Rondo von kaltes ================================================================================ Prolog: || Akt 01 || Overtüre || -------------------------------- „Ist es soweit?“ Schwach drang die Stimme der jungen Frau an seine Ohren. Ein Blick über die Schulter bot ihm den Grund da. Das arme Ding lag schweißgebadet in den Laken, der fiebrige Glanz in ihren Augen hatte sich intensiviert, ihr Brustkorb hob sich qualvoll bei jeden ihrer Atemzüge, die Hand auf der Wölbung ihres Bauch war zittrig. Er wusste sie würde die Geburt nicht überleben.     Nickend trat er an die Frau heran: „Du musst noch etwas durchhalten. Die Wehnen haben noch nicht eingesetzt, dein Kind jetzt zu holen, würde seinen Tod bedeuten.“ Ihre Hand griff in seinen Ärmel, mit letzter Kraft zog sie ihn zu sich heran: „Sie soll Georgina heißen, wie ihre Großmutter.“ „Und wenn es ein Junge ist?“, behutsam löste er ihre Hand aus dem Stoff. „Ich weiß es ist ein Mädchen. So etwas spürt eine Mutter.“, lächelte sie müde. Ihr Blick flackerte unwirsch. Wütend biss er sich auf die Unterlippe, sie würde nicht länger durchhalten, bald würden man hier auftauchen. Mit dem Mut der Ausweglosigkeit richtete er sich auf und griff nach seinen Instrumenten. Die Frau indessen verlor das Bewusstsein, und drängte ihn zur Eile. Zufrieden wickelte er das kleine Mädchen in die Laken. Es lebte. Sein kleines Wunderwerk, diesmal musste es ein Erfolg werden. All die Jahre der Fehlschläge, der Suche nach dem perfekten Menschen, der passenden Schwangeren für sein Vorhaben. Ein letzter Blick auf den sterbenden Körper der Mutter, dann trat er mit dem Kinde auf den Arm auf die Straßen Londons. Nun durfte er keine Zeit verlieren, das Mädchen würde bald nach Nahrung verlangen, schnell müsse das Kind zu einer Amme. Das Kind? Seine Augen ruhten auf den hilflosen Säugling, welcher arglos schlummerte. „Georgina.“, sachte drückte er sein Gesicht an die rosigen Wangen des Mädchens: „Ich habe großes mit dir vor, kleine Georgia.“ Kapitel 1: || Georgina || ------------------------- Der Nebel senkte sich feucht über die Stadt. Im fahlen Licht der Gaslaternen zog er von der Themse über die Gassen und Plätze, über die unzähligen Baustellen, kroch den Kutschern der Droschken unter die Mäntel und legte sich feucht und schwer auf die Hüte der Passanten. Der Tod hatte die Beine lässig über die Armlehne des Stuhles gelegt. Seine Schuhspitzen glänzten im Schein der Kerze, welche auf dem Nachttisch sachte zu flackern begann, als sich die Zimmertüre plötzlich öffnete und eine weibliche Gestalt ins Innere taumelte. Über die Lippen des Todes huschte ein leichtes Lächeln. Das Mädchen stolperte, fiel zu Boden. Langsam schwang er seine Beine von der Lehne, achtete  darauf, nicht in die rote Lache zu treten, welche sich allmählich unter dem Körper der jungen Frau bildete. Sie atmete noch, klammerte sich verzweifelt in den Teppich,  um das letzte Fünkchen Leben in ihr kämpfend. Er wusste, diesen Kampf hatte sie bereits verloren. Mit der ihn so eigenen Gemächlichkeit griff er unter sein Jackett und führte ein Buch zutage. Ohne sich lange mit durchblättern aufzuhalten, schlug er eine Se des besagten Buches auf. Es würde also noch einige Zeit vergehen. „Warum interessiert dich dieser Auftrag so?“ Sein Blick schweifte vom Buch ab zum Fenster, durch dieses war eine weitere Gestalt im dunklen Anzug getreten. Ihr schmollendes Gesicht ließ ihren Partner amüsiert auflachen: „Tut er nicht.“ Mit diesen Worten hob er seine Sense. „Lady?“, sachte legte sich die Hand der Kammerzofe auf die Schulter ihrer Herrin, welche sich schwer atmend auf dem Laken wälzte, „Lady Cavendish, so wachen Sie bitte auf.“ Doch die Worte der Zofe drangen nicht zur Schlafenden vor. Statt wie von Marian erhofft zu erwachen, schlug sie mit einer Bewegung ihrer Beine die Decke beiseite. Marian wich zurück. In den letzten Wochen hatten Georgina vermehrt Alpträume heimgesucht. Doch bisher nur nachts. Nun schien es, wurde die junge Frau auch am Tage von Alpträumen geplagt. Es war nicht unüblich gewesen, dass sich ihre Herrin nach einem Bad für einige Stunden hinlegt hatte. Marian entschloss sich zu warten bis ihre Herrin von selbst aus dem Traum erwachen würde. Schweigend beugte sich das blonde Mädchen  nach der vom Bett gefallenen Decke, um diese zusammengefaltet auf den Kleiderkasten am Bettende zu legen ehe sie die Kleider ihrer Herrin bereit legte. „Marian!“ „Herrin?“, kaum hatte die Kammerzofe die Stimme ihrer Ladyschaft vernommen, war sie auch schon an den Nachttisch getreten. „Wie fühlt Ihr Euch?“ Ihr Blick streifte aus dem Fenster, für diese Jahreszeit war es noch recht kühl, dennoch sprossen bereits die ersten Knospen aus den Büschen unten im Garten des Anwesen. Devonshire House stand im Londoner Piccadilly, ein prächtiges Familienanwesen des britischen Hochadels. Nur eines der vielen Herrenhäuser, in denen ihre Herrin bisher gehaust hatte. Über ihre Gedanken hinweg, hätte die junge Zofe doch beinahe vergessen, dass sie dabei war ein Glas mit Wasser zu füllen. Gerade rechtzeitig stellte Marian die Karaffe ab und bot ihrer Herrin besagtes Glas auf einem Tablett dar. Die Adelige indessen war in eine sitzende Position gerutscht. „Ich hatte wieder diesen Traum.“, ohne Marian weiter dabei zu beachten griff Georgina nach dem Glas. „Dieses arme Ding, dieser blutrote Teppich.“, nachdenklich ließ sie den Blick ins Wasserglas gleiten. „Immer wieder sehe ich sie dort sterben.“ Langsam, vielleicht etwas zu zögerlich, setzte Georgina das Glas an die Lippen und leerte es in wenigen Zügen. Nein, sie sah es nicht, viel mehr spürte sie es. Es fühlte sich so real an. Georgina Cavendish verschwieg bewusst die Tatsache, dass sie diese Träume nicht als unbeteiligte dritte Person erlebte, sondern aus  der ersten Reihe. Die Schmerzen als das kalte, scharfe Metall durch das Fleisch drang, der verzweifelte Versuch zu entkommen, der wankende Gang durch die Flure und schließlich die Niederlage am Boden dieses dunklen Zimmers. „Ihr solltet Euch ankleiden, die Droschke wird bald vorfahren.“, Marians Worte rissen sie aus ihren Gedanken. Mit einem knappen Nicken, stellte die Schwarzhaarige das Glas zurück aufs Tablett und schwang die Beine über die Bettkante. „Ich komme mir albern vor, Marian. Bin ich nicht zu alt um bei Hofe vorgestellt zu werden?“ Überrascht über diese Worte drehte die Kammerdienerin sich zu der Adeligen. Marian kam aus ärmlichen Verhältnissen und so etwas wie die Einführung in die Gesellschaft kannten Mädchen aus ihrem Rang nicht, dennoch träumten die Mädchen davon im weißen Debütantinnenkleid über das königliche Parkett zu schweben. Umso mehr schockierte sie Georginas Gemütslage bezüglich des bevorstehenden Balles. „Ihr redet Unsinn.“, vielleicht etwas zu forsch, legte Marian das Tablett zurück auf den Tisch, „Ihr wart von kränklicher Natur, sodass der Duke Euch diese Anstrengung bei gegebener Zeit aussetzen wollte.“ Verächtlich senkte Georgina den Blick, besagtem Duke hatte sie in den letzten Monaten drei Mal zu Gesicht bekommen. Um ihr Wohl kümmerten sich der Butler, die Küchenmagd und die Kammerzofe. Und da waren noch der Pferdeknecht und sein Lehrling. Nun im Grunde war es nicht verwunderlich, schließlich war sie keine Blutsverwandte im eigentlichen Sinne. Spencer Cavendish, neunter Duke of Devonshire und ihr Vater, hatte sie den Bastard, welcher aus einer Liebschaft mit einer Hure entstanden war als Zögling in die Familie aufgenommen. Seit ihrer Kindheit lebte sie nun unter seiner Obhut und durfte, nachdem ihr Vater sich zur ihr bekannt hatte nun auch die Würde der Baroness von Clifford tragen. Ihre Mutter hatte sie nie kennengelernt und es sprach auch niemand über diesen Schandfleck der Cavendish. Den einzigen Cavendish, welchen  Georgina in jener Zeit zu Gesicht bekam, war Jonathan Cavendish – Marquess of Harington,  der ältesten Sohn des Duke of Devonshire und somit dessen Titelerbe. Jonathan fühlte sich wohl verantwortlich und so kam der künftige Duke die Schwester bei Gelegenheit besuchen. Er würde sie auch an jenen Abend zu Ball bei Hofe begleiten. Rein platonisch, versteht sich. Missmutig fuhr sie sich durch die dunklen Locken, sie mochte derlei Veranstaltungen nicht, konnte es nicht leiden wie Freiwild herum gezeigt zu werden. Mit der Einführung in die Gesellschaft galt die junge Dame als Heiratskandidatin auf dem Markt und somit durfte jeder Adelsmann um ihre Hand werben. Ein Mühsal, dem sie sich nicht aussetzten wollte. Was sollte sie mit all diesen Männern anfangen? Jeder wie der Andere, wollte sie zu einer Ehefrau machen, mit dem Wunsch sie möge ihre Nachkommen gebären. Sie wäre nichts weiter als ein schmückendes Beiwerk. Zudem würde ihr auf Grund ihrer Abstammung eine gute Partie verwehrt bleiben. Wie beneidete sie die Frauen, welche in Hosen und mit blauen Schleifen geschmückt, für ein freies Leben durch die Straßen marschierten. Es war allgemein bekannt, dass Queen Viktoria jene Frauenbewegung aufs schärfste kritisierte. „Wie ironisch.“, durchfuhr es Georgina, so war es doch eine Frau an der Spitze des britischen Reiches. „Sei nicht zu streng mit mir, liebste Marian.“, versuchte Georgina nun ihre Zofe zu besänftigen, deren Ärger deutlich ins sommersprossige Gesicht geschrieben stand. „Komm‘ und hilf mir in meine Kleider.“ Allein wäre eine Dame niemals in dieses Unterkleid, den steifen Reifrock sowie das Korsett gekommen, geschweige in das eigentliche Kleid. Das bodenlange, weit ausgestellte Kleid in weichen Weißtönen war aus glänzender Seide gefertigt, die durch ihre leicht strukturierte Oberfläche regelrecht funkelte. Der kürzere Überrock bestand aus einer Lage gerafftem zarten Chiffon und war in einem dunkleren Weiß gehalten. Über den breiten Trägern war der weite Schulterkragen angenäht, welcher ihr Dekolletee wunderschön in Szene setzte. Die dunklen Haare waren von Marian mit einem Blumendiadem am Kopf fixiert worden, sodass Georginas Locken spielerisch über ihre Schultern fielen. „Ihr seht bezaubernd aus, Baroness.“, hauchte die Kammerzofe beinahe ehrfürchtig, wobei Georgina deutlich den leichten Neid in ihrem Blick bemerkte. Jedes Mädchen träumte davon am Ball aller Bälle teilnehmen zu dürfen, egal aus welcher Gesellschaftsschicht sie kommen mögen.  Wäre es ihr möglich gewesen, Georgina hätte Marian sofort ihren Platz angeboten. „Die Herren werden sich scharrenweise um Euch bemühen.“ Bemühen?, wie sprach Marian auf einmal? Als wäre dies ein Spiel und man bräuchte nur die rechten Karten um es für sich zu entscheiden. Nun vielleicht war es dies auch, doch im diesen Fall hatte Georgina die Asse im Ärmel. „Ich habe es nicht eilig zu heiraten, Marian.“, erwiderte die Schwarzhaarige mit einem süßen Lächeln als es an der Türe klopfte und die Stimme des Butlers erklang: „Verzeiht meine Ladyschaft, doch der Kutscher ist vorgefahren.“ „Ist Lord Jonathan bei ihm, Henry?“ „Ja, Baroness. Er erwartet ihre Ladyschaft im Foyer.“ „Nun, sag ihm, ich komme herunter.“ „Wie meine Ladyschaft es wünschen.“, damit verschwand Henry Richtung Foyer, während Georgina Cavendish einen letzten Blick in den Spiegel warf. Kapitel 2: || Ball || --------------------- „Diese Dilettanten mit ihren Sonderkarten.“, mit einem verächtlichen Schnauben ließ Georgina den Vorhang zurück schwingen, während berittene Wachposten erneut eine Kutsche an der Ansammlung von Droschken, deren Kutscher nur eine einfache Karte am Hut trugen, vorbei manövrierten. Wahrscheinlich wieder einer der hohen Tiere. Nun sie waren bereits in Sichtweite der königlichen Residenz, und so würde es auf jene eine Kutsche auch nicht mehr ankommen. „Auf dem Ball solltet Ihr Euer Mundwerk etwas zügeln, liebste Georgina.“, Jonathan Cavendish strich sich, tadelnd lächelnd, eine lange Strähne aus seinem Gesicht. „Es würde nicht allein Euer Ansehen schädigen.“ Georginas Blick haftete an der Gestalt im Sitz gegenüber. Schon in ihrer Kindheit hatte man Jonathans anmutendes Äußeres gelobt und das Mannesalter hatte den einst ungeschliffenen Diamanten erstrahlen lassen. Das längliche, rotblonde Haar fiel ihm locker auf die Schultern, immer wieder löste sich eine Strähne aus dem Rest und fiel dem jungen Cavendish störend ins Gesicht. Dann verdrehte er seine grünen Augen leicht genervt, während er besagte Strähne zurückstrich. In seiner weiß-roten Uniform sah er durchaus stattlich aus, kein Wunder, dass sich so einige Damen mehr als nur einen flüchtigen Blick erhofften. An der Brust prangte das Familienwappen der Cavendish. „Sorgt Euch nicht. Ich weiß durchaus mich am Hofe zu bewegen, Marquess of Harington.“, entgegnete Georgina Cavendish kühl, lehnte sich zurück und ließ den Blick zur Kutschendecke wandern. Mittlerweile hatte sich ihre Kutsche wieder in Bewegung gesetzt. „Wie viele Debütantinnen es dieses Jahr wohl sind?“, sie ergriff erneut das Wort, das Geruckel unter ihren Füßen während der Kutsche das Haupttor zum Palast durchquerte, ignorierend. Jonathan beugte sich vor um den Vorhang beiseite zu schieben, auf dem großen Platz wimmelte es von Droschken und ihrer wartenden Kutscher. Einige von ihnen hatten die Hüte tief ins Gesicht gezogen, die Kragen ihrer Mantel aufgestellt und schienen zu dösen, während Andere unverhohlen gähnten oder sich die steifen Glieder mit auf und ab Gehen wärmten. Zur Eingangspforte hinauf hatten sich Wachposten zu beiden Seiten platziert, flankierten somit die eintreffenden Gäste. „Die jüngste Tochter des alten Foley und Zwillinge des Earl Chesterfield sind dieses Jahr ebenfalls dabei.“, murmelte der Devonshire Erbe desinteressiert auf Georginas Frage und ließ den Vorhang wieder los, während er sich ab die Schwarzhaarige wandte: „Wir fahren gleich vor. Seid Ihr soweit?“ Sie nickte, setzte sich aufrecht in das Polster und wartete darauf, dass der Fiaker die Pferde zügeln würde. Wenig später wurde der Wagenschlag aufgerissen, und Jonathans Diener nahm die Mäntel in Empfang. Im Thronsaal leise Musik, Lichtgeflimmer, Goldglanz, ein geradezu unwahrscheinliches Diamantgefunkel und unter dem Thronhimmel saß groß und gütig die Königin, neben ihr die treuen Butler. Zu beiden Seiten waren ihre verbliebenden Töchter aufgereiht und begrüßten durch ein Lächeln alle die vorbeiziehenden Damen. Laut erklang der Name einer jeden Debütantin, während diese sich tief vor Queen Viktoria verneigte. Georgina Cavendish war einer der ersten Damen. Ihre Vorstellung verlief reibungslos und während der Name ihrer Nachfolgerin durch den Saal hallte, trat die Schwarzhaarige an Devonshire Erbe heran: „Soviel Mühe lohnt sich kaum.“ „Warum so verbittert, liebste Georgina?“ „Gelangweilt, Jonathan, darin liegt ein Unterschied.“, warum hörte er nicht endlich auf sie „Liebste“ zu nennen? Als würde sie nicht bemerken, dass er sich über ihre Laune lustig machte. Sie hatten sich abseits der Gäste auf einigen der wenigen Plätze nieder gelassen. Jonathan Cavendish hatte angedeutet sie um einen Tanz zu bitten, doch die Adelige hatte ihn mit einem mürrischen Blick zum Schweigen gebracht. „Gepudert, wie Marionetten tanzen sie kokett lächelnd nach Majestät Flötenklänge, während sie sich, kaum dreht man ihnen den Rücken zu, sich das Maul über Einem zerreißen.“ Jonathans Blick traf sie empörend: „Georgina, zügelt Eure Lippen!“ „Seid nicht zu streng.“, unterbrach eine weitere, ihnen fremde, Stimme das Gespräch: „Eure Begleiterin hat durchaus recht.“ Georginas Blick schweifte aufmerksam über die hochgewachsene Gestalt, welche neben Jonathan Cavendish getreten war. Die Lippen waren zu einem freundlichen Lächeln geschlossen, die Haltung zeugte von Manier und Anstand und doch schienen seine Augen spöttisch auf sie hinab zu sehen. Seine Kleidung war die eines Bediensteten, die Anstecknadel an seinem Frack zeugte von seinem Stand als Butler. Also war er im Dienste eines hohen oder angesehenen Adeligen, denn nur denen war es gestattet einen persönlichen Diener mitzuführen. Leicht angriffslustig reckte Georgina ihr Kinn: „Und Ihr seid?“ „Sebastian Michaelis, Butler des Hauses Phantomhive. Und dies ist …“, er drehte sich leicht zur Seite und machte somit den Blick auf einen jungen Adeligen mit markanter Augenklappe frei: „… mein Dienstherr, Earl Ciel Phantomhive.“ „Ich bin durchaus in der Lage mich selbst vorzustellen, Sebastian.“ Jonathans Augen weiteten sich überrascht beim Anblick des Kindes, nun, er wusste durchaus wen er dort vor sich stehen hatte. Seine Halbschwester hingegen sah nur einen dreizehnjährigen Jungen von Adel und seinen Butler. Sie neigte höflich den Kopf: „Sehr erfreut, Earl Phantomhive. Wenn ich mich vorstellen dürfte …“ „Die Baroness Clifford, Georgina Cavendish. Tochter des Duke of Devonshire. Ihr seid bei den Damen bevorzugtes Gesprächsthema.“, unterbrach sie Ciel Phantomhive und ließ sich dabei auf den freien Platz neben Jonathan nieder. „So offen und forsch Ihre Majestät, die Queen, zu kritisieren, erweist sich wohl kaum als besonders klug.“ „Kritik?“, sie lächelte verhalten: „Keinesfalls, ich habe lediglich ihr Puppenspieltalent bewundert.“ „Ein schönes Gesicht und eine scharfe Zunge. Meiner Erfahrung nach zu beurteilen, keine gute Kombination.“, sein unverdecktes Auge huschte an Jonathan vorbei zu Georgina, welche über solch Worte verärgert die Nase rümpfte. Der junge Cavendish rutschte sichtlich unbehaglich auf seinem Sitz, bis er plötzlich aufsprang und zu einer jungen Dame eilte, die gerade an ihnen vorbei schritt. Georgina erkannte das junge Ding mit dem blassen Gesicht. Hatte sie sich doch ängstlich wegen ihres Ausschnittes erkundigt. Scheinbar suchte sie jemanden in der Menge. Mit einem leichten Gefühl der Eifersucht beobachtete die Baroness wie ihr Begleiter seine Hilfe anbot und dann ohne ein Wort der Erklärung verschwand. Soviel also zum höfischen Benehmen. Abfällig wandte sie ihren Blick von dem davon schreitenden rotblonden Schönling. Dieser Blick blieb dem Wachhund der Königin und dessen Butler nicht verborgen. So war es Sebastian, welcher das Wort an Georgina richtete: „Ein unpassender Zeitpunkt, wo nun die letzte Dame vorgestellt wurde und der Tanz gleich beginnen wird.“ „Ich tanze nicht.“, die Hand abwehrend hebend, schüttelte sie die dunklen Locken. „Zudem hat sich mein Begleiter empfohlen.“ „Lady Georgina, eine Dame wie Ihr, wird sich der Tradition verweigern?“ Etwas an den Worten des Butlers störte sie. Sie wandte die Augen zu Sebastian, und erblickte just seine dargebotene Hand. Als sie erneut ablehnen wollte, traf sie Earl Phantomhives Blick: „Ihr werdet sicher für einigen Tratsch sorgen, solltet Ihr den Tanz verweigern.“ Er hatte recht. Sollte sie sitzen bleiben, während die anderen Mädchen tanzten, würde man sich umso mehr den Mund über sie zerreißen. Sich in ihrem Schicksal ergebend, griff sie nach Sebastians Hand und ließ sich auf die Tanzfläche führen. Neben den anderen Debütantinnen in einer Reihe, ihrem Tanzpartner gegenüber, nahm sie Haltung an. Kurz darauf begann auch schon die Musik aufzuspielen, diesmal deutlich lauter. Sie hob den Arm an, ihre Handflächen legten sich aneinander und sie machte einen Wiegenschritt nach vorne, kam dem schwarzen Butler dabei näher ehe sie sich um die Achse drehten und am Platz des Anderen zum stehen kamen. Beim nächsten Takt tauschte sie nach links den Platz, trat diagonal in die Mitte um diesmal ihren Tanzpartner zu umrunden, ehe sie zum Ausgangspunkt trat. Erneut legten sich ihre Hände aufeinander, dieses Mal ergriff der Butler das Wort: „Dafür, dass Ihr nicht tanzt, könnt Ihr es ausgesprochen gut.“ „Meine Gouvernante legte viel Wert auf meine gesellschaftlichen Gepflogenheiten.“ Sie wechselte erneut die Position, nun nach rechts. Für diese kurze Zeit schwiegen sie. Erst als sie wieder aufeinander trafen, nahm der Butler das Gespräch wieder auf: „Dann stimmt es was man berichtet?“ „Wegen mangelnder Gesundheit verließ ich das Anwesen kaum. Da ich eine Bastardtochter bin, kümmerte sich das Personal um meine Erziehung.“ „Nun, Duke Devonshire scheint sehr angetan von Euch. Schließlich erkannte er Eure Existenz an. Und sein Sohn soll es wohl schwer verkraften nur Euer Bruder sein zu können.“ „Wenn dem so wäre, so fürchte ich, ist Jonathan Cavendish sicher nicht der Mann, welcher mich ansprechen täte.“ „Welcher Mann täte es?“ „Wie meinen?“ „Welcher Mann könnte Euren Ansprüchen genügen, Baroness?“, ehe sie den Wiegenschritt zurück machen konnte, hatte er ihre Hand festgehalten und war ihrem Gesicht ungeniert näher gekommen. Sie musste seinen Atem auf ihrer Haut spüren, doch sie zuckte nicht einmal mit der Wimper. Er spürte das Leben in ihr, konnte ihre zarte Seele beinahe schmecken. Sowie bei jedem Menschen. Und doch wirkte es falsch, irgendetwas passte nicht zusammen. Langsam ließ er von Georgina ab, die Musik war verstummt. Sie knixte höflich ehe sie in der Menge verschwand, scheinbar nach Jonathan Cavendish suchend. Noch während Sebastian ihr nach sah, trat sein Herr an seine Seite: „Und was hast du herausgefunden?“ „Ihr hattet recht junger Herr.“, sein Blick huschte hinab zu Ciel. „Diese junge Dame ist durchweg seltsam.“ Kapitel 3: || Verdacht || ------------------------- Ohne einen Blick über die Schulter zurück, verließ Georgina die Tanzfläche. Sie musste Jonathan sprechen, etwas an den Worten des Butlers hatte sie stutzig gemacht, und der junge Cavendish hatte verdächtig nervös reagiert als Earl Phantomhive zu ihnen getreten war. Ihre braunen Augen fixierten eine kleine Menschenansammlung. Die adeligen Mädchen standen um einen jungen Mann, der mit ausholenden Gesten wohl etwas amüsantes erzählte, denn kurz darauf hoben die Zuhörerinnen kokett ihre Hände um ihr Lächeln dahinter zu verbergen. Georgina verdrehte die Augen, wollten sie damit bescheiden wirken? Vielleicht zaghaft? Nun was es auch immer sein mochte, in ihren Augen wirkte es lächerlich. Just in diesem Moment drehte sich der Mann in ihre Richtung. Scheinbar war Jonathans Suche erfolgreich gewesen, denn das blasse Mädchen erblickte Georgina nicht unter Jonathans Anhimmlungskommando. Nun, die meisten Debütantinnen trieben sich nachdem Eröffnungstanz auf der Tanzfläche herum. Ein paar Wenige hatten sich mit einem erfrischenden Glas Champagner zu ihren Familien gesellt, andere steckten dem Orchestermeister Geldscheine zu, in der Hoffnung er spiele ihren Tanz als nächstes. Jonathan hatte sie entdeckt und winkte sie heran. Wie gerne wäre sie dem Impuls gefolgt, einfach auf dem Absatz kehrt zu machen anstatt sich zu dieser affektierten Traube zugesellen. Mit einem bemüht freundlichen Lächeln schritt Georgina hinüber, schob sich dabei unbeeindruckt an den Damen vorbei und packte ihren Begleiter am Arm, ehe sie Jonathan forsch empfahl, die empörten Ausrufe ignorierend.   „Sie waren so entzückt von meinen Jagdgeschichten.“, mit schmollender Stimme trat Jonathan hinter Georgina auf die große Terrasse. „Ihr seid nicht etwa eifersüchtig, liebste Georgina?“ „Unterlasst es bitte mich derart zu benennen,  Marquess.“ Langsam löste sie ihren Griff und trat an die steinerne Brüstung heran: „Ich muss dich etwas fragen und bitte dich ehrlich zu antworten, Jona.“, bewusst sprach sie ihm vertrauten Ton zu ihm, sowie sie miteinander gesprochen hatten, als sie noch Kinder gewesen waren. Zu jener Zeit waren sie auf Bäume geklettert, hatten sich in der Küche versteckt und das Dienstmädchen erschreckt. Eine unbeschwerte Zeit, ehe der Duke sie hatte zu Dame erziehen lassen. Sachte legte sie ihre Hand auf die Seinige als auch er an die Brüstung trat. Sein Blick war weicher geworden, das Schmunzeln auf seinen Lippen herzlich: „Was treibt dich umher?“ „Dieser Junge. Earl Phantomhive. Wer ist er?“ „Das Oberhaupt der Familie Phantomhive.“, begann Jonathan zögerlich, dabei umschlangen seine Finger jene der Schwester. „Seit Generationen gehört diese Familie zu den sogenannten ruchlosen Adeligen. Nur wenigen ist des Earl Phantomhives Rang als Wachhund der Königin bekannt.“ „Wachhund .. der Königin?“ „Er steht über dem Gesetzt, bewegt sich in der Unterwelt und erledigt die Drecksarbeit im Namen ihrer Majestät.“ „Dieses Kind ...“, überrascht und etwas ungläubig über das Gehörte schüttelte sie langsam den Kopf, „.. soll solch eine Position inne haben?“ Jonathan, ihre Ungläubigkeit erwartend, hob ihre Hand und zog Georgina zu sich heran: „So ist es und Eines ist sicher, wenn der Wachhund der Königin dich im Visier hat, dann stehe Gott dir bei.“, mit den letzten Wort ließ er ihre Hand frei und lehnte sich mit den Rücken gegen den verzierten Stein. „Liebste Georgina, ich muss Euch mein Unmut gestehen.“, während er in den gewohnten Umgang schwang, wurde der Debütantin bewusst, dass Jonathan nicht weiter über die Sache sprechen würde. Innerlich seufzend legte sie die Arme vor die Brust: „Ich hoffe doch nicht meinetwegen.“ „Ihr lehnt mein Gesuch ab und tanzt lieber mit diesem Butler der Phantomhive.“, seine grünen Augen schielten prüfend zu seiner Begleiterin, welche sich leicht zu ihm gebeugt hatte, als sie auf seine Empörung antwortete: „Ihr seid doch fremden Röcken nachgelaufen, mein ehrenwerter Cavendish.“, damit wandte sie sich zum Saal und schritt ein, vielleicht zwei Schritte voraus, dabei zu Jonathan über die Schulter zurück sehend: „Tanzen kann dieser Butler durchaus besser als Ihr, liebster Jonathan.“ „Es scheint so alltäglich, so normal.“, der junge Earl fuhr sich mit den Finger nachdenklich übers Kinn: „Uneheliches Kind wird vom Vater aufgenommen und großgezogen. Wegen der kränklichen Verfassung des Kindes lebt es wohlbehütet auf dem Lande bis sein Zustand es erlaubt das Landleben aufzugeben.“, sein Blick wandte sich zu Sebastian, welcher schweigend neben ihm stehend die Ballgäste beobachtete. „Und doch ist die einzige Verbindung der Opfer  Georgina Cavendish. Alle hatten kurz vor ihrem Tod Kontakt zu der Baroness.“ „Ihr meint also, dieses stoische Ding sei eine Mörderin?“ „Nein, dass denk ich nicht. Während der Erste erdrosselt wurde, befand sich die Baroness nachweislich noch in York. Zudem hat sie kein Motiv.“ „Und doch scheint es von Dringlichkeit zu sein, wenn Ihre Majestät Euch um die Aufklärung bietet.“, seine rotbräunlichen Augen erhaschten Georgina, welche mit Jonathan Cavendish den Saal von der Terrasse aus betrat. Der Erbe des Duke schien verärgert, denn seine Schulter bebten leicht. Es war nicht auszuschließen, dass die Schuld daran bei seiner Begleiterin lag. Eines jedoch mochte seit ihrer kurzen Begegnung sicher sein: Georgina provozierte, eine gefährliche Eigenart. Vielleicht mochte dies an ihrer abgeschotteten Kindheit liegen oder sie war schlicht naiv genug sich auf dünnes Eis zu wagen. „Ihr Brief war,  wie immer etwas undurchsichtig. Allein, dass wir heute dieser Festlichkeit beiwohnen, war ihr Wille.“ Ihn fehlten Puzzleteile, egal wie er es drehte, Georgina war sein einziger Anhaltspunkt. Sein Gefühl sagte ihm, er war auf der richtigen Fährte und seine Intuition hatte ihn bisher nie getäuscht. Doch ergab dies alles noch keinen Sinn. Seine Augen schwenkten hinüber zur Königin. Sie saß schweigend mit einem mütterlichen Lächeln auf den Lippen auf ihrem Thron und betrachtete das bunte Treiben. Was steckte wirklich hinter diesen Morden und würde der Täter ein weiteres Mal töten? Das Orchester spielte erneut auf. „Ein Walzer.“, stellte Sebastian fest: „Schade, dass Lady Elizabeth nicht geladen ist, sie wäre sicher entzückt von Euren geübten Tanzkünsten, junger Herr.“ Wollte dieser Teufel sich über ihn lustig machen? So wusste er als sein Butler durchaus wie sehr Ciel Phantomhive das Tanzen mied. Seinem Butler einen kalten Blick schenkend, erwiderte er: „Wenn dir so daran gelegen ist, Damen gibt es hier schließlich genug. Da ich mich leider nicht in der Lage fühle, ist es deine Aufgabe, deinen Herrn zu vertreten.“ „Dieser kleine ..“, weiter kam der Dämon nicht mit seinen Gedanken, denn ein Aufruhr ging plötzlich durch die Menge. Einer der Tänzer hatte sich wohl am Dekolletee seiner Partnerin vergriffen und stand nun mit deutlich erröteter Wange in der Menge. Bei dem Mädchen stand, man staune, Lord Cavendish und eine aufgebrachte Georgina, ihre Hand immer noch im Schwung erhoben. Nun erklärte sich auch, woher die rote Wange des Mannes herrührte. Sebastian fing einen kurzen Blick seitens Ciel auf ehe er rasch zu jener verfänglicher Situation schritt, gerade noch konnte er Georgina daran hindern ein weiteres Mal auszuholen. „Madam sollten ruhig atmen.“, sachte packte er ihr Handgelenk und drückte den Arm beiseite, zugleich richtete er seine weiteren Worte an Jonathan: „Geleitet den Gentleman aus dem Saal.“, und wandte er sich an die betroffene Dame, welche bereits von ihren Freundinnen umrahmt wurde: „Mistress sollte etwas an die frische Luft.“ Immer noch den Arm der Baroness haltend, sah Sebastian wie sich die Gruppe allmählich auflöste, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder an Georgina richtete: „Lasst uns tanzen. Ein Walzer kann ungemein zerstreuend sein.“ Er spürte wie ein Ruck durch ihren Körper ging, als wolle sie aufbegehren, doch sie ließ sich zahm auf die Tanzfläche führen. Die eine Hand auf ihrer Taille, die andere stützte die Ihrige, wog er sie im dreiviertel Takt über das Parkett. „Eine Adelsdame erhebt niemals die Hand in solch er Art gegen einen Gast der Königin.“ „Dieser Mistkerl hat ihr ins Kleid gegriffen.“, wütend darüber, dass ein Butler es wagte sie zu maßregeln, schürzte sie die Lippen. Diese Reaktion hingegen amüsierte Sebastian schlicht: „Marquess Harington war bei Euch. Es lag in seiner Handhabe.