Brothers von Karma ================================================================================ Kapitel 22: Samstag III - Neue Bekanntschaften ---------------------------------------------- "Kuck mal, Nii-chan, die müssen neu sein." Aufgeregt deutete Yuugi auf ein Set Kanopenkrüge, die in einer Vitrine zur Schau gestellt wurden. Noch immer hielt er die Hand seines Bruders fest und so wurde dieser beinahe ein wenig gegen seinen Willen mit zu der Vitrine gezogen, vor der Yuugi schließlich in die Hocke ging, um sich die Inschriften genauer anschauen zu können. Den Tafeln, die für alle Besucher, die des Altägyptischen nicht mächtig waren, die genaue Bedeutung der Kanopen und ihrer Inschriften erklärten, schenkte er keine Beachtung. Er hatte es, ebenso wie Yami, schon immer vorgezogen, die richtigen Inschriften zu lesen und nicht die Übersetzungen. Die Inschriften übersetzen konnte er schließlich auch selbst. Yami beobachtete seinen kleinen Bruder von der Seite und schmunzelte unwillkürlich, als dieser angestrengt die Stirn runzelte, weil ihm die Bedeutung einer Hieroglyphe nicht sofort einfallen wollte. Genau so hatte Yuugi schon früher ausgesehen, als sie beide von ihrem Großvater das Hieroglyphenalphabet gelernt hatten. Auch wenn er jünger war als sein Bruder, er hatte hinter diesem nie zurückstecken, sondern immer alles ebenso schnell lernen wollen wie Yami. "Ich glaube, die stammen aus der letzten Ausgrabung aus dem Tal der Könige", mutmaßte Yami, der die Tafeln, auf denen die Herkunft der Artefakte vermerkt war, aus seiner Position nicht sehen konnte. Yuugi blinzelte, aber ehe er selbst einen Blick auf die Tafeln werfen und die Vermutung seines Bruders bestätigen oder verneinen konnte, mischte sich eine fremde Stimme von hinter ihnen beiden in das Gespräch ein. "Nein, diese Kanopen stammen nicht aus dem Tal der Könige." Sowohl Yami als auch Yuugi fuhren zu dem Sprecher herum, der sich als junger Mann etwa in Yamis Alter entpuppte. Seine sandfarbenen Haare waren kunstvoll zerzaust, seine Haut braun gebrannt und seine Augen waren von einem seltsam intensiven Lavendelton. Das Auffälligste an ihm war allerdings die Menge an eindeutig echtem und damit sehr wertvollem Goldschmuck, den er trug. "Die Stücke stammen aus einem Grab etwa zweihundert Meilen vom Tal der Könige entfernt", fuhr der Sprecher fort und auf seine Lippen legte sich ein Grinsen. Er sprach fehlerfreies Japanisch, jedoch mit einem melodischen Akzent, den keiner der beiden Muto-Brüder so recht einzuordnen wusste. "Meine Schwester hat das Grab mehr durch Zufall gefunden", erzählte er weiter und reichte den beiden, die noch immer vor der Vitrine hockten, seine Hände, um sie hochzuziehen. Völlig überfahren griff Yuugi nach einer der Hände des Fremden, während sein Bruder sich aus eigener Kraft wieder aufrappelte. "Ich bin übrigens Malik Ishtar", stellte der Fremde sich doch endlich mal vor und nun war es an Yami, die Stirn zu runzeln. Den Namen Ishtar hatte er schon des Öfteren gehört, aber er konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, in welchem Zusammenhang das gewesen war. Yuugi hingegen hatte dieses Problem nicht. "Dann ist deine Schwester Ishizu Ishtar?", hakte er aufgeregt nach und bei der Nennung dieses Namens fiel Yami auch wieder ein, woher er den Namen Ishtar kannte: aus den Erzählungen seines Großvaters. Muto Sugoroku hatte vor längerer Zeit bei diversen Ausgrabungen mit den Eltern von Rishid, Ishizu und Malik Ishtar zusammengearbeitet, bis die Ishtars vor einigen Jahren tödlich verunglückt waren und ihre drei Kinder als Waisen zurückgelassen hatten. Und ihre Tochter, das hatte Sugoroku seinen Enkeln stolz erzählt, war in die Fußstapfen ihrer Eltern getreten und hatte sich der Ägyptologie verschrieben. Sie hatte, erinnerte Yami sich, oft mit seinem Großvater kommuniziert, aber er hatte sie bisher ebenso wenig kennengelernt wie ihre beiden Brüder, von denen der jüngere jetzt offenbar vor Yuugi und ihm stand. "Sehr erfreut, Ishtar-kun", murmelte Yami leise und der Angesprochene warf ihm einen interessierten Blick zu, ehe er zurück zu Yuugi schwenkte und auch diesen musterte. "Ihr müsst Muto-sans Enkel sein", vermutete er ganz richtig und wieder huschte ein Grinsen über seine Lippen, als Yuugi gleich eifrig nickte. "Er hat meiner Schwester mal ein Foto von euch geschickt. Ist allerdings schon ein paar Jahre her. Da hast du", er zeigte auf Yuugi, "allerdings einen Lendenschurz und ein Pektoral getragen und keine moderne Kleidung. Und dein Bruder", ein Blick zu Yami bei diesen Worten, "hatte eine Schreiberpalette auf dem Schoß und eine Schreibbinse in der Hand", schloss er und Yami schmunzelte unwillkürlich. Das Bild, von dem Malik sprach, kannte er gut, zierte es doch als eines von vielen den ziemlich überladenen Schreibtisch seines Großvaters. Yuugi und er mussten etwa sieben und zehn Jahre alt