Krieger des Lichts von Cedar ================================================================================ Kapitel 2: Kapitel Zwei. Trugschluss. ------------------------------------- I Mit zitternden Gliedern beugte Kotetsu sich über die Edelstahlschale auf seinem Schoß. Die verwaschenen Umrisse seines Gesichtes spiegelten sich auf der matt-glänzenden Oberfläche des Metalls wider, so konturlos wie das des Geistes heute Morgen. Noch immer hörte Kotetsu sie in seinen Gedanken, doch anstatt zu rufen oder zu schreien, schnaufte und ächzte sie. (Kotetsu! Kotetsu!) Kotetsu stöhnte auf, als sein Magen zusammen schrumpelte und seine Bauchdecke sich mit einem Ruck zu seiner Wirbelsäule zog. Der Ruck erfasste seinen Körper mit solch einer Wucht, dass Kotetsu für einen kurzen Moment fürchtete, die Augen könnten aus seinem Schädel ploppen und sah sogar, wie sie an Nervensträngen und Blutgefäßen vor seinem Gesicht baumelten als wären die Stränge und Gefäße ein Gummiband (boing-boing-boing). In seinem Kopf kicherte die Geisterfrau. Laut und hämisch, sodass er sein eigenes Würgen kaum hörte. Seine Zunge zuckte zwischen seinen Zähnen hervor, aber abgesehen von einem Faden klebrigen Speichel gab sein Körper nichts mehr her. Als die Übelkeit endlich nachließ, sank Kotetsu in das Kissen zurück. Seine Finger glitten dabei von der Edelstahlschale. Sie wäre zu Boden gefallen, hätte Izumo sie nicht aufgefangen. Der saß an der Kante von Kotetsus Bett und legte ihm nun die Hand auf die Schulter. "Hast du Schmerzen?" Ja. In seinem Gesicht, unter seiner Haut. Aber Kotetsu fehlte selbst die Kraft, um zu nicken. Es ist ihr Atem, Izumo. Heiß wie Feuer. Ich glaube, er verbrennt mich innerlich. Kotetsus Lippen bewegten sich und in seinen Ohren klangen die Worte klar. Tatsächlich gab er jedoch nur silbenloses Gestammel von sich, das zusammen mit noch mehr Spucke aus seinem Mund suppte. Mit einem dunkelblauen Tuch wischte eine Schwester den Speichel ab. Izumo schüttelte den Kopf. Seine Hand glitt von Kotetsus Schulter und umgriff stattdessen seine Finger. "Spar' dir deine Kraft, mein Freund. Ich versteh' kein Wort." Aus Kotetsus Handrücken ragte ein rosaner Plastikkopf, in dem ein dünner Schlauch steckte. Aus einem Beutel, aufgehängt in einem Metallgestell auf Rollen, tropfte eine durchsichtige Flüssigkeit durch den Schlauch in Kotetsus Körper: Kochsalzlösung, wie eine Schwester ihm erklärt hatte, Um den Flüssigkeitshaushalt auszugleichen. Auf seiner Brust klebten Elektroden, die seinen Herzschlag aufzeichneten. Auf einem schwarzen Monitor neben dem Bett machten grüne Zacken die Kontraktionen des Muskels sichtbar, begleitet von einem regelmäßigen “Bib. Bib. Bib.” Um die seine Sauerstoffwerte zu überwachen, steckte sein linker Zeigefinger in einer Klammer und die schwarze Manschette um seinen Oberarm blähte sich in regelmäßigen Abständen auf, staute den Fluss seines Blutes und erschlaffte dann wieder, während der Monitor den Blutdruck nahm. Am Fußende des Bettes stand Haruno Sakura. Die Ärmel ihres weißen Kittels waren bis über die Ellenbogen hochgekrempelt. Um ihren Nacken hing ein Stethoskop und in ihren Händen hielt sie ein Klemmbrett. “Hm”, machte sie. Das Papier raschelte, als sie die oberste Seite umblätterte. Eine steile Falte trat zwischen ihre Brauen. “Laut den Aufzeichnungen ist deine Körpertemperatur in den letzten zwei Stunden noch mal um zwei Grad gesunken und liegt jetzt nur noch bei 31,1 Grad.” Ihre grünen Augen studierten den schwarzen Bildschirm mit den blinkenden Zahlen und der EKG-Linie. “Das erklärt deine Übelkeit und den schwachen Kreislauf, aber... “ Sie blätterte die oberste Seite wieder zurück. “Die Frage ist, warum deine Körpertemperatur so kontinuierlich sinkt. Das ergibt keinen Sinn...” Sie ist der Grund! Sie! Sie brennt die Wärme aus mir heraus! Doch wieder tropften nur bedeutungslose Laute zusammen mit klebrigem Speichel aus Kotetsus