“ „Ihr seid nicht in der Position mich zu tadeln! Ihr als ein einfacher Butler!“ „Das mag sein, Baroness.“ Er war unbeeindruckt. Nur ein Butler? Nun ja, er beherrschte diese Rolle in Perfektion. Und dieses dumme Weib, was vermochte solch ein Weib schon zu wissen? Nun dann würde er sie mal aufklären: „Den Herrn, welchen ihr so reizend beschrieben habt, ist ein hoher Offizier, und diese tragen bekanntlich zu ihren Uniformen stets einen Degen. Er wird durchaus damit umzugehen wissen. Was glaubt Ihr  Madam, wärt Ihr schneller gewesen als ein Degenstich?“ „Wie ..“, sie hielt inne, neigte den Kopf zur Seite um ihr bitteres Lächeln zu verbergen: „Wohl kaum.“ Erneu packte er ihr Handgelenk, wirbelte sie beim letzten Ton herum und drückte ihren Rücken gegen seine Brust. Ihr Blick richtete sich somit auf den jungen Earl. „Ihr solltet dem jungen Herrn danken. Ich schritt ein, weil er es wünschte.“ Die Stimme des schwarzen Butlers drang leise an ihr Ohr, während sie gezwungen war zu Ciel hinüber zu sehen. Hatte sie diesen Kerl verärgert? Nein, er wirkte keinesfalls verärgert, viel mehr schien er den Anblick zu genießen. Wie ein kleines Kind, welches nach Kaulquappen im Teich fischte. Der Butler ließ von ihr ab. Eine Farce. Kleideten sich wie die Damen aus dem Wiener Hofballett und waren dann entrüstet, wenn sie die Aufmerksamkeit der Männer auf sich zogen.   Der Sohn des Duke of Devonshire hatte ihn aus den Saal geleitet, nachdem dieser Butler sich hatte einmischen müssen. Bis zu seiner Kutsche hingegen, folgte ihm Earl Charles Grey, einer der Privatsekretäre und Butler Ihrer Majestät. Kein Bursche mit dem man diskutieren sollte. So blieb dem Offizier nichts anderes als schweigend den Ball zu verlassen. An seiner Droschke angekommen, schweifte sein Blick suchend nach seinem Fiaker. Wo mochte sich dieser Nichtnutz nur wieder herum treiben? „Morris?!“, beim klang seiner Stimme, schreckten einige der wartenden Kutscher auf. Just hinkte durch die Kutschen hindurch eine geduckte Gestalt dem Offizier entgegen. Missmutig reckte jener das Kinn vor: „Wo treibst du dich herum?“ „Verzeiht Herr.“, der Fiaker verneigte sich vor dem Älteren und riss die Wagenverschlag auf. Ohne weitere Worte stieg sein Herr in den Wagen. Morris schloss den Verschlag und schwang sich auf den Kutschbock, nahm die Zügel und führte sein Gespann vom Hof. Seine linke Hand fuhr dabei fahrig über sein schlechtes Bein, in solchen Nächten schmerzte es besonders. Kapitel 4: || Mordopfer || -------------------------- Dieser Junge machte sie nervös. Ihr Stolz jedoch verbat es ihr, diese Tatsache einzugestehen, welch lächerliche Reaktion wegen eines Kindes, Wachhund der Königin hin oder her. Während Georgina ihres säuerlichen Gedanken nachhing, bemerkte sie nicht, wie sich ihre Hand an jene Stelle legte, an der vor einiger Zeit, jene Hand des schwarzen Butlers geruht hatte. Ehe sie auf die Worte des Butlers hatte reagieren können, wurde den geladenen Gästen mitgeteilt, dass ihre Majestät den Debütantinnenball für beendet erklärte. Die Umstände dessen, blieben dem Adel verborgen. Jonathan und Georgina gehörten zu den Ersten, welche in ihrer Kutsche vom Hof fuhren. „Wollt Ihr Eure Gedanken mit mir teilen?“, der jungen Cavendish hatte den Kopf seitlich geneigt auf die geballte Hand gestützt, betrachtete den Bastard seines Vater aufmerksam: „Euer Gesicht blickt finster, sowie damals, als Euch die Tochter des alten Hufschmieds als lausige Reiterin schimpfte.“ „Die Göre konnte kaum einen Esel von einem Pferd unterscheiden.“, unwirsch winkte sie die alte Gesichte ab, es war weithin bekannt gewesen, dass besagte Tochter mit wenig Anmut und Intelligenz gesegnet war. Kaum ein Vergleich zu ihrem jetzigen Unbehagen. „Earl Phantomhive?“, ergriff Jonathan erneut das Wort: „Habt Ihr Euch deswegen nach diesen Jüngling erkundigt?“ Georgina Cavendish nickte stumm. Er beugte sich vor um nach ihrer Hand zu greifen, welche noch immer auf ihrem Bauch verharrte: „Sorg dich nicht, Georgia. Earl Phantomhives Interesse gilt sicher keinesfalls Euch.“, er stockte kurz, während sich ein neckisches Grinsen auf seinen Lippen bildete. „Er ist bereits verlobt und solch zynisch, vorlautes Weibsbild, wie Ihr es seid, möchte wohl kaum ein Mann zur Gattin.“ „Ich höre wohl schlecht.“, sie zog erzürnt über seine Neckerei die Hand zurück. „Ich muss Euch verbessern, werter Jonathan. Ich müsste gewillt sein, den hofierenden Mann zu erhören.“ Ihre Augenlider senkten sich, ließen ihren Blick abfälliger wirken: „Da muss der Wahre schon angeritten kommen.“ „Ihr sterbt als alte Jungfer.“, trocken erwidernd, lehnte der junge Adelige sich zurück: „Jener Mann muss erst noch geboren werden.“ „Was hast du herausgefunden, Sebastian?“, Ciel Phantomhive hatte die Arme nachdenklich vor der Brust verschränkt. Geistesabwesend hatten die Wachen, nachdem Fund des Toten, reagiert und die Kutsche hinterm Palast von den Augen des hohen Adels verborgen. Bis auf die beiden Frauen hatte somit niemand von der Tragödie Kenntnis genommen. Ein paar der Kutscher werden wohl Gerüchte vernommen haben, doch schon morgen würde ganz London es in der Zeitung lesen können. Der junge Earl war sich sicher, dass bereits Details an die Zeitungsfritzen gesickert war. Diese Journalisten waren meist schlimmer als die Ratten. „William Goodwrite, 65 Jahre, ehren Offizier der königlichen Armee, hatte den Ball laut Charles Grey lebend verlassen. Er wurde erdrosselt, nachdem Schmutz an der Kleidung zu urteilen außerhalb der Kutsche. Der Mörder hat ihn danach in besagter Kutsche platziert.“, beendete Sebastian Michaelis seinen Bericht. Scotland Yard war nur widerwillig mit Informationen herausgerückt. Doch er wäre kaum der Butler des Hauses Phantomhive gewesen, wenn ihn dies aufgehalten hätte. „Ich will nicht länger Ciel Phantomhive heißen, wenn dieser Mord nicht mit den anderen Beiden in Verbindung steht.“, sein Blick wanderte zu beiden Frauen denen man scheinbar noch einige Fragen stellte: „Konntest du sie fragen?“ „In der Tat, konnte Lady Aiofe sich erinnern, gehört zu haben wie Sir Goodwrite nach einem Fiaker namens Morris gerufen habe. Dieser ist hingegen unauffindbar. Scotland Yard glaubt in ihm den Mörder.“ „Es ist anzunehmen, dass für sie der Fall damit abgeschlossen ist.“, leicht wütend über das Gefühl etwas zu übersehen, fuhr seine Hand durch das dunkle Haar: „Das ist zu einfach. Und auch die Platzierung der Leiche“, er hielt inne, wandte sich vom Anblick der Frauen ab, den Daumen mit dem Siegelring über die Lippen streichend. „Er tötet erst die Bauern ehe er sich der Dame nähert. Da es scheinbar um Georgina geht, wird sie sicher auch auf seiner Liste stehen. Aber worin liegt das Motiv? Georgina Cavendish hatte lediglich eine Unbeteiligte verteidigt.“ „Wollt Ihr der Dame einen Besuch abstatten, junger Herr?“ „Es wird Zeit Georgina Cavendish meine Aufwartung zu machen.“, beantwortete Ciel die Frage seines teuflischen Butlers. Schweigend ließ der kindliche Adelige den Blick über den Horizont gleiten, er würde sich bis zum morgigen Tag gedulden müssen. „ … und wie gewünscht habe ich Georgina Cavendish ein Gesuch zukommen lassen.“, beendete Sebastian Michaelis den morgendlichen Appell, während sein junger Herr schweigend in den dargebotenen Sakko schlüpfte. Wie an jeden Morgen war es die Aufgabe des Butlers gewesen, das Oberhaupt der Familie Phantomhive mit einem auserlesenen Tee zu wecken. Während sie die bevorstehenden Angelegenheiten des Tages durchgingen, war es am Butler den Earl in seine Kleidung zu helfen. An jenem Morgen jedoch fiel es Ciel Phantomhive schwer den Worten seines Butlers zu folgen, immer wieder trifteten seine Gedanken zu dem Vorfällen der letzten Tage. Egal wie er es drehte, er wurde das bedrohliche Gefühl nicht los, etwas Entscheidendes übersehen zu haben. „Junger Herr, hört Ihr mir überhaupt zu?“, es war Sebastians leicht ungeduldige Stimme, die ihn hochschrecken ließen: „Eure Fechtstunden …“ „Was kümmern mich diese Fechtstunden?“, gereizt begehrte Ciel auf: „Wir hatten es bereits mit Shinigami zu tun, mit wandelnden Leichen, entführten Kindern, und nun wagt es dahergelaufener Mörder mit mir Katz und Maus zu spielen?“, seine Hände zu Fäusten geballt, schritt er weiter den Flur entlang: „Er wagt es mich zu verhöhnen in dem er einen Mord vor den Füßen der Königin begeht, während ich nur einige Meter von ihm entfernt dem Ball beiwohnte.“ „Interessant. Man hat Euren Stolz verletzt.“, amüsiert hob der teuflische Butler die Hand, fast als wolle er sich vor Ciel verneigen. „Letzten Endes habt Ihr dennoch jede Ratte erledigen können, my Lord.“ „Da hast du wohl recht.“, sich langsam beruhigend, öffnete der Junge die Fäuste. „Ich werde herausfinden was hier nicht stimmt und wenn ich die gesamte Unterwelt ausräuchern muss.“ „Welch‘ erheiternde Vorstellung.“ Das Kleid war in einem schönen Weinrot gehalten, der mit schwarzer Spitze und Pailletten reizvoll und doch dezent kontrastiert wurde. Das Kleid war bodenlang und innen mit glänzend fließendem Seide gefüttert. Von einem schmalen, schwarzen Halsband hingen kleine Perlenschnüre nebeneinander herab und fungierten als minimalistisch eleganter Halsschmuck. Die lockigen Haare fielen lose über ihre Schultern. Doch für all dies hatte Georgina kein Auge. Sie stand schweigend vor dem Spiegel, kaute unsicher auf der Unterlippe. In den Händen ruhte ein kurzes Schreiben, welches mit dem Siegel des Earl Phantomhive endete. Immer wieder kamen ihr Jonathans Worte in den Sinn, und ihr Herz ließen sich kaum besänftigen, was wollte der Wachhund der Königin von ihr? Hatte ihr Bruder sich geirrt, war sie doch ins Fadenkreuz des Earls geraten? Ihrer Kammerzofe war die Reaktion ihrer Herrin auf das Schreiben nicht entgangen. Seit sie im Dienste der Baroness stand, war dies das erste Mal gewesen, dass ihre Herrin ein Gesuch erhalten hatte. Bisher waren nur ausgewählte Herrschaften an ihre Ladyschaft heran getragen worden. Jeder Gast, das Personal, ja sogar die Wahl der Droschke, alles oblag dem Duke of Devonshire. Und nun schien es, als würden man einen Gast erwarten, der aus diesen Rahmen fiel. „Ist etwas vorgefallen, my Lady?“ „Nein, sorge dich nicht Marian.“, Georgina drehte sich vom Spiegel ab, zu ihrer Zofe. „Gib bitte in der Küche bescheid, wir erwarten Earl Phantomhive zu Tisch. Wir wollen uns von unserer besten Seite zeigen.“ „Wie Ihr wünscht.“, Marian verneigte sich kurz ehe sie mit raschen Schritten aus dem Zimmer eilte um dem Wunsch ihrer Herrin nachzukommen. Die Baroness sah ihr schweigend nach. Sollte sie Jonathan bescheid geben? Sie würde sicher etwas Beistand brauchen können. Nein, er würde sich nur um sie sorgen. Sie hatte ihn schon genug belastet, außerdem glaubte sie sich zu erinnern, das der Bruder auf dem Anwesen seines Paten geladen war. Langsam wandte sie sich vom Anblick der Zimmertüre ab. Sie war die Herrin dieses Hauses, sie würde wie eine Cavendish mit erhobenen Hauptes dem Earl entgegen treten und ihm ihre Gastfreundlichkeit erweisen, auch wenn ihr die Furcht in den Knochen saß. Kapitel 5: || Aufwartung || --------------------------- „Baroness Clifford.“, drang die Stimme ihres Butlers in den Raum, einem kleinen Salon, in welchem sie Besuch zu empfangen pflegte. Ihr Blick hob sich von den Seiten des Buches in ihrem Schoß, woraufhin Henry eine Verbeugung andeutete, seinen Satz vollendend: „Earl Phantomhive ist soeben vorgefahren.“ „Nehmt ihn in Empfang und führt den Earl in den Salon, ich werde ihn hier begrüßen. Und, Henry, serviert unseren aromatischsten Tee.“, mit diesen Worten schloss sie das Gedichtband, ihre Finger ruhten einen Augenblick lang auf den schwungvollen Verzierungen des Einbandes ehe sie das Buch auf den kleinen, runden Tisch vor sich legte. Während Henry den Salon verließ, lehnte sie stumm seufzend ihren Kopf gegen die gepolsterte Rückenlehne. Sie hatte Marian den restlichen Tag frei gegeben, so würde sie sich dem jungen Earl allein stellen müssen. Ihre Augen schlossen sich. Was würde der Wachhund der Königin nur von ihr wollen? Sie hatte seit Ankunft des Briefes darüber nachgedacht, doch Georgina wurde sich keines Verbrechens bewusst, auch war sie in kein Vergehen verwickelt, sofern ihr es möglich war, dies zu beurteilen. Es war ihr unmöglich zu begreifen, welch Interesse Earl Phantomhive an ihr haben könnte. Der Klang von sich nähernden Schritten riss die Adelige aus ihren Gedanken, langsam öffnete sie die Augen und schielte zu Türe hinüber, an der bereits Henry erneut erschien, diesmal in Begleitung zweier Herrschaften. Ihre gute Erziehung nicht vergessend, erhob die Schwarzhaarige sich von ihrem Platz um sich ihren Gästen begrüßend einige Schritte zu nähern. Henry trat, sich verneigend, zur Seite um den jungen Earl Phantomhive anzukündigen, welcher kurz darauf den Salon betrat, gefolgt von Sebastian, Butler des Hauses Phantomhive. Georgina beobachtete schweigend, wie Henry sich entfernte, dabei schloss er lautlos die Salontüre hinter sich. Erst als Henry gegangen war, wandte Georgina ihre Aufmerksamkeit dem Earl zu: „Seid gegrüßt Earl Phantomhive.“, sie neigte respektvoll den Kopf und drehte sich leicht zur Seite. „Welch Umstand verschafft mir die Ehre Eures Besuches?“, während die Baroness sprach, ließ sie sich wieder auf ihren Stuhl nieder und bot den freien Platz dem jungen Earl dar. Schweigend kam Ciel ihrem Angebot nach und sank auf den dargebotenen Platz, den linken Ellenbogen auf der Lehne und den Kopf auf seine Hand gestützt. Sebastian nahm Position rechts hinter seinem Herren, den Blick aufmerksam auf die Gastgeberin gerichtet. „Ihr habt in London Quartier bezogen.“, antworte Ciel nach einigen Minuten des Schweigens. „Ich mache Euch hiermit meine Aufwartung und begrüße Euch als Freund.“ „Eure Worte schmeicheln mir, dennoch bitte ich Euch ehrlich zu sein. Welchen Grund habt Ihr wirklich, werter Earl?“, ihre Hände strichen unauffällig über den Stoff ihres Kleides. Sie wollte nicht Katz und Maus spielen, darauf wartend, dass Ciel Phantomhive ihr geschickt entlockte, was er wissen wollte. Über Ciels Lippen huschte ein überraschtes, dennoch amüsiertes, Lächeln. Georgina Cavendish hatte nicht nur ein zynisches Mundwerk, klug schien sie ebenfalls zu sein. „Ich habe ein Zuckerhäuschen  in dem ein tollwütiger Köter sitzt, und alle Brotkrummen führen zu Euch.“, während er sprach, fixierte sein Blick jede Regung an ihr. „Vielleicht könnte Baroness mir bei Suche nach dem Schlüssel für besagtes Häuschen behilflich sein.“ „Wie könnte ich Euch bei solch einem Problem behilflich sein?“, verwirrt über die Umschreibung seines Anliegen, strich Georgina sich eine Locke von der Stirn. „Außer Euch zu raten den armen Hund von seinem Leiden zu erlösen.“ „Das habe ich in der Tat vor.“, seine freie Hand machte eine wage Bewegung in der Luft, um von Georgina gewünschte Antworten zu erhalten, würde er wohl einige Details preisgeben müssen. „Es gab bisher drei Opfer, drei Menschen, die scheinbar nichts verbindet, außer der Umstand, dass alle Drei direkt vor ihrem Tod mit Euch in Kontakt waren.“ „Im Laufe der Jahre ginge viele Menschen im Haus Cavendish ein und aus. Ihr müsstet etwas präziser werden.“ Das Klopfen an der Salontüre unterbrach just den jungen Phantomhive, welcher erneut das Wort an Georgina richten wollte, welche nun den Butler des Hauses herein rief. Henry balancierte auf einen silbernen Tablett das edle Höchster Porzellanservice. Der Tee war bereits in die Tassen gegossen worden, so nahm der ergraute Butler besagte Tassen vom Tablett und platzierte diese vor den beiden Adeligen ehe die Teekanne und ein  kleines Gefäß mit Zucker folgte. Während jenem Unterfangen herrschte Schweigen. Erst das leise Schließgeräusch der Türe durchbrach die Stille. „William Goodwrite, Jacob Garnison und Magda Wesley. Sicher sind Euch diese Namen bekannt.“, ergriff Ciel nun erneut das Wort. Seinem wachsamen Auge entging es nicht, wie die junge Baroness sich bei Erwähnungen besagter Namen auf die Unterlippe biss. Natürlich waren ihr diese Namen und die Personen dahinter bekannt, sie erinnerte sich an die Ohrschelle gegen Sir Goodwrite, das ständige Murmeln des Schusters Garnison und auch an das warme Lächeln der gutmütigen Wäscherin Magda. Sie alle waren also tot, ermordet von einem Unbekannten und nun glaubte der Wachhund ihrer Majestät die Antwort bei ihr, Georgina Cavendish, zu finden. In Unglauben und Schock verfallen, umschlossen ihre Finger den Griff ihrer Teetasse um deren Rand an ihre Lippen zu führen. Henry hatte sich für einen würzigen, leicht säuerlichen Tee entschieden. Vielleicht etwas zu exotisch für den englischen Gaumen. „Eure Vermutung entspricht der Wahrheit.  Aus welchem Grund hätte jemand ihren Tod gewollt?“, ihre Augen schweiften zu Ciel hinüber, die Tasse unsicher in den Händen haltend. Sie konnte sich nicht erinnern etwas Seltsames beobachtet zu haben, während den letzten Aufeinandertreffen. Die Opfer waren sich zu jener Zeit nicht einmal begegnet. Vielleicht war es einfach Zufall, dass es gerade diese Menschen getroffen hatte. „Ich glaube nicht an Zufälle, Baroness. Was auch immer der Grund für diese Morde ist, Ihr scheint den Schlüssel in den Händen zu halten.“ Ihre Gabel kratzte über den Rand ihres Tellers. Sie hatte noch einige Minuten über die Morde gesprochen, so hatte Georgina Details der Tat in Erfahrung bringen können. Als der junge Earl begann seinerseits Fragen an die Baroness zu richten, wurden sie erneut von Henry unterbrochen, der die Adeligen zu Tisch bat. Während der gesamten Zeit im Salon verweilte Sebastian schweigend an der Seite seines jungen Herren, nun, seitdem die Gastgeberin und der Earl im Speisesaal platz genommen hatten, spürte Georgina unnachgiebig den Blick des schwarzen Butlers auf sich. Sie wagte nicht ihrem Drang nachzugeben und seinen Blick zu erwidern. Jedoch vermochte sie ihre Unsicherheit nicht zu verbergen. Ihre dunklen Augen hafteten teilnahmslos am unberührten Stück Roastbeef, nicht einmal  die gestampften Kartoffeln konnte sie anrühren. Nur am süßen Weine nippte sie. „Ihr seid also bereits als Säugling in die Familie Cavendish genommen worden?“, nahm Ciel Phantomhive das unterbrochene Gespräch wieder auf, während er nach seinem Weinglas griff. Der Teller vor ihm war leer. „So wurde es mir erzählt.“, langsam ließ sie ihre Gabel sinken: „Ich verbrachte meine ganze Kindheit in dem Wissen der Bastard des Duke Devonshire zu sein.“ „Und Eure Mutter?“ „Tot. Meine Mutter überlebte meine Geburt nicht.“, mehr hatte man sie nie wissen lassen, stets hatte sie jene Antwort auf ihre Fragen erhalten. Nicht einmal den Namen ihrer Mutter war ihr bekannt. Auf Georginas Worte hin, legte sich ein verwirrter, skeptischer Schatten über Ciels Mimik: „Habt Ihr Euch niemals gefragt, weshalb man Euch soviel Güte entgegen brachte?“ „Sicher, habe ich mir diese Frage gestellt. Es gab keine Papiere, Briefe oder ähnliches, und niemand schien über die Beweggründe etwas zu wissen. Viele meinten, es sei lediglich einer Laune des Duke zu verdanken.“ Ciels Finger strichen nachdenklich über den Rand seines Glases, diese Neuigkeit machte ihn stutzig, weshalb nahm der Duke seinerzeit ein Neugeborenes unter seine Obhut, ohne eine Sicherheit. Ciels Augen schielten neugierig zu dem Dämon im Gewand eines Butlers empor. Über Sebastians Lippen war seit ihrer Ankunft kein Wort gekommen, nicht einmal als  Cavendishs Butler, beim Öffnen der Weinflasche, den Korken fallen ließ. Keine Regung war durch den Körper des Teufels gegangen. Erst jetzt, als der Blick seines Herren auf ihn lag, regte sich Sebastian sich. Er wandte seine Aufmerksamkeit von Georgina auf den jungen Earl, schenkte diesem sein süffisantes Lächeln, ehe er ebenfalls das Wort an die Baroness richtete: „Mir scheint das alle Fäden zu Euch führen und sich langsam um Euren zarten Hals legen.“ „Wollt Ihr mir sagen, mein Leben sei in Gefahr?“, erwiderte sie skeptisch, beobachtete wie Sebastian zu ihr hinüber schritt und hinter ihr zum Stehen kam um sich flüsternd hinab zu beugen: „Ihr begreift also die Misslichkeit unserer Lage. Das gesamte Vorgehen des Mörders ergibt keinen Sinn, noch nicht, da dem jungen Herren etwas zu entgehen scheint.“, er drückte die Lehne des Stuhles auf dem Georgina saß, sachte nach hinten, sodass ihre Füße den Halt zum Boden verloren: „Also sagt mir Baroness, welches Puzzleteil fehlt uns?“ Gedankenverloren sah sie der Droschke des Earl Phantomhive nach, welche das Haupttor passierte um wenig später in der Dämmerung zu verschwinden.  Es war spät geworden, später als Georgina  angenommen hatte, als sie Ciel in ihrem Hause erwartet hatte. Sie war erschöpft. Die Unterhaltung mit dem königlichen Wachhund hatte ihr besorgniserregende Dinge offenbart, und seitdem Essen wurde sie dieses beklemmende Gefühl nicht mehr los, welches sie bisher nur des nachts in ihren Träumen begleitete. Henrys verhaltenes Räuspern holte sie in die Gegenwart zurück, mit einem letzten Blick über den Hof drehte sie sich herum und schritt ins Foyer. Schweigend winkte sie den Butler davon, er solle sich den restlichen Abend persönlichen Dingen widmen. Die lockigen Haare zurück streichend, betrat sie den Salon. Auf dem kleinen Tisch thronte noch das Schachspiel. Die Partie hatte sie nicht für sich entscheiden können. Mit einem stummen Seufzer griff sie nachdem schwarzen Springer und drehte den Pferdekopf zwischen Daumen und Zeigefinger. Warum wurde sie damals von Duke Devonshire aufgenommen? Ihr hatte es an nichts gefehlt, die beste Erziehung, die schönen Kleider und sogar jenes Stadthaus. Ihre Existenz hatte nur Schatten über seinen Familienstammbaum gelegt. Und wäre er nicht vom alten Adel, man hätte ihn sicher gesellschaftlich kastriert. Nichts war ihr geblieben von ihrer Mutter, vielleicht war nicht einmal ihr Vorname von ihrer Mutter gewählt worden, sowie es ihre Ziehmutter einst erzählt hatte. Und dann diese Alpträume, von denen sie Earl Phantomhive nicht berichten konnte. Vor diesen Jüngling, selbst vor Jonathan, spielte sie die Unantastbare, die Lady, dabei sehnte sie sich nach etwas Freiheit und eine Antwort auf die Frage. „Wer bin ich?“, murmelte Georgina. Das dumpfe Pochen des Türklopfers am Eingang riss die Adelige aus ihrer Melancholie. Nun ärgerte sie es, dass sie Henry frei gegeben hatte. Auch Marian war noch nicht ans Anwesen zurückkehrt. So lag es also an ihr der unerwarteten Störung entgegen zu treten. Die Schachfigur von oben in ihr Korsett schiebend, ging sie durchs Foyer zum Eingang. Mit etwas Mühe zog sie eine der Flügeltüren auf und blickte fragend dem älteren Mann entgegen, der nervös an seinem Filzhut spielte. „Verzeiht die Störung, Madam.“, es fiel Georgina schwer den Worten zu folgen dank der fahrigen Tonlage, dem Mann schien dies nicht aufzufallen, er sprach hastig weiter: „Meiner Kutsche ist ein Rat gebrochen.“ „Benötigt Ihr H .. ?“ „Nein, nein.“, unterbrach der Fiaker sie mit schüttelnden Kopf: „Ich wollte lediglich um etwas Wasser für meine Pferde bitten.“ Georgina trat einige Schritte aus der Türe, deutete hinüber zu dem überdachten Verschlag des Stalles: „Geht zu Adam. Der Stallbursche wird Euch behilflich sein.“ „Zu gütig, Madam.“, schlaksig verbeugte sich der Mann: „Doch ich suchte bereits nach Eurem Stalljungen, da ich ihn nicht fand, trat ich an Euch heran, Madam.“ „Sicher hat er Euch nicht rufen hören.“, murmelte Georgina ein wenig misstrauisch. Adam war zwar jung, doch zuverlässig. Er verbrachte beinahe Tag und Nacht bei den Pferden und kümmerte sich um Kutsche und Zaumzeug manch besser als der alte Groom. Ohne ein Wort hätte er niemals seinen Posten verlassen. Sachte hob Georgina ihren Rock an und schritt zum Stall hinüber, der Junge musste doch irgendwo stecken. „Adam?!“, rufend trat sie ins Innere. Die Pferde scheuten in ihren Boxen auf, doch Adam antwortete nicht. Um Sorge wegen Adam, bemerkte sie nicht, dass der Fremde ihr gefolgt war. Erst ein Geräusch unmittelbar in ihrer Nähe holte ihn in ihre Gedanken zurück. Gerade als sie sich herum drehen wollte, traf etwas hartes ihre Schläfe. Benommen verlor sie das Gleichgewicht und stürzte haltlos zu Boden. Als sie dort mit den Kopf aufschlug, verdunkelte sich schlagartig ihre Umwelt. Sie verlor das Bewusstsein. Der Fiaker ließ die Schaufel fallen, beugte sich herunter und tastete nach dem Puls der jungen Dame um sich zu vergewissern, dass sie noch lebte, ehe er sie an den Armen packte und begann sie über aus dem Stall über den Hof davon zu schleifen. Kapitel 6: || Ausweglos || -------------------------- „Junger Herr, hier ist ..“, japsend stolperte Maylene ins das Arbeitszimmer des Hausherren, dicht verfolgt von einem rotblondem Schopf, der sich bereits im Türrahmen an dem Hausmädchen vorbei schob. „Was habt Ihr mit Georgina gemacht?“, außer sich stob Jonathan auf den Sekretär zu und packte Ciel über besagten Tischrand hinweg am Kragen. Was der junge Earl unbekümmert über sich ergehen ließ, wohl bewusst, der Wut des Devonshire Erben somit Zündstoff zu liefern. Dieser schüttelte nun bedrohlich am Stehkragen des Jüngling: „Wo ist meine Schwester? Nun redet schon, Ihr …!“ Wie genau Jonathan gedachte Ciel Phantomhive zu betiteln, blieb ein Geheimnis. Sebastian war an die Beiden heran getreten und packte den Adeligen bei den Händen um diese vom Kragen seines jungen Dienstherren zu lösen: „Wäret Ihr so freundlich und entsinnt Euch Eurer guter Kinderstube?“ Sich eben dieser guten Erziehung und seines Ranges erinnernd, nickte Jonathan Cavendish und trat einige Schritte vom Schreibtisch ab ehe er sich entschuldigend verneigte. „Verzeiht, ich habe die Beherrschung verloren.“, seine Stimme zitterte dennoch hörbar, begleitet von einer Wut, welche man zu empfinden mochte aus bitterer Hilfslosigkeit. „Baroness Cavendish ist verschwunden?“, setzte Ciel nun an, während er Jonathans Bewegung folgte. „Was veranlasst Euch zu glauben, dass ich etwas darüber wüsste?“ „Euch war sie als Letztes zu Gesicht gekommen.“, Jonathan hantierte fahrig in der Luft herum. „Marian, die Zofe, fand das Bett unberührt vor und der Stalljunge Adam lag gefesselt im Schuppen. Sie hatte dem Butler frei gegeben, ab da an, hat sie niemand mehr gesehen.“, seine Gestik wurde heftiger, „Adelige Damen verschwinden doch nicht einfach aus dem Nichts heraus.“ „Nun normalerweise nicht. Und da der Stallbursche sich wohl kaum selbst gefesselt und weggesperrt hat, war es entweder Baroness selbst, die ebenso wenig einen Grund dazu hätte, oder eine dritte unbekannte Person.“ Earl Phantomhive hielt kurz inne und überdachte seine nächsten Worte. „Scheint so als wäre Eure Schwester ein Verbrechen zum Opfer gefallen.“ „Einem Verbrechen?“ Ciel ignorierte den nun blasser werdenden künftigen Duke und wandte sich seinem Butler zu: „Da ihre Leiche nicht am Anwesen gefunden wurde, bestünde die Möglichkeit, dass Baroness noch lebt.“ „Und wenn der Täter die Leiche vom Anwesen weggeschafft hat?“, gab Sebastian zu bedenken, doch der junge Earl schüttelte den Kopf: „Die anderen Opfer wurden getötet und an Ort und Stelle zurück gelassen. Der Täter hätte keinen Grund mit Georgina anders zu verfahren, sei denn er hat nicht vor sie sofort zu töten.“ Nachdenklich hob er seine Hand ans Kinn: „Warum sie aber entführen?“ „Weil er in Zugzwang geraten ist, mein junger Herr.“, der schwarze Butler trat näher heran, „Ihm wird nicht entgangen sein, dass Ihr Baroness am Abend aufgesucht habt. Vielleicht galt seine Interesse von Beginn an der Baroness.“ „Dann ist er nicht sonderlich helle.“, schnaubte der Phantomhive Erbe auf, die anderen Personen im Zimmer völlig vergessend. „Durch die Entführung zwingt er uns zum Handeln. Er müsste doch wissen, dass dies kein gutes Ende für ihn nehmen wird.“ Mit einem dunklen Lächeln auf den Lippen trat der Teufel im Frack seinem Herrn entgegen: „In London gibt es viele dunkle Ecken. Ecken an denen niemand ein Mädchen schreien hört.“ „Wir gehen auf Rattenjagt, Sebastian.“ „Da stimmt etwas nicht.“, nachdenklich beäugte Ciel Phantomhive das Schachbrett vor sich. Die Figuren standen übers Feld verteilt, die weiße Seite hatte den Gegner Matt gesetzt. Es war das Spiel, welches er am Tag zuvor gewonnen hatte, selbst die leeren Weingläser verweilten noch an jener Stelle wie Stunden zuvor. „Womöglich meint Ihr die fehlende Schachfigur.“, Sebastian war neben Ciel an den Tisch getreten, blickte ebenfalls zum Brett. „Ein Springer, wenn ich nicht irre.“ „Das Fehlen des Springers ist zwar seltsam doch scheint mir hat es keine weitere Bedeutung.“, der junge Earl drehte sich vom Anblick des Taktikspieles ab und ließ seinen Blick prüfend durch den Salon schweifen, doch bis auf die Tatsache, dass sich ihm alles wie am Tag zuvor präsentierte, schien nichts verdächtig. „Hatte der Butler nicht erwähnt, dass die Eingangstüre offen stand als er am Abend nach dem Rechten sah?“ „Ja.“, der teuflische Butler wandte den Blick dem jungen Earl zu, „Er nahm an, dass sich das Hausmädchen wieder unerlaubt durch den Haupteingang geschlichen hatte. Dies kommt wohl öfter vor.“ „Wir sehen uns draußen um. Du gehst zum Stall, frag den Stallburschen, ich sehe mich am Dienstboteneingang um.“ „Wie wünschen, junger Herr.