Liebe, Lüge, Wahrheit von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 19: Erste Schritte -------------------------- Strenger Geruch nach Schießpulver breitete sich schwach in der Luft aus, als Oscar ihre Pistole abfeuerte. Ein Schuss donnerte und hinterließ ein Loch in der Spielkarte, die auf 50 Metern Entfernung und auf einem Gestell befestigt war. Morgen sollte das Duell mit dem Herzog, der vor zwei Monaten einen kleinen Jungen in Paris erschossen hatte, stattfinden. Ja, sie hatte es heute früh geschafft, ihn herauszufordern und nun trainierte sie dafür. Sie putzte den abgefeuerten Lauf der Pistole, lud sie erneut mit Schießpulver auf, zielte konzentriert auf die andere Spielkarte und schoss.   „Ein ausgezeichneter Schuss, mein Kind!“, lobte der General sie, der sie zusammen mit André und Graf de Girodel dabei aus geringen Entfernung beobachtete.   Während Reynier stolz auf seine Tochter war und sie freudig anfeuerte, machten André und Girodel sich Sorgen. „Wieso versucht Ihr das Duell zwischen den beiden nicht zu verhindern?“, fragte André.   Der General sah ihn nicht einmal an und strahlte noch mehr über das ganze Gesicht, als Oscar die nächste Spielkarte in der Mitte traf. „Ich habe ihr beigebracht, wie man richtig schießt und den Degen führt.“, erklärte er dem jungen Mann überzeugend. „Ich weiß, dass sie das Duell gewinnt. Ich selbst habe sie zu einem Soldaten gemacht.“   „Ich verstehe nicht, warum sie ausgerechnet die Pistole wählen musste?“, meinte Graf de Girodel von der anderen Seite, der nicht minder besorgt klang wie André. „Sie als Herausforderin hatte doch die Wahl, die Waffen zu bestimmen.“   „Das zeigt uns doch nur ihren guten Charakter.“, schlussfolgerte André gleich darauf. „Sie hatte es sich noch nie leicht gemacht. Und im Fechten hätte er nie die geringste Chance.“   Victor gab ihm in dieser Hinsicht recht. Wenn Lady Oscar sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann dann setzte sie es stur durch. Allerdings beruhigte ihn das keineswegs. „Ich habe gehört, dass im vergangenen Jahr der Herzog beim Wettschießen den zweiten Platz belegt haben soll.“   General de Jarjayes zog seine Augenbrauen streng zusammen. Seine Tochter schien mehr ein Mann zu sein als die zwei jungen Männer neben ihm. „Ich glaube nicht, dass wir irgendein Grund zur Sorge haben.“, brummte er.   „Aber beim Duell hat jeder nur einen Schuss.“, erwähnte Girodel bedächtig. „Wenn Lady Oscar ihr Ziel verfehlt, dann...“ Er konnte nicht zu Ende aussprechen. Schon alleine bei der Gedanke, dass Lady Oscar verletzt oder gar getötet werden könnte, verursachte ihm ein flaues Gefühl im Magen. Ja, er liebte sie noch immer, aber diese Liebe hatte er schon längst im tiefsten Winkel seines Herzens vergraben. Dennoch hinderte es ihn nicht daran, sie und den kleinen François ab und zu mal zu besuchen. Und letzten Monat wurde er sogar dessen Patenonkel. Was würde dann aus dem Kind, wenn Lady Oscar verlieren sollte? Diese Frage beschäftigte ihn am meisten. Denn der Junge blieb nur deshalb auf dem Anwesen der de Jarjayes, weil der König die Verantwortung über ihn Lady Oscar übergeben hatte. Victor glaubte nicht daran, dass General de Jarjayes ihn auf seinem Anwesen dulden würde, wenn Lady Oscar nicht mehr da sein sollte. Würde aber André das zulassen? Wenn ja, dann wie? Victor warf einen flüchtigen Blick auf ihn und beschloss bei einer guten Gelegenheit ein Wörtchen mit ihm und mit Lady Oscar zu wechseln. Selbstverständlich ohne Zeugen und wenn der General nicht dabei sein würde.   André spürte dessen Blick auf sich nicht. Sein Augenmerk war mit einem mulmigen Gefühl nur auf Oscar gerichtet und er beendete an der Stelle von Graf de Girodel den nicht zu Ende ausgesprochenen Satz. „Und der Herzog ist sehr verschlagen – er könnte es mit schmutzigen Tricks versuchen.