Fortune Files von Elnaro ================================================================================ Alex 11: Ein Leben nach dem Tod eines Dieners --------------------------------------------- Geschlagene zwei Tage lang regte sich fast gar nichts in Lyz' Zimmer. Ihr Browserverlauf zeigte ein paar harmlose Zugriffe auf Wikipedia, die im Zusammenhang mit Vampiren standen. Nichts, worüber ich mir Gedanken machen musste. Ich wartete einfach ab, was passierte, weil ich nicht wusste, wie ich auf sie zugehen sollte. Am dritten Tag klopfte sie morgens an meine Tür und sagte mit dünner Stimme durch sie hindurch, sie gehe jetzt zur Hochschule. Damit, dass sie mich informieren würde, hatte ich absolut nicht gerechnet. Das Prinzesschen war immer für eine Überraschung gut. Schnell zog ich mir ein paar frische Klamotten an und lief ihr nach. Da ich mir nicht so richtig sicher war, ob ich zu ihr aufschließen sollte, entschied ich mich für einen gewissen Abstand zwischen uns. Im Treppenaufgang des Hochschulgebäudes sprach mich ein Kommilitone mit ziemlich vielen Piercings und Tattoos von hinten an. „Das war's diesmal endgültig, was? Nach dem ständigen Auf und Ab.“ Ich runzelte die Stirn. „Was?“ „Na, du und Lyz.“ Ich und Lyz? Hatte ich etwas verpasst? Ich blieb stehen und musste ihn danach völlig verdattert angesehen haben. Flüchtig erklärte er, während er an mir vorbei die Stufen nach oben lief: „Sie und der Rechtsdozent, schon krass. Mein Beileid, Kumpel. Ich weiß, wie weh sowas tut.“ Was sollte sie mit Rova getan haben? Langsam setzte ich mich wieder in Bewegung und lief ihm nach. Er drehte sich noch einmal zu mir um und rief von der höheren Treppe neben mir: „Wenn du Bock hast, heben wir heute Abend einen zusammen. Wird schon wieder, Kumpel.“ Ich ging ihm in den Vorlesungssaal nach und wurde von so ziemlich jedem darin skeptisch beäugt. Alter, ich hatte keine Ahnung was da los war. Mich neben Lyz zu setzen, fiel natürlich aus, klar, aber dass ich dafür ein zustimmendes Nicken von einigen erhielt, war dann schon komisch. Kaum ließ ich mich ganz hinten am Fenster nieder, rückte ein Mädel zu mir auf, das ich von einer Gruppenarbeit etwas näher kannte. Mein Eindruck von ihr war gut. Sie hatte dunkles Haar wie ich und schien mir unkompliziert und locker zu sein. „Hey, alles okay soweit?“, fragte sie. Den Meisten hätte ich gar nicht geantwortet, aber ihr warf ich einen kurzen Blick zu und nickte. Irgendetwas an ihr gefiel mir ganz gut. „Was ich dich schon immer mal fragen wollte“, kündigte sie an und rutschte auch den letzten freien Platz auf. „Será que viene de España?“ „Sí, de Soria“, antwortete ich wie aus einem Reflex heraus. Sie hatte gefragt, ob ich aus Spanien sei und ich präzisierte, ich käme aus Soria. Nun verstand ich, was ich an ihr mochte. Sie sah den Menschen in meiner Heimat ziemlich ähnlich. „Hah, wusste ich es doch! Ich bin Halbspanierin und oft mit meinem Vater in Bilbao. Baskenland, zwei oder drei Autostunden von dir. Echt krass! Ich bin aber in Deutschland aufgewachsen. Du wahrscheinlich auch. Hast keinen Akzent. Mein Vater hat einen, der ist echt witzig. Vor allem das 'ch' macht ihm zu schaffen. Leben deine Eltern auch hier?“ Sie war schon echt nett. Es war gar nicht mal so schlecht, sich normal mit jemandem über die Heimat unterhalten zu können. Seit ich fast umgebracht wurde, war dies das erste unbeschwerte Lächeln, das mir über die Lippen kam. „Nein, ich bin alleine in Deutschland.“ „Achso. Ich liebe ja diese Ruhe hier. Wenn wir bei Oma in Spanien sind, ist es immer so laut. Ich bin das nicht gewöhnt. Aber dort liebe ich die Herzlichkeit und das Wetter und wenn es zu heiß wird, fahren wir einfach ans Meer.