Rondo von kaltes ================================================================================ Kapitel 1: || Georgina || ------------------------- Der Nebel senkte sich feucht über die Stadt. Im fahlen Licht der Gaslaternen zog er von der Themse über die Gassen und Plätze, über die unzähligen Baustellen, kroch den Kutschern der Droschken unter die Mäntel und legte sich feucht und schwer auf die Hüte der Passanten. Der Tod hatte die Beine lässig über die Armlehne des Stuhles gelegt. Seine Schuhspitzen glänzten im Schein der Kerze, welche auf dem Nachttisch sachte zu flackern begann, als sich die Zimmertüre plötzlich öffnete und eine weibliche Gestalt ins Innere taumelte. Über die Lippen des Todes huschte ein leichtes Lächeln. Das Mädchen stolperte, fiel zu Boden. Langsam schwang er seine Beine von der Lehne, achtete  darauf, nicht in die rote Lache zu treten, welche sich allmählich unter dem Körper der jungen Frau bildete. Sie atmete noch, klammerte sich verzweifelt in den Teppich,  um das letzte Fünkchen Leben in ihr kämpfend. Er wusste, diesen Kampf hatte sie bereits verloren. Mit der ihn so eigenen Gemächlichkeit griff er unter sein Jackett und führte ein Buch zutage. Ohne sich lange mit durchblättern aufzuhalten, schlug er eine Se des besagten Buches auf. Es würde also noch einige Zeit vergehen. „Warum interessiert dich dieser Auftrag so?“ Sein Blick schweifte vom Buch ab zum Fenster, durch dieses war eine weitere Gestalt im dunklen Anzug getreten. Ihr schmollendes Gesicht ließ ihren Partner amüsiert auflachen: „Tut er nicht.“ Mit diesen Worten hob er seine Sense. „Lady?“, sachte legte sich die Hand der Kammerzofe auf die Schulter ihrer Herrin, welche sich schwer atmend auf dem Laken wälzte, „Lady Cavendish, so wachen Sie bitte auf.“ Doch die Worte der Zofe drangen nicht zur Schlafenden vor. Statt wie von Marian erhofft zu erwachen, schlug sie mit einer Bewegung ihrer Beine die Decke beiseite. Marian wich zurück. In den letzten Wochen hatten Georgina vermehrt Alpträume heimgesucht. Doch bisher nur nachts. Nun schien es, wurde die junge Frau auch am Tage von Alpträumen geplagt. Es war nicht unüblich gewesen, dass sich ihre Herrin nach einem Bad für einige Stunden hinlegt hatte. Marian entschloss sich zu warten bis ihre Herrin von selbst aus dem Traum erwachen würde. Schweigend beugte sich das blonde Mädchen  nach der vom Bett gefallenen Decke, um diese zusammengefaltet auf den Kleiderkasten am Bettende zu legen ehe sie die Kleider ihrer Herrin bereit legte. „Marian!“ „Herrin?“, kaum hatte die Kammerzofe die Stimme ihrer Ladyschaft vernommen, war sie auch schon an den Nachttisch getreten. „Wie fühlt Ihr Euch?“ Ihr Blick streifte aus dem Fenster, für diese Jahreszeit war es noch recht kühl, dennoch sprossen bereits die ersten Knospen aus den Büschen unten im Garten des Anwesen. Devonshire House stand im Londoner Piccadilly, ein prächtiges Familienanwesen des britischen Hochadels. Nur eines der vielen Herrenhäuser, in denen ihre Herrin bisher gehaust hatte. Über ihre Gedanken hinweg, hätte die junge Zofe doch beinahe vergessen, dass sie dabei war ein Glas mit Wasser zu füllen. Gerade rechtzeitig stellte Marian die Karaffe ab und bot ihrer Herrin besagtes Glas auf einem Tablett dar. Die Adelige indessen war in eine sitzende Position gerutscht. „Ich hatte wieder diesen Traum.“, ohne Marian weiter dabei zu beachten griff Georgina nach dem Glas. „Dieses arme Ding, dieser blutrote Teppich.“, nachdenklich ließ sie den Blick ins Wasserglas gleiten. „Immer wieder sehe ich sie dort sterben.“ Langsam, vielleicht etwas zu zögerlich, setzte Georgina das Glas an die Lippen und leerte es in wenigen Zügen. Nein, sie sah es nicht, viel mehr spürte sie es. Es fühlte sich so real an. Georgina Cavendish verschwieg bewusst die Tatsache, dass sie diese Träume nicht als unbeteiligte dritte Person erlebte, sondern aus  der ersten Reihe. Die Schmerzen als das kalte, scharfe Metall durch das Fleisch drang, der verzweifelte Versuch zu entkommen, der wankende Gang durch die Flure und schließlich die Niederlage am Boden dieses dunklen Zimmers. „Ihr solltet Euch ankleiden, die Droschke wird bald vorfahren.“, Marians Worte rissen sie aus ihren Gedanken. Mit einem knappen Nicken, stellte die Schwarzhaarige das Glas zurück aufs Tablett und schwang die Beine über die Bettkante. „Ich komme mir albern vor, Marian. Bin ich nicht zu alt um bei Hofe vorgestellt zu werden?“ Überrascht über diese Worte drehte die Kammerdienerin sich zu der Adeligen. Marian kam aus ärmlichen Verhältnissen und so etwas wie die Einführung in die Gesellschaft kannten Mädchen aus ihrem Rang nicht, dennoch träumten die Mädchen davon im weißen Debütantinnenkleid über das königliche Parkett zu schweben. Umso mehr schockierte sie Georginas Gemütslage bezüglich des bevorstehenden Balles. „Ihr redet Unsinn.