Cold wind blows von Dracos-Princess ================================================================================ Kapitel 2: Unvorteilhafte Begegnungen ------------------------------------- - Kapitel zwei -   Träge öffnete Hermine die Augen, doch bereute sie diesen Schritt, da das grelle Licht sie blendete. Merlin, sie hatte einen schrecklichen Traum gehabt und lieber ertrug sie das Licht, das ihr entgegen strahlte, statt sich weiter mit diesem Traum zu befassen, der so... so real war. Sie träumte davon, wie Voldemort Hogwarts angriff und mehrere Menschen in den Tod trieb. Sie hatte von Harry geträumt, von Lupin und Tonks. Schlimme Bilder hatte sie in ihrer Traumwelt standhalten müssen und sie war froh, die weiße Decke über ihr wahrzunehmen, die... Moment. Nein. Sekunde. Sie lag nicht in ihrem Schlafsaal. An ihrem Bett war kein Baldachin, das von vier Bettpfosten getragen wurde, welche mit schimmernd roten Vorhängen geschmückt waren. Unweigerlich war ihr klar geworden, dass sie nicht auf Hogwarts war, woraufhin ihr Oberkörper erschrocken nach oben schoss. Die Gestalt, die neben ihrem Bett saß und deren Konturen noch verschwommen waren, bemerkte sie anschließend, nachdem sie mehrmals blinzelte und die weibliche Stimme hektisch aufschrie.   „Bei Merlin, Hermine. Du bist wach!“ „Misses Weasley?“, krächzte sie mitgenommen, bevor sie sich aufrecht hinsetzte und ihre Hand zu ihrem schmerzenden Kopf führte. Ihre Stimme klang furchtbar. Als ob sie tagelang nicht gesprochen hätte. Gleichzeitig versuchte sie, ihre Gliedmaßen zu bewegen, was ihr mehr schlecht als recht gelang.   „Nein, nicht. Bleib liegen, Liebes“, wisperte Molly, die sich sofort aus ihrem Stuhl erhob, ihr Strickzeug zur Seite legte und Hermine entschieden in ihre Kissen zurück drückte, als diese Anstalten machte, das Bett zu verlassen. „Du bist sicher müde. Bitte stör dich nicht an meiner Anwesenheit, aber ich habe mir Sorgen um dich gemacht“, gestand sie der jungen Frau, während Molly ihr fürsorglich durch die braunen Locken strich. „Ich... Ich wollte dich unbedingt sehen. Arthur war vor zwei Stunden auch noch hier, aber... er... er muss noch einiges erledigen.“ Dass ihr Mann sich um Freds Beerdigung kümmerte, wollte und konnte die gutherzige Molly in Hermines Gegenwart nicht erwähnen.   Gerne hätte sie die Fürsorge angenommen, doch plagten Hermine andere Gedanken. Immer mehr wurde ihr bewusst, dass das, was passiert war, kein Traum gewesen war, was es ihr zusätzlich erschwerte, Mollys Sorge zu würdigen. „Wo ist Harry? Wo sind Ron und Ginny?“ Noch vor Sekunden wollte sie aus dem Bett steigen, doch plötzlich fehlte ihr die nötige Kraft. Ob es daran lag, dass sie die Realität immer mehr akzeptierte? Raubte ihr das schlussendlich die Kraft?   „Alles zu seiner Zeit, Hermine. Du solltest dich zuerst -“   „Nein!“, entkam es ihr beharrlich. Nein, sie wollte nicht außen vorgelassen werden, sondern über die weiteren Erkenntnisse informiert werden. Alleine Mollys Gesicht sprach Bände und Hermine wollte wissen, was geschehen war. „Bitte Misses Weasley, sagen Sie mir die Wahrheit. Wo sind Ron und Ginny? Was ist mit Harry?“ Sie selbst schien im St. Mungo zu sein. „Hermine.“ „Bitte!“ Sie würde sich bestimmt nicht beruhigen oder ausruhen, denn darauf würde es hinauslaufen, wenn sie Molly gewähren ließ. Aber wie sollte sie sich beruhigen, wenn sie wusste, dass etwas mit Harry war? Konnte man ihre Sorgen nicht verstehen? Ihre Ängste? Sicher, Molly wollte sie beschützen, ihr nichts gravierendes zumuten, aber sie musste die Wahrheit wissen. „Was ist passiert?“ Schlagartig kehrte die vorherig verwehrte Kraft zurück. „Misses Weasley, ich höre nicht auf zu fragen“, bekräftigte sie energischer. Molly schluchzte heftig und ihre Stimme versagte. Mit fahrigen Fingern zog sie ein gestreiftes Taschentuch aus ihrer Schürze, in das sie hinein schnäuzte. Aber es nützte nichts. Der seelische Schmerz verschwand nicht, so sehr sie sich auch bemühte. Und Molly Weasley wusste, sie konnte vor der Wahrheit nicht davonlaufen. „Harry, er... er liegt im Koma. Was immer die Heiler damit meinen“, begann die schluchzende Mutter von einst sieben Kindern zu erklären.   Hermine war, wenngleich es nicht ihre eigene Mutter war, von soviel Emotionalität gerührt. Diese Frau, die an ihrem Bett Wache hielt, durchlebte das, was man keinem Elternteil wünschte - das eigene Kind zu Grabe tragen. Molly litt Qualen, während sie den Verlust ihres Sohnes verarbeiten musste und doch fand diese starke Frau die Kraft, an Hermines Bett zu sitzen, ihr Trost zu spenden und über sie zu wachen. „Im Koma?“   „Ja, das... das sagen die Heiler“, bestätigte sie lamentiert. „Ron und Ginny... sie sind beide... bei ihm“, fuhr sie nahtlos fort und auch ihre Stimme wurde wieder fester, nachdem sie erneut in ihr Taschentuch schnäuzte. „Wir... Wir wechseln immer, weißt du?“, erzählte sie schmunzelnd, als würde ihre Schilderung zu einer lustigen Anekdote gehören. Und tatsächlich schien es Molly zu beruhigen, gelassener zu sprechen. Ihre Atmung wurde ruhiger, je länger sie auf Hermine sah.   Das war auch Hermines Anlass, abermals den Versuch zu wagen, aufzustehen und zu Harry zu gehen. Sie musste zu ihm. Sie wollte zu Harry, Ginny und Ron. Zu ihren Freunden, um sich selbst davon zu überzeugen, dass Harry hier war. Auch wollte sie sich vergewissern, dass es Ron und Ginny den Umständen entsprechend gut ging. Schließlich mussten auch sie den Tod ihres Bruders verarbeiten. Hermine wollte bei ihnen sein. Sie könnten sich gegenseitig stützen und füreinander da sein. Allerdings sah Molly das ein wenig anders. Zum wiederholten Mal drückte sie die Gryffindor-Schülerin in ihre Kissen zurück. Fein! Ihr Gehirn schlug ihr Diplomatie vor. „Misses Weasley“, entgegnete Hermine darauf versöhnlicher. „Wie... Wie lange liege ich schon hier?