“ Sebastian Michaelis verbeugte sich huldvoll, vielleicht etwas zu tief, ehe er auch schon aus dem Gebäude trat um sich wie befohlen zum Stall zu begeben. Vor dem gekachelten Gebäude stand en schmächtiger Jüngling, blass und mit fuchsroten Locken gesegnet. Der Teufel hörte bereits den schottischen Dialekt noch bevor der Bursche gesprochen ein Wort hatte. Dieser trug gerade einen wassergefüllten Eimer in die Stallungen. Wie es schien hatte der Stallknecht sich von dem kleinen Überfall erholt. Es würde ihm also kaum schwer fallen, des Teufels Neugier zu stillen. Als Sebastian den Verschlag erreicht hatte, trat ihm statt des Jüngling jedoch der künftige Duke Devonshire, Jonathan Cavendish, entgegen. Der Marquess war ihnen zu den Stallungen gefolgt, einen Umstand welcher die Stimmung seines jungen Dienstherren sicher keinesfalls gehoben hätte und so nahm sich Sebastian vor, diese Begegnung gegenüber Ciel mit keiner Silbe zu erwähnen. Mit einem höflichen Lächeln neigte der Dämon sich vor Jonathans Gestalte ehe er den Marquess nach seinem Anliegen fragte. Es überraschte nicht, dass Cavendish sich bereits mit dem Stallburschen unterhalten hatte. Nun von wem der Butler die Antworten erhielt, war im Grunde egal, die Information allein zählte. „Adam hat nichts gesehen.“, setzte Jonathan an, verbittert wie Sebastian schien, „Er sah nach den Pferden als diese unruhig wurden. Als er an eine Box heran trat, schlug man ihn von hinten nieder. Aufgewacht ist er gefesselt in der Kammer. Allerdings ..“, er unterbrach sich. Sebastian beobachtete wie Jonathan Cavendish in seiner Manteltasche wühlte, um wenige Sekunden später eine schwarze Figur hervor zu ziehen. Auf dem kleinen Sockel thronte ein gebeugter Pferdekopf. „Ein Springer.“ „Adam fand diesen im Heu.“, fuhr Jonathan fort und überreichte dem Butler die Schachfigur. „Zufällig lag sie sicher nicht dort. Georgina hat sie sicher dort verloren. Sie .. sie steckt sich oft Dinge ins Dekolleté, wenn sie rasch freie Hände braucht. Eine Marotte, seit Kindesbeinen an.“ Diesen Erkenntnis reichen Worten lauschend, drehte Sebastian Michaelis die Figur zwischen den Fingern und betrachtete sie nachdenklich von allen Seiten: „Er hat sie also zum Stall gelockt.“ „Weshalb sollte Georgina jemanden zu den Stallungen führen? Sie vertraut nicht blindlings einen dahergelaufenen Fremden.“ „Es sei denn es ist jemand, dem man aus Gewohnheit Vertrauen schenkt.“, Ciel trat mit mürrischer Miene, wohl wegen des Anblickes des jungen Cavendish, auf den Stall zu: „Was sucht Ihr hier? Ihr solltet Euch von den Ermittlungen fernhalten.“ „Ich sorge mich um meine Schwester!“, beinahe herausfordernd erhob Jonathan die Stimme. Er gab offensichtlich Earl Phantomhive die Schuld an der Misere. Diesen hingegen kümmerten Jonathans Gefühle wenig, stattdessen ließ er seinen Blick zu der Schachfigur schweifen: „Es gibt nur wenigen Menschen denen man blindlings Vertrauen schenkt. Dazu gehören unteranderem Kinder, Ärzte und Gesetzeshütern, doch von denen führt man niemanden einfach zum Stall.“ Er hielt kurz inne, ließ seine Worte auf Jonathan wirken und fuhr süffisant schmunzelnd fort: „Ein Fiaker. Ihm vertrauen besonders Adelige täglich ihr Leben an. Ein Kutscher, der vorgibt Hilfe zu benötigen, würde man sicher die Türe öffnen und zum Stallburschen führen.“ Ciel griff nach dem Springer. „Kutschen gehören zum alltäglichen Bild der Stadt, kein Mensch achtet besonders darauf, wenn eine Kutsche vor dem Haus vorfährt.“ Endlich hatte er ihn. „Denkt Ihr hierbei an Mr. Morris, der immer noch als verschwunden gilt?“ Ciel schüttelte amüsiert den dunklen Schopf: „Es soll den Anschein erwecken. Doch ein wirklicher Fiaker hätte niemals am Haupteingang um Hilfe ersucht. Er war nicht angemeldet und späte Nacht. Den Zorn der Hausherren auf sich zu ziehen, wäre töricht. Georgina war allein. Sich durch den Dienstboten Eingang ins Haus zu schleichen, wäre für einen Dienstboten einfach gewesen. Wenn man allerdings gewohnt ist, durch das Haupttor ein Haus zu betreten, würde man automatisch vorne anklopfen.“ Es würde nur noch wenige Schritte fehlen, bis er den Mörder in die Enge getrieben hatte. „Sebastian!“, wandte Ciel sich nun an seinen Butler, „Finde heraus ob bei den anderen Opfer eine Droschke am Tag ihres Todes gesehen worden war und ob ein Fiaker zu dieser Zeit angefordert worden war.“ „Wie wünschen, mein junger Herr.“ Die Fackeln waren fast schon heruntergebrannt, als er endlich von ihr abließ. Auch er schien allmählich am Ende seiner Kräfte zu sein.  „Wirst du noch einmal versuchen zu fliehen?“, fragte er sie ein letztes Mal, während er sich ächzend erhob. „Nein, … nein.“, stammelte Georgina mit schwerer Zunge und wimmerte leise. Ihr Mund war von den vielen Schlägen wund und geschwollen, alles tat ihr weh. Das Gesicht, der Kopf, jeder Knochen im Leibe. Am höllischsten aber waren die Schmerzen an ihrem Hals. Unzählige Male hatte er auf sie eingeprügelt, sie gewürgt und ihr immer wieder die gleiche Frage gestellt. Sie hatte ihm schließlich die Antwort gegeben, die er hören wollte. Damit er endlich aufhörte. Sie würde es nicht mehr wagen ihm entkommen zu wollen. „So ist es. Jetzt scheinst du es kapiert zu haben. Hat ja auch lange genug gedauert“, blaffte er sie an und zog ein Glasfläschchen aus seiner Hosentasche. „So, das säufst du jetzt, damit du mir keine Schwierigkeiten machst.“, befahl er und träufelte ihr etwas davon in den Mund. Er grinste höhnisch auf sie herunter, ergriff eine der Fackeln, löschte die übrigen und humpelte breitbeinig aus dem Verlies. Sobald sie seine Schritte nicht mehr hörte, steckte sie sich einen Finger in den Rachen und erbrach sich mit heftigem Würgen neben den Strohsack. Es kostete sie zwar einige Überwindung, denn sie hätte die betäubende, einschläfernde Wirkung der Droge gut gebrauchen können. Doch sie wusste, dass es kein Entrinnen mehr gab, wenn sie sich dem Rausch überlassen und in Lethargie fallen würde. Dann wäre sie rettungslos verloren. Entrückt wie so manch Andere in eine dunkle Schattenwelt, die unaufhaltsam in den Tod mündete. Und sie wollte nicht sterben. Nein, alles in ihr schrie nach Leben! Ächzend rollte Georgina sich von dem modrig riechenden Strohsack. Unter den Geruch von Erbrochenen mischte sich der Gestank von Unrat und Schweiß. Sie hatte längst jegliches Zeitgefühl verloren. Wie lange es wohl her sein mochte, seit man sie in diesem Loch festgesetzt hatte. Zittrig fuhren ihre Finger über ihre Augenlider, sie wollte das bedrückende Gefühl der Müdigkeit von sich weisen. Sie musste bei vollen Sinne sein, wenn sie ihrem Gefängnis entfliehen wollte. Sicher waren dies alte Kerker. Viele von ihnen wurden seit der Einführung der Bobbys nicht mehr genutzt. Auch die Todesurteile waren seit Queen Victorias Amtseintritt gesunken. England erlebte einen segenreichen Aufwind, bereits seit Jahren, und jeder im Land nannte es bereits das viktorianische Zeitalter. Doch nicht nur England, ganz Europa erlebte eine Wende. Doch sie hatte keine Zeit über Politik nachzudenken. Wenn dies wirklich einer der alten Verließe war, dann würde niemand kommen um sie zu retten. Wollte sie überleben, musste es allein wagen. Mit knirschenden Zähnen hievte die Adelige sich auf die Füße, sie hatte bereits einige Versuche gewagt und war kläglich gescheitert. Welche Chance blieb ihr also noch? Im Dunklen tastete Georgina sich an der Wand entlang zu dem Gitter, welches sie von der Freiheit trennte. Ein wippender Lichtkegel näherte sich der Zelle, gepaart mit schweren Schritten. Sie hielt den Atem an. Er kam also zurück, um – um was mit ihr anzustellen? Wollte er sie erneut weich prügeln oder gar schlimmeres? Augenblicklich zitterte sie am ganzen Körper, ihr Herz hämmerte unbarmherzig gegen ihre Brust, dass sie fürchtete es würde zerspringen.   Sie erinnerte sich wie er sie verprügelt hatte, spürte den feurigen Schmerz an den geschunden Stellen. Georgina presste sich eng an den kalten Stein, schloss die Augen und lauschte angespannt den Schritten. Gleich, wenn die Kerkertüre sich öffnen würden, würde sich vielleicht ihre letzte Chance bieten. Sie würde den Überraschungsmoment nutzen um an ihren Peiniger vorbei zu preschen. Ihre letzten Kräfte mussten ausreichen. Als das leise Scharben der Gittertüre erklang, stob Georgina los. Doch ihr Peiniger war seitdem letzten Ausbruchversuch gewarnt, er packte die junge Adelige am Oberarm um sie mit ihren eigenen Schwung zurück zu werfen. Sie landete schmerzlich auf dem Kerkerboden. Die Kraft um sich aufzusetzen fehlte ihr, all ihre Hoffnung hatte sie in dieses Manöver gelegt. Spöttisch lachend griff er nach ihren Knöcheln und zerrte sie zu sich heran. Die Fackel hatte bereits ihren Platz an der Wand gefunden, so packte er auch mit der zweiten Hand nach ihrem Beinen, riss an ihrem Rock. Panisch, ahnend was dem Widerling im Sinne stand, schrie Georgina auf, wandte sich mit dem Mut der Verzweiflung, schlug um sich, doch gegen den Mann hatte sie in ihrer Verfassung keinerlei Chancen. „Halt schon still, du dummes Gör.“, ein Schlag traf sie ihm Gesicht, nahm ihr für Sekunden die Sinne. Diese Zeit nutze der Widerling und stob ihren Rock vollends zurück, beugte sich gierig über sein Opfer. Doch ehe ihr Peiniger zur Tat schreiten konnte, ertönte ein Schuss. Brummend seufzend, sank der Mann regungslos auf Georgina zusammen. Sie spürte wie der Tote von ihrer Brust geschoben wurde. Nur langsam begriff sie, was hier gerade geschehen war. Jemand war ihr zur Hilfe geeilt. War dies ihre Rettung? Träumte die vielleicht nur, war dies nur ein Trugbild ihres Geistes? „Komm hoch.“, eine Frauenstimme drang an Georginas Ohren, zarte Hände packten ihre Hände und zerrten unnachgiebig in eine Richtung. „Ich hatte ihn gewarnt seine dreckigen Hände an meine süße Beute zu legen Nun steh schon auf.“ Die Stimme wurde drängender, zwang die Adelige wankend auf die Beine. Ihr Blick suchte das Gesicht der Fremden. Sie war kaum älter als die Baroness, dunkle Augen musterten sie eindringlich, das lange Haar war zu einem Zopf gebunden. Die Kleidung zeugte von dem hohem Stand einer  adeligen Dame. Steckte diese Frau etwa hinter ihrer Pein? Georginas Augen huschten über den Toten, dann über den Revolver, welcher am Eingang zu Boden lag. Warum hatte sie ihren Gehilfen erschossen? „Kommt.“ Die Worte der jungen Frau rissen die Baroness aus ihren Gedanken. Sie war zu geschwächt um sich erneut zu wehren und so ließ sie sich durch die dunklen Gänge nach draußen führen. Ihre Gedanken schweiften unwirsch umher, zu ihrer Familie, zu Marian, selbst zu den kleinsten, umgedeuteten Momenten ihres Lebens. Oben angekommen löschte ihre Peinigerin die Fackel, welche jene zuvor aus dem Verließ von der Wand genommen hatte. Es dämmerte bereits das Abendrot, also war sie mindestens einen Tag dort unten gewesen. Tief die frische Luft einatmend, ließ Georgina ihren Blick wandern, kein Gebäude, kein Baum war zu sehen. Die Frauen standen auf einen kleinen, flachen Grundstück, welches von wilden Hecken umgeben war. Vereinzelt ragten Krokusse aus dem Gras. Würde sie hier an diesen Ort also sterben? „Die Straftäter, die im Kerker starben, blieb ein christliches Begräbnis verwehrt, und so verscharrte man ihre Leichen hier. In ungeweihter Erde. Wird das Schoßhündchen der Queen Euch rechtzeitig erreichen?“ Georgina spürte den warmen Atem der Fremden in ihrem Nacken. Die Fremde presste ihren Körper gegen den Ihrigen und widmete sich ihren Hals. Erneute Panik stieg in Georgina auf. Doch ehe die Baroness an Flucht zu denken vermochte, umschlangen sie bereits zwei Arme. In gesundere Verfassung wäre es ihr womöglich gelungen sich ihrer Peinigerin zu stellen, doch ihr Körper schmerzte, Übelkeit überkam sie und bittere Gale drang ihre Speiseröhre hinauf. Ihre Knie drohten unter ihr nachzugeben. Ein leises Wimmern entrann ihrer Kehle. „Ich habe das alles für Euch veranlasst. Der Schuster, er verärgerte Euch und diese Wäscherin, warum hatte sie Euch dauernd so herzlich Grüßen müssen? Der Lustmolch, der Euch in diese verfängliche Situation brachte. Sie alle musste beseitigt werden.“ „Das waren unschuldige Menschen.“, keuchend sank Georgina zu Boden. Hatten diese armen Menschen ihretwegen sterben müssen? „Ihr gehört mir! Ich lasse nicht zu, dass man  Euch mir wegnimmt.“, mit diesen Worten lösten sich die Arme um Georgina. Noch ehe die Baroness reagieren konnte, spannte sich ein dünner Draht um ihren Hals. Reflexartig griff sie danach und versuchte die Schlinge von ihrem Hals zu ziehen. Die Fremde war jedoch, im Gegensatz zu Georgina, in bester körperlicher Verfassung und so zog sie die Schlinge immer weiter zu. Während sie die Schlinge immer weiter gegen Georginas Hals drückte, legten sich ihre Lippen sanft auf die Wange ihres Opfers: „Hätte dieser Wachhund sich nicht eingemischt, müsste ich Euch jetzt nicht töten.“ Georgina würde langsam und qualvoll ersticken, sowie die drei Opfer vor ihr. Seufzend drehte die Fremde den Draht ein weiteres Mal um die Holzstöcke, lauschte den hilflosen Japsen. „Ihr erinnert Euch nicht.“, sie zwang Georgina erneut ihren Kuss auf. „Doch ich erinnere mich an jedes Detail. An das Kleid, welches Euch so elegant kleidete, an den Schmuck in Euren Haaren, ja, sogar an den Duft Eures Parfüm.“ Sie hielt inne, wollte sie doch, dass diese Frau wusste warum sie sterben musste. „Ihr habt mir ein gutmütiges Lächeln geschenkt.“ Kurz hielt sie inne und strich durch Georginas dunkle Locken. Ja, sie musste es wissen ehe sie es zu Ende brachte. „Ihr habt mich gerettet.“, fuhr sie for. „Wie dieses arme Mädchen auf dem Ball. Ihr konntet nicht einfach zu sehen, welch Schmach dieser Widerling mit antat. Doch ihr vergaßt mich.“, mit diesen Worten zog sie die Schlinge fester zu. „Und doch tat ich dies alles für Euch.“ Georgina vernahm nur bruchweise die Worte der jungen Frau. Sie verstand nicht weshalb sie dies alles getan hatte. Doch hatte sie vier Menschen getötet, einen davon als Strohmann missbraucht, alles nur um sie, Georgina, vom Antlitz der Erde zu tilgen? Aus verletzter Eitelkeit? Die Sicht verschwamm bereits vor ihren Augen, die Lungen brannten und ihre Glieder fühlten sich taub an. Sie würde tatsächlich sterben. Langsam sich in ihrem Schicksal ergebend, schloss sie die Augen. Bald würde sie das Bewusstsein verlieren ehe sie der Tod ereilen würde. Kapitel 7: || Rettung || ------------------------ Sie drehte sich im weißen Kleid unter dem dunklen Nachthimmel. Stetig um die eigene Achse, bis die Welt vollkommen um sie herum verschwommen war. Abrupt riss etwas sie nach hinten. Eine Schlinge, die sich um ihren Hals legte, zog sie unnachgiebig nach unten. Vergebens schlug sie um sich, versuchte ihrem Peiniger habhaft zu werden, doch ihre Hände griffen ins Nichts. Immer enger wurde die Schlinge auf ihrer Kehle. Sie spürte wie ihre Schließmuskeln drohten nachzugeben. Ihre Lippen fühlten sich mit einem Mal spröde an und hinter ihren Augäpfeln herrschte ein stechender Schmerz vor. Wahllos gruben sich ihre Finger ins feuchte Erdreich. Ihr Herz hämmerte panisch gegen ihre Brust. Sie wollte nicht sterben. Plötzlich spürte sie ein zartes Kribbeln an ihren Händen, auf ihren Armen. Etwas drängte sich an ihren Beinen entlang. Sie glaubte durch verschleierten Blick den Umriss eines großen Hundes auszumachen, welcher über sie hinweg stieg. Irgendwo zu ihrer Linken krächzte eine Krähe. Ihre Kräfte verließen sie und sich in ihrem Schicksal ergebend schlossen sich ihre Augenlider. Es würde bald enden. Ein spitzer Schrei gellte über ihr auf. Der Druck an ihrem Hals löste sich schlagartig, während zugleich eine vertraute Stimme an ihre Ohren drang. Sie rang nach Luft, doch die Augen vermochte sie nicht zu öffnen. Und dann hob sie jemand in die Höhe … Sie hielt den Atem an. Unter dem Blick der rötlichen Augen sank Georgina tiefer in die Kissen. Erst langsam kehrten die Erinnerungen an die letzten Ereignisse, und somit an die Ursprünge des Traumes, zurück. Dies erklärte jedoch nicht, weshalb sie beim Erwachen, ins Antlitz des schwarzen Butlers blickte.   Sie schluckte. Wenn Sebastian hier war, dann befand sie sich wohl auf dem Anwesen der Phantomhive. Wie lange sie wohl bereits Gast in diesem Hause war? Sie hoffte nicht allzu lange, und so womöglich um zu testen ob sie noch träumte, hob Georgina die Hände und ließ jene gegen die Wangen des Butlers sausen. Sebastians Reaktion darauf bestand lediglich in einem überraschten Blinzeln. Kurz darauf zog er sich zurück: „Verzeiht, Baronin, Ihr habt im Schlaf um Euch geschlagen und wärt womöglich aus dem Bett  gefallen.“, um sich höflich zu verneigen, ein Lächeln, als wäre es eigens für ihm gemalt worden, auf den Lippen. „Und da dachtet Ihr, Euer Gewicht wäre die effektivste Absicherung?“, sie dachte nicht daran ihm diese Unsitte zu verzeihen, auch wenn es den Anschein hatte, als spräche er die Wahrheit. Sie wusste zwar nicht was genau in den Stunden ihrer Bewusstlosigkeit geschehen war, doch ersann sie sich der nötigen Diskretion, welche einem Butler eigen sein sollte. „Miss Sullivan befand Ihr solltet zur Kräften kommen.“, der Butler des Hauses ignorierte ihren feixenden Einwand. Schließlich war er ein Teufel und solch Anschuldigungen waren schlicht lächerlich. „Warum bin ich auf dem Anwesen des jungen Earl?“, sie tat es ihm gleich, ignorierte seine Worte schlicht. Ein leichter Schatten legte sich über Sebastians Gesicht. Diese Dame war tatsächlich eine unausstehliche Göre, es dämmerte ihm langsam weshalb man ihr nach dem Leben trachtete. „Hier glaubte Euch der junge Herr in Sicherheit, bis er sicher war, dass Ihr außer Gefahr seit.“ „Gefahr gebannt?“, während sie sprach, schlug sie die Decke zurück und warf die Beine über die Kante aus dem Bett, setzte sich auf. „Nun ..“, sein Blick folgte Georgina, welche sich mit einem eleganten Schwung von der Bettkante erhob: „ ..es besteht keine unmittelbare Gefahr für Euer Leben, Baronin.“ Sie wollte gerade etwas erwidern, da gaben die Beinen unter ihr nach. Ungehalten, mit einem erstickten Schrei, sackte sie auf ihre Knie. „Miss Sullivan hatte davon abgeraten“, der Butler streckte ihr die Hand entgegen um ihr auf zu helfen. In jenem Moment war Georgina sich sicher gewesen, diese Information hatte der Butler des Hauses Phantomhive bewusst unterschlagen. Der Anblick der ihm zu Füßen liegenden Adeligen musste ihn geradezu befriedigen. Für einen kurzen Moment wollte sie seine Hand, in ihrem Stolz verletzt ausschlagen, doch ebenso wollte sie sich keine weiteren Blöße geben. So griff sie schweigend nach seiner Hand und ließ sich von Sebastian in die Höhe ziehen, dabei kamen sich ihre Gesichter erneut sehr nahe. Wieder fielen ihr diese emotionslosen, rötlich schimmernden Augen auf, welche sie zu hypnotisieren schienen. Jenem unsittlichen Drängen nachzugeben, würde sie direkt ins Nichts reißen, dessen war sicher. Und dennoch drängte diese süße Verlockung in diesen kalten, durchdringenden Augen. Wer, was war dieser Butler wirklich? Langsam, beinahe zögerlich, löste die Schwarzhaarige von seinem Anblick, ließ ihren Blick nun prüfend an sich herab wandern. Bis auf ihr weißes Unterkleid war sie unbekleidet. Ihr Kleid war sicherlich untragbar geworden, wenn sie an den Unrat und Moder zurück dachte. Nun konnte sie allerdings unmöglich in Unterwäsche in eine Kutsche steigen.   „Mein junger Herr bittet Euch sein Geschenk anzunehmen. Ihr solltet bei Tisch angemessen gekleidet sein.“, während Sebastian sprach, deutete seine Hand auf eine schwarze Kleiderschachtel, eine blau-weiß gestreifte Schleife zierte das Päckchen. Neugierig, erahnend welch Inhalt es birgt, trat Georgina an das Paket auf dem kleinen Tisch heran, zog die Schleife auf um ungehindert den Deckel anzuheben. Ein cremefarbener Stoff kam zum Vorschein. Noch während sie den Schachteldeckel zur Seite legte, zog Sebastian den Stoff aus der Schachtel um ihn in voller Pracht seiner neuen Besitzerin zu präsentieren. Das Kleid war aus sehr hellem creme-weißem Stoff gefertigt worden, der nach außen matt erschien und von unten wie Seide schimmerte. Von der eng anliegenden, hohen Taille fiel es geschmeidig in einen bodenlangen, weit schwingenden Saum, darüber saß in einer eleganten, zweiten Lage ein geraffter Überrock, der nach hinten an Volumen zu nahm. „Gestattet diesem Diener Euch beim Ankleiden behilflich zu sein.“, der Butler verneigte sich leicht demütig. Georgina nickte zustimmend. Da Marian nicht zu gegen war, würde sie mit dem Phantomhive Schoßhund vorlieb nehmen müssen. Eine breite, schwarze Spitzenrüsche zauberte eine romantische Note in die klassische Silhouette und setzte sich effektvoll vom hellen Farbton des Kleids ab. Schwarz war auch das breite Band, mit dem hinten über dem Rockschoß eine Schleife geknotet wurde. Und auch am Ausschnitt blitzte eine Spitzenrüsche in Schwarz auf, während ein Pailletten besetztes, filigranes Zierband den Saum der kurzen Ärmel und die Front unterhalb des Dekolletés verschönerte. Sebastian griff über ihre Schultern hinweg nach hinten, hob die dunklen Locken nach vorne. An der rechten Seite fixierte er eine weiße Lilie. Skeptisch über die Wahl des Haarschmuckes ließ Georgina ihre Finger über die süßlich duftende Blüte streichen. „Eine Friedhofsblüte?“, mit zynischem Unterton sah sie zu Sebastian hinüber. „Die Lilie ist die Königin unter den Blumen.“, unbemerkt von seinem Butler und der Baronin hatte Ciel Phantomhive den Raum betreten, stand nahe der Türe und betrachtete die Adelige: „Eleganz, Würde, Sinnlichkeit und Hochachtung. Diese Blume ist mehr als nur ein einfaches Grabgesteck.“ „Und, welch Bedeutung ersinnt diese Blüte für mich, Earl?“ „Ich habe sie Euch nicht angesteckt, Lady Cavendish.“, sein Blick huschte leicht provokant zu seinem Butler. „Manche sehen in der Lilie das Zeichen der Reinheit und Zuneigung.“ „Ist dem so.“ Ein Schmunzeln legte sich auf Georginas Lippen: „In diesem Haus auf solch Symbolik zutreffen, überrascht mich.“, während sie sprach, schritt sie zur Türe, blieb auf Ciels Höhe stehen und schenkte dem teuflischen Butler einen amüsierten, lasziven Blick: „Eure Hochachtung ehrt mich, Sebastian.“ „Ich bin lediglich ein einfacher Butler.“ Es erschreckte Sebastian wie ähnlich sie sich doch waren, sein junger Herr und diese Dame. So unausstehlich. „Heute serviere ich Ihnen traditionellen French Toast bestückt mit Omelette und gerösteten Bacon.“ Ein Frühstück wie Georgina Cavendish es aus Kindertagen kannte. Ihr Blick schweifte zum Earl Phantomhive hinüber, welcher am anderen Ende des Tisches platzgenommen hatte. Der Earl hatte veranlasst, eine Depesche zu senden, um Jonathan Cavendish über die Genesung seiner Schwester zu informieren. Sicher würde der junge Mann sofort los eilen um sie nach Hause zu holen. Georgina musste bei diesen Gedanken milde Schmunzeln, Jonathan behandelte sie in mancher Hinsicht, wie ein kleines Kind. Dabei musste er sich kaum um sie sorgen. „Dieses Kleid kleidet Euch ausgezeichnet, Baronin.“ „Ich danke Euch, Earl.“, Georginas Blick schweifte zu ihrem Teller vor sich. „Ihr habt ein geübtes Auge.“, geschickt manövrierte die Adelige den Bacon an den Tellerrand. Sie konnte diesem fettigen Streifen Fleisch nichts abgewinnen, essen konnte Dies Andere. Nicht einmal aus guten Manieren heraus, bekam sie es herunter gewürgt. Sowohl Ciel als auch Sebastian beobachteten diese Aktion mit monotoner Mimik, während das Dienstmädchen des Hauses, etwas zu nervös für Georginas Geschmack, um die Tafel herum huschte und den Tee servierte, ehe sie sich schweigend zurück zog. Kaum war das Mädchen verschwunden, ergriff Earl Phantomhive erneut das Wort, diesmal mit deutlich unterkühlter Tonlage. „Zum Glück seid Ihr wohlauf.“, er ließ sein Frühstück unberührt, griff lieber zur Tasse. Sie hingegen wich seinem prüfenden Blick aus, indem sie weiterhin ihren Bacon am Tellerrand platzierte: „Ich danke Euch für Eure Gastfreundlichkeit. Wisst Ihr bereits etwas über diese Person zu berichten?“ „Tatsächlich befinden sich der Vater und die Nichte der Dame bereits im Irrenhaus.“, langsam ließ Ciel die Tasse sinken: „Beide beginnen einige Mordversuche auf öffentlicher Straße. Der Irrsinn liegt wohl im Blut. Wobei diese Obsession Euch betreffend .. nun, neu war.“ „Mir ist nicht nach French Toast, verzeiht.“, murmelnd schob die Schwarzhaarige den Teller von sich, ebenso die Tasse Tee. Sie verstand es nicht. Wie hatte ihr so etwas geschehen können? Sie war behütet aufgewachsen, man hatte ihr jeden Wunsch erfüllt. Und man hatte ihr stets das Gefühl gegeben, bei Unrecht nicht wegsehen zu dürfen. Damals hatte sie diesem armen Ding wohl auch nur helfen wollen. All die Zeit war man ihr wie ein Schatten gefolgt, bedrohlich, schleichend. Ihre Brust schnürte sich zu und sie begann nach Luft zu schnappen, während die Welt um sie herum schwankte. Das Antlitz des jungen Earl verschwamm, kippte zur Seite. Nein, sie kippte zur Seite. Kaum hatte sie sich von dem Mordversuch körperlich erholt, da schlug ihre geschundene Seele mit aller Macht zu. Sebastian Michaelis war mit wenigen Schritten bei der Adeligen, fing ihren Sturz ab ehe sie auf den Boden prallte. Sie hatte ihre Hände vor der Brust verkrampft, japste hektisch nach Luft. Wie leicht Menschen in Panik verfielen, wie leicht sie doch zu erschüttern waren. Sie wollten Stark sein und waren doch so zerbrechlich. „Beruhigt Euch, hört auf zu atmen.“, noch während er sprach drückte Sebastian Georginas Mund und Nase zu, bis ihr Atem langsam abebbte. Sie schloss die Augen, als er seine Hand schließlich von ihren Lippen zog. Schon wieder dieser Butler. Nun verdankte sie ihm ein zweites Mal ihre Unversehrtheit. Die weiße Lilie indes war ihr aus dem Haar gefallen, zierte nun den Schoß des Butlers. Dieser griff danach und schob sie Georgina ins Haar zurück. In diesem Moment öffnete sie die Augen, sah ihn durch trübe Irden an. Er spürte ihren warmen Körper an seiner Brust. Er roch ihre Seele und schmeckte das Leben in ihr. In jenem Moment spürte der Teufel dort ein Flackern in ihrer Seele. Ein reines, unberührtes Licht, umschattet von Leid und Verzweiflung. Eine Seele, die seines jungen Herren gleich - selten und köstlich, aber vor allem eines Teufels würdig. Kapitel 8: || Akt 02 || Aufbrausen || ------------------------------------- „Ich danke Euch.“, Jonathan Cavendish verneigte sich höflich vor dem jungen Earl Phantomhive. Baroness Georgina hatte zur alter Fassung zurück gefunden, stand abseits hinter ihrem Bruder den Blick zur Kutsche gewandt. Sie wollte dieses Anwesen verlassen, in der Hoffnung damit auch den Wachhund der Königin schlussendlich aus ihrer kurzen Begegnung zu entlassen. Als Jonathan sich abwandte, schritt Georgina voran zur Kutsche und drehte sich am Verschlag zu ihrem Bruder herum, welcher seine Worte an sie richtete. „Von wem habt Ihr diese Lilie erhalten?“, ein kleiner eifersüchtiger Ton schwang in seiner Frage mit. Sie lächelte milde über seine brüderliche Sorge und antwortete: „Es ist nur eine Lilie, Jonathan.“, ehe sie im Inneren der Droschke verschwand. Wenig später folgte der Rotblonde ihrem Beispiel, nahm ihr gegenüber platz und klopfte gegen das Kabinendach woraufhin die Kutsche sich langsam aber holprig in Bewegung setzte. Je weiter sie sich vom Phantomhive Anwesen entfernten, desto ruhiger wurde der Sturm in Georginas Gemüt. Sie lehnte den Kopf seitlich und blickte aus dem kleinen Verschlagfenster, während sie die dunklen Locken über die Schultern warf. Dabei ließ sie einen offenen Blick auf ihren Hals und die darauf befindlichen Würgemalen zu. Prompt erklang Jonathans Einspruch: „Dein Hals, Georgina, wollt Ihr ihn nicht bedecken?“ Die Angesprochene schielte kopfschüttelnd zu ihrem Bruder: „Man hat versucht mich zu töten und ich habe überlebt.“ Sie blickte wieder zum Fenster hinaus. „Das muss ich nicht verstecken.“ ....... …. .. „Marian, sag, warum lässt Lord Devonshire die alte Kastanie fällen?“ Georginas Augen beobachteten missmutig die jungen Burschen, welche sich mit einer Säge am Stamm des Baumes abmühten. Immer wieder mussten sie sich unter einem Kastanienhagel hinweg ducken. Kaum fielen die grünen Kugeln zu Erde, sprangen sie auf und die rotbraune Frucht rollte über den Boden, sehr zum Entzücken der Dienstbotenkinder. Mit freudigen Gelächter sammelten sie die Kastanien in ihren Taschen und Schürzen. Zwei der Buben bewarfen sich laut rufend mit ihren Errungenschaften. Leise Seufzend drehte Georgina sich vom Fenster ab und betrachtete gedankenverloren Marian, welche frische Kleidung in Schubladen verstaute. „Der alte Baum wird Ihre Herrschaft gestört haben, Baroness.“ „Er stand doch gut. Niemand beanstandetet ihn. Ich werde sein Schattenkleid an heißen Sommertagen missen.“, sie schloss die Augen. Ihr war fade. Seit den Aufregungen um ihre Person war es ruhig in ihrem Leben geworden. Zu ruhig. Nur Jonathan leistete ihr Gesellschaft, sofern er nicht gerade um die Gunst einer bestimmten Dame buhlte. Einladungen zur Gesellschaften schlug sie bereits aus ohne die Umschläge geöffnete zu haben. Sie war nun wirklich nicht an Brautschau und etikettiere Konversation interessiert. Sie war dem Tod geradeso entronnen, doch die Alpträume blieben. Sie wagte es kaum mehr das Licht des Nachts zu löschen und zuckte heftig zusammen, näherte sich jemand von hinten. Des Tages quälten Kopfschmerzen, ständige drehte sie sich in ihren eigenen Gemächern herum und sah unentwegt in all die dunklen Ecken des Anwesens. Niemals würde sie vor Marian oder gar Jonathan diese Angst zugeben. Stets war sie bemüht gewesen, stark und unabhängig zu wirken. Schwäche machte Menschen verletzbar. Und sie wollte kein Opfer mehr sein. Wenn es Earl Phantomhive nicht möglich gewesen wäre sie ausfindig zu machen, würden nun die Ratten an ihren toten Knochen nagen. Auf ihrem Sekretär lag eine gläserne Lilie. In diesen einem Schaufenster war sie ihr ins Auge gestochen. Wie gesteuert, war Georgina in den Laden getreten und hatte das Stück käuflich erworben. Eine Friedhofsblume, und doch soviel mehr. „Weshalb betrübt Ihr Euch? Ihr nahmt stets einen Schirm, Baroness.