Fortune Files von Elnaro ================================================================================ Alex Bonus: Der Adjutant des Königs ----------------------------------- Die Vollversammlung hatte es verdammt nochmal viel heftiger in sich, als ich mir das hätte ausmalen können. Die miese Vorahnung, dass es nicht laufen würde wie geplant, hatten wir alle, aber damit, dass Rova seine krank mächtigen Flügel auspackt, hatte zumindest ich nicht gerechnet. Vicco, dem ich kein Stück über den Weg traute, schien damit gepokert zu haben. Aber auch, wenn er es provoziert hatte, hätte er nicht verhindern können, dass Rova entweder ein verdammtes Blutbad anrichtet oder einfach vor seiner Verantwortung davongerannt wäre. Tse, im Abhauen waren alle Lucards wahre Meister. Ohne Lyz wäre eines der beiden Szenarien hundertpro eingetreten. Meinen Kniefall als Waffe gegen Rovas Stolz einzusetzen, war zwar auch nicht gerade die feine Englische, tat aber ihr Übriges, um Rova den nötigen Arschtritt zu verpassen und endlich einzusehen, dass nur er an die Spitze gehörte. Sein zynischer Gedanke, ich hätte es auf eine Adjutantenstelle neben ihm abgesehen, weckte Begehrlichkeiten in mir. Klar hatte ich vor, sein Berater zu werden, aber doch kein Politischer. Da er es jetzt aber ausgesprochen hatte, mochte ich die Idee. Rova zu unterstützen, war nicht mehr und nicht weniger als meine Bestimmung. Nur weil mein Weg steinig gewesen sein mochte und mich einige Male fast umgebracht hatte, verlor ich doch meinen Antrieb nicht. Das war unmöglich. Als Motor brauchte ich eigentlich nur meine anhaltende Bewunderung für Rova. Seine immense Macht, aber auch die Art, wie er auftrat und sprach, hatten nicht die geringste Faszination auf mich verloren. Dieser Mann war einfach großartig und spannenderweise stand inzwischen auch ich hoch im Kurs bei ihm. Anders konnte ich mir nicht erklären, was er noch am Abend der Vollversammlung tat. Ich dachte erst, ich hätte einen Hirnschaden von seiner Machtdemonstration davongetragen und würde halluzinieren, doch er erhob mich, noch im Beisein seiner Familie, zu seinem amtlichen Berater. Lyz klappte die Kinnlade herunter, Vicco hingegen, dem der Posten wohl ursprünglich versprochen worden war, verließ das Apartment in der Elbphilharmonie erbost mit den Worten: "Das kann nicht dein Ernst sein!" und knallte die Tür hinter sich so heftig ins Schloss, dass ein daneben hängendes Bild, auf dem die Hamburger Speicherstadt zu sehen war, fast von der Wand flog. Jap, er hasste mich genauso sehr wie ich ihn. Rova grinste. Er liebte es, seinen Bruder zu verärgern, weil eben dieser, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, hinter Magnas Auftritt steckte. "Ich hole ihn zurück", lachte seine Schwester freundlich, der ich immer noch skeptisch gegenüberstand. Mein ganzes Leben lang hatte ich sie als Feindbild número uno betrachtet und nun fiel es mir schwer, das einfach abzulegen. Selbst wenn sie sich in L.A. als zuverlässig erwiesen und Lyz freigelassen hatte, traute ich ihr kein Stück über den Weg. Ich ließ mich nun auf dem hellgrauen Sofa neben dem Prinzesschen nieder, die nun zwischen mir und meinem Herrn saß, oder jetzt wieder Chef... Was für eine Ehre… So still, wie sie blieb, schien sie noch nicht wieder ganz zu sich gefunden zu haben. Ihre Erkenntnis, mehr von Elisabeth in sich zu tragen, als sie wahrhaben wollte, das Wiedersehen mit ihrer Mutter und Rovas Aufstieg waren auch echt ein bisschen viel auf einmal. Zugegeben schockte mich die Radikalität, die sie in letzter Zeit an den Tag legte, aber sie arbeitete hart an sich. Ich würde sie schon wieder hinbiegen. Nach ihrem Underdog-Dasein über das Ziel hinaus zu schießen, sollte ja wohl erlaubt