“ „Seit drei Tagen“, antwortete Molly, die das Mädchen voller Herzlichkeit betrachtete. Sie legte alle Herzlichkeit die sie hatte in diesen einen Blick, um Hermine verständlich zu machen, dass es okay war, dass sie so lange geschlafen hatte, denn ihr Körper brauchte jene Ruhe, um sich von den vorangegangenen Strapazen zu erholen.   „Was? Seit... drei Tagen?“ Was war nur passiert? Indes entdeckte sie einen Tagespropheten auf ihrem Nachttisch. Hastig griff sie nach der Zeitung und wäre es möglich gewesen, so wäre spätestens jetzt ihre Kinnlade ungebremst zu Boden geknallt. In ihren Händen hielt sie die heutige Ausgabe des Tagespropheten - datiert auf den 5.Mai.1998. Sie blickte zurück zu Molly und ihr Herz zersprang in tausend Teile. Vor ihr saß eine gebrochene Frau, eine trauernde Mutter. Fred war im Krieg gestorben. Die Bilder, wie Molly über Fred gebeugt lag bohrten sich an die Oberfläche von Hermines Gedankenwelt. Und doch saß Molly hier bei ihr und sorgte sich ehrlich um Hermine. Abschließend sah sie hinab auf Mollys Hände, die sie fest knetete und es zerrüttete die junge Frau so sehr. Sie konnte Mollys Schmerz fühlen und es war belastend. Auch Hermine war traurig, doch unterschied sich ihre Trauer von der einer Mutter, dessen Kind gestorben war. Dennoch wusste Hermine, dass sie beide litten, woraufhin sie sich auf ihre Bettkante setzte, vorsichtig nach Mollys Hand griff und sanft zudrückte, ehe sie aufstand und die rothaarige Frau an sich drückte. Bedächtig glitten ihre Hände über den Rücken der älteren Frau, die Hermines Geste dankbar annahm. Folglich erzählte sie Hermine alles, was sie wusste – von Fred, von Harrys Zustand und davon, wann man Hermine ins Krankenhaus gebracht hatte.     ~*~ „Mr. Malfoy?“ Draco hatte den Namen des Ministeriumsbeamten vergessen, der vor seinem Schreibtisch Platz genommen hatte. Er selbst war aufgestanden, da er sich der Farce nicht länger als nötig hingeben wollte und war zu dem Fenster gegangen, das von einem bodenlangen Vorhang bedeckt war. Draco hätte ihn zur Seite ziehen können, um das dunkle Zimmer in seinem Glanz erstrahlen zu lassen, aber er sah davon ab. Stattdessen hatte er nach dem Stoff gegriffen, den er zwischen seinen Fingern ausgiebig betrachtete. Ja, das war bedeutend interessanter.   „Mr. Malfoy, ich bitte Sie.“   Prompt ließ er den teuren Stoff nach unten fallen, ehe er abfällig zu dem Mann zurückblickte. Ob es taktlos war, den Mann sekundenlang warten zu lassen? Absolut, aber Draco störte sich nicht sonderlich daran. „Ahm... Ich weiß es zu schätzen, dass Sie sich die Zeit nehmen, mich zu empfangen.“   Gewiss wusste er das. Klar. Aber noch schwieg Draco eisern.   „Da Sie nun, aufgrund des frühen Ablebens Ihres Vaters – was ich zutiefst bedauere –, zum alleinigen Erben des gesamten Malfoy-Vermögens geworden sind, muss ich Sie darüber informieren, dass Ihnen sofortiger Zutritt zu Ihren Verliesen gewährt wird“, fuhr der Gesandte des Ministeriums unbeirrt fort. Zugegeben, ihm war Malfoys Arroganz zuwider, doch verstand er die ablehnende Haltung des jungen Mannes. Draco hielt dem Beamten insgeheim zugute, dass er den Lordtitel nicht gebrauchte, der nach Lucius' Tod auf Draco übergegangen war. Aber das waren Kleinigkeiten über die er nicht nachdenken wollte. Diesen dämlich Titel fand er ohnehin sinnlos. Was brachte ihm dieser Titel? Gar nichts. Er verhalf ihm weder zu mehr Reichtum, noch zu mehr Ansehen. Es bewirkte lediglich, wenn überhaupt, dass sein Ego aufpoliert wurde, weil er die niederen Klassen von oben herab mustern und dementsprechend behandeln konnte. Tja, früher fand er diesen Titel toll. Früher... als sein Vater noch gelebt und diese Macht versprüht hatte. Jenes Verhalten hatte er stets an Lucius bewundert. Der kleine, naive, infantile Draco hatte seinen großen, übermächtigen Vater vergöttert und es gefiel ihm, wie die Menschen vor der Autorität seines Vaters zurückgeschreckt waren. Heute zeigte ihm dieses Verhalten jedoch nur, wie schwach sein Vater in Wirklichkeit gewesen war. Die Menschen, so hatte der mittlerweile achtzehnjährige Draco erkannt, waren nur solange nett, solange sie auch einen Nutzen aus Lucius' Verhalten ziehen konnten. Denn in Wirklichkeit war es doch so, dass jeder – hätten sie die Gelegenheit gehabt – nur darauf wartete, im richtigen Moment zuzuschlagen. Sie alle würden ohne mit der Wimper zu zucken einen Fluch abschicken, um an seinen Reichtum zu gelangen – dieses raffgierige, materialistische Volk. Von Angst konnte niemals die Rede sein, da sein Vater ansonsten niemals darauf bedacht gewesen wäre, seine Schätze in den tiefsten Verliesen von Gringotts zu sichern.   Ebenso wie von den Gedanken an seinen Vater, war er von diesem Beamten genervt, anlässlich der gespielten Höflichkeit. Diese zerrte erheblich an seinem Nervenkostüm. Auch spürte er die Unsicherheit des Mannes, obwohl Draco, soweit es seine Verfassung zuließ, noch relativ harmlos aussah. Aber jeder kannte Lucius, der – trotz seines rapiden Falles in Voldemorts Hierarchie – bekannt dafür gewesen war, den Feind mit Blicken zu quälen und das schien auch Draco in perfekter Manier zu beherrschen. Oder lag der Ursprung woanders, hinsichtlich der Unsicherheit des Mannes? Erhoffte er sich Spendengelder? Graute es ihn davor, Draco darauf anzusprechen? War er aus diesen genannten Gründen so zuvorkommend und höflich? Offensichtlich. Weshalb sollte der Beamte sonst so förmlich und geduldig sein? Im Anschluss kräuselten sich seine Lippen, als der Beamte weitere Pergamente aufrollte. Er hätte sie diesem Bastard am liebsten um die Ohren geschlagen.   „Verzeihen Sie, Sir, aber Sie müssen mir schriftlich bestätigen, dass ich Sie darüber in Kenntnis gesetzt habe“, fügte er peinlich berührt hinzu. Anschließend entnahm er eine weitere Pergamentrolle, die er auf dem Schreibtisch entfaltete und glatt strich. „Hier stimmen Sie zu, das Erbe in voller Höhe von fünfhundert Milliarden Galleonen anzunehmen.“   Argwöhnisch besah er sich die Schriftstücke aus der Ferne, ehe er dem Beamten entgegensah, der ihm bereitwillig eine Feder entgegenhielt.   „Ich verstehe Ihre Verunsicherung, Sir. Sie sind noch so jung. Verständlich, dass das alles befremdlich wirkt und Sie womöglich aus der Bahn wirft.“ Natürlich. Seine Phrasen klangen einstudiert. Leere Floskeln äußerte er – sonst nichts. Auch hätte der Mann die Summe nicht explizit erwähnen müssen, aber fünfhundert Milliarden Galleonen waren eine beträchtliche Summe. Darüber hinaus wusste Draco selbst sehr genau, was er erbte. Lucius war kein Mensch, der etwas unbeendet zurückließ. Sein Vater hatte ihm schon seit frühester Kindheit eingeprägt, was auf ihn zukam, wenn Lucius das Zeitliche segnete. Draco glaubte sich zu erinnern, dass Lucius damit begann, nachdem der dunkle Lord zurückgekommen war... Es war beängstigend, da Lucius so abgeklärt geklungen hatte. Jedes Mal, wenn er davon sprach. Als... Als ob er gewusst hätte, dass er kein alter, weiser Mann werden würde und mittlerweile kamen ihm diese Gespräche vor, als lägen sie schon unendlich viele Jahre zurück.   „Mr. Malfoy? Bitte.“   Mit Zwang kam er bei Draco nicht sehr weit, aber er musste die Dokumente unterzeichnen, um sein Erbe zu erhalten. Nur anhand seiner Unterschrift würde man erkennen können, dass Draco Malfoy tatsächlich auch Draco Malfoy war. In jüngster Vergangenheit war es oft vorgekommen, dass Zauberer sich mithilfe von Vielsaft-Trank bereichert hatten und um das zu umgehen, verstärkte man den Zauber der Pergamente und der darauf befindlichen Unterschrift, um letzten Endes sicher sein zu können, dass der, der unterschrieb, auch tatsächlich derjenige war.   Anschließend steuerte Draco den Schreibtisch an, bevor er die Feder in die linke Hand nahm und zischend unterschrieb. Es war wie ein Biss, nachdem er die Feder zurücklegte und seine Unterschrift betrachtete. In filigraner, fein säuberlicher Schrift schimmerte auf dem Pergament sein Name: Lord Draco Lucius Malfoy. Ferner, nach ungefähr zehn Sekunden, leuchtete sein Name blau auf, um dem Beamten zu signalisieren, dass der rechtmäßige Erbe das Pergament unterzeichnet hatte. „Ausgezeichnet!“, erwiderte der ältere Mann erleichtert. Schon bald würde er dieses finstere Zimmer verlassen können. Ja, er zählte die Minuten. „Glückwunsch, Sie sind nun -“   „Sparen Sie sich die Worte. Ich will sie nicht hören“, unterbrach Draco ihn scharf. Wollte dieser Penner etwa witzig sein? Ha, er war es keineswegs.   „Mr. Malfoy, es liegt mir fern, Sie in irgendeiner Hinsicht zu -“   „Ich denke, Sie gehen jetzt besser.“ Instinktiv hatten sich seine Hände zu Fäusten geballt, während seine Augen dunkler wurden – anlässlich der Beeinflussung der herrschenden Dunkelheit im Zimmer. In seinen Augen tobte ein Sturm aus silbernem Stahl, das im blauen Meer versinken wollte. Ihn kotzten Glückwünsche an. Er wollte und brauchte sie nicht. Noch weniger wollte er Beileidsbekundungen hören. Sie wären sowieso geheuchelt und falsch. Und Mitleid wollte Draco erst recht nicht. Zwar gehörten genau solche Äußerungen dazu, sobald sich ein Beamter im Anwesen eines Erben einfand, aber es war für den jeweiligen Beamten zur Routine geworden. Zumindest erweckte der Mann diesen Eindruck, weil ihm die Worte so leicht über seine Lippen kommen wollten.   „Natürlich, Sir. Ich möchte Sie nicht länger als nötig belästigen.“ Er spürte, dass er Grenzen überschritt, weswegen er sich eilig aus seinem Stuhl erhob. Dennoch hielt der Beamte dem Jungen freundlich seine Hand entgegen. Allerdings ignorierte der junge Malfoy ihn und wandte sich ab. Ein Zeichen, dass der ältere von beiden gehen konnte. Mit gesenktem Haupt wollte er das Zimmer verlassen, doch hielt er an der Tür inne und blickte zu Draco zurück. „Der Verlust Ihres Vaters tut mir -“   „Raus!“   „Gewiss.“ Ein letztes Mal nickte er dem Jungen zu, ehe er die Tür öffnete und dahinter verschwand. Schnaufend lehnte er seinen Rücken gegen das massive Holz und wartete auf die Ankunft der Elfe, die ihn zu einem Kamin führen würde, um zum nächsten Termin flohen zu können. Draco hingegen griff neben sich und goss sich aus der Kristallkaraffe Whiskey in sein Glas, das er augenblicklich ansetzte. Die goldene Flüssigkeit erfüllte ihren Zweck, indem sie seinen trockenen Mund befeuchtete. Glücklicherweise spürte er dieses Mal nicht das übliche Brennen, das für gewöhnlich den Whiskeygeschmack begleitete. Hätte er es gespürt, hätte er den Whiskey wohl stehen gelassen und nicht weiter beachtet.   Aber was sollte er sonst machen? Galleonen zählen? Nein, das würde ihn bestimmt langweilen, zumal er schon vorher wusste, dass er nun ein reicher Mann war. Aber was nützte ihm all sein Reichtum, wenn er innerlich zerrissen war?   „Du warst schon immer reich. Hinzufügen möchte ich, dass du verzogen bist“, zischte seine innere Stimme. Unfassbar. Diese Stimme war nervig. Aufsässig, nervig und aufdringlich. Vielleicht sollte er, auch um sich abzulenken, nach seiner Mutter sehen? Sie hegte bis zuletzt die Hoffnung, dass Lucius in Askaban saß, aber diese Seifenblase war zerplatzt, nachdem der Ministeriumsbeamte angekommen war. Ja, mit seinen Plattitüden hatte er Narzissas Hoffnungen zunichte gemacht. Lucius war nämlich nicht in Askaban. Nein, er war auf Hogwarts gefallen – wie viele andere auch.   