Fortune Files von Elnaro ================================================================================ Rova 7: Vampire träumen nicht ----------------------------- Vampire träumen nicht. Wir haben Ahnungen, wiederholen Erlebtes, doch wir träumen nicht! Diese Sätze wiederholte ich mantraartig, nachdem ich die dritte Nacht infolge schweißgebadet aus dem immer gleichen Albtraum erwachte. Die Veränderung meiner Rose nach ihrer Konvertierung mochte nicht augenscheinlich sein und doch verursachte sie gewaltige Auswirkungen. Nicht einmal Lyz selbst bemerkte, welch immense Macht in ihr schlummerte. Meine Hoffnung, sie könne als vollständig entwickelter und sich selbst bewusster Vampir erwachen, zerschlug sich dadurch und stellte mich entsprechend vor die Mammutaufgabe, sie bei ihrer Entwicklung begleiten zu müssen. Undenkbar für mich. Eine weitere nicht stemmbare Last, meine Sünde, sie fast getötet zu haben, machte dies ohnehin unmöglich. Lyz' Gegenwart erdrückte mich. Das Schließen meiner Augen genügte, um meine Erinnerungen an jenen realistischen Traum, den ich auf dem Flug nach Kalifornien hatte, erneut durchleben zu müssen. Immerzu sah ich dieses Kind vor mir, wie es mich für seinen Tod verurteilte, mich sogar verhöhnte, bis ich es nicht mehr aushielt und es erneut erwürgte. Dann erwachte ich. War es möglich, dass ich die Essenz dieses Wesens in mich aufgenommen hatte, oder litt ich schlicht an einem Trauma? Mein Puls raste. Ich stand aus meinem klammen Bett auf, ging zum Fenster und sah durch die bewölkte Nacht hinaus auf meinen verwilderten Garten. Elisabeth hatte ihn seiner Zeit gepflegt, daher verfügte ich nach ihrem Tod, meine Angestellten dürften allein die Wege freihalten. Nun erschien mir dies als unnötige Sentimentalität, überflüssig geworden, durch einen neuen Abschnitt meines Lebens. Auch die untere Etage, Elisabeths und mein früheres Terrain, sollte irgendwann renoviert werden. Erschöpft schleppte ich mich zu meiner Kommode, in deren Schublade ich eine Blutkonserve aufbewahrte. Ich füllte sie in ein bereitstehendes Glas, trank es aus und zog mich an. Schlaf würde ich in dieser Nacht ohnehin keinen mehr finden, also konnte ich genauso gut arbeiten. Ich stieg die Stufen meiner Villa hinab, bis hinunter in den Keller, in dem sich, neben meinem Labor, auch mein Gefangener befand. Vor Lyz' Konvertierung empfand ich es stets als angenehme Ablenkung, ihn ein wenig zu quälen, ganz besonders, seit er seine vollen Erinnerungen wiedererlangt hatte. Die quietschende Metalltür zum Kerkertrakt im hinteren Teil des Labors kündigte meinen Besuch bei ihm bereits an. Proband Null, der früher einmal Peter hieß, hockte verschreckt in der Ecke seiner Zelle, die ihm aufgrund des UV-Flutlichts im Raum allerdings kein Versteck bot. Meist ließ ich es ausgeschaltet, es sei denn, ich besuchte ihn zu diesem speziellen Zweck. Das wusste er. Wie ich es ihm beigebracht hatte, kroch er unterwürfig nach vorn und kniete sich zitternd mit der Stirn auf dem Boden vor mich. Ich schloss die schwere Metalltür hinter mir und öffnete danach die seiner Zelle. "Steh auf!", befahl ich kühl, was er mit zu Boden gerichtetem Blick tat. "Bist du hungrig?" "N-nein, Hoheit…", winselte er zu meiner Unzufriedenheit. Ich berührte sein Kinn, hob seinen Kopf an und hauchte ihm dieselbe Frage noch einmal in sein vom UV-Licht schmerzendes Gesicht. Diesmal stimmte er zu. Ich stach mir mit dem Zeigefinger eine kleine Wunde ins Handgelenk und hielt es ihm hin. Der Duft meines erhabenen Blutes musste ihm verführerisch in die Nase steigen und doch durfte er es nicht trinken, wenn er keine Vergiftung riskieren wollte. Mehr als ein paar Tropfen, höchstens einen Schluck, mehr würde er aufgrund der Silberpartikel in meinem Blut nicht überleben. "Was ist? Trink!" "...Hoheit…" sabberte er gierig, aber ebenso eingeschüchtert, bevor er geschwächt in sich zusammensackte. Erhaben sah ich auf ihn herab und lächelte. Tatsächlich erheiterte mich dieses Spiel wieder ein wenig. Auch ich ging in die Hocke, hielt ihm erneut mein Handgelenk unter die Nase und säuselte ein Verführerisches: "Bedien dich." Verängstigt näherte er sich. Erst als seine Zungenspitze meine Wunde berührte, zog ich die Hand von ihm weg. Es wirkte nicht unmittelbar, sondern leicht zeitversetzt, da sich die Nanopartikel erst ihren Weg von seiner Zunge bis in sein Nervensystem bahnen mussten. Dann begann er zu Röcheln und zu Husten, doch er starb nicht, denn die Dosis war kaum höher als die seiner regelmäßigen Therapie, nur eben konzentrierter. Ich wartete etwa eine Minute lang, bis er sich beruhigt hatte und fragte: "Was tut man, wenn man eine solche Ehre erweisen bekommt?" Schnell nahm er die kniende Position wieder ein und hustete: "Vielen Dank, … Hoheit." Besänftigt verließ ich seine Zelle, schaltete das UV-Licht ab und ließ nur noch die normalen Leuchtstoffröhren eingeschaltet. Proband Null