gewesen sein, als es entstanden war. "Da hat Großvater mit uns gerade mal wieder ein bisschen das Hieroglyphenalphabet geübt", erklärte Yuugi und Malik blickte ihn verdutzt an. "Heißt das, ihr könnt das alles wirklich lesen?", wollte er neugierig wissen und Yuugi nickte wieder. "Natürlich! Unser Großvater hat uns alles beigebracht!", erzählte er voller Stolz und unterdrückte mühsam den Drang, Malik die Zunge rauszustrecken, als dieser ihn skeptisch ansah. "Beweise?", verlangte der Ägypter auch prompt und Yuugi blies empört die Wangen auf, ehe er entschlossenen Schrittes zu einer der anderen Vitrinen hinüberstolzierte, in der ein an den Rändern etwas ausgerissenes Stück Papyrus ausgestellt wurde. Ohne einen weiteren Blick auf die Tafel, die das Artefakt näher erklärte, zu werfen, begann Yuugi, den auf dem Papyrus stehenden Text laut vorzulesen. Malik staunte nicht schlecht. "Okay, okay, du hast gewonnen. Und ich muss mich entschuldigen, weil ich's dir nicht sofort geglaubt hab", wandte er sich an Yuugi und dieser reckte triumphierend das Kinn – eine Geste, die Yami ein leises Kichern entlockte. Sein kleines Wiesnäschen war manchmal aber auch einfach zu drollig – ganz besonders dann, wenn er sich bemühte, sich erwachsen zu geben. Er selbst als Yuugis großer Bruder hatte diesem deutlich angesehen, dass er Malik am liebsten die Zunge herausgestreckt hätte, weil dieser es gewagt hatte, an seinen Worten zu zweifeln. "Wollt ihr euch auch noch den Rest der Ausstellung ansehen? Oder wollt ihr nicht vielleicht lieber einen Blick hinter die Kulissen werfen und euch das anschauen, was gerade noch restauriert wird, bevor es in die Ausstellung kommt?", schlug Malik vor und bei diesem Angebot begannen nicht nur Yuugis, sondern auch Yamis Augen zu leuchten. Es war schon eine ganze Weile her, seit sie in den Restaurationsräumen gewesen waren und so ziemlich als Erste das zu sehen bekommen hatten, was zahlende Gäste erst Monate später bestaunen durften. Kein Wunder also, dass die beiden Muto-Brüder sofort Feuer und Flamme waren. "Gerne!", platzte Yuugi auch prompt heraus, während Yami sich bemühte, seine Aufregung zumindest ein wenig zu zügeln, auch wenn ihm das eher schlecht als recht gelang. "Wenn wir wirklich nicht stören …", schränkte er ein, aber den hoffnungsvollen Unterton konnte er nicht ganz aus seiner Stimme verbannen. Malik entging dies keinesfalls und so grinste er breit und zufrieden, ehe er den beiden andeutete, dass sie ihm folgen sollten. "Wenn dem so wäre, hätte ich es bestimmt nicht angeboten", ließ er die Zwei auf dem Weg in die hinteren Räumlichkeiten wissen. Die Tatsache, dass seine Schwester ihm für diese Aktion möglicherweise später unter vier Augen gehörig den Kopf waschen würde, ließ er dabei gekonnt unter den Tisch fallen. Ishizu konnte sich manchmal wirklich ganz schrecklich aufspielen. Er würde schon aufpassen, dass die Artefakte nicht zu Schaden kamen. Aber mit jemandem in seinem Alter Zeit zu verbringen war deutlich interessanter als die ganze Zeit nur blöd rumzusitzen oder sich mit den Besuchern rumschlagen zu müssen, die immer so klugscheißerisch taten und doch von nichts eine Ahnung hatten. Das hier hingegen versprach eindeutig Spaß zu machen. Außerdem will Ishizu doch immer, dass ich mir Freunde suche, also soll sie sich mal nicht so anstellen. oOo "Wollen wir gleich noch mal Schach spielen? Heute gebe ich mir auch mehr Mühe. Versprochen, Nii-sama." Aus großen Augen blickte Mokuba seinen Bruder an. Jetzt, wo zwischen ihnen beiden wieder alles im Lot war, wollte er die Zeit auskosten, die er mit Seto hatte. Es war zwar irgendwie schade, dass Ryuuji nicht da war und sie deshalb nichts zu dritt unternehmen konnten, aber andererseits gab ihm das die Gelegenheit, mal wieder ganz alleine Zeit mit Seto zu verbringen. Und das war eindeutig auch nicht zu verachten. "Gerne", erwiderte Seto auf den Vorschlag seines Bruders und wartete, bis dieser sich von ihm gelöst hatte und aufgestanden war. Dann erhob er sich selbst ebenfalls. "Geh schon mal nach oben. Ich dusche kurz und komme dann nach", ließ er Mokuba wissen und schmunzelte minimal, als der Junge nach einem hektischen Nicken gleich voller Enthusiasmus die Treppen hinauf stürmte. Es tat, stellte Seto dabei für sich selbst fest, wirklich gut, wieder richtig mit Mokuba zu reden und nicht mehr diese seltsame Distanz zu ihm zu fühlen. So, genau so war es früher zwischen ihnen immer gewesen. Wann hatte sich ihr Verhältnis eigentlich so verändert? Unhörbar seufzend stellte Seto die Dusche an, nachdem er sich von seiner Badehose befreit hatte, und wusch sich erst mal das Chlor vom Körper. Eigentlich, wenn er ehrlich zu sich selbst war, dann waren Mokuba und er sich schon seit Jahren nicht mehr so nah gewesen. Nur zu gerne hätte Seto ihren Stiefbruder für alles verantwortlich gemacht, aber die Wahrheit war, dass er selbst