“   Dem General wurde die Sorge der beiden zu viel. „Nun, dafür gibt es ja die Sekundanten, um so etwas von vornherein auszuschließen. Also macht euch keine Sorgen.“ Er ging entnervt wieder ins Haus, nachdem Oscar den letzten Schuss gemacht hatte. Sie putzte das letzte Mal den Lauf der Pistole und legte sie dann sorgsam in die Waffenkiste, die in der Nähe von ihr auf einem kleinen Tischlein stand.   Girodel und André nutzten das aus und kamen zu ihr. „Lady Oscar, erlaubt mir eine Bemerkung.“, erbat sogleich Victor, als er mit André direkt vor ihr stehen blieb.   „Die wäre, Girodel?“ Oscar schloss den Deckel der Kiste zu und schaute zu ihm. Die leichte Sorge in seiner Stimme gefiel ihr nicht.   „Seid bitte morgen vorsichtig.“, warnte Victor. „Dem Herzog kann man nicht trauen.“   „Oder ihm alles zutrauen.“ fügte André bedächtig hinzu.   Oscar wechselte zwischen den Beiden einen Blick. Dass André umsorgt war, konnte sie nachvollziehen. Aber Girodel? Er war doch ihr treuer Untergebener, auf den sie sich verlassen konnte und der das strengste Geheimnis hütete. „Graf de Girodel, Ihr seid morgen mein Sekundant.“, sagte sie trocken und marschierte mit kerzengerader Haltung ins Haus und dann zu ihrem Sohn.   „Jawohl, Lady Oscar.“ Graf de Girodel sah ihr nach und seufzte dann entrüstet. „Ich verstehe nicht, warum sie den Herzog überhaupt herausgefordert hatte?“   „Nun ja, der Herzog hatte in Paris einen kleinen Jungen erschossen.“, erklärte André.   Das hatte Girodel auch schon gehört. Es hieß, der Herzog de Germain wurde in Paris von einem kleinen Jungen bestohlen und dass er den Täter eigenhändig bestraft hatte. Er posaunte seine Tat am Hofe von Versailles, als wäre er ein Held und rühmte sich auch noch damit. Das war genau das, was Oscar in Rage getrieben hatte und weshalb sie ihn auf der Stelle herausgefordert hatte, erinnerte sich Girodel und ihm wurde einiges klar. „Bestimmt hatte sie dabei an François gedacht.“, vermutete Girodel und André nickte zustimmend. „Das wäre nicht ausgeschlossen, Graf.“   „Ich wünschte, sie würde jetzt an ihn denken.“ Girodel fand nun endlich die Gelegenheit, über seine vorherigen Bedenken zu sprechen. Es war zwar schade, dass Lady Oscar nicht mehr anwesend war, aber dafür stand André noch immer neben ihm. „Denn was nützt es dem Jungen, wenn sie verliert?“, fragte Victor und schielte zu ihm, um seine Reaktion zu sehen.   Auch wenn André es nicht zeigte, traf ihn die Frage des Grafen hart. „Ich werde das nicht zulassen.“, murmelte er.   Girodel hob überrascht seine Augenbraue in die Höhe. „Sosehr liebst du sie?“   „Ja.“, sagte André entschlossen.   Dass André Lady Oscar liebte, wusste Victor eigentlich schon seit langem, aber wie stark er das tat, war für ihn ungewiss. Nun, das konnte er gleich herausfinden. „Also wirst du dich sogar zwischen die Duellanten werfen, wenn es darauf ankommt und für Lady Oscar sterben?“   „Ja.“ Auch das kam André selbstsicher von den Lippen. Insgeheim jedoch fragte er sich, warum Graf de Girodel das alles von ihm wissen wollte. Nun gut, es gefiel ihm auch nicht, dass Oscar sich morgen mit dem Herzog duellierte und er sorgte sich sehr um sie, aber war das auch der Grund für Girodels Fragen? Was wollte er damit bezwecken?   „Gut, dann werde ich nach deinem Tod sie zur Frau nehmen und François wird mich statt an deiner Stelle Vater nennen.“ Girodel wirkte fast selbstgefällig, als er das sagte. „Ich bin immerhin sein Patenonkel und genauso entstamme ich einem Adelsgeschlecht wie Lady Oscar. Willst du das?“   „Wie bitte?