Fortune Files von Elnaro ================================================================================ Rova 9: Eine Frage des Glaubens ------------------------------- Unbeabsichtigt beachtete ich meine Frau auf der Rückreise weniger als ihr zustand, was natürlich mit meinem jüngsten Erlebnis mit Vicco zusammenhing. Lyz bediente sich in solchen Fällen ihres effektiven Mechanismus Unangenehmes weitestgehend zu verdrängen. Mit ihrem Lebenslauf eine Gabe oder aber gerade darin begründet. Mir blieb dieser Weg jedoch verschlossen, egal wie vehement ich mir einredete, dass alles in Ordnung sei. Im Ergebnis hatte mir das Gespräch mit ihr am Stausee zwar geholfen, mich Viccos Perfidität aber wieder an den Anfang zurück katapultiert. Es änderte nichts. Ich brauchte einfach noch Zeit und da sie sich ebenfalls gerade in ihrer Findungsphase als Vampir befand, war ihr das sicherlich recht. Schließlich lief, nachdem ich sie aus ihrem alten Leben gerissen hatte, alles vollkommen überstürzt ab. Sie sollte ihr Studium beenden. Erst danach würde ich sie zu mir holen. Nur so würde es funktionieren. Entsprechend dieses Plans setzte ich unser etwas distanzierteres Zusammenleben fort. Sie in Sicherheit zu wissen, ohne mich ihrer Unbeherrschtheit auszusetzen, fühlte sich richtig an. In der darauffolgenden Vollmondnacht vom Sonntag zum Montag schlief ich unruhig. Der Mond brachte nicht nur meine negativen Eigenschaften zum Vorschein, er verschlimmerte auch meine Albträume. Ich tat mir selbst den Gefallen, aufzustehen, um meine Zeit sinnvoll zu nutzen, schließlich hatten sich über das vergangene Wochenende eine Menge unbearbeiteter E-Mails angesammelt. Als ich mich in das düstere Arbeitszimmer meiner Villa setzte, war der Sonnenaufgang zwar noch Stunden entfernt. Da sich die dichte Wolkendecke aber verzogen hatte, hielt ich Lampen für verzichtbar. Dieser verfluchte Vollmond erfüllte diese Aufgabe bereits zur Genüge. Wie immer fanden sich in meinem Postfach Presseanfragen, Korrespondenzen zur Kenntnisnahme, Anträge, Berichte, Bewerbungen, et cetera. Obgleich es mir keine Freude bereitete, bestand ich darauf, sie alle selbst durchzugehen, da sich der SOLV andernfalls nur schwer überblicken ließ. Kurz nach einem kitschig rosaroten Sonnenaufgang vernahm ich das Schließen der Haustür im Erdgeschoss. Angeline, die pflichtbewusst ihren Aufgaben als Standortkoordinatorin nachging, erschien wieder einmal überpünktlich zu Arbeit. Auch ihr oblag ein beachtlicher Verantwortungsbereich, der sich allerdings stärker mit dem vergleichsweise banalen operativen Geschäft, wie Planung von Aktionen, Bestell- und Lieferketten, Lagermanagement und ähnlichem befasste. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten musste ich feststellen, dass sie sich deutlich gebessert hatte, auch wenn sie mir zuweilen etwas zerstreut vorkam. Meinen Laptop unter den Arm geklemmt, lief ich die Stufen hinab in den Versammlungssaal, in dem ich allerdings nicht sie, sondern nur ihr Handy auf dem Tisch vorfand. Nach einem kurzen Test, ob sie es mit einer PIN gesichert hatte, stellte ich mich mit verschränkten Armen daneben und wartete auf meine Angestellte. Als sie einen Augenblick später zu mir um die Ecke bog, ebenfalls mit einer Laptoptasche in der Hand, die sie vermutlich im Auto vergessen hatte, stellte ich sie zur Rede. "Du lässt dein Handy ungesichert ohne Aufsicht