Blurred von YukiKano ================================================================================ Kapitel 13: Kapitel 11.2 ------------------------ Es war weit nach Mitternacht, da kam Wheeler auf mich zu gestolpert, fiel mir um den Hals und nuschelte vor sich hin, dass er jetzt nach Hause wollte. Er stank nach Punsch und kicherte vor sich hin, wie ein kleines Mädchen. Ich verdrehte die Augen. Natürlich hatte Jacob es sich nicht nehmen lassen, ihn noch mehr abzufüllen. Dafür würde er sich von mir noch etwas anhören müssen, wenn wir uns das nächste Mal sehen. Ich verabschiedete mich von niemandem, ergriff Wheelers Hand und zog ihn zum Fahrstuhl. Ich hoffte niemand hatte seinen Zustand mitbekommen. Wenn doch, konnte das ziemlich peinlich für mich werden. Aber darüber konnte ich mir Gedanken machen, wenn es soweit war. Im Moment war nur wichtig, Wheeler heil und vor allem ungesehen in die Villa zu bugsieren. Als wir auf den Fahrstuhl warteten, trat der junge Mann an uns heran, der uns vorhin die Jacken abnehmen wollten. Er sah Wheeler und mich wissend an und zu meinem Leidwesen, grinste Wheeler zurück. Dann schlang er seine Arme um mich und sagte: »Das ist meiner, ich habe ihn zuerst gesehen.« Der Angestellte setzte dazu an, etwas zu sagen, doch als er meinen drohenden Blick bemerkte, ging er einfach an uns vorbei. Gut für ihn – ein falsches Wort und ich hätte ihm eine verpasst. Die Fahrstuhltüren öffneten sich mit einem lauten „Pling“ und ich stieß Wheeler vorsichtig, aber bestimmt hinein. Er stolperte gegen die Wand und fing sich lachend daran auf. Kaum, dass die Türen sich hinter uns geschlossen hatten, sah ich ihn böse an und verschränkte die Arme vor der Brust. »Musste das sein?«, fuhr ich ihn an. »Kannst du dich echt nicht zusammenreißen und dich wenigstens ein bisschen deinem Alter angemessen benehmen?« »Wovon redest du? Ich habe gar nichts gemacht!« »Du bist blau wie ein Veilchen!« Statt einer Antwort, lachte Wheeler nur weiter. »Na und? Lass mir meinen Spaß – außer dem, bleibt mir doch nichts mehr! Alles andere habe ich verloren! Also lass mir wenigstens das – lass mir wenigstens dieses Stück Joey, wenn du doch schon alles andere an mir verändern willst!« Doch sein Lachen wurde von Wort zu Wort leiser, bis er schließlich ganz wehleidig klang und von seiner guten Laune kaum noch etwas zu merken war. Ich drückte die Stopptaste des Fahrstuhls, bevor wir im Erdgeschoss ankamen und Futter der Papparazzo wurden. Der Fahrstuhl ruckelte und Wheeler geriet ins Schwanken. Weil ich seinem Gleichgewichtssinn nicht vertraute, packte ich ihn am Arm und drückte ihn wieder gegen die Fahrstuhlwand. »Was willst du von mir? Mich weiter anschreien, das ist doch das einzige, was du kannst – mich anschreien, mich als Hund betiteln, mich, meine Freunde und meine Herkunft beleidigen! Na los, mach schon, hau deine Sprüche raus«, schrie er mich an. »Sie tun schon längst nicht mehr so weh wie früher!« Ich schluckte. Es war ein falscher Impuls, aber ich wollte ihn küssen. Im Moment wollte ich ihn nicht anschreien, ihn nicht beleidigen und ihn nicht als Hund betiteln. Ich konnte es mir nicht erklären. Es machte überhaupt keinen Sinn. Und es war dumm, sehr dumm. Aber ich war auch nur ein Mensch und Menschen tun ständig dumme Dinge. Wheeler senkte den Blick. »Du wirst mich vermutlich noch mehr hassen als vorher, aber ich mag dich – ich weiß nicht warum und eigentlich habe ich dazu keinen Grund, weil du ein riesiges Arschloch bist, aber ich mag dich trotzdem!« Der Funken Anstand, den ich noch besaß, ging in dem Moment drauf, in dem Joey mich ansah, wie ein verletztes Reh. Und dann schaltete ich mein Gehirn aus, packte ihn an der Hüfte und küsste ihn heftig. Glücklicherweise wehrte sich Wheeler keine einzige Sekunde. Er schlang mir die Arme um den Hals und presste sich noch dichter an mich. Unsere Lippen schmiegten sich aneinander, als wären sie für nichts anderes geschaffen. Ein paar Sekunden reichte mir dieses harmlose küssen, doch dann verlangte mein Körper nach mehr. Ich zog die Zipfel seines Hemdes aus dem Hosenbund und schob meine Hände zielsicher darunter. Er keuchte auf, als meine kalten Hände seine warme Haut berührten. Ich nutzte die Gelegenheit und drängte meine Zunge in seine Mundhöhle, umspielte seine und lockte ihn. Er wurde von Sekunde zu Sekunde mutiger, ließ sich herausfordern und kämpfte mit mir. Er wollte die Dominanz, er wollte mir beweisen, dass er stärker war als ich. Aber die Macht würde ich ihm nicht überlassen – nicht heute. Doch dann löste er sich von mir und sah mich an. Er sah so aus, als würde er etwas sagen wollen, doch dann knurrte er nur und überfiel mich, küsste mich hungrig und ein wenig unbeholfen. Erst jetzt fiel mir auf, dass er nach Punsch und Minze schmeckte und ein wenig nach Tabak. Claudette musste ihm einen Kaugummi gegeben haben und Jacob musste ihm eine Zigarette angedreht haben. Dafür würde er sich von mir noch etwas anhören können, aber gerade hatte ich wichtigeres zu tun. Wheeler besinnungslos zu küssen, zum Beispiel. Wäre David jetzt hier, würde er den Vertrag zerreißen und sich breit grinsend die Hände reiben. Und danach würde er mir die Zunge herausstrecken und mir erklären, dass er das ja schon von Anfang an gewusst hatte. Ich schob diesen Gedanken bei Seite. An diesen Idioten wollte ich jetzt wirklich nicht denken. Vor allem nicht, als ich Joeys deutliche Erregung durch den dünnen Stoff seiner Anzughose spürte. Und mich ließ das Geknutschte auch nicht kalt. Ich musste mir eingestehen, dass ich das nicht auf die paar Gläser Punsch schieben konnte, die ich getrunken hatte. Mir gefiel Joey, jetzt musste ich nur noch ergründen wie sehr und ob ich mich damit gegen Gozaburo durchsetzen konnte. Ich verlor die Kontrolle über meine Hände, ließ von seinen Händen ab und schob sie unter sein Hemd, führte sie zielsicher zum Knopf seiner Hose, denn das war es, worauf es hinauslaufen würde. Und warum etwas unnötig in die Länge ziehen? Doch in dem Moment, in dem ich den Knopf öffnete, drückte Wheeler mich mit bestimmtem Griff von sich weg. Mit hochroten Wangen und glasigen Augen sah er mich an. »Nicht hier – bitte«, murmelte er so leise, dass ich ihn beinahe nicht verstanden hätte. Ich zog meine Hände von ihm weg und räusperte mich. »Dann lass uns in die Villa fahren – Hündchen.