Liebe, Lüge, Wahrheit von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 7: Die Reise -------------------- Sommer 1774.   Es war soweit und die Sachen waren bereits auch gepackt. Gestern hatte sich Oscar schon von der königlichen Familie und von ihrer Garde verabschiedet, um Zuhause die letzten Schritte für die Reise zu erledigen. Die Nacht verbrachte sie natürlich mit André auf dem elterlichen Anwesen in ihrem Zimmer. Sie hatten sich so intensiv, leidenschaftlich und hemmungslos geliebt, dass es bestimmt ausreichen würde, die lange Reise ohne Verlangen, Sehnsucht und Gelüste nacheinander zu überstehen. Und heute, am 1. Juni, waren sie beide sehr zeitig aufgestanden, damit niemand von ihrer Liebesnacht Verdacht schöpfen konnte.   Sophie schniefte herzzerreißend in ihr Taschentuch, als würde es ein Abschied für immer sein, während Oscar in den Sattel ihres weißen Pferdes stieg. „Seid vorsichtig, Lady Oscar.“ Und an ihren Enkel gewandt verzog die Haushälterin ernst ihr Gesicht. „Und du, pass auf sie auf und sorge dafür, dass es ihr an nichts fehlt!“   „Das werde ich, Großmutter.“ André stieg galant in den Sattel seines braunes Pferdes und überlegte schnell im Kopf, ob sie alles Nötige für die Reise eingepackt hatten: Decken, falls sie im Freien übernachten sollten, Wechselkleidung, Regenumhänge, Proviant, die Landkarte von Frankreich und natürlich ausreichend Geld. General de Jarjayes hatte ihn sogar für drei Monate im Voraus bezahlt. Aber auch Oscar bekam ausreichend davon.   „Ich wünsche dir alles Gute auf der Reise und komm gesund wieder, mein Liebling.“ Madame de Jarjayes ließ zwar keine Tränen fließen wie Sophie, aber die mütterliche Sorge stand ihr ins Gesicht geschrieben.   „Oscar wird schon zurück kommen und sie wird unsere Familie stolz machen! Ich habe sie doch nicht umsonst wie ein Mann erzogen und ihr alles beigebracht, was ein Offizier in allen Situationen wissen muss.“ Reynier legte einen Arm um seine Frau und schaute dabei auf seine Tochter mit vor Stolz leuchtenden Augen. „Nicht wahr, Oscar? Du wirst es doch schaffen, oder?“   „Ja, Vater.“ Oscar winkte allen ein letztes Mal zum Abschied zu, stieß ihrem Pferd leicht in die Seiten und ritt im gemütlichen Gang an. Sie war nicht einmal aufgeregt und nahm die Reise als eine gewöhnliche Pflicht auf sich.   André machte es ihr gleich und führte noch zusätzlich zwei Packpferde hinter sich. Die Sonne stieg immer höher, die Natur erwachte vom nächtlichen Schlaf und André hörte verträumt dem Trällern der Singvögel zu, die auf den Bäumen im Wald und außerhalb des Anwesen der Jarjayes sich gegenseitig zu übertönen versuchten. „Ich finde es heute schön hier.“, sagte er, als würde er zum ersten Mal den Weg vom Anwesen der de Jarjayes nach Paris reiten.   „Das finde ich auch.“ Oscar schmunzelte und zügelte am Rande des Weges ihr Pferd. „Bevor wir uns mit Girodel treffen und unsere Reise fortsetzen, will ich dir noch etwas sagen.“ André hielt direkt neben ihr sein Pferd und merkte, wie ihr Körper sich langsam in seine Richtung rüber neigte. Ihre Hand fasste an seinem Kragen und ihr Gesicht kam ihm immer näher. „Egal wie stark unsere Gefühle, Liebe und Zuneigung zueinander sind, wir dürfen ihnen nicht vor Girodel nachgeben. Deshalb wird das der letzte Kuss zwischen uns sein.