Ich bin doch kein Wolf! von aceri ================================================================================ Kapitel 11: Kein Rebell, ein Mitläufer -------------------------------------- Keine Ahnung warum ich geglaubt hatte dass Georg das mit Mariam und mir nicht herausfinden würde. Es war mir gar nicht so bewusst gewesen was für einen großen Teil er bereits in meinem Leben einnahm, und das nicht nur weil er der einzige war der mir innerhalb des Rudels noch einigermaßen normal vorkam. Er schirmte mich systematisch vor unseren Artgenossen hab, allein seine Anwesenheit reichte meistens schon aus um die anderen auf Abstand zu halten. Und natürlich war es auch kein Geheimnis dass er und Hector sich nicht besonders grün waren. Im Zweifelsfall immer für den Ranghöheren, und wer das war darüber musste man nicht lange nachdenken. Nur ich, ich hielt weiter zu Georg. Oder ich versuchte es zumindest. Ich wusste dass er mich mochte, oder dass er mich zumindest mögen wollte, denn seine Abneigung gegenüber den anderen Wölfen machte leider auch vor mir nicht Halt. Egal wie gern wir uns das schön geredet hätten, ich war einer von ihnen. Und ich war beeinflussbar. Bleckte einer die Zähne war ich der erste der den Schwanz einkniff. Bildlich gesprochen. Ich war kein Rebell, ich war ein Mitläufer. Und das ging Georg gehörig auf die Nerven. Es war einer der wenigen Nachmittage an denen ich nicht mit Georg irgendwo herumhing oder er versuchte mir Mathe und Geschichte mit seiner ungewöhnlichen Engelsgeduld was Schulstoff anging näher zu bringen. Und es war der letzte Tag an dem ich mich mit Mariam treffen konnte bevor sie wieder zu ihrer Mutter in die Stadt fuhr. Für ein weiteres Date hatte es keine Gelegenheit mehr gegeben, aber ich fühlte mich trotz alledem unglaublich optimistisch was diese...ganze Sache anging. Ich nannte es noch nicht Beziehung, aber es lief eindeutig darauf hinaus. Verdammt, ich war glücklich! Zum ersten Mal seit diesem dämlichen Umzug. Wir hatten uns im Wald hinter der Schule verabredet, nicht direkt vor dem Gebäude, aber immer noch fast in Sichtweite. Ich war nervös, und aufgeregt, und ich hatte mir fest vorgenommen sie um einen Kuss zu bitten. Oder sie einfach zu küssen. Ich WÜRDE sie küssen! Was war ich denn? Ein Mann (ein Wolf?) oder eine Maus?! Aber so weit kam es gar nicht erst. Auf der kleinen Lichtung die wir uns als Treffpunkt ausgemacht hatten wartete nicht nur Mariam auf mich, sondern auch ihr Bruder. Und...Georg. Sie entdeckten mich alle drei im gleichen Moment, aber noch bevor auch nur ein einziger von ihnen das Wort an mich richten konnte stürmte mein bester Freund bereits direkt auf mich zu. Und er sah alles andere als glücklich aus. „Du bist ein mieser Verräter!“ Georgs Stimme war vor Wut verzerrt, er hatte die Hände zu Fäusten geballt und zitterte am ganzen Körper. Es kostete ihn all seine Beherrschung sich nicht einfach auf mich zu stürzen und die Sache so zu regeln. Noch nie hatte ich ihn so wütend gesehen. Und dabei war ich mir nicht einmal einer Schuld bewusst. Ich hatte Mariam nur gedatet, nichts weiter. Wenn mir hier einer hätte den Kopf abreißen dürfen, dann Hector. Aber der stand nur schweigend hinter mir und beobachtete den aufgebrachten Georg. Ihn schien die Sache zwischen seiner Schwester und mir völlig kalt zu lassen. Zumindest äußerlich. Vielleicht würde er mir später noch die Leviten lesen. Aber jetzt war erst einmal Georg das größere Problem. Der starrte mich immer noch wutentbrannt an, und es kostete mich eine Menge Überwindung es ihm nicht gleich zu tun. Ich wollte mich nicht mit ihm prügeln, aber alles in mir schrie danach. Er hatte einfach kein Recht so sauer auf mich zu sein, Mariam war freiwillig mit mir ausgegangen, ich hatte sie nicht einmal darum gebeten, und jetzt machte er mir hier so eine Szene und forderte mich heraus! Vor ihr und Hector! Wie konnte ich da klein beigeben? Meine angeborenen Instinkte übernahmen schließlich die Entscheidung für mich. Ich hob den Blick, fixierte Georg, und bleckte die Zähne. Er schrie vor Wut auf, dann stürzte er sich auf mich zu und riss mich zu Boden. Wir waren beide etwa gleich schwer, Georg war etwas größer als ich, aber ich war eindeutig besser in Form. Ineinander verkeilt rollten wir über den Boden, ich landete einen hübschen Treffer auf Georgs Nase der seiner Brille nicht gerade gut bekam, er erwischte mich an der Schläfe. Trotz allem bekam keiner von uns die Oberhand. Ich hörte Mariam kreischen Hector solle uns trennen, aber der ging natürlich nicht dazwischen. Das mussten wir unter uns klären, egal wie blutig es am Ende ausging. Mir dröhnte der Schädel von Georgs Schlägen, auch ohne Brille traf er erstaunlich zielsicher während mir langsam die Puste ausging. Meine Hüfte schmerzte wieder, und es machte sich bemerkbar dass mein letzter Kampf noch nicht allzu lange zurück lag. Ich war unterlegen. Ich warf das Handtuch. „Georg, bitte, hör auf…!