Ahnungslose Augenblicke von Varlet ================================================================================ Kapitel 25: Ende und Anfang --------------------------- Agent Starling schlug mit der Faust gegen die Wand. „Verdammt“, gab er fluchend von sich. Die Wohnung von Tom Weston war sauber, zu sauber. Nichts wies darauf hin, dass er hier war. „Agent Starling“, fing Shuichi an. „Ich weiß“, antwortete der Agent. „Wir sollten hier nicht rumstehen. Machen wir uns weiter auf die Suche nach Jodie.“ Starling ging an die Haustür. Die Kollegen kamen gerade erst an. Als er sie sah, schüttelte er den Kopf. „Fehlanzeige. Kümmert euch um die Tür.“ Da Gefahr im Verzug war, hatte er keine andere Möglichkeit als sie aufzubrechen. Der FBI Agent ging zurück zu seinem, Wagen. „Wo kann er sie noch hingebracht haben?“, wollte er wissen und blickte zu Shuichi. „College?“ „Oder an das Grab seiner Tochter“, kam es von dem Studenten. „ Wenn er es zu Ende bringen will, ist das Grab für mich am naheliegendsten“ „Mhm…“, gab Starling von sich. „Gut, fahren wir zum Friedhof.“ Er stieg in seinen Wagen und steckte das Handy in die Freisprechanlage. Während er sich anschnallte, ging ein Anruf ein. Jodies Name stand auf dem Display. Ihm und Shuichi, der nun ebenfalls eingestiegen war, stockte für einen Moment der Atem. „Jodie…“, wisperte der Agent und nahm das Gespräch über den Lautsprecher entgegen. „Jodie? Wo bist du?“, fragte er gleich. Es herrschte Stille auf der anderen Seite der Leitung. Jodie, jetzt sag doch was, flehte der Agent innerlich. „Bitte…lassen Sie mich gehen…ich werde schweigen…“ Tom seufzte. „Das hat Connor auch gesagt. Und ihm konnte ich auch nicht trauen. Es tut mir wirklich leid, Jodie, aber jetzt muss ich es auch zu Ende bringen.“ „Sie haben Connor…?“ „Ach Jodie. Es tut mir wirklich leid, weil es so enden muss.“ „Sie müssen das nicht…tun“, wisperte Jodie. „Ich weiß…sie geben Connor Schuld an Ambers Tod…“ „Ambers Tod“, schnaubte Tom. „Es war ein Unfall. Ich hab das nicht gewollt. Sie hat mich nur so zur Weißglut getrieben.“ „Sie…sie waren das? Sie haben Ihre Tochter…aber…warum?“ Starling schluckte. Es gab keine Hintergrundgeräusche. „Sie ist am College“, sagte er leise und startete den Motor. „Im Handschuhfach ist ein Diktiergerät. Halt es an das Handy und nimm das Geständnis auf.“ Mit zittriger Hand stellte Jodie die Tasse ab. Die Angst war ihr noch immer ins Gesicht geschrieben. „Gleich wird alles gut“, sagte Weston ruhig. „Ich…“, flüsterte das Mädchen. Ihr wurde schummrig. Das Bild vor ihren Augen verdoppelte sich. Jodie bemerkte, dass es ihr schwer fiel, sich auf den Beinen zu halten. Sie machte ein paar Schritte, torkelte und versuchte sich am Schreibtisch festzuhalten. Sie wollte nicht sterben, nicht so und auch nicht so jung. Außerdem hatte sie nicht einmal ihren Eltern gesagt wie sehr sie sie liebte und wie sehr sie sie brauchte. Jodies Beine gaben nach, sie musste sich hinknieten und krallte sich mit der linken Hand an den Schreibtisch. Krampfhaft versuchte sie die Augen aufzuhalten. Tom sah ihr mit einem besorgten und bedrückten Blick zu. Er hatte es nicht gewollt. Aber wenn er sich entscheiden musste, war sein eigenes Leben wichtiger. Er wollte Jodies Qual nicht mit ansehen, wusste er doch was passieren würde. Sie konnte sich