“ Marians Stimme durchdrang die Stille. „Ist dem so?“, murmelnd blickte sie erneut aus dem Fenster. „Ich habe Euch das Buch, welches Ihr wolltet aus der Stadt mitgebracht.“ Die Zofe deutete auf ein weißes Päckchen, welches am Bettende lag. „Seit wann interessiert Ihr Euch für Okkultismus?“ „Tu ich nicht.“, antwortete Georgina schlicht und schritt vom Fenster hinüber zu ihrem Bett. Sebastian glättete gerade des Earls Gehrock als das dumpfe Pochen der Eingangstüre durch die Hallen drang. An jenem Tage erwartete das Hause Phantomhive keine Gäste, umso mehr verwunderte es den Butler das Klopfen zu vernehmen. Da die anderen Bediensteten sich beim Erledigen ihrer Pflichten befanden, war es an ihm die Türen zu öffnen. Die beiden Männer, welche ihn kurz darauf höflich grüßten, ließen nichts Gutes erahnen. Schließlich kamen die Butler der Königin niemals ohne direkten Befehl ans Anwesen. „Ist Earl Phantomhive zu gegen?“, ergriff sodann Charles Phipps das Wort, während sein Partner bereits Anstalten machte, das Haus ohne weitere Erklärung zu betreten. „Der junge Herr befindet sich in seinem Arbeitszimmer. Ich werde Euch ankündigen.“ Der Teufel trat einen Schritt zur Seite, ließ die Boten eintreten und schritt die Treppen hinauf, während sich die Türen hinter ihnen schlossen. Schweigend gelangten sie in die obere Etage, schritten den matt beleuchtenden Flur entlang, ehe Sebastian vor einer Türe inne hielt, die Hand zum Anklopfen erhoben. Währenddessen blickte Ciel Phantomhive stumm seufzend von der Gewinnbilanz des Familienunternehmens auf. Seine Produkte verkauften sich gut, doch seit einigen Wochen ließ das Interesse der Käufer sichtbar nach. „Ein neues Produkt, also?“, in seinen imaginären Bart nuschelnd, schob der junge Adelige die Firmendokumente von sich. Lästig, sich um solche banalen Dinge wie Marktforschung zu kümmern. Wozu hatte er seine Leute vor Ort in den Fabriken? Das Klopfen seines Butlers riss den jungen Phantomhive aus seinen Gedanken. Die Bilanz war vergessen. „Tritt ein.“ Schon trat Sebastian in leicht gebeugter Haltung ins Zimmer, die Türe nur einen Spalt geöffnet. „Die Herren Grey und Phipps,  junger Herr.“ „Sie sollen eintreten.“, noch während er sprach erhob sich Ciel hinter seinem Schreibtisch, um Earl Grey sowie Lord Phipps in Empfang zu nehmen. Kurz darauf betraten besagte Herren den Raum. Kurze Zeit später saßen sie im Gespräch vertieft bei süßem Gebäck und schwarzen Tee. „Nun. Euch ist sicher bewusst, dass Ihrer Majestät sehr daran gelegen ist diesen Vorfall als erledigt zu betrachten.“ Charles Grey ließ die Kuchengabel zwischen den Lippen wippen, das Zeichen für Phipps den Satz zu vollenden. „Der Fall wurde offiziell vor drei Monaten geschlossen. Doch nun nutzt dieser Zeitungsreporter eben diese Ermittlungen für seine haltlosen Ansichten.“, seine Finger tippten auf besagten Zeitungsartikel, „Queen Victoria respektiert die öffentliche Meinung, jedoch duldet sie nicht, dass man ein Mitglied der königlichen Familie in solch einen Verruf bringt.“ Neben ihm schob sein Partner den leeren Teller mittig des Tisches: „Der Schreiberling war klug genug keine Namen zu nennen, doch lassen seine Beschreibungen nur den Schluss zu es handle sich um den Enkel Ihrer Majestät.“ „Welch ein heilloses Durcheinander, nun, da Scotland Yard gezwungen ist, den Fall neu zu beleuchten.“, ergriff Ciel das Wort. Er hatte bisher schweigend den Erklärungen der Double Charles gelauscht. Diesmal schien es Queen Victoria ein besonderes Anliegen zu sein, nicht einmal einen Brief hatte sie verfassen können. Dieser Auftrag versprach eine Herausforderung zu werden. Schließlich war der Enkel kein ungeschriebenes Blatt und erweckte seit Jahren das öffentliche Interesse. Es war keine große Kunst nötig um die Briten glauben zu lassen, dass selbst vor dem englischen Hofe der gesellschaftliche Zerfall nicht haltmachte. Also oblag es dem Wachhund nicht nur einen Namen reinzuwaschen, sondern auch das Ansehen der Königin im Volke zu stärken. „Zuerst muss ich wissen, was an diesen Gerüchten nun der Wahrheit entspricht.“, sein Blick huschte zu Sebastian hinüber. Zur gleichen Zeit an einem anderen Ort … „Sebastien Michaelis.“, ihre Finger ruhten wie ein Mahnmal auf den goldenen Lettern des Autorennamens auf dem Einband. Unter ihnen stand in französischer Sprache geschrieben: ``Klassifizierung der Dämonen`` Georgina schluckte und riss sich von dem Buch los. Es war sicher Zufall, dass sie den selben Namen trugen - so war Sebastian ein beliebter Vorname im britischen Empire. Sie glaubte verrückt werden, zu denken, es gäbe diese Wesen tatsächlich. Doch anderes konnte die Baroness es sich nicht erklären, sich erklären was sie gesehen hatte. Und dann dieser kalte Blick seiner Augen, wie eine Raubkatze ihre Beute taxierte ehe sie lautlos zuschlug. Nun sie konnte sich dies alles auch nur einbilden - ein Trugbild ihres aufgewühlten Nervenkleides. Sie sollte Marian bitten dieses Buch, ein Zeugnis der Inquisition, zu entsorgen. Die einzigen Dämonen, welche existierten waren schließlich die Sünden der Menschen. „Herrin.“, aufgeregt rufend stürmte Marian ins Zimmer, japste wie ein Fisch an Land, „Scotland Yard .. sie wollen Adam .. Adam mitnehmen.“ Georgina trat, verwirrt über diese Worte, an ihr Kammermädchen heran: „Was soll das heißen, sie nehmen Adam mit. Was in Gottesnamen ist denn passiert?“ „Ich weiß es nicht, Baroness, bitte kommt schnell.“ Marian blickte ihrer Herrin hilflos entgegen. Um das arme Ding nicht noch mehr zu ängstigen, hob Georgina ihren Rock an und eilte die Treppen hinab auf den Hof hinaus. Adam, der Stalljunge, stand stotternd bei zwei fremden Männern, das Gesicht kreidebleich. Ohne ihren Rock sinken zu lassen, trat Baroness Georgina an die kleine Gruppe heran. „Welchen Anlass verdanke ich den Besuch von Scotland Yard?“, während sie sprach, schob die Adelige sich zwischen Adam und den Beamten. Marian, die ihr gefolgt war, stand regungslos an der Eingangstüre, klammerte sich in den hölzernen Rahmen. „Wir haben Annahme, dass Euer Stallbursche mit einem Fall in Zusammenhang steht.“ Eine leichte Verwirrung zeichnete sich in ihre Miene: „Weshalb verdächtigt Yard meinen Bediensteten?“ „Ein Zeuge bestätigt Euren Stalljungen am Tatort gesehen zu haben.“, mischte sich nun der augenscheinlich Jüngere ein. Adam japste nach Luft. Seine Herrin hingegen stampfte erzürnt mit dem Fuße auf und zog scharf Luft durch die Nüstern. „Seine Eltern standen bereits im Dienst meiner Familie. Er arbeitet tüchtig, hat Kleidung, Unterkunft und Nahrung. Ihr Zeuge will meinen Stallknecht in Missgunst bringen.“ „Wenn dem so sei, wird die Aussage niemand bestätigen können und Ihr Adam ist bald wieder auf freien Fuß.“ Mit diesen Worten wollte der Mann an Georgina vorbei nach Adam greifen, doch diese schlug den Arm beiseite. Ungeachtet der Höflichkeit reckte die Baroness das Kinn empor: „Da er das Mannesalter noch nicht erreicht hat und seine Eltern nicht anwesend, steht er unter meinem Vormund.“ Erneut drängte die Schwarzhaarige den Gesetzeshüter zurück: „Das Grundstück meiner Familie. Ich brauche den Jungen hier. Solange er nicht schuldig gesprochen wurde, kann ich ihn am Anwesen belassen, sofern ich für ihn bürge, nicht wahr Inspektor?“ „So sagt es das Gesetz Ihrer Majestät.“ „Nun, dann darf ich die Herren bitten zu gehen.“, sie drehte sich herum, packte Adam am Ellenbogen und schob ihn auf Marian zu. Murrend, jedoch ohne weiteren Ärger, verließen die beiden Männer das Stadtanwesen der Familie Cavendish. „Beende deine Pflichten. Ich erwarte dich in der Bibliothek.“ Sie ließ von Adam ab. Die Baroness blickte dem Burschen kurz nach, dann schritt sie zu Marian hinauf, welche sich inzwischen vom Türrahmen gelöst hatte. Sie würde nicht schweigend zusehen, wie man einen ihrer Dienstboten zu Unrecht bezichtigte. Adam war ein aufrichtiger junger Mann. Es musste sich hier schlicht um einen bösen Irrtum handeln. Dennoch so misslich die Lage auch war, sie bot nun die Chance für etwas Abwechslung. Wenn auch nur für begrenzte Zeit. Kapitel 9: || Übereinkommen || ------------------------------ Sie hatte Marian hinaus geschickt und veranlasst das man sie nicht stören sollte. Ihr Blick schweifte über die Gärtnergesellen, welche nun mit Schaufeln und Harken die Erde um den Baumstumpf beiseite schoben um die Wurzeln der alten Kastanie offen zu legen. Der restliche Stamm lag am Boden, diente den Kindern als Kletterspiel, während die Männer sie mit energischen Handbewegungen fortscheuchten, sobald sie ihre Schaufeln kurz ruhen ließen sich den Schweiß von der Stirn zu reibend. Sicher würden die Arbeiten bis in den Abend hinein andauern. Marian hatte recht behalten, den Schatten der alten Kastanie hatte Georgina kaum in Anspruch genommen, dennoch erfüllte sie der Anblick des gefällten Baumes mit einem Gefühl der Schwermut. Weshalb störte der Duke of Devonshire sich an einem alten Baum? Das zögerliche Klopfen an ihrer Zimmertüre riss sie aus den Gedanken. Es dauerte einige Sekunden bis sie sich erinnerte Adam zu sich gerufen zu haben. Nach jenem Vorfall unten auf dem Hof würde ihr Stallknecht sich verantworten müssen. Mit einem resignierten Seufzer drehte die Baroness sich vom Fenster ab und schritt hinüber zu dem kleinem Tisch, auf dem weiterhin das okkulte Buch lag. Erneut fuhren ihre Finger beim Anblick des Einbandes über die goldenen Lettern, es würde nicht schaden einige Sätze darin zu lesen, schließlich wollte sie nur verstehen. Verstehen, was dort auf diesem Feld geschehen war. Um jenes Buch jedoch vor den Augen ihres Stalljungen zu verbergen, schob Georgina es unter das bestickte Tischtuch. Allein die deutliche Wölbung trug nun Zeugnis, dennoch würde ihr Interesse am Okkulten Adam verborgen bleiben. „Tritt ein.“ Ihr Blick folgte dem Aufschwingen der Türe und haftete sich auf den etwa fünfzehnjährigen Jungen, dessen nussbraune Augen beim Anblick seiner Herrin hastig zu Boden sahen. Sie wartete bis der Junge mit dem karottenroten Haar die Türe hinter sich geschlossen hatte. Er fühlte sich deutlich unwohl, scharrte unbewusst mit dem Fuß über den Boden. Die Finger rangen miteinander hinter seinem Rücken, dies verrieten die zittrigen Arme. Er hatte also etwas zu verbergen, doch war er wirklich so schuldig wie ihn Scotland Yard hielt? Adam war unter dem Personal beliebt, und Georgina würde es nicht wundern, wenn diese Beliebtheit Neider auf dem Plan rief. Dennoch, welch Neider hatte solch eine Missgunst gegen Adam, dass man ihm solch Unsittlichkeit unterstellte. Als Adam nervös zu husten begann, beschloss die Baroness endlich das Schweigen zu brechen: „Deine Eltern leisteten gute Dienste für die Familie des Duke. Als du hierher kamst, vertraute man dich meiner Obhut an.“ Sie hielt kurz inne, wartete auf eine Reaktion seitens Adam, dieser hingegen starrte weiterhin zu Boden, woraufhin Georgina fortfuhr: „Ich bin deine Herrin. Meines Erachtens behandelte ich dich gut, obwohl du hier Unterkunft und Kost erhältst, wirst du für deine Dienste gut entlohnt.“ Sie drehte sich herum, schritt etwas auf Adam zu. „Sag mir, habe ich als deine Herrin nicht das Anrecht auf deine Ehrlichkeit?“ „Habt Ihr, Baroness.“, piepste es beinahe über seine Lippen. „Es ist mir egal, welch Umtriebe dich in deiner Freizeit beschäftigen. Die Ansichten unserer Gesellschaft interessieren mich diesbezüglich ebenso wenig. Keiner von denen kann in Angesicht Gottes von sich sagen, er sei frei von Schuld und Scham. Doch als deine Herrin kann ich dich nur dann schützen, wenn du mir gegenüber ehrlich bist und nicht den Namen meiner Familie beschämst. Verstehst du das Adam?“ Überrascht hob der Ire den Blick und taxierte die Baroness, als suche er nach einem Anlass ihre Worte als Lüge zu bewerten. Sie sah ihm offen entgegen - kein Trug, keine List spiegelte sich in ihren Augen. „Ich verstehe, Baroness.“ Ein mildes Lächeln bildete sich nun auf ihren Lippen: „Sei es so. Sag mir, sind die Anschuldigungen über dich wahr?“ „Nein. Nicht direkt.“, er scharrte erneut mit dem Fuß, während er ihren Blick beschämt auswich. „Ich war dort. Nicht als Gast oder Dergleichen. Ich wollte lediglich einen Freund helfen. Er war dort Kunde und sie haben ihn angesprochen.“ „Und er stimmte zu?“, mutmaßend neigte die Adelige leicht den Kopf. Besagte Örtlichkeit, in denen Frauen ihren Körper gegen Entgelt anboten, waren ebenso zwielichtig. Den Frauen blieb meist kein Ausweg mehr aus der Hurerei. Wer sich erst mal so darbot, war ganz unten in der Gesellschaft angekommen. Nur waren solche Häuser geduldet, sogar durch Gesetze geschützt, so mussten Gäste sowie Freudenmädchen stets Volljährig sein. Georgina zweifelte jedoch an den Kontrollen dahingehend. Und boten daher anderen Geschäften guten Nährboden. Es war nicht unüblich, dass man gut bezahlten Kunden eine kleine „Nettigkeit“ gegen bares anbot. Wäre der Artikel in jener Zeitung nicht erschienen, wäre dieser Vorfall bereits in den Schatten der Justiz verschwunden. Adam schüttelte den Kopf: „Er wollte sich einige Münzen dazu verdienen, für seine Familie. Sein Vater hat acht hungrige Mäuler zu stopfen.“ „Verstehe.“, murmelte sie, also war auch hier der Grund die ärmlichen Verhältnisse der unteren Schicht. Nun sie hatte keine Zeit für Mitleid, welches niemanden helfen würde. Sie musste sich auf ihren Stalljungen konzentrieren.  Adam, so war sie sich sicher, hatte die Wahrheit gesprochen, die Anschuldigungen waren haltlos. Doch wer konnte schon genau sagen, ob er nun nur nach seinen Freund gesehen hatte, oder doch aus einem anderen Grund dort gewesen war. Seine Unschuld war keinesfalls gesichert, und sie kannte die englische Justiz, welche unangenehme Dinge gerne schnell und ohne Aufsehens über den Richterstuhl zog. In ihren Gedanken versunken, betrachtete die Baroness den Jungen, der wohl keine zwei Tage im Zuchthaus aushalten würde, so schmächtig und ängstlich er war. Sie wollte nicht zusehen müssen, wie die Bobbys ihn holen kamen, um den armen Burschen in einer geschlossenen Kutsche davon zu scharren. Mit einem leichten Winken bedeutete Georgina Adam, sie nun alleine zu lassen: „Ich danke dir.“, damit drehte sie sich etwas von ihm ab, darauf wartend, dass er sich zurück zog. Erst als er die Türe passiert hatte, lockerte sich Georginas Körperhaltung. Plötzlich überkam sie eine innere Unruhe. Sie begann unschlüssig im Zimmer auf und ab zu laufen, biss sich immer wieder auf die Unterlippe und musste sich zwingen nicht an den Fingernägeln zu kauen. Was nützte ihr der Entschluss ihren Stalljungen zu helfen, wenn sie nicht wusste, was sie tun konnte. Wie sollte sie Adam helfen? Wütend über diese unsägliche Unruhe riss Baroness die Zimmertüre auf: „Marian! Schickt mir einer nach dem Mädchen.“ Ihre Stimme hallte bis ins untere Geschoss und kurz darauf eilte die Kammerzofe, den Rock beinahe bis zu den Knien gehoben, die Treppen hinauf.   Ihre Herrin erhob nur selten die Stimme, und wenn sie denn tat, dann bedeutete dies meistens eine unruhige, leicht reizbare junge Dame. Darauf gefasst, trat Marian in die Räumlichkeiten der Baroness. Die Schwarzhaarige zog mürrisch an der Schnürung ihres Kleides, hatte sichtlich wenig Erfolg die Korsage zu öffnen. Mit einem stummen Seufzer trat Marian an ihre Herrin heran, schob deren Hände sanft beiseite und begann mit geschickten Fingern die Schnüre zu lockern. „Weshalb seit Ihr ärgerlich, Baroness?“ „Ich kann schon wieder nichts tun.“, in ihrer Stimme lag ein leichtes Zittern, als war sie den Tränen nahe. Rasch gewann Georgina ihre Fassung zurück. „Ich konnte mir selbst nicht helfen, nun kann ich nicht einmal Adams missliche Lage lindern.“ „Ihr wart eine Gefangene. Beschämt Euch nicht, indem ihr Euch die Schuld daran gebt.“ Marian ließ die Korsage zu Boden gleiten, half ihrer Dienstherrin aus dem Stoff. „Ihr werdet eine Lösung für Adam finden.“ Es waren besänftige Worte ohne jegliche Gewissheit. Georgina konnte dies ihrem Kammermädchen nicht nachsehen. Sie spürte, wie sich die Unruhe in ihrem Inneren langsam dämpfte. Als Marian sich hinab beugte um die Baroness von ihren Seidenstrümpfe zu entkleiden, richtete jene erneut das Wort an das Mädchen: „Du bist sehr gottesfürchtig. Darf ich dir eine Frage stellen, Marian?“ „Was wollt Ihr wissen, Baroness?“ „Ist es falsch zu Lieben?“, ihre Worte überdenkend, hielt Georgina kurz inne, „Ist die einzige, richtige Liebe, nur die von Gott gesegnete?“ „Dies ist eine sehr moralische Frage. Ich denke nicht, dass ich eine Antwort darauf habe, Herrin.“ „Dann sprich frei. Teile mir deine Gedanke mit mir.“ Ihr Blick folgte Marian, welche einen einfachen Rock über ihren Arm legte. „Solange sie niemanden Schaden zufügt, so denke ich, kann Liebe nicht falsch sein.“ Die blonde Zofe bereitete den Rock, half ihrer Herrin in diesen zu steigen ehe sie ihn an Georginas Beinen entlang zog um ihn an der Taille zu binden. „Moral wird von der Gesellschaft nieder geschrieben. Allein sie entscheidet, was richtig und falsch ist.“     „Eine sehr politische Antwort, Marian.“ Eine eindeutige Antwort auf ihre Frage, war dies sicher nicht gewesen und Georgina wusste nicht was sie denken sollte. Ihr Pflichtgefühl stand zu Adam, doch sollte sie ihn verurteilen? Wie sollte sie ungeachtet ihrer Stellung zu dem Jungen stehen? Störte es sie sich daran, dass der Ire scheinbar romantische Interesse an einem Freudenmädchen hegte? Oder war es ihr schlichtweg egal, wem Adam liebte? Und warum beschäftigte sie dies so? Wie Marian sagte, die Moral obliegt allein der Gesellschaft. Wenn sie solche Liebe, wenn man es so nennen durfte, als unsittlich und sträflich bezeichnete, dann lag es wohl kaum im Ermessen einer einfachen Baroness etwas anderes zu denken. Doch war sie ein dummes Schaf, welches stets mit der Herde schritt? Sie mochte Adam, dies allein sollte ihr genügen. Erneut fiel ihr Blick zu Marian, welche ihr gerade die Haare zu einem langen Knoten band und Besagten am Hinterkopf mit einer langen Spange fixierte. Georgina betrachtete ihr Tun eine Weile schweigend im Spiegel. „Sag Marian, warum stell ich mir so viele Fragen?“ „Weil Euch Verstand eigen ist, Baroness.“ Marians Blick fand den ihrer Herrin im Spiegel: „Es wäre stumpfsinnig es nicht zu hinterfragen.“ Sebastians Einfall war eine schier eine gewagte Idee. Als sie am Anwesen der Baroness of Clifford vorfuhren, war sich Ciel Phantomhive sicher Sebastians amüsiertes Lächeln erhascht zu haben. Doch als der Earl erneut hinsah, blickte ihm der Butler ausdruckslos wie immer entgegen. Das dumpfe Pochen des Türklopfers schallte  durch die Vorhalle, während Ciel seine Worte sortierte. Er würde nicht ohne eine Zusage davon fahren. Der Butler des Hauses öffnete nach einigen Sekunden die Türe und war sichtlich überrascht die beiden unerwarteten Gäste vor sich stehen zu sehen. „Ist Baroness zu gegen?“, ergriff Ciel das Wort, ehe sich der Butler von seiner Verwirrung erholen konnte. Dieser nickte, schloss die Türe wieder um zu seiner Herrin zu eilen. Mit einer Geste zog der junge Adelige den Hut vom dunklen Schopf: „Das ich mich nun erneut mit diesem Weibsstück herum schlagen muss.“, sein unbedecktes Augen schielte durchdringend zu seinem Butler hinauf. „Man könnte meinen, du genießt diesen Umstand.“ „Es formt den Charakter eines jungen Mannes sich mit störrischen Weiber zu umgeben.“, erwiderte der teuflische Butler schlicht. Es brauchte kein verräterisches Grinsen um Ciel zu verdeutlichen, dass er mit seiner Vermutung richtig gelegen hatte. Noch hatte ihr Vertrag bestand, und Sebastian war sein treuer Hund. Wurde wohl Zeit diese Tatsache erneut klar zu stellen. Und seit wann, formte es den Charakter sich mit nervigen Frauen zu umgeben?? Er wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzten, als sich die Eingangstüre erneut öffnete, diesmal trat der Butler des Hauses schweigend beiseite um die Herren eintreten zu lassen. „Welch Umstand verdank ich dies Vergnügen, Earl Phantomhive?“ Nervig. Selbstgefällig. Er fand keine anderen Wörter um Georgina Cavendish zu beschreiben. Sie saß dort, wie ein Bauernmädchen, auf den Stufen der Foyertreppe. Gekleidet war sie in einem einfachen Baumwollrock, über dem Unterkleid eine ebenso einfach Weste geköpft. Er wusste, dies Kleidung trugen die Farmerfrauen in den Südstaaten Amerikas. Zu einer Adeligen passten sie keinesfalls, zudem trug diese Person nicht einmal Schuhe, als wolle sie seine Wenigkeit bewusst verspotten. „Mich fesselte ein interessantes Buch. Ich sagte zu Henry, er müsse sich täuschen. Ich erwartete keinen derartigen Besuch. Aber doch, da steht Ihr hier vor mir. Ihr und Euer Butler.“, langsam zog Georgina sich auf die Füße, überwand die restlichen Stufen und blieb wenige Meter vor Ciel stehen zum Salon deutend. „Serviere uns Tee, Henry.“ „Ihr wisst, was Ihr verlangt?“ „Nun, die Damen aus dem Freudenhaus werden kaum reden, zumindest nicht mit meiner Wenigkeit und leider hatte mein Informant keine nützlichen Hinweise.“ Georgina zuckte skeptisch mit einer Augenbraue: „Meint Ihr nicht, man würde es durchschauen?“ „Lasst dies meine Sorge sein, Baroness.“, Ciel senkte seine Tasse ruhig zum Unterteller. „Ihr sollt nur ihr Vertrauen gewinnen und diese eine Frage für uns klären.“ „Indem ich mich als Dirne ausgebe?“ „Es wird auch Euch zu Gute kommen.“, sein Blick taxierte die Baroness. Er hatte schon damit gerechnet seinen Trumpf ausspielen zu müssen. „Euer Stalljunge wird bezichtigt darin verwickelt zu sein. Wenn Ihr mir diesen Gefallen erweist, werde ich mich dahingehend erkenntlich zeigen.“ „Ihr könnte Adam helfen?“ Sie horchte auf. Zufrieden lehnte Ciel Phantomhive sich auf seinem Stuhl zurück, beobachtete wie sich Baroness an seiner Angelschnur wandte. Er musste die Angel nur noch einholen. „Kommen wir überein, Baroness?“ „Meine Dienerschaft - niemand, darf Kenntnis darüber gewinnen.“ „Ihr werdet unbehelligt bleiben.“ Über seine Lippen huschte ein süffisantes Lächeln, während er mit einer Hand auf seinen Butler deutete, der neben ihm schweigend verharrte. „Sebastian wird Euch passend einkleiden und herrichten.“ Der junge Earl brauchte nicht hinzusehen: Er spürte wie ihn von beiden Seiten eine deutliche blutrünstige Aura entgegen schlug. Kapitel 10: || Undercover || ---------------------------- Das betörende scharlachrote Samtkleid, mit Flügelärmeln und bodenlangem Rock, saß so eng an ihrer Taille, dass sie glaubte ersticken zu müssen. Immer wieder zupfte sie fahrig an der Korsage, welche ihren Busen lasziv nach oben drückte. „Nun haltet Euch ruhig, Baroness.“ Sebastian Michaelis umschloss ihr Kinn fester, zog es näher zu sich heran, um den letzten roten Strich auf ihre Lippen zu legen. Ein undefinierbares Brummen erklang als Antwort. So war sie es, welche dieses unsittliche Kleid tragen musste - keinesfalls der dunkelhaarige Butler.   Ihre Augen wanderten über seinen Oberarm hinweg zu ihrem Spiegelbild, welches ihr unter all dem Puder befremdlich entgegen blickte. „Ihr dürft Euch nicht bezirzen lassen. Vergesst nicht weshalb ihr hier seid.“ Georgina presste die roten Lippen aufeinander und betrachtete Sebastians Antlitz im Spiegel. Er musste sie nicht daran erinnern welch Grund sie an diesen unsäglichen Ort geführt hatte. „Ich bin eine ehrbare Frau.“, erwiderte sie kühl, tastete über die rötlichen Wangen. Sie erkannte sich kaum mehr selbst unter all der Schminke, und doch fühlte sie sich begehrlich. Ein Gefühl, für dessen sie sich schämte. Sie zuckte zusammen als sich Sebastian über ihre Schultern beugte und die Lippenfarbe wieder auf den Tisch legte ehe er sich zurück zog. Dabei strich sein Daumen sanft über ihren Mund, malten die geschwungene Flügel nach. Seine Lippen hauchten ein, zweimal über ihren Nacken, während seine dunklen Irden sogleich ihre Reaktion im Spiegel betrachtete. Sie schloss reflexartig ihre Augen, welche just wieder aufsprangen und dem Butler mit einer überraschenden Härte entgegen blickten. „Wollt Ihr mich testen?“ „Ihr habt recht, Ihr seid eine ehrbare Frau.“, damit zog der teuflische Butler sich vollends zurück, beinahe schien es als verschmelze er mit den Schatten des Zimmers. Sie blieb allein zurück. Schweigend erhob Georgina sich, schritt hinüber zum Bett und ließ sich auf dessen Kante nieder. Dies war ihre Chance Adam behilflich zu sein, auch wenn dies hieß nach Ciel Phantomhive Pfeife zu tanzen. ... Die Erinnerung an die vergangenen Stunden verschwammen mit ihrem Spiegelbild im trüben Weißwein. Der Earl hatte sorge getragen, das Georgina als Barfrau ihre Beschäftigung fand. Ihre Blick richtete sich Richtung Eingang, als sich die Türe erneut öffnete und ein hochgewachsener Mann das Bordell betrat. Der neue Gast reichte dem Türsteher den Stock, Mantel und Hut und betrat anschließend das große Empfangszimmer. Dort schäkerten bereits mehrere schneidigen Offiziere mit den jungen Frauen. Im Hintergrund unterhielt sich ein alter Mann mit Ziegenbart mit einem blonden Ding. Das Mädchen sah jung genug aus, um die strenge Kleidung einer Internatsschülerin zu tragen, und kicherte doch so albern wie ein Backfisch. Mehrere Herren in ziviler Kleidung saßen auf weichen Plüschsesseln, ein Glas Wein in der Hand und rauchten Zigarren, während die Mädchen, die sich um sie versammelt hatten, artig warteten, bis die Wahl auf sie fallen würde. Der rote Plüsch, welcher das Zimmer beherrschte, etliche Bilder freizügig gekleideter Frauen, welche griechische Göttinnen darstellen sollten, der betörende Duft der Parfüme und die knappen Kostüme der Frauen, die mehr enthüllten als verbargen, entfachten in solch manchen Mann eine ungewohnte Leidenschaft. Im Gegensatz zum Türsteher erkannte Georgina den Kunden sofort, obwohl dieser nur ein Mal in Begleitung eines Freundes das Bordell aufgesucht hatte. „Guten Abend, Lord de Winter. Ich freue mich Euch zu sehen! Darf ich Ihnen ein Glas Wein anbieten?“ Die Baroness lächelte freundlich, so wie sie es bei jeden wohlhabenden Kunden zu tun hatte, der über die Schwelle trat. Gleichzeitig füllte sie zwei volle Weingläser. Eines davon reichte sie an den Adeligen weiter. „Auf Ihr Wohl!“, koket hob Georgina ihr Glas an und stieß mit dem Kunden an. Lord de Winter trank und schnalzte anerkennend mit der Zunge: „Der Wein ist gut.“ „Madame lässt nur die besten Sorten kommen, und natürlich nur die besten Mädchen.“, devot wies Georgina auf die Huren, welche auf den adeligen Kunden ebenso jung wie erregend wirkten. Sie sah wie er ein hübsches Mädchen verschlang, doch genau dieses würde er nicht überlassen bekommen. An diesem Abend wollte ein höherer Herr der Regierung vorbeikommen, und für diesen war das Mädchen reserviert worden. Daher lenkte sie Lord de Winters Augenmerk auf Gerda, wie Madame es angewiesen hatte, die an diesem Abend noch keinen Kunden zu verzeichnen hatte: „Wie gefällt Ihnen die Kleine dort? Sie ist frei und könnte Ihnen die nächsten Stunden zur Verfügung stehen.“  Er nickte wage und schien interessiert, doch zunächst aber sah er sich einer anderen Frau gegenüber, deren züchtiges, streng wirkendes Kleid sich stark von den Gewändern der auf Kunden wartenden Mädchen unterschied. Madam liebte es, gediegen aufzutreten, damit jeder sofort begriff, wer hier die Chefin war. Auf einen für Außenstehende unbemerkbaren Wink ihrer Herrin erhob Gerda sich mit einer lasziven Bewegung und tat so, als müsse sie ihr Strumpfband richten. Dabei beugte sie sich leicht nach vorne, so dass de Winter nicht nur ihr bis zu den Oberschenkel entblößtes Bein sehen, sondern auch einen tiefen Einblick in ihre Dekolleté tun konnte. „Nun ich wäre nicht abgeneigt.“, antwortete er, berichtigte sich dann jedoch. „Eigentlich hatte ich mir überlegt, mich mit zwei Mädchen zu vergnügen. Mit einer Frau kann ich auch zu Hause ins Bett gehen.“ Seine Sprach klang rüder als Georgina es von Gästen erwartet hätte, doch Madame tadelte ihren reichen Kunden nicht, sondern erwiderte: „Haben Sie besondere Wünsche?“ „Nun ich würde gern mehr tun als einfach nur mit dem Mädchen zu schlafen. Die Art der Franzosen könnte mir zum Beispiel gefallen. Wenn ich schon hier bin, dann soll es sich auch lohnen“. Madame vervielfachte indes in den Gedanken den Preis, den sie den Mann für eine Nacht mit ihren Mädchen abnehmen wollte, und nannte ihm ganz geschäftsmäßig die Summe. Bei einem Stammkunden hätte sie mehr Diskretion geübt, doch dieser Krautjunker war kein regelmäßiger Gast und sollte nicht glauben ihre Mädchen wären so billig zu haben wie Straßenhuren oder diese Bauerntrampel vom Lande. Als er die Summe vernahm, musste de Winter schlucken. Madame erkläre ihm jedoch rasch, dass er mit den beiden Mädchen ungestört bis zum Morgen im Séparée bleiben könne und der Wein mit inbegriffen war. Für einen Augenblick schwankte der Gutsherr, doch ein Blick auf Gerda machte ihm die Entscheidung leicht. „Also gut.“, sagte er. „Soll ich gleich bezahlen oder später?