Fortune Files von Elnaro ================================================================================ Vicco 6: Synthese ----------------- Meine erste Konkubine Sylvia bewies großes Organisationstalent damit, nach nur drei Tagen eine vollständige Familienzusammenführung verwirklicht zu haben. Insgesamt 25 Personen zählte ich zu meiner Familie, denen ich nun Rede und Antwort zu stehen hatte. Ein denkwürdiger Tag, der mir alles andere als leichtfiel. Der komplette Harem, all meine Kinder, sowie ihre Mütter erschienen pünktlich kurz vor Sonnenuntergang um 18 Uhr abends im Theater des Wüstenpalastes. Die sonst blickdicht verschlossenen Vorhänge links und rechts der Bühne hatte ich öffnen lassen, damit mich die flamingorote Sonne ins rechte Licht rücken würde. Wenn ich etwas meisterhaft beherrschte, dann das Publikum durch fein abgestimmte Rahmenbedingungen in die gewünschte Stimmung zu versetzen. Meine Familie machte es sich auf den ersten Stuhlreihen bequem, während ich mir vom Rand aus einen Überblick verschaffte. Die meisten Frauen wirkten beunruhigt, die Kinder, je nach Alter, angespannt oder quirlig. Komplett überdreht sprangen meine beiden fünfjährigen Töchter, die im Palast lebten, um mich herum. Ich interagierte üblicherweise nur minimal mit ihnen, was sie nicht im Geringsten davon abhielt, mich dennoch immerzu auf diese aufgeweckte Weise zu empfangen. Octavian, mein ältester Sohn, saß mit verschränkten Armen und übereinander geschlagenen Beinen in der Mitte der ersten Reihe. Nicht nur sein halb offenes Hemd, auch sein halblanges, hellblond gewelltes Haar und der entschlossene Blick bewiesen mein Zutun bei seiner Zeugung. Zweifellos musste man ihn als Lucard durch und durch bezeichnen, der nicht nur die Aufmerksamkeit meiner aktuellen und früheren Mädchen, sondern auch die seiner Schwestern auf sich zog. Meine 17-jährige Tochter Sophie, die von der klugen Denkerin Estella stammte, schien mir in einer adoleszenten Schwärmerei für meinen Erstgeborenen aufgegangen zu sein. Mit hochrotem Gesicht saß sie neben ihm und stellte ihm allerhand Fragen. Wahrscheinlich begegnete sie ihm an diesem Tag zum ersten Mal. Evas erwachsene Töchter Miriam und Jasmin zählte ich dagegen eher zur angespannten Sorte. Mein zweitältester Sohn Julius verhielt sich, mit seinen 19 Jahren, weniger selbstbewusst als ich in seinem Alter. Trotz einer blonden Strähne, die dem Jüngling über den Augen hing, bemerkte ich, wie konzentriert er an mir vorbeischaute. Für ihn war ich Luft. Ich hoffte, meinen Stand bei ihm verbessern zu können. Ein Leben in Ablehnung ließ sich aber sicher nicht durch einen Tag der Reue sühnen. Meine 15-jährigen Zwillingsbuben Augustin und Vitto wirkten so interessiert an der Veranstaltung, dass sie sich von nichts beirren ließen, auch nicht von ihrem 12-jährigen Bruder, der sich aus der Reihe dahinter zu ihnen beugte und ihnen wild gestikulierend von seinem neuen Hobby, dem Surfen, erzählte. Die Mütter meiner beiden jüngsten, darunter Eva, saßen nebeneinander und unterhielten sich, während die Kinder in ihren Armen zappelten, da sie wohl viel lieber durch den Raum gestiefelt wären. Dies alles bot mir einen unglaublichen Anblick, der mein Herz zugleich mit Liebe und Scham erfüllte. Wie war es mir all die Jahre möglich gewesen, meine Augen vor diesen wunderbaren Kindern verschlossen zu halten, nur weil sie nicht von Frauen adeliger Abstammung geboren worden waren? Welch blinder Egozentriker