“ Sie drückte ihre weichen Lippen ihm auf den Mund und André erwiderte den Kuss leidenschaftlich. Er gab ihr Recht. Mit Graf de Girodel würde es schwierig sein, im Verborgenen ihre Liebe auszukosten. Denn er würde sich bestimmt irgendwo in der Nähe aufhalten und nur eine kleine Unaufmerksamkeit würde genügen, dass er sie ertappte. Also lieber jetzt das angesprochen zu haben, als später es noch vor ihm zu rechtfertigen. Wobei Oscar sich eigentlich nicht vor ihm rechtfertigen bräuchte, weil er ihr Untergebener war. Aber sicher war sicher und einen Mitwisser von ihrer geheimen Liebesbeziehung wollten sie auch nicht haben.   Gesättigt und noch etwas berauscht von dem letzten Kuss, setzten sie ihren Weg weiter fort. Mit Girodel hatte Oscar gestern in Versailles noch vereinbart, sich an der Notre Dame de Paris zu treffen und kaum dass sie die mächtige Kathedrale erreichten, sahen sie ihn schon bei zwei Pferden stehen. Genauso wie Oscar trug er keine Uniform. Da sie nicht am Hofe von Versailles waren oder eine Patrouille durch die Stadt machten, galten sie als außer Dienst und hatten deshalb ihre gewöhnliche Zivilkleidung angezogen. Der Tag hatte erst begonnen und es waren noch nicht so viele Menschen unterwegs. „Guten Morgen, Lady Oscar.“, grüßte Victor seine Vorgesetzte. Zu André nickte er nur und stieg auf sein graues Pferd.   „Guten Morgen, Graf de Girodel. Habt Ihr alles eingepackt, was für die Reise nötig ist?“ Oscar hatte erneut den seltsamen Blick von Victor in Richtung André bemerkt und das bereitete ihr wieder Unbehagen. Seit sie diesen Auftrag von dem neuen König erhalten hatten, warf ihr Untergebener öfters solche abfälligen Blicke zu ihrem Geliebten. Aber was hatte er gegen ihn? Früher war das doch nicht so. Wenn Oscar überlegte, dann hatte Girodel ihren André gar nicht beachtet, weil er in seinen Augen nur ein einfacher Diener war. Was auch immer das war, sie würde das noch herausfinden. Gut, dass sie mit ihrem André sich ausgesprochen, mit ihm die letzte Nacht verbracht und den letzten Kuss ausgetauscht hatte.   „Ich habe alles eingepackt, Lady Oscar, was wir auf der Reise brauchen werden.“ Victor fragte sich insgeheim, ob Lady Oscar und der Nebenbuhler in seiner Gegenwart auf der Reise es wagen würden, sich zu küssen oder gar in Gasthöfen ein Zimmer miteinander zu teilen. Denn sie würden ab nun keine bekannten Gesichter um sie haben, die sie verraten konnten. Natürlich abgesehen von ihm. Aber einen Verrat an einen für ihn den teuersten und liebsten Menschen zu begehen, wäre Victor nie in den Sinn gekommen. Höchstwahrscheinlich würde Lady Oscar ihn mit irgendeinem Auftrag fortschicken und selbst mit André im Gasthof unter sich bleiben. Auf diese Weise würden sie genügend Zeit haben, um ihrer Liebe nachzugehen. Und wenn er wieder zurück sein würde, dann würden sie bestimmt ihre Gelüste gestillt haben. Altbekannte Eifersucht und Groll auf André vereinnahmte Girodel wieder, als er sich Lady Oscar und ihren Gefährten in einer tiefen Umarmung und beim Küssen in Erinnerung rief. Das war schrecklich und er verjagte diese Bilder auf der Stelle aus seinem Kopf. Nur noch ein Jahr und dann würde Lady Oscar ihm gehören.   „Dann lasst uns aufbrechen. Unser erstes Ziel ist Rouen in der Normandie.“ Oscar achtete darauf, dass Girodel, nach Besteigen des Sattels, auf der anderen Seite von ihr ritt als André. Sein Packpferd führte der Graf selbst hinter sich und hatte keine Gelegenheit, André zu beobachten. Aber das war ihm zurzeit gleichgültig. Er ritt ja neben Lady Oscar und das beglückte ihn gewissermaßen.       