Mund. “31 Grad”, wiederholte Izumo. “Das ist doch fast eine Unterkühlung, oder?” “Nicht nur fast.” Sakura verschränkte die Arme vor der Brust. “Das ist schon eine mittelschwere Unterkühlung und wenn die Temperatur weiter so rapide fällt, bald eine schwere… Madoka, pack’ ein paar Wärmepads unter die Zudecke, vielleicht bringt das etwas.” Madoka war die Schwester, die auch nun wieder Kotetsus frischen Sabber abwischte. “Ich will, dass die Temperatur jede Viertelstunde gemessen wird”, fuhr Sakura unterdessen fort. “Wenn sie weiter fällt, müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen. Möglicherweise eine Magenspülung mit warmer Flüssigkeit. Was die Sprachstörungen und Schluckbeschwerden betrifft-” Der Satz blieb unvollendet, weil Kotetsu plötzlich einen lauten Schrei ausstieß - keinen grellen wie aus Schreck oder Schmerz, sondern düster und tief: "Nêl tes-Caihm a’ram rash!" Der Schrei brach so unerwartet aus seiner Brust, dass er selbst zusammenzuckte und Izumo die Edelstahlschale aus der Hand glitt, als er von der aufsprang. Sie schepperte auf dem Boden. "Nêl tes-Caihm a’ram rash!" "Kotetsu…?", raunte Izumo atemlos. "Was-?" Kotetsu drehte den Kopf zur Seite - ohne es zu wollen. Nicht er steuerte die Bewegung, sondern sie. So wie sie seine Mundwinkel nach oben und seine Lippen auseinander zog. "Nêl tes-Caihm a’ram rash...", bediente sie sich ein drittes Mal seiner Stimme. Kein lauter Schrei dieses Mal, sondern ein Raunen. Izumo schüttelte den Kopf und blickte fragend zu Sakura. "Ist das ein Schlaganfall?" Sakura trat an Kotetsu heran. Aus der Brusttasche ihres Kittels zog sie ein kleines, silbernes Lämpchen, mit dem sie ihm nacheinander erst in das linke, dann in das rechte Auge leuchtete. Es blendete. "Sieht nicht so aus. Die Pupillen sind reaktiv und die Gesichtsbewegungen symmetrisch." Sakura steckte das Lämpchen wieder weg und stemmte beide Hände in die Seiten. "Scheint eine weitere Sprachstörung zu sein", meinte sie. "Sein Gehirn weiß, was er sagen will, aber sein Mund kann es nicht artikulieren. Oder ist das eine Art Code zwischen euch? Bedeutet das etwas?" Izumo schüttelte den Kopf. "Nicht, dass ich wüsste." Aber Kotetsu wusste es! Kotetsu wusste es, weil sie es wusste. In diesem Moment wurde es ihm klar: Daher die Hitze! Wir verschmelzen. Die Geisterfrau schnaufte und ächzte unter ihrem hämischen Kichern. (Nein, das tun wir nicht. Ich verschlinge dich, höhle dich aus und erfülle deinen leeren Geist.) Da spürte er zum ersten Mal ihren Blick. Nicht auf sich ruhen; aus seinen Augen heraus beobachtete sie Izumo und Sakura, während Kotetsus Sicht eintrübte. Ein schwarzer Schatten legte sich über seine Augen, obwohl seine Lider noch offen standen. Erlisch!, zischte die Geisterfrau in seinem Ohr. Verdirb! Vergeh! II Wenn Hatake Kakashi ehrlich war, fühlte er sich auch heute, drei Monate nach seinem Amtsantritt, noch immer nicht wohl auf dieser Seite des Schreibtisches. An manchen Tagen legte er morgends sein Gewand an und fand, dass es nicht richtig saß. Als wäre er ein kleiner Junge, der in das Hemd seines Vaters schlüpfte und dann bei jedem Schritt stolperte, weil er ständig auf die Ärmel trat, die über den Boden schleiften. Doch an diesem Tag spürte er den Titel Hokage der Sechsten Generation schwerer denn je auf seinen Schultern lasten. Er saß an dem Schreibtisch, an dem schon Sarutobi Hiruzen, Namikaze Minato und Senju Tsunade über die Geschicke Konohas entschieden hatten. Ihm gegenüber standen Sakura und Ibiki, um ihn über den Ermittlungsstand zu dem Vorfall zu informieren, der sich heute Morgen am Haupttor ereignet hatte: die Angelegenheit schien ernster zu sein als sie auf den ersten Blick anmutete. “Seit der Aufnahme im Krankenhaus heute morgen hat Kotetsus Zustand sich zusehends verschlechtert”, fasste Sakura gerade zusammen. “Mit Übelkeit und Verwirrung hat es angefangen, dann kamen Muskelschwäche und