« Ich erwartete, dass er protestierte und sich über den Spitznamen beschwerte. Doch zu meiner Überraschung nickte er bloß und sagte: »Ja, lass uns nachhause fahren!« Wir küssten uns wieder, doch dieses Mal sanfter und nicht so fordernd. Ich betätigte einen Knopf an der Schaltwand und der Fahrstuhl setzte sich lautlos, aber mit einem kräftigen Ruck, wieder in Bewegung. Wheeler hing indes immer noch an meinen Lippen und ließ erst von mir ab, als eine mechanische Stimme ankündigte, dass wir jetzt im Erdgeschoss ankamen. Kaum hatten sich die Türen geöffnet, empfing uns wieder ein Blitzlichtgewitter, aber ein kleineres, als bei unserer Ankunft. Die meisten Reporter hatten bereits, was sie brauchten und waren schon verschwunden. Nur die, die auf einen Skandal hofften, standen sich hier noch die Beine in den Bauch. Doch Joey und ich würden ihnen den nicht liefern. Ich griff wie vorhin nach seiner Hand, doch dieses Mal fühlte sich das viel natürlicher an und nach etwas, dass ich tun musste, gegen das ich mich nicht wehren konnte. Wheeler verschränkte unsere Finger miteinander. Die initialisierende Bewegung ging dieses Mal nicht von mir aus. Die Reporter machten noch ein paar Fotos von uns, aber keiner sprach uns an und stellte uns lästige Fragen. Besser für sie. Wenn ich auch nur ein falsches Wort aus ihren Reihen gehört hätte, hätten sie sich morgen allesamt arbeitslos melden können. Und, dass ich in der Lage dazu war, dies durchzubringen, sah man mir auch an, denn die Reporter gingen sogar noch einen Schritt weiter weg. Unsere Limousine stand noch genau an dem Ort, an dem wir vorhin ausgestiegen waren. Roland wartete direkt davor auf uns und der Fahrer hatte sich zu den anderen seiner Art gesellt. Es bedurfte nur einer Handgeste und Roland verstand was ich wollte. Er nickte kurz und holte dann den Fahrer. Währenddessen setzte ich Wheeler auf die Rückbank und stieg danach selbst in den Wagen ein. Kaum saß ich, klebte Wheeler schon wieder an mir, wie mein eigener Schatten und kuschelte sich an mich. Er vergrub das Gesicht ganz tief an meinem Hals und hauchte sanfte Küsse auf meine Haut. Ich wünschte, wir wären jetzt nicht in diesem Auto, denn dann müsste ich mich nicht zusammenreißen und könnte hemmungslos alle Gedanken über Bord werfen. Der Wagen setzte sich ruckartig in Bewegung und ich musste Wheeler festhalten, damit er nicht von seinem Sitz fiel. Er richtete sich mühevoll wieder auf und sah mich verdutzt an. Dann lachte er laut. Ich runzelte die Stirn. Er bekam sich gar nicht wieder ein. Fast zehn Minuten dauerte sein Lachanfall, dann klammerte er sich wie ein Ertrinkender an mein Hemd. »Versprich mir, dass du mich niemals so behandeln wirst, wie mein Vater«, sagte er und sah mich dabei eindringlich an. »Kann ich nicht«, antwortete ich ehrlich. Ich würde gerne, aber ich kannte seinen Vater nicht. Ich wusste nur, dass er ihn schlug. Das würde ich niemals tun und das würde ich ihm auch versprechen. Aber ich wusste nicht, wie sein Vater ihn sonst behandelte. Und deswegen konnte ich ihm nichts versprechen, von dem ich nicht wusste, ob ich es einhalten konnte. Ich hasse Halbherzigkeit! Joey fasste es so auf, als würde ich mich in absehbarer Zeit genauso benehmen wie sein Vater. Er lockerte seinen Griff und ließ die Hände langsam sinken. »Wenn du mir das nicht versprechen kannst, kann ich nicht mit dir knutschen oder bei dir bleiben – dann muss ich gehen und mir jemanden suchen, der mir genau das versprechen kann«, murmelt er und rutschte auf die andere Seite der Sitzbank. Dann sah er demonstrativ aus dem Fenster und würdigte mich keines Blickes mehr. Weil ich mich nicht blamieren wollte, drehte ich mich ebenfalls um und sah aus dem Fenster. Die Fahrt dauerte jetzt irgendwie länger und es kam mir wie eine schiere Ewigkeit vor, bis wir wieder an der Villa ankamen. Roland öffnete die Tür auf Joeys Seite und half diesem auszusteigen. Natürlich hatte er sich in der vergangenen halben Stunde nicht beruhigt und schlug Rolands Hand unkoordiniert bei Seite. »Ich brauche keine Hilfe, ich bin kein kleines Kind mehr«, meckerte er und machte sich mit wackeligen Schritten auf den Weg zur Tür der Villa. Ich zog die Augenbrauen hoch und schüttelte den Kopf. Er würde noch hinfallen, wenn ihn niemand stützte. Oder sich auf dem Weg in sein Zimmer verirren und im Flur ausnüchtern. Das Gesicht des Zimmermädchens, das ihn fand, wollte ich nicht sehen. Also verabschiedete ich mich knapp von dem Chauffeur und Roland und eilte Joey dann zur Hilfe. Meine Hand schlug er ebenfalls weg. Als ich gleich nochmal nach seinem Arm griff, wirbelte er herum und funkelte mich wütend an. »Fass mich nicht an, du willst mir doch eh nur wehtun!« Ich verdrehte die Augen. »Du hast das vorhin falsch verstanden!« »Was habe ich falsch verstanden? Ich wollte nur, dass du mir versprichst, mich niemals so niederträchtig zu behandeln, wie mein Vater es tut und du konntest es nicht – was ist daran falsch zu verstehen?