Angelo von Maginisha ================================================================================ Kapitel 4: Zucker und Salz -------------------------- Während die Sonne Stück für Stück über den Horizont stieg und der Wagen Meile um Meile fraß, drehten sich Michaels Gedanken immer nur im Kreis. Er hatte es vermasselt. So richtig. Er war auf der Flucht vor der Polizei, hatte einen Jungen gekidnappt und noch dazu sein komplettes Gepäck als Beweismittel hinterlassen. Was vermutlich nicht mal notwendig gewesen wäre. Immerhin hatten die Polizisten gestern seine Daten aufgenommen. Eigentlich erwartete er, jeden Moment die Blaulichter der Highway Patrol oder gar die drohende Silhouette eines Helikopters hinter sich auftauchen zu sehen. Stattdessen glitt lediglich die graubraune Landschaft mit den niedrigen Büschen und den in der Ferne liegenden Bergketten an ihm vorbei, während sich über ihm der weite Himmel öffnete, auf dem nicht eine einzige Wolke zu sehen war. Es hätte sich nach Freiheit anfühlen sollen, tat es aber nicht. Es schmeckte nach schlechtem Gewissen und Magenschmerzen. Nach etwas über einer Stunde, in der immer noch nichts passiert war, begann Angelo sich wieder zu regen. Michael warf einen kurzen Blick nach hinten. „Hey“, rief er leise. „Wieder wach?“ „Mhm“, machte Angelo und klang zum ersten Mal irgendwie menschlich. Es ließ Michael lächeln. Er beobachtete, wie der Junge sich aufsetzte und gegen die Helligkeit des begonnenen Tages anblinzelte. „Wo sind wir?“ „Auf der Interstate Richtung Norden. Ich … ich fürchte, ich habe dich entführt.“ Ein Scherz. Ein vorsichtiges Abtasten. Wie würde Angelo auf diese Neuigkeit reagieren? Ihre Blicke begegneten sich im Rückspiegel. Er sah, dass Angelo lächelte und konnte nicht widerstehen. Er musste sich umdrehen, um sein Gesicht zu sehen. Der Junge sah besser aus als zu dem Zeitpunkt, an dem sie losgefahren waren. Rosiger und nicht mehr so furchtbar blass. Das Lächeln stand ihm gut. Michael musste sich mit Gewalt von dem Anblick losreißen und sich wieder auf die Straße konzentrieren, wenn er sie nicht gegen den nächsten Truck setzen wollte. Trotzdem wäre es ihm lieber gewesen, er hätte das Ganze noch ein wenig länger genießen können. „Hast du was zu essen?“, fragte Angelo plötzlich. „Du hast schon wieder Hunger?“ Michael war ehrlich verblüfft. Eigentlich hatte er nicht damit gerechnet, dass der Junge schon so bald wieder etwas zu sich nehmen konnte. Andererseits hatten so junge Kerle wohl einfach einen anderen Stoffwechsel. „Wir könnten frühstücken gehen.“ Auf eine Spur mehr oder weniger kam es jetzt auch nicht an. Die Schilder am Straßenrand wiesen ihn darauf hin, dass er jetzt bald Nevada verlassen würde. Vielleicht war es nicht das Schlechteste, wenn sie sich vorher wirklich noch eine Rast gönnten. So langsam verlangte auch Michaels Magen nach etwas Nahrung und vor allem einem Kaffee. Also steuerte er kurzentschlossen die nächste Tankstelle an und füllte gleich noch das Benzin auf, bevor er neben Angelo trat, der an der geöffneten Wagentür stand und sich umsah. Mit etwas Unbehagen fiel Michael auf, dass der Junge immer noch keine Schuhe anhatte. Warm genug war es dafür, aber früher oder später würden sie so ungewollte Aufmerksamkeit erregen. Angelo selbst schien das nicht zu stören. Michael seufzte lautlos. „Komm, gehen wir was essen.“ Er bezahlte die Tankfüllung, während Angelo den Laden in Augenschein nahm. Michael beobachtete, wie er zwischen den Regalen umherging und alles ganz genau betrachtete. Vor dem Stand mit den Süßwaren, der direkt neben der Kasse platziert war, blieb er stehen. Seine Augen wanderten über die unzähligen bunten Packungen und Michael meinte hören zu können, wie sich sein Magen zusammen zog. Er schmunzelte. „Meinst du nicht, dass erst mal was Anständiges angesagt wäre?“ Angelo konnte sich augenscheinlich nur schwer von der riesigen Auswahl trennen. Michael legte ihm den Arm um die Schultern und schob ihn sanft in Richtung des hinteren Teils der Tankstelle, in dem sich ein kleines Restaurant befand. „Na komm. Wir nehmen nachher noch was mit. Erst mal bekommst du ein richtiges Frühstück.“   Angelos Vorstellung von einem „richtigen Frühstück“ unterschied sich zwar immer noch deutlich von dem, was Michael dafür gehalten hätte, aber mit Waffeln und Pancakes konnte er leben. Mit leichtem Amüsement verfolgte er, wie Lage um Lage des süßen Teigs in Angelos Mund verschwand, während er selbst sich an Kaffee und Rührei hielt. Es waren noch einige andere Gäste anwesend, aber für Michael gab es nur den blonden Jungen, der ihm gegenüber auf dem roten Kunstledersitz saß und mit sichtbarem Genuss bereits seinen vierten Pancake vernichtete. Als er auch den fünften und letzten mit großen, hungrigen Bissen verschlungen hatte, blickte er ein wenig enttäuscht auf die goldbraune Siruplache, die auf dem weißen Teller zurückgeblieben war. Noch bevor Michael etwas sagen konnte, hatte er die Gabel beiseite gelegt und den Zeigefinger hineingetaucht. Mit angehaltenem Atem verfolgte Michael, wie der Finger zwischen Angelos Lippen verschwand. Er konnte nicht verhindern, dass ihm dabei für einen Augenblick der Mund offen stehenblieb. Als Angelo seinen Blick bemerkte, lächelte er. Er fuhr noch einmal durch den Sirup und hielt Michael seine Beute hin. „Möchtest du mal probieren?