“ Wieder lächelte ich, wenn auch zerknirscht, weil mein Blick auf Lyz einige Reihen vor mir fiel. Dieses Mädchen neben mir redete ziemlich viel, aber das fand ich nicht schlimm, denn immerhin lenkte sie mich ein wenig von meinem Schmerz ab. Als die Vorlesung startete, hielt sie den Mund, aber kaum ging die Pause los, quasselte sie weiter. Sie sprach über das Essen, das sie mochte und auch über die „Universidad de Deusto“ in Bilbao, auf der sie ihren Master machen wollte. Eine weitere Pause später hörte sie allerdings auf, von sich zu erzählen und erwartete auch etwas mehr über mich zu erfahren. So nett sie war, das konnte sie vergessen. „Ich hab dich ziemlich überrumpelt, was? Das mit Lyz ist noch zu frisch. Ist aber auch heftig, was sie mit dir abzieht.“ „Was genau zieht sie denn deiner Meinung nach mit mir ab?“, fragte ich irritiert. Sie schien kurz verwirrt, erklärte es dann aber. „Na, sie geht fremd. Jetzt versteh ich auch endlich, warum du dich wie ihr Pascha verhalten hast. Kaum kommt ein hübscher Mann um die Ecke, springt sie auf ihn drauf.“ Ich fragte sie, woher dieses Gerücht stammte, was sie mir dankenswerterweise sehr konkret beantworten konnte. „Lucy und Nadine haben gesehen, wie sie auf offener Straße mit Dr. Lucard rumgemacht hat. Es soll richtig zur Sache gegangen sein.“ Ich griff mir sofort reflexartig an den Mund. Dieser berechnende Sack musste das mit Absicht getan haben, um mir schön einen mitzugeben. Er mochte mein Herr sein, aber ihm hatte ich mein Leben nicht zu verdanken, wahrscheinlich jedenfalls. Diese derbe Retourkutsche von ihm veränderte meinen Blick auf ihn nicht nur ein Stückweit, sondern radikal. Erst zeigte er mir, wie spielend leicht er mich töten konnte und direkt danach, dass er sich Lyz nehmen konnte, wann immer es ihm beliebte. Die ganze Zeit packte er sie nicht mal mit gespitzten Fingern an, aber wo er wusste, dass ich sie wollte, nahm er sie sich in aller Öffentlichkeit, wahrscheinlich um sicherzustellen, dass ich davon erfuhr. Es war nicht eingebildet von mir, das persönlich zu nehmen, denn das war es eindeutig. Über Einhundert Jahre war er alt und doch benahm er sich unreifer als ich. Irgendwie war ich nun erleichtert, dass Lyz vorher mit diesem Versicherungsvertreter-Typ zusammen war. Der Gedanke, Rova sei ihr Erster gewesen, passte mir so gar nicht, vor allem nicht unter diesen Umständen. Scheiße, da regte sich sofort wieder das schlechte Gewissen. Mein inneres Aufbegehren schmerzte mir im Herzen, das ihm loyal ergeben war. Ich hätte schreien können, so sehr zerriss es mich. Rova war ein unbestreitbares Genie in der Biochemie, ein genialer Dozent, ein unfassbar mächtiger Anführer und hochintelligent. Dass er mit fiesen Mitteln um seine Frau kämpfte, konnte ich ihm doch nicht vorhalten. Dafür verstand ich das nur viel zu gut… Wäre nicht ich sein Gegner, hätte ich ihn nach Leibeskräften unterstützt. Das war eine schwierige Situation für mich und als mich in der Mittagspause dann noch zwei andere Studis auf Lyz ansprachen, platze mir der Kragen. Ich musste es wissen, wissen, wie viel an den Gerüchten dran war. Eigentlich wollte ich mich erst einmal im Hintergrund halten, aber das konnte nicht warten. In einer Kurzschlussreaktion ging ich zu Lyz und forderte sie auf, es mir zu erklären. Wie ich Schwebezustände hasste! Wenn ich nicht wusste, wie sie zu uns beiden stand, wusste ich so gar nichts mit mir anzufangen. Natürlich war die Konfrontation völlig überstürzt und unüberlegt. Ich war noch nicht so weit, mich für das Unverzeihliche zu entschuldigen und baute eine Mauer um mich herum auf. Wenn ich es