« Ich fand es erstaunlich, dass er sein Sprachzentrum trotz seines hohen Promillewertes so gut im Griff hatte. Bevor wir in den Wagen gestiegen waren, klang er noch wie ein kleines Kind. »Ich würde dich niemals anrühren, aber ich kann dir nicht versprechen, dass ich nicht so bin wie dein Vater – ich kenne ihn doch gar nicht!«, antwortete ich. Vielleicht sollte ich ihn einfach stehen lassen und die letzte Stunde aus meinem Gedächtnis streichen. Dann blieb uns beiden vermutlich viel Ärger erspart. »Dann hätten wir das ja geklärt. Bleibt nur die Frage, warum du vorhin im Fahrstuhl deine Griffeln nicht bei dir behalten konntest, wenn du mich ja gar nicht anfassen willst?!«, stichelte er gehässig und stemmte die Hände in die Hüften. Das wütende Funkeln in seinen Augen wich einem provokanten. Wir wussten beide, worauf das hier hinauslaufen würde. Eine sinnlose Diskussion, an die er sich morgen nicht mehr erinnern konnte und die mir noch tagelang im Kopf herum spuken würde. So wie in den letzten Tagen alles, was ihn betraf. Und vermutlich würden wir uns wieder streiten und uns alle Beleidigungen an den Kopf werfen, die uns einfielen. Vielleicht hatte er recht und es wäre besser für uns beide, wenn er einfach wieder aus meinem Leben verschwindet und ich aus seinem. Joey überbrückte mit zwei stampfenden Schritten die letzte Distanz zwischen uns und das einzige was im Moment noch zwischen uns gepasst hatte, wäre ein Deck Duell Monsters Karten. Er war nicht wirklich viel kleiner als ich, aber wenn er so dicht vor mir stand, musste er trotzdem von unten zu mir Aufsehen. Wir funkelten uns einen langen Moment gegenseitig herausfordernd an, ehe er schwer seufzte. Jegliche Härte verschwand aus seinem Blick und jetzt bedachte er mich, mit einem beinahe schon sehnsüchtigen Blick. »Ich verstehe nicht, warum du so gegen das offensichtliche ankämpfst! Wir beide sind vielleicht nicht das perfekte Paar, aber denkst du nicht, wir beide könnten es trotzdem schaffen?! Auch wenn du für immer dieser reiche, überhebliche, arrogante, egoistische Pinkel bleiben wirst und ich eigentlich jemand viel Besseren verdient habe!« Keine Frage, er ist eindeutig immer noch betrunken. Vom nüchtern sein, war er immer noch sehr weit entfernt. Auch wenn er erstaunlich klar in seinem Kopf zu sein schien. Aber das interessierte mich in diesem Moment nicht. Denn ich hatte meinen Kopf genau in dem Moment auf Durchzug gestellt, als er mich überheblich und arrogant genannt hatte. Er hatte vollkommen recht mit diesen Adjektiven in Bezug auf mich, aber sie waren die letzten, die ich in diesem Moment hören wollte. Und weil ich wusste, dass ich ihn nur küssen oder ihm eine runterhauen konnte, damit er endlich seine Klappe hielt, wählte ich ersteres. Bevor er noch etwas sagen konnte, überbrückte ich die letzten Millimeter, die uns noch voneinander trennten und beugte mich die fehlenden Zentimeter zu ihm hinab. Der Kuss war im ersten Moment genauso leidenschaftlich und unbeholfen wie der svorhin im Fahrstuhl, nur mit dem kleinen Unterschied, dass ich mich jetzt nicht mehr zurückhalten musste. Wheeler schien das genauso zu sehen. Denn er zog mich küssend in die Richtung, in der er den Eingang vermutete. Und ich ließ ihn machen. Bis wir im Schlafzimmer waren, würde ich ihm die Kontrolle überlassen. Aber spätestens im Bett würde ich den Ton wieder angeben. Denn ich konnte die Kontrolle nicht abgeben, was das betraf. Und ich wollte es auch gar nicht! Wheeler verließen bereits in der Eingangshalle die Kräfte und er sackte beinahe in meinen Armen zusammen. Ich fing ihn auf und presste ihn dann mit aller Kraft, die ich aufbringen konnte an mich, unterbrach den Kuss und sah ihm tief in die Augen. »Du wirst nie wieder auch nur ein Glas Alkohol bekommen«, sagte ich ernst. Joey verzog leidend das Gesicht. »Sei doch froh, dass ich gar nicht wirklich mitkriege was du mit mir treibst! Wenn die drei Schnepfen mich nicht abgefüllt hätten, hättest du schon die längst die Bullen am Hals kleben. Dann hätte ich nämlich ganz laut geschrien, dass du dich an mir vergreifen willst!« Zur Strafe für sein vorlautes Mundwerk biss ich ihm in die weiche Haut am Hals und leckte anschließend über die malträtierte Stelle. Zufrieden bemerkte ich, dass Joey am ganzen Körper eine Gänsehaut bekam und mir entging auch das unterdrückte stöhnen nicht. »Reiz mich lieber nicht – daran hättest du keine Freude!«, flüsterte ich bestimmend in sein Ohr. Joey erschauerte erneut, presste sich aber noch näher an mich. So nah, dass ich die deutliche Beule in seiner Hose bemerkte. Das Hündchen grinste mich lasziv an. »Na Mensch, du siehst ganz schön fertig aus Seto – vielleicht sollten wir das auf ein anderes Mal verschieben!« »Vergiss es«, knurrte ich ungehalten und presste meine Lippen wieder gegen seine. Während ich mit meiner Zunge seine aus ihrem Territorium lockte, schob ich ihn Schritt für Schritt weiter in Richtung Treppe. Als ich das Gefühl hatte angekommen zu sein, griff ich nach seinen Beinen und hob ihn so hoch, dass ich ihn tragen konnte. Wenn ich ihn selbst die Treppen gehen lassen würde, endete das entweder in einer Katastrophe oder wir beide sind morgen früh noch nicht im Obergeschoss. Und ich machte mir auch nicht die Mühe, sein Zimmer zu suchen, sondern trug ihn direkt zielstrebig in meins. Das hatte außer Taika noch nie jemand von innen gesehen – nicht einmal die Zimmermädchen. Die Innenarchitektin hatte die Einrichtung übernommen und es schließlich als Vorlage für alle anderen Räume genutzt, aber das hier war mein eigenes Reich. Durch die vielen Änderungen und Ergänzungen, die ich durchgeführt hatte, sah das Zimmer schon längst nicht mehr so aus wie früher. Aber wenigstens fühlte ich mich hier mittlerweile wohl. Ich setzte Joey auf der Bettkante ab und löste unseren Kuss für einen kurzen Augenblick. Er zog die Unterlippe zwischen seine Zähne und kaute mit geschlossenen Augen darauf herum. Am liebsten würde ich ihm sagen, dass er damit aufhören sollte, weil es mir schwerfiel, mich auf etwas Anderes zu konzentrieren. Aber ich wollte nicht, dass er diese Schwäche von mir kannte. Dann würde er das nämlich immer tun, um seinen Willen zu kriegen. Und das galt es zu verhindern. »Ich wette, deine Affären waren ganz versessen auf diesen Moment. Wenn du dein Hemd aufknüpfst und die Hüllen fallen lässt«, murmelte das Hündchen vernebelt und streckte seine Hände nach mir aus. »Wie viele Kerle haben dich schon so gesehen?