Das brachte ihn zu dem Entschluss, nicht nach seiner Mutter zu sehen. Nein. Draco musste erst selbst mit seiner Trauer zurecht kommen – so unwirklich das Wort in Relation mit ihm auch klang. Seine labile Mutter würde er inmitten seiner Trauerbewältigung nicht gebrauchen können. Und das alles wegen Lucius. Seinetwegen lief Draco Gefahr, in ein tiefes Loch zu fallen, verdammt. Gott ja, er hasste Lucius, aber er war auch sein Vater gewesen. Ein Vater, der ihn wenigstens mit keinen finanziellen Nöten zurückgelassen hatte. Im Gegenteil. Nun hatte Draco die Befehlsgewalt, die er immer haben wollte. Er war der rechtmäßige Erbe von Malfoy Manor, sowie des Malfoy-Vermögens. Er hatte die alleinige Entscheidungsmacht. Wie Narzissa sich wohl dabei fühlte? Draco wusste es nicht, aber sicher dachte sie, dass mit Dracos Aufstieg der nächste Tyrann geboren war, der einen bösen Einfluss auf sie ausüben würde. Des Weiteren öffnete sein Name ihm einige Türen, dafür hatte Lucius immer gesorgt. Mit Geld erreichte man alles und da er über diese Mittel verfügte, hatte er eine enorme Macht. Arbeiten brauchte er ebenfalls nicht. Er musste nur das Vermögen verwalten, Spenden hier und da tätigen und in den Tag hineinleben. Oh ja. Er besaß einzigartige Macht. Was er Lucius jedoch wirklich hoch anrechnete, war die Gabe, Menschen zu manipulieren. Ja, man konnte Lucius nie nachweisen, dass er zu den Todessern gehörte, denn offiziell hieß es, dass Lucius nur auf Hogwarts gewesen war, um seinen Sohn zu retten. Aus diesem Grund wurde das Vermögen nach seinem Tod nicht eingefroren, sonst hätte Draco wirklich blöd dagestanden.   Tja... Lucius war in der Tat außerordentlich gewesen. „Auf deinen perfekten Geschäftssinn, Lucius!“ Draco hob erneut sein Glas, setzte es an und trank missmutig einen großen Schluck. Wie geschickt sich Lucius doch aus allem herauswinden konnte und nun entwischte er schon wieder. Allerdings bezahlte er dieses Mal mit seinem Leben. Und das nur, um seinen Sohn zu retten. Na ja, vielleicht stimmte es. Vielleicht wollte Lucius wirklich nur dafür Sorge tragen, dass Draco diesem Krieg entkommen konnte. Sicher war sich der junge Malfoy-Spross dahingehend aber nicht. Was er jedoch wusste, war, dass Lucius seit geraumer Zeit kein loyaler Todesser mehr gewesen war...   Pah... Sein eigener Vater schien auf die Ideologie, die er Draco immer eingeprügelt hatte, zu spucken. Ob das gut oder schlecht war... Nun, darüber würden sich noch die Geister streiten.   Nachdem er sich abermals Whiskey in sein Glas gefüllt hatte, überlegte er, ob er seiner Mutter vorschlagen sollte, in Urlaub zu fahren. Vielleicht nach Sizilien? Dort besaßen die Malfoys ein Ferienhaus. Ja, das... das wäre eine gute Idee, um beiden die Möglichkeit zu geben, auf ihre eigene Weise zurechtzukommen. Während er darüber nachdachte, wie er seiner Mutter diesen Vorschlag schmackhaft machen konnte, war er zum Fenster zurückgegangen, doch dieses Mal zog er den Vorhang ein wenig zur Seite, um der untergehenden Sonne dabei zuzusehen, wie sie den Horizont erreichte und schlussendlich dahinter verschwand.     ~*~ Schnaubend stand er vor der cremefarbenen Tür, ehe er entschied, vorsichtig gegen das Holz zu klopfen. Sein Beruf war angenehm, aber er hatte auch seine Schattenseiten. Oft gelang es ihm nicht, die moralischen Aspekte über die der beruflichen zu stellen. Zu fixiert war er darauf, seinen Beruf gewissenhaft auszuüben. Allerdings verstand er, dass er oft von Anwesen getrieben wurde, aufgrund seines recht emotionslosen Auftretens. Aber das gehörte dazu. In seinem Metier durfte man sich nicht von Gefühlen leiten lassen. Dennoch war ihm nicht wohl dabei, als er seine Hand gehoben und gegen die Tür geklopft hatte. Zumal sein vorheriger Termin nicht sonderlich gut verlaufen war. Im Gegenteil. Malfoy war ein anstrengender Bengel. Dahingehend hoffte er, dass Miss Granger nicht so unhöflich war. Aber er wusste auch, wie herzlich das Mädchen war. Schließlich hatte er vieles über sie, Harry Potter, sowie Ronald Weasley gelesen. Immer hatte man die Bescheidenheit der Teenager hervorgehoben, weshalb er auch daran glaubte, mit dem Mädchen vernünftig sprechen zu können. Die Frage war jedoch: Wie lange würde die Vernunft anhalten? Denn wer war ihm gegenüber noch wohlgesonnen, wenn alles, was er mitzuteilen hatte, nicht gerade positiv war?   „Ja?“, vernahm er eine sanfte Stimme, wenngleich sie auch geschwächt klang. Schluckend umfing er die Türklinke, bevor er sie nach unten drückte und die Tür nach innen aufschob. Sofort erkannte er die junge Frau, die alleine im Zimmer war. Zum Glück. Er bevorzugte es, mit den Menschen alleine zu sein, die er beruflich traf. „Guten Abend, Miss Granger“, begrüßte er sie freundlich. Abschließend schloss er die Tür, ehe er mit seinem schwarzen Lederkoffer – dessen Griff von seiner Hand fest umklammert wurde – zu ihrem Bett herantrat und diesen auf ihrem Nachttisch abstellte. „Guten Abend, Sir“, erwiderte Hermine skeptisch. Sie kannte den Mann nicht, doch sein sympathisches Auftreten war angenehm, was jedoch noch lange nicht ihre Wachsamkeit zur Seite schob. Dringlicher waren die Gedanken, woher er ihren Namen kannte und wie er sie gefunden hatte? Doch sofort begann ihr Hirn zu rasen, um nach möglichen Antworten zu suchen. Womöglich war nach Harrys Einlieferung im Ministerium die Hölle los. Vielleicht hatte das Ministerium eine Stellungnahme veröffentlicht, woraus man schließen konnte, wo sie zu finden war? Aber das war abwegig, oder?   „Verzeihen Sie“, begann er souverän und war dankbar, dass sie zumindest antwortete. „Ich bin Lukas Kent. Ich komme vom Ministerium, Miss.