mir recht überlegte, tat ich das wohl recht oft, sobald sie mir drohte, zu nahe zu kommen. Zu allem Überfluss fand ich in dieser Unterhaltung nicht einmal heraus, was denn nun genau passiert war. Zu Hause holte ich mir noch einmal Mut bei meiner Schwester und sprach Lyz einen Tag später nach der letzten Vorlesung des Tages vorsichtig an. Als ob sie es ahnte, war sie auf ihrem Platz sitzengeblieben, bis alle anderen den Raum verlassen hatten und sah mich schüchtern mit gesenktem Kopf an. Das war eindeutig eine Aufforderung, sich mit mir auszusprechen. Sie zeigte sich schon wieder viel zu nachsichtig mit mir. „Tut mir echt leid, Lyz“, sagte ich ausatmend. Ich lehnte stehend mit einem Sitz Abstand neben ihr. Weil ich es nicht geschafft hatte, sie dabei anzusehen, sah ich nur im Augenwinkel, dass sie mit dem Kopf nickte. Ich nahm meinen Mut zusammen und betrachtete ihren Gesichtsausdruck genauer. Sie lächelte sogar, oder… verdammt. Das war nur eines ihrer gequälten, falschen Grimassen, die sie vermutlich als Lächeln verstand. „Nein Alex, ich versteh dich, wirklich. Wenn ich so zurückdenke, hast du viel Geduld mit mir bewiesen. Naja, und... jetzt versteh ich auch, wieso du mich naiv genannt hast. Es stimmt, ich war naiv… ich hab versucht, es auszublenden, aber… vor der Wahrheit kann man eben nicht davonlaufen.“ Da kamen sie wieder, Tränen, geboren aus meiner Sünde. Lyz tat mir so leid. Ich wollte sie umarmen, sie trösten, aber ich war doch der Grund für ihren Schmerz. „Ich wollte das echt nicht“, beteuerte ich mit weinerlicher Stimme. Ich fing mich zwar schnell wieder, aber das war mir echt peinlich vor ihr. Lyz fuhr in sich zusammen. Eilig wischte sie sich ihre Tränen weg und sah dann zu mir hoch. „Ich weiß, … ich hab dir gar keine Wahl gelassen, weil ich mich dir total aufgedrängt habe. Ich mach das nie wieder, versprochen. Wenn du sagst, dass ich dich in Ruhe lassen soll, dann mach ich das, Hauptsache ich streite mich nicht mehr mit dir, Alex. Das macht mich total unglücklich.“ Unglaublich was sie da sagte. Ich Dummkopf hätte sofort reagieren müssen und ihr sagen, dass sie keine Schuld traf, doch was ich fragte, war: „Hast du Angst vor mir, jetzt wo du weißt, wie stark ich bin?“ Sie schüttelte den Kopf, sah mich an und lächelte diesmal offener. „Nicht mehr als vorher. Du warst eben hungrig, nachdem Rova bei dir war und da kam ich gerade recht, … aber es wäre schön, wenn du mir in Zukunft sagst, wenn du so ein Problem hast. Naja, und… ehrlich gesagt mehr als du, macht mir Rova nach dieser Sache… ne, ist schon gut.“ Rova hatte sie so sehr eingeschüchtert, dass ich das geringere Übel war. Verrückt. „Es wird nicht wieder vorkommen. Das verspreche ich“, versicherte ich ihr und stand auf. Es tat gut, mir das von der Seele geredet zu haben, denn ich fühlte mich danach um einiges befreiter. Schon nach recht kurzer Zeit erreichte unser Verhältnis wieder ein ähnliches Niveau wie vor dem Biss. Ich mochte etwas zurückhaltender sein, aber das fiel ihr wahrscheinlich kaum auf. Gezügelt hatte ich mich ja im Grunde schon immer. Es erschien mir fast so, als sei Lyz sogar ganz froh darüber, endlich zu wissen, was los war. Möglicherweise hatte ich mich zu einer Art Bezugsperson für sie entwickelt. So wie ihren Eltern, verzieh sie nun mir alles. Hm, ne, das war Quatsch. Da überschätzte ich mich wahrscheinlich. Die Donnerstagsvorlesungen bei Rova gestalteten erschreckend ereignislos, bis auf ein kleines Ärgernis mit dem Hundemädchen Hanna. Die Tussi lernte es wohl nie, aber diesmal war es Rova, der sie abblitzen ließ. Eigentlich war spätestens jetzt die Zeit für ihn gekommen, sich Lyz auf normalem Weg