« Neugierde ist die schlimmste Eigenschaft eines Menschen und ich würde Joey die Antwort schuldig bleiben, denn das ging ihn nichts an. Ich würde ihm diese Frage nicht stellen – obwohl es mich durchaus interessierte, auf was ich mich hier einließ. Schweigend befreite ich mich von meinem Jackett und Joey knurrte. »Du könntest mir ruhig eine Antwort geben. Immerhin bist du nicht der einzige, denn das hier betrifft. Und ich entblö-« Die Worte, die er noch loswerden wollte, gingen in einem gurgeln unter, denn ich beanspruchte seinen Mund für etwas Anderes. Ich drängte ihn energisch auf die Matratze und pinnte seine Arme für einen Moment über seinen Kopf, um mich an seinem Hals zu schaffen zu machen. Joey schob seine Hände in meine Haare und zog ein wenig daran. Dann drückte er mich noch mehr zu sich hinab, drängte seine Zunge in meinen Mund und schob sein Knie zwischen meine Beine. Ich stöhnte auf, als es gegen meine Mitte stieß und Joey löste sich abrupt von mir, grinsend wie ein Honigkuchenpferd. »Bringe ich dich etwa so sehr um den Verstand? Ich hätte niemals damit gerechnet diese Wirkung auf dich zu haben!«, murmelte er in die Dunkelheit hinein. »Musst du ständig reden? Ich dachte wir wollen vögeln, da redet man nicht«, knurrte ich und begann dann damit, sein Hemd aufzuknöpfen. Doch was ich zu sehen bekam, raubte mir den Atem. Schockiert setzte ich mich auf und starte seinen Oberkörper wie ein hypnotisiertes Kaninchen an. So etwas hatte ich definitiv noch nie gesehen. Gigantische blaue, grüne und violette Hämatome, überall Rückbleibsel von früheren Verletzungen. Es war mir ein Rätsel, wie er sich bewegen konnte, ohne bei jedem Schritt vor Schmerz zu schreien. Aber vermutlich hatte er sich daran gewöhnt. Vermutlich tat es ihm einfach nicht mehr so weh, weil sein Körper keinen anderen Zustand kannte. »Es tut nicht weh«, flüsterte Joey. »Das sollte es aber!«, entgegnete ich und klang dabei etwas schroffer als beabsichtigt. Joey verzog das Gesicht und begann herum zu zappeln. Ich stieg von ihm hinunter und er setzte sich auf, begann damit sich das Hemd wieder zu zuknöpfen. »Dir kann man es wirklich nicht recht machen. Du solltest froh sein, dass es nicht mehr wehtut, sonst hättest du das alles gerade nicht mit mir tun können!« »Darum geht es nicht!«, entgegnete ich. Das Hündchen schob die Unterlippe vor und sah mich forschend an. Ich bezweifelte, dass er mich in der Dunkelheit mit seinem Alkoholgehalt im Blut auch nur annähernd erkennen konnte. Das schien ihm jetzt auch selbst klar zu werden, denn er wandte den Blick ab und stand auf. »Was ist es dann? Findest du mich hässlich mit den Flecken? Ist es das? Ich hab’s mir nicht ausgesucht!«, meckerte er und wollte an mir vorbei zur Tür. Doch ich griff nach seinem Arm und hielt ihn zurück. »Lass mich los … Du … Du tust mir weh!«, beschwerte er sich wenig überzeugend. »Warum hast du nie etwas gegen deinen Vater unternommen?« Es war die einzige Frage, die er mir beantworten sollte. Danach konnte er gehen, wenn er wollte. Aber Joey schwieg beharrlich. Ich lockerte den Griff um seinen Oberarm und sah ihn nun direkt an. »Muss ich mich nochmal wiederholen?« »Das geht dich gar nichts an!«, spuckte er mir entgegen und dann verdunkelte sich seine Miene plötzlich. »Das geht überhaupt niemanden etwas an!« Sein Vater hatte ihn zerstört. Darin bestand kein Zweifel. Und ich denke, ohne professionelle Hilfe, wird er die Vergangenheit niemals hinter sich lassen können. Dann fing er plötzlich an zu lachen und sah mich an. »Eigentlich bist zu genau wie er! Du tust jeden Menschen hassen, lässt niemanden an dich heran, ertränkst Probleme in Arbeit oder in Alkohol. Und eigentlich hatte ich mir selbst geschworen, mich niemals in so jemanden zu verknallen, denn ich wollte nicht für den Rest meines Lebens weggestoßen werden und dabei zusehen müssen, wie die Person, die ich liebe, sich selbst in den Abgrund stürzt. Aber anscheinend will mein Schicksal genau das für mich!«, sagte er wehleidig. Doch bevor ich dazu etwas sagen konnte, hatte er die Arme schon wieder um meinen Hals geschlungen und seine Lippen auf meine gepresst. Dieser Kuss war allerdings nicht annähernd so schön, wie die anderen. Und weil ich wusste, dass es falsch wäre, seinen betrunkenen Zustand und seine widersprüchlichen Gefühle auszunutzen, wollte ich ihn von mir wegschieben. Doch als ich meine Hände an seine Hüfte legte, zuckte er zusammen, wich von mir zurück und wandte sich seitlich um, so als müsste er sein Gesicht vor einer Faust oder einer Ohrfeige schützen. Und als er realisierte, dass er nicht seinem Vater gegenüberstand, fing er an zu schluchzen. Aber er redete nicht, er weinte einfach nur. Ich wollte ihn nicht wegschicken, ich konnte nicht. Und ich wollte ihn auch nicht einfach mitten im Raum stehen lassen. Also ging ich zu ihm hin und