“ Für den Bruchteil einer Sekunde war Michael versucht, der Einladung Folge zu leisten. Die süße Klebrigkeit von Angelos Fingern zu lecken, erschien ihm gerade wie die erstrebenswerteste Sache der Welt. Im nächsten Augenblick fiel ihm ein, wo sie waren und das ein solches Verhalten mehr als unangebracht wäre. Er schloss den Mund wieder und lächelte leicht. „Nein, vielen Dank. Ich bleibe beim Kaffee. Möchtest du noch etwas?“ Angelo verneinte. „Gut, dann sollten wir langsam weiterfahren. Je mehr Staatsgrenzen wir zwischen uns und diesen übereifrigen Polizisten bringen, desto besser. Ich glaube, der hat in uns ein neues Hobby gefunden.“ Angelo lachte auf und Michael genoss das Geräusch. Es weckte in ihm den Wunsch, es öfter zu hören. Notfalls dadurch, dass er es im wahrsten Sinne des Wortes aus ihm herauskitzelte. Eine Vorstellung, die seine Finger zucken ließ, als Angelo vor ihm her zu den versprochenen Süßigkeiten ging. Aber er beherrschte sich und wies stattdessen mit einem Kopfnicken auf die Flut der bunten Päckchen. „Also? Was brauchst du als Wegzehrung? Wir werden eine Weile fahren müssen.“ Angelo biss sich auf die Lippen und ließ den Blick über die Auslage schweifen. Die Entscheidung fiel ihm sichtlich schwer. Schließlich ging Michael kurzerhand einmal quer durch das Sortiment, um dann einen beträchtlichen Haufen vor dem Kassierer abzuladen. Der zog, ohne die Miene zu verziehen, alles ab und packte die Sachen sogar noch in eine Tüte, die er Michael über den Ladentisch reichte. Der gab sie an Angelo weiter, woraufhin dieser Michael anstrahlte wie ein Kind am Weihnachtsabend. Es hätte nicht viel gefehlt und er wäre ihm um den Hals gefallen. Michael fühlte eine Wärme in sich aufsteigen, die ihn lächeln ließ. Ihm war bewusst, dass er gerade so ziemlich alles falsch machte, was falsch zu machen war. Aber es fühlte sich gut an. Er mochte es, wenn Angelo so glücklich war, und er hätte sein letztes Hemd dafür gegeben, diesen Zustand andauern zu lassen. Sie setzen sich wieder ins Auto, diesmal mit Angelo auf dem Beifahrersitz, und fuhren los in Richtung des Virgin River Valley, durch das sich die Interstate hier zog. Links und rechts der kurvigen Straße türmten sich jetzt beeindruckende Felsformationen auf, aber Michaels Augen lagen nur auf Angelo, der sich gegen die Fensterscheibe presste, um die Details der Landschaft zu bewundern. Wann immer die Straße den Fluss kreuzte, sprang der Junge förmlich im Sitz auf und zeigte nach draußen, als habe er gerade das achte Weltwunder entdeckt. Michael nickte jedes Mal und genoss es, Angelos Begeisterung so hautnah miterleben zu dürfen. Es war, als würde auch er selbst die Welt ein bisschen mit neuen Augen sehen.   Nach und nach gingen die ausgewaschenen Felsen in sanftere Sand- und Geröllfelder über und nach einer letzten Flussüberquerung lag wieder die bekannte Wüstenlandschaft vor ihnen. Als sie die Staatsgrenze von Utah passierten und somit noch etwa 300 Meilen bis Salt Lake City vor sich hatten, fühlte sich Michael genötigt, doch noch einmal auf das Problem zu sprechen zu kommen, dass er so gut wie nichts über seinen Reisegefährten wusste. „Sag mal … erinnerst du dich eigentlich an irgendetwas, das vor gestern Abend war?“ Angelo wandte sich von den Büschen und Bäumen ab und richtete seine Aufmerksamkeit auf Michaels Frage. Er runzelte die Stirn und dachte eine Weile angestrengt nach. Schließlich schüttelte er den Kopf. „Nein, da ist nichts. Das Erste, an das ich mich erinnere, bist du.“ Michael fühlte eine irreale Freude über diese Aussage, hielt sich aber zurück, diese zu zeigen. Stattdessen fragte er: „Gar nichts?“ „Nein.“ „Nicht einmal an das, was die Kerle mit dir gemacht haben?“ Für einen Augenblick verdüsterte sich Angelos Miene. „Ich erinnere mich an Bruchstücke. Aber nichts, was wirklich Sinn ergibt. Ich glaube, es gefällt mir nicht, daran zu denken.“ Er sah wieder aus dem Fenster und Michael hatte fast ein schlechtes Gewissen, dass er ihn so bedrängt hatte. Aber musste er nicht danach fragen? War es nicht seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass es Angelo gutging. Dass er zu Freunden und Familie zurückfand, statt ihn irgendwohin zu verschleppen. Michael war sich ziemlich sicher, dass er nicht weggelaufen war. Niemand würde das ohne Schuhe tun und seine Kleidung war zu sauber, als dass er schon eine Weile draußen unterwegs sein konnte. Mit großer Wahrscheinlichkeit gab es also irgendwo jemanden, der sich gerade große Sorgen um ihn machte. Es war somit Michaels Pflicht, sich darum zu kümmern, dass der Junge wieder nach Hause kam. Eine kleine Stimme versuchte zumindest ihm das einzuflüstern. Der Rest von ihm wollte Angelo einfach nur glücklich sehen und das Stochern in seiner Vergangenheit machte ihn offensichtlich nicht glücklich. Also ließ er es sein und schwieg. Sein Blick fiel auf das Radio. „Magst du Musik?“ Angelo zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Vielleicht.