jetzt schon nicht mehr auf den Beinen halten und schon bald würden Krämpfe, Zittern, Kreislauf- und Atemstörungen hinzukommen. Dann wäre es vorbei und er konnte ein friedliches Leben führen. Ohne Angst und Sorge. Es war Ambers Schuld. Sie hatte ihn zu diesem Monster gemacht, sie hatte ihn gezwungen diese vielen Taten zu begehen. Sie, sein eigen Fleisch und Blut. Und bald war es vorbei. Aber egal wie oft er sich sagte, ein Blick zu Jodie reichte, damit sein schlechtes Gewissen wieder hoch kam. Bei Connor konnte er nicht zu sehen und verließ den Ort des Geschehens. Deswegen drehte sich Tom um und sortierte seine Unterlagen auf dem Schreibtisch. Jodie zitterte und Übelkeit kam in ihr hoch. „Bitte…“, wisperte sie leise. „…helfen…S…s…“ Tom schüttelte den Kopf. „Es ist gleich vorbei“, sprach er. „Nur noch wenige Augenblicke…dann ist es vorbei…Es ist gleich vorbei…“, wiederholte er. „B…bi…tt…e….“ Weston sah kurz zu ihr. „Du solltest nicht dagegen ankämpfen. Je mehr du dich wehrst, desto länger wird es dauern…und entsprechend schmerzhafter werden.“ Mom…Dad…es tut mir so leid…Shuichi… Jodie schloss langsam ihre Augen und driftete weg. „Danke“, wisperte Tom als er auf Jodie blickte. Er atmete tief durch und strich sich über das Gesicht. Tom wandte sich der Tür und schloss diese auf. Sobald er in den Flur trat, versicherte er sich, dass nicht doch Studenten oder Dozenten im Gebäude waren. Danach ging Weston wieder in sein Büro und zog aus einer Schublade Handschuhe heraus. Um unerkannt Jodie in seinen Wagen zu bringen, musste er nur in den Keller kommen. Von dort war es über den Hinterausgang ein Kinderspiel. Sein Wagen stand noch immer auf dem Parkplatz. Tom sah wieder zu Jodie. „Wenn ihr es bloß nicht mit diesem Chat angefangen hättet“, sagte er leise und streifte sich die schwarzen Handschuhe über. „Dann wollen wir mal.“ Die Bürotür wurde aufgerissen. „FBI. Tom Weston Sie sind verhaftet. Sie haben das Recht zu schweigen. Alles was Sie sagen kann und wird vor Gericht gegen Sie verwendet. Sie haben das Recht zu jeder Vernehmung einen Anwalt hinzuzuziehen.“ Agent Starling hielt seine Dienstwaffe auf Tom gerichtet. „Und jetzt treten Sie langsam weg von meiner Tochter.“ Weston drehte sich um. „Das ist nicht so wie es aussieht“, entgegnete er. „Ich…ich war in meiner Dunkelkammer als Jodie umgefallen ist. Ich wollte ihr helfen und sie ins Krankenhaus bringen.“ „Das glaube ich kaum.“ Der Agent verengte die Augen. „Halten Sie die Hände so das ich sie sehen kann. Und machen Sie keine schnellen Bewegungen. Wenn sie versuchen zu fliehen, schieße ich.“ „Das ist ein Missverständnis“, fing Tom an. „Sie machen einen Fehler.“ „Den Fehler haben Sie gemacht“, zischte Starling. „Kümmer dich um Jodie.“ Shuichi ging an dem Agenten vorbei. Als Weston zwei verdächtige Schritte machte und versuchte ihn als Schild einzusetzen, war der Student schneller. Ohne dass Tom wusste, wie ihm geschah, lag er auf dem Boden und hielt sich den Bauch. Akai wandte sich von ihm ab und kniete sich zu Jodie hin. Er beugte seinen Kopf an ihren Mund. „Sie atmet noch“, rief er. Shuichi drehte Jodie auf die Seite. „Sie muss sich übergeben“, entgegnete der Agent. „Ich weiß“, antwortete Shuichi und tat alles in seiner Macht stehende. Er hielt Jodie fest im Arm als sie während des Erbrechens unter einem starken Hustenreflex litt. „Der Krankenwagen ist unterwegs, halte durch Jodie…du schaffst das…“, gab Akai von sich. „Ich…ich zeig Sie an…“, murmelte Tom und versuchte aufzustehen. „Machen Sie das, Mr. Weston, machen Sie das“, gab der Agent von sich. „Wir werden ja sehen, wie das Gericht entscheidet.