legte meinen Arm um die schmalen Schultern, die in den letzten Jahren eine viel zu schwere Last zu tragen hatten. Joey krallte sich an mich wie ein Ertrinkender und weinte so bitterlich, dass es einem das Herz zerriss. In diesem Moment wünschte ich mir, ich hätte diesen Autounfall schon früher gehabt und Mokuba und David hätten diese Idee früher gehabt. Dann wäre dem Hündchen in meinen Armen einiges erspart geblieben. Etwas über fünf Minuten standen wir mitten im Raum, dann wurden meine Beine so schwer, dass ich keine Sekunde länger mehr stehen konnte. Die Anstrengungen des vergangenen Tages und der vorangeschrittenen Nacht, machten sie bemerkbar. Ich dirigierte Joey zum Bett und knöpfte ihm dieses Mal das Hemd mit harmlosen Absichten auf. Als nächstes war die Hose dran. Prüfend sah ich Joey an, doch er schien keinen Einwand zu haben. Also zog ich die Gürtellasche aus der Schnalle und öffnete anschließend den Knopf. Seine Haut war ganz kalt und er hatte am ganzen Körper eine Gänsehaut. Ich sah ihn an. Er kaute schon wieder auf seiner Unterlippe herum und hatte die Augen halb geschlossen. Aber mit der sichtbaren Schwellung vom Heulen und den glasigen Augen, sah das alles andere als verführerisch aus. Ich konnte nicht anders und gluckste, was er natürlich bemerkte. »Was ist so lustig?« »Du siehst im Moment nicht sexy aus!«, sagte ich ehrlich. »Das wollte ich auch gar nicht; ich habe mich gefragt, wann du endlich fertig bist und aus meinem Zimmer verschwindest?!« Ich zog ihm wortlos die Hose über die Beine und schmiss sie achtlos auf den Boden. Joey war währenddessen bis ans Kopfende hochgerutscht und versteckte seinen Körper unter der Bettdecke. Spätestens morgen würde ich es bereuen, ihn in mein Bett gebracht zu haben. Sein Geruch würde mich noch eine Weile verfolgen. Ich zog mich selbst aus und legte mich dann ebenfalls in mein Bett. Joey schnaubte. »Kaiba, verschwinde aus meinem Zimmer!« »Das ist mein Zimmer und mein Bett. Also entweder du legst dich jetzt hin und hältst den Rand oder du verschwindest!« Einen Moment war es still, dann raschelte die Decke und ich bemerkte einen schmalen, warmen Körper, direkt neben mir. »Es geht ja doch mit dir Hündchen. Aber denk daran, dass Hunde im Bett schlafen dürfen, bleibt eine Ausnahme«, brummte ich. Dann schloss ich die Augen und wollte mich ausruhen. Doch da hatte ich die Rechnung ohne Joey gemacht. Denn der schwang sich auf mich, pinnte meine Arme links und rechts neben meinem Kopf fest und kam meinem Gesicht mit seinem ganz nahe. »Wenn du mich jemals in deinem Leben, nochmal küssen willst, dann betitle mich nie wieder als Hund oder Köter – verstanden?« »Wer hat gesagt, dass ich dich nochmal küssen will?«, entgegnete ich herausfordernd. Ich wollte, musste die Oberhand behalten, durfte die Kontrolle nicht verlieren. »Dein Körper lügt nicht«, flüsterte er und rieb im selben Moment seinen Unterleib gegen meinen. Natürlich blieb ihm die Beule ihn meiner Unterhose so nicht verborgen und natürlich keuchte ich leise, weil mich schon verdammt lange niemand mehr an diesem Fleck berührt hatte. »Also was ist nun? Versprichst du, mich nie wieder „Hund“ zu nennen?« »Nein.« Und entgegen seiner Aussage, küsste er mich trotzdem. Hart und leidenschaftlich. Er war trotz der absurden Situation von vorhin erregt und er wollte das auch. Joey fackelte nicht lange und ließ seine Hand in meine Briefboxer wandern. Ich bezweifelte, dass er schon mal Sex hatte, wunderte mich aber auch nicht darüber, dass er so mutig und selbstsicher daranging. Etwas anders hatte ich gar nicht von ihm erwartet. Denn Joey war niemand, der sich lange den Kopf über etwas zerbrach. Er handelte und dachte dann nach. Sein Mund verabschiedete sich von meinem und er küsste sich über meine Mundwinkel hinab zu meinem Kinn und von dort aus über meinen Hals bis zum Brustbein. Seine Hände zogen währenddessen mein letztes Kleidungsstück immer weiter hinab. Und als er mit seinem Mund an meinem Bauchnabel angekommen war, zog er mir die Boxer aus und schleuderte sich achtlos durch den Raum. Dann passierte einen schier endlosen Moment gar nichts und weil es so dunkel war, konnte ich nicht sehen was er tat. Doch in dem Moment, in dem ich mich aufsetzen wollte, war sein Gesicht plötzlich wieder direkt über meinem. »Ich habe gerade das erste gute Argument für eine Beziehung mit dir gefunden!«, sagte er schnippisch und küsste mich verlangend, bevor ich etwas erwidern konnte. Und während wir uns küssten, wanderte seine Hand immer weiter nach unten. Ich wollte es auch, aber es wäre falsch, es jetzt zu tun. Denn er war noch immer betrunken und würde sich morgen an kaum etwas erinnern können. Also sammele ich meinen übrig gebliebenen Verstand zusammen und drückte ihn von mir weg. Er wehrte sich einen Moment energisch dagegen, doch dann ließ er von mir ab und sah mich wehleidig an. »Was ist?« »Wir sollten das jetzt nicht tun – es wäre falsch!« Joey schnaubte verächtlich und schüttelte den Kopf. »Du kannst doch gar nicht zwischen richtig und falsch unterscheiden, Eisklotz!« »Leg dich jetzt schlafen!« Er warf mir noch einen letzten Blick zu, ehe er von mir hinunterkletterte und sich neben mich legte. Einen Moment befürchtete ich, er wäre jetzt beleidigt und würde doch noch verschwinden, aber dann hörte ich wieder ein herzzerreißendes schluchzen. Ich wollte so tun, als wäre ich schon eingeschlafen und als könnte ich ihn nicht hören. Aber die andere Seite meines Hirns ließ das nicht zu. Und mein Herz sträubte sich auch dagegen, ihn zu ignorieren. Also drehte ich mich auf die andere Schulter und blickte einen Wimpernschlag lang die schlafende Silhouette an. Dann streckte ich die Hand nach ihm aus und begann sachte seinen Rücken zu streicheln. Das ging eine ganze Weile so, bis er plötzlich flüsterte: »Du willst mich nicht, stimmt’s? Weil mein Körper nicht so makellos ist, wie deiner. Weil ich nicht nur Narben auf der Seele habe, sondern weil man sie auch ganz deutlich sehen und spüren kann.