln, dass sie mir geschenkt hatte. Wie wir ein Paar wurden. Wie wir uns küssten und liebten und ab und zu mal stritten. Wie sie wie ein kleiner Flummi auf und ab hüpfte, wenn sie sich über irgendetwas gefreut hatte. Wie wir zusammen trainierten. Von ihr habe ich so manches gelernt. Sie war es auch, die mich immer wieder antrieb, die nächste Stufe des Aikido zu erreichen. Was hatte sie Feuer im Hintern, wenn es um ihren Lieblingssport ging. Ihr habe ich auch meinen Meistergrad zu verdanken. Sie war so eine tolle Sparringspartnerin. Unsere Verlobung. Sie hat so scharf in ihrem dunkelroten, knielangen Kleid ausgesehen. Klar, dass sie diesen heißen Fummel nicht mehr lange anhatte, als wir endlich alleine waren. Ihr Blick, als sie mir sagte, dass sie schwanger war. Wir wollten immer Kinder haben, trotzdem kam Yuna unerwartet. Eigentlich wollte Kyoko noch ihre zweite Dan Prüfung ablegen und danach wollten wir uns in die Familienplanung stürzen. Zum Glück ist es anders gekommen, sonst hätte ich heute nichts mehr, was Kyoko und mich jemals verbunden hat. Was hatte sie mit mir rumgeschimpft. Mir gegen den Kopf geknallt ich wäre ein Lustmolch. Als ob ich unseren Schatz alleine gezeugt hätte. Nachdem sie sich beruhigt hatte, fiel sie mir mit einem Mal um den Hals und hatte vor Freude geweint. Unserer Hochzeit. An diesem Tag hatten wir beide mit der Sonne um die Wette gestrahlt. Sie war die schönste Braut, meine Braut. Beim Eröffnungstanz mussten wir beide feststellen, dass wir zwar beide Meister in Aikido waren, aber vom Tanzen hatten wir keinen blassen Schimmer. Daher war unser erster Tanz als Ehepaar ein Stehblues. Uns war dies scheißegal. Es war der schönste Tanz in meinem Leben, weil ich diesen mit ihr getanzt habe. Ihre glänzenden Augen, als sie Yuna das erste Mal in ihren Armen hielt. Unser Schatz kam in einer klaren Vollmondnacht zur Welt, daher ist Kyoko auf den Namen Yuna gekommen. Ihr Name wird Yuna immer mit ihrer Mutter verbinden, da sie diesen von ihr bekommen hatte. Es wird eine der wenigen Verbindung von Mutter und Tochter sein. Es ist ein unsagbarer Schmerz, dass Yuna ihre Mutter nicht kennen lernen kann. Nie ihre liebevolle Stimme hören kann. Nie erleben kann, was für ein großes Herz ihre Mutter hatte. Nie wieder von ihr in den Arm genommen werden kann. Genauso schlimm ist es für mich, dass Kyoko nie erleben darf, was bis jetzt aus unserer Kleinen geworden ist. Was für ein tolles Mädchen sie ist. Dass sie unser Wunder nicht aufwachsen sehen kann. Dass es ihr verwehrt wurde zu sehen, wie Yuna laufen und sprechen lernte beziehungsweise lernt. Unser allerletzter Kuss und die allerletzten Worte: ‚Pass gut auf unseren Schatz und dich auf. Ich liebe dich. Ich liebe euch‘. Ihr kalter lebloser Körper, ihre leeren starren Augen. Als ich sie nach dem Zugunglück identifizieren musste. Wie mir ihre persönlichen Sachen, einen Monat nach dem Unglück, gegeben wurden. Bis heute hatte ich es nicht geschafft ihre Handtasche, die die Helfer außerhalb des Zuges gefunden hatten, zu öffnen. Diese war immer Kyokos Heiligtum, wehe ich wagte es, ohne ihre Erlaubnis ein Taschentuch herauszunehmen, oder einen Kaugummi. Dann hatte ich schneller eine Kopfnuss, als das ich ‚Schatz‘ sagen konnte. Kyoko selbst hatte sich den Kopf an der Scheibe des Zuges angeschlagen, als dieser entgleiste. Die Ärzte