sein. Nachdem ihr die ganze Familie Unterstützung zugesichert hatte, war die Maus heftig in Tränen ausgebrochen, aber sie machte im Grunde einen zufriedenen Eindruck. "Warst du auch darin verwickelt?!", ging Rova seinen ältesten Bruder an. Daric, der uns gegenübersaß, antwortete ruhig und bedächtig. "Nein, Robert. Selbst wenn, hätte dieses Vorhaben keine Unterstützung von mir erfahren. Nichtsdestoweniger sehe in dieser Entwicklung ein Fenster, uns die Neue Welt zurückzuholen." "Das sehe ich auch und mit Zufall hat das wenig zu tun. Ich fühle mich übergangen. Vicco hat am Ende mit seiner Strippenzieherei über uns beide triumphiert. All die Jahre haben wir ihn überstimmt und nun müssen wir uns seinem Willen zur Lockerung der Gesetze beugen. Den Beraterposten kann sich dieser manipulative Hedonist in seine lockigen Haare schmieren." Oha, deshalb war die Stelle also frei. Mein Chef stand danach auf, ging zum Panoramafenster mit Ausblick auf die schwarze Elbe und das nächtliche Hamburg und griff sich denkerisch ans Kinn. Lyz sah mich fragend an, gerade als Magna und Vicco wieder zu uns stießen. Rova drehte, in derselben Pose verbleibend, den Kopf zu den beiden. "Ich setze den Familienrat in ursprünglicher Konstellation wieder ein. Lyz erhält Elisabeths frühere Position. Alexander wird stiller Berater. Alucard entfällt. Ich will wöchentliche Meetings, von mir aus auch online. Das ist keine Bitte" "Du nimmst mich wieder auf?", quiekte Magna heiter und lief zu Rova, dem sie sofort um den Hals sprang. Unfassbar! Dieser Moment war historisch und ich durfte ihm beiwohnen. Rova schloss damit nicht nur Frieden mit den Traditionalisten, er verband sich wieder mit ihnen zu einer einzigen Vampirgesellschaft, als hätte es nie Krieg gegeben. Wie krass! Aber, was… sollte ich davon halten? Für unsere allererste Ratsversammlung eine Woche später bequemten sich alle Lucards in Rovas halb verfallene Villa. Mit Ausnahme von Vicco konnte jeder von ihnen auf eine Zeit zurückblicken, in der er selbst dort gehaust hatte. Dementsprechend kannten sie sich aus, auch wenn sie sich seit Ewigkeiten nicht blicken ließen. Ich war mir fast sicher, den Tadel in ihren Gesichtern zu erkennen, als sie den miserablen Zustand des Anwesens bemerkten. Die Parallelen zum Verfall von Schloss Bran waren frappierend. Interessanterweise kamen sämtliche SOLV Mitglieder der Niederlassung an diesem Tag rein zufällig vorbei. Sie alle hatten Daric, Vicco und vor allem Magna noch niemals mit eigenen Augen gesehen und mir oblag nun die Ehre, alle Gaffer aus dem Gebäude schmeißen zu dürfen. Supernervig. Sogar Angeline musste ich nach Hause schicken. Wegen Magna, die den UV-Blocker ablehnte, schlossen wir die verstaubten Vorhänge und schalteten den Kronleuchter ein, der dem Saal eine mystische Atmosphäre einhauchte. Die Lucards nahmen zusammen an der Mahagoni Tafel Platz, an der sonst die SOLV Versammlungen abgehalten wurden. Rova saß wie gewohnt am Kopf der Tafel, Lyz und ich auf der einen, seine Geschwister auf der anderen Seite. Lyz neben mir verhielt sich ziemlich hibbelig, wohl auch, weil sie zwar eine klare Meinung vertrat, sich ihrer Position im Rat aber nicht richtig bewusst war. In der Nacht zuvor hatte sie mir obendrein anvertraut, dass sie sich vor einem Ausbruch Elisabeths fürchte und deshalb versuchten würde, sich zu zügeln. Das tat ihrer ohnehin schon zurückhaltenden Persönlichkeit nicht allzu gut. Während der folgenden Diskussion erfuhren wir einiges über die Traditionalisten. Nicht wenige von ihnen lebten mit offiziell gemeldeten menschlichen Partnern zusammen, von denen maßvolles Trinken nach eigenem Ermessen erlaubt war, solange es ungefährlich blieb. Wer keinen Partner hatte, bekam etwas