« Es wäre für uns beide besser, wenn ich jetzt log und ihm sagte, dass es genauso ist. Das würde uns beide eine Menge Herzschmerz ersparen. Aber ich konnte nicht – und richtig wollen tat ich auch nicht. Ich könnte meine mentale Schwäche auch die acht Gläser Punsch schieben, aber auch das wäre gelogen. Ich wollte ihn. Ich wollte ihn so sehr. Schon seit ich ihn heute im Anzug gesehen hatte. Aber wie ich bereits vorhin festgestellt hatte, wäre es falsch, ihn mir jetzt zu nehmen. Deswegen zog ich ihn nur in meine Arme, presste ihn so nah ich konnte an mich und flüsterte in sein Ohr: »Du bist der Einzige, den ich trotz der Narben begehre.« Er sagte nichts dazu und es dauerte eine ganze Weile, bis er einschlief. Ich hielt ihn weiterhin im Arm. Erst, als sein Atem ruhiger wurde und kein schluchzen mehr zu hören war, traute ich mich, die Augen zu zumachen. Und der einzige Gedanke, der mir durch den Kopf ging, war: Wir haben beide Narben auf der Seele und deswegen passen wir hervorragend zusammen, denn dadurch ebenen wir uns gegenseitig, weil wir wussten, wie sich echter Schmerz anfühlte. ׺°”˜`”°º× ☯☯☯ ׺°”˜`”°º× Als ich am nächsten Morgen die Augen öffnete, bemerkte ich zu allererst das schwere Gewicht auf mir. Ich rieb mir über die Augen und warf einen Blick auf meinen Wecker. 5.47 Uhr. So spät war ich in den letzten vier Jahren noch nie aufgewacht. Ich drehte den Kopf und warf versonnen einen Blick auf Joeys nackten Rücken. Er schlief noch immer tief und fest, schnarchte sogar leise vor sich hin. Er würde sich bestimmt in den nächsten drei Stunden nicht rühren, wenn nicht sogar noch länger. Es dauerte einen Moment, bevor ich alle Ereignisse und Geschehnisse in der richtigen Reihenfolge zusammensetzen konnte. Doch nachdem mir das gelungen war, vergrub ich verlegen das Gesicht in den Händen und schüttelte den Kopf. Ich hoffte inständig, dass Joey sich an nichts mehr erinnern konnte, denn ansonsten wäre das für mich mehr als nur unangenehm. Einen langen Moment überlegte ich, liegen zu bleiben und Joey noch eine Weile anzustarren, aber dann riss ich mich zusammen und stand auf. Immerhin konnte die Arbeit in der Firma nicht liegen bleiben, weil mein Schwanz der Meinung war, er wäre wichtiger. Doch selbst als ich mich anzog, konnte ich den Blick nicht von ihm abwenden. Er hatte sich bewegt. Die Decke war hinuntergerutscht und gab den Blick auf Stellen frei, die nur ihm selbst und seinem Partner vorbehalten waren. Ich knöpfte sorgsam mein Hemd zu und ging danach zurück zum Bett. Ich warf einen letzten Blick auf den geschundenen Körper, dann zog ich ihm Decke hoch bis zur Brust. Einen Moment spielte ich mit dem Gedanken, ihm einen Abschiedskuss zu geben, doch dann verwarf ich den Gedanken kopfschüttelnd wieder. Soweit wollte ich nun auch wieder nicht untergehen. Ich war in den vergangenen Stunden schon viel zu tief gesunken, hatte Dinge von mir gegeben, die ich niemals zu jemand anderem sagen wollte. Hatte Dinge getan, die ich niemals tun wollte. Ich verließ mein Schlafzimmer mit fünf großen Schritten und zog die Tür hinter mir leise ins Schloss. Dann verschwand ich in meinem Arbeitszimmer und holte meine Tasche und meinen Laptop. In der Küche stand eine dampfende Tasse Kaffee bereit und daneben lag die aktuelle Tageszeitung, aufgeschlagen, auf der Seite, wo der Wirtschaftsteil begann. Von Taika oder einem anderen Angestellten war weit und breit nichts zu sehen. Gut so. Ich wollte heute keine lästigen Fragen beantworten. Ich las ein paar Artikel, bis der Kaffee soweit abgekühlt war, dass ich ihn in einem großen Schluck austrinken konnte. Ich musste aus diesem Haus raus. Denn wenn ich noch länger hierblieb, lief ich Gefahr, dass Joey wach wurde und mit mir reden wollte. Und ich musste meiner Gedanken erst wieder Herr werden, bevor ich mich mit ihm auseinandersetzen konnte. Ich faltete die Zeitung zusammen und steckte sie in meine Tasche. Dann verließ ich die Villa. Draußen stand mein Wagen bereit und Roland wartete vorbildlich daneben. Er grüßte mich verhalten und streckte seine Hand bereits zum Türgriff aus, als ich ihn mittels eines Handzeichens davon abhielt. »Ich möchte heute gerne selbst in die Firma fahren. Ich habe ein paar Termine und muss flexibel sein!«, antwortete ich auf Rolands fragenden Blick. Er nickte verstehend und fuhr den Wagen weg, während ich die Garage aufsuchte und in mein eigenes Auto stieg. Es dauerte fünf Minuten und kostete mich eine ganze Menge Beherrschung den Motor zu starten. Denn eine leise Stimme in meinem Gehirn flüsterte mir ständig zu, dass es in der Firma heute nichts Wichtiges zu tun gab und, dass ich mich getrost wieder ins Bett legen konnte. Zu Joey, wo ich im Moment eigentlich viel lieber sein wollte. So ein Gewissenskonflikt hatte in meinem Gehirn noch nie existiert und ich brauchte ganze zehn Minuten, um mich zu sammeln. Mit diesen wirren Gedanken war ich eine Gefahr für den Straßenverkehr von Domino. Ich sollte Wheeler auf Entschädigung verklagen – nicht umgekehrt. Auf dem Weg zur Firma missachtete ich sämtliche Geschwindigkeitsbegrenzungen und Vorfahrtszeichen. Dem Pförtner vor der Tiefgarage ließ ich nicht Mal Zeit, die Schranke ganz zu öffnen. Ich fuhr bereits durch, als sie nur auf Halbmast stand. Mein persönlicher Parkplatz war wie gewohnt frei. Ich parkte heute völlig schief, aber das war mir egal. Und es war mir auch egal, dass der Fahrstuhl nicht schneller werden würde, nur weil ich 20 Mal – ich hatte jedes verdammte mal mitgezählt – auf den Knopf drückte. Makoto saß wie jeden Tag hinter ihrem Schreibtisch und sortierte Dokumente, die ich ihr gegeben hatte. Sie grüßte mich freundlich und fragte, ob sie mir einen Kaffee machen sollte. Doch ich hatte erst mal andere Probleme. »Sitzt David in seinem Büro?