“ Michael drückte den Schalter und im nächsten Augenblick plärrte ihm irgendein Countrysong entgegen. Er betätigte den Suchlauf, bis er etwas fand, dass zu ihrer Stimmung passte. Getragene Klavierklänge und eine Frau, die von Hoffnungen und Träumen sang, die zu erreichen man sich nur trauen musste. Nachdem sie eine Weile gefahren waren, spürte er plötzlich eine sanfte Berührung auf der Hand, die er auf seinem Oberschenkel abgelegt hatte. Erstaunt sah er zu Angelo herüber. Der wirkte ein wenig verlegen. „Tut mir leid. Ich wollte nicht unhöflich sein.“ Michael schob die Mundwinkel ein Stück nach oben. „Das warst du nicht. Ich … ich will nur helfen.“ „Das tust du bereits.“ Michael sah wieder nach vorn, ließ seine Hand aber, wo sie war. Die Stimme in seinem Hinterkopf beharrte zwar immer noch darauf, dass das hier der reinste Wahnsinn war, aber Michael zog es vor, sie zu ignorieren und sich stattdessen darauf zu konzentrieren, wie sich Angelos Finger auf seinen anfühlten und wie sehr er seine Nähe genoss. Es mochte egoistisch und unvernünftig sein, aber es fühlte sich so gut an. So unglaublich gut, das er für eine Weile einfach vergessen wollte, was sie spätestens bei ihrer Ankunft erwarten würde.         Die Jalousien des Apartments waren heruntergelassen und ließen nur Spuren des unerbittlichen Sonnenlichts herein, das draußen die Temperaturen in Las Vegas auf ihr Mittagshoch zu bewegten. Hier drinnen herrschte ein schummriges Halbdunkel, das die umherliegenden Kleidungsstücke, nicht abgeräumten Teller und dreckigen Gläser zu Schatten ihrer selbst werden ließ. Ein schwerer Schreibtisch stand in Gesellschaft zweier aus allen Nähten platzender Bücherregale vor einem nur nachlässig geschlossenen Vorhang. Auf der Platte des Tischs lag ein wenig schräg ein aufgeschlagenes Buch. Es zeigte das Bild einer hundeähnlichen Kreatur, um dessen Hals sich eine rotglühende Kette wand. Cadejo, stand in antik anmutenden Buchstaben darunter. Der Cadejo erscheint in der Form eines riesigen, schwarzen Hundes mit Ziegenfüßen. Sein Name leitet sich vom spanischen Wort 'cadena' (Kette) ab, die er hinter sich herzieht. Ihm haftet ein strenger Geruch nach brennendem Schwefel und Urin an. Der Cadejo lauert des Nachts in dunklen Gassen und in der Nähe von Friedhöfen auf seine Opfer, die er zunächst in Angst und Schrecken versetzt, bevor er sie anfällt und tötet. Er ist ein Gesandter des Teufels, seine Augen und Ohren. Die bevorzugte Beute des Cadejos sind junge Männer, Betrunkene und Glücksspieler. Noch andere Bücher lagen in wirren Stapeln auf dem Tisch, so als hätte jemand etwas darin gesucht. Sie hatten Lücken in den Regalen gelassen, in denen sich neben Büchern auch einige andere Dinge fanden. Federn, Knochen, Kristalle und etwas in einem Einmachglas, das aussah, als wäre es mal ein sehr unglücklicher Frosch gewesen. Als die Tür geöffnet wurde, brach sich das Licht in einem Anhänger aus Rosenquarz.   Marcus trat ein und hatte ein weiteres Buch in der einen und einen frischen Becher Kaffee in der anderen Hand. Er las, während er durch den Raum ging und zielsicher allen Stolperfallen auswich, die sich auf seinem Weg befanden. Er wusste, dass er jetzt eigentlich schlafen sollte, doch seit seiner Heimkehr war er seinem Bett nicht nähergekommen als notwendig gewesen war, um sich aus dem Kleiderschrank ein frisches T-Shirt zu holen. Allein der Versuch sich hinzulegen wäre vergebene Liebesmüh gewesen. Er ließ sich in einen Sessel fallen und blätterte die nächste Seite auf, während er die Tasse zum Mund führte. In dem Buch war ein Wesen mit weißen Schwanenflügeln abgebildet und darunter stand eine lange Liste von Dingen, die Engel angeblich bewirkten. Unsterblich und wunderschön, konnten sie quasi alles von Zeitreisen über Wettermanipulation bis hin zu spontanen Heilungen aller Art. Marcus schnaubte innerlich bei den in die Zeilen eingewobenen Lobpreisungen. Für ihn standen Engel in etwa auf gleicher Stufe mit Dämonen. Übernatürliches Pack, das sich besser aus dem Leben der Sterblichen heraushalten sollte, wenn es nach ihm gegangen wäre. Es stand jedoch außer Frage, dass ihn a)niemand fragte und es b)besser war, sich auf unangenehme Überraschungen vorzubereiten. Dazu gehörte, seinen Feind ganz genau zu kennen, sowohl auf der einen wie auch auf der anderen Seite. „Engelsschwert … Engelsschrift … Engelsschild. Hier ist es ja.“ Er nahm noch einen Schluck Kaffee. „Ein Engelsschild besteht aus reiner Energie, die aus dem Engel selbst stammt. Es wird beschworen, um die Unschuldigen vor Gefahren zu schützen und alle Übel zurückzuwerfen. Ein Engelsschild ist undurchdringbar für Materie oder Zauber. Seine Größe richtet sich nach der Macht des ausübenden Engels.