“ Zuvorkommend streckte er ihr seine Hand entgegen, doch in ihren Augen sah er die Skepsis. Er beobachtete ihren prüfenden Blick, woraufhin er zaghaft lächelnd seine Hand zurückzog.   „Vom Ministerium?“, fragte sie lauernd. War das zu fassen? Aber noch bewahrte Hermine Haltung. Schließlich wusste sie nicht, was der Grund seines Besuches war. Außerdem lag es ihr fern, jemanden zu verurteilen, den sie gar nicht kannte, obwohl ihre Abneigung dem Ministerium gegenüber nach wie vor Bestand hatte. „Was verschafft mir die Ehre, Mr. Kent?“ Sie wollte nicht bösartig klingen. Wirklich nicht, aber die Diskrepanz war ungewollt gewachsen. Ihre Zurückhaltung war nicht persönlich zu nehmen, allerdings lehrte sie die damalige Erkenntnis, dass das Ministerium keine vertrauenswürdige Institution gewesen war. Vor allem, wenn es um Harry ging...   Harry... Den sie nicht besuchen durfte. Der Heiler, den Molly rufen ließ, hatte ihr Bettruhe verordnet. Er hatte ihr sträflich untersagt, Harry zu besuchen und nun stand dieser blöde Beamte vor ihr, der Erinnerungen in ihr hervorrief, mit denen sie nicht konfrontiert werden wollte. Verdammt, das Ministerium brachte wohl über alles sein Übel – ob gewollt oder nicht.   Toll. Augenblicklich dachte sie daran, was ihr bisweilen in den dunklen Hallen des Ministeriums widerfahren war. Im fünften Schuljahr wurde Harrys Verfahren in den unteren Gerichtssälen verhandelt. Ein Straftribunal, aufgrund von minderjähriger Zauberei, was an Lächerlichkeit nicht mehr zu überbieten war. Hermine hatte damals unzählige Bücher gewälzt. Hinzu kam, dass... dass Sirius in der Halle des Todes gestorben war – ermordet von seiner eigenen Cousine. Aber das schien dem Schicksal nicht zu genügen, denn während ihres letzten Schuljahres, das sie damit verbrachten, nach Voldemorts Horkruxen zu suchen, beschloss das Ministerium, nach ihnen zu fahnden. „Miss? Ist alles in Ordnung?“, fragte Lukas besorgt. Anscheinend mochte sie das Ministerium nicht – folglich auch ihn nicht. Verständlich, wenn man bedachte, was sie, Harry Potter und Ronald Weasley in den Hallen erlebt hatten. Zuletzt waren sie dort, als sie sich ins Ministerium geschleust hatten und dabei erwischt wurden. Lukas hatte davon gehört... Zuzüglich war er mit den vorhergegangen Vorkommnissen aus ihrem fünften Schuljahr vertraut gewesen. Verflucht. Und nun war er hier... Ein rational denkender Mann, der dem angeschlagenen Mädchen mitteilen musste, dass ihre Mutter zuhause ermordet wurde - zwei Tage vor der Schlacht auf Hogwarts. Grundgütiger, er wollte unter keinen Umständen mit ihr tauschen. Der Weg zum Ziel war allerdings hinderlich. Wie sollte man einem heranwachsenden Menschen einen derartigen Verlust erläutern? Zumal ihre Eltern sowieso gefährdet waren, weil ihre Tochter Hermine Granger war.   „Sicher“, bestätigte sie kopfschüttelnd, nachdem sie zu ihm hinaufblickte. „Weswegen sind Sie hier?“, fügte sie hinzu. Währenddessen versuchte sie sich einzureden, dass alles gut werden würde. Harry war in guten Händen, er würde überleben. Punkt.   „Miss.“ Ach, verdammter Drachenmist. Es gab kein zurück. Lukas musste ihr die Wahrheit sagen. Das Mädchen verdiente die Wahrheit, da es ihr und den beiden Jungen zu verdanken war, dass die Welt ein Stück weit sicherer geworden war. „Es geht um Ihre Mutter, Miss Granger.“ Infolgedessen sah er, wie sich ihr Mund erschrocken öffnete, bevor ihr Hand davor flog. „Ihre Eltern wurden zwei Tage vor der Schlacht auf Hogwarts angegriffen.“   „Was?“, entfuhr es ihr angstvoll. „Und das erfahre ich erst jetzt?“ Fassungslos schlug sie die Decke zur Seite, doch wie Molly Weasley zuvor, war auch Lukas Kent näher gekommen, um sie daran zu hindern, das Bett zu verlassen. Dass sie nicht früher informiert wurde lag womöglich daran, dass man sie nicht hatte aufspüren können, aber das wollte Hermine in ihrer Verzweiflung nicht erkennen.   „Miss Granger, bitte bleiben Sie liegen.“   „Nein!“ Ärztliche Anordnung hin oder her. Sie würde sich nicht mehr zurückhalten lassen – von niemandem mehr. „Sagen Sie mir lieber, wo ich meine Eltern finden kann.“   Wortlos hatte er ihren Protest akzeptiert. Was bleib ihm anderes übrig? „Ihr Vater wurde ins St. Mary's Hospital in London eingeliefert.“   „Und meine Mutter?“, drängte Hermine. Wieso musste sie ihm alles aus der Nase ziehen?   „Ihre Mutter hat den Angriff leider nicht überlebt“, gestand er seufzend. Unverzüglich wappnete er sich. Er war auf einen emotionalen Ausbruch ihrerseits vorbereitet und obwohl er stets glaubte, Emotionalität nicht an sich heranzulassen, tat ihm die junge Frau leid. Die Tränen in ihren glasigen Augen wurden dicker, ehe sie ihre Wangen hinabrannen, was Lukas verunsicherte, trotz der Annahme, vorbereitet zu sein. Nun... das war offenbar ein Irrtum. Man konnte sich auf so etwas niemals vorbereiten.   „Nein“, entgegnete Hermine stoisch, da sie nicht glauben konnte, was der Mann ihr sagte. Niemand, der halbwegs normal war, würde auf solch emotionslose Art eine derartige Nachricht überbringen. „Das muss ein Missverständnis sein, das sich alsbald aufklären wird.“ Dennoch erhob sie sich aus ihrem Bett und steuerte – gekleidet in ein Nachthemd – den cremefarbenen Schrank an, aus dem sie ihre Perlenhandtasche entnahm, in der sie wahllos herumwühlte – nicht sicher, wonach sie genau suchte, aber das Faktum zu verarbeiten, dass ihr Vater verletzt im Krankenhaus lag, erschwerte ihr sonst so sicheres Auftreten. Ihr war schon immer bewusst gewesen, dass ihre Eltern mögliche Ziele der Todesser sein könnten. Dass jedoch ihre Mutter... ermordet wurde, das war etwas, was sie nicht akzeptieren konnte.   