zurück?" "Rova! Guten Morgen! … Ja, das passiert schon Mal." Ich nahm das Gerät vom Tisch und hielt es tadelnd in meiner Hand, während ich sie zurechtwies. "Erinnerst du dich an meine Frage nach 'Robespierre'? Wer sich auch immer hinter diesem Pseudonym verbirgt, hat meine Telefonnummer möglicherweise von deinem herumliegenden Handy gestohlen!" Nervös werdend schwieg sie für einen Moment, in dem ich sie musterte. Angelines Äußeres war durchschnittlich, ihre Kleidung unaufgeregt, eine normale Frau aus dem Volk mit einem kaufmännischen Studium, abgeschlossen mit Bestnoten. Wegen Letzterem hatte ich sie eingestellt. Schuldbewusst senkte sie den Kopf und nahm mir meine Schlussfolgerung vorweg. "Vielleicht bin ich dein Vertrauen nicht wert." Zweifelsohne musste Angeline bestraft werden, dachte ich noch, als es mich plötzlich wie ein Blitz durchfuhr. Vicco behauptete auf Schloss Bran, ich kanalisiere meine Sexualität durch Aggression. Steckte darin am Ende ein Funken Wahrheit? Wobei es nicht Aggression war, die sich gerade in mir regte, sondern ein Hochgefühl bei dem Gedanken, Angeline in Verlegenheit zu bringen, nein, gar sie zu verängstigen, ihr vielleicht Schmerzen zuzufügen. Wie oft hatte ich dieses Bedürfnis schon an Alexander oder Proband Null ausgelebt? Wie ekstatisch hatte es sich angefühlt? Ob dieser Erkenntnis gab ich Angeline das Handy zurück und setzte mich wortlos. Sie wirkte überrascht, bewegte sich nicht vom Fleck. Während sich ihr Blut in ihren Körperkern zurückzog, kroch der Geruch ihrer Angst durch den Raum, den er langsam vollständig ausfüllte. "Was geht in deinem Kopf vor, Angeline?" Sie fiepte, trat auf der Stelle herum, rang sich dann aber zu einer Schlussfolgerung durch. "Dass ich zu schusselig bin für diese Position und sie gar nicht verdient habe." Das war es nicht, was ich wissen wollte. "Was erwartest du, wie ich als nächstes reagiere?" Wieder Pause. "... Ich befürchte eine... Audienz?", quietschte sie schließlich kaum noch hörbar, während sich ihre Hand immer fester um den Tragegriff ihrer Laptoptasche schloss, so fest, dass sich ihre Fingernägel in ihren Handballen bohrten. Ich witterte ihr schnell pulsierendes Blut deutlich, welches mit ihrer Angst kombiniert eine wohlduftende Mischung ergab. Doch an diesem Tag würde ich den Lockungen des Vollmonds trotzen. "Was, wenn ich dir sage, dass mir die Angst in deinen Augen bereits ausreicht?" Nun lief das Blut an ihrer Handfläche herab, während sich ihr gesamter Körper verkrampfte. "Dann halte ich Euch für g-großzügig." "Dich!", verbesserte ich gereizt, da sie wieder einmal ins Plural abgerutscht war. Tatsächlich bot sich eine Züchtigung bei ihr ausdrücklich an und dennoch erschien sie mir nicht ansatzweise reizvoll genug. Lag dies etwa daran, dass Angeline einfach zu… freundlich war? Eigenschaften wie diese hatte ich bis vor kurzem überhaupt nicht wahrgenommen. Ging meine Veränderung inzwischen schon so weit? Nachdenklich ging ich an ihr vorbei, aus dem Raum hinaus, holte aus dem Lager eine Blutkonserve und reichte sie ihr. "Heile deine Wunde und dann ab an die Arbeit!" Stück für Stück sank sie vor mir auf die Knie, nahm die Konserve an und öffnete diese. Unerwartet besänftigt setzte mich zurück an den großen Tisch, von wo aus ich sie beobachtete. Angeline war derart aufgeregt, dass sie nur winzige Schlückchen hinunterbrachte und dann atmete, als sei sie eben