“, vielleicht etwas zu forsch, legte Marian das Tablett zurück auf den Tisch, „Ihr wart von kränklicher Natur, sodass der Duke Euch diese Anstrengung bei gegebener Zeit aussetzen wollte.“ Verächtlich senkte Georgina den Blick, besagtem Duke hatte sie in den letzten Monaten drei Mal zu Gesicht bekommen. Um ihr Wohl kümmerten sich der Butler, die Küchenmagd und die Kammerzofe. Und da waren noch der Pferdeknecht und sein Lehrling. Nun im Grunde war es nicht verwunderlich, schließlich war sie keine Blutsverwandte im eigentlichen Sinne. Spencer Cavendish, neunter Duke of Devonshire und ihr Vater, hatte sie den Bastard, welcher aus einer Liebschaft mit einer Hure entstanden war als Zögling in die Familie aufgenommen. Seit ihrer Kindheit lebte sie nun unter seiner Obhut und durfte, nachdem ihr Vater sich zur ihr bekannt hatte nun auch die Würde der Baroness von Clifford tragen. Ihre Mutter hatte sie nie kennengelernt und es sprach auch niemand über diesen Schandfleck der Cavendish. Den einzigen Cavendish, welchen  Georgina in jener Zeit zu Gesicht bekam, war Jonathan Cavendish – Marquess of Harington,  der ältesten Sohn des Duke of Devonshire und somit dessen Titelerbe. Jonathan fühlte sich wohl verantwortlich und so kam der künftige Duke die Schwester bei Gelegenheit besuchen. Er würde sie auch an jenen Abend zu Ball bei Hofe begleiten. Rein platonisch, versteht sich. Missmutig fuhr sie sich durch die dunklen Locken, sie mochte derlei Veranstaltungen nicht, konnte es nicht leiden wie Freiwild herum gezeigt zu werden. Mit der Einführung in die Gesellschaft galt die junge Dame als Heiratskandidatin auf dem Markt und somit durfte jeder Adelsmann um ihre Hand werben. Ein Mühsal, dem sie sich nicht aussetzten wollte. Was sollte sie mit all diesen Männern anfangen? Jeder wie der Andere, wollte sie zu einer Ehefrau machen, mit dem Wunsch sie möge ihre Nachkommen gebären. Sie wäre nichts weiter als ein schmückendes Beiwerk. Zudem würde ihr auf Grund ihrer Abstammung eine gute Partie verwehrt bleiben. Wie beneidete sie die Frauen, welche in Hosen und mit blauen Schleifen geschmückt, für ein freies Leben durch die Straßen marschierten. Es war allgemein bekannt, dass Queen Viktoria jene Frauenbewegung aufs schärfste kritisierte. „Wie ironisch.“, durchfuhr es Georgina, so war es doch eine Frau an der Spitze des britischen Reiches. „Sei nicht zu streng mit mir, liebste Marian.“, versuchte Georgina nun ihre Zofe zu besänftigen, deren Ärger deutlich ins sommersprossige Gesicht geschrieben stand. „Komm‘ und hilf mir in meine Kleider.“ Allein wäre eine Dame niemals in dieses Unterkleid, den steifen Reifrock sowie das Korsett gekommen, geschweige in das eigentliche Kleid. Das bodenlange, weit ausgestellte Kleid in weichen Weißtönen war aus glänzender Seide gefertigt, die durch ihre leicht strukturierte Oberfläche regelrecht funkelte. Der kürzere Überrock bestand aus einer Lage gerafftem zarten Chiffon und war in einem dunkleren Weiß gehalten. Über den breiten Trägern war der weite Schulterkragen angenäht, welcher ihr Dekolletee wunderschön in Szene setzte. Die dunklen Haare waren von Marian mit einem Blumendiadem am Kopf fixiert worden, sodass Georginas Locken spielerisch über ihre Schultern fielen. „Ihr seht bezaubernd aus, Baroness.“, hauchte die Kammerzofe beinahe ehrfürchtig, wobei Georgina deutlich den leichten Neid in ihrem Blick bemerkte. Jedes Mädchen träumte davon am Ball aller Bälle teilnehmen zu dürfen, egal aus welcher Gesellschaftsschicht sie kommen mögen.  Wäre es ihr möglich gewesen, Georgina hätte Marian sofort ihren Platz angeboten. „Die Herren werden sich scharrenweise um Euch bemühen.“ Bemühen?, wie sprach Marian auf einmal? Als wäre dies ein Spiel und man bräuchte nur die rechten Karten um es für sich zu entscheiden. Nun vielleicht war es dies auch, doch im diesen Fall hatte Georgina die Asse im Ärmel. „Ich habe es nicht eilig zu heiraten, Marian.“, erwiderte die Schwarzhaarige mit einem süßen Lächeln als es an der Türe klopfte und die Stimme des Butlers erklang: „Verzeiht meine Ladyschaft, doch der Kutscher ist vorgefahren.“ „Ist Lord Jonathan bei ihm, Henry?“ „Ja, Baroness. Er erwartet ihre Ladyschaft im Foyer.“ „Nun, sag ihm, ich komme herunter.“ „Wie meine Ladyschaft es wünschen.“, damit verschwand Henry Richtung Foyer, während Georgina Cavendish einen letzten Blick in den Spiegel warf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)