Nach zwei Tagen und drei Stunden, mit zusätzlichen Rast und Übernachtung in örtlichen Gasthöfen, erreichten sie Rouen in der Normandie. Die Stadt existierte bereits seit tausenden vor Jahren und im Jahr 911 wurde sie zur Hauptstadt des Herzogtums Normandie. Als der Herzog der Normandie Wilhelm I im Jahr 1066 England erobert hatte, hatten dessen Nachfolger und die englische Könige seither Ansprüche auf den französischen Thron erhoben. Natürlich wollte kein Franzose einen Engländer auf dem französischen Thron haben und es wurde deshalb über Jahrhunderte erbitterte Kriege zwischen beiden Ländern geführt. Der entscheidendste Krieg hatte sogar hundert Jahre gedauert und hat von 1337 bis 1453 stattgefunden. Ein Bauernmädchen Namens Jeanne d´Arc tauchte dann plötzlich auf und mit Hilfe von heiligen Stimmen, die zu ihr gesprochen hatten, sah sie sich berufen, die Franzosen von den Engländern zu befreien. Das war ihr am Ende gelungen und sie hatte die französischen Truppen zum Sieg gegen die Engländer geführt. Karl VII, dem Jeanne d´Arc die Krone aufgesetzt hatte, fühlte sich jedoch von ihrem Ruhm bedroht und dachte wohl, wenn sie die Engländer besiegen konnte, dann würde sie auch ihn irgendwann stürzen können. Er veranlasste deshalb, dass gegen sie ein Komplott geschmiedet wurde. So wurde sie später verraten, den Engländern übergeben und im Jahr 1431 auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Dennoch wurde Rouen durch Karl VII im Jahr 1449 für Frankreich zurückerobert und vier Jahre später war dann der hundertjährige Krieg beendet.   Oscar dachte über die Geschichte nach, während sie mit Graf de Girodel und André nach einem passenden Gasthof, der nicht überfüllt war und wo keine dunklen und zwielichtigen Gestalten einkehrten, suchte. Jeanne d´Arc war bestimmt zu ihrer Zeit eine große Persönlichkeit, wenn sie als Frau geboren, ihre Männer in glänzender Ritterrüstung in die Schlacht geführt und den Sieg gegen die Engländer errungen hatte. Allerdings, im Gegensatz zu ihr, Oscar, wurde sie nicht wie ein Mann erzogen. Oscar wurde nur deshalb zu einem Offizier ausgebildet, um die Nachfolge ihres Vaters, General de Jarjayes, anzutreten.   „Hier scheinen die Menschen zufrieden zu sein.“, bemerkte Graf de Girodel und riss Oscar aus ihren Gedanken. Sie schaute sich um und musste ihm Recht geben. Die Menschen hier bereiteten sich für die Krönung des neuen Königs vor und freuten sich auf die neuen Zeiten genauso wie in Paris und Umgebung.   Oscar überlegte ihr Haus, das sie in der Normandie hatte, aufzusuchen, aber das wäre dann noch ein weiterer Umweg bis zur Küste und eine Zeitverschwendung. „Wir werden morgen die Stadt genauer ansehen und übermorgen, bei Sonnenaufgang, reisen wir weiter.“, sagte sie und entdeckte ein Gasthof. „Wir werden dort übernachten.“   Girodel und André folgten ihr. Der Gasthof war gut gepflegt, hübsch ausgestattet und nicht für Menschen mit kleinem Geldbeutel geeignet. Deshalb befanden sich auch wenige Gäste hier, was für die drei vollkommen ausreichte. Jeder von ihnen bekam ein Zimmer und Girodel war gespannt, was nun folgen würde. In den ersten Übernachtungen in anderen Gasthöfen und auf dem Weg hierher, war ihm zwischen Lady Oscar und André nichts aufgefallen. Aber das hieß noch lange nichts und vor ihnen lag noch eine lange Reise. Irgendwann würden sie es nicht mehr aushalten und die Nähe des anderen suchen. Dann würde er sie wieder beobachten und in seinen düsteren