wusste nun, dass er den schmerzhaften Teil überstanden hatte und wurde entsprechend ruhiger, auch wenn er noch hin und wieder von seinem Husten geplagt wurde. "Habt Ihr jemals einen so braven Angestellten gehabt, wie mich, Hoheit?... Ihr habt mich bekehrt, ehrlich. Loyaler könnte ich nicht sein, also äh… darf ich bald wieder nach draußen?" "Du bist nicht mehr mein Angestellter. Dieses Recht hast du verwirkt", verlachte ich ihn für seine Hoffnungen. "Dann Diener, oder, oder Sklave! Ich tue alles für Euch, Hoheit!" "Ich weiß", entgegnete ich düster lächelnd, warf ihm seine eigentliche Blutdosis hin und schloss dann das Gatter. Für diese Nacht hatte es mich von der Schwere meines Herzens befreit, doch stand mir diese Misere immer und immer wieder bevor. Ich brauchte nur meine Augen zu schließen. Vampire träumen nicht, verdammt! Sie träumen nicht! Entsprechend weit zog ich mich von Lyz zurück. Natürlich verstand sie es nicht, doch da waren wir schon zwei. Meine irrationale Furcht davor, sie erneut in Lebensgefahr zu bringen, war bedeutend mächtiger, als sie in ihrer Entwicklungsphase sich selbst zu überlassen. Schließlich war sie nicht allein. Sie hatte Alexander an ihrer Seite, der sich bereits mehr als einmal als würdig erwiesen hatte. Ich stützte mich auf die illusorische Überzeugung, er sei eine Ausnahmeerscheinung unter all den Vampiren, denn auch wenn seine Liebe für meine Frau unübersehbar war, leistete er sich keine Fehler mehr. So vertraute ich sie ihm an. Wahrscheinlich war er besser für sie als ich in meinem Zustand. Was blieb mir schon anderes übrig, solange ich unter diesen Visionen litt, die stärker wurden je weiter ich mich ihr näherte. Mein Schlafmangel trieb mich in die Arme meiner Arbeit, die mir zusehends weniger Freude bereitete und so kaum Verbesserung mit sich brachte. Leider lief mir wieder einmal die Zeit davon. Natürlich hatte ich vor, Lyz offiziell in die Familie aufzunehmen, alsbald ich genesen war, doch Vicco kam mir zuvor. Nachdem mich Lyz in einem empörten Anruf anklagte, woher ich das Recht nähme, über ihren Kopf hinweg über sie zu entscheiden, reichte ich die Frage an Vicco weiter. Zuvor musste ich jedoch mein Personal zurechtweisen. Ich stand neben dem Ankleidezimmer meiner Suite des "Montcalm Royal London House" in der Londoner City und schloss gerade den letzten Knopf meines elfenbeinfarbenen Hemdes, als ich bei Angeline anrief. Bereits ihr Name vermochte mich in Aufregung zu versetzen. Welcher Vampir bei Verstand strafte seinen Spross durch christliche Vornamen? Im Übrigen hatte ich herausgefunden, dass sie nicht die Informantin dieses aufdringlichen Journalisten gewesen sein konnte. Auf eine Konfrontation mit dem verwendeten Decknamen "Robespierre" reagierte sie derart unauffällig, dass ich sie als Verräterin ausschloss. Möglicherweise handelte es sich dabei um eine ehemalige Angestellte, aber das war unwichtig. Angeline meldete sich, als sei alles in bester Ordnung. Ohne Umschweife ging ich sie an. "Wann ist der Briefkasten zuletzt geleert worden?" Danach hörte ich ihre eiligen Schritte, ihr leichtes Keuchen, das Klimpern eines Schlüssels und dann das Quietschen meines Briefkastens. "Hier ist ein Brief mit einem Lucard-Siegel", gestand sie, worauf ich ihr in ihre Frage fiel, ob sie ihn öffnen solle. "Mehr brauche ich nicht zu wissen." Ich legte auf, schlüpfte in meine braunen Lederschuhe und wählte sofort die Nummer meines Bruders. Er empfing mich bereits lachend, da er nur zu gut wusste, dass ich ausrasten würde. "Robert, welch Freude. Sicher rufst du an, um zuzusagen." Zuzuschlagen traf es besser. "Bereits die Einladung hätte eines Familienrates bedurft! Nun weiß die Vampirgesellschaft über die Konvertierung Bescheid! Das bringt uns unnötig in Bedrängnis!" "Oh, ganz und gar nicht, mein Lieber. Neuigkeiten wie diese verbreiten sich wie ein verheerendes Lauffeuer. Es offiziell zu machen, erstickt diese jedoch bereits im Keim. Ich bin der Strategie in der Familie, warum sollte ich auf eure Zustimmung warten?", lautete seine Frechheit von Antwort. "Weil es um meine Frau geht, nicht um deine, verflucht!", fauchte ich, doch er leitete geschickt über. "Na, so genau würde ich mich da nicht festlegen. Kann ich also mit dir rechnen?" "Mit meiner Verärgerung kannst du rechnen!", blaffte ich, bevor ich wieder auflegte. Ich war so in Rage, dass ich seine Strategie nicht nach ihrer Wirksamkeit beurteilen konnte, aber eines war sicher. Er heckte etwas aus, schon wieder. Der Zeitpunkt war katastrophal, aber mir blieb keine andere Wahl, als die Einladung anzunehmen, um Lyz nicht noch tiefer zu verärgern. Dass mich mein Diener Alexander begleiten würde, stand außer Frage, schließlich musste er mir Lyz vom Hals halten, wenn es mir zu viel wurde. Mit einem unguten Gefühl im Bauch zog ich mein Jackett über und verließ die Suite. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)