“ „Sie sind ein Mann von Welt, Lord. Ich vertraue Ihnen. Bezahlen Sie, wenn Sie mein Haus verlassen wollen. Bis dahin wünsche ich Ihnen unvergessliche Stunden mit meinen Mädchen.“, hauchte Madam zufrieden und ließ den Kunden mit den beiden Huren ziehen. Georgina sah dem Trio schweigend nach, während sie Madames Glas entgegen nahm und über dem Holzbottich mit den Weinresten entleerte. „Ich werde mich um die Herrschaften bei den Sesseln kümmern. Behalte du unsere Offiziere im Auge. Ich will nicht, das die Mädchen unter der Hand kassieren.“, mahnend beugte die Hausdame sich über das Pult, während Georgina energisch mit einem Leinentuch über den farbigen Lippenabdruck am Weinglasrand rubbelte. Die Dunkelhaarige gab mit einem knappen Nicken Madam zu verstehen, dass sie verstanden hatte und widmete sich den nächsten Gast am Tresen. Einer der Offiziere war an sie heran getreten, sein leeres Glas gegen den matten Schein der Kerze richtend. Seine Worte indes wandte er an die junge Frau: „Ein neues Gesicht. Ein sehr hübsches, wie ich zugestehen mag.“ Schmeicheleien. Süße Worte, welche nur einen Zweck dienten. Angewidert wandte Georgina sich ab, was jedoch von Madame mit einem finsteren Blick quittiert wurde. Jedes Mädchen im Hause hatte sich zuvorkommend zu verhalten. Dennoch ertrug sie es kaum - diese lüsternen Blicke auf ihrer Gestalt, wie sie jedes Detail prüften einem Zuchttier auf der Viehauktion gleich. Als Barmädchen war sie die Dame hinter den Kulissen und stand nicht für Kunden zu Verfügung. Was diese jedoch nicht davon abhielten das Frischfleisch ins Augenmerk zu nehmen. Sich zu einem Lächeln durchringend, sah Baroness zu besagtem Offizier, wobei sie eine gewisse Distanz zwischen ihnen wahrte. „Kann ich Euch zu weiteren Glas Wein verführen?“, während sie sprach hielt sie eine Flasche mit besagtem Wein in die Höhe. Als er zustimmend nickte, goss Georgina rasch nach. „Habt Ihr Euch schon für ein Mädchen erwärmen können?“ „Ich fürchte meine Wahl obliegt keinem Segen.“, charmant in ihre Richtung zwinkernd, proste er ihr zu. „Verzeiht, dass ich Euer Begehren ablehnen muss. Mein Platz ist bei dem guten Weinen.“ „Lasst mich nur hinter das Pult kommen, meine Liebe.“, säuselte er, unbeeindruckt von ihrer Absage. Georgina fürchtete bereits er würde seinen Worten Taten folgen lassen. Doch der Freier machte keinerlei Anstalten und erleichtert biss Georgina sich auf die Unterlippe. Wenn sie Abstand halten würde, müsse sie außer Gefahr sein. Da die Baroness dem Fremden hinzukommend keine Hoffnung machen wollte, schwieg sie. „Ich begleite lediglich einen Freund.“ „Also habt Ihr keinerlei Interesse an einem der Mädchen?“, skeptisch hob sie die Augenbrauen. „Nein. Nicht, dass ich das Angebot nicht schätzen würde, doch ich zahle ungern für solch Vergnügen.“ „Ihr seid also ein Schuft?!“ „Ich ziehe es vor, eine Dame zu ehelichen ehe ich mich zu ihr ins Bett lege. Also, ja ich bin ein Schuft, meine Liebe.“ Seine Worte klangen aufrichtig, doch Georgina wurde dieses Gefühl nicht los weiterhin geschickt umschmeichelt zu werden. Unbedarft drangen die Erinnerung an Sebastians Berührungen in ihren Geist. Sie wich zwei Schritte zurück. „Ihr glaubt mir nicht?!“ „Könnte ich dies wahrlich? Ihr sitzt in einem Freudenhaus, mein Herr. Euer Freund muss Euch sehr wertvoll sein.“ „Er ist mir durchaus lieb und teuer. Doch allein deswegen bin ich wahrlich nicht hier.“, damit leerte er das Glas und wandte sich an Madam, welche mit einem kaum merklichen Nicken an ihn heran getreten war. Eine Begebenheit, welche Georgina zum ersten Mal an diesem Abend beobachtete. Madam bedeutete dem Offizier ihr zu folgen und schon verschwanden sie hinter einen dicken roten Vorhang. Ciel Phantomhive sollte also gar nicht so falsch liegen. Hier lag etwas im Argen. Kapitel 11: || Informationen || ------------------------------- Sie konnte den Blick kaum von dem schweren, roten Vorhang nehmen. Immer wieder nagte Georgina auf ihrer Unterlippe. Was mochte sich hinter diesen Türen wohl verbergen? War Adams Bekanntschaft ebenfalls in diesen Räumlichkeiten vorstellig geworden? Wenn dem so gewesen sein sollte, was mochte ein Arbeiterjunge in diesen edlen Ambiente gesucht haben? „Ey. Neue!“, ein ungeduldiges Fingerschnipsen vor ihrem Gesicht, ließ Georgina gewahr werden, welche Aufgabe sie in diesem Hause nachzukommen hatte. Mit einem verlegen, entschuldigend Lächeln wandte die Baroness sich der verärgerten Dame zu. Es war das junge Ding, welches ihr bereits zuvor aufgefallen war. Unter all dem Puder und diesen viel zu lasziven angemalten Lippen, mochte sich noch ein Kind verbergen, doch oberhalb dieser Maskerade zeigte sich ein schnippisches Biest. Als Georgina nichts weiter tat, als sie anzulächeln, trommelte das Freudenmädchen wenig damenhaft mit den Fingern gegen den Tresen: „Schläfst du? Zwei Whiskey, rasch!“ „Wie Mademoiselle wünschen.“, unbeeindruckt griff Georgina nach zwei Gläsern und dem gewünschten Getränk. Wäre sie nicht in dieser unwürdigen Kluft gefangen, sie würde dieser Göre zeigen, wie man sich gegenüber einer Dame zu verhalten hatte. Stattdessen schob sie ihr die gefüllten Gläser über den Tresen zu und widmete sich wieder ihrer Arbeit. Die meisten Herrschaften waren mit ihren erwählten Mädchen auf die Zimmer im hinterem Teil des Hauses verschwunden. Nur zwei Offiziere waren im Foyer zurückgeblieben. Offensichtlich genossen sie schlicht die Gesellschaft der Mädchen und waren an keinerlei Freudendienste interessiert. Doch auch dieses Vergnügen würde sich Madame großzügig erstatten lassen. Georgina blickte an dem beiden Herrschaften vorbei zum Objekt ihrer Neugier. Irgendwann würde Madame und ihre Kundschaft wieder herauskommen müssen. Vielleicht war dies jene Möglichkeit eine Blick ins Innere zu erhaschen. Gedankenverloren griff Georgina nach dem Putzlappen, tauchte diesen ins Wasser und wrang ihn aus, ehe sie das Szenario wiederholte. Sie bemerkte nicht wie sich die Offiziere, sich es anders überlegend, erhoben und mit den Mädchen lallend lachend nach Hinten verschwanden und sie allein im Foyer zurückblieb. Ein Umstand, welcher sie normalerweise ängstigend würde. Während Georgina den alten Lappen zum xten Mal durchwrang, öffnete sich endlich die Türe und der Offizier trat heraus. Zielsicher steuerte der Mann auf die Bar zu und lehnte sich über den Tresen hinweg zu Georgina, welche hastig begonnen hatte besagten Tresen zu reinigen. „Geben Sie mir das stärkste Zeug, welches sie haben, meine Schöne.“ Georgina entging nicht, dass sich im Verhalten des Mannes etwas verändert hatte. Er wirkte entrückt und dennoch glücklich, irgendwie als kämen keine negativen Emotionen an ihn heran. Nickend tat sie wie erwünscht und reichte dem Offizier wenige Sekunden später ein Glas mit durchsichtiger Flüssigkeit. Er griff lachend danach und leerte das Glas in einem Zug, den Kopf im Nacken gelegt. „Wirklich gutes Zeug, meine Schöne. Sag wie ist dein Name?“ „Miss Shamrock.“, antworte Georgina. Es war eine falsche Identität. Welche Ironie, dass ausgerechnet dieser Butler jenen falschen Namen gewählt hatte. „Mein liebliches Kleeblatt.“, säuselnd, drehte der Ältere sein leeres Glas zwischen den Fingern. Am liebsten hätte sie jetzt gesagt, wohin er sich sein Kleeblatt gerne stecken dürfe, doch vielleicht vermochte dieser dämliche Kerl ihr Informationen zu liefern und so beugte sie sich über den Tresen: „Nun da Ihr den Meinigen wisst, dürfte ich Euch nach dem Eurigen fragen?“ „Maxwell. Maxwell Carrington.” „Max.” Ihre Finger wanderten über seinen Arm hinauf, hangelte ihm das Glas aus der Hand und goss ihm nach. Dabei blieb vornüber gebeugt, dass Carrington freien Blick auf ihren Busen hatte. Natürlich entging ihm diese Absicht nicht und so starrte er unverhohlen auf das ihm dargebotene. „Habt Ihr Euer Vergnügen gefunden?“ „Durchaus habe ich gefunden weshalb ich gekommen bin.“ „Was dies wohl sein könnte?“ „Ihr wisst nicht, was sich hinter der Türe verbirgt, Miss Shamrock?“ „Nein. Zu meinem Bedauern, ließ man mich im Unklaren.“ „Da werde ich Ihnen wohl nicht behilflich sein können, mein liebliches Kleeblatt.“, wehrte er ihre unausgesprochene Frage ab, während ein zarter Handkuss seinen Weg auf Georginas Handrücken fand. „Wie schade.“, schmollend zog die Baroness sich zurück. Dann würde sie sich einen anderen Weg erarbeiten müssen, um Ciel Phantomhive etwas nützliches zu liefern. „Jetzt sei doch nicht so, meine Schöne.“ „Jetzt sei doch nicht so, meine Schöne.“, lallend umgriff der Widerling ihre Taille und zog sie zu sich zurück auf den Schoß. „Lass mich los!“, wütend schlug sie nach seinen Händen und versuchte sich aus seinem Griff zu winden. Der dichte Rauch, welcher sich mittlerweile dem Zimmer beiwohnte, reizte unangenehm ihre Schleimhäute. Hustend gelang es ihr sich zu befreien. Dennoch war sie diesen Dämpfen bereits zu lange ausgesetzt und obwohl es nicht den selben Effekt hatte, als wenn sie das Zeug direkt konsumieren würde, spürte sie die verlockende Schwere in ihren Gliedern. Ihr Blick suchte Madame. Wenn sie doch nur den Raum verlassen dürfte. „Miss Shamrock?“ Sie blinzelte. „Ergeht es ihnen gut?“ Sie nickte langsam. Was war dies eben gewesen? Keinesfalls waren dies ihre Erinnerungen gewesen. Eine leichte Übelkeit überkam sie, die Schläfen pochten und es schien als drehe sich der Raum um die eigene Achse. Leicht schwankend, stütze Georgina sich gegen den Tresen. „Dies scheint mir nicht so. Ich werde nach Madame rufen.“ „Nein. Sie wird denken ich hätte mich am Weine bedient.“, hastig hielt sie Carrington zurück. Sie rang sich zu einem Lächeln durch. Zwar konnte sie nicht benehmen, was gerade geschehen war, doch sie wusste nun welch Geheimnis sich hinter jener Türe verbarg. Das Klopfen durchdrang den hinteren Teil des Anwesens, wie das Läuten des Big Ben Londons Straßen zur jeder vollen Stunde. Dezent genervt von dem nächtlichen Besuch huschte Sebastian Michaelis durch die Gänge zum Dienstboteneingang. Wenn es nicht lebenswichtig wäre, würde er diesen Störenfried die Haut von den Knochen ziehen. Mit diesem Gedanken und finsterer Miene öffnete Sebastian wenige Sekunden später besagten Dienstboteneingang. Die finstere Mimik erhellte sich nicht gerade, als ihm Baroness Clifford, gehüllt in einem weiten dunklen Mantel, entgegen trat. In ihren Händen hielt sie einen Leinensack. „Ich habe Informationen.“ „Der Earl hört sich Eure Neuigkeiten morgen an.“ „Ich konnte mich unbemerkt davon schleichen. Wer weiß, wann mir dies erneut gelingen wird. Außerdem müssen die Kleider bis morgen geflickt werden.“, mit diesen Worten drückte Georgina dem Butler besagten Sack entgegen und trat an ihm vorbei ins Anwesen. „Folgt mir.“, resignierend seufzend, signalisierte Sebastian der Baroness ihm zu folgen. Der teuflische Butler wusste um die Konsequenzen, sollte Ciel Phantomhive in seinem Schlafe gestört werden. Nun sah Sebastian jedoch ebenfalls, dass Georgina Cavendish nicht einfach ihres Wegen ziehen würde. Ihm galt es also, sich in Schadensbegrenzung zu üben. Mit einer ausladenden Geste deutete der Butler des Hauses der Adeligen den Raum zu betreten, dessen Türe er ihr einladend offen hielt. Es war eine einfach Kammer. Eine Räumlichkeit, welche üblicherweise das Dienstpersonal bewohnte. Es fand sich bis auf ein einfaches Bett, einem Sekretär und einem hohen Schrank, nichts im Raum. Zu Georginas Verwunderung fehlten gänzlich private Dinge. Es wirkte geradezu steril, als sei der Bewohner nur auf der Durchreise. Die Baroness drehte sich leicht zu Sebastian, welcher die Türe hinter sich beinahe lautlos ins Schloss zog. „Wisst Ihr denn nicht, wie ungeziemt dieses Verhalten ist? Eine unverheiratete Frau allein mit einem Mann in dessen Räumlichkeiten.“ „Eure Ehrbarkeit ist in guten Händen.“, kühl abtuend, stülpte Sebastian den Leinensack kopfüber und ließ die beschädigten Kleider darin auf den Sekretär fallen. Mit geübten Blick betrachtete er sich den Stoff – kleinere Nutzungsschäden, welche rasch genäht waren. Eine Aufgabe, welche ein Butler des Hauses Phantomhive zu lösen vermochte, während er zur selben Zeit dem Gast bedeutete sich zu setzten. Nur widerwillig ließ sich Georgina auf die Kante seines Bettes nieder, darauf bedacht soviel Abstand wie irgendmöglich zwischen ihnen zu halten. Eine Reaktion, welche Sebastian Michaelis mit einem amüsierten Lächeln abtat. „Berichtet.“, sein Blick wanderte kurz zur Dunkelhaarigen, ehe er sich mit Nadel und Faden an das Ausbessern der Hurenkleider machte. Georgina beobachtete den Butler eine kurze Weile dabei. Er war durchaus geschickt. Sie vermochte es kaum der Nadel zu folgen, wie sie sich durch den Stoff stach und das Garn seinen Weg bahnte. „Madame lässt gegen extra Bezahlung ihre Kunden an ihrem reichlichen Opiumbestand teilhaben.“ „Eine geheime Opiumhöhle also. Wahrscheinlich nutzt sie die armen Burschen als Lieferjungen, um das Opium unbemerkt in ihr Bordell zu holen.“ „Das wäre denkbar.“, murmelnd knetete Georgina die Finger nervös in ihrem Schoß. Dies war nicht alles. Obwohl der Konsum von Opium verboten war, gab es genug dunkle, zwielichtige Ecken in denen Menschen sich ihrem Gelüste hingegeben konnte. Nicht wenige Adelige besaßen gar einen eigenen kleinen Vorrat in ihren Gemächern. „Die Kunden, welche ich beobachten konnte, wiesen allerdings nicht die typischen Anzeichen des Opiumgenusses auf. Sie waren keinesfalls entspannt, oder gar schläfrig. Sie wirkten aufgemuntert, voller Tatendrang, beinahe als kennen sie keine Sorge und Kummer mehr.“ Sebastian stockte in seinem Tun. Diese Information hatte durchaus seinen Wert. Wenn Madam an einer neuen Droge experimentierte oder gar diese in ihrem Bordell ins Volk brachte, waren die Sorge ihrer Majestät nicht unbegründet. Sollte ihr Enkel ebenfalls das Freudenhaus für solch Gelüste aufgesucht haben, spielte der Thronfolger nicht nur mit dem Ruf des Königshauses. „War es Euch möglich noch weitere Ungereimtheiten auszumachen?“ Die Baroness schüttelte leicht den Kopf. „Gewinnt die Gunst der Madame. Euch wird es dann leichter Fallen in ihre Nähe zu kommen und Euch weiterhin unauffällig umzusehen.“ Sie nickte. Dennoch verzog sich ihr Gesicht zu einer bitteren Fratze. Es lag wirklich nicht in ihrem Interesse sich bei der Bordellmutter einzuschmeicheln. Ihre Hoffnung lag darauf, jenes Etablissement rasch den Rücken kehren zu können. Nun musste sie sich also noch ein Weilchen länger gedulden, bis sie in ihr altes Leben zurückkehren könnte. „Welch Grund nannte der Earl meinem Vater und der Dienerschaft?“ „Man berichtete ihnen, Baroness wäre auf einer Kurreise.“ „ ... niemals ein Wort der Wahrheit!“ Ihre Augen taxierten Sebastian, während der Butler die geflickten Kleider ordentlich gefaltet in den Sack zurück legte. „Wie Baroness wünschen.“, emotionslos legte sich ein Lächeln auf seine Lippen. Kapitel 12: || Angsttanz || --------------------------- Earl Ciel Phantomhive krauste die Nase beim Anblick der Leiche im Morast. Man hatte dem Mann die Kehle durchtrennt und dies nicht einmal besonders geschickt. Scheinbar war der erwünschte Erfolg ausgeblieben, weshalb der Täter unzählige Male auf sein Opfer eingestochen hatte. Ärgerlich, dass der Leichnam in dieser Kloake abgelegt worden war. Die Schuhe des Jungen waren ruiniert, soviel stand fest. Sein Blick wanderte zu Sebastian, welcher den Toten betrachtete, während ein Beamter des Scotland Yards auf ihn einredete. Abberline war wohl anderorts beschäftigt. Als Sebastian den Blick seines Herrn bemerkte, ließ er von der Leiche ab und schritt durch den stinkenden Morast auf Ciel zu. „Das Opfer ist tatsächlich der Redakteur der Skandalzeitung.“ „Das Motiv scheint klar.“  Der junge Earl kehrte dem unchristlichen Ort den Rücken. Sebastian folgte schweigend. Der Fundort der Leiche lag nicht unweit des Bordells, in dem Baroness eingeschleust worden war. Erneut hatte ein Verbrechen der Art vor seinen Augen statt gefunden, und wieder hatte er, der Wachhund der Königin, nichts bemerkt. Um den toten Mann tat es ihm nicht leid. Jeder lebte unter eigener Verantwortung. Wer nicht stark oder gerissen genug war, unterlag dieser grausamen Welt. So war es seit jeher gewesen. Er weinte wahrlich nicht um das Opfer. Dieser Mord erschwerte seinen derzeitigen Auftrag, den er gehofft hatte schnell abschließen zu können. „Verdächtige sind genug vorhanden.“ Sebastians Stimme drängte sich in Ciels Gedanken. Die Anzahl der möglichen Täter machte es nicht einfacher. Schweigend trat das ungleiche Paar auf die Hauptstraße. Eine Kutsche donnerte vorbei, Kinder liefen an den Händen ihrer Mütter zerrend an den Schaufenstern der Mode- und Schmuckhäuser vorbei und die Männer hoben grüßend ihre Hüte. Das beinahe alltägliche Bild der englisches Mittelschicht. „In erster Linie wurde dem Hause Phantomhive anvertraut, den Gerüchten um den Enkel Ihrer Majestät auf den Grund zu gehen.“, erwiderte Ciel schließlich. „Baroness Georgina wird ihrer Aufgabe gerecht werden. Allerdings befürchte ich, erweist Baroness sich als etwas plump.“ „Was veranlasst dich zu dieser Vermutung?“ Sein junger Herr zweifelte weiterhin an solche Fügungen. Er empfand Baroness als passend gewählt um nützliche Informationen aus dem Freudenhaus zu erhalten. Sein teuflischer Butler sah dies ein wenig anders. Ihm war bewusst, welche zarten Gefühle sich entwickelten mochten, wenn eine junge Frau auf verwegene Männer traf.  Eine Grundlage auf dem schon einige Liebschaften gedeiht waren. Menschen sehnten sich nach einer verwandten Seele, die ihnen die Illusion schenkte, nicht allein mit ihren Wünschen und Sehnsüchte zu sein. Auch Georgina bildete keine Ausnahme. Sicher wäre dies eine amüsante Entwicklung. „Nur ein Verdacht, my Lord.“, über die Lippen des Butlers huschte ein dunkles Lächeln, während er sich an die letzte Nacht zurück erinnerte. „Aus mir braust finstre Tanzmusik, Meine Seele kracht in tausend Stücken. Der Teufel holt sich mein Missgeschick, Um es ans brandige Herz zu drücken.“ Flüchtig drangen sich die Worte jenes Zitates in Georginas Bewusstsein, kaum hatte Sebastian nach ihrer Hand gegriffen und sie von der Bettkante zu sich heran gezogen. Sie hatte das Zitat in einem Buch gelesen. Ein Geschenk von Jonathan soweit sie sich erinnerte. Mit sanfter Gewalt zwang Sebastian die Baroness in des Walzers Ausgangsposition. Weshalb hatte sie diese provozierende Frage stellen müssen? „Und wie soll ich diese Gunst nach Eurer Meinung gewinnen.“ Mit wenigen Schritten hatte der teuflische Butler die Distanz zwischen ihnen überwunden und Georgina in die Mitte der Dienstbotenkammer manövriert.   „Es ist wie ein Tanz, Baroness.“, hauchte Sebastian süffisant und drückte Georgina in den Ausfallschritt. Sie ließ es geschehen. „Führt sie sanft aber mit Nachdruck in Eurem Interesse.“, mit diesen Worten trat er wieder an sie heran. „Findet eine Lücke. Erschleicht Euch ihr Vertrauen.“ Das Paare schritt nach links. Als Georgina sich aus dem Tanz lösen wollte, wirbelte der Butler sie herum. „Madame ist dem Gelde sehr zugetan. Sie bevorzugt daher bestimmte Huren.“ „Die Frauen, die mit in den Raum dürfen.“, es dämmerte Georgina was Sebastian ihr mitteilen wollte. Und es gefiel ihr keinesfalls in welche Richtung dies führen würde. Erneut versuchte sie sich aus seinem Griff zu winden. Seine Finger jedoch umschlangen ihre Hand wie Schraubstöcke. Die Hand an ihrer Taille zwang sie an Ort und Stelle. Wütend trafen ihre Blicke den Butler. „Es liegt an Euch, Baroness.“ „Was Ihr andeutet, ist undenkbar!“, zischte die Dunkelhaarige und lehnte ihr Gewicht gen den Teufel. Dieser ließ sich einen Schritt zurückfallen. Georgina, immer noch in seinem Griff, wurde mit gezogen. „Baroness muss nur den Anschein erwecken.“ „Eine Lüge?“ „Eine List. Überlasst es mir, Baroness!“ „Euch?“ Langsam entließ Sebastian Georgina, während sie sprach, aus ihrem Tanz. Das Licht der einzig brennenden Kerze erhellte lediglich den kleinen Tisch neben dem Fenster. Mit einem leichtem Gähnen zog Georgina die Haarnadeln, einzeln und vorsichtig, aus dem Haar, welches im selbigen Takt über ihre Schultern fiel. Ihr Blick schweifte zögerlich über die Schultern hinweg in das dunkle Zimmer. Sie spürte ihre Anwesenheit. Wie lange mochte sie bereits dort in der Dunkelheit stehen und zu ihrem Opfer hinüber sehen? War sie sich sicher gewesen, dass Georgina sie bemerken würde? Wollte sie gar unbemerkt, unerkannt, dort verweilen, während die Adelige sich vor dem Spiegel sitzend in ihren Gedanken verlor? Schweigend löste sich die Angst - ihre Angst - aus den Schatten und durchquerte zielsicher den Raum, verharrte in ihrem Rücken, griff dabei nach ihren langen dunklen Haar und umschlang ihre Kehle. „Zeit, dass wir uns endlich sprechen.“ Es war keine reale Gestalt. Keine Stimme, welche wahrliche erklang. „Zeit, das Schweigen zu durchbrechen. Du erkennst mich. Ja, du kennst mich.“ Ihre Herz begann augenblicklich heftig gegen ihre Brust zu schlagen, beschleunigte ihren Atem und machten es ihr unmöglich auf die stummen Worte zu reagieren. Die Tatsache, dass ihre Angst sie eingeholt hatte, bereitete ihr Unbehagen und Glückseligkeit zugleich. „Ich habe dich nie vergessen. Meinen Freund, nachdem ich rufe.“ „Ich bin hier, weil du mich brauchst.“ Der Druck auf ihrer Kehle wurde beinahe unerträglich. Panisch schloss sie die Augen. Als Georgina ihre Augen wieder öffnete, waren die Fesseln der Angst verschwunden und sie atmete hörbar auf.   Sie sollte zu Bett gehen. Kapitel 13: || Spielregeln || ----------------------------- „Frau zu sein ist schwer, denke immer daran Georgina. Eine Frau muss denken wie ein Mann, sich benehmen wie eine Dame, aussehen wie ein Mädchen und schuften wie ein Pferd.“, die Worte ihrer Mutter seufzend zitierend, beugte die Adelige sich näher zum Spiegel, verzog eine Grimasse. Eines der Mädchen bürstete ihr die schwarzen Locken und beobachtete das Fratzenschneiden ihrer Kameradin mit einem stummen Kopfschütteln. Sicher, sie waren allein, dennoch sollte einer Dame dieses Hauses eine gewisse Grazie eigen sein. „Meine Mutter pflegt noch heute zu sagen: „Eine Dame achte in der Einsamkeit auf ihre Gedanken, in der Familie auf ihre Launen und in der Gesellschaft auf ihre Zunge.“Sie bildet sich ein, eine kluge Frau zu sein.“, wandte das Mädchen nach Minuten des Schweigens ein, beugte sich über Georginas Schulter und schnitt ebenfalls eine Grimasse, während sie nach den silbernen, mit weißen Steinen bestückten Haarnadeln griff, um die lockige Haarpracht in einem modischen Knoten zu vereinen. Es vermochte ihr nicht ganz zu gelingen. Immer wieder lösten sich widerspenstige Strähnen aus der Menge und fielen energisch auf Nacken und Ohren. Georgina betrachtete ihre Bemühungen im Spiegel, konnte sich ein amüsierten Schmunzeln, ob der verbitterten Mimik, nicht verwehren. „Sie hat dich erzogen. Einen gewissen Verstand muss man ihr durchaus zugestehen.“ „Meint Ihr wirklich, es wäre solch Verstand von Nöten um ein Mädchen zu erziehen?“ „Beim Erziehen durchaus, anders beim Produzieren.“ Georgina hielt ihre Handfläche vor das stumme Lachen, als bei ihren Worten das Mädchen erschrocken die letzte Haarnadel fallen ließ. „Mir scheint Ihr seid sehr ausgelassen.“, murmelnd, beugte die Jüngere sich nach der Nadel. „Bin ich das?“ „Würde ich es sonst behaupten?“, sie platzierte die letzte Nadel im Haar der Adeligen, ihren Blick im Spiegelbild erwidernd. „Einen Grund, sofern ich spekulieren darf, werde ich Euch ebenso nennen können.“ „Spekuliere.“, forderte Georgina herausfordernd, die Lippen schürzend. „Ein junger Mann, von Adel vielleicht? Hochgewachsen, charmant, durchdringende Augen, schwarzes Haar, .. soll ich fortführen?“ „Du spekulierst auf diesen Mann? Dieser Kerl, der meine Dienste wünscht und geradezu wohltätig daherkam?“ „Eben diesen Mann, meine ich. “ „Es widert mich an, wie er sich verhielt als sei er auf einem Viehmarkt.“ Georgina erinnerte sich nur ungern daran, wie dieser Butler in jener schändlichen Verkleidung in das Bordell getreten war und nach ihren Diensten verlangt hatte. Madame war mit der Aussicht auf eine - mehr als großzügige - Vergütung rasch mit Sebastian übereingekommen. So also hatte er sich des Problems annehmen wollen. Sie seufzte stumm. „Wahrlich?“ „Sag geradeaus, was du mir sagen möchtest, Mädchen.“, etwas ungehalten, drehte Georgina sich zu ihrer Kameradin herum. Diese hob leicht beschwichtigend die Hände, konnte ein triumphierendes Lächeln jedoch nicht verbergen. „Ihr müsst mir zugestehen, es hätte euch Schlimmeres wiederfahren können. Die anderen Mädchen sprachen bereits böser Zunge hinter Eurem Rücken.“ „Sollen sie. Ich habe niemals verheimlicht meinen Körper in Ehren zu halten.“ „Deshalb sprechen sie so von Euch.“ Deshalb? Georgina verurteile diese armen Geschöpfe keinesfalls. Doch war sie keine von ihnen. Sobald diese Farce beendet war, würde sie in ihr behütetes Leben zurückkehren. Wo man stand in dieser Welt wurde stets vom Zufall entschieden. Und Fortuna war keine gütige Frau. „Natürlich mussten sie reden.“, sie wich einer eindeutigen Antwort aus. „Doch bedenke, auch jetzt werden sie reden. Ein wohlhabender Mann stürzt sich für eine niedere Hure in den Ruin. Es wäre wider der Natur täten sie sich nicht das Maul zerreißen.“ „In Euren Falle wohl Bauerntrampel.“ „Tu nicht, als wüsstest du nicht worauf ich hinaus wolle.“ „Was Ihr sagt, mag der Vernunft entsprechen. Doch, frag ich Euch, seit wann scheren sich Gefühle um Vernunft und Herkunft?“ Lächerlich zu denken, dieser Kerl wäre aus romantischen Interesse an sie heran getreten. Georgina verzog missmutig die Lippen. „Schlussendlich ist es nur ein Mann.“, kühl antwortend erhob Georgina sich. Sie vermied es, ihre gesamte Gestalt im Spiegel zu betrachten und hoffte inständig Sebastians Bemühungen würden auf fruchtbaren Boden fallen. Madame war bekannt, für angemessenes Geld ihr Fleisch und Blut zu verkaufen, doch würde ein spendabler, liebestoller Gentleman ihre Interesse auf Georgina richten? Wäre es ausreichend, um die Dunkelhaarige in ihre Geheimnisse einzuweihen? Während Georgina die Stufen hinab ins Foyer stieg, dessen schwerer Blütenduft sie nach Luft schnappen ließ, schweifte ihr Blick über Sebastians hochgewachsener Gestalt. Das längliche, dunkle Haar war elegant nach hinten gekämmt worden, dennoch fielen etliche Strähnen verwegen um sein schmales Gesicht. Die Kleidung glich jener eines reichen Kaufmannes und eine kleine, runde Brille säumte seine Nase. Sie konnte es nicht leugnen. Er sah wirklich anziehend aus und es wunderte kaum, dass die Huren verstohlen zu ihm hinüber sahen. So manch eine mochte Georgina wohl beneiden. Aus den Augenwinkel erblickte sie jenen Offizier an der Bar, welcher bereits am Vortag an ihrem Tresen gesessen hatte. Er schenkte ihr ein sanftes Lächeln. Hastig wich Georgina seinem Blick aus. Weshalb musste ausgerechnet dieser Mann anwesend sein. Ihre Worte vom Abend mochten nun nur noch leere Silben sein. Wenn ein Gast sie haben konnte, würden auch Andere ihre Gesuche beziffern. Den Blick gesenkt haltend, huschte Georgina zu Sebastian. Dieser neigte im Gruße sachte den Kopf. Sie hingegen schenkte ihm einen kalten Blick. Dann harkte sie sich bei ihm unter und führte ihn schweigend, begleitet von etlichen Blicken hinauf. Im Flur ließ sie von ihm ab und schritt zu einem der Zimmer. Madame hatte ihr das geräumigste zugesagt. Langsam öffnete Georgina die Türe und trat ins Innere. Es war dunkel, und sie hätte längst die Lampen entzünden müssen. Georgina rührte sich nicht. Sie sah nur auf die Dunkelheit und ließ ihren Gedanken freien Lauf. Plötzlich hielt sie inne. Sie konnte keinen Laut hinter sich vernehmen, dennoch spürte sie, dass sie nicht mehr allein war. Sebastian war ihr lautlos gefolgt. „Was wollt Ihr hier?“, fragte sie, ohne sich umzudrehen. „Ich habe mich gefragt, warum Ihr keine Lampe entzündet habt, obwohl die Nacht längst hereingebrochen ist.“, antwortete der Butler gedehnt. Überrascht fuhr Georgina herum: „Ihr wisst, dass meinte ich nicht!“ „Gewiss.“ Sie spürte wie er sich ihr näherte und hielt augenblicklich den Atem an, als erwarte sie eine Berührung. „Ihr fragt Euch, weshalb diese Farce?“, während er sprach, griff Sebastian nach ihrer Hand. „Ihr solltet atmen.“, amüsiert hauchte der Teufel einen Kuss auf ihre Fingerknöchel. „Ich sollte endlich eine Lampe entzünden.“ Sie machte zwei Schritte in die Richtung, in welcher sie die Lampe vermutete, und stieß sich das Schienbein schmerzhaft an einem Stuhl. „Verdammter Mist.“ Sie tastete nach der Sitzfläche und ließ sich darauf sinken. Für einen Augenblick kämpfte sie mit den Tränen. Nicht nur wegen des Schmerzes in ihrem Bein. Seine Hand tastete nach der Ihrigen: „Seid Ihr verletzt?“ Es klang keinesfalls besorgt. Eine schlichte, pflichtbewusste Frage eines Butlers. „Nein, es geht schon.“ „Soll ich Euch führen? Dann kann Euch nichts passieren. Ihr könnt mir vertrauen, ich bin nicht geneigt die Situation auszunutzen.“ „Kann ich das?“, seufzend umfasste Georgina seine Hand und erhob sich. Erst zögernd, dann immer zuversichtlicher ließ sie sich von dem Teufel leiten. Als habe sie es immer getan. „Wer war dieser Mann an der Bar?“, seine Stimme hatte sich in ein vages Flüstern gewandelt. „Ein Gast von Madame. „Er scheint Euch zugetan.“ Sebastian konnte hören, wie Georgina krampfhaft atmete. Natürlich war er das. Ein quälendes Gefühl zwang sich in ihre Eingeweide. Sie ahnte worauf Sebastian hinzielte. „Warum lasst Ihr es nicht zu? Er könnte nützlich sein.