Alleine der Gedanke, dass die Worte dieses Mannes wahr sein könnten, trieb ihr weitere Tränen in die Augen und Hermine dachte gar nicht daran, sie zurückzuhalten. Sollte Mr. Kent genervt sein, ihr war es völlig gleichgültig.   „Bitte beruhigen Sie sich“, erwiderte er besänftigend und versuchte sie gleichzeitig von ihrem Vorhaben abzubringen. Darüber hinaus zerbarsten gerade sämtliche Schutzschichten, welche er sich angeeignet hatte, da er von ihrer Machtlosigkeit ergriffen war. „Wir... Wir konnten leider nichts mehr tun. Uns wurde spätabends das dunkle Mal gemeldet, wonach sich unverzüglich ein Auroren-Team zum Haus Ihrer Eltern begab.“   „Sie irren sich, Sir“, konterte sie unnachgiebig, während sie weiterhin eifrig in ihrer Perlenhandtasche wühlte. Gerne hätte er sich geirrt, aber es bestand kein Zweifel. Die Opfer des Angriffs waren Jane und David Granger – Hermine Grangers Eltern. „Wir haben es mehrmals überprüft, Miss. Gerne würde ich Ihnen etwas anderes sagen, aber -“   „Nein, das... das kann nicht sein“, unterbrach sie ihn kläglich und doch wusste ihr Verstand bereits, dass die Worte des Ministeriumsbeamten der Wahrheit entsprachen. Noch ein paar Minuten und Hermine würde es auch begreifen, doch bis dahin handelte sie aus dem Bauch heraus. Sie wollte sich der Illusion hingeben, dass sie sich in einem Traum befand. In einem bösen Traum.   „Miss Granger, ich -“   „Bitte sagen Sie es nicht, Mr. Kent“, verlangte Hermine ausdrücklich. Sie musste darüber nachdenken, wieso man ihre Eltern hätte angreifen können? Schlussendlich hatte man ihr nichts zukommen lassen, woraus man schließen konnte, dass ein Angriff auf ihre Eltern in Erwägung gezogen wurde. Und gewiss hätte man das publik gemacht, weil man wusste, dass darauf reagiert worden wäre. Oder lag es im Bereich des Möglichen, dass... dass ihre Eltern das Ziel einer willkürlichen Ermordung waren? Aber wieso? Warum nur? Wäre es nicht besser gewesen, Jane und David Granger gezielt als Druckmittel einzusetzen? Oder fiel ihre Mutter dem Kalkül eines jedes Todessers zum Opfer, aufgrund ihrer Standfestigkeit? Denn Hermine wusste auch, dass ihre Eltern niemals ihr Wissen preisgegeben hätten. Unter keinen Umständen.   Wie Hermine es auch drehte. Sie konnte sich keinen Reim darauf machen. Was aber zum Vorschein kam, war die innerliche Zerrüttung. Während sich die Tränen ihren Weg über ihr Gesicht bahnten, spürte Hermine einen widerlichen Druck in ihrem Brustkorb. Des Weiteren hatten sich ihre Augen geweitet, je mehr sie sich mit dem Szenario auseinandersetzte. Derweil hatte sie auch ihre Handtasche zu Boden sinken lassen. Ferner glitten ihre zitternden Hände über ihr Gesicht, hinauf zu ihren feuchten Augen, bevor sie bitterlich zu weinen begann.   Erst jetzt realisierte sie das Ganze wirklich. Die Wahrheit hatte Eintritt gefordert. Zeitgleich wurde ihr der Boden unter den Füßen weggerissen, woraufhin sich Hermine leicht nach vorne beugte. Fast wäre sie in die Knie gegangen, doch war Lukas schneller. Betroffen hatte er ihr unter die Arme gegriffen, ehe sie zu Boden fallen konnte, aber das hätte sie nicht gestört. Nein... Die Aufprall wäre lange nicht so schmerzhaft wie das, was gerade eintraf – die Erkenntnis, ihre Mutter verloren zu haben. In einem sinnlosen Krieg, in welchen ihre Mutter involviert war, angesichts ihrer Herkunft. Hinzu kam, dass ihr Vater verletzt in einem Muggelkrankenhaus lag – vermutlich im Unklaren gelassen wurde, weil das Ministerium sich nicht in der Pflicht sah, ihren Vater aufzuklären.   Und für Hermine... für sie brach gerade die Welt ein weiteres Mal zusammen.   „Was ist denn hier los?“ Ein Heiler war in der Zwischenzeit in das Zimmer gestürmt, nachdem Hermines Schluchzen immer lauter geworden war und was er vorfand, war für eine schnelle Genesung überhaupt nicht förderlich. „Miss Granger, Heiler Bletchley hat Ihnen Bettruhe verordnet, und was tun Sie hier, Mr. Kent? Können Sie nicht warten, bis unsere Patienten stabil genug sind?“   „Heiler Jones, meine Pflicht -“   „- die mir nicht egaler sein könnte“, wehrte der Heiler die Rechtfertigung seines Gegenübers ab. „Wir sind in einem Krankenhaus – nicht im Ministerium, Kent. Verstanden? Und nun bitte ich Sie, zu gehen. Miss Granger braucht Ruhe.“ Anstandslos war er zu seiner Patientin gegangen, die er unweigerlich zu ihrem Bett zurückführte. Verständlich, dass ihn jeder weg haben wollte. Niemand wollte schlimme Nachrichten empfangen und auch das Krankenhaus verließ er fluchtartig. Hermine dagegen befand, dass sie keine Ruhe bräuchte. Sie musste zu Harry und zu ihrem Vater. Jawohl. „Sir“, begann sie daher nach wenigen Minuten der Stille, „ich werde mich selbst entlassen müssen. Die Umstände erfordern diesen Schritt“, erklärte sie nonkonformistisch und sie würde ihre Beweggründe nicht weiter vertiefen. Ihr Entschluss stand fest. „Bitte? Das kann ich unmöglich erlauben, Miss Granger. Zwar sind Ihre Werte – zu meinem Erstaunen – stabil, aber ich rate Ihnen dringend davon ab, das Krankenhaus zu verlassen.“ Kein Heiler der Welt würde ihre Meinung ändern. Sie würde noch heute das Krankenhaus verlassen.     ~*~ Seit ungefähr dreißig Minuten saß Hermine nun schon an Harrys Bett. Stumm hatte sie den Jungen angesehen, immer wieder seine Hand gestreichelt oder über seine zerzausten Haare gestrichen. Selbstredend war sie zu ihm gegangen, nachdem sie sich selbst entlassen hatte – trotz wiederkehrender Proteste seitens der zuständigen Heiler, aber das war ihr egal. Man hatte sogar nach Ron und Ginny rufen lassen, in der Hoffnung, sie stünden auf der Seite der Heiler, doch hatte Hermine ihren Freund die Lage erklärt. Unter Tränen erzählte sie ihnen von der Ermordung ihrer Mutter, was sie genauso schockierten und Hermines Standpunkt umso besser nachvollziehen konnten. Zugegeben, begeistert waren sie nicht, aber sie verstanden ihre Intention, was der jungen Gryffindor wichtig gewesen war. „Wieso wachst du nicht einfach auf, Harry?