«, fragte ich direkt. »Ja, er ist vor etwa einer halben Stunde gekommen – soll ich ihn nach oben rufen?«, entgegnete sie und hatte den Telefonhörer schon in der Hand. »Nicht nötig, ich werde zu ihm gehen. Sollten mich Anrufe erreichen, mache bitte einen Rückruftermin aus, es wird länger dauern!« Ich wandte mich, ohne ihre Antwort abzuwarten, um und stieg wieder in den Fahrstuhl. Davids Büro lag genau ein Stockwerk unter meinem. Im Vergleich zu meinem, hatte es die Größe einer Abstellkammer und war vollgestopft mit irgendwelchen Aktenschränken. Das Büro hatte früher seinem Vater gehört und der hatte die Dunkelheit bevorzugt. Dunkle Möbel, dunkle Wandfarbe, selbst die Kartons, in die er die Akten einsortierte, waren schwarz wie die Nacht. David hingegen bevorzugte helle Farben. Weil ich ihm kein Geld für neue Möbel geben wollte, hatte er fast zwei Wochen damit zu gebracht alles weiß zu lackieren. Das einzige was er von seinem Vater behalten hatte, waren die schwarzen Kartons. Ich stürmte das Büro, ohne anzuklopfen und mir war egal, ob er gerade einen Klienten im Zimmer hatte. Der hätte dann warten müssen, immerhin bin ich sein Chef und er hat zu springen, wenn ich das will! Er sah nicht mal von seiner Akte auf, als ich direkt vor seinem Tisch zum Stehen kam. »Guten Morgen Seto – was verschafft mir die Ehre? Sonst bequemst du dich doch nie in meine heiligen Hallen!«, sagte er unbeeindruckt. »Hole Joey und bring ihn dazu, endlich diesen Vertrag zu unterschreiben!«, herrschte ich ihn an. Es war mir egal, ob die Mitarbeiter in den umliegenden Büros etwas davon mitbekamen. David hob den Kopf und sah mich direkt an. »Du kommst doch aus der Villa? Warum hast du ihn nicht gleich mitgebracht?« Ich gab ihm keine Antwort. Mein Auftritt machte plötzlich überhaupt keinen Sinn mehr. Ich regte mich nie auf, ich blieb immer ganz ruhig und reserviert. Ich benahm mich gerade wie ein kleines Kind, dass seinen Willen nicht bekam oder wie ein verkalkter Erwachsener, der mit dem Leben überfordert war. Und es machte auch keinen Sinn, dass Joey diesen Vertrag unterschrieb. Denn seine Unterschrift auf diesem Papier, würde nichts an meinen Gedanken ändern. »Du musst den Vertrag noch ergänzen!«, befahl ich. David zog beide Augenbrauen hoch. »Und um was? Du hast ihm doch schon sämtliche Freiheiten genommen!« »Er darf sich mir in privaten Räumen höchstens auf einen Meter nähern!« Ich war zu Frieden mit meiner Formulierung und David sah auch einen Moment so aus, als würde er sie anstandslos ergänzen. Doch dann begann er nur lauthals zu lachen. Er warf den Kopf in den Nacken und hielt sich mit den Armen den Bauch. Er brauchte fast fünf volle Minuten, um sich wieder zu beruhigen. Fünf wertvolle Minuten. Ich wurde langsam sauer. »Was ist nun? Ergänzt du den Vertrag?« »Weißt du, wie lächerlich du dich gerade machst? Ich hätte dich niemals für so kindisch gehalten!«, sagte er und stand auf. Er stützte sich mit beiden Händen auf dem Tisch ab und sah mir ganz tief in die Augen. »Du bist in ihn verknallt! Und in dem ich diese Klausel in dem Vertrag ergänze, machst du es dir einfach.« - er setzte sich wieder hin - »Ich werde es nicht tun! Liebe ist nicht einfach und es kann sich auch keiner aus ihr heraus schummeln. Er hat es mit dir schon schwer genug und ich werde ihm nicht noch mehr Lasten aufbürden. Das wirst du schön allein klären, ohne den dämlichen Vertrag. Wer eine millionenschwere Firma leiten kann, der schafft auch das!« »Dann bringe ihn wenigstens dazu, den Vertrag zu unterschreiben. Ich werde mich nicht mehr mit ihm in der Öffentlichkeit blicken lassen, solange das nicht erledigt ist!« »Wenn ihr was miteinander anfangt, könnt ihr das doch auch allein klären! Ich wette, er wird sich auf ein paar deiner Bedingungen einlassen!« »Ich habe nichts mit ihm und ich bin auch nicht in Joey Wheeler verknallt!«, schrie ich geradezu und knallte seine Bürotür hinter mir ins Schloss. Auf dem Weg zum Fahrstuhl raufte ich mir die Haare. Ich bekam schon wieder Kopfschmerzen. Dieser verdammte Wheeler würde mich wirklich töten! ׺°”˜`”°º× ☯☯☯ ׺°”˜`”°º× Ich starrte die offenstehende Tür, durch die Wheeler gerade gerannt war, an. Mein Herz pochte heftig in meiner Brust. Verräterisches Ding! Ich hatte Dinge zu ihm gesagt, die ich nicht so gemeint hatte. Ich konnte nicht mal mehr genau sagen, was ich eigentlich alles zu ihm gesagt hatte. Plötzlich taucht David in meiner Bürotür auf und sah mich böse an. »Was hast du jetzt schon wieder gemacht?« »Wheeler gebeten den Vertrag zu unterschreiben!« »Du bittest niemanden um etwas – das einzige was du kannst, ist Befehle erteilen!« Ich ließ mich in meinen Stuhl fallen. Ich hatte keine Lust mich schon wieder mit David zu streiten. »Gib doch endlich zu, dass du in ihn verknallt bist und, dass du ihn gerne um dich hast und dann renn‘ ihm nach!« »Ich bin nicht in ihn verknallt!«, knurrte ich feindselig. »Nein«, sagte David langgezogen und verdrehte die Augen. »Deswegen verpasst du ihm auch einen Knutschfleck, der größer ist als alle japanischen Inseln zusammen!« »David; hör auf, bevor ich explodiere!« »Damit drohst du mir jedes Mal, wenn ich was sage, was du nicht hören willst und passieren tut trotzdem nichts. Ich habe schon lange keine Angst mehr vor dir!