einen Marathon gelaufen. "Was haben sich deine Eltern bei deinem Namen gedacht?", fragte ich. Sie blieb auf dem abgenutzten Parkettboden sitzen und vermied Blickkontakt. Es war offensichtlich, dass sie dieses Thema vermeiden wollte, doch es blieb ihr nichts anderes übrig, als zu antworten. "M-meine Eltern sind… Christen." "Sind sie nicht!", widersprach ich ihr ungläubig erheitert und zugleich vollkommen verwundert. Von überzeugt christlichen Vampiren hörte ich beileibe zum ersten Mal. "Diese Namen sind Erkennungszeichen. Eva, Sarah, Michael, Christian… ich darf Euch- dir das eigentlich gar nicht verraten, aber -…" Ich unterbrach sie. "Haben deine Eltern die Säuberungskreuzzüge vergessen? Als Kreaturen der Nacht wurden wir im Namen Gottes zu Zehntausenden abgeschlachtet." "Von der Kirche, nicht von Gott!", rief sie mit unerwarteter Mächtigkeit in der Stimme. Dieser Aussage pflichtete ich bei. Das Weltbild der meisten Vampire sollte sie jedoch ad absurdum führen. "Und was glaubst du?" Nun stand sie auf, sah mich an und antwortete gefestigt: "Ich glaube an eine höhere Macht, dass du der Messias bist, der uns aus der Dunkelheit geführt hat." Messias. Gefiel mir. Was sollte ich dagegen einzuwenden haben? Vor diesem Hintergrund wunderte es mich nun nicht mehr, dass es ihr schwerer als anderen fiel, mich zu Duzen. Vielleicht ergab es ja doch Sinn, sich ab und an mit meinen Angestellten zu unterhalten. Angetan von ihrer schmeichelhaften Aussage, schob ich den Stuhl neben mir einladend unter dem Tisch hervor. "Setz dich, Angeline. Das sind große Worte und ich frage mich, was du von einem Mann wie mir erwartest." Sie kam meiner Anweisung mit gesenktem Kopf nach. "S-soll ich das wirklich…? Ich sag es mal so, ich bete dafür, dass du uns anleitest, ganz ohne Triachsial Judikative. Deine Entscheidungen sind die Besten, vorausschauend, weise, wenn auch manchmal schmerzhaft, aber stets gerechtfertigt. Als Beweis sehe ich, dass mich mein Glaube an dich jetzt gerade vor einer Audienz bewahrt hat. Du hast mein Vertrauen in dich gespürt." Das hatte ich selbstverständlich nicht und das alles hörte sich auch ein wenig fanatisch an, doch ich ließ sie sprechen. "Und trotzdem erwarte ich eine Strafe für meine Fehler. Ich habe schon viele Dummheiten angestellt, dich genervt, die Post nicht gelehrt, mein Handy mit deiner Nummer herumliegen lassen… Ich nehme dein Urteil an." Ich erhob mich. Wenn sie unbedingt eine Strafe wünschte, sollte sie eine erhalten. "Nun gut, Angeline, wenn du darauf bestehst. Hiermit ernenne ich dich zum Assistenten der Geschäftsführung. Deine erste Aufgabe lautet, geeignete Kandidaten für deine Nachfolge als Standortkoordinator zu benennen!" Sie riss ihre dezent geschminkten Augen auf, während sich ihr Pulsschlag erneut vervielfachte. "Was? Das geht nicht! Eine Beförderung ist keine Strafe! Es ist eine Ehre!", plapperte sie, ohne Luft dabei zu holen. Ich stellte meinen Stuhl neben ihr zurecht und dachte darüber nach, welche E-Mails ich ihr ab sofort weiterleiten konnte. "Oh doch, meine Liebe. Verantwortung ist eine Strafe. Versage nicht, verstanden!?" Dann nahm ich meinen Laptop vom Tisch und ließ meine Assistentin zurück, während sie ihre Bestätigung hauchte. Ich spürte an ihrer Aura, wie der Druck auf sie stieg. Ganz genau das, Angeline, genau das hatte ich gemeint. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)