“, flüsterte sie – den Tränen wieder nahe. Bei Merlin, wie gerne würde sie Harrys Stimme hören. Wie gerne würde sie von ihm in den Arm genommen werden. Natürlich gab es da noch Ron, und auch Ginny, aber sie vermisste Harrys Zuspruch. „Du fehlst uns.“ Aber er antwortete nicht. Nein, er lag friedlich in seinem Bett und es sah aus, als würde er schlafen. Seine Kopfwunde, herbeigeführt durch den Sturz, hatte man magisch heilen können, sowie alle weiteren körperlichen Verletzungen. Die Heiler sprachen davon, dass sie nicht wussten, was genau dazu führte, dass er nicht aufwachte. Es war einfach so. Eine Antwort, die Hermine nicht zufriedenstellte, aber was sollte sie tun? Weder Ron, noch sie selbst konnten etwas tun, außer zu warten. Darauf, dass der Junge, der überlebte, endlich aufwachte und es zerriss ihr das Herz, Harry hilflos im Bett liegen zu sehen. Zwar war er an keinerlei Gerätschaften angeschlossen, wie es in Muggelkrankenhäuser üblich war, aber der Anblick ihres komatösen Freundes war herzzerreißend, weil man nicht wusste, wie es weitergehen würde und auf den ersten Moment war es... bizarr, ihm etwas zu erzählen. Allerdings hatte sie einmal gelesen, dass Muggelärzte überzeugt davon waren, dass Komapatienten im Stande waren, Stimmen zu erkennen. Darauf hoffend, ihm womöglich helfen zu können, hatte Hermine ihm von seinem Triumph erzählt – nicht sicher, ob er ihre Stimme tatsächlich wahrnahm. Hermine erzählte dem bewusstlosen Harry, wie brillant er gewesen war. Davon, wie sie in Rons Armen zusammengebrochen war, angesichts ihrer aufgebrauchten Kräfte und ebenfalls im St.Mungo gelandet war. Sie sinnierte vor Harry darüber, was sie alles noch gemeinsam erleben würden. Sie bekräftigte ihm, dass sie im hohen Alter noch zusammen scherzen würden. Auch ihr verliehen diese Erzählungen Mut. Sie gaben Hermine Hoffnung. Hoffnung auf einen positiven Ausgang. Jedoch erwähnte sie mit keiner Silbe die Namen, deren Gesichter sie nicht mehr sehen würden. Zu groß war ihre Angst, dass solche Äußerungen Einwirkungen auf Harrys Heilung hätten. Aber wie würde er reagieren, wenn er davon erfuhr? Vermutlich genauso betroffen wie sie selbst... Anschließend schnappte sie ihre Perlenhandtasche, die sie über die Rückenlehne des Stuhls gehangen hatte, ehe sie sich schweren Herzens von Harry verabschiedete. Ein letztes Mal streichelte sie seine warme Hand, bevor sie ihren Umhang überzog und sowohl das Krankenzimmer, als auch das Krankenhaus verließ. Aber der darauffolgende Schritt war genauso schwierig. Ihr nächster Weg führte zu ihrem Vater... Hermine apparierte in eine Seitenstraße, zauberte eine Weste aus ihrer Tasche und näherte sich gleichzeitig dem riesigen Gebäudekomplex, der vor ihr auftauchte. Schwer atmend passierte sie die Glastür, wonach sie sofort von Wärme umgeben wurde, die ihr unvermeidbar ins Gesicht peitschte. Folglich steuerte sie zügig den Tresen an, hinter dem eine Dame saß, die beschäftigt aussah, weswegen Hermine sich dezent zur Seite drehte und wartete. Allerdings schien die Dame es nicht für nötig zu halten, Notiz von Hermine zu nehmen. Offenbar gelangweilt, kaute sie hörbar auf ihrem Kaugummi herum, während sie sich kichernd den Telefonhörer an ihr linkes Ohr presste. Und das war es, was Hermine wütend werden ließ. Deutlich ungehaltener als zuvor, klopfte sie auf das Holz des Tresens, um zumindest angesehen zu werden, doch auch das wurde überhört, woraufhin sich Hermine räusperte. Aber auch das wurde konsequent ignoriert. Stattdessen führte die Dame ihr Privatgespräch fort. „Verzeihung? So ungern ich Ihr scheinbar wichtiges Telefonat unterbreche, aber ich wüsste gerne -“ Die Dame unterbrach Hermine schweigend, indem sie ihren Zeigefinger hob und ihren Drehstuhl, inklusive ihrer selbst demonstrativ von Hermine wegdrehte. „Entschuldigen Sie mal!“, entfuhr es Hermine gepresst und noch immer wurde ihr Anliegen nicht wahrgenommen, weshalb sie sich über den Tresen beugte, der Dame den Hörer aus der Hand entriss und auflegte. Merlin, sie war unfassbar sauer geworden. „So, und nun möchte ich Sie bitten, mir zuzuhören. Wo finde ich David Granger?“ Auch die Frau auf der gegenüberliegende Seite war wütend – jedoch aus anderen Gründen. Würde sie aber etwas erwidern, hätte Hermine nur zum Direktor des Krankenhauses gehen müssen, weswegen die Dame sich zurückhielt und schnaubend auf der Tastatur ihres Computers herumtippte. Sie lehnte sich etwas nach vorne, schob die Brille ihren Nasenrücken hinauf und sprach: „David Granger liegt im dritten Stock, Zimmer 206.“ Kopfschüttelnd und mit halb offenem Mund entfernte sie sich vom Tresen. Zu aufgewühlt war sie, um den finsteren Blick der Frau entsprechend zu würdigen. Ferner erreichte sie den dritten Stock und hielt inne, als sie vor Zimmer 206 stand. Ihre Handinnenflächen waren feucht, ihre Finger kneteten den jeweils anderen Handrücken, bevor sie schluckend zur Klinke griff und sie nach unten drückte. Sie hatte Angst vor der Begegnung, weswegen sie die Tür langsam aufschob, doch ihrem Vater schien es gut zu sehen, denn sie entdeckte ihn auf seinem Bett. Er hatte eine gemütliche Positur eingenommen, in seinen Händen hielt er ein Buch, das er konzentriert las und erstaunlicherweise stand eine gepackte Tasche neben seinem Bett. Ob er heute ebenfalls nach Hause durfte? „Dad?“, machte sie sich leise bemerkbar. „Hermine!“, entkam es ihm erleichtert. Sofort hatte er das Buch aus der Hand gelegt, um seine Tochter in die Arme zu ziehen. „Grundgütiger, Kind. Ich bin so unendlich froh, dich zu sehen. Als die Eule von Ron ankam, dass du und Harry im Krankenhaus liegen, bin ich fast umgekommen vor Sorgen.