Ich bin doch kein Wolf! von aceri ================================================================================ Kapitel 17: Verrat ist also ansteckend -------------------------------------- „Du siehst ziemlich unglücklich aus. Bedrückt dich was?“ Ich hatte Hector gar nicht kommen hören, erst als er sich auf die Kante von meinem Tisch setzte fuhr ich erschrocken hoch und sah ihn überrascht an. Dann schüttelte ich den Kopf. „Nee, alles gut. Hab bloß wenig geschlafen, wegen den Prüfungen.“ Ich lehnte mich auf meinem Stuhl zurück und fuhr mir mit beiden Händen übers Gesicht. Bis auf zwei weitere Jungs in den ersten Reihen war der Raum schon leer, die meisten waren bereits raus auf den Hof gegangen. Aber mir war nicht nach frischer Luft und Gesellschaft. Ich wollte eigentlich nur allein sein. Das traute ich mich Hector nur nicht zu sagen. Der musterte mich immer noch prüfend und machte überhaupt keine Anstalten sich wieder zu erheben, ganz im Gegenteil. Er wartete bis die beiden anderen Jungs das Zimmer verlassen hatten, dann ergriff er wieder das Wort. „Ich dachte Georg hilft dir beim Lernen? Der gibt doch sogar Nachhilfe. Oder habt ihr euch schon wieder gestritten?“ Warum wollte er das wissen? Es war vielleicht nicht nett, aber ich wurde sofort misstrauisch. Und das obwohl Hector mir so gesehen noch nie wirklich geschadet hatte. Bis auf die Prügelei ganz am Anfang unseres Kennenlernens, aber das war ja unvermeidbar gewesen. Georg hatte mich was das anging ziemlich stark beeinflusst, und das nicht gerade positiv. Ich seufzte leise, und schüttelte erneut den Kopf. „Haben wir nicht, keine Sorge. Ist nur gerade alles ein bisschen schwierig.“ Damit hatte ich ihn zumindest nicht angelogen. Ich wusste nicht wieviel Hector bereits wusste, einerseits kam er mir oft ziemlich oberflächlich vor, andererseits hatte er das Rudel fest im Griff, und damit seine Ohren überall. Ich durfte ihn nicht unterschätzen, egal für was für einen Idioten Georg ihn hielt. Denn ein Idiot war Hector ganz eindeutig nicht. Inzwischen hatte er sich einen Stuhl herangezogen und mir gegenüber Platz genommen, er wollte wohl wirklich die komplette Pause bei mir verbringen. Jeder andere hätte sich wohl geehrt gefühlt, mir dagegen wurde Angst und Bange. Ich kam mir vor wie bei einem Verhör. Nur wusste ich nicht ob ich überhaupt etwas verbrochen hatte. Hectors Haltung blieb weiterhin freundlich, er lächelte mich offen an, aber hinter seinen Lippen konnte ich gebleckte Zähne erkennen. Ich würde es nicht wagen ihn für dumm zu verkaufen. Seine Finger trommelten vor ihm auf dem Tisch, und ich wusste nur zu genau wie sie sich an meiner Kehle anfühlen würden. „Ich weiß, das merke ich. Georg erscheint mir recht zufrieden, oder zumindest wagt er es nicht etwas anderes zu behaupten. Aber du…“ er beugte sich ein kleines Stück nach vorn, sein eisgrauer Blick nagelte mich fest. Ich schluckte schwer, wagte es aber auch nicht zur Seite zu schauen. Seine bloße Anwesenheit bereitete mir fast körperliche Schmerzen. Ich wusste ja dass wir ein bisschen anders tickten als normale Menschen, das lag uns in den Genen, aber ich unterschätzte diese urtümliche Macht immer wieder. Und Hector führte sie mir gerade unmissverständlich vor Augen. Ich wand mich auf meinem Platz, meine Finger gruben sich fest in die Tischplatte, der Wolf in mir schrie nach Unterwerfung. Aber ich konnte mich ja schlecht auf den Boden werfen. Hector erlöste mich schließlich. Mit einem Kopfnicken erlaubte er es mir den Blickkontakt zu unterbrechen, dann streckte er die Hand aus und tippte mir mit dem Finger vorsichtig gegen den Bluterguss auf meiner Stirn. „Du hast deine letzten beiden Kämpfe verloren, und das obwohl du den Jungs körperlich eigentlich überlegen warst. Das zeugt nicht gerade von Kampfgeist. Ich dachte jetzt wo Georg dich nicht mehr mit seinen rebellischen Ideen vollstopft würdest du dich noch mehr engagieren, aber genau das Gegenteil ist der Fall. Du ziehst dich zurück. Und ich möchte jetzt wissen warum das so ist.