Sprachstörungen dazu. Mit jeder Stunde hat er mehr die Kontrolle über seinen Körper verloren und sogar vegetative Funktionen wie die Regulierung der Temperatur sind total gestört.” Sie seufzte. “Vor etwa einer Dreiviertelstunde ist er ins Koma gefallen.” “Und wie lautet die Diagnose?”, fragte Kakashi. “Habt ihr eine Erklärung dafür?” “Alle Symptome deuten auf eine neuronalen Schaden hin und da auch das vegetative Nervensystem betroffen ist, liegt die Ursache vermutlich irgendwo im Gehirn selbst. Izumo meinte, Kotetsu hätte fantasiert, als er ihn gefunden hat. Er stand also vermutlich unter dem Einfluss eines Gen-Jutsu und ich denke, das hat Spuren hinterlassen.” Ibiki sog scharf die Luft ein. “Ein Gen-Jutsu-Syndrom? Das ist übel.” “Aber das können doch nur Kinder bekommen, oder nicht?” In Kakashis Erinnerung erwachte ein Lazarett während des Dritten Ninja-Weltkrieges wieder zum Leben. Er sah drei Kinder vor sich, zwei Jungen und ein Mädchen, keines von ihnen älter als zehn Jahre. Die zwei Jungen glichen einander so sehr, dass es Zwillinge sein mussten - beide mit strohblondem Haar und strahlend blauen Augen. Einer von den beiden kreischte immer wieder auf, der andere schlug immer wieder mit den Gliedmaßen aus und zuckte auch dann noch, als eine Krankenschwester ihn mit Lederriemen am Bett fixierte. Das Mädchen saß stumm und regungslos auf ihrer Matratze zwischen den beiden Jungen, die Augen wie ein Schlafwandler nur halb geöffnet, während die Spucke aus ihrem Mund tropfte. “Bisher ist es nur bei Kindern beobachtet worden, ja”, erklärte Sakura unterdessen. “Und auch bei Kindern ist es ein seltenes Phänomen. Die einzig bekannten Fälle stammen ohnehin aus dem Dritten Ninja-Weltkrieg, als nun mal sehr viele Kinder in die Schlachten geschickt wurden. Am Anfang dachte man, die Kleinen wären einfach nur schwer traumatisiert, psychisch angeschlagen - oder viel mehr zerstört. Aber die Symptome hatten rein körperliche Ursachen.” Kakashi nickt: ja, er erinnerte sich. Rin hatte es ihm damals erklärt. Jede Sinneswahrnehmung ist nur elektrischer Impuls, den das Gehirn interpretiert - egal, ob visuell, sensorisch oder auditiv. Bei einem Gen-Jutsu löst der Anwender Halluzinationen aus, indem er durch die Kontrolle über den Chakrafluss falsche elektrische Impulse auslöst. Das Gehirn interpretiert die Reize und nimmt so Dinge wahr, die es nicht gibt. Aber jedes Gen-Jutsu greift in das Nervensystem eines Menschen ein. Kinder sind extrem empfindlich, weil sie sich mitten in der Entwicklung befinden: Nervenbündel können ausfransen, Synapsen erlöschen oder vollkommen unkontrolliert zünden. Wenn die Nerven beschädigt sind, ist die Reizübertragung gestört und das hat katastrophale Auswirkungen auf die Körperfunktionen! Glaub’ mir Kakashi, diese Kinder werden sich nie wieder erholen. Nicht ihre Psyche ist kaputt, sondern ihre Körper! Aber… “...Kotetsu ist kein Kind”, sagte Kakashi. Er stützte sich mit beiden Ellenbogen auf seinem Schreibtisch ab und verschränkte die Hände ineinander. “Und das gibt uns wohl eine ungefähre Vorstellung davon, wie mächtig, das Gen-Jutsu war, unter dem er stand.” Sakura nickte. “Könnt ihr etwas für ihn tun?” “Kaputte Nerven können nicht wiederhergestellt werden. Es gibt keine Therapie.” Kakashi schloss die Augen und seufzte tief. “Verdammt…” Doch so sehr es ihn auch als Mensch schmerzte, dass ein Freund und Kamerad dieses Schicksal erlitt, musste er sich als Hokage das wahre Problem konzentrieren. “Wenn die Folgen für Kotetsu so grässlich sind, müssen wir davon ausgehen, dass jemand sehr motiviert war, die Wache auszuschalten und ins Dorf einzudringen. Ibiki, was hast du über diese Fremde herausgefunden?” “Bedauerlicherweise hatte ich noch keine Gelegenheit, sie zu verhören, weil sie bisher noch nicht wieder zu Bewusstsein gekommen ist. Bis wir wissen, wer sie ist, haben wir ihr den Codenamen Anonyma gegeben. Ich gehe aber davon