“ Er ließ das Buch sinken. Das Schild, das dieser Angelo beschworen hatte, war riesig gewesen. Man hätte einen Elefanten dahinter verstecken können, soweit Marcus das beurteilen konnte. Aber gleichzeitig zeigte er keine weiteren Anzeichen für irgendwelche anderen göttlichen Kräfte. Andernfalls wäre es ihm ein Leichtes gewesen, Marcus bereits am Abfeuern des Schusses zu hindern. Vermutlich hätte er ihn sogar mit Leichtigkeit töten können. Dass er es nicht getan hatte, legte den Schluss nahe, dass er entweder nicht mitbekommen hatte, was Marcus wirklich war, oder es war ihm schlichtweg egal gewesen. Oder er war kein Engel. „Ich werde einfach nicht schlau aus dem Burschen“, knurrte Markus und stürzte einen weiteren Schluck Kaffee herunter. Sein Blick glitt zu den beiden Koffern, die sich neben dem Sofa befanden. Sie gehörten diesem Michael Thompson, auf dessen Verhalten sich Marcus erst recht keinen Reim machen konnte. Was verbarg der Mann, der augenscheinlich ein ganz normaler Bürger war? Er hatte keine Vorstrafen; das hatte Marcus bei einer kurzen Stippvisite im Revier noch geprüft. Es gab lediglich einen älteren Unfallbericht, in dem dem Fahrer Drogenkonsum zur Last gelegt wurde, der Thompson als Zeuge aufführte. Der Mann besaß keine besonderen Kennzeichen, keine einflussreichen Beziehungen, nichts. Einzig die Tatsache, dass er als Vertreter für Süßwaren tätig war, hatte Marcus kurz eine Augenbraue hochziehen lassen. Soweit er wusste, waren Engel verrückt nach Zucker in jeglicher Form. Wahrscheinlich, weil sie sich im Himmel nur von Nektar und Ambrosia ernährten oder was auch immer. Jede Stubenfliege hatte mehr Selbstachtung, wenn Süßkram in der Nähe war. Blieb nur die Rückkehr zu diesem Alejandro. Der war, so weit war sich Marcus inzwischen sicher, ein Cadejo. Das Problem an der Sache war, dass diese Hundedämonen normalerweise eben genau das blieben: Hunde. Sie konnten nicht auf einmal als Mensch herumlaufen, auch wenn es Gerüchte gab, dass diese Kreaturen manchmal auf zwei Beinen kämpften. Natürlich gab es auch Dämonen, die menschliche Gestalt annehmen konnten. Vor allem diejenigen, die sowieso über eine humanoide Form verfügten, waren oft in der Lage, vorübergehend die Illusion eines ganz normalen Menschen zu erschaffen. Er selbst war einmal beinahe auf eine Cegua hereingefallen, einen Dämon, der sich die Gestalt einer attraktiven Frau mit langen, dunklen Haaren gab. Meist fand man ihn an Wasserstellen oder öffentlichen Brunnen, wo er vorgab, leicht bekleidet zu baden, nur um dann die sich nähernden Männer mit seinem wahren Anblick in den Wahnsinn zu treiben. Er selbst war noch ein Kind gewesen, als der Dämon versucht hatte, ihn vom Haus seiner Großmutter weg in den Wald zu locken. Allein die Tatsache, dass er sich darauf besonnen hatte, dass seine Mutter bereits tot war und somit nicht zwischen den Bäumen auf ihn warten konnte, hatte damals Schlimmeres verhindert. Er war sich auch ziemlich sicher, dass die bekannte Legende vom kopflosen Reiter in Wahrheit auf einen Akephalos zurückging, einen Dämon ohne Kopf, dessen Gesicht direkt zwischen seinen Schultern saß. Auch Mischwesen zwischen Menschen und Tieren waren bekannt wie etwa der stierköpfige Minotaurus oder die durch die modernen Märchen vollkommen verharmlosten Meerjungfrauen mit ihren Fischschwänzen. Und dann gab es eben reine Tierwesen wie den Cadejo, der sich seinen Platz mit einer ganzen Reihe absonderlicher Gestalten teilte, angefangen vom harmlosen Jackalope, einem Kaninchen mit einem Geweih, bis hin zu den ebenfalls romantisierten Drachen. „Vielleicht ist er ein Werwolf“, sinnierte Marcus. Aber die waren inzwischen so bekannt, dass jeder Depp wusste, wie man sie töten konnte, was die Zahl dieser Gestaltwandler auf ein Minimum reduziert hatte. Ähnliches galt auch für Vampire, wobei es eine nicht unerhebliche Anzahl von Dämonenwesen gab, die ebenfalls nach menschlichem Blut dürsteten. Die wirklich gefährlichen Dämonen waren jedoch jene, denen man nicht ansah, was in ihnen steckte, wenn man nicht wie Marcus die Gabe der Sicht hatte. Sie waren es, die die Welt langsam aber unaufhörlich in einen schlechteren Ort verwandelten. „Und momentan haben sie sich Las Vegas dafür ausgesucht.“ Die Rate an Gewalttaten und Drogendelikten war in den letzten Jahren in die Höhe geschnellt. So was kam immer wieder vor und deutete nach Marcus’ Erfahrung auf ein erhöhtes Dämonenvorkommen hin. Bisher hatte Marcus allerdings nicht herausfinden können, wer hinter all dem steckte. Er hatte einige niedere Kreaturen ausfindig machen können, jedoch aus keiner von ihnen brauchbare Informationen herausbekommen. Wer immer hier in Vegas die Fäden zog, die Dämonen hatten vor ihm mehr Angst als vor Marcus.   Marcus’ Blick fiel auf ein Foto, das auf dem Schreibtisch stand. Darauf war er mit seinen Großeltern zu sehen. Ein schlaksiger Junge mit unbändigen, schwarzen Haaren und einem mürrischen Gesichtsausdruck, der nur widerwillig in die Kamera blickte. An dem Anblick hatte sich eigentlich nicht viel geändert, nur dass man ihn heute vielleicht als „drahtig“ bezeichnen würde. Das Foto war kurz nach seinem 13. Geburtstag aufgenommen worden. Wobei er zu der Zeit nun wirklich allen Grund gehabt hatte, sauer aus der Wäsche zu gucken. Immerhin war ihm an dem Tag von seiner Großmutter offenbart worden, dass sein Vater kein Mensch war und er deswegen mit übersinnlichen Fähigkeiten gesegnet worden war. Marcus bezweifelte stark, dass das Ganze wirklich ein Segen war. Er ließ den Kopf zurücksinken und rieb sich mit den Fingern über die Augen. „Es passt alles vorne und hinten nicht zusammen. Ich werde diesem Alejandro wohl noch etwas auf den Zahn fühlen müssen, wenn ich weiterkommen will. Irgendwen in diesem verdammten Drecksloch werde ich doch zum Singen bringen können.