aus der sogenannten "Blood Bank", die, genau wie Rova es mir erzählt hatte, aus Häftlingen gespeist wurde, also aus Menschen, die uns Vampire verraten hatten. Rova hakte an dieser Stelle in die Erklärung seiner Schwester ein. "Über wie viele Insassen sprechen wir im Vergleich zu Vampiren ohne Partner?" Vicco wandte seinen Blick von Rova in diesem Moment verdächtig ab, während Magna nervös zu blinzeln begann und sich die Haare hinter ihr Ohr strich. Offenbar klaffte da eine beträchtliche Versorgungslücke, die Rova ansprach. "Nun verstehe ich, wohin mein werter Bruder die kaum genießbare C- Ware des SOLV entsorgt. Bevor ich einen weiteren Verrat aufdecke, solltet ihr es selbst tun!" Magna legte die Hände flach auf den Tisch. Ihre Aura und ihr Geruch verrieten Anspannung. "Naja, … du kennst meinen Führungsstil. Viel Nachsicht, viel Verständnis, aber wenn jemand partout nicht danach Leben wollte, wenn er gejagt hat oder uns als Gesellschaft bedroht, habe ich ihn anonym dem SOLV gemeldet." Daric schaltete sich ein. "Mit anderen Worten, du hast mich deine Drecksarbeit erledigen lassen." Schuldbewusst zuckte sie mit den Schultern und nickte, allerdings mit einem so aufrichtigen Gesichtsausdruck, dass man mindestens ein blinder Tyrann sein musste, um ihr weitere Vorwürfe zu machen. "Könnte man so sagen, ja. Bestrafung liegt mir nicht." Nachsicht und Verständnis, uneingeschränkte Liebe zwischen Vampiren und Menschen… Scheiße, das Traditionalistenleben klang in meinen Ohren wie das Paradies auf Erden. Der SOLV herrschte dagegen mit Hilfe schwerster Strafen, schürte Hass gegen die Abtrünnigen und ich hatte jede Hetze für bare Münze genommen. Pete lag nicht verkehrt, als er mich zu ihnen einlud. Sie wären eine echte Alternative für mich gewesen. Seinen Mordversuch an Lyz vergaß ich deshalb trotzdem nicht. Hin und weg vom Konzept Mutter, saß mein Prinzesschen neben mir und strahlte Magna an wie gleißendes Licht. Die Kleine wirkte glücklich wie nie. Nicht nur ich, sondern auch sie hatte ein völlig anderes Bild von Magnas Führungsmethoden und war nun angenehm überrascht, dass Rova nichts Wesentliches schlechtredete. Seine Hetzpropaganda saß in unseren Köpfen fest und war nur schwer durch die Wahrheit zu verdrängen. Lyz nach meinem monatelangen Aufbauprogramm wieder so geknickt zu erleben, machte mich echt fertig, deshalb freute ich mich, als sie etwas zum Gespräch beitrug. "Als ich noch ein Mensch war, hätte ich mir nichts Schöneres vorstellen können, als Rova von mir trinken zu lassen. Ich war traurig über die Ablehnung, die er mir entgegengebracht hat, deshalb gefällt mir die Idee, feste Beziehungen anzumelden. Können wir die SOLV Niederlassungen nicht in so etwas wie Prüfstätten solcher Verbindungen umwandeln?" Ich sah Zweifel in Darics Augen, doch nur Rova wagte sich, seiner Frau zu widersprechen. "Wirklich neu ist das Konzept auch für uns nicht. Gemischte Beziehungen werden bereits vom SOLV erfasst und überwacht. Es macht den Leuten nur keinen Spaß, ohne die Gesetze zu missachten und das ist durchaus so beabsichtigt. Menschen in unsere Geheimnisse einzuweihen, stellt ein immenses Risiko für uns dar. Die Verantwortung bei der Auswahl ist enorm. Gib uns deine Expertise, Magna. Wie handhabst du das?" Vicco drängte sich besserwisserisch dazwischen, bevor Magna ihre Erfahrungen kundtun konnte. "Wenn wir diese Änderung nicht einführen, gibt es einen Bürgerkrieg." "Das sehe ich auch so. Tatsächlich beschäftigt sich ein kleiner geschulter Stab mit nichts anderem, als jede Verbindung inklusive ihrer vollständigen Hintergründe zu durchleuchten. Das alles läuft diskret ab und wird von uns sehr aufwendig betrieben." Diese Tante war doch verrückt! Wer sollte denn sowas