derjenige gewesen war, der – unbewusst und auch ungewollt zwar, aber dennoch – einen Keil zwischen seinen Bruder und sich selbst getrieben hatte. Er hatte sich immer bemüht, stark für seinen kleinen Bruder zu sein, und hatte darüber völlig vergessen, dass er Mokuba so ein vollkommen falsches Bild vermittelte. Anstatt für den Jungen da zu sein, hatte er ihn oft genug nur mit Ermahnungen und Belehrungen abgespeist und war mehr eine Art zweiter Vater gewesen als ein großer Bruder. Welche Ironie, dachte Seto bei sich, dass es erst einen eigentlich vollkommen Fremden – Ryuuji – gebraucht hatte, um ihm vor Augen zu führen, was nicht nur Mokuba, sondern auch ihm schon so lange gefehlt hatte. Aber, das nahm Seto sich fest vor, als er die Dusche abdrehte, sich abtrocknete und dann wieder in seine bereitliegende Kleidung schlüpfte, er würde von jetzt an aufmerksamer sein und mehr darauf achtgeben, was sein Bruder wirklich brauchte. Und wenn er sich nicht sicher war, dann würde er Mokuba eben einfach fragen. So schwer konnte das doch nicht sein, oder? Kopfschüttelnd verdrängte Seto diese Gedanken fürs Erste und machte sich auf den Weg ins Wohnzimmer, wo Mokuba schon am Tisch saß. Die Schachfiguren standen bereit und der Junge strahlte, als sein Bruder den Raum betrat – ein Anblick, sinnierte Seto mit einem kaum wahrnehmbaren Lächeln, den er schon viel zu lange nicht mehr gesehen hatte. Früher hatte Mokuba ihn immer so angesehen, aber in den letzten Jahren waren sie einfach auseinandergedriftet. Und er selbst hatte es zugelassen. Aber das war jetzt vorbei. "Dann gib dir mal Mühe, mich zu schlagen, otouto", forderte Seto, nachdem er Platz genommen hatte, und in den blauen Augen seines kleinen Bruders blitzte es kämpferisch. "Oh, das werde ich, keine Sorge", versprach der Fünfzehnjährige und machte mit einem grimmigen Lächeln seinen ersten Zug. Zwar hatten Setos Worte recht überheblich geklungen, aber im Gegensatz zu sonst hörte Mokuba eine deutliche Spur Amüsement aus ihnen heraus. Ihm war durchaus klar, dass er Seto höchstwahrscheinlich auch dieses Mal nicht schlagen würde – dafür war Seto einfach zu gut –, aber Mokuba war fest entschlossen, sich seinem Bruder nicht kampflos geschlagen zu geben, sondern ihm wenigstens eine ordentliche Herausforderung zu bieten. oOo "Nii-chan? Es ist schon ziemlich spät. Wir sollten langsam los." Yuugi unterbrach seinen Bruder nur sehr ungern, hatte dieser sich doch in den letzten Stunden, die sie gemeinsam mit Malik und seiner Schwester Ishizu – Rishid, der älteste der drei Isthar-Geschwister, arbeitete als Koch in einem Restaurant und war deshalb nicht dabei – in der Restaurationswerkstatt des Museums verbracht hatten, entgegen aller Befürchtungen wirklich gut amüsiert. Allerdings war es, wie ein kurzer Blick aus dem Fenster dem Fünfzehnjährigen klarmachte, inzwischen reichlich spät. Wenn sie noch die Hausaufgaben für Ryuuji abliefern wollten, dann sollten sie sich wirklich beeilen, denn sonst würden sie zu spät zum Abendessen kommen. Und das sahen ihre Eltern wiederum ganz und gar nicht gerne. Nicht ausgerechnet am Wochenende, wenn sie mal ein bisschen Zeit hatten, als Familie gemeinsam zu essen. "Hm?" Yami, der gerade in eine lebhaft-hitzige Diskussion mit Malik vertieft gewesen war – sie hatten sich einfach nicht über die korrekte Übersetzung einer ganz bestimmten Passage eines Papyrus' einigen können; nicht mal Ishizus Eingreifen hatte daran etwas geändert –, blinzelte überrascht, als sein Bruder ihn ansprach und ihn mit einem Nicken in Richtung der draußen herrschenden Dämmerung darauf aufmerksam machte, dass sie eigentlich viel länger im Museum geblieben waren als geplant. Seltsam, sinnierte Yami. Ihm war gar nicht aufgefallen, wie die Zeit vergangen war. Aber das war wohl kein Wunder, hatte das alte Ägypten ihn doch seit jeher fasziniert. Und wann hatte er schon mal die Gelegenheit, mit jemandem außer seinem Großvater oder seinem kleinen Bruder über seine Leidenschaft zu sprechen – noch dazu mit jemandem, der schon selbst an ein paar Ausgrabungen teilgenommen hatte? Kein Wunder, dass er überhaupt nicht mitbekommen hatte, wie es immer später und später geworden war. "Du hast Recht, Yuugi." Es war wirklich allerhöchste Zeit zu gehen. Immerhin brauchte Otogi seine Hausaufgaben wirklich noch; Seto hatte sie ihm ganz sicher bisher nicht verraten. Trotzdem musste Yami sich eingestehen, dass er am liebsten noch eine Weile geblieben wäre – etwas, was die Ishtar-Geschwister ihm scheinbar an der Nasenspitze ansahen. "Wenn ihr Lust habt, könnt ihr ja morgen wiederkommen", bot Ishizu an und bedachte die beiden Muto-Brüder mit einem Lächeln, ehe sie sich ihrem eigenen Bruder zuwandte und diesem einen strengen Blick schenkte. "Ich werde mich bemühen, dass mein Bruder sich dann besser benimmt", versprach sie und Malik streckte ihr die Zunge heraus, was Yuugi zum Kichern