Gedanken André beseitigen und mit Lady Oscar die Liebe verleben. Jedoch auch diesmal passierte nichts. Umsonst hatte Girodel in dunkler Ecke gelauert und bis nach Mitternacht darauf gewartet, dass André ins Zimmer von Lady Oscar ging. Er gab auf, als die Müdigkeit ihn langsam ergriff und seine Augenlider schwerer wurden. Unverrichteter Dinge ging er in sein Zimmer zurück und am nächsten Tag, während sie zu dritt die Stadt erkundeten, versuchte er in ihre Gesichtern zu lesen und somit etwas über ihr heimliches Treffen herausfinden. Erfolglos. Lady Oscar und André trugen weiterhin eine undurchschaubare Miene zur Schau und verhielten sich unauffällig. Weder liebreizende und verstohlene Blicke zueinander, noch unbeabsichtigte Berührungen der Hände und nicht einmal ein kleines Lächeln zeigten sie sich gegenüber. Sie deuteten Victor damit an, dass sie gewöhnliche Freunde waren und sich dementsprechend auch verhielten. Wenn sie nur wüssten, was er bereits über sie in Erfahrung gebracht hatte…   Dieses distanzierte Verhalten pflegten sie auch auf der weiteren Reise. Nach Rouen in der Normandie war Rennes in der Bretagne dran. Danach Le Mans in der Grafschaft Maine, Orléans in dem Orléanais und Tours in der Touraine. An jedem Ort und in jeder Stadt, wo sie sich aufhielten, sah man fröhliche Gesichter der Menschen. Der neue König gab ihnen Hoffnung auf bessere Zeiten und alle bereiteten sich eifrig für dessen Krönung vor. Und überall änderte sich das kühle Verhalten zwischen Lady Oscar und André nicht. So, als hätten sie ihre Liebe aufgegeben. Aber Victor zweifelte daran. Er glaubte eher, dass die beiden sich noch vor der Reise abgesprochen hatten, um ihm keinen Grund zum Verdacht zu geben. Vielleicht war das auch gut so, denn sonst würde seine Eifersucht noch höher steigen und er hätte womöglich seine düsteren Gedanken in die Tat umgesetzt. Aber so hatte er sich im Griff und übte sich in Geduld, bis die Auftragsreise zu Ende sein würde.   Am Ende des Monats erreichten sie Angers in Anjou und blieben dort wegen dem starken Gewitterregen knapp zwei Tage, bevor sie ihre Reise fortsetzten. Als nächstes Ziel kam Poiteres in dem Poitou, dann La Rochelle in dem Aunis, Saintes in der Saintonge, Angouleme in dem Angoumois und Bordeaux in der Aquitaine. Alles lief wie sie es geplant hatten, überall freuten sich die Menschen auf den neuen König, und im heißen Juli erreichten sie Pau in dem Béarn, wo sie wieder wegen dem starken Unwetter und Sommerregen zwei Tage blieben. Und noch immer konnte Girodel nicht beobachten, wie Lady Oscar und André im Verborgenen nach gegenseitiger Nähe gesucht und miteinander Zärtlichkeiten ausgetauscht hatten. Entweder waren sie gute Schauspieler und übten sich gekonnt in Enthaltsamkeit, oder ihm war das eine oder andere Mal doch etwas entgangen. Aber wie auch immer sie das schafften, seine düstere Eifersucht kühlte sich mit der Zeit ab und er freute sich nur darauf, wenn sie wieder Zuhause sein konnten. Dann würde er unverzüglich den General de Jarjayes aufsuchen und ihn bitten, Oscar ehelichen zu dürfen.   Nachdem das Unwetter sich beruhigte, brachen sie nach Toulouse in dem Languedoc auf. Von dort nach Foix in der Grafschaft Foix, Perpignan in Roussillon, Avignon in der Grafschaft Venaissin und Aix-en-Provence in der Provence. Ende August erreichten sie nach einem gemütlichen Ritt Nizza in der Grafschaft Nizza. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)