Ahnungslose Augenblicke von Varlet ================================================================================ Kapitel 2: Streit ----------------- Amber tippte ungeduldig auf ihrem Handy herum, während sie neben Jodies Spind in der Schule stand. „Hast du es mal“, gab die 19-Jährige von sich. Amber machte keinen Hehl daraus, dass sie die Schule verabscheute und nur hinging, um etwas Spaß zu erleben. Sie konnte sich besseres für ihr Leben vorstellen als langweilige Sachen zu lernen. „Ja, gleich“, murmelte Jodie leise und steckte das letzte Buch in den Spind. „Du hättest auch schon vorgehen können.“ Manchmal störte es Jodie, wenn ihre Freundin so drängelte. Aber jetzt da sie eine hatte, wollte sie diese auf gar keinen Fall verprellen. Das hatte sich Jodie damals geschworen. Sie würde alles tun um Freunde zu halten. „Das wäre wirklich besser gewesen“, entgegnete Amber ruhig. „Jetzt komm“, fügte sie an und schlenderte neben Jodie aus dem Schulgebäude. Aus dem Augenwinkel sah Jodie zu Amber, die sich einige Strähnen ihrer braunen Locken aus dem Gesicht strich. „Wir hätten die beiden letzten Stunden schwänzen sollen.“ Jodie seufzte. „Du weißt, dass das nicht geht“, murmelte Jodie leise. „McAllister informiert meinen Vater, wenn ich nicht im Unterricht bin.“ „Toll.“ Amber verdrehte die Augen. „Und jetzt hast du natürlich wieder Angst vor Daddy. Was kann der dir noch tun? Du hast doch schon Hausarrest.“ „Er kann mein Taschengeld sperren oder mich persönlich zur Schule bringen und wieder abholen.“ „Du hast gewonnen, das wäre wirklich schlimmer.“ Amber musste grinsen. „Dann halten dich alle für ein kleines Kind.“ „Amber!“ „Was? Stimmt doch. Aber weißt du, was mich interessieren würde? Wieso hat ihm McAllister gesteckt, dass du geschwänzt hast? So häufig war das doch gar nicht.“ „Das war meine Schuld“, gestand sie. „Ich hab die gleiche Ausrede zweimal benutzt und es zu spät bemerkt. Deswegen hat er bei meinen Eltern angerufen und nachgefragt, wie es mir geht.“ „Na ganz toll“, gab Amber von sich. „Jetzt muss ich dir also noch genau erklären, wie man schwänzt.“ „Ich weiß, wie man schwänzt…ich mag es nur nicht“, antwortete Jodie ruhig. „Immerhin geht es um unsere schulische Ausbildung. Ich brauch meine Noten, wenn ich studieren will.“ Amber rollte mit den Augen. „Und was hast du davon? Du sitzt in einem klinischen Hörsaal, machst brav deine Aufgaben und verrottest dann in deinem Alltag. Du hast jetzt die Zeit um zu leben. Und das solltest du auch ganz dringend machen. In zwei oder drei Jahren wirst du es sonst bereuen“, entgegnete sie. „Ich versuchs ja…“ „Dann versuch es weiter“, schmunzelte Amber. Sie wusste genau welche Knöpfe sie bei Jodie drücken musste, um diese zu manipulieren. „Du kannst damit anfangen indem du heute Abend zu mir kommst. Ich hab Chad und Connor eingeladen. Die Beiden sind voll süß.“ „Du weißt doch, dass ich Hausarrest habe“, warf Jodie ein. „Moment…wer ist Chad?“ „Tu vor deinen Eltern so, als würden sie recht haben. Sei reumütig und dann lassen sie dich sicher gehen. Und wenn nicht, schleichst du dich eben raus. Soll ich dir noch einmal erklären, wie man das macht?“ „Nein, das schaff ich schon selbst. Nur weil es einmal nicht klappte, heißt es nicht, dass ich es nicht schaffe. Du wirst schon sehen. Und jetzt sag mir endlich wer Chad ist.“ „Lebst du hinterm Mond?“, wollte Amber wissen. „Chad ist Connors älterer Bruder. Und jetzt guck nicht so, als würde ich dich für einen Dollar verschachern.“ Amber streckte sich. „Ich kümmere mich liebend gerne um Chad. Du kannst Connor haben. Er küsst bestimmt auch gut.“ Jodie wurde rot. „Ich…und…Connor?“, murmelte sie leise. „Ja, warum nicht?“ Jodie wusste darauf keine Antwort. Zumindest keine die sie Amber anvertrauen konnte. Als Tochter eines FBI Agenten hatte sie zu Zeiten des täglichen High School Wahnsinns nur wenig Freunde gefunden. Amber jetzt zu sagen, dass sie noch gar keine Erfahrungen mit Jungs hatte, schien ihr nicht richtig. Zwar war Amber ihre Freundin, aber manchmal konnte sie ziemlich gemein sein. Und Jodie war sich sicher, dass sie mit dem neu gewonnen Wissen bei Connor hausieren gehen würde. „Ich weiß nicht…ich kenn ihn ja eigentlich gar nicht.