reizte. "Ich habe mich benommen!", behauptete Malik empört und warf Yami einen Blick zu. "Ist doch nicht meine Schuld, wenn er partout nicht einsehen will, dass ich Recht habe!", schob er noch hinterher und sein Grinsen bei diesen Worten war dermaßen entwaffnend, dass nun auch Yami lachen musste. "Daneben benommen trifft's wohl eher. Und du hast Unrecht", schoss er zurück, aber ehe die beiden sich wieder in ihre Diskussion vertiefen konnten, schnappte Yuugi sich die Hand seines Bruders und zog diesen mit sich. "Ihr könnt das ja morgen ausdiskutieren", schlug er vor und noch ehe Yami so recht wusste, was er da tat, hatte er auch schon genickt. "Klar, gerne. Und dann wirst du auch endlich einsehen, dass ich Recht habe!", wandte er sich an Malik, der grinsend den Kopf schüttelte. "Träum weiter!", war das letzte, was Yami noch hörte, ehe die Tür der Werkstatt hinter Yuugi und ihm ins Schloss fiel. Yuugi, der den Schlagabtausch mit wachsender Zufriedenheit beobachtet hatte, grinste still vor sich hin. So gefiel ihm sein großer Bruder schon viel besser. Also war die Sache mit dem Museum doch wirklich eine gute Idee gewesen. Yami hatte die Ablenkung bekommen, die er so dringend gebraucht hatte, und sie beide hatten nicht nur eine Menge faszinierender Artefakte zu sehen bekommen, sondern mit den Ishtar-Geschwistern auch noch wirklich nette und vor allem interessante Menschen kennen gelernt. Es war schön, den Namen, die ihr Großvater so oft erwähnt hatte, jetzt endlich Gesichter zuordnen zu können. "Also gehen wir morgen wieder hin?", wollte Yuugi rein rhetorisch wissen und verbiss sich ein Kichern, als sich ein halb grimmiges, halb amüsiertes Grinsen auf den Lippen seines Bruders zeigte. "Worauf du dich verlassen kannst, otouto!", versichert Yami ihm. Er würde, sobald er wieder zu Hause war, seine Unterlagen, die er von seinem Großvater bekommen hatte, durchsehen. Und morgen würde er Malik beweisen, dass er Recht gehabt hatte mit seiner Übersetzung, so viel stand jetzt schon fest! Yuugi beobachtete seinen großen Bruder von der Seite her. Ihm war nicht entgangen, wie viel Spaß dieser am heutigen Nachmittag gehabt hatte. Mal mit jemandem in seiner eigenen Altersklasse ausführlich über sein Faible für alles Ägyptische sprechen zu können war eben doch was ganz anderes, als immer nur mit ihrem Großvater darüber zu reden. Sicher, diese Gespräche wollte keiner von ihnen missen, aber es lagen doch Welten zwischen einem alten Mann, der schon alles gesehen und erlebt hatte, und jemandem, der noch genauso am Anfang all dessen stand wie sie beide. In allerbester Stimmung zog Yuugi seinen großen Bruder in Richtung des Busses, den sie nehmen mussten, um zur Kaiba-Villa zu kommen. Yami lachte, unternahm aber nichts dagegen, dass er wieder von seinem kleinen Bruder mitgeschleift wurde. Er war seinem kleinen Wiesnäschen eindeutig etwas schuldig für den heutigen Tag, das stand fest. Wäre Yuugi nicht so hartnäckig gewesen, dann säße er sicher immer noch in seinem Zimmer, vergraben in seiner schlechten Laune. Nein, so, wie es jetzt war, war es eindeutig besser. Es hatte wirklich gut getan, abgelenkt zu werden und sich immer wieder mal Wortgefechte mit Malik zu liefern. Der Ägypter war, sinnierte Yami, ganz schön stur. Aber gerade das war es, was ihm solchen Spaß gemacht hatte. Und morgen werde ich ihm endgültig beweisen, dass ich Recht habe – egal, was er davon hält! oOo Über die Schachpartie vergingen die nächsten Stunden für die beiden Kaiba-Brüder wie im Flug. Erst als Isono, der zwischenzeitlich zur Villa zurückgekehrt war, nach einem kurzen Telefonat wieder aufbrach, registrierten sowohl Seto als auch Mokuba, wie spät es inzwischen war. Draußen dämmerte es bereits und bei der Erinnerung daran, was das bedeutete, begannen Mokubas Augen zu leuchten. Bald würden ihre Eltern von ihrer Hochzeitsreise zurückkehren. "Ich hoffe, Ryuuji ist rechtzeitig wieder da, um Vater und Yukiko-san zusammen mit uns in Empfang zu nehmen!", platzte er heraus und erinnerte seinen älteren Bruder damit unversehens an die Person, deren Existenz er bis eben erfolgreich verdrängt gehabt hatte. "Bestimmt, otouto", murmelte Seto und verkniff sich mit Mühe ein Seufzen. Mit der Erwähnung Ryuujis waren all die Dinge, an die er eigentlich nicht mehr hatte denken wollen und die er in den letzten Stunden erfolgreich aus seinem Bewusstsein verbannt hatte, mit einem Mal wieder so präsent, dass es Seto schwer fiel, eine einigermaßen gleichgültige Fassade aufrecht zu erhalten. Er wollte definitiv nicht, dass Mokuba merkte, dass zwischen Ryuuji und ihm etwas vorgefallen war. Aber wie, fragte er sich, sollte er das geheim halten? Wenn Ryuuji auch nur ein einziges Wort über den Streit vom Donnerstagabend verlor, dann wäre er vor Mokuba in arger Erklärungsnot – von seinem Vater ganz zu schweigen. Es war wohl nur dem Urlaub, den ihr Vater sich