“ Er wollte sich gerade erheben, um noch einmal seine Bibliothek zum Thema „Gestaltwandlung bei Dämonen“ zu durchforsten, als es an seiner Wohnungstür klopfte. Marcus’ aufkommende Müdigkeit war sofort wie weggeblasen. Er kannte so gut wie niemanden in der Stadt, wenn man von seinen Kollegen mal absah, pflegte keine Kontakte zu seinen Nachbarn und hatte auch keine weit entfernt lebenden Freunde, die zufällig vor seiner Tür stehen konnten. Das legte den Schluss nahe, dass der Besuch unangenehmer Natur war. Er griff hinter eines der Sofakissen und zog eine Pistole hervor. Mit zwei Schritten war er an der Türöffnung zum Flur und lauschte. Vor der Tür waren mindestens drei wenn nicht mehr Stimmen zu hören. Er schlich sich langsam in den Flur und drückte sich dort an die Wand. Der Türspion fiel ihm ins Auge. Vielleicht konnte er so herausfinden, wer dort draußen … „Komm schon. Wir wissen, dass du da drin bist. Wir können dich riechen.“ Marcus stockte für einen Augenblick der Atem. Das war der Cadejo. Wie hatte der ihn gefunden? Nun, diese Frage würde er auf später verschieben müssen. Das Interessante war, was er hier wollte. Und wer bei ihm war. Er wollte gerade die Waffe heben, als plötzlich die Wohnungstür mit lautem Krachen gegen die Wand flog, als wäre sie aus Pappe. Marcus blickte mit weit aufgerissenen Augen auf die Gestalt, die durch die Türöffnung trat. „Sieh an, der kleine Cop“, grinste Alejandro und sein Goldzahn blinkte im Licht der durch die Tür einfallenden Helligkeit. „Du hast nicht aufgemacht. Das hat mich ziemlich wütend gemacht. Und weißt du, was mich noch wütend gemacht hat? Dass du mich angelogen hast. Der Ángel ist überhaupt nicht im Gefängnis.“ Marcus wartete nicht ab, bis Alejandros Schergen die Wohnung betreten hatten. Er wirbelte herum und raste ins Wohnzimmer. Im nächsten Moment ging er zu Boden, als eine Gestalt direkt auf seinen Rücken sprang. Etwas fauchte über ihm. Er rollte sich herum und sah in das Gesicht eines ihm unbekannten Mannes, dessen Augen im Dunkeln zu leuchten schienen. Der Mann fauchte erneut und hieb mit der Faust nach seinem Gesicht. Marcus wich dem Schlag nur knapp aus. Er nahm seine Waffe und setzte sie dem Unbekannten von unten an die Kehle. Im nächsten Moment verteilte sich dessen Kopf in blutigen Fetzen auf Marcus’ Fußboden und ihm selbst. Der leblose Körper kippte zur Seite und Marcus strampelte sich unter den immer noch zuckenden Gliedmaßen hervor, um sich hastig rückwärtskriechend in Sicherheit zu bringen. Inzwischen waren nicht weniger als vier weitere Gestalten in den Raum getreten. Alejandro war einer von ihnen. Er knurrte wütend. „Du hast Kemen getötet. Dafür wirst du bezahlen.“ „War er auch ein Cadejo?“, fragte Marcus und schob sich langsam rückwärts. Er war sich inzwischen fast sicher, dass alle, die hier im Raum standen, Dämonen sein mussten. Der Gestank war überwältigend. Gegen so eine große Anzahl hatte er keine Chance. Er musste sich etwas einfallen lassen. Alejandro grinste. „Ah, nicht so dumm, wie du aussiehst. Nein, er war keiner von uns. Ein Balam.“ Marcus hatte von dieser Art Dämon noch nie gehört, aber er war sich sicher, dass es etwas Unangenehmes sein musste. Er hatte inzwischen den Couchtisch fast erreicht und auf dem befand sich etwas, das er unbedingt erreichen wollte. Alejandro schien inzwischen zum Plaudern aufgelegt zu sein. „Nachdem du nun also weißt, wer wir sind, wäre es da nicht höflich, dich uns auch vorzustellen?“ „Wozu?“, fragte Marcus und spürte die Kante des Tisches in seinem Nacken. „Ihr wollt mich doch sicherlich ohnehin töten.“ Alejandro schnaubte belustigt. „Als ob uns das etwas nutzen würde. Nein, wir wollen von dir nur wissen, wo unser Ángel ist, dann lassen wir dich in Ruhe.“ „Dann ist er also wirklich ein Engel?“ Zeit. Er brauchte Zeit. Der Goldzahn schimmerte auf. „Ich dachte, das wäre dir inzwischen klar. Kennst dich doch mit denen aus, oder?“ Marcus antwortete nicht. Stattdessen sprang er auf, griff nach der Dose, die auf dem Tisch stand, und schüttete den Inhalt großzügig um sich herum. Mit einem triumphierenden Grinsen zeigte er dem verblüfften Alejandro die Dose. „Siehst du das, Cadejo? Das ist Salz. Jetzt könnt ihr warten, bis ihr schwarz werdet. Aus mir bekommt ihr nichts raus.“ Alejandro sah ihn für einige Augenblicke einfach nur an. Dann begann er schallend zu lachen. Marcus sah zwischen ihm und seinen Kumpanen hin und her, die sich ebenfalls gut zu amüsieren schienen. Sie waren allesamt hispanischen Ursprungs, wenngleich die anderen drei jedoch wesentlich größer waren als ihr Anführer. Das ließ Marcus vorsichtig werden. Hatte er den Dämon etwa unterschätzt? Alejandro wischte sich derweil die Lachtränen aus den Augen. Er grinste. „Weißt du, du machst mir Spaß. Ich sollte dich vielleicht behalten. Als Haustier. Hab gehört, ihr seid ziemlich selten.“ Sein Grinsen wurde breiter. Marcus versuchte, sich nicht provozieren zu lassen. Er wusste, dass ihm innerhalb des Salzkreises nichts passieren konnte. Da mussten die Dämonen schon das Haus abreißen oder zumindest die Decke unter ihm einstürzen lassen. Und so mächtig waren sie nicht. Hoffte er.   