SternenStolz von Runataurina ================================================================================ Kapitel 6: Entscheidung des Alt-Königs -------------------------------------- Nopal half Lilaine von seinem Rücken und schob sie dann vor sich her in eine der zahlreichen Zentauren-Bauten hinein. Im Inneren roch es wundervoll nach Weihrauch und getrockneter Minze, der Geruch wirkte beruhigend auf die Menschenfrau, dessen Nervosität sich mittlerweile durch ein bis zum Hals pochendes Herz äußerte. Was würde sie hier erwarten? Quendel drängte sich hinter Nopal in das Gebäude, der aus einem großen Raum zu bestehen schien und kicherte leise. Ruhige Schritte ließen die Menschenfrau aufblicken und vor ihr baute sich eine anmutige Gestalt auf. Sprachen Airon, Nopal und Quendel nicht von ihrer Großmutter? Diese Zentaurin die Lilaine hier gegenüber stand, wirkte zwar reif in ihrem Aussehen, doch zeigte sie keine großartigen Falten oder sonstigen Altersanzeichen, die sich bei Menschen fanden. Die Großmutter besaß schneeweißes Haar, was nicht unbedingt an ihrem Alter liegen musste, denn es konnte sich ja genauso gut um ihre natürliche Färbung handeln. Ihr Fell erinnerte an einen silber-blauen Apfelschimmel, die Augen leuchteten in einem lebendigen Dunkelblau. Wiedererwartend blickte sie Lilaine nicht abschätzig an, sondern schenkte ihr einen aufgeschlossenen Blick, der eher Wertschätzung und Neugier, als Ablehnung verriet. „So, wir haben also ungewöhnlichen Besuch …“, begann sie und ihre Stimme klang freundlich. Der Menschenfrau fiel nicht viel ein, außer zögerlich zu nicken. Die Zentaurin lächelte über ihre Schüchternheit und bedeutete ihr, näher zu treten. „Mein Name ist Myristica und ich bekleide das Amt der Alt-Königin in unserem Volk. Habe keine Furcht, dir droht hier von niemanden Gefahr, auch dann nicht, wenn sich einige vielleicht missbilligend ob deiner Anwesenheit zeigen würden. Du kannst dich also sicher fühlen.“ Lilaine nickt dankend und konnte sich ein wenig innerlich entspannen. „Wie heißt du, Menschenfrau?“ „Man nennt mich Lilaine.“ „Schön …“, die Zentaurin schaute an ihr vorbei zu ihren Enkeln herüber, die Zwillinge verstanden den Blick der Großmutter und zogen sich zurück. Sie lächelte leicht: „Die Zwei sind schrecklich neugierig, aber wer könnte es ihnen verdenken … dennoch, ich glaube, dass es besser ist, wenn wir uns erst einmal alleine unterhalten.“ Es war der Menschenfrau nicht ganz klar, worüber die Zentaurin mit ihr sprechen würde, nun ja, sicher über sie und ihren weiteren Verbleib, doch wie genau das Gespräch ablaufen würde, konnte sie sich nicht vorstellen. „Nopal und Quendel berichteten mir im Groben, was geschehen ist und ich möchte dich bitten, es mir noch einmal aus deiner Sicht zu erklären. Sie schluckte, es war keine leichte Sache sich alles noch einmal vor Augen führen zu müssen, doch Lilaine verstand, dass es für Myristica wichtig zu wissen war. So begann die Menschenfrau so detailreich wie möglich, die Ereignisse in ihren Worten wiederzugeben. . . . „Bekomme ich deine Zustimmung dafür, dass Lilaine vorerst bei uns bleiben kann, Vater?“, Airons Ohren zuckten leicht, während er mit seinem Vater sprach, der Rest seines Körpers verschleierte durch die stolze Haltung seine eigentliche Nervosität. Sein Vater Aironimos schwieg für eine Weile, schaute seinen Sohn lange an und atmete geräuschvoll aus: „Im Moment gibt es wohl ohnehin keine andere Möglichkeit. Sie ist hier, was das für uns bedeutet, muss sich zeigen.“ „Wie meinst du das, Vater?“ „Nun, der Menschen-Prinz könnte sie versuchen zurück zu holen, wenn er herausfindet, dass sie sich bei uns aufhält, könnte er uns angreifen.“ „Dafür bräuchte er nicht Lilaine als Alibi, wenn er wüsste wo wir leben, dann würde er nicht zögern, Vater. Gogurn hasst uns aus der Tiefe seiner Seele, er verabscheut uns und wünscht sich unseren Niedergang. Vater, ich glaube nicht, dass ihre Anwesenheit unsere Sicherheit in diesem Sinne gefährdet.