“ „Als ob das wichtig wäre. Du lernst ihn ja heute Abend kennen.“ Amber grinste. „Und wer weiß, was dann alles passiert. Wir planen einfach nichts.“ „Wenn du meinst“, murmelte Jodie leise und ging weiter. Sollte sie jetzt hoffen, nicht raus zu dürfen oder würde sie es ein weiteres Mal wagen? Eine Gänsehaut lief über Jodies Rücken. Sie sah sich um. „Sag mal, fühlst du dich auch beobachtet?“ Amber lachte. Hallo? Hast du dich hier mal umgesehen? Wir sind in einer High School. Klar werden wir beobachtet.“ „Nein, so mein ich das nicht“, warf Jodie ein. „Ich fühl mich beobachtet, so als wäre es eine fremde Person. Und ich hab so ein komisches Gefühl…wie eine böse Vorahnung. Ich weiß auch nicht, woher es kommt.“ Wieder sah sie sich irritiert um. „Oh man…du wirst ja schon zu deinem Vater“, seufzte Amber. „Der sieht auch nur überall das Böse.“ „So schlimm bin ich doch gar nicht.“ Jodie rieb sich über den linken Oberarm. Alles war wie immer. Schüler liefen zu den Schulbussen, zu ihren Eltern oder zu ihren eigenen Autos. Die Lehrer liefen ebenfalls zu ihren Autos, andere in das Schulgebäude und nur wenige nahmen den Fußgängerweg. „Pass bloß auf. Noch hast du es in der Hand.“ Jodie nickte. „Lass uns nach Hause gehen. Wenn ich pünktlich bin, stehen meine Chancen gut.“ Er beobachtete die Schule. In aller Ruhe ließ er seinen Blick zu den einzelnen Schülern schweifen. Unter der Menschenmasse fiel er nicht auf und konnte so sein Ziel suchen. Als er zwei Mädchen erblickte, stockte er. Es war, wie er recherchierte. Voller Aufregung und Vorfreude zog er ein Foto aus seiner Hosentasche heraus. Sie war es. Jung und blond. Genau die Richtige. Als die beiden Mädchen losgingen, folgte er ihnen und hielt genügend Abstand ein. Alles passte zusammen und bald würde es soweit sein. Er musste sich nur noch in Geduld üben und Abwarten. Genüsslich leckte er sich über die Lippen. Bald war der Zeitpunkt gekommen. Ganz bald würde er seine Genugtuung bekommen. Jodie öffnete die Wohnungstür. „Bin wieder da“, rief sie und stellte die Tasche neben die Garderobe. Sie zog ihre Jacke aus und hing sie auf. Anschließend ging sie in das Wohnzimmer. „Mom?“ Sie redet wieder mit uns. Seit Jodies gescheitertem Versuch mit dem Raus schleichen war eine Woche vergangen und Jodie strafte ihre Eltern mit Schweigen. Es fiel ihr schwer, aber in der letzten Woche konnte sie keinen Rückzieher machen. „Da bin ich.“ Ihre Mutter nickte. „Ich hab dich gehört. Wie war die Schule?“ „Wie immer“, antwortete Jodie. „Wir haben heute unsere Bio-Klausur zurück bekommen. Ich hab ein B.“ Angela seufzte innerlich. Jodie war früher eine gute Schülerin, aber ihre Noten litten. Und jetzt hofften sie bei jeder Klausur auf ein B. „Das ist schön, mein Schatz.“ Jodie nickte. „Ich hab mir gedacht, dafür könnte ich doch eine kleine Belohnung bekommen.“ Jodies Mutter verengte die Augen. Warum hab ich das geahnt? „Was schwebt dir vor?“ „Heute ist Freitag und Amber hat ein paar Klassenkameraden zu sich nach Hause eingeladen. Ich dachte, ich könnte auch hingehen.“ „Was ist mit deinem Hausarrest?“ „Ach Mom“, murmelte Jodie. „Kannst du nicht eine Ausnahme machen? Wir machen auch keinen Unsinn. Es ist einfach nur ein zusammensitzen und DVD gucken. Ganz harmlos.“ Jodie sah ihre Mutter an. „Ach bitte. Es sind doch nur ein paar Stunden. Dad kann mich hinfahren und er kann mich später auch abholen. Das wäre kein Problem.“ „Tut mir leid, Jodie. Du hast noch eine Woche Hausarrest. Danach kannst du dich sicher wieder mit Amber treffen, wenn du das möchtest. Aber heute geht es nicht.“ „Mom.“ „Nein, Jodie. Du hast einen Fehler gemacht und jetzt musst du die Konsequenzen tragen. Du wolltest doch die ganze Zeit wie eine Erwachsene behandelt werden. Erwachsene stehen zu dem, was sie getan haben. Ich weiß, es ist schwer für dich, aber du wirst es überleben und es werden noch mehrere Abende kommen, an denen du etwas mit Amber unternehmen kannst.“ „Das ist total unfair. Nur weil ich geschwänzt habe. Ihr übertreibt total.