Alejandro begann derweil, sich im Zimmer umzusehen. Dabei schnüffelte er wie ein richtiger Hund. Er betrachtete Marcus’ Bücherregale, schmunzelte, als er die Abbildung des Cadejo entdeckte und betrachtete eine Weile das Foto, bevor er es achtlos zur Seite warf. Marcus ballte die Fäuste, als er das Glas des Rahmens splittern hörte. Er konnte hier nicht weg und musste alles hilflos mitansehen. Plötzlich fiel sein Blick auf die Koffer, die neben dem Sofa standen. Das Blut gefror in seinen Adern, als er sah, dass an dem größeren der beiden ein Adressanhänger hing. Thompson würde doch nicht so dumm gewesen sein … „Mhm, was haben wir denn da?“ Alejandro hatte den Koffer nun ebenfalls entdeckt. Er hielt den Anhänger nach oben. „Michael Thompson. Aus Salt Lake City. Ist ja interessant.“ Er riss den Anhänger ab und steckte ihn ein. „Er wird nicht dort sein“, versuchte Marcus ihn abzulenken. „Er wäre verrückt, wenn er einfach mit dem Engel zu sich nach Hause fahren würde.“ Alejandros Grinsen wurde breiter, als ein menschliches Gesicht es eigentlich zulassen sollte. „Meinste? Wenn er schlau ist, tut er's nicht. Aber vielleicht sollten wir trotzdem mal nachsehen. Nur zur Sicherheit.“ Er trat jetzt ganz nahe an Marcus heran, bis er direkt am Rand des Salzkreises stand. „Ich rate dir eins. Komm uns nicht in die Quere. Wenn wir dich das nächste Mal sehen, reißen wir dich in Stücke.“ Er hob die Hand und tätschelte Marcus die Wange, bevor er sich umdrehte und etwas auf Spanisch knurrte, woraufhin sich die anderen drei in Bewegung setzten. Marcus blieb allein zurück mit der kopflosen Leiche und dem Geruch nach verbranntem Hundehaar. Das zu erklären würde sicherlich nicht ganz einfach werden. Die Spezialmunition, mit der er dem Dämon in die Umlaufbahn gepustet hatte, war nicht unbedingt etwas, dass man einfach so im nächsten Waffenladen um die Ecke bekam. Er griff sich an die Wange, der noch der Gestank des Cadejo anhaftete. Er rieb sich darüber, als er plötzlich in der Bewegung stockte. Er hatte ihn … angefasst. Das sollte eigentlich nicht möglich sein. Marcus’ Kopf ruckte nach unten und inspizierte den Salzkreis, aber der war undurchbrochen. Trotzdem hatte ihn der Dämon übertreten, als wäre er nichts. „Das ist nicht möglich. Salz hält sie auf. Er hätte nicht … Er …“ Das Wohnzimmer schien plötzlich zu schwanken. Mit letzter Kraft ließ sich Marcus auf das Sofa fallen. Er stützte den Kopf in die Hände und versuchte, seine verwirrten Gedanken zu ordnen. Das Ganze überstieg deutlich seine Fähigkeiten. Sicherlich, sie hatten ihn am Leben gelassen, aber das nächste Mal würde er nicht so glimpflich davon kommen. Und Dämonen, die einfach so Salzbarrieren überwanden und noch dazu unbedingt diesen Engel in die Finger kriegen wollten, das konnte er nicht einfach ignorieren. Aber er würde ihnen nicht alleine beikommen können. Er brauchte Hilfe und die würde er nur an einer Stelle bekommen. Von einem Mann, den er mehr hasste, als alles andere auf dieser Welt. Dem Mann, der seine Mutter auf dem Gewissen hatte. Marcus griff nach dem Telefon und wählte eine Nummer. Es dauerte ziemlich lange, bis jemand abnahm. Am anderen Ende meldete sich eine Männerstimme, die Marcus aus tausenden wiedererkannt hätte. „Ja?“, sagte sie lediglich. Marcus presste die Kiefer aufeinander. Er hatte sich geschworen, ihn nie wieder zu sehen, aber jetzt blieb ihm keine Wahl. „Hi, Dad.“         Kurz bevor sie die Stadt erreichten, setzte Michael den Blinker und nahm die Ausfahrt, die sie zum Parkplatz des Great Saltair ganz in der Nähe des großen Salzsees brachte. Vor ihnen lag eine weite, wüste Ebene, auf der in der Ferne das blaugrüne Wasser in der Sonne schimmerte. Wenn man so hinaussah, konnte man kaum glauben, dass man sich schon kurze Zeit später am inmitten einer Berglandschaft befinden würde, an deren Ausläufern sich eine riesige Stadt malerisch ins Bild einfügte. Er wusste nicht genau, warum er irgendwann von der Interstate abgebogen und einer relativ wenig befahrenen Strecke zwischen Feldern und Bergen gefolgt war. Vielleicht, um die Landschaft zu genießen. Vielleicht, weil die Fahrt so noch ungefähr eine Stunde länger dauerte. Vielleicht, weil er gewusst hatte, dass er vorher noch einmal anhalten musste, um mit Angelo zu sprechen. Vielleicht, weil er den richtigen Rahmen dafür gebraucht hatte. Vielleicht alles zusammen oder nichts davon. Er stellte den Motor ab. Angelo kaute auf einer roten Lakritzstange herum. Als er Michaels Blick bemerkte, legte er die Süßigkeit weg und schluckte den letzten Rest herunter. „Ja?“, fragte er, als wüsste er genau, dass Michael nur angehalten hatte, um mit ihm zu sprechen. „Ich … ich dachte, wir vertreten uns nochmal die Beine, bevor wir ankommen.“ Der Satz machte überhaupt keinen Sinn, aber Angelo stieg trotzdem gehorsam aus dem Auto und folgte Michael zum Rand des Parkplatzes. Der körnige Sand knirschte unter Michaels Schuhen, während Angelos Schritte vollkommen lautlos waren. Sein Humpeln war inzwischen verschwunden. Es war warm und ein leichter Wind strich über sie hinweg. Auf einem Grünstreifen blühten irgendwelche Wildblumen, deren würziger Duft zu ihnen herüber getragen wurde. Michael warf noch einen Blick auf den einsamen Konzertsaal, den man hier mitten im Nirgendwo erbaut hatte. Das Ding sah mit seinen Zwiebeldächern ein bisschen so aus, als hätte irgendein arabischer Scheich sich hier niedergelassen. Der Himmel wusste, was sich die Erbauer dabei gedacht hatten, das Ding ausgerechnet hierher zu setzen. „Ich … Wir müssen reden“, rang sich Michael schließlich zu einem Anfang durch. Angelo stand ein Stück neben ihm und sah auf die weite, weißgraue Ebene hinaus. „Worüber?