“ „Möglich, wenn du Recht hast, mein Sohn. Aber was ist, wenn sie seine Spionin ist?“ Airon stockte einen Augenblick, schüttelte dann aber seinen Kopf: „Das ist … sicher unwahrscheinlich.“ „Woher willst du diese Gewissheit nehmen?“ Seine Stirn zeigte Falten, die Ohren wanderten nach hinten: „Ich kann es nicht sagen, … ich weiß es einfach.“ „Ich will auf dein Urteilsvermögen vertrauen, Airon. Doch dir ist sicher auch klar, wen wir in dieser Sache mit einweihen müssen, nicht wahr?“ Der Sohn nickte: „Ja, Großvater – meinen Großvater, den Alt-König.“ . . . Nachdem die Rückholerin mit ihrem schockierenden Bericht geendet hatte, bedanke sich die Zentaurin bei ihr für ihre Ehrlichkeit und die geleistete Hilfe. Auch wenn Lilaine beteuerte im Grunde gar nicht zu wissen, wie sie dazu im Stande gewesen wäre, zeigte sich die Großmutter äußerst dankbar. „Offenbar ist dir nicht viel über deine eigene Gabe bekannt Liebes, nun eines Tages wirst du es verstehen … aber für den Moment ist etwas anders von Wichtigkeit.“ „Und was?“ „Das Wort des Alt-Königs. Mein Sohn und seine Gemahlin sind zwar unsere herrschenden Könige, doch mein Gemahl und ich sind jetzt die Alt-Könige. Bei besonders gewichtigen Entscheidungen muss mein Sohn mit uns Rücksprache halten.“ „Dann fungieren die Alt-Könige wie eine Art Ältesten Rat?“ „Wenn du so möchtest, ja. Dennoch besitzen auch wir noch etwas, was man mit einem solchen Rat vergleichen könnte. Doch das sollte erst einmal Nebensache sein … Ich gehe davon aus, dass Airon dich zu mindestens für eine Weile bei uns beherbergen will. Mein Sohn wird es ihm sicher gewähren und auch ich bin im Anbetracht der Umstände bereit meine Zustimmung zu geben. Doch mein Gemahl könnte das anders sehen.“ „Ihm obliegt also die Entscheidung …“, stellet Lilaine mit beinahe flüsterndem Tonfall fest und Myristica nickte sacht. Das rhythmische Geräusch von Hufen kündigte eine Gruppe von Pferdemenschen an, die offenkundig auf das Gebäude zu galoppierten. Ob hier bereits der Alt-König eintraf? Der Menschenfrau wurde ein wenig unbehaglich bei dem Gedanken, doch es würde sich vermutlich ohnehin nicht vermeiden lassen. Nicht alle schienen den Rundbau zu betreten, denn von draußen drangen unterschiedliche Stimme ins Innere hinein, aber nur zwei Zentauren traten letztendlich durch den Eingang: Airon und sein Vater. Eine kleine Erleichterung für die Menschenfrau und zu ihrem Glück, wirkte auch der König nicht abgeneigt ob ihrer Anwesenheit. Nach einer angemessenen Begrüßung der Alt-Königin gegenüber wandte sich Aironimos mit einigen Worten der Dankbarkeit an sie, weil Lilaine Airon das Leben zurück geschenkt hatte. Immer noch ein wenig eingeschüchtert und zurück halten nickte sie nur und ließ ihre Augen zu Airon herüber wandern, der sich Mühe gab, unbeteiligt zu wirken und nichts von seiner inneren Unruhe preis zu geben. Wenn sein Großvater darauf bestand Lilaine zu verbannen, dann gab es nichts, was ihn umstimmen könnte. Und dann? Ja dann, blieb ihr wohl nicht viel anderes übrig, als zu ihresgleichen heimzukehren. Doch daran mochte er nicht denken, sie wirkte so aufgewühlt, als er sie im Wald zurückließ und ihr sagte, sie solle doch zu dem Prinzen zurück gehen. Weder sie noch er sannen darauf, sie dort hin zu schicken, an diesen kalten Ort. Aber warum war ihm das so wichtig? Der Zentauren-Prinz fühlte einen Luftzug von hinten, jemand betrat den Raum, bevor er den Kopf drehen konnte, schob sich bereits die beeindruckende Gestalt seines Großvaters neben ihm vorbei. Die Erscheinung des Alt-Königs wirkte so einschüchternd auf Lilaine, dass sie unbewusst einen Schritt zurückschritt. Der hühnerhafte Pferdemensch sah nicht wie ein Großvater aus, wie bei Myristica erkannte man zwar eine gewisse Reife in seinem Gesicht, aber sonst kaum