aus, dass sie nicht alleine arbeitet: als Izumo Kotetsu fand, stand er noch unter dem Einfluss der Halluzination. Da lag Anonyma aber schon überwältigt am Boden. Jemand anderes hat also die Illusion gesteuert.” Kakashi nickte. “Ja, das habe ich mir auch schon gedacht. Ich habe Erkudnungstrupps losgeschickt, die Wälder um das Dorf zu durchforsten: bisher keine Spur von Anonymas Komplizen. Aber wir müssen unbedingt erfahren, woher sie kommt. Auch wenn du sie noch nicht verhören konntest, gibt es irgendwelche Hinweise auf ihre Herkunft?” Der Gedanke, sie könnte zu einem Spähtrupp oder gar einer Attentat-Gruppe aus einem anderen Dorf stammen, machte ihm Angst. Seit dem Vierten Ninja-Weltkrieg schienen die Bande zwischen den Nationen so stark wie noch nie. Ging das Kräftemessen zwischen den Dörfern etwa wieder von vorne los; jetzt, da es keinen gemeinsamen Feind mehr gab? Stand ihm als Hokage ebenfalls eine Ära des Misstrauen und der Feindseligkeit bevor? Ibiki verschränkte die Arme vor der Brust. “Ich selbst habe alle aktuellen Ausgaben der Bingo-Bücher aller Großen Reiche überprüft, aber sie in keinem gefunden - weder mit Bild, noch mit Fingerabdruck. Die Untersuchungen ihrer Habseligkeiten, vor allem Kleidung und Waffen läuft noch und aktuell liegen mir noch keine Berichte vor, was ich offen gestanden beunruhigend finde: meine Leute arbeiten für gewöhnlich schnell.” Der große Mann mit dem vernarbten Gesicht trat auf Kakashis Schreibtisch zu. Sein bodenlanger Mantel schwang im Rhythmus seiner Schritte. “Das hier solltest du dir vermutlich selbst ansehen.” Ibiki legte ein Buch zwischen ihnen auf den Schreibtisch. Es war in grau-blaues Leder gebunden. Rissig zwar, fühlte sich unter Kakashis Fingern aber immer noch weich an, als Kakashi es an sich nahm. Auf dem Einband prangte ein Symbol, das Kakashi zum ersten Mal in seinem Leben sah: einen Knoten, der sich aus vier Halbkreisen zusammensetzte. Zwei davon öffneten sich nach links und rechts, voneinander weg. Ihre Bögen berührten einander, während die übrigen beiden Halbkreise sich nach oben und unten öffneten, sodass ihre Bögen sich mit denen der zwei anderen kreuzten. Heißes Eisen hatte das Symbol in das Leder gebrannt, sofern Kakashi das beurteilen konnte. Ein kreis aus feiner Stickerei mit silbernem Faden umschloss es “Ein Clan-Wappen?”, mutmaßte Kakashi. Ibiki zuckte mit den Schultern. “Schon möglich. Ich habe Botenfalken mit einer Skizze von dem Zeichen an unsere Verbündeten im Ausland geschickt. Vielleicht kennt es da jemand. Ich habe es jedenfalls noch nie gesehen.” “Ich auch nicht.” Kakashi hob das Buch an, um auch Sakura den Einband zu zeigen. “Du vielleicht?” Sie schüttelte den Kopf. Ich sollte auch einen Botenfalken an Sasuke schicken. Möglicherweise ist ihm das Zeichen auf seiner Reise schon begegnet. Kakashi schlug das Buch auf. Die Seiten waren aus festem, elfenbeinfarbenem Papier, in dem sich noch die Struktur der Pflanzen abzeichneten, aus denen es gepresst war. “Der Text ist chiffriert”, stellte der junge Hokage schon auf der ersten Seite fest. “In der Tat, ja. Und das sogar ganz hervorragend. Ich habe drei der besten Agenten der Entschlüsslungseinheit auf den Text angesetzt und keiner von ihnen hat bisher auch nur ein Wort decodieren können.” Mit den Fingerspitzen fuhr Kakashi die Tintenschwünge auf dem Papier nach: viele Schlaufen, stellte er fest. “Das sieht nach einem ganz eigenen Schriftsystem aus”, murmelte er. “Da hat sich jemand große Mühe gegeben, den Inhalt vor fremden Augen zu schützen.” “Es kommt noch besser”, kündigte Ibiki an. “Schlag’ die letzte Seite auf.” Kakashi tat wie ihm geheißen: an der Innenseite des Einbandes gab es eine Lasche, in der ein Pergament steckte, das der Hatake entfaltete. “Eine Karte." Ibiki verschränkte die Arme vor der Brust. “Richtig. Aber von einem Reich, das ich nicht kenne.” Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)