genommen hatte, geschuldet, dass er bisher noch nichts von der desaströsen Party und dem Ausrutscher seines ältesten Sohnes erfahren hatte. Aber, sinnierte Seto, seine diesbezügliche Schonfrist würde wohl bald ablaufen. Wunderbar. Einfach wunderbar. Zwar war ihm dank seines Gesprächs mit Yami inzwischen bewusst, warum er sich an diesem Abend einen solchen Fauxpas geleistet hatte, aber das machte es nicht besser, denn das konnte er seinem Vater auf gar keinen Fall erklären. Aber wie sollte er sich sonst rechtfertigen? Wie konnte er seinem Vater gegenübertreten mit dem Wissen, wie es in ihm aussah? Die Türklingel unterbrach Setos Gedanken. Ehe er jedoch dazu kam, aufzustehen, war Mokuba auch schon aufgesprungen und vorausgerannt. "Vielleicht sind sie das schon!", rief der Fünfzehnjährige seinem Bruder über die Schulter hinweg zu, ehe er um die Ecke verschwand. Seto war versucht, ihn darauf aufmerksam zu machen, dass ihr Vater ganz sicher nicht klingeln würde, aber da sein Bruder ihn ohnehin nicht mehr hören konnte, sparte er sich den Atem und folgte ihm stattdessen in den Flur, wo er sich zu seiner Überraschung nicht mit seinen Eltern und auch nicht, wie er schon halb befürchtet hatte, mit Ryuuji konfrontiert sah, sondern mit Yami und Yuugi. "Was für eine Überraschung", kommentierte Seto den Besuch der beiden Muto-Brüder, aber er kam nicht dazu, mehr zu sagen, denn Mokuba wedelte die beiden gleich hektisch durch in Richtung Wohnzimmer. Dabei plapperte er ununterbrochen auf Yuugi ein, was diesen jedoch in keinster Weise zu stören schien. Im Gegenteil, stellte Seto fest, denn Yamis kleiner Bruder war mindestens ebenso überdreht wie sein eigener. Und auch Yami sah im Gegensatz zum Vortag heute schon wesentlich fitter aus, wie der Brünette mit einem kurzen Blick bemerkte. "Wir kommen gerade aus dem Museum", erklärte Yami seinem besten Freund den ›Überfall‹ und begann dann, in seiner Tasche herumzukramen, in der er die Unterlagen für Setos Stiefbruder untergebracht hatte. "Ist Otogi auch da? Ich habe ihm die Hausaufgaben von gestern mitgebracht." Yami sprach absichtlich recht leise, so dass weder Yuugi noch Mokuba etwas davon mitbekamen. Dennoch zuckte Seto kurz zusammen und sein Blick huschte unwillkürlich zu seinem Bruder, aber der war so in sein Gespräch mit Yuugi vertieft, dass er tatsächlich nichts gehört hatte. "Er ist nicht hier. Ich weiß nicht, wann er gegangen ist. Und ich habe nicht die leiseste Ahnung, wo er sich herumtreibt." Was Seto zugegebenermaßen ungemein wurmte, auch wenn er sich die größte Mühe gab, sich davon nichts anmerken zu lassen. Ob Ryuuji bei dem Kläffer und Kinoshita war? Und wenn ja, was mochten die Drei wohl tun? Nein, das waren Dinge, über die Seto ganz und gar nicht nachdenken wollte, also schob er sämtlichen diesbezüglichen Gedanken energisch einen Riegel vor. "Das ist blöd." Yami fischte die Unterlagen aus seiner Tasche und zögerte einen Moment, ehe er sie seinem besten Freund in die Hand drückte. "Gibst du sie ihm dann bitte? Yuugi und ich sollten langsam nach Hause, sonst kommen wir zu spät zum Essen. Und du weißt, wie unsere Mutter dann ist", murmelte er augenrollend und verbiss sich ein Seufzen, als er den Blick sah, mit dem Seto den Papierstapel in seiner Hand beäugte. Ihm war deutlich anzusehen, wie sehr es ihm missfiel, den Boten spielen zu müssen, aber eine andere Lösung gab es wohl wirklich nicht. Yamis Mutter war ein herzensguter Mensch, aber bei den wenigen Regeln, die sie ihren Söhnen setzte, erwartete sie, dass die beiden sie auch tatsächlich befolgten. Und gemeinsame Abendessen am Wochenende gehörten für sie einfach zum Familienleben dazu. Ganz uncharakteristisch seufzte Seto abgrundtief, ehe er seinem besten Freund zunickte. "Ich werde ihm die Unterlagen geben", versicherte er und Yami lächelte erleichtert. "Ich weiß, dass das für dich nicht einfach ist, Seto. Danke", murmelte er und winkte dann seinem kleinen Bruder zu, dass dieser sich von Mokuba loseisen sollte. "Wir müssen los, Yuugi", erinnerte er den Jungen und dieser verabschiedete sich noch kurz von seinem schwarzhaarigen Freund und dessen Bruder, ehe er sich Yami anschloss. Es war wirklich höchste Zeit, dass sie nach Hause kamen. Sobald die Tür hinter den Muto-Brüdern zugefallen war, gesellte Mokuba sich zu seinem eigenen Bruder, der noch immer vor der Wohnzimmertür stand. Neugierig versuchte er, einen Blick auf die Papiere zu werfen, die Seto in der Hand hielt, doch ehe er dazu kam, hatte der Ältere die Zettel auch schon zusammengefaltet und in seiner Hosentasche verstaut. Das Wissen, dass er nach dessen Heimkehr zumindest kurzzeitig mit Ryuuji würde sprechen müssen, wenn er ihm die Unterlagen überreichte, verursachte ihm beinahe schon Magenschmerzen, aber er gab sich Mühe, sich davon nichts anmerken zu lassen. Kurzzeitig war Seto sogar versucht, die Unterlagen einfach in