“ Sie wandte ihren Blick zu ihm, wollte ihre Hand zurückziehen, doch er festigte seinen Griff und zog sie näher an sich heran. Sie spürte seinen Atmen auf ihren Wangen. „Umschmeichelt ihn. Es wäre klug, sich Optionen offen zu halten.“ Seine freie Hand löste die Haarnadeln, woraufhin ihre Locken auf ihre Schultern wallten. Mit einer harschen Bewegung schlug sie ihm die Haarnadel aus der Hand. „Ich werde keine falschen Erwartungen in diesem Mann wecken.“ Sie wollte sich von ihm distanzieren. Es gelang ihr nicht. Seine Hand hielt sie erbarmungslos in seiner Nähe. Ein zarter Duft von Erde und Darjeeling kitzelte ihre Nase. Wider ihres Willens schlug ihr Herz plötzlich einen Takt schneller gegen ihre Brust. „Ihr solltet Eure Haare offen lassen. Und dies …“, mit einer eleganten Bewegung streifte Sebastian den feinen Stoff ein Stück von ihren Schultern. „… richtet Ihr, sobald ihr ins Foyer zurückkehrt.“ Mürrisch biss Georgina sich auf die Unterlippe, nickte jedoch verstehend. Es sollten noch einige Minuten vergehen, bis der teuflische Butler den Raum verließ. Er hatte sie angewiesen noch einige Zeit zu verweilen ehe auch sie ins Foyer zurückstoßen würde. In Gedanken versunken bückte Georgina sich nach der Haarnadel. Das vorlaute Mädchen hatte wahrlich kein Geschick. Nur eine Nadel zu lösen hatte bereits ausgereicht um ihr die Frisur zu ruinieren. Sachte löste sie die restlichen Haarnadeln aus ihren Locken und schritt durch den Flur zurück ins Foyer. Dort wurde Georgina von dem üblichen Treiben begrüßt. Mit einem kurzen Blick durch den Raum trat sie an ihrem angestammten Platz zurück. „Georgia.“ „Ja. Madame?“, überrascht stotternd, wandte Georgina sich der Älteren herum. Die Bordellbetreiberin schenkte ihr ein anerkennendes Lächeln: „Gute Arbeit, Mädchen.“ „Vielen Dank. Madame.“ Welche Summe hatte dieser wunderliche Butler nur gezahlt? Wie hoch mochte der Preis für diesen zufriedenen Blick gewesen sein? Ein eisiger Schauer übermannte sie. Hastig richtete sie sich das Kleid und griff nach einem Glas Cognac – ungeachtet wem dieses Getränke gehören mochte. Kapitel 14: || List u. Tücke || ------------------------------- Der süße Wein lag schwer auf ihrer Zunge. Manch Einem mochte dieser Saft die Zunge lösen, doch Georgina verspürte eine dämmrige Schwere. Unbemerkt strich sie sich über die trägen Lider. Es fiel ihr schwer den prallenden Gesprächen der Männer zu lauschen, welche sich den Spieltisch versammelt hatten. Georgina stand, die Hände auf der Rückenlehne stützend, hinter einem der Männer. Ein älterer Herr aus niederen Adel. Leicht aufgedunsen war er, dennoch war ihm das Alter gewogen gewesen. Verhalten gähnte die Adelige. Ihr Blick schweifte über ihre Schulter hinweg zur Bar. Maxwell Carrington saß, wie all die Tage zuvor, am Tresen und auch diesmal ruhte der Blick des Count auf ihrer Gestalt. Sie schenkte ihm ein zaghaftes Lächeln, während sie sich an Madames Worte zurück erinnerte. Sebastians Plan war aufgegangen. Madame, bezirzt durch die baren Münzen, hatte Georgina nachdrücklich ihres Postens als Barfrau enthoben. Durchaus gab es genug wohlhabende Männer, welche für das junge Ding zahlen würden. Natürlich hatte Madame nicht versäumt Georgina zur Güte zu führen, wohin eine Absage der Enthebung führen würde. Georgina war gewillt gewesen sich vor die Türe setzten zu lassen, anstatt diese unerträgliche Farce weiter zu mimen. Doch verbat es ihr Stolz sich vor Earl Phantomhive Blöße zu geben, wenn sie dem Bengel gestand, aufgegeben zu haben. Zwei Tage waren seither ins Land gezogen und die Baroness war nicht weiter voran gekommen. Zwar genoss sie Madame Aufmerksamkeit, doch war sie weit davon entfernt eine Vertraute zu sein. „Was geht Euch im Köpfchen umher, meine Liebe.“, die Stimme des wulstigen Mannes drang an ihre Ohren. Kurz darauf spürte sie seine Hand auf der Ihrigen. Hastig unterdrückte sie den Impuls ihre Hände zurück zu ziehen, schenkte ihn stattdessen ein beschwichtigendes Lächeln. „Ich bewundere Euer geschicktes Spiel.“ „Geschicktes Spiel? Ihr scherzt! Seht ich verliere.“, lachend zog er sie, um den Stuhl herum, an sich heran. Diesmal folgte Georgina ihrem Impuls und stemmte sich gegen seinen Griff, als er versuchte sie auf seinen Schoß zu ziehen. Um sein Missfallen abzuschwächen, griff sie nach seinem Weinglas und reichte ihm jenes mit einer kecken Handbewegung: „Nun scheint Euch das Glück an anderer Stelle gewogen.“ Er nahm das Glas, sichtlich etwas pikiert über ihre körperliche Ablehnung, jedoch hoffnungsvoll ob ihrer Worte. Ihre Blick wanderte erneut zum Count, welcher sich zögerlich anschickte zu der kleinen Gruppe zu stoßen. Georgina spürte wie ihr Herz einen leichten Hüpfer machte und ertappte sich bei dem Gedanken ob ihr Äußeres auch ansprechend war. Unmerklich zupfte sie ich ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Ah. Monsieur Noir. Willkommen.“, beinahe überschwänglich winkte Madame den neuen Gast näher heran. Dabei tönte ihre Stimme über die Köpfe ihrer Mädchen und Kunden hinweg. Georgina zuckte zusammen als eine allzu vertraute Stimme antwortete. „Madame. Mir scheint in den wenigen Tagen meiner Abwesenheit, habt Ihr nichts an Eurem Charme eingebüßt.“ Monsieur Noir. Einfallsloser hätte der Butler seine Tarnung nicht nennen können. Ganz seinem Namen entsprechend, war er gänzlich in Schwarz gekleidetet. Es verwunderte Georgina, weshalb Sebastian nicht einfach in seiner Butlerkluft erschien, da sie keinerlei Unterschied zur jetzigen Kleidung feststellen konnte. Was sie veranlasste sich die Frage zu stellen, ob Earl Phantomhive derzeitig keine Verwendung für seinen Bediensteten hatte. Weshalb tauchte dieser vermeiedeite Butler erneut in diesem Etablissement auf ? Sie erhielt prompt eine Antwort, als Madame sie energische herbei winkte: „Meine Liebe komm, nun komm schon.“ „Natürlich Madame.“, sich von dem Spieltisch abwendend, schritt sie zur Sebastian und der Etablissement Herrin hinüber. „Eure Bezahlung nehme ich nachher entgegen, Monsieur.“, während Madame sprach, schob sie Georgina beinahe in Sebastians Arme. Die Dunkelhaarige kam nicht umher sich einem Schlachtschwein nahe zu fühlen. Um nicht gänzlich gegen Sebastians zu stolpern, hob sie abwehrend die Hände und federte ihr Gewicht an dessen Brust ab. Georginas Aktion schweigend beobachtend, nickte Sebastian Madame knapp zu. Wie beim vorherigen Mal geleitete sie wenig später den Butler in die obere Etage hinauf - hin zu der ihr zugewiesenen Kammer. Sie schnappte hörbar nach Luft, kaum hatte sich die Türe hinter dem teuflischen Butler geschlossen. Plötzlich packte sie eine ungewisse Furcht. Sie war alldem nicht mehr gewachsen. Welche Schmach würde ihre Maskerade auffliegen. Ein leises Scharben riss sie aus dem Gedanken. Der Butler hatte sich hinab gebeugt. Er griff nach einem der Kerzenleuchter, welche Georgina in den Zimmerecken platziert hatte um die Schatten zu vertreiben. „Nicht!“, hauchte sie erschrocken, die Hand zu ihm geneigt als wolle sie ihm auf die Distanz hinweg den Leuchter entreißen. „Ich bitte Euch lasst die Kerze dort stehen.“ „Nun, wenn Ihr allein die Ecken erleuchtet, umgibt Euch stets die Dunkelheit.“, erwiderte er fade, kam ihrer Bitte dennoch nach. Es entlockte dem Teufel ein Schmunzeln, während sein Blick bemerkte wie nervös die junge Frau immer wieder an ihrem Kleid zupfte. Als sie sich zusätzlich auf die bemalten Lippen biss, vermochte er ihre Angst beinahe zu greifen. „Ihr weckt mein Interesse.“ „.. was?“, verwirrt huschte ihr Blick zu Sebastian. „Ihr beginnt zu zweifeln.“, er betrachtete sie aufmerksam, „Ihr glaubt nicht daran Eurer Aufgabe gerecht zu werden.“ „Ihr könnt gut reden! Habt Ihr eine Ahnung wie demütigend dieses Spiel ist?“ „Es entspricht Euch nicht.“, stimmte Sebastian Georgina schmal lächelnd zu. „Und was werdet Ihr nun tun?“ „Ein kleines Spielchen?!“, ihr Blick fixierte den teuflischen Butler getränkt im Gedanken einer verzweifelten List. Sie war betrunken. Seine Augen folgten ihren schwankenden Bewegungen, welche mit einem dumpfen Geräusch ihr Ende fanden. Georgina landete mit dem Gesicht voraus in den muffigen Decken des spärlich zusammen gezimmerten Bettes. Er hatte ihr Wein angeboten. Sie hingegen hatte Whiskey gewollt. Ein Fehler, wie sich vier Gläser später herausstellte. „Meint Ihr ich bin betrunken genug?“ „Durchaus etwas zu betrunken. Ihr solltet Euer Kleid wieder anlegen, Baroness.“ Er erinnerte sich, wie sie sich umständlich aus dem Kleid geschält hatte. Die Hitze des Alkohols war scheinbar der Grund gewesen. Nur das Unterkleid war ihr geblieben. Bei seinen Worten rollte sie sich auf ihren Rücken und streckte die Arme in die Höhe. „Nein. Es passt. Es soll keinen Verdacht erregen.“, lallend sah sie zu Sebastian. „Nun helft mir hoch.“ „Ihr brecht Euch den Hals. Oder gar schlimmeres.“ „Er soll mir doch zur Rettung eilen und glaubt mir das wird er.“, murmelnd drehte Georgina sich nun auf die Seite: „Also?“ „Wenn Euch etwas geschieht …“ „Hört auf zu heucheln. Es kümmert Euch nicht und Eurem Herren genauso wenig.“ „Ihr seid klüger als Euer Ruf.“ Warum überraschte ihn Dies nicht? Ihr Blick haftete weiterhin auf seiner Gestalt, fragend, lauernd und wartend. „Schön.“, mit diesen Worten ergriff er ihre Hände und zog sie auf die schwankenden Füße. Die wankende Adelige aus dem Zimmer geleitend, steuerte Sebastian auf die Treppe zu. Am Ansatz hielt er kurz inne, wartete auf Georginas knappes Nicken und schritt - ihr vorausgehend die Treppe -herunter. Georgina zog scharf die Luft ein, dann folgte sie. Ihre Hände klammerten sich haltsuchend an das hölzerne Geländer, als sie vorgab zu stolpern und ungehalten an Sebastian vorbei die letzten Stufen hinab fiel. Abfällig schnaubte der angebliche Monsieur Noir, hob den Fuß an und überstieg die am Boden kauernde Gestalt. Natürlich war dem theatralischen Paar nicht entgangen, dass sie nun die Aufmerksamkeit des Count Carrington hatten. Welcher an den gaffenden Huren vorbei auf Georgina zu lief. Sich neben sie kniend, half er ihr in eine sitzende Position. „Euch ist hoffentlich nichts geschehen?“ „ … seien Sie unbesorgt.“, leise murmelnd, hievte Georgina sich wankend auf die Beine. Der Sturz hatte das Gefühl des Schwindels nur verstärkt und so überkam sie Übelkeit. Jene niederringend, beobachtete sie wie Sebastian Madame bezahlte und schweigend das Etablissement verließ. Auch die anderen Freudendamen wandten sich allmählich von dem Schauspiel ab und wandten sich wieder den Gästen, welche unbeteiligt dem Ganzen zu gesehen hatten. Dankbar Count Carringtons Hilfe annehmend, stützte Georgina sich an den Mann und ließ sich zur Bar führen, was sie vor einer Schellte der Madame rettete. „Ein kühles Bad und Schlaf wären nun das Passende für Euch.“ Georgina winkte ab: „Nüchtern werde ich dies kaum überstehen.“ „Eure kleine Scharade?“ Sein Flüstern war kaum hörbar und dennoch glaubte Georgina es halle an allen Wänden wider. War sie aufgeflogen? „Ihr habt Euch fallen gelassen. Eben auf den Stufen.“ Nun war sie. Dennoch blieb ihre Maskerade unentdeckt. Erleichtert lächelnd, zog sie den Schultern hoch: „Nur so schien ich Eurer Aufmerksamkeit wert.“ „Meinen Gefallen hattet Ihr bereits seit dem ersten Tag.“ Sie kicherte. „Tatsächlich?“ „Wäre ich Euch sonst zur Hilfe geeilt?“ „Womöglich …“, sie neigte leicht den Kopf und taxierte ihn aus dunklen Irden. „Also verratet Ihr mir jetzt, weshalb Ihr dieses Schauspiel für mich gegeben habt?“, fast berührten sich ihre Lippen als er näher heran rutschte. Erneut machte ihr Herz einen Hüpfer. „Der Raum. Ihr erinnert Euch?“, säuselnd tippte sie dem Count gen die Nasenspitze. „Wenn ich Euch behilflich bin, verratet Ihr sie mir dann Euer kleines Geheimnis, weshalb eben jener Raum?“ „Womöglich …“ Kapitel 15: || Phiole || ------------------------ Georgina neigte leicht ihren dunklen Schopf. Sie hatte ihr Kinn, ganz undamenhaft, in der Handfläche platziert und betrachtete interessiert die kleine Glasphiole, die Count Carrington übern den Tisch zu ihr hinüber schob. „Dies ist das Geheimnis des Zimmers. Es ist intensiver als Opium und ebenso rasch einzunehmen wie Morphium. Ich kann Euch nicht sagen, woher es stammte. Doch ist dieses Bordell der einzige Ort, an welchem man es erwerben kann.“ „Und konsumieren?“ „Nein. Madame erlaubt nur Opium in diesem Zimmer. Die Freier sind dann gewillter einen höheren Preis für ihren Besuch zu zahlen.“ „Weil sie völlig benommen sind.“, angewidert richtete Georgina sich zu ihrer vollen Größe auf. Sie hatte den Count zu sich aufs Zimmer gelassen, um ungestört über jenes Geheimnis sprechen zu können. Enttäuschend, fielen die Informationen aus, dennoch hatte die Baroness etwas vorzuweisen. Rasch griff sie nach der Phiole und ließ jene in ihrer Rocktasche verschwinden. Bei Gelegenheit würde sie sich aus dem Haus schleichen. Noch, während sie über die weiteren Schritte nachdachte, wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder zu Count Carrington. „Ich danke Euch.“ „Ihr seid dran, Euern Teil zu erfüllen. Warum dieses Interesse?“ „Neugier.“, ein Lächeln zierte ihre Lippen. Obwohl der Kerzenschein in dem kleinen Zimmer kaum ausreichte um es gänzlich zu erhellen, bemerkte der Adelige welch Schönheit Georgina umgab. Weshalb veranstaltete Baroness Clifford solch ein Schauspiel und gab sich als Freudenmädchen? Er ließ den Blick unauffällig über ihre Gestalt schweifen. Natürlich wusste er, wen er vor sich hatte. Sie mochte ihn nicht kennen, doch ihm war sie bereits auf dem Debütantinnenball aufgefallen. Er hatte seine Nichte an diesem Abend die Ehre erwiesen. Maxwell erinnerte sich, wie die betuchten Damen überrascht die Fächer zückten, als die Bastardtochter des Duke Devonshire den Saal betreten hatte. Es war allgemein angenommen worden, dass Baroness Clifford niemals offiziell in die adelige Gesellschaft eingeführt werden würde. Zwar hatte Devonshire das Mädchen als seine Tochter anerkannt, doch war Georgina schlicht das Produkt einer verfänglichen Liebschaft mit einem Kammermädchen. Ein öffentliches Auftreten könnte einen Schatten auf den Erben, Jonathan Cavendish, werfen. Würde der junge Lord eine passende Gemahlin erwählen können, wenn dieses Weibsbild offiziell dem Hause Cavendish angehörte? Und welch Mann würde diesen Bastard ehelichen? Eine passende Partie würde Baroness Clifford nicht finden, dessen waren sich die Herrschaften sicher. Maxwell Carrington konnte sich dieser Meinung nicht anschließen. Die Baroness war bereits ein anerkannter Teil des Cavendish Blutes. Es war nur eine logische Folge das Mädchen in die Gesellschaft einzuführen. Sie war anmutig und gebildet, wusste sich in der Adelsgesellschaft zu bewegen und ansehnlichen Schönheit. Sicher, eine Lady Welsh war durchaus gesegneter, besaß sie doch prächtiges, hellblondes Haar, eine schmale Taille und blaue Augen so klar wie Quellwasser. Doch war sie ebenso hochnäsig wie berauschend. Solch eine Frau würde nur Probleme verursachen. Eine gute Frau sollte bescheiden sein, ihren Platz kennen und zugleich eine starke Persönlichkeit besitzen. In Maxwells Augen, vermochten nur starke Frauen, starke Erbe heranzuziehen. Georgina Cavendish war eine passende Partie für jeden hochrangigen Adelsmann. Ein Räuspern riss Count Carrington aus seinen euphorischen Gedanken. Etwas verlegen, ließ er seinen Blick von Georgina. „Verzeiht. Ich wollte Euch nicht so unverhohlen anstarren.“ „Oh. Ihr müsst nicht beschämt sein. Ich erkenne dies durchaus als Kompliment an.“ Sie machte sich über ihn lustig. Er sollte gekränkt sein, doch dies machte Baroness nur liebenswerter. Er war Witwer und so schickte es sich, den jüngeren Junggesellen den Vortritt zu lassen. Dennoch konnte er sich der Fantasie nicht erwehren, um ihre Gunst zu buhlen. „Ich wollte Euch nicht kränken.“, erneut ergriff sie das Wort. „Habt Ihr nicht.“, abwehrend hob Maxwell die Hände. Sie lachte leise auf, beließ es jedoch bei seiner Aussage. „Ihr solltet gehen, sonst kassiert Madame ein weiteres Mal.“ Wenige Stunden später schlug Georgina gegen die hölzerne Türe des Dienstboteneingangs. Während Schritte von drinnen hallten, schlug die junge Frau die Kapuze ihres Umhanges zurück. Albern sah sie aus, einem Gaukler vergangener Tage gleich. Wer in solch Kleidung sich traute, der verbarg so manch dunkles Geheimnis. Doch kein Mantel war weit genug gewesen, dieses obszöne Kleid zu verbergen, welches nun seit Tagen ihren Leid schmückte. Sebastian hatte es versäumt ihr passende Kleidung für eventuelle Unternehmungen beizulegen. Sie vermochte sich des Verdachtes nicht erwehren, dass dies keinem Versehen verschuldet war. Ärgerlich schlug sie den Umhang enger um den fröstelnden Körper als endlich die Türe geöffnet wurde und ein verkohltes Gesicht ihr entgegen blickte. War der Butler in den Kamin gestiegen? Rasch räusperte sie sich um ein schallendes Gelächter zu unterbinden. Um eine ausdruckslose Mimik bemüht, nickte sie Sebastian grüßend zu. „Ich habe eine Sache erworben, welche Earl Phantomhive interessieren könnte.“, dabei glitt ihre Hand unter dem Stoff hervor und präsentierte dem teuflischen Butler die Phiole. „Ich werde meinem Herr berichten. Solange bitte ich Euch hier zu warten.“ Mit diesen Worten wollte er die Türe schließen, doch Georgina stemmte einen Fuß dazwischen. Keinesfalls würde sie in dieser Kälte darauf warten, dass Earl Phantomhive gewogen war sie zu empfangen. Sie sah zwar aus wie eine Dirne, doch ließ sie sich nicht wie eine behandeln. Sie war immer noch eine Baroness Clifford. „Ich warte drinnen.“, entschieden zwängte sie sich durch den Türspalt ins Innere. Sebastian, resigniert seufzend, schloss die Türe vollends hinter Baroness und bedeutete der jungen Frau ihm zu folgen. „Wartet in meinem Zimmer. In der Küche ist es durchaus warm, doch ich fürchte dort kann ich nicht für Euer körperliches Wohl garantieren.“ Georgina fragte nicht weiter und so fand sie sich wenige Zeit später erneut auf Sebastians Bettkante wieder, diesmal jedoch war sie gänzlich allein. Allein und unsicher. Wie es üblich war, besaß die Dienstbotenräumlichkeit kein Fenster. Für Licht sorgte eine einzelne Kerze, deren Docht bereits zur Hälfe niedergebrannt war. Bis auf jenen Lichtkegel blieb es dunkel im Raum. Sie atmete tief ein, versuchte die aufkeimende Furcht zu bekämpfen. Dennoch begannen ihre Finger unkontrolliert zu Zittern. Kalter Schweiß befeuchtete ihre Handflächen und Schläfen. Leichter Schwindel überkam sie. Bitterer Magensaft drängte sich ihre Speiseröhre hinauf, ließ einen schwammigen Geschmack der Übelkeit in ihrer Mundhöhle zurück. Georgina schloss die Augen. Über ihr wölbte sich kalter Stein - rechts von ihr, links von ihr - nichts als dunkler, kalter Stein. „Sei nicht närrisch.“, schallte sie sich stumm. Es war nur ein einfacher Raum, kein Vergleich zu dem stinkenden Loch. Sie hatte es überstanden. Hatte überlebt. Warum schnürte sich dann dieses Band durch ihre Eingeweide? Warum musste sie um jeden Atemzug erbittert kämpfen? Wieso gehorchte ihr Körper ihr nicht? Salzige Tränen der Verbitterung und Angst liefen der jungen Frau über die Wangen, während sie sich ihre Augen langsam öffneten. Schweigend lauschte Georgina ihrem wild pochenden Herzen und den Geräuschen in dem großen fremden Haus, welche wie leise Stimmen huschender Gespenster durch das Gemäuer hallten. Plötzlich waren Schritte zu hören. Hastig fuhr sie sich mit den Handrücken über die Wangen und Schläfen. In solch einer Verfassung sollte man sie nicht sehen. Sie trocknete sich gerade ihre Handflächen an dem Stoff ihres Umhanges, als Sebastian ins Zimmer trat und sich leicht verneigte. War ihm nun eingefallen, dass er eine Adelige vor sich hatte? Fragend hob die Dunkelhaarige eine Augenbraue. „Mein junger Herr wünscht Euch beim Dinner zu empfangen.“ „Bitte, was?“, es kam über ihre Lippen noch ehe sie sich ihrer Worte gewahr wurde. Der Earl konnte nicht erwarten, dass sich eine Frau ihres Ranges in solch einem unsittlichen Gewand einem Essen beiwohnte. Hatte dieser Butler seinem Herren nicht die Umstände erläutert? Sebastian schien ihre Gedanken zu erahnen, als er besänftigend die Hände hob: „Er übertrug mir die Aufgabe Euch für das Dinner passabel herzurichten.“ „Wollt Ihr mir wirklich erzählen, es befände sich ein passendes Kleid in diesem Hause?“ Georgina schüttelte den Kopf. Sie mochte es nicht glauben. Über des Butlers Lippen hingegen, legte sich ein verschwörerisches Schmunzeln. „Mir ist aufgefallen, dass ihr von kleiner Statur seid. Nun nicht so schmal wie ein Kind, dennoch dürfte Euch jenes Kleid ausgezeichnet zur Gesicht stehen.“ Immer noch zweifelnd, erhob Baroness sich auf seine Bitte hin und folgte ihm hinauf in die Herrschaftsgemächer. Nun, gänzlich leugnen vermochte sie die Freude nicht, schließlich würde sie diese Hurenkleidern ablegen, wenn auch nur für diesen einen Abend - vorerst. Kapitel 16: || Dinner || ------------------------ In dem bodenlangen, weit ausgestellten zartrosa Kleid empfand Georgina sich gekleidet wie eine Zarin. Es klang albern. Doch nach Nächten in diesen verruchten Kleidern, bot jeder Stofffetzen mehr auf der Haut ein ungeahntes Gefühl der Vollkommenheit. Ein neu gewonnenes Selbstbewusstsein durchströmte Georgina, während sie Sebastian folgend den Speisesaal betrat. Der Tisch war bereits angerichtet worden, ein zusätzlichen Gedeck hatte seinen Platz gegenüber des Earls gefunden und ließ erahnen, dass Georginas Erscheinen unpassend gewählt worden war. Besagte straffte die Schultern und hob ihren gerafften Überrock dezent an, während sie Ciel Phantomhive grüßend, jedoch knapp, zunickte. Der Earl hatte sich schweigend erhoben, darauf wartend, dass sich sein Gast gesetzt hatte, ehe er sich ebenfalls setzte. Sein Blick glitt über die sich ihm bietende Erscheinung. Unwillkürlich kräuselte er die Lippen, diesem Kleid hafteten keine schönen Erinnerungen an und er spürte geradezu wie Sebastian ihn mit der Wahl jenes Kleid für die Baroness verhöhnte. Die lockigen, schwarzen Haare hatte sein Butler zu einem langen Zopf geflochten, welcher nun spielerisch, neckend über Georginas Schulter lag und der Baroness einen kindlich, femininen Ausdruck verlieh. Der ihm geltende prüfende Blick hingegen, war jener einer Frau - einer scharfsinnigen jungen Frau. Ihr war seine Gefühlsregung nicht entgangen und so schlussfolgerte sie richtig, als sie diese Regung auf das Kleid zurückführte. Mit einem dezent süffisanten Lächeln auf ihren Lippen, wandte Baroness sich dem teuflischen Butler zu: „Eine amüsante Geschichte, nehme ich an?“ „Für wahr.“, erwiderte Sebastian, während er sich zur Baroness herunter beugte und hinzufügte: „Dieses Kleid gesteht Euch durchaus besser zur Gesicht.“ Sein Flüstern klang wenig schmeichelhaft, dennoch jagte es Georgina einen wohligen Schauer über den Rücken. Just ertappte sie sich bei Gedanken, welch Verzücken Count Carrington bei ihrer derzeitigen Erscheinung empfinden würde. Ihr Herz machte einen kleinen Hüpfer. Wenn diese Scharade endlich beendet sein würde, dann könne sie ihm formell gegenübertreten als Baroness Clifford. „Nun Baroness, welchen Umstand verdanke ich Euren Besuch?“, räuspernd ergriff Earl Phantomhive nun das Wort und signalisierte seinem Butler, dieser solle es nicht wagen aus dem Nähkästchen zu plaudern. „Ich habe dies erhalten. Es ist kein Opium. Dennoch sind Madame’s Kunden gewillt viel Geld dafür zu zahlen.“, mehr vermochte Georgina Ciel nicht zu berichten, stattdessen überreichte sie Sebastian die Phiole. Ihr Blick folgte dem Butler, der jene Phiole seinem jungen Herrn überreichte. Der Jüngling betrachtete das Behältnis schweigend, ehe er es Sebastian zurück in die Hand legte. „Bring die Phiole Lady Sullivan. Sie soll sich den Inhalt ansehen, vielleicht kann sie uns sagen, was sich dahinter verbirgt.” „Jawohl, junger Herr.“ Sebastian verneigte sich leicht, ehe er sich abwandte um das Dinner zu servieren. Auch jetzt noch verfolgten ihn Georginas Blicke. Wer war diese Sullivan? Vermochte sie tatsächlich zu erkennen um welche Substanz es sich handelte und weshalb die Menschen dafür zahlten? In ihren Gedanken versunken, begann Georgina an ihrer Unterlippe zu nagen. Wie lange würde sie noch in diesem Bordell verbleiben müssen? Ciel schien ihre Gedanken zu erahnen, als seine Stimme in Georginas Bewusstsein drang: „Bald werden Baroness dieses Etablissement verlassen dürfen.“ „Bald - eine vage Aussage.“, murmelte sie missmutig, während sie Sebastian beim Weineinschank betrachtete. In ihren Augen hatte sie ihre Schuldigkeit getan. Alles Weitere lag nun beim Wachhund ihrer Majestät. Sie vermisste ihre Dienerschaft, warme Bäder, passable Kleider und vor allem ihr Himmelbett. Georgina wollte ihre Würde zurück. Sich ihrer Frustration ergebend, griff sie nach ihrem Weinglas und leerte dies - ungeachtet der tadelnden Blicke ihres Gastgebers - in einem raschen Zug. Der Butler unterließ es, das Glas erneut zu füllen, ergriff stattdessen eine Karaffe mit klaren Wasser. „Sobald wir wissen welch Substanz sich in dieser Phiole befindet und die genauen Hintergründe dieser Kurierdienste verstehen. Die Bordellwirtin betreibt einen enormen Aufwand. Und sie beginnt Spuren zu beseitigen. Ein Grund mehr, dieser Frau auf die Schliche zu kommen. Meint Ihr nicht auf Baroness?“ „Spuren beseitigen?“, erahnend welch Antwort folgen würde, biss Georgina sich unsanft auf die Zungenspitze. Dennoch vermochte sie es nicht zu verhindern, dass sie entsetzt erblasste, als Ciel Phantomhive erwiderte: „Man fand bereits Leichen. Menschen, welche ebenfalls eine Verbindung zu Madame aufwiesen.“ „Adam…” Die junge Adelige griff erneut nach ihrem Weinglas, hielt jedoch inne und entriss Sebastian forsch die Wasserkaraffe. „Glaubt Ihr, Earl, mein Stallbursche könne gefährdet sein?“ „Völlig auszuschließen, ist es nicht.“ „Baroness?!“, räusperte Sebastian sich, bedeutete Georgina die Glaskaraffe wieder in seine Obhut zu geben, ehe er Georginas Weinglas mit Wasser füllte. Was würde geschehen, sollte ihre Tarnung auffliegen und Madame ihr kleines Spielchen durchschauen? Nein. Sie wollte keinesfalls solch ein schreckliches Ereignis erneut erleben. Unbewusst fuhr ihre Hand an ihren Hals und umschloss diesen sanft. Es kostete sie einige Beherrschung ihre Panik niederzuringen und sich dem servierten Essen zu widmen. Die vorrangegangene Euphorie war einem beklemmenden, dumpfen Gefühl gewichen. Georgina saß, das Kinn auf den angezogenen Knie stützend, auf den Stufen des Dienstbodeneingangs und starrte in die trübe Nebelsuppe, welche sich wie eine Wolldecke über London gelegt hatte. Seufzend zog sie den Umhang enger an ihren Körper. In diesem dichten Nebel war es beinahe unmöglich sicher einen Fuß vor den anderen zu setzen und so war Georgina resigniert auf die Stufen gesunken. „Ihr solltet im Haus auf den Rückgang des Nebels warten, Baroness.“ Sebastians Stimme drang gedämpft in ihr Bewusstsein und so dauerte es einige Sekunden bis sie mit einem leichten Nicken reagierte. Trotz jenes Nickens verharrte Georgina in ihrer sitzenden Haltung. Statt erneut zu versuchen die Baroness zu bewegen ins Innere zu kommen, platzierte Sebastian sich im Türrahmen. Der Butler entschied sich solange zu warten bis Baroness Clifford von Selbst seinem Vorschlag nachkam. Die junge Frau zog sie Schultern an und schloss die Augen. Zu gern hätte Sebastian nun ihre Gedanken erraten. Nach ihrer Reaktion im Speisesaal zu urteilen, zerrte ihr kleiner Auftrag an ihrer Psyche. Eine süße Verlockung dieser Unsicherheit weiteren Nährboden zu bieten. Sachte berührten seine Fingerspitzen ihre Schulter. Er spürte wie sie unter seiner Berührung zusammenschrak. „Der Nebel wird sich nicht vor Morgen lichten. Ihr solltet ins Haus kommen, ehe Ihr krank werdet, Baroness.“ Kapitel 17: || liebliche Schwere || ----------------------------------- Wie es schien sollte Sebastian recht behalten, der dichte Nebel würde sich an diesem Abend nicht mehr legen. Ein seichter Dunst hatte ihre Kleidung und Haut benetzt, woraufhin Georgina die Augen zitternd schloss und ihre Knie an den Rumpf zog, beinahe vollständig in dem Mantel versinkend. Die mühevoll hergerichteten Haare fielen dabei aus ihrer Form - sehr zu Sebastians Missfallen. „Im Nebel liegt eine gefährliche, verlockende Geborgenheit, nicht wahr?“ Den Worten der Baroness folgend, legte sich ein schmales, fades Lächeln auf seine Lippen: „Ihr seid erschöpft. Ihr solltet …“ „Ihr seid erschöpft, junger Herr.“ Der Einwand des alten Butlers erreichte ihn nicht. Weiterhin kullerten dicke Tränen des Zornes über die sommersprossigen Wangen. Grüne Irden blickten ihn aus seinem Spiegelbild im Fluss entgegen. … Georgina entfuhr ein überraschter Schrei. Die junge Adelige war seitlich gekippt und hätte wohl eine schmerzliche Begegnung mit den steinernen Stufen gehabt, wäre der Butler der Phantomhive ihr nicht zur Hilfe geeilt. Mit beiden Händen nach ihren Schultern greifend, unterband er den unweigerlichen Sturz. „Ihr solltet nun wirklich ins Haus kommen, Baroness.“, es klang mehr wie ein Befehl als eine besorgte Bitte und so war Georgina gewillt, seine Bemühung barsch abzuweisen. Doch seinen Worten verlieh der kräftige Griff seiner Hände Nachdruck. Georgina blieb nichts anderes als sich brav auf die Beine aufrichten, um sich von Sebastian in eins der etlichen Gästezimmer des Anwesens geleiten zu lassen. Für die prachtvolle Ausstattung hatte die Dunkelhaarige allerdings wenig Sinn. Ihre Gedanken kreisten um den plötzlichen Tagtraum - nein viel mehr war es eine Erinnerung gewesen. Wie damals im Freudenhaus hatte sich dieser kurze Moment beängstigend real angefühlt, als wäre es ihr persönliches Erlebnis gewesen. Sie war sich sicher, dass es sich nur um Phantasien ihrer angespannten Nerven handeln konnte. Ihre Alpträume suchten sie bereits im wachen Zustand heim. „Es wird sich legen, wenn dies Alles überstanden ist.