Woods von Silberstrich ================================================================================ Kapitel 44: Die Stunde vor dem Sturm ------------------------------------ Ihre Lippen berührten sich bereits sachte noch bevor sie ihre Augen geöffnet hatten. Durch das Fenster strahlte die Sonne und tauchte den ganzen Raum in ein warmes, helles Licht. "Morgen...", nuschelte Lukas. "Morgen...", brummte Ben. Hier in seinem alten Kinderzimmer war natürlich alles etwas ungewohnt und um einiges enger. Aber irgendwie war fast jeder Ort irgendwie schön, wenn man ihn mit dem richtigen Menschen teilte. Noch wussten sie ja nicht, dass jeder von ihnen mindestens 10 verpasste Anrufe von Pierre auf seinem Handy hatte. "Ich muss immer noch dran denken wie ich dich beim Flaschendrehen..." Lukas presste sofort seine Hand auf Ben's Mund. An die ersten Tage in der Hütte im Wald wollte er nun wirklich nicht mehr denken, vor allem daran wie Jenny an ihm geklebt hatte. Wie anders es noch zwischen ihnen gewesen war und wie unvorstellbar eine gemeinsame Zukunft gewesen war. Eine Weile lagen sie kuschelnd und schmusend und küssend im Bett. So konnte man wirklich gut morgens in den Tag starten. Lukas verspürte so viel Liebe, dass er das Gefühl hatte platzen zu müssen. Schließlich strich Ben ihm durch die Haare und sah ihm in die Augen. Auf einmal deutlich ernster. "Weißt du....es stimmt dass ich gern irgendwann Kinder hätte...." Lukas stöhnte leise auf. "Ich dachte das Thema hätten wir hinter uns...Ich dachte du bist durch mit Frauen..." Ben sah auf einmal beinahe etwas verlegen aus. "Wieso gehst du davon aus, dass ich sie mit jemand anderem möchte...?" Lukas erstarrte. Seine Wangen begannen zu glühen: "Ich versteh nicht ganz....ich-Du meinst ...meinst doch nicht. Du....und.." "Wenn ich mal Kinder habe dann....doch nur mit dir..." "Was ....", Lukas war komplett fertig mit der Welt. Er hatte Ben ja tatsächlich noch nie gefragt wie genau er sich das vorstellte, er war einfach immer davon ausgegangen, dass ihm eben das in ihrer Beziehung fehlte. Er war nie darauf gekommen, dass Ben es sich mit ihm vorstellen könnte. "Ich weiß nicht wie du zu dem Thema stehst ...aber ....ich...wünsche mir Kinder mit DIR....", wiederholte Ben. Lukas musste wirklich ausgesehen haben wie vom Blitz getroffen. Ben lachte leise und gab ihm einen Kuss: "Du musst ja noch nicht darauf antworten...ich weiß dass das keine Kleinigkeit ist...aber egal wie du dich entscheidest....ich liebe dich und ich werde dich bald heiraten... das wird sich dadurch nicht ändern. Versprochen." Lukas' Lippen fühlten sich aufienmal ganz trocken an und ihm fehlten gänzlich die Worte. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und Ben's Mutter stand mit einem Tablett und zwei Kaffeetassen vor ihnen. Lukas zog sofort die Decke etwas höher. "Und?! Was hat er gesagt?!!!" Ben wollte gerade antworten als sein Blick auf sein Handy fiel. Was zum... 11 entgangene Anrufe und 6 Nachrichten von Pierre. Er öffnete die erste. "Scheiße..." Es dauerte keine 20 Minuten und sie waren bereits ungeduscht und völlig durcheinander auf dem Weg ins Krankenhaus. »Brauche Hilfe. Es ist Becky. Sind im KH. Bitte Komm für Mia.