“, fragte er. „Ich ...“ Es wurde einfach nicht besser, je länger er es hinauszögerte. „Ich bin verheiratet.“ Jetzt war es endlich heraus. Michael warf aus den Augenwinkeln einen Blick auf Angelo, der immer noch die Eindrücke der Landschaft in sich aufzunehmen schien. Leise sprach Michael weiter. „Meine Frau … Gabriella. Ich liebe sie und ich … ich möchte ihr nicht wehtun.“ Jetzt drehte sich Angelo doch zu ihm herum. „Warum fürchtest du, dass du das tun wirst?“ „Weil …“ Michael rang nach Worten. „Weil wir … eine Vereinbarung haben, sie und ich. Sie weiß, dass ich manchmal die Gesellschaft von jungen Männern suche, wenn du verstehst, was ich meine. Wir … wir haben darüber gesprochen. Es war eine schwierige Zeit, aber sie hat es irgendwann akzeptiert und ist damit einverstanden, dass ich ...“ Er verstummte kurz und sah Angelo ein wenig hilflos an. Der zeigte keinerlei Regung, sondern hörte ihm einfach nur weiter zu. Michael gab sich einen Ruck „Das Ding ist, dass ich ihr versprochen habe, dass ich diese Sache nicht vor unserer Haustür auslebe. Sie hat gesagt, es sei okay, aber sie wolle nicht, dass die Nachbarn davon erführen, und sie wolle es auch selbst nicht mitbekommen. Aber jetzt …“ „Jetzt hast du mich mitgebracht“, beendete Angelo den Satz. Sein Ton war freundlich und keinesfalls vorwurfsvoll. Trotzdem fühlte Michael sich schrecklich. Angelo legte den Kopf ein wenig schief. „Möchtest du, dass ich gehe?“ „Nein!“ Die Antwort hatte Michaels Mund verlassen, bevor er auch nur eine Sekunde darüber nachgedacht hatte. Die Vorstellung, Angelo zu verlieren, war fürchterlich. Er kannte ihn keine 24 Stunden und doch bereitete ihm der Gedanke, ihn wieder aus seinem Leben zu entfernen, körperliche Schmerzen. Es war wundervoll und beängstigend zugleich. Angelo trat einen Schritt näher. Sein Kopf neigte sich zur anderen Seite und seine Lippen zeigten ein winziges Lächeln. „Dann werde ich nicht gehen.“ „Aber wenn ich dich mitnehme ...“ „Werden wir einen Weg finden.“ Der Junge klang so sicher, dass Michael sich automatisch etwas entspannte. Er drehte sich zu Angelo herum und sah ihm in die Augen. Jetzt, da er es endlich ausgesprochen hatte, schien ein ganzer Steinbruch von seinen Schultern gefallen zu sein. Plötzlich wurde ihm bewusst, wie nahe sie beieinander standen. An einem Ort, an dem niemand außer ihnen beiden war. Es ließ Michaels Herz schneller schlagen. Er trat noch einen Schritt näher an Angelo heran, sodass sie sich fast berührten. Zögernd hob er eine Hand und streichelte damit ganz leicht über Angelos Wange. Die blauen Augen schienen ihn festzuhalten, ihn immer weiter zu dem blonden Jungen zu ziehen, bis er nicht mehr weiter widerstehen konnte. Sein Blick glitt zu Angelos Mund. „Ich … ich würde dich gerne küssen“, flüsterte er. „Erlaubst du es mir?“ Statt einer Antwort schlang Angelo seine Arme um Michaels Nacken und zog ihn zu sich herab. Als ihre Lippen sich berührten, konnte Michael noch Spuren der Lakritzstange an ihm schmecken. Vorsichtig kostete er die süßen Lippen. „Du schmeckst nach Erdbeere“, sagte er leise. Angelo lächelte gegen seinen Mund. „Ich glaube, es sollte Kirsche sein.“   An diesem Punkt endeten die Worte. Michael zögerte noch einen winzigen Moment, bevor er sich vorlehnte und in den Kuss fallen ließ. Ihm war, als würde er aus einem Flugzeug springen. Sein Magen sackte ihm in die Knie und er hörte das Blut in seinen Ohren rauschen. Seine Arme schlossen sich um Angelo und hielten ihn fest, als fürchtete er, dass der Wind ihn vielleicht sonst davonwehen könnte. Das sanfte Streicheln ihrer Lippen schien ewig zu dauern. Es war alles und gleichzeitig nicht genug. Als Angelo schließlich den Mund öffnete, wagte Michael sich ein Stück weiter vor. Er fuhr mit der Zunge langsam über die unausgesprochene Grenze und wurde ebenso vorsichtig empfangen. Angelo ließ seine Zungenspitze über Michaels Unterlippe gleiten und fing diese dann sanft zwischen seinen eigenen Lippen ein. Die Berührung ging Michael durch und durch. Er unterbrach den Kuss und sah sich um. An einer Stelle, die etwas tiefer lag als der Rest der Ebene, hatte der Wind feinen Sand zwischen hohen Gräsern angehäuft. Es wirkte wie eine Einladung. „Komm.