“ keuchte ich zwischen zwei Schlägen, und Georg ließ sofort von mir ab. Er blieb zu meinen Füßen hocken, und ich stützte mich vorsichtig auf die Ellenbogen. Blut tropfte von meine Schläfe und von meiner Lippe, mir war schwindelig, und ich hatte das Gefühl meine Hüfte wäre in tausend glühende Scherben zersprungen. Georg sah nicht besser aus. Er blutete aus Nase und Mund, seine Brille lag irgendwo zerbrochen im Dreck, und sein Shirt hatte mehrere unschöne Löcher. Und er sah überhaupt nicht glücklich aus. Jedenfalls nicht wie ein Gewinner. Ich hörte Mariam hinter mir rufen, aber ich reagierte nicht. Hector schien ihr irgendetwas zuzuflüstern, sie protestierte, aber kurz darauf wandte sie sich ab und ließ uns drei allein. Er half zuerst Georg auf die Beine, dann wollte er mir die Hand reichen, aber ich winkte mit verkniffenem Gesicht ab. Ich glaube ich konnte nicht aufstehen. Meine Hüfte schmerzte höllisch, selbst atmen war eine Qual. Ich würde unmöglich laufen können. Georg war neben Hector aufgetaucht und warf mir einen ehrlich besorgten Blick zu. Das Blut hatte er sich inzwischen grob aus dem Gesicht gewischt, aber er sah immer noch erbärmlich aus. Naja, wahrscheinlich nicht halb so erbärmlich wie ich. Er ging neben mir in die Knie und legte mir vorsichtig eine Hand auf die Schulter. Ich wagte es nicht ihn anzusehen, außerdem kamen mir gerade die Tränen. Vor Wut, vor Schmerz, und vor Erniedrigung. Ich hatte versagt, und das auf ganzer Linie. Georg schien mein Dilemma zu bemerken. Er rutschte noch etwas näher, dann legte er sanft die Arme um mich und zog mich in eine Umarmung. Ich vergrub mein Gesicht an seiner Schulter und weinte. Und selbst das tat weh. Hector beobachtete uns eine Weile schweigend, dann ergriff er das Wort: „Braucht ihr einen Krankenwagen?“ die Frage war berechtigt, aber Georg schüttelte nach kurzer Überlegung den Kopf. „Nein, ich glaube nicht. Und wenn doch kann ich einen rufen. Trotzdem danke.“ Hector erwiderte nichts, aber anscheinend verabschiedete er sich stumm von Georg, denn kurz darauf entfernten sich seine Schritte. Wahrscheinlich wollte er nach Mariam sehen. Wir blieben noch fast fünf Minuten so auf dem Boden sitzen, dann schob Georg mich vorsichtig von sich und sah mir fragend in das völlig zerschlagene Gesicht. „Brauchst du einen Krankenwagen?“ widerholte er Hectors Frage, aber ich verneinte ebenfalls. Ich wollte nicht ins Krankenhaus. Das würde mit Sicherheit zu viele Fragen aufwerfen, und ich wusste nicht wie ich diese sinnvoll beantworten sollte. Außerdem schmerzte meine Hüfte nicht mehr ganz so stark wie am Anfang, es war zwar immer noch furchtbar, aber auszuhalten. Und die anderen Verletzungen waren eher oberflächlicher Natur. Ich würde es überleben. Ich wischte mir Blut und Tränen aus dem Gesicht, oder versuchte es zumindest, dann räusperte ich mich leise und ein bisschen peinlich berührt. „Tut mir Leid wegen deiner Brille.“ Georg lachte unterdrückt, dann winkte er ab. „Nicht so schlimm, die war versichert. Soll ich dir aufhelfen?“ Mich vorsichtig an Arm und Schulter haltend zog Georg mich schließlich auf die Füße, es dauerte eine halbe Ewigkeit, und jeder Millimeter jagte glühende Pfeile durch meine malträtierte Hüfte; aber schließlich stand ich, am ganzen Körper zitternd und schon wieder den Tränen nahe, aber ich stand. „Du siehst furchtbar aus. Geht es wirklich?“ Georg betrachtete mich zweifeln, er musste mich immer noch stützen, aber ich nickte tapfer. Antworten konnte ich ihm nicht, dazu fehlte mir die Kraft. Es tat so weh! Er war eindeutig nicht überzeugt, und bevor ich ihn daran hindern konnte zog er mein Handy aus meine Hosentasche und wählte eine Nummer. In knapp zehn Minuten würde meine Mutter mich abholen kommen. Vorsichtig ließ Georg mich wieder zu Boden gleiten, ich schnappte vor Schmerzen nach Luft als ich endlich unten angekommen war, dann schloss ich die Augen und stöhnte leise. Vielleicht hätte ich ihn doch den Krankenwagen rufen lassen sollen. Georg setzte sich genauso vorsichtig neben mich, eine Hand auf meinem Oberschenkel. „Soll ich bei dir bleiben und warten?“ Ich schüttelte den Kopf. Wenn meine Mutter sein Gesicht sah würde sie eins und eins zusammen zählen und sofort wissen wer für meinen Zustand verantwortlich war. Und dann würde sie ihn vielleicht nicht mehr als meinen Freund akzeptieren. Und das wollte ich nicht. Georg schien meine Gedanken erahnen zu können, er erhob sich langsam, suchte seine zerbrochene Brille zusammen und beugte sich schließlich noch einmal zu mir herab, seine Hand berührte vorsichtig meine Wange. „Ich melde mich. Machs gut.“ Dann verschwand er, so schnell es ihm möglich war, hinter mir im Wald. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)