stemmen? Auch Rova erinnerte sie daran. "Also ähnlich umfangreich wie beim SOLV. Nur reden wir jetzt von 220.000 Vampiren, die einem Partner hinterherhecheln, Magna, nicht mehr von 15.000. Ich kann mir vorstellen, dass sich dein romantisches Herz die tollsten Liebesgeschichten ausmalt, doch das ist nicht der Punkt. Sich einen eigenen Menschen zu halten, wird zum Trend werden und wir ertrinken in Arbeit." Lyz sah ihn ernüchtert an. "Aber bei den Traditionalisten ist es doch auch normal. Vielleicht müssen wir es nur langsamer angehen. Schrittweise." "Dann wird ein Mensch zum Luxusobjekt der Privilegierten", ergänzte mein Chef nun. Daric, der Menschen nichts abzugewinnen wusste, zweifelte ebenfalls. "Obendrein, wer sollte eine Behörde dieses Umfangs einrichten und leiten wollen?" Nachdem die drei Brüder daraufhin begannen, sich gegenseitig den schwarzen Peter zuzuschieben, spürte ich Magnas Blick auf mir. "Das kann eine Weile dauern. Ich würde gern draußen ein paar Worte mit dir wechseln." Ich warf einen Blick zu Lyz, die in die sinnlose Diskussion vertieft war, aber leider nichts mehr beitrug. Tja und ich als stiller Berater hatte vor allem eine Aufgabe: Klappe halten, also sprach nichts dagegen, Magnas Bitte nachzukommen. War schon nicht uninteressant, zu wissen, was sie von mir wollen könnte. Den sich nur noch im Kreis drehenden Lucard Brüdern zuzuhören, hatte sowieso nur ein Resultat zur Folge, Kopfschmerzen von ihrem Geheule. Ich gab Lyz Bescheid, die nur nebenläufig nickte und ließ sie dann mit den Streithähnen zurück. Mein Lieblings-Lucard Vicco warf mir beim Rausgehen noch einen hübsch argwöhnischen Blick zu, den ich so langsam zu genießen wusste. Ganz genau, du arroganter Fatzke, ich war nicht mehr nur Lyz Freund und Rovas Berater, auch Magna wollte mit mir sich unter vier Augen unterhalten. In your face! Meine Begleitung sah zu mir und kicherte. Ihr fiel unsere Rivalität anscheinend auf. "Er kann dich deshalb nicht ausstehen, weil du Els Vater, also meinem verstorbenen Mann Marcos, in gewisser Weise ähnelst." Hopsa. Von Magna mit einem Mann verglichen zu werden, den sie einmal geliebt hat, war ein krasses Kompliment, für das ich mich verlegen bedankte. Ihre Persönlichkeit haute mich aus den Socken. Nach unserem ersten Aufeinandertreffen in L.A. hatte ich sie mir total anders vorgestellt. Mann, sie verkörperte mein Leben lang DAS Feindbild schlechthin. So nett durfte sie einfach nicht sein. "Ich habe zu danken, Lex. Ich darf dich doch so nennen? Du gibst meiner Tochter Halt und tust auch Rova gut. Du weißt nicht, wie sehr es mich freut, die beiden so glücklich zu sehen. Ich glaube, dein Anteil daran ist nicht ganz unerheblich." Ja okay, das sah ich genauso, sagte ich ihr aber nicht und gegen den Kosenamen hätte ich selbst dann nicht protestieren können, wenn ich gewollt hätte. Wir gingen zum Flur, wo sie ihre Hand auf jener Holztür ablegte, die zu Rovas Forschungslabor im Keller führte. "Wieder hier zu sein, ist nicht ganz einfach für mich. Dort unten ist El gestorben und nun kommen die Erinnerungen hoch", erklärte sie ihren Zwischenstopp mit brüchiger Stimme, bevor sie einen Augenblick lang andächtig verweilte. Sie blieb auch weiterhin dort stehen, als sie ein neues Thema ansprach, das vielleicht ihr wahrer Grund war, aus dem sie mich aus dem Gockelkampf entführt hatte. Ihrem Ausdruck zufolge lastete diese Sache ähnlich heftig auf ihr wie ihr Verlust. "Es ist das erste Mal, dass sich Rova verhandlungsbereit zeigt. Es gefällt mir nicht, wohin sich die Diskussion entwickelt hat. Lex, er darf nicht in alte Muster zurückfallen. Wenn er engstirnig an den alten Gesetzen festhalten will, zerbricht unsere Allianz sofort wieder." "Du versuchst mich für