Ryuujis Zimmer auf den Schreibtisch zu legen, aber die Erinnerung an den Streit vom Donnerstagabend und das Gespräch, das er am Vorabend heimlich belauscht hatte, hinderte ihn daran. Wenn es nach ihm ging, würde er diesen Raum nicht mehr betreten, solange Ryuuji mit ihnen unter einem Dach lebte. Blieb wohl nur, den Schwarzhaarigen abzufangen, wenn er nach Hause kam, und ihm einfach nur schnell die Unterlagen zu überreichen. Mit ihm reden, sinnierte Seto, musste er ja nicht zwangsläufig. Ryuuji war schließlich durchaus des Lesens mächtig, also würde er sich ja wohl denken können, was er mit den Zetteln zu tun hatte. oOo "Gnade, Blankey! Ich kann nicht mehr!" Lachend und japsend ließ Ryuuji sich wieder auf die Bank fallen, auf der er Ryous Englischsachen deponiert hatte. Während der letzten Stunden hatten Honda und er Hondas Hündin Blankey gemeinsam bespaßt, waren mit ihr über die Wiese getollt und hatten so lange ihren Ball immer wieder geworfen, bis Ryuuji sich sicher war, dass ihm bald der Arm abfallen würde. Nicht, dass das Blankey in irgendeiner Form davon abgehalten hatte, immer und immer wieder den Ball zu bringen und die beiden Jungen abwechselnd bettelnd anzusehen – so lange, bis sich einer von ihnen erbarmt und den Ball doch noch ›ein letztes Mal‹ für sie geworfen hatte. "Sag mal, lädt dein Hund sich eigentlich durch Bewegung selbst wieder auf?", wollte der Schwarzhaarige noch immer etwas außer Atem von seiner Zufallsbekanntschaft wissen, als Blankey schon wieder mit dem Ball angerannt kam und ihn dieses Mal zur Abwechslung Honda in die Hand drückte. "Ich glaub schon", erwiderte dieser mit einem breiten Grinsen, setzte sich ebenfalls auf die Bank und bedeutete seiner Hündin dann, sich vor ihnen auf die Wiese zu legen. Dann gab er ihr den Ball zurück, auf dem sie gleich voller Enthusiasmus herumzukauen begann. Ryuuji beobachtete Blankey einen Moment lang fassungslos, dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder ihrem Herrchen zu und sah diesen vorwurfsvoll an. "Heißt das, wir hätten schon viel eher eine Pause machen können und du hast mich völlig umsonst die ganze Zeit immer wieder über die Wiese gehetzt?", erkundigte er sich und Hondas Grinsen bekam etwas Ertapptes. "Vielleicht?", gab er zu und lachte, als der Schwarzhaarige ihn für dieses halbe Geständnis empört gegen den Oberarm boxte. "Du sahst nicht aus, als hätte es dir nicht gefallen", verteidigte er sich. "Und so ein bisschen Bewegung schadet dir schon nicht." "Ein ›bisschen Bewegung‹? Das war kein ›bisschen Bewegung‹, das war Folter!", beschwerte Ryuuji sich, aber auch seine Mundwinkel zuckten und straften seine Beschwerde so Lügen. Eigentlich, wenn er es so genau bedachte, war es gar nicht so schlimm gewesen. Im Gegenteil. Honda und Blankey hatten ihn sogar sehr gut beschäftigt und abgelenkt. Er hatte während der letzten Stunden absolut keine Zeit gehabt, in Grübeleien über Seto zu versinken, und dafür war er eindeutig dankbar. So gut, wie er sich gerade fühlte, würde es später sicher kein Problem sein, für seine Mutter zumindest zeitweise heile Welt zu spielen. "Dann stehst du wohl auf Folter." Honda lachte wieder und Ryuuji konnte nicht anders als mit einzustimmen. "Scheint so", gestand er amüsiert, aber ehe er noch mehr sagen konnte, unterbrach ihn das Klingeln seines Handys. "Sorry", wandte er sich kurz an seinen Sitznachbarn, ehe er das Gespräch entgegennahm. "Hey, Ryou", begrüßte er den Anrufer und schmunzelte, als er nicht nur Ryous, sondern auch Bakuras Stimme im Hintergrund hörte. "Okay, ich sag Isono-san Bescheid. Sag deinem Bruder, wir liefern ihn auch eben zu Hause ab, wenn er will. Wir treffen uns am Parkausgang, wo wir uns heute Mittag getrennt haben, okay?", bot er an, wartete noch kurz Ryous Bestätigung ab, ehe er das Gespräch beendete und Isono-san anrief. Sobald dieser ihm versichert hatte, dass er umgehend losfahren würde, beendete er auch dieses Gespräch und ließ das Handy wieder in seine Hosentasche gleiten. "Dann sollten Blankey und ich wohl auch so langsam nach Hause." Honda erhob sich von der Bank, streckte sich kurz und grinste, als Blankey gleich enthusiastisch aufsprang. "Nein, wir spielen jetzt nicht weiter. Wir gehen nach Hause", erklärte er ihr und nun grinste auch Ryuuji. "Blankey, du bist unmenschlich", warf er der Hündin vor, meinte die Worte aber keinesfalls böse. Es hatte gut getan, einfach nur herumzurennen und ab und zu von Blankey angesprungen und umgeworfen zu werden. Seine Probleme hatten sich dadurch zwar nicht in Luft aufgelöst, aber er fühlte sich auf jeden Fall schon wesentlich mehr im Gleichgewicht als am Mittag. "Bist du öfter mit ihr hier?", erkundigte Ryuuji sich daher und Honda blinzelte einen Moment lang irritiert, ehe er nickte. Dabei schlich sich gleich wieder ein kleines Grinsen auf seine Lippen. "Also sind wir dir nicht auf die Nerven gefallen? Oder