“ Die Agenten Fries und Pierce kam nun ebenfalls in den Raum. „Starling? Alles unter Kontrolle?“ „Kann man so sagen. Legen Sie ihm Handschellen an.“ Agent Pierce lächelte siegessicher. Er ging zu dem Fotografen und zog dessen Arme nach hinten, ehe er die Handschellen anlegte. „Sie machen einen Fehler“, zischte Weston. „Das werden Sie bereuen.“ „Ach ja? Mr. Weston, Ihnen sollte doch bewusst sein, dass wir Sie nicht ohne Beweise verhaften.“ „Sie haben keine Beweise.“ Weston wurde unsanft nach oben gezogen. „Was hab ich denn getan? Bitte, sagen Sie es mir“, fügte er arrogant hinzu. „Sie haben Ihre Tochter, Amber Weston, vor über einem Jahr stranguliert und zugelassen, dass ein Unschuldiger verurteilt wird. Außerdem begingen Sie den Mord an Connor Riemer und versuchten Mord an Jodie Starling.“ Tom lachte. „Mit diesen Anschuldigungen kommen Sie nicht weiter.“ „Glauben Sie? Gerade in diesem Moment wird Ihre Wohnung gründlich auf den Kopf gestellt.“ „Das dürfen Sie gar nicht!“ „In bestimmten Situationen dürfen wir das. Und machen Sie sich keine Sorge, es existiert ein Durchsuchungsbefehl.“ Agent Starling sah zu Jodie. „Sie haben nicht bemerkt, dass Jodie vorhin meine Nummer gewählt hat, nicht wahr?“ „Was?“ Weston wurde blass. „Wenn Jodie draußen unterwegs ist, hat sie ihr Handy immer in der Jackentasche um im Notfall Hilfe zu rufen. Sie muss meine Nummer nicht einmal wählen, wozu gibt es die Kurzwahl? Wir haben Ihr Geständnis gehört.“ Starling sah zu Pierce und nickte. „Bringen Sie ihn weg.“ Tom versuchte sich aus dem Griff des Agenten zu befreien. „Damit kommen Sie nicht durch. Das riecht doch nach Verschwörung…Sie, Ihre Tochter und ihr Freund… Sie haben nichts gegen mich in der Hand.“ Starling sah zu ihm. „Wir haben Ihr Gespräch mit Jodie aufgezeichnet.“ „Das haben Sie nicht…“ Tom wurde raus gebracht. „Nein, das ist falsch. Das darf nicht so enden…nein….nein…“ Toms Schreie hallten durch den Flur. Jodie öffnete ihre Augen. Sie sah verschwommen und das Licht an der Decke blendete sie. „Mhm…“, gab das Mädchen von sich. Angela schreckte hoch. Sofort setzte sie sich zu Jodie ans Bett. „Jodie?“, fragte sie leise. Langsam richtete Jodie ihren Kopf zu ihrer Mutter. „M…mom?“ „Ja, ich bin es.“ Angela lächelte und strich Jodie über die Wange. „Es ist alles gut.“ „Was…was ist…passiert?“ Angela schluckte. „Was ist das letzte an das du dich erinnerst?“, wollte sie wissen. „Ich…ich war bei Weston…im Krankenhaus…er brachte mich…nach Hause…aber ich bin dann…zum College gefahren…um mit ihm zu reden. Ich musste…Tee trinken…mit Schlafmittel…danach weiß ich…nichts mehr.“ „Ich bin so stolz auf dich, mein Schatz. Als du bemerkt hast, dass etwas nicht mit rechten Dingen vor sich geht, hast du auf deinem Handy die Nummer deines Vaters gewählt. Er hat alles mit angehört und das Gespräch aufgenommen. Sie haben ihn…Weston wird dir nie wieder zu nahe kommen.