Anzeichen eines nennenswerten Alterungsprozesses. Seine dunklen Augen musterten die Menschenfrau streng von oben, seine Mine verriet Härte und Autorität, in seinem Gesicht, am Pferderücken sowie am Oberkörper zeugten Spuren von vergangenen Kämpfen, in Form von großen Narben, einen Teil seiner Lebenserfahrung. Vermutlich vor allem in Schlachten gegen Menschen, schätzte sie. Das Fell glänzte dunkel Rot, sein Haar besaß einen ähnlichen Rotton, allerdings verliefen hier und da weißliche Strähnen in seiner Mähne und dem Schweif. Ob sie altersbedingt waren oder zu seiner natürlichen Färbung gehörten, wagte Lilaine nicht zu fragen. Zu mindestens nicht in diesem Augenblick. Er trug einen kurzen Bart und besaß wie Airon Pferdeohren, offenbar ein sehr seltenes Merkmal, denn alle anderen ihr bisher begegneten Pferdemenschen zeigten keine solchen Ohren. Und da gab es eine seltsame Besonderheit, die ihr im ersten Moment nicht gleich aufgefallen war, vermutlich weil sie ihn als Ganzes vollkommen einschüchternd fand und sich nicht sofort auf jedes Detail konzentrieren konnte: Die rechte Kopfseite war komplett kahl rasiert und auf dieser fanden sich merkwürdige, wie eintätowierte Muster aus Kreisen, geschwungenen Linien und Strichen, die zusammen ein seltsames Bildness ergaben. Sicherlich stand es für etwas, was sich die Menschenfrau nicht erklären konnte, dennoch spürte sie die ungewöhnliche Macht, die von diesem Muster ausging. Wie eigenartig, Bilder auf der Haut die Macht besaßen? Gab es so was überhaupt? Innerlich wollte sie sich selbst für ihren seltsamen Gedankengang tadeln, jedoch riss seine donnernde Stimme sie aus ihren eigenen Gedanken: „Was genau geht hier vor sich?“ Mit einem scharfen Blick bedachte er seinen Sohn und anschließend seinen Enkel. Für einige Herzschläge lang erwärmte sich sein Blick, solange diese auf Airon ruhte, legte ihm eine Hand auf den Pferderücken und wandte sich dann ein wenig freundlicher an seine eigene Gattin und sah dann erneut zu Lilaine herunter. „Airon bringt uns seine Lebensretterin, damit wir uns wie es der Brauch gebietet, erkenntlich zeigen können, Liebster“, erklärte Myristica sachlich und bestimmt. Sie wusste wohl am besten, wie sie den Alt-König milde stimmen konnte. Für einen Augenblick schwieg dieser und es war Lilaine anhand seines Gesichtsausdruckes nicht möglich zu erraten, was genau er dachte. „Seine Lebensretterin also … und? Was fordert sie für sein Leben?“, brummte der Rote grimmig und sah Lilaine herausfordernd an. Was sollte sie darauf sagen? Für sie gab Myristica die Antwort: „Vorerst ein paar Tage Aufenthalt bei uns. Dann sehen wir weiter.“ Ein tiefes Schnauben entfuhr dem erfahrenen Krieger und es war jetzt keine große Kunst in seinem Gesicht abzulesen, dass ihm das nicht wirklich zusagte. Alt-König und Alt-Königin tauschten einen langen Blick miteinander aus. Gepresst gab er schließlich zur Antwort: „Also schön, …“ „Ich kann sie in die Unterkünfte der Boten bringen …“, schlug Airon schnell seinem Großvater vor, der sich umdrehte und innehielt, nachdem sein Neffe zu ihm sprach. Zuerst sagte er nichts, dann setzte der Alt-König seine mächtigen Hufe erneut in Bewegung und er sprach: „Das wirst du nicht! Sie ist auf dein Zutun hin hier, also wird sie auch bei dir unterkommen.“ Der Rote verschwand nach draußen und ließ einen verwunderten Airon zurück. Sie soll bei ihm wohnen? Ein Mensch in seiner Behausung? Auch wenn sie ihm ansah, wie überraschend und offenbar auch unangenehm Airon diese Vorstellung schien, freute sich Lilaine insgeheim. Sie durfte vorerst bleiben und Airon sowie sein Volk vielleicht so näher kennen lernen. Nun, da das meiste geklärt war, drückte die Großmutter ihren Enkel herzlich an sich und dankte im Stillen den Sternen und allen Beteiligten für ihre Gnade, Airon eine zweite Chance zu gewähren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)