zu nähern. Sie akzeptierte ihr Schicksal, war hörig und fand ihn scheinbar immer noch ziemlich toll, obwohl er ihr Angst einjagte. Okay, ich verstand sie da ganz gut, denn mir ging es ähnlich. Ich fand, das war seine Gelegenheit, Lyz zu beweisen, dass er auch andere, bessere Seiten hatte, doch was machte er? Nichts! Total merkwürdig, dieser Mann. Wenn er wirklich einen größeren Plan verfolgte, dann… oh Mann, nein, ich verstand ihn in dieser Sache kein Stück. Er wäre vielleicht besser gefahren, sich von mir ein paar Tipps zu holen. Selbst um eine Fernbeziehung führen zu können, brauchte man in erster Linie erstmal eine Beziehung. Seine eigene Partnerin nur ein einziges Mal zu bügeln und dann wie eine heiße Kartoffel fallen zu lassen, war schließlich nicht gerade die feine englische Art, Herr Lucard. Diese Ruhe war wirklich angenehm und auch notwendig nach all den nervenaufreibenden Erlebnissen. Das Einzige, was mich noch aufbrachte, waren Lyz' Blutungen. Ihr leckerer Geruch weckte fast nur die heißen Erinnerungen. All den Schmerz, der darauf gefolgt war, hielt meine Lust wohl für nebensächlich, ich war ja auch nur fast gestorben, also klar, ganz normal. Mann, sie brauchte nur eine klitzekleine Wunde zu haben und ich schmeckte ihr köstliches Blut förmlich auf der Zunge. Es war sogar noch schlimmer als vorher. Mein unbelehrbarer Körper schrie danach, Lyz nachts zu besuchen und sonst was mit ihr zu anzustellen, da war er sehr kreativ. So ein innerer Dialog konnte wirklich zermürbend sein. Wenn Hunger und Lust aufeinandertrafen, hätte ich mich am besten im Keller einsperren sollen. Das wäre einfacher gewesen. Naja, immerhin wusste Lyz Bescheid und ließ mich Abstand nehmen. Zumindest tat sie das meistens, denn es gab da eine Situation, in der ich fast die Beherrschung verlor. Ich war vor ihr aus dem Hörsaal geflüchtet, übliche Bilder im Kopf, wie immer, da kam sie mir im Treppenhaus hinterhergeschlichen. Dass ich nicht grundlos vor ihr weglief, hatte sie noch nicht so richtig verinnerlicht. Dieses verrückte Prinzesschen hatte sich nämlich in den Kopf gesetzt, mir zu helfen und überreichte mir auf der oberen Etage vor dem Fenster eine Ampulle, gefüllt mit ihrem Blut. So ganz hatte sie den Zusammenhang zwischen ihrem Geschmack und meiner Lust noch nicht verstanden, denn sie forderte mich auf, es direkt zu trinken, damit es mir besser gehen würde, logisch. Nur ein Tropfen davon auf meiner Zunge und sie hätte ihre Klamotten auf dem Campusgelände zusammensuchen können. Klar, ich wollte das im Grunde, aber ich bezweifelte, dass das ihre Intention gewesen war. Sie wusste gar nicht, welchen Bärendienst sie mir damit stattdessen erwies, denn für mich hatte ihr Blut einen anderen unbezahlbaren Nutzen. Dieses rote Elixier war wie der heilige Gral für mich, mit dem ich meine Überempfindlichkeit gegen sie bekämpfen konnte. Jeden Abend träufelte ich ein Tröpfchen in ein Glas und nahm den Duft somit permanent in mich auf, um mich daran zu gewöhnen. Anfangs war das richtig heftig und meist mit abendlichem Handanlegen verbunden, aber so gewöhnte ich mich daran. Das Schwerste an der Sache war, mich so weit zu kontrollieren, dass ich es nicht doch des Nachts einfach in mich hineinschüttete. Dass meine Disziplin Wirkung zeigte, bemerkte ich schon bei ihrer nächsten Blutung. Ich fand das Prinzesschen immer noch total heiß und so weiter, aber ich verlor nicht mehr den Verstand. Das machte mein Leben um einiges leichter. Nun musste ich nur noch herausfinden, wie sich meine Liebe zu ihr und meine Loyalität zu Rova irgendwie unter einen Hut bringen ließen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)