Masquerade, Masquerade von UrrSharrador (Ahh!! It’s Halloween …) ================================================================================ Kapitel 9: I can see a light coming ----------------------------------- T.K. ertrank in einem Sumpf aus seinen eigenen Erinnerungen. In wachen Momenten bekam er mit, wie Kari ihn vorwärts zerrte, dann konnte er wieder selbstständig gehen, und dann wieder, für kurze Momente, fühlte er sich … als wäre er jemand anderes. Als zwängte sich eine zweite Persönlichkeit in seinen Kopf, während er seine kurzen Aussetzer hatte. Und diese Persönlichkeit … sie machte ihm Angst. In den Flimmersekunden zwischen dem Aufsetzen eines Fußes und dem Heben des anderen war er ein hölzernes Puppenwesen, das auf seine Freunde schoss, und das Blossomon und das Mushroomon vor seinen Augen verwandelten sich in Kari und Matt. Auch Patamon war hin und wieder in diesen verstörenden Szenen dabei, und er schoss mit einem Revolver auf die drei, bis nichts mehr von ihnen übrig war außer umhertreibenden Datenresten. Jedes Mal fühlte er sich, als müsste er selbst innerlich sterben. Und gleichzeitig hörte er ein neckisches Lachen, das aus seinem eigenen Mund zu kommen schien. Dann fühlte er wieder Karis Hand, die ihn weiterzog, kalt, aber immer noch wärmer als seine Träume. Und er vergegenwärtigte sich, dass er nur halb bei Bewusstsein war. Das Dokugumon war das Letzte, an das er sich klar erinnern konnte, und es musste irgendetwas mit ihm gemacht, ihm irgendein Gift in die Adern gepumpt haben … Während sie aus einem Grund, den er immer wieder vergaß und sich dann wieder an ihn erinnerte – Yolei und Mimi! – die Straßen entlang stolperten, versuchte er die seltsamen Traumbotschaften zu entschlüsseln, die er sich zusammenhalluzinierte. Matt hatte ihm erzählt, wie er und MetallGarurumon Puppetmon getötet hatten. Er hatte sich die Szene damals bildlich vorgestellt … Und von dieser Szene, in leichten Abwandlungen, träumte er nun. Doch warum? Sicher, das gefährliche Spiel mit Puppetmon war eine schlimme Erinnerung für T.K, aber er war auch noch ziemlich klein gewesen, hatte überdies richtigen Mut und ein kluges Köpfchen bewiesen und die Sache war gut ausgegangen. Nein, es gab andere, viel schrecklichere Dinge, von denen er träumen konnte. Die Flucht vor Piedmon zum Beispiel, oder den Moment, in dem Angemon nach seinem Kampf gegen Devimon starb. Diese Erinnerung war schon oft Futter für Albträume gewesen … warum Puppetmon? „Schneller!“, hörte er Tai rufen und gleichzeitig feuerte Puppetmon ihn an, er lief die Gasse hinunter und über die Treppe hinauf, völlig außer Atem, wissend, dass der Lauf einer Pistole auf ihn gerichtet war. Vielleicht deshalb. Vielleicht, weil die Erlebnisse in Puppetmons Haus kein Brennstoff für seine üblichen Ängste oder Albträume waren. Vielleicht hatte das Gift des Dokugumons sein Gehirn dazu gebracht, sich einmal an etwas Neuem, weniger Ausgelutschtem zu versuchen … Vielleicht hing es auch damit zusammen, dass die Geisterbahn Spaß machen sollte, und trotzdem hatten sie so etwas Schreckliches darin gesehen – ähnlich wie das Spiel für Puppetmon lustig und für ihn die Hölle gewesen war. Aber T.K. glaubte, dass erstere Vermutung der Wahrheit entsprach. Er wollte es glauben. Denn plötzlich konnte er darüber lachen. „Was … was hast du?“ Er sah in Puppetmons, nein, Karis verwirrte Augen. T.K. lächelte. „Ich glaube, ich wache endlich auf. So richtig, meine ich.“ Sie sah ihn nur verständnislos an, und er schüttelte den Kopf. „Nicht so wichtig. Lass uns Yolei und Mimi suchen!