willst du einfach nur weiter deinem Fetisch frönen und dich öfter foltern lassen?", neckte er den Schwarzhaarigen und dieser zwinkerte ihm grinsend zu. "Vielleicht?", gab er ebenso neckend zurück. Doch, dachte er dabei, so etwas wie das hier konnte er durchaus öfter gebrauchen. "Blankey und ich sind eigentlich jeden Tag hier. Ich wohne hier ganz in der Nähe, da bietet sich das an." Honda deutete ein Kopfnicken in Richtung des Parkausgangs an und Ryuuji schmunzelte. "Was hab ich ein Glück", kommentierte er das und machte sich gemeinsam mit Honda, Blankey und Ryous Englischsachen auf den Weg zum Treffpunkt. Inzwischen war es reichlich spät und er sollte wohl wirklich zusehen, dass er nicht nur Ryou und Bakura nach Hause brachte, sondern selbst auch nach Hause kam. Immerhin würden seine Mutter und Gozaburo-san im Laufe des Abends von ihrer Hochzeitsreise zurückkommen und da sollte er schon anwesend sein, um die beiden zu begrüßen. Den Gedanken daran, dass er dadurch zwangsläufig auch Seto wieder gegenübertreten musste, drängte er fürs Erste weit in den hintersten Winkel seines Bewusstseins zurück. Darüber konnte er sich auch später noch Sorgen machen, aber nicht jetzt. Schon aus mehreren Metern Entfernung war die kaibasche Limousine, die inzwischen bereits eingetroffen war und am Ausgang des Parks stand, deutlich zu sehen. Und, stellte Ryuuji fest, Ryou und Bakura, die offenbar schon vor ihm den Ausgang erreicht hatten, warteten gemeinsam mit Isono-san bereits auf ihn. "Sieht aus, als wäre dein Begrüßungskomitee da", witzelte Honda bei dem Anblick und Ryuuji grinste. "Scheint ganz so." "Dann solltest du deine Fans lieber nicht noch länger warten lassen." Honda hob noch mal die Hand zum Abschied und wartete, bis Ryuuji sich auch noch eben von Blankey verabschiedet hatte, dann machte er sich gemeinsam mit ihr auf den Heimweg, während Ryuuji sich zu der wartenden Gruppe gesellte. Und kaum dass er die Drei erreicht hatte, grinste Bakura ihm auch schon entgegen. "Du machst dir wohl überall Freunde, was?", flachste er und Ryuuji lachte. "Es ist eine Gabe, Bakura", konterte er und zwinkerte dem Älteren der beiden Weißhaarigen zu, ehe er gemeinsam mit ihnen in die Limousine stieg, deren Tür Isono-san bereits für sie aufhielt. Ryou, der den Schlagabtausch – wenn man die Neckerei denn so nennen konnte – zwischen seinem Bruder und Ryuuji beobachtet hatte, ertappte sich dabei, nach Anzeichen für die unglückliche Verliebtheit zu suchen, von der Kura ihm erzählt hatte, aber er konnte nichts entdecken. Ryuuji erschien ihm ganz genau wie sonst auch, wenn er ihn bisher getroffen hatte: gut gelaunt, immer mit einem flotten Spruch auf den Lippen und mit einem Selbstbewusstsein, das absolut unerschütterlich zu sein schien. Kein Wunder, dass Mokuba so schrecklich in ihn verknallt ist, dachte der Fünfzehnjährige und seufzte – ein Fehler, rückte ihn dies doch gleich wieder in den Fokus seines großen Bruders. Und auch Ryuuji warf ihm einen fragend-besorgten Blick zu, der dem Jungen direkt wieder die Schamesröte in die Wangen trieb. Ryuuji, der zumindest eine vage Vermutung hatte, was Ryou durch den Kopf ging, wollte eigentlich gerade nachhaken, verkniff sich das jedoch, als Bakura einfach nur einen Arm um die Schultern seines kleinen Bruders legte und ihn so an sich zog. Er sagte nichts, aber Ryous zufriedenes Seufzen und sein Gesichtsausdruck, der zwischen Freude über diese kleine Geste und Sorgen wegen seines Gefühlschaos schwankte, sprach Bände. Der Fünfzehnjährige hatte seine Augen geschlossen und so entging ihm der Blick, den Ryuuji und Bakura über seinen Kopf hinweg wechselten, vollkommen. Er war einfach nur froh, dass sein Bruder immer noch da war und dass Ryuuji angeboten hatte, dass Bakura mitfahren konnte, denn so verlängerte sich das bisschen Zeit, das er mit ihm verbringen konnte, um ein paar kostbare Minuten. Dennoch war die Fahrt viel zu schnell für Ryous Geschmack wieder zu Ende. Ein leises Klopfen an der Scheibe der Limousine riss den Jungen aus seinen Gedanken. Widerstrebend löste er sich von seinem Bruder. "Danke, Kura. Für alles", nuschelte er so leise, dass es hoffentlich nur sein Bruder verstehen konnte, ehe er gemeinsam mit Ryuuji ausstieg. Der Schwarzhaarige begleitete ihn noch bis zur Haustür und hielt ihn auf, ehe er diese aufschließen konnte. "Ich hab mir deine Englischsachen mal angesehen und ein paar Anmerkungen reingeschrieben. Nur für den Fall, dass dein Dad kontrolliert, ob wir auch wirklich gelernt haben", ließ er Ryou wissen und händigte diesem seine Unterlagen wieder aus. Der Fünfzehnjährige schluckte hart, aber der Kloß, der in seinem Hals festsaß, wollte sich nicht lösen. Dabei wäre es so leicht, ›Danke‹ zu sagen, aber er brachte das Wort einfach nicht über die Lippen. Allerdings schien Ryuuji auch nichts dergleichen erwartet zu haben, denn er sprach direkt weiter. "Und