“ Graf de Girodel würde seine Oscar zur Frau nehmen und François würde den Grafen als Vater sehen, wenn er stirbt? André gefiel das ganz und gar nicht. Schon alleine die Vorstellung daran, verursachte in ihm schmerzliche Stiche und trieb in ihm Eifersucht.   Girodel erkannte sein Unbehagen und wenn es nicht um das Leben von Lady Oscar ginge, dann hätte er André gerne ein bisschen mehr geärgert. Aber so blieb er ernst und bezog seinen Vorwurf nicht nur auf André. „Ihr beide seid verrückt und denkt nicht an euren Jungen. Was glaubt ihr, was aus ihm wird, wenn du oder Lady Oscar oder gar ihr beide sterbt? Dann wird aus ihm wirklich ein Findelkind.“ Girodel setzte seine Füße in Bewegung. „Ich verabschiede mich noch von ihm und wir sehen uns morgen.“   „Graf de Girodel, André, kommt doch schnell!“, rief Sophie unerwartet aus dem Fenster des Anwesens und strahlte über das ganze Gesicht.   André eilte ohne weitere Worte ins Haus und dann zu Oscar in den Salon. Girodel dagegen hob seinen Kopf. „Was ist denn passiert?“, fragte er die alte Haushälterin und bekam eine überaus freudige Antwort von ihr: „Unser Findelkind macht seine ersten Schritte!“   Nun lief auch Girodel ins Haus und dann André nach, in die Gemächer von Lady Oscar. In ihrem Salon tapste der Kleine auf wackeligen Beinchen von Oscar zu der Amme. Als sie sich zu ihm beugte, entschwand er ihren Armen und wechselte die Richtung zu seinem Vater, als dieser in Oscars Salon hereinplatzte. André ging in die Hocke und streckte seine Arme, in die der Kleiner geradewegs lief. „Du kannst schon laufen, sehr gut!“ Was für ein herrliches Gefühl, ihn bei seinen ersten Schritten gesehen zu haben! Er vergaß kurzfristig sogar das morgige Duell zwischen Oscar und dem Herzog, hob François auf den Arm, aber der Kleine zappelte. „Ist gut, ich lasse dich weiterlaufen.“ André setzte ihn wieder ab und der Junge tapste zu Girodel, der gerade hinter André ankam. Er kannte ihn mittlerweile durch seine Besuche auch und wollte ihn auf diese Weise begrüßen.   Victor schmunzelte und musste zugeben, dass er den Jungen bereits ins Herz geschlossen hatte. François war nicht nur ein hübscher und braver Junge, sondern er war ein Sohn von Lady Oscar. Wenn André sich in der Tat morgen zwischen die Duellanten werfen sollte und dabei stirbt, dann würde er, Graf Victor Clement de Girodel, den kleinen François adoptieren. Ebenso würde er Lady Oscar beistehen und wenn sie die Trauer um André überwand, sie dann heiraten. Ja, kein so abwegiger Gedanke… Victor fing François ab, als dieser ihn erreichte und drehte ihn in Richtung von Oscar. „Das machst du gut und jetzt ab in die neue Runde.“   François dagegen lief zu seiner Amme zurück und plumpste erschöpft vor ihren Füßen. Dabei lachte er und streckte seine Arme zu ihr – er wollte hochgehoben werden. Die Amme erfüllte ihm den Wunsch und hob ihn auf ihre Arme. „Wollen wir schauen, wie weit das Abendessen ist?“, fragte sie ihn und der Junge bejahte mit einem heftigen Nicken.   Victor kam noch einmal zu ihm und nahm sein Händchen. „Sei brav, junger Mann und wir sehen uns irgendwann wieder.“   François verstand zwar den Sinn der Worte nicht, aber nickte wieder und seine Amme trug ihn dann aus den Gemächern.   „Ihr bleibt nicht zum Abendessen, Graf de Girodel?“, meinte Oscar, als die Amme und François weg waren. „Denn es wird bald gedeckt.“   „Danke Lady Oscar, aber ein anderes Mal. Ich begebe mich nach Hause. Morgen ist ein wichtiger Tag und ich möchte ausgeschlafen sein.“   „Wie Ihr wünscht, Graf.“   „Dann bis morgen.“, verabschiedete sich Girodel und ging. Unterwegs überdachte er die Unterhaltung mit André und hoffte inständig, dass Lady Oscar morgen das Duell gewinnen und ihr nichts passieren würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)