meinten, dass sie einen Schädelbasisbruch hatte und sofort … Als einer der Pfleger ihr den Ehering abstreifen wollte habe ich ihn davon abgehalten. Ich war es der ihr diesen, unseren, Ring an ihren Finger gesteckt hatte. Nur ich hatte das Recht dazu ihr diesen wieder abzunehmen. Wenn es nach mir gegangen wäre, würde mein Engel diesen Ring immer noch tragen, aber das durfte nicht sein. Scheiß Gesetze! Eiskalt lief es mir den Rücken runter, als ich die letzte Erinnerung hatte. Plötzlich fühlte ich eine kleine Hand auf meiner Schulter. Im ersten Moment dachte ich, es sei Kyoko. Aber diese Berührung war anders. Vorsichtig, fast zurückhaltend. Ich nahm einen zarten Duft von Rosen wahr. Diesen Duft kannte ich nur von einer Frau. Ich spürte, wie Mimi langsam um mich herum ging. Mein Gesicht wollte ich verbergen und drehte daher meinen Kopf von ihr weg. Zärtlich legte sich ihre warme Hand auf meine Wange und drehte meinen Kopf wieder in ihre Richtung. So konnte ich die Tränen nicht mehr verbergen, die sich in meinen Augen gesammelt hatten. Sie sagte kein Wort, stattdessen umarmte sie mich. Sie zog mich immer fester in ihre Arme, so dass ich keine Chance mehr hatte und meinen Tränen freien Lauf ließ. Langsam legte ich meine Arme um ihren zierlichen Körper und zog sie auch in eine innige Umarmung. Verdammt, tat diese Geste gut. Diese war wie Balsam für meine Seele und meinem gebrochenen Herz. Diese vertrieb die Kälte, die ich verspürte. „Hätte ich das gewusst … Es tut mir schrecklich leid.“ „Nein, mir tut es leid, Mimi. Ich soll dich beschützen.“ Schnell ließ ich meine Arme sinken, dabei steckte ich die Kette in meine Hosentasche, danach ging ich auf Abstand. „Geh schon mal zum Auto, ich komme gleich nach“, wies ich Mimi an. „Ich brauche noch einen kleinen Moment, dann können wir weiterfahren.“ Noch einmal atmete ich tief die frische Luft ein und schaute zum Himmel. Irgendwo dort oben war mein Engel. Ich schloss noch einmal meine Augen um mich zu sammeln. Danach ging ich zum Auto zurück. Kaum hatte ich mich gesetzt riss mich das Klingeln meines Handys aus meinen trüben Gedanken. Ich werde diesem Anrufer danken, denn gerade ging mir alles an die Nieren. Da mein Handy mit dem Bordcomputer verbunden war konnte ich Hikaris Namen auf dem Display vom Armaturenbrett lesen. Mein Blick fiel auf die Uhr. Verdammt, wir waren schon eine halbe Stunde zu spät. Jetzt konnte ich bestimmt wieder einen Umweg fahren und Yuna bei meinen Eltern abholen. Dort würde das ganze Geschwafel wieder von vorne anfangen, dass meine Kleine endlich eine Mutter brauchte. Wie stellen die Beiden sich das vor? Sollte ich mir eine Frau backen? Wie sollte ich eine Frau finden, wenn mein Herz noch nicht bereit ist Kyoko für immer gehen zu lassen? Außerdem geht es nicht nur um mich. Was nützte mir eine Traumfrau, wenn sie nicht mit meiner Tochter zurechtkommen würde? Oder Yuna diese überhaupt nicht leiden konnte? Richtig – gar nichts. Als ich das Gespräch mit Hikari beendet hatte atmete ich erleichtert aus. Sie hatte Yuna zu ihrem Patenonkel gebracht. Er freute sich immer meine Kleine bei sich zu haben. Ich startete den Motor und fuhr zu Yamato und Sora um meine Tochter bei ihnen abzuholen. Auf die Reaktionen der Beiden bin ich schon gespannt, wenn sie Mimi wiedersehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)