“ Hectors Stimme klang erstaunlich verständnisvoll, er lächelte mir sogar aufmunternd zu, aber ich hatte das Gefühl ich würde schon wieder zwischen den Stühlen sitzen. Ich konnte Hector nicht sagen dass der Grund für meinen Rückzug Georgs neue Position im Rudel war, dass er mich, bewusst oder unbewusst, klein hielt, und ich deswegen immer wieder meine Kämpfe verlor. Andererseits traute ich mich auch nicht Hector anzulügen, er wusste wie sein Rudel tickte, und es war nur eine Frage der Zeit bis er von selbst auf die Lösung kam. Was also sollte ich tun? Ich wusste es nicht. Also entschied ich mich für die Wahrheit. „Ich weiß nicht was ich dir antworten soll. Ich hab das Gefühl ich mache alles nur noch schlimmer wenn ich mit dir rede.“ Ich sah Hector hilfesuchend an, was anderes fiel mir nicht ein. Diese ganze Sache überforderte mich so sehr dass ich am liebsten direkt hier in Tränen ausgebrochen wäre, aber das wagte ich dann doch nicht. Irgendwo war die Grenze. Hector schien mir meine Verzweiflung trotzdem anzusehen, er warf einen kurzen Blick aus dem Fenster, dann musterte er mich ernst. „Wie wäre es mit der Wahrheit? Ich werde dich nicht in Stücke reißen, egal was du mir jetzt erzählst. Ich bin zwar dein Rudelführer, aber ich bin auch dein Freund. Ich weiß dass Georg kein gutes Wort für mich übrig hat. Von mir aus könnt ihr gern so dick befreundet sein wie ihr wollt, aber ich merke dass dir diese Freundschaft nicht mehr gut tut, und deswegen möchte ich dir helfen. Also spucks aus, was ist los?“   Wir redeten fast die ganze Pause lang. Beziehungsweise ich redete, und Hector hörte zu. Ich erzählte ihm fast alles; wie Georg mich behandelte wenn kein anderer dabei war, wie er dafür sorgte dass ich in der Rangfolge immer weiter hinter ihm zurück fiel, und wie er mich vor den anderen herabsetzte. Die einzigen beiden Dinge die ich verschwieg waren Georgs wahren Gefühle für das Rudel, und seine Annäherungsversuche mir gegenüber. Das konnte ich einfach nicht. Ersteres nicht weil es mir wie Verrat vorgekommen wäre, und letzteres nicht weil es mir schlichtweg zu peinlich war. Aber Hector schien zufriedengestellt. Er hatte nichts von dem was ich ihm offenbart hatte kommentiert, aber ich wusste dass er sich bereits jetzt schon seine Gedanken machte. Und ich fühlte mich erleichtert. Das schlechte Gewissen gegenüber Georg nagte zwar immer noch an mir, aber es war deutlich kleiner geworden. Ich hatte mir das alles einfach von der Seele reden müssen, und niemand außer Hector wäre dafür in Frage gekommen. Was er mit diesen Infos jetzt anfangen würde wusste ich nicht, aber das war in erster Linie nicht mehr mein Problem. Ich hatte mein Bestes gegeben um Georg nicht schlecht da stehen zu lassen, aber das was ich erzählt hatte entsprach nun mal der Wahrheit! Er war mir gegenüber ein Arschloch geworden, und die paar Streicheleinheiten die er mir ab und an zukommen ließ machten daran nichts besser. Als es zur nächsten Stunde klingelte erhob Hector sich endlich und streckte sich, dann schenkte er mir ein aufmunterndes Lächeln. Ich erwiderte es, aber innerlich war ich noch immer aufgewühlt. Ich wusste nicht was ich mit meinem Geständnis losgetreten hatte, aber ich nahm an ich würde es so bald wie möglich erfahren. Beim Hinausgehen traf Hector direkt auf Georg, er klopfte meinem besten Freund freundschaftlich auf die Schulter, ließ ihn dann aber kommentarlos passieren. Ich schluckte und wurde auf meinem Stuhl immer kleiner. „Wollte Hector was von dir?“ Natürlich war Georg sofort misstrauisch. Ich zuckte die Schultern und vermied es ihm ins Gesicht zu sehen. „Nur bisschen quatschen, nichts weiter.“ Er war nicht überzeugt, aber der gerade hereinkommende Lehrer unterbrach das Verhör das mir sonst höchstwahrscheinlich gedroht hätte. Noch nie war ich so dankbar gewesen meinen Mathelehrer zu sehen. Georg schenkte mir noch einen letzten prüfenden Blick, dann setzte er sich in die Bankreihe vor mir und wandte seine Aufmerksamkeit dem Unterricht zu. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)