ich war, der so vieles wieder gutzumachen hatte. Ich schickte meine zwei kleinen Töchter zu ihren Müttern und begann zu meiner Familie zu sprechen. Dazu betrat ich freilich nicht die Bühne, sondern positionierte mich auf Augenhöhe direkt vor der ersten Sitzreihe. Selten spürte ich eine derart intensive Aufregung in meiner Brust wie vor dieser Rede. Zunächst bedankte ich mich und klärte meine Familie dann über den wahren Existenzgrund meines Harems auf: Realitätsflucht vor den Pflichten des SOLV, vor der Liebe und, allen voran, Flucht vor Verantwortung. "Mein zwanghafter Wunsch, mir Frauen Untertan zu machen, resultierte aus Elisabeths Ablehnung. Nun ist sie in Ellys reinkarniert und hat mir den Spiegel vorgehalten, in welchem es mir nichts Gutes reflektierte. Seit nunmehr 35 Jahren erniedrige ich euch, um mich selbst zu erhöhen, begonnen mit dir, Sylvia. Aus unserer Verbindung ging einer der willensstärksten Männer hervor, die ich kenne, unser wunderbarer Sohn Octavian Lucard." Er löste bei der Nennung des Nachnamens die Verschränkung seiner Arme. Wahrscheinlich hielt er diese Veranstaltung für eine reine Lobpreisung meiner Familie, damit ich mich besser fühlte. Den wahren Hintergrund meiner Familienzusammenführung stellte er erst jetzt so langsam fest. Ich ging die Namen jeder einzelnen Frau und jedes Kindes durch und zählte auf, was sie besonders machte. An jeden Namen meiner Söhne und Töchter hing ich den Nachnamen Lucard. Nicht wenige Tränen glänzten mir wie Rosenquarz im warmen Licht des Sonnenuntergangs entgegen, wenngleich mein zweiter Sohn Julius seinen Kopf kein einziges Mal zu mir angehoben hatte. Nicht einmal, als ich seinen Namen nannte. Inzwischen drückte er lediglich seine weinende Mutter an seine Schulter. "Zudem ist der Harem vom heutigen Tage an aufgelöst. Jede Frau, jeder meiner Söhne und jede Tochter erhält ein eigenes Quartier im Palast, wenn er oder sie dies möchte, zusammen mit einer angemessenen finanziellen Unterstützung. Ihr alle dürft mich jederzeit besuchen, mir von eurem Leben erzählen, doch ohne Zwang. Und diese letzten Worte richte ich insbesondere an meine Kinder. Ihr seid mir wichtiger, als ihr denkt, deshalb möchte ich keine Versöhnung diktieren. Entscheidet selbst, ob ihr mich als euren Vater annehmen möchtet. Obendrein besteht keine Eile. Mein Angebot hat kein Ablaufdatum. Ich liebe euch, doch die Welt steht euch offen, ebenso wie eure Ablehnung." Damit war ich am Ende meiner Rede angekommen. Fast alle Mädchen meines aktuellen Harems wirkten entsetzt. Trotz meines repressiven Umgangs mit ihnen schien meine Entscheidung nicht in ihrem Sinne zu sein. Den älteren Kindern, insbesondere meinen Söhnen und meinen ehemaligen Frauen sah ich an, dass ihnen etwas zu fehlen schien. Aber was? Aufklärung, persönliche Erwähnung, Ehrerbietung, Demut und Unterstützung waren in meiner Rede enthalten. Was also wollten sie noch von mir hören? Ich sah fragend zu Sylvia und danach zum neben ihr sitzenden Octavian, der mit ernster Miene den Kopf schüttelte. Nicht einmal ihn konnte ich von meiner Reue überzeugen. Er stand auf, stellte sich neben mich und übernahm das Wort, allerdings nicht an mich gerichtet, sondern in Richtung seiner großen Familie. "Seid ihr glücklich damit? Mutter? Alle Frauen, die im Wunsch, ihren Sohn selbst zu erziehen, den Harem verlassen mussten, weil Vater keine Männer im Palast duldet? Was ist mit dir, Julius? Also ich bin es nicht! Das