“, stumm glitt ihr Blick zum Spiegel. Sebastian hatte begonnen die Bänder aus ihrem Haar zu binden. Strähne für Strähne fielen die schwarzen Locken neckend über Schulter und Rücken. Sie sollte ihn tadeln. Schließlich war dies die Aufgabe eines Kammermädchens. Doch auch als Sebastian die Schnüre ihres Kleides öffnete und mit dem Wissen, dass er sie bereits in dieses Kleid geschnürt hatte, ließ Georgina es schweigend geschehen. Bedächtig wiegte sie ihren Kopf - nach links, nach rechts. Einem vertrauten Gefühl folgend, schloss sie die Augen. Sie spürte des rauen Stoff des Butlers Handschuhe über die Arme, die Seiten zur Taille hinab gleiten, als er den Stoff von ihrem Körper löste. Als das Korsett zu Boden fiel, atmete sie tief ein, erleichtert ihre Rippen wieder an rechter Stelle zu wissen. Einen Spalt breit hoben sich ihre Lider. Im Spiegel erblickte sie ihre Gestalt, gehüllt in ihrem weißen Unterkleid. Nur ein Hauch von Stoff, welcher ihre Blöße verbarg. Der Butler bemerkte ihren Blick und erwiderte jenen, wobei Georgina beschwören konnte, dass seine Irden intensiver, rötlicher schimmerten als es für einen Menschen natürlich war. Sie sollte keine Zeit erhalten darüber zu sinnieren. Der teuflische Butler lenkte sie zum Bett hinüber. Dort sank sie auf die Bettkante, verharrte kurz sitzend, ehe sie rücklings in die Laken sank. Sebastian indes zog ihr die Schuhe von den Füßen und schälte die Seidenstrümpfe von ihrer blassen Haut. Ihr Atem ging flach. Ruhig sank und hob sich ihr Brustkorb, während er ihre Beine über die Kante, unter die Bettdecke hob. Sein glimmender Blick tastete sich über die schlafende Frau, welche kaum größer als sein junger Herr war. Und nicht äußerlich ähnelte sie Earl Phantomhive. Ihre Seele war ebenso gläsern, ebenso zerbrechlich. Während er belustigt über diese Tatsache seine Fingerkuppen über ihre weichen Lippen tanzen ließ, drängte sich erneut dieses schwere Gefühl in seinen Geist. Sobald der Teufel jedoch danach greifen wollte, entzog es sich ihm. Seine Hand legte sich auf Georginas Hals. Langsam beugte der Butler sich zur Baroness - warum roch sie so vertraut und dennoch befremdlich? Wenn er kosten würde, würde er es verstehen? Ihr Atem umschmeichelte seine kalten Lippen. Nur noch wenige Zentimeter trennten ihre Münder voneinander. Doch, wenn es ihm mundete, würde er nicht mehr aufhören können, bis er sie vollends verschlungen hatte. Dies würde zweifelslos seinen Prinzipien widersprechen. Schließlich brauchte der junge Herr diese Schachfigur noch. Sanft leckte der teuflische Butler über ihren Mund ehe er sich endgültig zurückzog. Kaum war die Türe zum Gästezimmer hinter Sebastian ins Schloss gefallen, rollte Georgina sich hastig herum, die Bettdecke zum Kinn hinauf ziehend. Ihre Finger tasteten dabei zittrig über ihre Lippen. Jene Stelle, welche Sebastians Zunge berührt hatte, kribbelte unaufhörlich. Sie hatte nicht gewagt sich zu regen, als sie seine Gestalt so nahe über sich gebeugt gespürt hatte, aus Furcht diese glühenden Augen würden sich in die Tiefe reißen. Kapitel 18: || Platzzuweisung || -------------------------------- Schweigend tastete sie über den samtigen Stoff. Es war eines der ihrigen Kleider. Kein geliehenes Gewand oder eines dieser verruchten Röcke, nein, es war das eigens für sie angefertigtes Kleid. Das Dienstmädchen der Phantomhive hatte ihre Haare in einen hohen Zopf stecken wollen, doch Georginas Entscheidung war eine andere gewesen. So wallte das dunkle lockige Haar über ihre Schultern und umrahmte das blasse Gesicht. Hatte jenes Kleid des Vorabends sie noch mit Selbstbewusstsein und neuem Schwung erfüllt, so durchströmte sie nun eine unerschütterliche Ruhe und Geborgenheit. Seit langem sah sie im Spiegel, jene Adelige: Baroness Georgina Clifford. Keine Frau hinter einer Maske, die zum Spielball des Earl Phantomhive geworden war. Natürlich wollte sie Adam helfen, auch um ihretwillen. Um den Familiennamen zu schützen. Jener Familie, welche sie trotz ihrer Herkunft als eine die Ihren angenommen hatte. Adam war ein treuer Diener der Familie, solch einen ungerechtfertigten Skandal um seine Person hatte der Junge nicht verdient. Mit einem letzten Glätten ihres azurblauen Rockes wandte Georgina sich vom Spiegel ab ehe sie aus dem Zimmer schritt. Georgina passierte gerade die Treppe ins untere Stockwerk als ein ohrenbetäubender Krach das Anwesen erschütterte. Die Stufe unter ihren Füßen schien leicht zu erbeben, während sie sich hastig mit beiden Händen an den Handlauf klammerte. Kurz darauf erhalten wilde Rufe durch die Foyerhalle, als Sebastian aus einem der Räume trat. Nach seiner Mimik zu urteilen, war er wenig begeistert von diesem - scheinbar allzu vertrauen - Zwischenfall. Ein kurzer Blick galt ihr, während er an der Treppe vorbei in den hinteren Teil des Hauses verschwand. Sie verharrte noch eine Weile auf der Stufe, dann überwand sie die Restlichen, lenkte ihren Schritt in jene Richtung aus welcher Sebastian gekommen war und betrat mit ausholenden Schritten das Zimmer. Ciel Phantomhive saß über ein Schachbrett gebeugt, dessen Spiel in wenigen Zügen zu seinen Gunsten enden würde. Schweigend hielt Georgina inne, das Eigenspiel des Earls beobachtend. Sie war niemals eine gute Schachspielerin gewesen. So erinnerte sie sich, wie Duke Devonshire sie stets nach wenigen Zügen matt gesetzt hatte. Auch in all den darauffolgenden Jahren war es ihr nicht gelungen ihren Vater zu besiegen. Jonathan hingegen, … ein Schmunzeln huschte über ihre Lippen. Ciel setzte indessen seinen letzten Zug, woraufhin der weiße König zu Boden fiel und gen Georginas Füßen rollte. Sie beugte sich danach: „Gegen sich allein zu spielen, bringt nur einen Vorteil. Man kennt den nächsten Zug bereits.“ „Oder ist es nicht eher so, dass man immer einen Schritt hinterher hinkt?“, interessiert sein Kinn auf die Handfläche stützend, streckte er ihr die freie Hand hin um die Schachfigur entgegen zu nehmen. „Da stellt sich mir die Frage, wem hinkt Ihr wohl hinterher, Earl?“ „Eine neue Droge. Ein Bordell als Umschlagsplatz. Die Botenjungen, deren Schweigen mit wenigen Münzen erkauft wurde. Was fehlt, Baroness?“ „Die Lieferanten. Der Verkäufer. Die Konsumenten. Doch, ein Puzzleteil fehlt?.“ „Der Produzent. Und wir wissen derzeitig immer noch nicht, aus welchen Substanzen es besteht und wie es tatsächlich wirkt.“ Nachdenklich neigte Georgina den dunkelhaarigen Schopf: „Wie mag der Wachhund Ihrer Majestät diesem letzten Geheimnis auf die Spur kommen? “ „Es ist wie im Schach, Baroness. Ihr könnt nicht gewinnen, wenn Eure Figuren nicht auf den richtigen Platz setzt.“, mit diesen Worten setzte Ciel den König zurück aufs Brett. „Und Euer Platz, Baroness, ist derzeitig in diesem Freudenhaus. Madam ist der Punkt an welchem alle Fäden zusammenführen. Sie wird uns restlichen Antworten liefern.“ „Und ich soll Madame den passenden Impuls geben?“ „Wenn nötig werdet Ihr Madame die Pistole auf die Brust legen!“, erwiderte Ciel kühl. „Seid Ihr sicher, dass eine Frau dem gerecht wird?“, kaum hatte Georgina die Worte gesprochen, hielt sie sich auch schon die Hand vor den Mund. „Ihr besitzt wahrlich das Mundwerk eines Straßenköters.“ Sebastian trat, sich etwas Rus aus dem Gesicht reibend, ins Zimmer. Sein Blick wanderte taxierten über die beiden Adeligen. „Die Kutsche steht bereit, Baroness.“ „Ihr werdet mich begleiten?“, argwöhnisch wispernd, verschränkte Georgina die Arme. „Ich werde Euch zurück bringen, Baroness. Doch vorher werden wir noch eine Erkundung einholen.“ Kapitel 19: || Erheiterung und Ernüchterung || ---------------------------------------------- Georgina presste die Lippen grimmig zusammen. In diesem Moment wollte sie wahrlich alles, nur nicht in dieser Kutsche sitzen. Und unter keinen Umständen mit diesem süffisant grinsenden Butler. Mit einer energischen Bewegung schob sie den Vorhang beiseite, um einen Blick auf die vorbei gleitende Stadt zu werfen, welche sie seit wenigen Minuten passierten. Wo mochte sich dieser ominöse Zwischenhalt wohl befinden? Bisher hatte Georgina Sebastian nur einen Namen entlocken können. Miss Sullivan. Nun damit konnte die Dunkelhaarige keine vielsagenden Schlüsse ziehen, außer dass sie wohl besagte Miss aufsuchen würden. Diese würde demnach Informationen für Sebastian und somit auch für den jungen Earl Phantomhive haben. Doch um welche Information mochte es sich handeln? Und was hatte sie, Baroness Clifford, damit zu schaffen? „Nun sagt mir wenigstens, was Ihr Euch von dieser Miss Sullivan erhofft!“, forderte sie nun nachdrücklich. „Bedaure, dies kann ich Euch leider nicht sagen.“ „Tz.“, natürlich konnte er - wollen, wollte er nicht! Es bereitete ihn vergnügen die Adelige in Unwissenheit zu lassen. Sicher amüsierte er sich über ihre kindliche Unruhe und dem schmollenden Gesicht, welches sich nun zu ihm wandte. Trotzig sank sie tiefer in die Sitze. Dieses Spielchen frustrierte sie. Hatte sie nicht ein Anrecht eingeweiht zu werden, wenn sie sich schon diesen elenden Gefallen für den Earl nachkam? Vergebende Liebesmüh! Ihre Gedanken kreisten um sich selbst und letztendlich brachten sie keine Veränderung. Seufzend schloss Georgina die Augen. Wenn sich dieses Puzzle endlich vervollständigte, wäre sie endlich … „ … frei.“, seine Stimme riss sie augenblicklich aus ihren Gedanken. Sein Blick taxierte sie eindringlich. Scheinbar hatte er das Wort an sie gerichtet, was ihr vollkommen entgangen war. Allerdings war sie ebenso stolz wie aufmüpfig und so nickte sie nur zustimmend, hoffend es nicht bereuen zu müssen. Sebastian schwieg. Um ihre aufkeimende Unsicherheit zu überspielen, ergriff Georgina rasch das Wort: „Sind nun bald dort?“ „Ihr werdet es gleich wissen, Baroness.“ Augenblicke später hielt die Kutsche vor einem unauffälligen Gebäude. Tatsächlich bot es den vertrauten Anblick jener Londoner Häuser. Nur etwas abseits, leicht entrückt, stand es und wirkte auf den ersten Blick wie das Lebkuchenhaus einer bösen Hexe. Das sich hinter den Mauern keine bösartige, verschrumpelte Alte verbergen sollte, erfuhr Georgina als ein hochgewachsener, mürrisch dreinsehender Mann die Türe öffnete. Sein Englisch war gebrochen und wies einen deutlichen Akzent auf. Er stammt demnach nicht aus dem Empire. Als er Georgina hinter Sebastian erblickte, zog er die Augenbrauen zusammen. Die folgenden Worte, welche er dabei an Sebastian richtete, vermochte Georgina nicht zu entschlüsseln. Nach ihrem Klang zu urteilen, waren es wohl deutsche Worte. Schroffe, deutsche Silben. Ungeduldig begann sie mit den Füßen zu tippeln. Weshalb waren sie denn nun hier? Und was um Himmels willen dauerte solange? Der Butler störte sich nicht weiter an der Unruhe der Baroness, stattdessen wechselte er rasche Worte mit dem Deutschen ehe er Georgina mit einem Winken bedeutete, ihnen zu folgen. Drinnen erwartete die Adelige eine Ansammlung von Gerätschaften, Regalen und Gläsern, dessen Funktion ihr völlig unbekannt waren. In mitten dieses kleinen Chaos beugte sich ein junges Mädchen über einen breiten Tisch. Zu Georginas entsetzten, stützte das Fräulein unterhalb ihrer Taille ein spinnenartiges Konstrukt, das es ihr wohl erlaubte zu laufen. Weshalb dies nicht auch ihre eigene Beine tun konnten, entzog sich Georginas Kenntnissen. Als das seltsame Mädchen ihre Gäste bemerkte, hob sie ruckartig den Kopf uns lächelte Sebastian freudig entgege: „Sebastian. Schickt Ciel dich?“ Ihr Englisch war ebenso wenig akzentfrei wie dies ihres Butlers, dennoch sprach sie geschickter. „Habt Ihr schon ein Ergebnis?“, ohne große Floskeln richtete der schwarze Butler sich an Miss Sullivan. Tatsächlich hatte Jene sich über den Inhalt einer Phiole gebeugt, welche Georgina nur allzu vertraut war. Doch wie war diese Phiole so schnell an solch einen Ort gelangt? Bei dem dichten Neben des Vorabends hatte kaum Jemand den Weg nach London unbeschadet überstanden. Nicht nur der unebene Weg, auch Banditen wussten den Nebel für ihre Schandtaten zu nutzen. Noch ehe die Baroness genauer darüber nachdenken konnte, erklang Miss Sullivans Antwort: „Ich bin erst in den frühen Morgenstunden mit meinen Forschungen fertig geworden.“ Sie hielt kurz inne, wandte ihren Blick neugierig fragend zu Georgina, ehe sie fortfuhr: „Ich habe es an Wolfram getestet. Es scheint stimulierend zu sein. Anders als Opium oder Morphium, die eine beruhigende Wirkung haben, ist es aufheiternd. Er war für einige Zeit völlig aufgedreht. Bis die Wirkung nachließ. Es ebbt so rasant ab, dass man geneigt es erneut den Rausch zu suchen.“ „Kein Wunder, dass Madams Kundschaft stetig anwächst.“, murmelnd neigte Georgina ihren dunklen Schopf und schielte zu Sebastian hinauf, der interessiert den Worten Sullivans lauschte. Allmählich zeichnete sich ein deutliches Bild der Geschehnisse ab, auch ahnte die Adelige weshalb Menschen bereit waren für dieses Mittelchen zu töten. So ein lukratives Gut wollte man sich bewahren, besonders Madam profitierte von den Rausch und den immer wiederkehrenden Männern, welche keinesfalls allein wegen der leichten Damen kamen. Wo war Adam da nur hinein geraten? Kapitel 20: || Vision u. Rückkehr || ------------------------------------ Ihren Rock abhebend, stieg Georgina aus der Kutsche. Für einen Augenblick hielt sie zögerlich inne. Wenn sie umkehren würde, wieder in die Kutsche steigen täte, dann wäre es möglich einfach zurück ans elterliche Anwesen zu fahren. Sie war sich sicher, dass ein Earl Phantomhive diesen Fall nun auch ohne ihre Beteiligung lösen würde. Es wäre kein Verrat an dem Versprechen, das sie Adam gab. Schließlich hatte sie doch ihr Bestmöglichstes getan. Natürlich Adam war ein tüchtiger Bursche und loyaler Bediensteter, doch war sie ihm wirklich so viel schuldig? Sie hatte bereits jetzt schon mehr getan, als man einem einfachen Dienstburschen zugestehen konnte. Plötzlich spürte sie den leichten Druck von Sebastians Hand, welche er ihr zum Aussteigen dargeboten hatte. Es schien fast so, als habe er ihr Zögern richtig gedeutet. Georgina zweifelte nicht daran, dass der Butler sie zurückhalten würde, wenn sie ihren Gedanken Taten folgen ließ. Resignierend biss die Adelige sich auf die Unterlippe, während der Kutscher hinter ihr den Verschlag schloss und Sebastian sich anschickte sie ins Haus zu führen. Es wäre wohl angemessen gewesen, wäre sie durch den Boteneingang hinein geschlichen. Dennoch führte Sebastian sie durch den Haupttüre. Kaum hatte das ungleiche Paar die Türschwelle passiert, rauschte Madam herbei. Der unversöhnliche Ausdruck auf ihrem Gesicht, ließ Georgina erschaudern. Madame hatte die Lippen zu einem schmalen Strich zusammengepresst, ihre Augen funkelten wütenden - trotzdem klang ihre Stimme so geschäftlich wie immer, als sie an die Ankömmlinge heran trat. „Du bist ohne meiner Kenntnis deiner Arbeit ferngeblieben.“, wandte sie sich prompt an Georgina. Die Schwarzhaarige senkte den Blick. Nun musste sie sich von dieser Person auch noch maßregeln lassen. Sollte Madame sie doch hinauswerfen, dann könne sie mit ihrem verbliebenen Rest Würde heimkehren. Ehe Georgina das Wort ergreifen konnte, mischte Sebastian sich ins Gespräch. „Es ist mein Verschulden, Madame. Ich habe sie gedrängt mich zu begleiten. Natürlich werde ich Euch für dieses Extra angemessen entschädigen.“, damit schenkte er Madam ein gewinnendes Lächeln und zückte die versprochene Summe. Beschwichtigt neigte Madame den Kopf und bedeutete Georgina an ihre Arbeit zu gehen: „Das es mir nicht wieder vorkommt!“ „Wenn die Summe stimmt, würde sie ihr eigenes Kind verkaufen.“, lachte Sebastian dunkel. Er hatte Georginas Hand ergriffen und führte sie durch die schäkernden Freier zu den Zimmern hinauf. Während sie ihm widerwillig folgte, erhaschte sie ein vertrautes Gesicht in der Menge. Überrascht machte ihr Herz einen freudigen Sprung, als auch Maxwell Carrington sie erblickte. Der Count prostete ihr augenzwinkernd entgegen, woraufhin sie verlegen den Blick abwandte. Ihr schien es als glühten ihre Wangen. Unmerklich federte ihr Schritt, wie jener eines freudig erregten Kindes. Dem Butler blieb diese Regung in ihrem Verhalten nicht verborgen. Als sie den vertrauten, kleinen Raum betreten hatten, lachte er rau auf: „Er macht Euch schöne Augen und Ihr verhaltet Euch wie ein Kind, dem man eine Süßigkeit anbietet.“ „Er ist charmant. Was soll falsch daran sein, wenn ich seine Gesellschaft genieße?“, trotzig warf sie Sebastian einen wütenden Blick zu. „Seid nicht naiv. Er ist dennoch schlicht ein Mann. Und Ihr seid gerade nichts weiter als eine Hure, also gebt Euch nicht zu sehr Euren seichten Gefühlen hin.“ „Ich danke Euch um Eure Sorge.“, es klang zynisch und amüsierte Sebastian nur umso mehr. Er beließ es dabei und griff stattdessen nach ihrem Mantel. Die Baroness hatte sich geweigert, das Kleid zu wechseln und so würde er ihr aus dem sittsamen Gewand helfen, ehe sie wieder in ihre laszive Arbeitskleidung stieg. Es ziemte sich nicht, doch er wollte keines der Mädchen rufen. Er genoss es, dieser Frau, die seinem Herren so ähnlich war, dieses Unbehagen zu bereiten. Ihr Blick haftete wehmütig auf ihrem Spiegelbild, welches sich unter seinen Händen langsam aus dem Kleid schälte. Während er ihre Frisur löste, flackerte plötzlich ihr Blick ... ... seine Hand glitten spielerisch über ihre Seite, als auch der letzte Stoff von ihrer samtigen Haut gefallen war. Freudig und zugleich leicht beschämt, kicherte sie. Ihre Augen folgten seinen Bewegungen im Spiegel - wie er ihr das Haar aus dem Nacken streifte und seine Lippen über ihre Halsbeuge wandern ließ. Immer wieder wurde diese Wanderung durch sanfte, fordernde Küsse unterbrochen. Sie spürte seinen warmen Körper, der sich gegen ihren Rücken drängte. Sein heißer Atem stimulierte ihre Haut und jagte ihr einen Schauer über den nackten Körper. Verhalten keuchte sie. Seine Hand strich über die Innenseite ihres Oberschenkels unaufhaltsam hinauf ... ... keuchend schlug Georgina die Arme vor die Brust. Im Spiegel blickte ihr nun wieder das eigene Antlitz entgegen. Zu ihrer Erleichterung war der Rest ebenso ihrer und keinesfalls nackt. „Was ist geschehen? Was hat Euch so erregt?“, Sebastians Stimme riss Georgina vollständig zurück in die Realität. Hatte man ihr diese Bilder, diese Vision, ansehen können? Wenn dem so war, was hatte sie getan? „Eure Augen waren geschlossen und Euch entfloh ein sinnlicher Laut.“, antwortete der Butler auf ihr Nachhaken hin. „Sinnlicher Laut?“, nachdenklich murmelnd, runzelte Georgina die Stirn. Also hatte ihr Körper auf das Gesehene reagiert. Wäre es etwas anderes gewesen - zum Beispiel ein Sturz, hätte sie womöglich den Schmerz ebenso empfunden? Was geschah mit ihr? War es dem Stress zu verschulden. Ein sanfter Druck in ihrem Nacken bewog sie die Augen zu schließen. Genüsslich lehnte sie sich zurück, während die Finger des Teufels ihre Wirbelsäule entlang glitten. „Soll ich Euch diesen Laut entlocken?“, seine tiefe Stimme traf ihr Ohr. Ruckartig öffneten sich ihre Augen. Sie wirbelte herum, funkelte ihn mit diesen stolzen dunklen Augen an, in denen sich langsam ein phosphoreszierendes Grün legte. Als jenes Grün auf das glühende Rot seiner Irden traf, erlosch es augenblicklich. „Wagt es nicht.“ „Habt Ihr Euch nicht gefragt, wie es wohl wäre?“ „Ihr wagt Euch zu viel, Butler.“ „Verzeiht, Baroness.“, spöttisch lächelnd, verneigte er sich vor der Adeligen. Ihr mochten die unnatürliche Wandlung ihrer Augen entgangen sein, dafür waren sie ihm nur zu deutlich begegnet. Dieser Mensch steckte voller Überraschungen. Earl Ciel Phantomhive. Georgina Cavendish, Baroness von Clifford. Er würde seine pure Freude an diesen Sterblichen haben. Kapitel 21: || Geständnis u. Verfolgung || ------------------------------------------ „Ich muss Euch gestehen, es kränkt mich Euch mit diesen Herren zu sehen.“ Georgina hob, begleitet von einem milden Lächeln, den Blick: „Ihr treibt ein böses Spiel mit meinem Herzen, Count Carrington.“ Es waren wenige Stunden seit ihrer Rückkehr vergangen. Die Baroness hatte ihren Platz an der Bar wieder eingenommen und ebenso lange beobachtete der Adelige die junge Frau bereits. Mit jeder Minuten, die verstrich, viel es Georgina schwerer ihre Nervosität zu verbergen. So oft sie ihren Puls auch bitten mochte nicht so zu rasen, ihr Herz machte bei jedem Blick des Count einen heftigen Sprung. „Mitnichten! Meine Worte entspringen ehrlichen Gedanken.“, seine Worte untermauernd, beugte Count Carrington sich zu Georgina, die ihm lediglich einen verlegenen Blick schenkte um sich rasch abzuwenden. Vielleicht war sie lediglich von seiner Interesse geschmeichelt. Solch offene Schmeicheleien waren ihr bisher unbekannt. Und so vermochte sie nicht damit umzugehen, geschweige denn seine Interesse richtig zu deuten. Wenn sie sich nun zum ihm hingezogen fühlte und sein Begehren von gänzlich anderer Natur war, würde ihr dies nicht das Herz brechen? Und wenn dieses Herzrasen ein Zeugnis von Zuneigung war, wie sollte sie dann das süße Wohlergehen einordnen, welches jener Butler in ihr auszulösen vermochte? Verärgert über ihre eigene Unsicherheit biss Georgina sich auf die Unterlippe. Da half nur noch Flucht. Sie beachtete den Count nicht weiter, griff nach ihrem Rock und hastete zu dem einzigen Ort, der ihr in den Sinn kam - dem Dienstboteneingang. Sie würde schon eine Ausrede finden, sollte Madame ihr erneutes Verschwinden erneut tadeln. Sofern sie es bemerken würde. Der Laden war gut besucht und Madam fleißig an Geld scheffeln. Georginas Fehlen würde zunächst nicht auffallen. Mit einem langem Seufzer rutschte sie am Türrahmen hinab. Ehe man sie vermissen würde, wäre sie bereits wieder an ihrem Platz. Wenn sie Glück hatte, dann wäre auch Count Carrington bis dahin verschwunden. Gerade als sie auf den Boden gesunken war, bemerkte sie eine kleine Schatulle. Das hölzerne Gefäß stand zu ihren Füßen. Verwundert hob Georgina es auf und drehte es prüfend in den Händen. An der Seite befand sich ein kleines Schlüsselloch. Ohne den passenden Schlüssel würde sich die Schatulle nicht öffnen lassen. Allerdings schien sich sowieso nichts darin zu befinden. Die Schatulle war leicht und auch aus dem Inneren konnte Georgina kein Geräusch vernehmen. Das zweifelslos hätte entstehen müssen, sobald man die Schatulle schüttelte.   Gerade als die Baroness überlegte die Schatulle der Hausdame aushändigen, ließen näherkommende Schritte sie inne halten. Hastig legte sie die Schatulle zurück und sprang auf. Sich an die Wand neben der Türe pressend, hielt sie den Atem an. Wenige Augenblicke später wurde der Dienstboteneingang geöffnet. Jemand, sichtlich bemüht leise zu sein, machte sich an der Schatulle zu schaffen. All ihren Mut zusammennehmend, schielte Georgina um die Ecke. Der schmale Lichtschein, welcher von Außen ins Innere fiel, erhellte die Gestalt für einen kurzen Moment, als diese sich herumwandte um durch die Türe wieder zu entschwinden. Zu Georginas Überraschung kannte sie jenes Gesicht. Sie hatte den Jungen gesehen, damals als Adam in den Dienst ihrer Familie getreten war. Georgina trat über die Schatulle hinweg um dem Jüngling zu folgen, dessen Name ihr entfallen war. Sie erhaschte ihn gerade noch als er in eine Droschke stieg und davon fuhr. „Verdammt.“, fluchte sie ungehalten, währemd sie der Droschke nach sah. Zu Fuß würde sie wohl kaum einer Kutsche folgen können. „Mir war nicht bewusst, dass ich Euch dermaßen beleidigt habe.“ „Count Carrington. Seid Ihr mit der Kutsche hier?“ Es war ein verzweifelter Versuch. Schließlich kamen die Kunden dieses Hauses selten mit ihrem Privatgespann. Seine belustigten Worte über ihren Fluch, ließ sie unkommentiert. Stattdessen sah sie den Adeligen ungeduldig an. „Tatsächlich bin ich das.“ „Habt Ihr die Droschke gesehen? Könnt Ihr ihr folgen?“ „Womöglich. Weshalb sollte ich ihr folgen?“, verwirrt blinzelte Count Carrington Georgina entgegen. „Ich bitte Euch drum. Dies sollte genügen.“, harsch antwortend, deutete Georgina auf eine der Kutschen am Straßenrand. „Ist dies dort Eure?“ „Ja.“ Mehr brauchte Georgina nicht, sie packte den Count am Oberarm und zerrte ihn auf die Kutsche zu. Ungeachtet ihres freizügigen Kleides und den Blickes des Fiakers, stieg die Baroness in die Kutsche. Count Carrington folgte sichtlich verwirrt und dennoch belustigt ob der skurrilen Situation. Mit knappen Anweisungen ließ er den Kutscher der Droschke folgen. „Ich möchte mich bei Euch entschuldigen, falls ich Euch verschreckt haben sollte.“ „Eure Schmeicheleien treffen nicht auf unfruchtbaren Boden. Dennoch verunsichert Ihr mich. Ist es Euch ernst mit Eurem werben?“, während sie sprach, blickte sie aus dem Verschlag. Sie wollte die andere Kutsche keinesfalls aus den Augen verlieren. „Ihr glaubt also ich sehe in Euch eines dieser Mädchen?“ Count Carrington beobachtete die junge Adelige aufmerksam. Auch wenn sie seinem Blick auswich und lieber aus dem Fenster starrte, bemerkte er die leichten Regungen ihrer Finger. Bei seiner Frage versteiften sich ihre Schultern für einen Sekundenbruchteil. „Tut Ihr es nicht?“ „Wäre dem so, wäre eine angemessene Summe ausreichend gewesen. Denkt Ihr nicht?“ Nun sah sie doch zu ihm. Täuschte er sich oder lag in ihren Augen ein kleiner Schimmer von Freude? Durfte er wirklich hoffen? „Da mögt Ihr recht haben.“ „Mir ist es ernst. Ihr fasziniert mich seit dem ersten Augenblick. Ich vermochte es kaum zu wagen, dies für Euch zu empfinden. Doch ich liebe Euch mit jeden Tag umso mehr.“ „Ihr sprecht von Liebe, dabei habt Ihr mich bisher nur hinter einem Glas Whiskey betrachtet.“ „Ihr irrt Euch. Wir sind …“, abrupt wurde er unterbrochen als die Kutsche zum Stehen kam. Georgina riss augenblicklich den Verschlag auf und stieg aus der Kutsche. Der Fiaker hatte im sicheren Abstand gehalten. Als er Georgina bemerkte, deutete er auf ein Lagerhaus: „Dort ist der Junge hinein.“ „Was gedenkt Ihr jetzt zu tun?“, flüsternd war Carrington an Georgina heran getreten. Diese neigte nachdenklich den Kopf: „Merkt Euch diesen Ort. Ich denke davon sollte, Earl Phantomhive erfahren.“ „Earl Phantomhive?“ „Eine interessante Geschichte. Ihr solltet sie Euch anhören - bei Gelegenheit.“ Mit diesen Worten drehte Georgina sich herum um wieder in die Kutsche zu steigen. Ihre Neugier drängte sie geradezu dem Jungen in die Lagerhalle zu folgen, doch sie hatte ihre Lektion vor nicht allzu langer Zeit gelernt. Dieser Sache sollte sich der Wachhund der Königin annehmen. „Kennt Ihr das Anwesen des Earls?“, wandte sie sich an den Kutscher, der daraufhin nickte. Zufrieden klatschte die Adelige in die Hände: „Dann bringt mich zum Earl.“ Kapitel 22: || Abschluss || --------------------------- Georgina trat aus der Kutsche kaum hatte der Wagen auf dem Hof des Phantomhive Anwesen gehalten. Count Carrington folgte ihr hektisch, wobei er sich immer wieder umsah. Er war noch niemals ans Anwesen des Earls geladen worden. Und den Earl persönlich hatte der Count bisher nur auf öffentlichen Veranstaltungen getroffen, wenige höfliche Worte hatte sie gewechselt. So konnte Carrington kaum von einer Bekanntschaft sprechen. Umso nervöser wurde der Adelige als er der jungen Frau zum Haupteingang folgte. Er musste sich eingestehen, ein wenig bewunderte er Georgina für die Souveränität mit der sie sich bewegte. Es war nicht ihr erster Besuch auf dem Anwesen. Als sich auf ihr Klopfen hin die Türe öffnete, zuckte Maxwell Carrington unweigerlich zusammen. Der hochgewachsene Mann, welcher sie begrüßte, war ausgerechnet Sebastian Michaelis. Natürlich war Carrington bekannt gewesen, dass es sich bei Sebastian um den Butler des Earl Ciel Phantomhive handelte, doch spürte er einen leichten Stich in der Magengegend, als der charmante Butler Georgina ins Haus führte - nicht ohne wie zufällig eine wallende Strähne ihres Haares über seine Handfläche gleiten zu lassen. Maxwell beobachtete wie die feinen Strähnen über Sebastians Fingerkuppen tanzten, als seien sie vom Haupthaar gelöst. Wie gerne hätte er seine Hand nach dem pechschwarzen Haar ausgestreckt, seine Finger in den seichten Locken vergraben und den süßlichen Duft eingeatmet. In wenigen Abstand folgte Maxwell dem Butler und Georgina in den Salon des Hauses. Dort erwartete sie bereits Earl Phantomhive, eine Tasse Tee in den Händen haltend. Maxwell überkam der Verdacht, dass dies allein dem Effekt zu verschulden war. So untermalte die Tasse das gesamte Bild des Earls, wie er lässig die Beine übereinander geschlagen zur Türe gewandt saß. Sein Blick huschte kurz über die Gestalt des Count, ehe er sich Georgina zuwandte. „Was verschafft mir dieses Vergnügen?“, es war die Stimme eines Kindes und dennoch klang sie gebrochener als es Count Carrington selbst vom ältesten Mann kannte. Unwillkürlich begannen seine Hände zu zittern. Georgina, die diese Geste bemerkte, griff unbemerkt nach seiner Hand und drückte sanft zu. Es war eine beruhigende und zugleich zärtliche Berührung, die seinen Körper wohlig erschaudern ließ. Die Worte der Baroness bekam er kaum mehr mit, als diese auf Ciels Frage antwortete: „Ich denke ich weiß wer die Burschen schickt.