« Pierre hielt ihre blasse Hand ganz fest. Sie fühlte sich falsch an. Viel zu kalt. In diesem Moment wirkte seine Verlobte wie eine leere Hülle. Vor ein paar Minuten waren Gottseidank Lukas und Ben angekommen und kümmerten sich jetzt um Mia. Es war schwer. Schwerer als alles. Der schwerste Augenblick seines Lebens und scheiße er hatte wirklich viel erlebt. "Ich kann dich nicht aufgeben. Auch wenn die es tun. Ich geb dich nicht auf." Seine Stimme wirkte so laut in dem Raum, der ansonsten nur von dem leisen Surren von Geräten erfüllt war. Ihre Lider zuckten leicht und er drückte ihre Hand fester. "Das kann's noch nicht gewesen sein. Verlass mich jetzt nicht. Nicht jetzt. Ich bin noch nicht bereit dafür." Er dachte an ihre kleine, süße Mia. "Wir sind noch nicht bereit." Noch nie war ihm etwas so klar gewesen wie die Erkenntnis, dass er nie wieder eine andere Frau lieben würde. Becky würde einen Teil von ihm mitnehmen. Einen Teil, den man weder ersetzten noch reparieren konnte. Es gab nichts vergleichbares. Niemand konnte ihren Platz einnehmen. Das schlimmste war seine Hilflosigkeit. Gäbe es etwas...irgendetwas das er tun könnte, er würde es tun. Er würde ihr sein Blut geben, er würde ihr seine Niere geben, Alles. Ganz egal. Alles. Eine Schwester legte ihm vorsichtig eine Hand auf die Schulter: "Es ist soweit..Ich muss sie jetzt leider raus bitten.." Pierre fühlte sich als würde der Boden unter ihm weg gerissen werden. Selbst in ihrer Ohnmacht nahm diese Frau ihm den Atem. Unendliche Male hatte er sich ausgemalt wie er am Altar stehen und sie auf ihn zu kommen würde, in einem weißen Hochzeitskleid...er sah sie ganz genau vor sich. Wie sie sich in dem Kleid vor ihm drehte, wie ihre Augen funkelten, wie sie ihn anlachte und sein Puls beschleunigte sich unbeschreiblich wenn er sich bloß vorstellte wie er ihr den Ring auf ihren Finger steckte. Dieser Traum war ihm immer schon zu schön vorgekommen. Zu schön um wahr zu sein? Würde es nie dazu kommen? "Lassen sie sie bitte los und-" "Ich kann nicht." Sein Herz hatte schon so viele Schläge eingesteckt. Er wusste nicht wie viel er noch vertragen konnte. Wie viel musste er noch über sich ergehen lassen. Wieso sie? Wieso hatte es nicht ihn treffen können?! Wieso Sie?! Es fühlte sich wie ein Abschied an und sie zu berühren war das einzige was ihn noch bei Verstand hielt. Er konnte ihre Stimme beinahe in seinem Ohr hören. Geh ruhig. Es ist okay.. Stunden später.. Pierre saß auf diesem harten, kalten Stuhl im Flur. Aus dem Pausenraum ein paar Meter weiter tönte leise I'll Never Love Again von Lady Gaga. Niemand konnte ihn dort weg bewegen. Don't wanna feel another touch Er war kein Mann, der weinte. Don't wanna start another fire Er war nicht schwach. Don't wanna know another kiss Er hatte sich immer im Griff. No other name falling off my lips Er durfte keine Schwäche zeigen. Don't wanna give my heart away. To another stranger Er war stark und er musste jetzt stärker sein als jemals zuvor. Nicht für sich. Aber für sie. Für sie beide. Or let another day begin Er war standhaft. Won't even let the sunlight in Er weinte nicht. Niemals. No, I'll never love again Pierre berührte fast etwas ungläubig sein Gesicht, als die erste Träne über seine Wange lief. I don't wanna know this feeling Unless it's you and me Die Stimme des Oberarztes hallte fast schmerzhaft in seinem Kopf wider: "Sie ist sehr schwach. Vielleicht zu schwach für eine weitere Operation und dennoch ist es ihre einzige Chance. Wenn sie ihr noch etwas sagen wollen....dann sollten sie es jetzt tun." Er würde diesen Moment nie vergessen...wie er sie auf die kühle Stirn geküsst hatte. Wie er versucht hatte all seine Liebe in diesen Kuss zu stecken. Und was er ihr dann ins Ohr geflüstert hatte: "Scheiß auf die Hochzeit. Du bist auch so meine Frau." Die Vorstellung wie sie freudestrahlend im weißen Kleid auf ihn zu schwebte wurde immer blasser. "Du hattest Recht, du hast den Ketchup nicht vergessen." Die Braut, die sich vor ihm drehte, löste sich langsam in Luft auf. Immer wieder hörte er Mia Schreien. MAMA!!! Eine weitere Träne tropfte von seinem Kinn auf den Boden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)