dich zu gewinnen, klar, versteh ich, aber ich sehe auch Chaos nach der Lockerung auf uns zukommen. Eine strenge Hand hat was für sich. Ich habe Rova dafür immer verteidigt. Ich meine, das war mein Job", bremste ich sie. Nun setzte sie ihren Weg durch den Gang fort. Sie respektierte mein Argument, zerschlug es jedoch schnell. "Hast du das auch so gesehen, als Lyz noch ein Menschenmädchen war?" Mein wunder Punkt. "Das war 'ne schwierige Phase, die ich mit Ach und Krach hinter mich gebracht hab. Mehr sag ich dazu nicht. Jetzt entwickelt sich das Prinzesschen so rasant, dass ich kaum noch mitkomme." Nun lächelte sie breit und schob wieder einmal ihre dicke Locke hinter das rechte Ohr, wo sie nicht hielt. Vielleicht sollte ich ihr mal eine Haarspange schenken. "Schon in Ordnung. Deine Antwort sagt mehr aus, als du vielleicht denkst, Lex. Danke. Lyz verändert sich also? Das kann nur bedeuten, dass sie von ihrer menschlichen Seite daran gehindert wurde, sie selbst zu sein. Menschen bauen sich Käfige. Das werde ich nie verstehen. Aber, warum siehst du so besorgt aus?" Besorgt? Shit. Pokerface Fehlanzeige. Da wir fast am Ende des Gangs angelangt waren, blieb ich stehen und lehnte mich dem Rücken an die Wand. Eine ziemlich blöde Idee, weil ich damit mein schwarzes Hemd, nein, ich trug diesmal kein Bandshirt, mit weißem Putz einsaute. Scheiße. Magna lachte belustigt und klopfte mir den Rücken ab, aus dem der pulverartige Putz in Wölkchen aufwirbelte. Zu antworten brauchte ich nicht. Magna las mir an der Nasenspitze ab, was in mir vorging. "Lex, sorg dich nicht zu sehr um Lyz. Vicco sagte vor ein paar Monaten zu mir, sie sei, wie Elisabeth hätte sein sollen. Ich glaube, daran bist du nicht ganz unschuldig. Wäre Marcos in Els Jugend bei ihr gewesen, hätte sie das ausgeglichener gemacht. Besonnene Männer wie ihr bringen Gleichgewicht in unser Leben als Lucard Frau." Besonnen? Ich? Na, das hatte noch keiner zu mir gesagt. Ohne mich damit überschätzen zu wollen, hatte ich aber auch den Eindruck, dass ich massiv in Lyz' Entwicklung Eingriff. Magnas Bestätigung tat richtig gut. Sie deckte mir damit unerwartet stark den Rücken. Sie hielt nun wieder auf den Raum am Gangende zu. Ich fragte sie, ob sie ihn betreten wollte. Da sie nickte, flitzte ich hinein, schaltete den elektrischen Kronleuchter ein und schloss schnell die muffigen violetten Vorhänge. Magna folge mir und ging direkt zum einzigen Möbelstück, der alten Couch, über deren Lehne sie eine Hand gleiten ließ. Das Teil hatte auf Garantie Elisabeth gehört, so übertrieben, wie auch Rova daran hing. Dieser Ort weckte aber auch einige meiner intensivsten Emotionen. Ich schloss kurz die Augen. "In diesem Raum ist Sari gestorben", erklärte ich. Diese Villa hatte zwei von drei Lucard Frauen auf dem Gewissen... heftig. Magna ließ den Kopf sinken. "Sarina, Darics Tochter. Ich habe sie nie kennenlernen dürfen. Manchmal vergesse ich, dass er den gleichen Verlustschmerz durchleidet wie ich einst." Ihrem ältesten Bruder stand sie scheinbar nicht besonders nahe. Einen Moment lang blieb sie einfach nur stehen. Dann drehte sie sich zu mir, lächelte mich mit Tränen in den Augen an und rief wie aus dem Nichts: "Mach mir einen prächtigen Enkel, Alexander!" Moment! "ICH?", prustete ich direkt. Was ging denn mit der? Wenn, dann war es ja wohl an Rova, Lyz mit Nachwuchs zu beglücken. "Natürlich du! Oder willst du, dass der Plan meines Vaters am Ende doch noch aufgeht?" Der Plan ihres Vaters, Graf Alucard? Meinte sie, den Erhalt der lucard'schen Blutreinheit, den er auf Schloss Bran erzwingen wollte? Sah mich Magna als Werkzeug, um ihrem Vater eins reinzuwürgen? Alter! Wenn sie gewusst hätte, dass ich schon ewig von einem kleinen