“ Jodie sah ihre Mutter an. „Früher wurde ich nie zu Klassenkameraden eingeladen. Sie dachten immer, dass es Dad auf sie abgesehen hat und sie keinen Spaß haben können. Und jetzt wo ich eingeladen werde, erlaubt ihr mir nicht hinzugehen. Ihr seid so gemein.“ Jodie seufzte theatralisch. „Mom, bitte…“ Es zerriss Angela das Herz. Wie gern würde sie ihrer Tochter den Abend erlauben. „Nein. Du kannst gerne deinen Vater fragen, aber er wird auch nein sagen.“ „Natürlich wird er nein sagen. Er hasst Amber.“ Jodie ballte die Fäuste. „Ihr wisst gar nicht wie das ist, jung zu sein. Ihr versaut mir mein ganzes Leben. Ihr seid so…“ „Pass auf deine Wortwahl auf, junges Fräulein“, mahnte Angela ihre Tochter. „Ach und wenn schon. Euch macht es doch Spaß, wenn ich keine Freunde hab und nur alleine bin. Wahrscheinlich lacht ihr jeden Tag über mich.“ „Jodie, bitte, mach jetzt kein Drama daraus. Vom Hausarrest geht die Welt nicht unter.“ Jodie sah ihre Mutter enttäuscht an. „Das ist nicht fair…einfach nicht fair…ich hasse euch.“ Klatsch. Jodie blickte ihre Mutter geschockt an. Nur ganz langsam fuhr sie mit ihrer Hand über die leicht gerötete Stelle an der Wange. Es war das erste Mal, dass sie eine Ohrfeige bekam. Sie war den Tränen nahe, konnte aber ihren Ausbruch gerade noch verhindern. „Jodie…ich…“, murmelte Angela. Sie schluckte. „Das…wollte ich nicht…“ Es gab kein Halten mehr. Jodie brach in Tränen aus und lief aus dem Zimmer. Mit schnellen Schritten nahm sie zwei Treppenstufen auf einmal und verschanzte sich in ihrem Zimmer. Jodie warf sich auf das Bett und weinte. Nie hätte sie es für möglich gehalten, dass ihre Mutter sie ohrfeigte. Eigentlich hatte sich Jodie bereits alles ausgemalt. Sie würde ihrer Mutter von der guten Note erzähle, dann um Ausgang für den Abend fragen und diesen bekommen. Aber die Vorstellung hatte nichts mit der Realität zu tun. Ihre Mutter blieb stur und auf ihren Vater konnte Jodie auch nicht hoffen. Aber wenn sie nun so nicht zu Amber durfte, musste sie andere Seiten aufziehen und sich dieses Mal wirklich raus schleichen. Jodie wischte sich die Tränen weg. Langsam stand sie auf und sah zur Tür. Ihre Eltern würden wieder auf der Lauer liegen, also musste sie auf einem anderen Weg verschwinden. Die Schülerin ging zum Fenster und sah nach unten. Es sah nicht weit aus, aber wie wollte sie runterkommen? Angela saß auf dem Sofa im Wohnzimmer. Jodie sprach wieder kein Wort mit ihr. Sie reagierte nicht auf das Klopfen an der Tür und kam nicht zum Abendessen nach unten. Angela sah zu ihrem Mann. „Meinst du, ich war zu streng zu ihr?“, wollte sie wissen. Agent Starling schüttelte den Kopf. „Du hast getan, was richtig war. Ich hätte ihr den heutigen Abend auch nicht erlaubt. Jodie entgleitet uns immer mehr. Wenn das so weiter geht, müssen wir uns andere Maßnahmen überlegen.“ Angela schluckte. „Sie war so aufgelöst und…“ Sie sah auf ihre Hand. „Sie hat mich auf die Palme gebracht und…ich hab sie geohrfeigt. Ich hätte das niemals tun dürfen.“ Starling nahm ihre Hand. „Sie wird es dir verzeihen. Morgen sieht die Welt schon wieder anders aus. Glaub mir das ruhig.“ Seine Frau nickte. „Ich …seh trotzdem nochmal nach ihr. Vielleicht kann ich sie jetzt ein wenig trösten“, sprach sie. Angela stand auf. „Ich weiß, ich sollte sie in Ruhe lassen, damit sie sich abreagieren kann, aber ich muss nach ihr sehen.“ „Du musst dich nicht vor mir rechtfertigen“, entgegnete er. Angela lächelte leicht. Sie stand auf und ging nach oben zu Jodies Zimmer. Angela atmete tief durch und klopfte an die Tür. „Jodie? Hier ist Mom, darf ich reinkommen?“ Wie Stunden zuvor, kam von Jodie keine Reaktion. „Jodie, bitte, lass uns darüber reden. Ich komm jetzt rein, ja?“ Langsam drückte Angela die Türklinke nach unten. Sie betrat das Zimmer. Jodies Bett war leer, ihr Handy lag auf dem Schreibtisch und das Fenster stand sperrangelweit offen. „Bitte nicht“, wisperte sie leise. Angela verließ das Zimmer und ging zum Badezimmer. Sie klopfte an. „Jodie? Bist du hier drin?“ Angela drückte die Klinke herunter und trat ein. Jodie war nicht im Badezimmer. Jetzt realisierte sie es. Jodie war abgehauen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)