wenn noch mal irgendwas ist oder du mit deinem Bruder sprechen musst, sag mir einfach Bescheid. Meine Nummer hast du ja jetzt. Ich geb's dann direkt an Bakura weiter. Okay?", bot er an. Ryou schluckte erneut und verfluchte seine Eifersucht. Auch wenn er durch sein Gespräch mit seinem Bruder jetzt wusste, dass Ryuuji keinerlei Interesse an Mokuba hatte – jedenfalls nicht die Art von Interesse, die er selbst an Mokuba hatte –, änderte das doch rein gar nichts an Mokubas Gefühlen seinem Stiefbruder gegenüber. "Danke." Das Wort kam so leise aus Ryous Mund, dass er sich schon fast sicher war, dass Ryuuji ihn nicht gehört hatte, doch der Schwarzhaarige hatte ihn durchaus verstanden. "Kein Ding, Ryou. Wirklich nicht. Wie gesagt, wenn du noch mal irgendwas brauchst, ruf mich einfach an", wiederholte er sein Angebot, drückte den Jungen zum Abschied noch einmal und sprintete dann zurück zur Limousine. Durch die getönten Scheiben hatte Bakura seinen kleinen Bruder die ganze Zeit über beobachtet. Er war absichtlich nicht ausgestiegen, damit sein Vater ihn nicht durch einen Zufall noch sah und begriff, dass Ryou den Nachmittag nicht mit Lernen, sondern mit seinem älteren Bruder verbracht hatte. Als Ryou die Tür öffnete und nach einem letzten Winken, das sowohl Ryuuji als auch Bakura galt, im Inneren des Hauses verschwand, seufzte der Neunzehnjährige abgrundtief, aber er sagte nichts. Und Ryuuji, der inzwischen ebenfalls wieder eingestiegen war und Isono-san Katsuyas Adresse genannt hatte, um Bakura noch eben zu Hause abzusetzen, schwieg ebenfalls. Bakura sah nicht aus, als stünde ihm im Moment der Sinn nach Konversation. Erst als der Wagen vor dem Haus, in dem Katsuya und inzwischen auch Bakura wohnten, anhielt, brach Ryuuji das Schweigen. "Ich hab Ryou gesagt, dass er sich bei mir melden soll, wenn er noch mal mit dir sprechen will. Dann sag ich dir direkt Bescheid. Ich hoffe, das ist okay", ließ er den Weißhaarigen wissen und dieser schwieg noch einen Moment, ehe er knapp nickte – eine Geste, die Ryuuji als so typisch für Bakura empfand, dass er unwillkürlich schmunzeln musste. Bloß nicht ein Wort zu viel verlieren, dachte er bei sich, aber seltsamerweise störte ihn Bakuras Einsilbigkeit kein bisschen. So war er eben. "Hast was gut bei mir", überraschte Bakura seinen schwarzhaarigen Klassenkameraden doch noch mit einer verbalen Antwort, ehe er ausstieg und die Tür so hastig hinter sich zuschlug, dass Ryuuji kichern musste. Offenbar war es Bakura hochgradig peinlich, solche Nettigkeiten von sich zu geben, und deshalb glich er sie mit besonders schroffem Verhalten direkt wieder aus. "Ich denke, es wird Zeit, dass ich nach Hause komme", wandte Ryuuji sich an Isono-san, sobald er sich von seinem Anfall von Heiterkeit wieder erholt hatte. Isono-san nickte nur, fuhr die Trennwand wieder hoch und gleich darauf setzte sich die Limousine in Bewegung. Und jetzt, wo Ryuuji ganz allein mit seinen Gedanken war, drohte all das, was er den ganzen Nachmittag über verdrängt hatte, wieder an die Oberfläche zu kommen, doch er schob dem Ganzen energisch einen Riegel vor und lenkte sich mit Erinnerungen an die Zeit im Park ab, bis die Limousine zum Halten kam und Isono-san ihm die hintere Tür öffnete. "Vielen Dank, Isono-san", bedankte Ryuuji sich bei ihm und betrat dann die Villa, wo ihn keine zehn Sekunden später Mokuba auch schon beinahe über den Haufen rannte. Der Fünfzehnjährige schaffte es mit Mühe und Not, rechtzeitig zum Stehen zu kommen, und lief scharlachrot an, als sein Stiefbruder ihn aufgrund dieser Aktion breit angrinste. "Na, hast du mich so sehr vermisst, dass du mir direkt in die Arme rennen musst?", neckte Ryuuji den Jüngeren und Mokubas Gesichtsfarbe wurde noch etwas dunkler. "I-Ich dachte, das wären vielleicht Vater und deine Mutter", erklärte er seine Hast und Ryuuji wuschelte ihm grinsend durch die Haare. "Dachte ich mir schon", erwiderte er gut gelaunt und drückte Mokuba kurz, ehe er sich erst mal seiner Jacke und seiner Schuhe erledigte. Mokuba, der die Zeit genutzt hatte, um seinen Stiefbruder von oben bis unten zu mustern, zog fragend die Stirn kraus. An Ryuujis Jacke und auch an seiner Hose klebten Grashalme, die da ganz sicher noch nicht gewesen waren, als der Ältere am Mittag losgezogen war. "Bist du über eine Wiese gerollt?", wollte Mokuba wissen und Ryuuji schmunzelte. "Eher auf eine Wiese geworfen worden", korrigierte er, gab jedoch keine weitere Erklärung ab. "Ich denke, ich sollte mich erst mal umziehen. Mum kriegt sonst einen Schreck, wenn sie mich so sieht." Damit ließ er seinen Stiefbruder im Flur der Villa stehen und sprintete nach oben in sein Zimmer, um sich dort erst einmal mit frischer Kleidung zu versorgen. Mokubas Neugier, die ihm deutlich sichtbar ins Gesicht geschrieben stand, konnte er auch später noch stillen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)