“ Er nahm Angelos Hand und führte ihn zu dem Fleckchen Strandersatz. Er ließ sich zu Boden sinken und zog Angelo mit sich. Kaum, dass sie im warmen, weichen Sand lagen, hatte er schon wieder seinen Mund auf Angelos gelegt. Immer noch vorsichtig wagte er, den Kuss ein wenig zu vertiefen. Angelo kam dem entgegen, reagierte auf die Berührung und plötzlich erwischte Michael sich dabei, wie er ihm die Hand unter das T-Shirt schob. Die warme Haut unter seinen Fingern erbebte unter einem schnellen Herzschlag und Angelos helle Wangen hatten sich ein wenig gerötet. Er sah Michael mit glänzenden Augen an. Im nächsten Moment richtete er sich auf und zog sein T-Shirt über den Kopf. Die drei Narben glänzten weiß im Sonnenschein. „Du auch“, verlangte er und zupfte an Michaels Polo-Shirt. Wo soll das nur hinführen, dachte Michael, während er sich ebenfalls halb entblößte. Angelos Finger glitten über seinen Oberkörper. Er folgte der Bewegung mit den Augen. „Du bist stark“, sagte er und fuhr bewundernd am Rand von Michaels Brustmuskulatur entlang. Als er eine der Brustwarzen streifte, atmete Michael scharf ein. Die Berührung schickte einen Schauer durch sein Rückgrat und direkt zwischen seine Beine. Angelo lächelte. Im nächsten Augenblick hatte Michael ihn zu Boden gedrückt und erstickte dieses unschuldige Lächeln mit einem leidenschaftlichen Kuss. Er lehnte sich über den schmalen Körper, während seine Hände daran herabglitten. Seine Finger gruben sich in Angelos Seite und zogen ihn näher an sich. Er hörte den Jungen keuchen, als er ihm seinen Oberschenkel zwischen die Beine schob. Michael nutzte die Gelegenheit, um den Kuss noch tiefer werden zu lassen. Er wollte nicht mehr vorsichtig sein. Er wollte Angelo in Besitz nehmen und ihm zeigen, wie sehr er ihn begehrte. Wie sehr es ihn anmachte, wenn er sich unter ihm wand, während sich sein Schwanz an Michaels Bein rieb. Hart und unnachgiebig wie Michaels eigene Erektion, die sich gegen Angelos Hüfte drückte. Michael spürte, wie eine Hand über seinen Bauch in diese Richtung wanderte. Er zögerte nicht, es Angelo gleichzutun. „Willst du?“, fragte er atemlos, als er am Rand des Stoffs angekommen war, und der Junge nickte nur. Mit fliegenden Fingern öffnete Michael die enge Jeans und zerrte sie ein Stück nach unten, um endlich an das Objekt seiner Begierde zu kommen. Als es samtig und fest in seiner Hand lag, begann er langsam zu pumpen. Angelos Augen schlossen sich und er legte den Kopf zurück in den Sand. Sein Mund stand offen und ein leises Stöhnen kam über seine Lippen. „Michael.“ In diesem Moment dachte Michael nicht mehr nach. Er senkte den Kopf und nahm Angelos pulsierende Erektion in sich auf. Finger krallten sich in seine Schulter und ein erstickter Laut kündete von Angelos Überraschung. Michael ließ ihn nicht zu Atem kommen. Er fuhr mit der Zunge über den Schaft und saugte kurz an der empfindlichen Spitze, bevor er sich wieder vollkommen über ihn gleiten ließ. Auf und ab bewegte er seinen Kopf, während er Angelo weiter und weiter in Richtung Höhepunkt trieb. Kurz bevor es soweit war, zog er sich zurück und beendete mit der Hand, was er angefangen hatte. Als Angelo kam, bäumte sich sein Körper auf und weiße Leidenschaft ergoss sich schubweise zwischen Michaels Finger. Er hätte sie am liebsten abgeleckt. Hätte gern gekostet, wie der Junge schmeckte und ob sein Samen ebenso süß war wie sein Mund. Aber er besann sich und zog stattdessen ein Taschentuch heraus, um sich und Angelo zu reinigen. Anschließend warf er es fort und ließ sich neben den Jungen in den Sand gleiten. Selbst immer noch voller unbefriedigter Leidenschaft, strich er ihm eine der blonden Strähnen aus dem Gesicht. „Du bist wunderschön“, wisperte er und verhinderte jede mögliche Antwort mit einem Kuss. Erst, als er merkte, dass Angelos Erregung langsam abflachte, entließ er ihn aus seiner Umklammerung. Angelo öffnete die Augen und sah zu ihm auf. „Das war ...“ Michael lächelte nachsichtig. „Hat es dir gefallen?“ „Sehr.“ Angelo biss sich auf die Lippen und senkte die Lider auf Halbmast. „Soll ich ...“ Michael küsste seine Stirn. „Nein. Irgendwann vielleicht mal, aber jetzt würde es mir genügen, wenn du ...“ Er sprach nicht weiter, aber Angelo verstand ihn auch so. Weitaus geschickter als noch beim ersten Mal schlossen sich kurz darauf seine Finger um Michaels Erektion, sodass auch er nicht lange brauchte, bis er mit Angelos Namen auf den Lippen kam. Als es vorbei war, küsste er ihn sanft. „Ich weiß gar nicht, womit ich dich verdient habe.“ Angelo antwortete nicht darauf. Er schmiegte sich an Michael und für einen Augenblick genossen sie noch den Sand, den Wind und die Stille, bevor sie die Wirklichkeit in Form eines Wohnmobils einholte. Zwei Kinder stürzten schreiend daraus hervor, kaum dass es angehalten hatte, und Michael beeilte sich, sich wieder in einen vorzeigbaren Zustand zu bringen, bevor er sich hinsetzte und so tat, als würde er einfach nur die Aussicht genießen. Angelo folgte seinem Beispiel und gemeinsam saßen sie höchst sittsam nebeneinander, als die Frau Michael bat, doch mal ein Foto von ihnen allen zu machen. Er tat ihr den Gefallen, während Angelo schon zum Auto schlenderte. Als Michael hinter das Steuer glitt, hatte er bereits wieder eine Lakritzstange im Mund und die sandverkrusteten Füße auf den Sitz gestellt. Michael sah es und kam nicht umhin zu bemerken, dass sogar dieser Teil von Angelo irgendwie hübsch war. Er machte sich normalerweise nichts aus Füßen, aber in diesem Moment konnte er sich ohne Probleme vorstellen, mit Genuss daran herumzuknabbern. Eine perverse und gleichzeitig irgendwie anregende Idee. Wahrscheinlich werde ich jetzt ganz einfach verrückt, dachte er bei sich, während er den Wagen startete, um sie nun endlich nach Hause zu Gabriella zu bringen. Er konnte es kaum noch erwarten, sie wiederzusehen.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)