« Ich hatte nicht das Bedürfnis, mich weiter mit ihm zu unterhalten. Also drehte ich mich um und sah aus dem Fenster. Eine weitaus angenehmere Beschäftigung, als mich weiter mit ihm über Dinge zu streiten, die ihn nichts angingen. »Du bist ein-« »Arschloch, Wichser, Idiot – ich weiß was du sagen willst und ich stimme dir zu! Besitzt du dann die Güte, mein Büro zu verlassen, du bist hier nicht länger erwünscht!«, unterbrach ich ihn schroff, ohne ihn anzusehen. Einen Moment herrschte tatsächlich Stille im Raum, doch dann räusperte sich David. »Wenn du ihn jetzt gehen lässt, dann geht er für immer. Selbst wenn er wieder in der Villa auftaucht, er würde dich niemals wieder an sich heranlassen!«, sagte David mit ernstem Ton. »Er hat dir gerade gesagt, dass er in dich verliebt ist und du lässt ihn gehen. Er hat dir sein Herz geöffnet und du – was ist mit dir? Wäre Joey nicht der geeignete Kandidat dafür, dass auch endlich zu tun!« Ich ballte die Hände zu Fäusten. »Verschwinde jetzt endlich David, bevor ich dich schlage!« Ich hörte langsame Schritte über den Boden hallen und die Bürotür knarren. Ich hoffte, er würde keinen Ton mehr von sich geben. Doch da hatte ich die Rechnung wie immer ohne David gemacht. Er konnte einfach seine Klappe nicht halten und hatte mit seinen 27 Jahren noch immer nicht gelernt, dass er auch mal Sendepause hatte. »Weißt du was mein Lieblingsmärchen ist?« »Nein und es interessiert mich auch nicht!«, knurrte ich. »Die Schöne und das Biest – und weißt du auch warum?« »Irgendwie wundert mich das überhaupt nicht! Das naive Mädchen und das hässliche Vieh. Das passt zu dir, deiner Beschränktheit und deiner hässlichen Visage!« Ich erwartete, dass er nun auch die Geduld verliert und mich ebenfalls anschreit. Aber David begann nur zu lachen. »Eigentlich brauchen wir uns darüber nicht mehr zu unterhalten. Diejenigen, denen du etwas bedeutest, die haben schon längst bemerkt, dass du in Joey verliebt bist.« »Bitte verschwinde jetzt endlich!«, bat ich und öffnete den alten Sekretär von Gozaburo, in dem ich einen beachtlichen Vorrat an Whiskey, Rum und Wein versteckte. Für schlechte Zeiten. Tage, an denen ich nicht nachhause kam, weil die Arbeit es nicht zuließ. David sah mir einen Moment dabei zu, dann schüttelte er den Kopf und verschwand endlich. Die Bürotür knallte er dabei so laut ins Schloss, dass vermutlich das ganze Gebäude erzitterte. Ich schenkte mir ein Glass Whiskey ein und setzte mich zurück in meinen Stuhl. Doch statt zu trinken, schwenkte ich es in der Hand hin und her und sah der bernsteinbraunen Flüssigkeit zu. Ich bekam Kopfschmerzen und alles fühlte sich irgendwie komisch an. Mein Herz fühlte sich seltsam schwer an. Als wären Davids Worte direkt von meinen Ohren dorthin gewandert und richteten nun meine mühsam aufgebaute Verteidigung zu Grunde. Ich warf wieder einen Blick aus dem Fenster und sah direkt in die Sonne. Sie brannte mir in den Augen und ich hatte das Gefühl zu erblinden, wenn ich mich nicht sofort wegdrehte. Um mir die Augen nicht zu ruinieren, schloss ich sie und lehnte mich in meinem Stuhl zurück. Ich sollte ihn vergessen und mich nicht dafür interessieren, was er tat oder wie er fühlte. Es sollte mir wirklich egal sein, so wie sonst immer. Ich interessierte mich nicht für menschliche Gefühle. Meist nicht einmal für meine eigenen. Vielleicht allerhöchstens noch für die von Mokuba. Aber mein Körper sträubte sich dagegen, Joey in der hintersten Ecke meines Gehirns einzusperren. Und meine Beine kribbelten, als wollten sie mich dazu bewegen, aufzustehen und Joey zu folgen. Ich sah wieder auf den Whiskey hinab. Statt dem Köter zu folgen, könnte ich mich auch einfach in meinem Büro einschließen und mich betrinken. Dann wäre als wie früher. Und wenn Wheeler morgen wieder gemeinsam mit uns am Frühstückstisch sitzen sollte, dann würde ich ihn einfach ignorieren. Es klopfte an der Tür. Ich versteckte den Whiskey unter dem Tisch und erlaubte der Person den Eintritt. Makoto machte ein paar Schritte auf meinen Schreibtisch zu und reichte mir mit zitternden Händen einen Stapel Papiere. Sie hatte das Gebrüll von David und mir mitbekommen und musste jetzt eine Heiden Angst haben, wenn ich mir den Gesichtsausdruck so ansah. »Hier Mister Kaiba. Der Bericht aus der Produktionsabteilung«, sagte sie leise. »Vielen Dank. Und entschuldige bitte das Gebrüll von vorhin«, entgegnete ich und breitete die Papiere auf dem Schreibtisch aus. Makoto nickte und drehte sich wieder um. Sie war noch nie jemand gewesen, der viele Worte übrighatte. Doch heute überraschte sie mich. Denn kurz bevor sie mein Büro verließ, drehte sie sich doch noch einmal zu mir um. »Wissen Sie Mister Kaiba; ich habe unglaublichen Respekt vor ihnen und ich will nicht, dass sie mich falsch verstehen, aber wie sie Joey behandeln ist falsch.« - Sie atmete tief durch - »Ich durfte ihn in den vergangenen Wochen kennenlernen und er ist ein wirklich freundlicher, zuvorkommender, aufgeschlossener und ehrlicher Mensch. So jemanden in seinem Leben zu haben, kann eine wirkliche Bereicherung sein. Sie sollten ihn nicht von sich stoßen. Manche Menschen geben keine zweiten Chancen und das müssen sie auch nicht, wenn sie zu sehr verletzt wurden.« Dann verschwand sie, ohne meine Antwort abzuwarten. Und ich hätte nie gedacht, dass ausgerechnet diese Worte mich dazu bewegen würden, Joey zu folgen. Denn zu behaupten, er wäre mir egal, nützte nichts. Ich konnte es nicht mehr leugnen: Er bedeutete mir etwas und wie viel, würde ich gleich herausfinden! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)