“ Anscheinend hatte man ihren Vater noch gar nicht aufgeklärt, was die Hogwarts-Schülerin noch wütender machte. Man bürgte ihr die Last auf, den Verlust ihrer Mutter zu verkraften. Zusätzlich war sie es auch, die ihren Vater informieren musste, aber vermutlich war das die beste Lösung, wenngleich es Hermines schwerster Gang werden würde – neben der bevorstehenden Beerdigung. Zumindest war auf Ronald Verlass gewesen. Er hatte wenigstens ihren Vater darüber informiert, dass sie aufgrund ihres eigenen Krankenhausaufenthaltes noch nicht zu ihm kommen konnte. „Ich bin auch froh, dich zu sehen, Daddy“, schniefte sie gegen seine Schulter, ehedem ihr Vater ihr Gesicht in seine Hände nahm und ihr einen Kuss auf die Stirn gab.     ~*~ Drei lange Wochen waren vergangen. Wochen, in denen Hermine stark sein musste. Wochen, in denen ihr das Ziel, ihre Trauer zu akzeptieren, verwehrt wurde und das war der gänzlich falsche Weg. Sie wollte und musste funktionieren, obwohl es in ihr so finster aussah. Vor zwei Wochen musste sie ihre Mutter zu Grabe tragen und sie wusste, die Natur sah es vor, dass Eltern vor ihren Kindern gingen, aber – so makaber es in ihren Gedanken klang – das Wissen, dass ihre Mutter ermordet wurde, war doch noch ein bisschen schlimmer als ein natürlicher Tod. Zu wissen, dass ihre Mutter leiden musste, war unerträglich. Immer wieder kreisten ihre Gedanken darum. Ständig hatte sie darüber nachdenken müssen, was die letzten Gedanken ihrer Mutter waren. Wurde sie gefoltert? Dachte Jane Granger währenddessen an ihre Tochter? All das waren Fragen, die sie auf der einen Seite beantwortet haben wollte, andererseits war sie froh, es nicht zu wissen, da sie Angst davor hatte. Große Angst und ihren Vater würde sie gewiss nicht fragen. Daher war sie froh, dass Ron und Ginny an diesem finsteren Tag ihre Begleiter waren. Sie hatten es geschafft, Hermine eine Stütze zu sein, ihr den Tag etwas zu erleichtern... und doch fehlte etwas – Harry. Nicht, dass Ron kein freundlicher Mensch war, allerdings unterschieden sich ihre zwei besten Freunde. Während Ron eher plump und zurückhaltend war, hatte Harry eine feinfühlige Ader, die er immer einzusetzen wusste und genau das hatte ihr gefehlt. „Dad, ich denke, du solltest Urlaub machen“, begann Hermine bedächtig, nachdem sie das Wohnzimmer betrat - den Blick auf ihren Vater gerichtet, der stur zum Fernseher sah. „Was hältst du davon, wenn du ein paar Tage zu Tante Mila fährst?“, ergänzte sie, bevor sie nach der Hand ihres Vaters gegriffen hatte. Mila war die Schwester ihres Vaters und hatte nach der Beerdigung angeboten, dass Hermine und ihr Vater ein paar Tage zu ihr aufs Land kommen sollten. „Wiltshire und die Landluft werden dir gut tun.“ Das würde ihm mit Sicherheit helfen. Zumal sie vor wenigen Tagen mehrere Flaschen Whiskey neben dem Bett ihres Vaters gefunden hatte, was ihr Antrieb war, entsprechend zu handeln. „Du wärst nicht mehr mit... mit den Erinnerungen konfrontiert.“ Und fernab des Alkohols, fügte sie in Gedanken hinzu. „Nein, ich kann dich nicht alleine hier lassen“, erwiderte er angeheitert. Seine Tochter roch den Alkohol, aber es störte ihn nicht im Geringsten. „Weißt du, ich bereue es, dass wir nicht auf dich gehört haben.“ „Dad, das... das ist doch nicht deine Schuld.“ Auch das noch. Ihr Vater machte sich Vorwürfe. Aber das motivierte Hermine umso mehr, ihn zu Tante Mila zu schicken. „Niemand konnte ahnen, dass -“ „Doch“, entgegnete er energisch, während seine Hand auf die Armlehne der Couch schlug. „Doch, Hermine, das konnten wir ahnen. Wir wussten, dass wir womögliche Ziele sein könnten, aber wir waren zu stolz, zu uneinsichtig, um auf dich zu hören. Aber Eltern wollen nun mal keine Angst vor ihren Kindern zeigen, was wohl unser Fehler gewesen war.“ Im selben Moment flog seine Hand vor seine Augen, um die Tränen im Keim zu ersticken. „Wir hätten einfach in den Flieger nach Australien steigen sollen.“ Es war nicht seine Schuld. Das durfte er nicht denken. „Aber das ist doch nicht deine Schuld. Ich... Ich hätte euch verhexen sollen, damit ihr eure Erinnerungen an mich verliert.“ „Deine Mutter hätte dir das niemals verziehen, das weißt du, Schatz“, antwortete David Granger und schmunzelte, als er an seine wunderschöne Frau dachte. Sie war eigen und herrlich einzigartig, weil nur sie es geschafft hatte, ihn jeden Tag zu überraschen. „Ja, das stimmt.“ Auch Hermine schmunzelte. Ihre Mutter war sehr direkt gewesen. Stets selbstbewusst und engagiert. Sie hätte es verteufelt, hätte Hermine über ihren Kopf hinweg entschieden, aber es wäre zu ihrem Besten gewesen. Schließlich kannte Hermine ihre Welt, die so anders war als die Muggelwelt. „Trotzdem. Ich bin der Meinung, dass du zu Mila fahren solltest.“   „Ich kann dich nicht alleine lassen.“   Konnte er nicht? Doch. Sie war siebzehn Jahre – volljährig in der magischen Welt. Und das war nun einmal Hermines Welt. „Du kannst mich alleine lassen. Bitte fahr zu Tante Mila, Dad.“ Außerdem erhoffte sich Hermine, dass er in Milas Anwesenheit davor bewahrt blieb, mit Erinnerungen konfrontiert zu werden. Ebenso versprach sie sich, dass ihr Vater in Milas Nähe nicht mehr zum Alkohol griff. Hinzu kam, dass Hermine irgendwann wieder in die andere Welt zurückkehren würde – ohne ihren trauernden Vater. Auch wollte sie, dass er sich nicht in dem Haus vergrub, das ihn sekündlich an seine Frau erinnerte. „Komm schon. Wiltshire ist eine herrliche Grafschaft und das weißt du selbst.“   Er musste es wissen, weil er dort aufgewachsen war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)