“ Angela wischte sich ihre Tränen weg. „Alle sagen…dass du so mutig…gewesen bist…“ „Ich…ich hatte solche Angst…“, murmelte Jodie. „Ich kannte ja….sein Gesicht…und in der…einen Vorlesung hieß es…dass man nur dann…das Gesicht sieht, wenn…wenn man sterben soll…“ „Ja, ich weiß…“, wisperte Angela. „Aber es ist alles gut gegangen. Sie haben ihn verhaftet. Er hat zwar versucht sich heraus zu reden, aber man hat ihm nicht geglaubt. Mittlerweile haben sie seine Wohnung und das Büro auf den Kopf gestellt. Es gibt genug Beweise gegen ihn…Jodie, ich bin so froh, dass du wieder aufgewacht bist…“ „Mom“, murmelte das Mädchen. „Der Tee…ich…“ „Shuichi hat genau richtig gehandelt. Er hat dafür gesorgt, dass du dich übergeben musst. Den Rest haben dann die Sanitäter gemacht. Sie haben dir im Krankenhaus den Magen ausgepumpt. Du hast über einen Tag geschlafen.“ Angela schluchzte. Jodie sah ihre Mutter an. „Ich wollte nicht…dass ihr euch Sorgen macht.“ „Du kannst doch am wenigstens dafür. Jetzt solltest du dich aber ausruhen, ja? Sobald du wieder zu Kräften gekommen bist, nehmen wir dich nach Hause und lassen es uns gut gehen, ja?“ „In Ordnung“, murmelte Jodie. Sie schloss die Augen und schlief Sekunden später wieder ein. Angela blieb die ganze Zeit über bei ihr. Als Jodie einige Stunden später wieder aufwachte, waren auch ihr Vater und Shuichi im Raum. „Hey…du bist ja wach“, sagte ihr Vater. Er beugte sich zu ihr und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Dad…“, murmelte Jodie. „Ich wusste…dass du kommst…“ „Aber natürlich. Ich bin immer für dich da.“ Jodie blickte zu Shuichi. „Hi…“ „Ich bin froh, dass es dir wieder besser geht.“ „Danke.“ „Jetzt tut doch nicht so unnahbar“, kam es von Angela. „Wir wissen doch schon längst, was zwischen euch los ist.“ „Mom!“ Jodie wurde rot. Als sie wieder zu Shuichi sah, erblickte sie dessen Lächeln im Gesicht. Wie gern wäre sie auch so selbstsicher wie er. „Ich hab gehört…was passiert ist“, fing sie an. „Du warst die ganze Zeit bei mir.“ Shuichi nickte. „Auf einmal so bescheiden?“ Agent Starling schlug ihm herzhaft auf den Rücken. „Durch seine Mithilfe konnten wir Weston erst auf die Spur kommen. Dem FBI ist es allerdings unangenehm, weil wir nicht schon vor über einem Jahr darauf kamen, dass es Weston war.“ „Dad, ihr könnt nichts dafür“, fing Jodie an. „Ich hätte auch nicht gedacht, dass Mr. Weston seine eigene Tochter auf dem Gewissen hat.“ „Da hat Jodie recht“, entgegnete Shuichi. „Es gab für das FBI keinen Anhaltspunkt, dass der eigene Vater in die Sache verwickelt ist. Außerdem sprachen alle Beweise gegen Connor.“ Starling nickte. „Ich weiß ja, dass ihr recht habt…“ „Was passiert jetzt eigentlich mit Mr. Weston?“, wollte Jodie wissen. „Führt dieses Geständnis zu mildernden Umständen?“ „Um Gottes willen, nein“, sagte der Agent. „Wegen der Schwere seiner Tat und seinem Willen weitere Menschen ins Unglück zu stürzen, kommt er um eine Freiheitsstrafe nicht herum, egal wie gut sein Anwalt ist. Hätte er nach dem Tod von Amber mit uns gesprochen, wäre es sicher nie so weit gekommen. Sein Anwalt plädiert auf Unzurechnungsfähigkeit aufgrund von Verfolgungswahn. Aber nach meiner Erfahrung wird er um eine Haftstrafe nicht herum kommen.“ „Dann…ist es endlich vorbei?“, fragte Jodie leise. Agent Starling nickte. „Ja, es ist vorbei.“ Er lächelte. „Und ein neuer Anfang für dich.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)