Alex-Lucard Hybriden träumte… Egal! So etwas musste von Lyz kommen und nicht von ihrer Mutter. Die Lucard lachte mich nun entweder an oder aus. "Hat es dir die Sprache verschlagen?" "Ja, nein, ach!", stammelte ich. Mag ging an mir vorbei und zwinkerte mir zu. "Sieh in mir eine Freundin, Lex. Es ist so. Ich liebe meine Brüder, aber meine Tochter liebe ich noch mehr. Mach sie glücklich und verhindere unsere Trennung, ja? Deshalb hilf mir bitte, die Situation da drinnen zu entspannen. Wir dürfen die Breite unserer Gesellschaft nicht für das kriminalisieren, was sie ist, sondern müssen ihnen Auswege schaffen. Dann wird sich alles entspannen, du wirst sehen." Ich verdeckte meine Augen mit einer Hand. Ich wusste, Lyz war dafür. Es sprach also nichts dagegen, außer meinem sturköpfigen Festhalten an dem, was ich mein Leben lang gelernt und respektiert hatte. Ganz egal, wie skurril er manchen erschien, war Rovas Führungsstil mein Ideal. Ich verehrte ihn für seine unnachgiebige Stärke schon seit ich denken konnte. Scheiße, tat es weh, meine verbissenen Überzeugungen loszulassen. Diese Entscheidung fühlte sich an, als müsse ich mir ein Stück meiner Identität ausreißen. Meine Hand glitt hinunter zu meinem Mund. "Weißt du eigentlich, was du da von mir verlangst?" Sie schüttelte mit ernstem Ausdruck leicht den Kopf. "Wenn ich dich so ansehe… mehr, als ich erwartet hätte. Entschuldige bitte, Alexander. Ich respektiere deine Entscheidung." Respekt? Ne, oder? Hatte sie sich gerade aufrichtig bei mir entschuldigt? Das konnte nicht sein. Außer Lyz hatte das noch kein Hochadliger vor ihr getan. Hinterlist traute ich ihr aber auch nicht zu, oder hatte sie mich nur mit ihren Komplimenten umgarnt? Wie eine Lügnerin kam sie mir aber auch nicht vor. Ich atmete tief durch und fuhr mir durch die Haare. "Ich will ganz ehrlich sein, Magna. Du verwirrst mich. Deine Vorschläge klingen zu gut, um wahr zu sein, wie politische Augenwischerei. Irgendwie blendest du die Folgen einfach aus. In meinem Kopf ergibt das alles keinen Sinn." Sie stellte sich mir gegenüber und berührte einen meiner Oberarme. "Ich denke, ich verstehe es jetzt. Du bist ein wahres Kind des SOLV. Ich behellige dich kein weiteres Mal damit." Danach gingen wir zurück in den großen Saal. Rova hielt die Arme verschränkt, während Vicco erklärte, warum die Evanes, seine kleine Spezialtruppe, keine Kapazitäten für weitere Tiefenanalysen hätten. Ich setzte mich an die Tafel, während Magna die flache Hand auf den Tisch schlug, so wie es auch Rova gern tat. Der mächtige, widerhallende Knall zog alle Aufmerksamkeit auf sie. "Nach eurer jahrzehntelangen Umerziehung ist von den Loyalisten wahrscheinlich wirklich zu erwarten, dass sie Menschen wie Haustiere behandeln. Was haltet ihr davon, wenn wir das Thema langsamer angehen lassen und zuerst nur das gegenseitige Bluttrinken legalisieren?" "Damit kann ich leben", kam sofort von Rova. Das wirkte wie ein Wellenbrecher für die Verhandlungen. Ich meinte, dass nicht Magna mich, sondern umgekehrt, ich sie davon überzeugt hatte, von ihren zu engen Forderungen abzurücken. Auch sie wirkte nun verhandlungsbereiter. Die vier Geschwister und Lyz einigten sich später noch darauf, dass Konvertierungen weiterhin strikt verboten blieben. Einzige Ausnahme bildeten Reinkarnationen, die bei den Normalos aber unmöglich zu sein schienen. Trotzdem musste dafür ein Standort des SOLV zu einer Art pro forma Prüfbehörde umgewandelt werden, um die Anfragen, naja, abzulehnen. Vicco erklärte sich zähneknirschend dazu bereit, eine solche in Bahrain einzurichten und den Vorsitz seinem ältesten Sohn Octavian zu übertragen. Lucard Vetternwirtschaft ließ grüßen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)