Schlimmste dabei ist, seht ihn euch an. Er weiß nicht einmal, wo das Problem liegt!" Julius sah endlich in unsere Richtung. Seine Augen waren dunkel bemalt wie die meinen, doch leider voller Zorn. Sylvia flüsterte halblaut nach vorn zu ihrem Sohn ein ungehörtes: "Lass gut sein, Octavian." Danach adressierte mein Junge mich direkt. "Ich will es dir verraten, Vater. Ich gebe nichts auf deinen ach so edlen Namen, wenn du nicht einmal eine gescheite Entschuldigung über die Lippen bringst. Hast du eine Idee, welche Ungerechtigkeit, du meinen Geschwistern und unseren Müttern angetan hast? Ich bezweifle es. Weißt du was!? Du kannst dich zum Teufel scheren!" Entschuldigen?! Nicht er auch noch! Wie denn, bitte schön? Wie sollte ich mich für meinen Charakter entschuldigen? Ich sah in die skeptischen Gesichter meiner Familie, die teilweise unverhohlen zustimmte. Zweifellos stellte eine geheuchelte, verlogene Entschuldigung keine Herausforderung dar, doch war sie auch mehr als unangemessen. Schließlich wusste ich von Ellys, dass es sich dabei um eine Frage des Respekts handelte. Sühne musste von Herzen kommen, wahrhaftig sein, wie die Liebe, die ich für sie alle empfand. Julius verlor die Geduld. Er erhob sich und wandte sich von mir ab, sicher, um das Theater zu verlassen. Er hatte die Hoffnung in mich offensichtlich aufgegeben, ich die meine in ihn aber nicht. "Warte noch einen Augenblick, Julius! Octavian, … begreife doch, dass es mit einer einfachen Entschuldigung mitnichten getan ist. Ich verlange nicht, dass ihr mir meine törichten Fehler verzeiht. Das halte ich für unmöglich! Sicher würde ich mit meinem heutigen Wissen manches anders machen, meine Entscheidungen vor dreißig Jahren bleiben dennoch unabänderlich. Und nun sage ich euch etwas, das aus tiefster Seele kommt. Obgleich ich Fehlentscheidung getroffen habe, bin ich überglücklich, dass ihr dabei entstanden seid. Endlich begreife ich, welch unbezahlbare Juwelen ich mit euch erschaffen habe. Als meine Familie steht es euch frei, meine Reue und auch mich so annehmen, wie ich jetzt bin. Wisset also, dass ich ab sofort zu euch stehen werde, egal, welche Entscheidung ihr für euch trefft. Julius, ... Ich verstehe es, wenn ich dir egal bin. Aber du bist mir gewiss nicht egal und wirst es auch niemals sein. Selbst wenn du gehst, kannst du jederzeit zurückkehren." Vergebens. Er hob seinen Kopf kein weiteres Mal, sondern ging hinaus. Seine Mutter sah ihm nach, blieb aber beim Rest der Gruppe. Octavian hatte ich hingegen überzeugt. Er klopfte mir auf den Rücken und sagte voller Anerkennung: "Na, wenn das mal keine anständige Entschuldigung war. Damit lässt sich arbeiten." Ich kniff die Augen zusammen, denn eigentlich sollte es keine sein, wenngleich ich darin ein hohes Maß an Reue gezeigt und Fehler eingestanden hatte. Mein Ältester umarmte mich. Sofort liefen meine beiden 5- jährigen Töchter erneut auf mich zu und klammerten sich an meine Beine. Ich hatte schon viele bewegende Dinge erlebt, viele angenehme Erfahrungen gemacht, aber das Gefühl, von meiner großen Familie geliebt zu werden, stellte alles andere in den Schatten. All die Zeit trauerte ich einer Familie nach, die mir mit Elisabeth zu gründen, verwehrt geblieben war, ohne zu bemerken, dass ich schon längst eine hatte. Ich strahlte vor Freude, bis ich ein niedliches Stimmchen unter mir kichern hörte. "Guck mal Mama, Papa weint!" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)