“ „Könnt Ihr mir auch einen Ort nennen?“, warf Ciel nach einigen Minuten des Schweigens fragend ein. Georgina löste sich von Carrington und trat einen Schritt auf Ciel zu: „Ich könnte Euch hinführen.“ „Wie …? Ihr wollt Euch erneut dieser Gefahr aussetzten?“ Count Carrington schob sich nun an Georgina vorbei, ignorierte Ciels ärgerlichen Blick und stellte sich vor Georgina: „Wenn man uns vorhin gesehen hätte? Habt Ihr nicht Earl Phantomhive aufgesucht, weil Ihr Euch nicht unnötig in Gefahr begeben wolltet? Lasst mich den Earl zum Lagerhaus begleiten!“ „Ihr missversteht, Count Carrington. Ich habe nicht vor mich irgendeiner absurden Gefahr auszusetzten.“, fauchte Baroness ungehalten. Dabei stemmte sie die Hände in ihre Hüften, baute sich vor den Älteren auf. Dies war ihre Chance endlich alles zu einem Abschluss zu bringen und dieser Esel würde ihr das sicher nicht kaputt machen. Doch Carrington blieb unbeeindruckt, redete stattdessen weiter auf die Baroness ein. Diese drehte sich widerwillig ab - mit diesem Mann vermochte man nicht zu argumentieren. „Ich stimme Count Carrington zu. Eine solch zerbrechliche Blume, wie Ihr eine seid. Solch Blume sollte sich von der Dunkelheit fernhalten.“, während Sebastian sprach, schritt er auf Georgina zu. Als sich ihre Körper beinahe berührten, fuhren seine Finger vage über ihre Wangen, folgten der Form ihres Gesichtes und trafen sich an ihren Lippen. Langsam hob er ihr Kinn an, zwang sie somit ihn anzusehen. Carrington entging nicht, wie rasch sich Georginas Atem beschleunigte. Ihre Brust drängte sich heftig gegen die Corsage und beinahe glaubte Carrington das ungleiche Paar würde sich küssen. Sebastian zog sich jedoch ebenso schnell wieder zurück. Der Blick des Butlers legte sich auf den Count: „Ihr tatet gut daran Baroness Clifford nicht aus den Augen zu lassen.“ Irrte Maxwell sich oder lag in dem Lächeln des Butlers ein süffisanter Spott? Es wirkte so als wüsste dieser Mann mehr als Carrington. Und dieser Umstand bereitete Maxwell Unbehagen. .. Georgina war eine faszinierende Frau. Sie hatte jemanden verdient, der dies zu schätzen und lieben wusste. Sebastian Michaelis stand nicht nur weit im Stand unter der Baroness, sondern erschien Maxwell zudem wie ein dunkler, allesverschlingender Schatten. Niemals sollte dieser Schatten seine Georgina verschlingen. „Nun, wenn Ihr so freundlich wärt.“, des Earls Stimme riss Carrington aus seinen düsteren Gedanken. Es dauerte etwas bis er verstand, dass Ciels Worte ihn galten. Hastig nickte Maxwell, blickte noch einmal zur Baroness und schickte sich an zu Gehen. Verharrte jedoch in seinem Schritt und wartete bis Ciel sich ebenfalls erhob, ehe die Beiden in Begleitung des Butlers den Salon verließen. „ … Moment und was soll ich jetzt machen?“, völlig perplex blieb Georgina zurück. Sie hatte nicht gehen wollen. Maylene war irgendwann an sie herangetreten und hatte ihr einen Schlafrock gebracht - jenen ihres jungen Herren. Wahrscheinlich wollte das Dienstmädchen Georgina somit ermöglichen die laszive Bekleidung zu verbergen, während sie im Salon auf die Rückkehr des Earls wartete. Mit voranschreitender Stunde hatte sie sich in dem Sessel zusammengerollt, soweit es einem Menschen möglich war, und ohne es zu bemerken war sie eingeschlafen. So bekam die Baroness nicht mit wie Ciel und Sebastian ans Anwesen zurückkehrten. Auch über die erfolgreiche Festsetzung der Gauner im Lagerhaus und den daraus resultierenden Abschluss des Falles sollte Georgina erst aus der Zeitung erfahren. Nun jedoch schlief sie seelenruhig. Da Ciel Sebastian damit betraute sich um den aufdringlichen Gast zu kümmern, trat der teuflische Butler an Georgina heran. Die junge Frau schien seine Anwesenheit unterbewusst wahrzunehmen, denn sie seufzte unruhig auf sobald er sich über sie gebeugt hatte. Aufmerksam betrachtete Sebastian sie, während seine Finger über die abgewickelten Beine strichen. In dem Schlafrock seines Herren geschlungen, sah sie umso zerbrechlicher aus. Wie schon zuvor, verspürte er den unwiderstehlichen Drang dieses feine Porzellan zu zerschlagen. Diese Scherben würden süßlich quälend in seine Haut schneiden ... die Scherben ihrer wundervollen Seele. Seine Gedanken wanderten zu Maxwell Carrington ... Dem Butler war nicht entgangen welche Gefühle Count Carrington im Begriff war für die junge Baroness zu empfinden. Maxwell war Witwer, wie Sebastian wusste, und um einige Jahre älter als die Baroness. Bisher hatte er keine Anstalten gemacht, sich eine zweite Ehefrau zu nehmen. Jedoch schien sich dies nun zu ändern, und sein erwähltes Ziel war augenscheinlich Georgina Cavendish. Kein Zweifel. Und wie töricht. Mit einem unsanften Ruck hob Sebastian die junge Frau auf seine Arme, um sie in eines der Gästezimmer zu tragen. Sie müsse nun nicht mehr ins Bordell zurückkehren, stattdessen könne sie zurück in ihr altes Leben. Oder..... zurück in das Leben, welches ihr von ihrem einstigen Leben geblieben ist. Kapitel 23: || Akt 03 || Ehrentag u. Präsente || ------------------------------------------------ Ein Monat war nun seit den Ereignissen rund um das Bordell ins Land gezogen. Die Zeitungen hatten zwei Wochen lang kein anderes Thema. Über einen neuen Verbrecherring, der Kistenweise reinstes Opium ins Land brachten und wie sie eine völlig neues Rauschmittel erschufen. Die einen beschrien den Sittenverfall und die anderen bekräftigten den Nutzen dieser Entdeckung. Bald nannten namenhafte Mediziner das aufputschende Opium schlicht Heroin. Es sollte gegen Erschöpfung helfen und Schmerzen lindern. Georgina ließen die Neuigkeiten kalt. Die junge Adelige war froh zurück in ihrem ruhigen Leben zu sein. Ihre erste Handlung lag darin, Adam einige Zeit zu seinen Eltern zu schicken. So lange bis sich der Trubel in London etwas gelegt hatte. Nachdem Ciel Phantomhive den Fall aufklären konnte, wurde der Stallbursche von jeden Verdacht befreit. Er hatte einen Freund helfen wollen und war am falschen Ort zur falschen Zeit gewesen. Der Zeuge hatte somit keinen anderen Eindruck gewinnen können. Dennoch. In einer Stadt wie London war man niemals gänzlich frei gesprochen. Der Abstand würde etwas Gras über die Sache wachsen lassen. Leicht neigte Georgina den dunklen Schopf. Nun, völlige Normalität war bisher nicht wieder in ihrem Leben eingekehrt. Die Tagträume, wie Georgina sie nannte, kamen immer häufiger und hielten mit jeden Schub länger an. Für diese Zeit stand sie wohl völlig apathisch da, reagierte weder auf Berührungen noch auf eindringliche Worte. Irgendwann die letzten Tage war sie dahinter gekommen, dass ihre Visionen stets auf einen Auslöser folgten. Und immer zeigten sie Ausschnitte aus einem fremden Leben. Bisher hatte Georgina vier Leben ausmachen können. Erinnerungen eines Kindes, einer jungen Adeligen, einer Schneiderin und dann eines sonderbaren Mannes. Mit einer harschen Bewegung ihrer Hände schob sie die trüben Gedanken beiseite. Sie hob den Blick und sah in den Spiegel. Marian machte sie gerade an ihren Haaren zu schaffen. Sie gab sich besonders viel Mühe, schließlich war heute Georginas Ehrentag. Die Baroness feierte Geburtstag. Für diesen Anlass hatte der Duke ausgewählte Gäste geladen. Darunter viele heiratswillige Männer aus dem Adel und Freunde der Familie Cavendish. Leicht rümpfte Georgina die Nase. Sicher würde ihr Vater einen passenden Gemahl für sie erwählen, sollte sich einer der Männer interessiert zeigen. „Marian. Weißt du wer geladen worden ist?“ „Ich konnte leider nur ein paar Namen aufschnappen. Die Greys. Die Yorks. Eure Tante Edith. Dann Lady Sutton. Ein Count Carrington. Und Earl Phantomhive.“, zählte Marian zögerlich auf. Von wegen nur ein paar Namen. Georgina zweifelte nicht, dass es sich um die halbe Liste handelte. Sie glaubte gehört zu haben, dass ihre Tante zwei stattliche Burschen zur Feier mitbringen würde. Beiden jüngere Söhne eines Baron. „Ich werde mit all diesen Männern wohl tanzen müssen.“, seufzte Georgina und legte sich einige Ringe an die Finger. Sie konnte nicht völlig verbergen, dass sie seit Carringtons Erwähnung liebliches Herzklopfen verspürte. Selbst die Tatsache über Ciels geplantes Erscheinen trübte ihre Stimmung nicht. „Such mir das schönste Kleid heraus, Marian. Und die Perlenkette, welche mir Jonathan aus Italien mitbrachte.“ Ihre Wangen glühten vor Aufregung. Würde Count Carrington sie erkennen? „Ihr seid plötzlich voller Freude.“ Marian schielte prüfend zu ihrer Herrin, während sie das gewünschte Kleid hervor holte. „Du täuschst dich, Marian.“, wiegelte Georgina ab. Sie konnte ihrer Bediensteten nicht von dem Count berichten ohne die Wahrheit über ihren Kuraufenthalt preiszugeben. Wie würde Marian reagieren, erführe sie von dem Bordell. Nein, sie würde schweigen. Sie erhob sich von ihrem Kosmetiktisch und ließ sich von Marian in das Kleid helfen. Es war wahrlich das prächtigste Kleid von allen. Weitausgeschnitten im Rock und eng an der Taille. Sie liebte das verzierte Dekolleté. Ob sie darin dem Count gefallen würde? Ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen, als sie sich leicht im Kreise drehte. Den letzten Tanz würde sie ihm schenken. Allein ihm. Freudig klatschte sie plötzlich in die Hände. Wenn er geladen war, dann würde ihr Vater ihn ebenfalls als Kandidat in Betracht ziehen. Es schien ihn nicht zu stören, dass Count Carrington Witwer war und gut fünfzehn Jahre älter als die Baroness. Ein wohlhabender, erfahrener Mann. Unwillkürlich musste sie kichern. Marian sah sie perplex an. Was war nur mit ihrer Herrin plötzlich los? Sie schien auf einmal verliebt wie eine junge Bäuerin. Hatte womöglich Interesse an einen der genannten Gäste? Es überraschte Marian doch. Ihre Herrin hatte bisher keinerlei Gefallen an der Ehe gefunden. Sollte sich dies nun ändern? „Ihr seht wundervoll aus, Herrin.“ „Ich danke dir, Marian.“ Mit diesen Worten ließ Georgina sich die Perlenkette anlegen und atmete tief durch. Bald würde sie ihn wiedersehen. Ein Klopfen an der Türe riss Georgina aus ihren Gedanken. Konnte dies Henry sein? Hatte der Butler nicht genug mit der Organisation der Küche zu tun? Nun, ohne Grund würde er sicher nicht hergekommen sein. „Ihr dürft eintreten.“, antwortete sie auf das Klopfen. Wer nun jedoch in ihre Gemächer trat, war keinesfalls Henry. Sondern ein hochgewachsener, junger Mann mit einem nur allzu vertrautem Lächeln im Gesicht. „Sebastian.“, hauchend, völlig überrumpelt, erstarrte Georgina. Warum verspürte sie nun wieder dieses angenehme Kribbeln in ihren Fingerspitzen? „Verzeiht, bitte. Mein Herr wünscht Euch dieses Präsent zukommen zu lassen. Es wäre ihm eine Ehre, wenn Ihr es bei der Feier tragen würdet.“ Da Georgina nicht reagierte, schritt Marian vor und nahm das Geschenk entgegen. Erst als Sebastian sich leicht verneigte, kam Georgina wieder zu sich. „Richtet Eurem Herrn meinen Dank aus.“, mehr kam nicht über ihre Lippen. So plötzlich Sebastian aufgetaucht war, so plötzlich war er wieder verschwunden. Mittlerweile hatte Marian die kleine Schatulle geöffnet und zeigte Georgina das darin liegende Diadem. Es funkelte. Die kleinen Edelsteine darauf würden ihr pechschwarzes Haar wundervoll zur Geltung bringen. „Dies wird wahrlich Euer Tag werden, Baroness.“ Kapitel 24: || Tänzchen || -------------------------- „Baroness. Ich habe mir erlaubt Euch etwas beim Goldschmied fertigen zu lassen.“ Marian trat an den Sekretär und öffnete die obere Schublade. Eine Brosche kam zum Vorschein. Im einem goldenen Oval lag eingebettet eine gläserne Lilienblüte. Georgina erkannte diese als jene wieder, die sie einst in der Stadt erworben hatte. Ihre Kammerdienerin hatte etwas wundervolles daraus erschaffen lassen. Marian hatte es wohl während Georginas Abwesenheit zum Goldschmied gegeben, sodass die Überraschung nun gelungen war. Diese Geste rührte Baroness von tiefsten Herzen und mit einem Nicken bedeutete sie Marian ihr die Brosche anzustecken. Auch das Diadem des Earls ließ sie sich von Marian ins Haar legen. Georgina warf einen Blick in den Spiegel. Marian hatte recht, auf dieser Feier würden alle Augen allein auf ihr ruhen. Sein Klopfen erklang. Henry räusperte sich leicht und gab zu Bedenken, dass die Gäste bereits warteten. Das Zeichen für Georgina sich nach unten zu begeben. Marian schenkte ihr nochmals ein ermutigendes Lächeln, dann blieb die Bedienstete allein im Zimmer zurück, während die Baroness die Stufen hinab stieg. Am Treppenende wartete bereits Jonathan auf seine Schwester. Mit einem freudigen Gruß ergriff sie seine dargebotene Hand. „Du siehst wundervoll aus, Georgia.“, im vertrauten Ton zog er Georgina zu sich heran. Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Wange ehe er sie in den Festsaal begleitete. Dieser war bei weitem nicht so prunkvoll wie in anderen Herrenhäusern. Dennoch hatten eine Vielzahl von Gästen ausreichend Platz. Kaum das sie den Raum betrat, wandten sich alle Augen auf das Geburtstagskind. Der Duke of Devonshire hatte eine überschaubare Zahl an Gästen geladen. Darunter Verwandte und befreundete Adelsfamilien. Jonathan führte seine Schwester durch das Gewirr hinüber zu ihrem Vater, der etwas Abseits im Gespräch vertieft stand. Als der Duke seinen Sohn und Georgina bemerkte, winkte er die Beiden näher. „Georgina, mein Kind. Du siehst hinreisend aus.“ „Ich danke Euch, Vater.“, lächelnd verneigte sie sich leicht vor dem Duke. Erst jetzt drehte Georgina sich dem Mann bei ihrem Vater zu. Und erstarrte. „Count Carrington?!“ „Duke. Ihr sagtet mir nicht, dass mein Ruf mir vorauseilt.“, wandte sich der Count an den Gastgeber, während Georgina sichtlich um Fassung rang. Natürlich konnte sie nicht zugeben, dass sie mit Maxwell Carrington bereits bekannt war. Wie hätte sie dies ihren Vater erklären sollen? Count Carrington indes überspielte das plötzliche Aufeinandertreffen geschickt. „Nun, mein verschulden ist dies nicht. Ich bin mir sicher, hierbei handelt es sich nur gutes Gerede.“ Gerade als er noch etwas anfügen wollte, ergriff Jonathan das Wort. Dem jungen Cavendish war Georginas Verwirrung nicht entgangen. Sie kannte also den Count bereits - woher auch immer. „Verzeiht, Vater. Ich möchte Euch jemanden vorstellen.“ „Count Carrington, Ihr entschuldigt.“, damit sah er nochmals zu seiner Tochter ehe er seinem Sohn folgte. Kaum war der Duke außer Hörweite brach es aus Baroness heraus: „Was sucht Ihr hier?“ „Ich wurde eingeladen. Wenn ich aus gestehen muss, dass dies auf mein Drängen hin geschah.“ Sie schnappte einem Karpfen gleich nach Luft: „Nein.. Ihr… wieso?“ „Ich nahm an, dass ein Treffen in passender Umgebung Euch lieber wäre.“ „Ihr wusstest es? Die ganze Zeit?“ Sie spürte wie ihr Herz einen Moment aussetzte und sich ein unangenehmes Gefühl von Scham und Übelkeit sich durch ihre Eingeweide grub. Er hatte ihr ins Dekolleté sehen dürfen. Bei dieser Erkenntnis wollte Georgina nur noch im Erdboden versinken. Vor ihren Augen begann sie plötzlich alles zu drehen und sie glaubte nicht mehr atmen zu können. Ganz sicher, sie hatte eine Panikattacke. „Baroness Clifford. Ich wollte Euch wirklich nicht erschrecken, deswegen sagte ich nichts damals. Verzeiht bitte, wenn ich Euch überrumpeln sollte…“ „Bitte nicht.“, japsend hob sie abwehrend die Hände. Doch Count Carrington hatte wohl gerade all seinen Mut zusammengenommen und war nicht mehr zu bremsen. „… doch ich musste Euch einfach sehen.“ Da half nur noch die Flucht. So sehr sie sich diese Worte von ihm ersehnt hatte und sie durchaus erfreuten. Es war nicht der richtige Zeitpunkt. Ihre Scham hatte die Oberhand gewonnen und trieb Georgina davon. Den völlig überforderten Count ließ die Adelige stehen, während sie sich aus dem Festsaal kämpfte. Draußen stolperte sie gegen das Treppengeländer an dem sie sich panisch klammerte um nicht das Gleichgeweicht zu verlieren. Immer noch rang sie um Luft. Ihr Blickfeld schien mittlerweile völlig schwarz und ihre Gliedmaßen wollten ihr nicht so recht gehorchen. Die sich ihr nähernden Schritte bekam sie nur vage mit. „Schon wieder, Baroness?“ Sebastian beugte sich zu Georgina. Und wie damals presste der teuflische Butler seine Hand Georgina auf Nase und Mund. Das erzwungene Luftanhalten beruhigte allmählich ihre Nerven. Warum tauchte dieser Butler immer dann auf, wenn sie am verletzlichsten war?   Langsam löste sich seine Hand sich aus ihrem Gesicht. „Geht es Euch besser, Baroness?“ „Ich danke Euch.“, erwiderte sie ausweichend. Es fiel ihr schwer ihre Gedanken zu sortieren. In den Festsaal wollte sie nicht zurück, noch nicht. Sebastian schien ihre Gedanken zu erraten, denn er ergriff ihre Hand und führte die junge Frau in den Garten des Anwesens. Dort zeugte ein kahler Erdkreis von der einstigen Kastanie. Georgina hielt inne, löste sich aus Sebastians Griff und atmete die frische Luft tief ein. Es roch nach Regen. Keine Seltenheit im düsteren England. „Das Geschenk meines jungen Herrn ziert Euch ausgezeichnet.“ „Vielleicht etwas zu aufdringlich.“ Nun beruhigten sich auch ihre Gedanken allmählich. „Seht es als Entschädigung für Eure Mühen.“ „Nun enttäuscht Ihr mich, Sebastian.“ Ihr Blick glitt zu dem Butler. „Ihr habt recht. Euch steht noch eine Aufmerksamkeit zu Eurem Ehrentag zu.“ „Einen Tanz?!“, ehe sie wirklich darüber nachdachte, waren die Worte auch schon über ihre Lippen gekommen. Mit einem schmalen Lächeln zog der Teufel Georgina zu sich heran und führte sie im dreiviertel Takt über den Erdkreis, während die Lilienbrosche im Licht der untergehenden Sonne sachte schimmerte. Kapitel 25: || Verkündung || ---------------------------- Unbemerkt hatte sie ihre Augen geschlossen, ließ sich im Takt des stummen Orchesters über den Rasen führen. Es glich einem stürmischen Aufbrausen wie sie sich nach hinten bog, Sebastians Armen allmählich entrinnend. Ehe sie ihn jedoch vollends entfliehen konnte, umschlossen seine Hände die Ihrigen. Schweigend wirbelte Sebastian die junge Adelige herum - wie ein Kind immer im Kreis. Für den Bruchteil einer Sekunde schien es als hebe sie vom Boden ab. Ein süßes Kribbeln machte sich in ihren Fingerspitzen bemerkbar und zwang sie ihre Augen zu öffnen. Ihr Blick traf jenen des Butlers. Die dunklen Irden schienen rötlich zu glimmen und zogen Georgina unweigerlich in ihren Bann. So ließ sie es ohne Gegenwehr geschehen, dass der Butler sie erneut zu sich heranzog. Das Tanzpaar kamen langsam zum stehen. „Lasst mich kosten.“, seine Stimme hatte einen unnatürlich dunklen Klang angenommen. „Kosten?“ Statt einer Antwort umfasste Sebastian ihr Kinn und zog ihr Gesicht nahe an seines heran. Georginas Lippen begannen sanft zu pulsieren, als sich sein Atem über sie legte. Sich seinem Willen ergebend, schloss sie erneut die Augen. Solle er sie ruhig verschlingen. „Ein Butler sollte seine Grenzen kennen. Solch ein sittenloses Verhalten gegenüber einer Dame - bedauernswert.“ Aus der Trance gerissen, schreckte Georgina zurück. Ihr Blick huschte von Sebastian hinüber zu dem jungen Mann, der die Szenerie lump gesprengt hatte. Auch Sebastian sah zu dem Ankömmling. „Earl Grey.“, hastig schob Baroness Clifford sich aus Sebastians Armen. Der Teufel quittierte dies mit einem abfälligen Lächeln. Natürlich hatte man auch Charles Grey zu diesem Fest geladen. Schließlich waren die Familien Cavendish und Grey seit Generationen eng miteinander verbunden. So war Georginas Großmutter eine Tochter des Hauses Grey gewesen. Stünde Charles Grey nicht im Dienste der Königin, so würde Duke Devonshire seine Tochter sicher ins Hause Grey vermählen. Doch Queen Victoria missbilligte solch eine Eheschließung mit einer unehelichen Tochter, widersprach es doch jeglicher Sitte. Freudig schritt Georgina auf Charles zu. „Charles! Eurer Erscheinen ehrt mich.“ Bewusst mied sie es zu Sebastian zurückzusehen. Zwar war sie peinlich berührt, dass Earl Grey diesen Moment der Schwäche hatte mitansehen müssen. Dennoch war sie ebenso erleichtert. Womöglich hätte sie sonst einen verheerenden Fehler begannen. Earl Grey blickte über Georginas Schultern hinweg zu dem teuflischen Butler, ließen diesen nicht aus Augen. Dieser Mann war ihm schon länger suspekt. Woran genau es liegen mochte, konnte Charles nicht genau sagen. Doch er vertraute dem Butler des Hauses Phantomhive nicht. Das sich dieser nun solch ein Affront wagte, bestärkte Greys Abneigung umso mehr. „Unsere Familien sind seitjeher freundschaftlich verbunden. Solch einem Anlass beizuwohnen, lasse ich mir nicht entgehen.“, erwiderte er und reichte Georgina den Arm. „Das Geburtstagskind wird bereits gesucht. Lasst uns hinein gehen.“ „Ich danke Euch.“ Georgina harkte sich bei Charles unter und ließ sich zurück ins Haus führen, dabei warf sie einen vagen Blick über die Schulter zu Sebastian. Dieser stand regungslos, den Beiden nachsehend. Als Charles und Georgina das Haus betraten, spielte das Kammerorchester gerade zum Tanz. Sie war dankbar, dass Charles sie um das Gewirr herum führte. Nach dem Fauxpas von eben, gelüstete es sie nicht gerade nach einem Tänzchen. Aus den Augenwinkeln heraus sah sie zu Earl Grey auf: „Sagt mir, lieber Freund, was wisst Ihr über Count Carrington zu sagen?“ „Er ist sehr angesehen. Ein guter Mann, der viel zu früh seine Gemahlin begraben musste. Er hat demnach keinen Erben. Sein Neffe wird Titel und Vermögen erben. Wie man hört ein gescheiter Bursche mit einem feinen Gespür für den Zeitgeist.“ ,,Der Count hat sich kein weiteres Mal vermählt?“, sie war verwundert. Count Carrington machte nicht den Eindruck als trauere er noch um seinen Verlust. Es waren sicher einige Jahre vergangen. Allein wegen eines Erben wäre eine neue Frau angemessen gewesen. „Bisher nicht. Nun, wie ich hörte, soll sich dies bald ändern.“ Ihr Herz setzte für eine Sekunde aus. Hieß dies er hatte sich bereits wieder verlobt? Wer mochte die Dame sein? Und weshalb hatte dieser Kerl dann so dreist mit ihr geflirtet? „Er ist verlobt?“ ,,Wenn der Vater der Glücklichen seinen Segen gibt, wird er es bald sein.“ ,,Wer ist es?“, bitteren Tones blickte sie Charles offen an. Dieser musste bei ihrer offensichtlichen Eifersucht grinsen und wandte rasch den Blick ab. „Ihr wisst es nicht?“ „Nun redet schon, Charles.“ „Georgina, liebe Freundin. Er hat um Eure Hand gebeten, deswegen sind wir alle heute hier.“ Sie fiel aus allen Wolken. Wie ein Karpfen schnappte sie nach Luft, wollte etwas sagen, blubberte jedoch weiter. Diesmal konnte Earl Grey nicht an sich halten und lachte verhalten. Seine Hand legte der junge Adelige dabei auf Georginas Schulter. „Meinen Glückwunsch, Countess Carrington.“ „Macht Euch nicht über mich lustig.“, ihre Stimme wiederfindet, giftete sie Charles entgegen. Was hatte ihr Vater sich dabei nur gedacht? Er hätte seine Tochter einweihen müssen. Nur gut, dass Charles es ihr erzählt hatte, ehe sie vor all den Menschen vor Überraschung umgekippt wäre. Langsam wanderte ihr Blick durch die Reihen. Jonathan tanzte mit einem Mädchen, das sie bereits auf dem Debütantinnenball gesehen hatte. Scheinbar hatte ihr Bruder gefallen an dem Ding gefunden, ob Duke Devonshire dies genauso sah? Ihr Vater stand abseits, beobachtete das Geschehen und schien vertieft in einem Gespräch. Count Carrington erhaschte Georgina ebenfalls auf der Tanzfläche. Sollte sie wirklich bald die Frau des Count sein? Es erschien ihr alles so unwirklich. Während sie ihren Blick nochmals über die Gäste schweifen ließ, blieb dieser kurz auf Sebastian hängen, der gerade in den Saal zurücktrat. Er bemerkte es und schenkte ihr eine tiefe Verneigung. „Von diesem Butler solltet Ihr Euch fernhalten.“ Charles war ihrem Blick gefolgt, schenkte dem Teufel ein kaltes Lächeln. Irgendwie ahnte Georgina, kam diese Warnung zu spät. Kapitel 26: || Antrag || ------------------------ Georgina raffte ihren Rock. Sie würde geradewegs durch die Gästeschar hindurch schreiten, hinüber zu ihrem Vater und … ja was eigentlich? Was würde sie dann tun? Nachdenklich neigte sie den dunklen Schopf. Das Charles Grey sie dabei aus den Augenwinkeln heraus beobachtete, ignorierte sie. Sie würde hinüber gehen mit erhobenen Hauptes und ihrem Vater ins Gesicht sagen was sie von dieser arrangierten Verlobung hielt. O ja! Sie würde dem Duke sagen, dass sie den Count nicht heiraten würde. Dass sie es nicht über sich brachte einen Mann zu ehelichen, denn sie kaum kannte. ... und würde ihren Vater bloßstellen. Seufzend ließ Georgina die Schultern hängen. Count Carrington mochte nicht nur ein Mann mit Ansehen sein. Er war zudem durchaus attraktiv, charmant und - soweit sie es beurteilen konnte - aufrichtig. Jede Frau durfte sich glücklich schätzen seine Gattin zu werden. Also weshalb hatte der Count ausgerechnet sie erwählt? „Ein Königreich für Eure Gedanken.“, riss Charles die junge Baroness zurück in die Realität. „Kein Königreich sei es wert.“, konterte Georgina mit einem dünnen Lächeln. Charles zeigte sich unbeeindruckt von ihren Worten, erwiderte ihre Lächeln lediglich mit einem Schulterzucken. Dem Earl war bereits bewusst, in welcher Zwickmühle Baronesse steckte. Tatsächlich würde ihr nichts anderes übrig bleiben als der Ehe zuzustimmen, wollte sie ihrem Vater noch unter die Augen treten. Erneut seufzend ließ Georgina ihren Rocksaum fallen. Vielleicht sollte sie sich der restlichen Feierlichkeit dezent entziehen. Ihr Vorhaben untermauerte just Count Carrington, der zielstrebig auf Georgina und Charles zusteuerte. Hastig wandte die Baroness sich ab, den Blick nach einem Notausgang umherschweifend und versteckte sich schlussendlich hinter Earl Grey. Was dieser belustigt zur Kenntnis nahm und ruhig verharrte bis der Count ihn erreicht hatte. „Ich fürchte, mein Herr, sie will nicht mit Euch sprechen.“, empfing Charles besagten Count. „Ich denke, es lässt sich nicht aufschieben.“, mit diesen Worten versuchte Count Carrington einen Blick auf Georgina zu erhaschen, die regungslos hinter Charles verharrte. „Ich möchte Baroness Clifford nur wissen lassen, dass es nicht in meiner Absicht lag sie zu täuschen.“ „Und dennoch bittet Ihr um ihre Hand?“, lauernd neigte Charles den Kopf, eine Hand auf seinen Degen ruhend. Diese Geste entging dem Älteren keineswegs, brachte ihn jedoch nicht von seinem Vorhaben ab. „Es wäre mir eine Freude und Ehre, wenn Baroness mich als Gatte akzeptieren würde.“ „So bleibt Baroness nicht anderes übrig. Ihr überfallt das Mädchen ja regelrecht.“ „Dies war niemals meine Absicht gewesen. Wenn sie es wünscht, werde ich meinen Antrag auf der Stelle zurückziehen.“ „Und Euer Gesicht verlieren?“, lachte Charles verächtlich, den Griff auf dem Degen verstärkend. Die Greys und die Cavendish waren seit Generationen miteinander in Freundschaft, aber auch geschäftlich, verbunden. Schadete man dem Ansehen des Duke of Devonshire und seiner Familie betraf dies auch Earl Grey. „Ihr seid durchaus perfide. Anstatt ein vertrauliches Gespräch mit Baroness Clifford zu ersuchen, seid Ihr direkt beim Duke of Devonshire vorstellig geworden. Eure Beteuerung keine bösen Absichten gehabt zu haben, ist lächerlich. Ob sie nun ablehnt oder Ihr Euch zurückzieht, man wird mit dem Finger auf die Dame zeigen. Welche Wahl bliebe Baroness also?“ Georgina zuckte bei Charles Worten zusammen. Zwar sprach er durchaus die Wahrheit, doch verspürte sie etwas Mitleid für den Count. Earl Grey war womöglich etwas zu hart zu ihm. Sie wollte sich nicht vorstellen, dass der Count so durchtrieben war und sie so zu einet positiven Antwort hatte drängen wollen. Vorsichtig lugte Georgina über Charles Schulter. Es war nicht das erste mal das Charles Grey für sie Partei ergriff. Besonders gegenüber ihres Bruder Jonathan war der damalige Grey- Erbe für sie eingetreten. Oftmals wohl um Jonathan an seine miserablen Fechtkünste zu erinnern. Damals hatte sie sich dabei umbehaglich gefühlt. Sie wollte nicht auf den Schutz eines Mannes angewiesen sein, auch wenn sie diesen in letzter Zeit häufig in Anspruch hatte nehmen müssen. Während sie so in Gedanken war, kreuzten sich ihre Blicke. Der Count sah sie reumütig an und tat plötzlich etwas, dass Georgina wohl so schnell nicht vergessen würde. Er kniete sich zu Boden. „Ich war etwas zu voreilig. Bitte, verzeiht mir meine Unzulänglichkeit. Hätte ich nur den Mut gehabt, so wäre ich früher auf Euch zugegangen. Ich bewundere Euch, Baroness. Bitte erweist mir diese Ehre und nehmt meinen Antrag an.“ Dem konnte Charles nichts hinzufügen und schritt beiseite um den Blick auf Georgina freizugeben. Dieser war die Schamesröte ins Gesicht gestiegen. Hastig packte sie ihn bei den Schultern: „Tut dies nicht. Bitte erhebt Euch.“ Bisher waren nur ein paar wenige Gäste auf das Szenario aufmerksam geworden. Diese allerdings begannen bereits aufgeregt hinter vorgehaltener Hand zu tuscheln und schürten Georginas Unbehagen somit ungemein. „Ihr habt mich, wenn auch ungewollt, in die Enge getrieben. Deshalb werde ich Euch heute noch keine Antwort geben und Euch bitten dies auch dem Duke mitzuteilen um unser beider Willen.“, damit klopfte sie dem Count leicht gegen den Bizeps, ehe sie elegant die Flucht ergriff. Und diesmal würde niemand sie zurück auf diese Gesellschaft holen können. Earl Charles Grey blickte ihr schweigend nach, hob stumm seufzend die Schultern, während er auf den Count zu trat. „Mit dieser Dame holt Ihr Euch nur Ärger ins Haus, Count Carrington. Denkt an meine Worte!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)