“ Sein Kopf klärte sich rascher, als er einen bestimmten Gedanken fasste, der ihn aus dem ständigen Wechsel von Wachsein und Fantasieren riss. Einen Gedanken, der Dokugumons Gedankengift besiegen konnte. Dass nämlich jede Art von Angriff, ob durch Gift oder sonstwie, von einem ziemlich verzweifelten Wesen stammen musste, wenn es in seinen Erinnerungen nach irgendwelchen vergrabenen, einst erschreckenden Erlebnissen suchte. Ein Gift, das schon nicht erwartete, mit den wirklich furchtbaren Erinnerungen die Oberhand über seinen Geist gewinnen zu können, und eher auf etwas zurückgriff, das ihn verwirrte, überrumpelte … Vor so etwas musste er sich nicht fürchten. Vergiss es, sagte er zu sich selbst. Du bist nicht Puppetmon, das ist völliger Blödsinn. Puppetmon hat dir einmal Angst eingejagt, aber nur kurz, und du warst noch ein Kind. Wichtiger ist es jetzt, deinen Freunden zu helfen! Und fortan musste Kari ihn nicht mehr stützen. Ein wenig übel war ihm noch, aber die körperlichen Beschwerden würden wohl ebenfalls bald abklingen.   „Verflucht, wohin können sie gelaufen sein?“ Tai raufte sich verzweifelt die Haare. Wenn Ken mit seiner Vermutung richtig lag, konnte es bereits zu spät sein … oder Yolei drohte noch überhaupt keine Gefahr, je nachdem. Besser, sie verloren keine Zeit – aber sie hatten keine Ahnung, wo Yolei und Mimi sich befanden. Sie gingen nicht an ihre Handys, sie hörten ihr Rufen nicht … und das Westendviertel mutierte in dieser Gegend zu einem wahren Labyrinth aus Häuserschluchten. „Okay, wir teilen uns auf“, knurrte Tai und knirschte mit den Zähnen. „Ich tu’s nicht gern, aber wir müssen sie finden.“ „Das ist viel zu gefährlich“, sagte Matt. „Wir könnten auch angegriffen werden, schon vergessen? Das LadyDevimon fliegt noch immer irgendwo hier rum.“ „Das weiß ich, verdammt!“ „Ich finde auch, dass wir zusammenbleiben sollten“, sagte Izzy vorsichtig. „Wir haben nur einen Laptop. Falls uns der überhaupt etwas hilft. Und wir haben ewig gebraucht, um einander zu finden, vergesst das nicht.“ „Hey, seht mal!“ Davis lief zu einem schmalen Kanalgitter, das in der Mitte der Gasse vor ihnen prangte. Zwischen den Stäben hatte sich etwas verkeilt – etwas, das verdächtig nach einem grünen Schuhabsatz aussah. „Ist das der von Mimi? Der gehört doch zu ihrem Kostüm, oder?“, sagte Ken. Obwohl Lillymonstiefel keine Absätze hatten, hatte Mimi nichts davon abhalten können, trotzdem welche zu tragen. „Sie müssen hier langgekommen sein“, sagte Matt. „Mimi! Yolei!“, brüllte Tai, während Davis aufs Geratewohl in die Gasse direkt neben ihnen lief.   Der große Mann trat näher, seine Waffe schlenkerte achtlos in seiner Hand. „Du hast es nicht vergessen“, murmelte er. „Du könntest es gar nicht vergessen …“ „Was wollen Sie?“ Yolei drückte sich rücklings gegen die kalte Mauer der Sackgasse. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals. Er murmelte noch etwas, das sie nicht verstand, dumpf drangen die Laute durch seine Maske. „Komm. Gehen wir“, war das Nächste, das sie verstand. „Ich, äh, kann jetzt gerade nicht!“, rief Yolei laut, weil ihr nichts Besseres einfiel. Was tat man, wenn ein offensichtlich Geistesgestörter einen ansprach – und er eine Waffe in der Hand hielt? „Komm“, wiederholte der Mann und streckte seine Hand nach ihr aus. Yolei konnte nirgendwohin ausweichen. „Sie kann jetzt nicht mit dir kommen!“, kam Mimi ihr zur Hilfe und versuchte ebenfalls, den Irren in ein Gespräch zu verwickeln. „Sie gibt dir ihre Handynummer, und du rufst sie später an, ja?“ „Halt dich da raus!“, spie der Mann ihr zornig entgegen – und richtete sein Gewehr auf Mimi, die sich mit einem Kreischen auf den Boden zusammenkauerte, sich so klein wie möglich machend. Yolei stellte sich schützend vor sie. „Nein!“, keuchte sie. „Lass Mimi in Ruhe! Ich tu alles, was du willst – also fast alles –, aber leg dieses verdammte Ding weg!“ Der Mann ließ die schwere Waffe tatsächlich sinken, kam noch näher und streckte erneut die Linke nach ihrem Gesicht aus. Yolei erschauerte bei der Berührung. Behandschuhte Finger tasteten über ihr Kinn bis zu ihrer Wange, strichen eine verirrte, gebleichte Haarsträhne aus ihrem schweißnassen Gesicht. „Du bist es, nicht wahr? Endlich habe ich dich gefunden“, hauchte der Mann. „Yolei! Mimi!“, ertönte ein Ruf. Davis! „Wir sind hier!“, schrie Mimi aus voller Kehle. Der Mann wandte sich ihr knurrend zu, doch ehe er wieder sein Gewehr in Position gebracht hatte, sah Yolei, wie Davis am anderen Ende der Sackgasse auftauchte. Er sog scharf die Luft ein, als er die Gestalt sah, die direkt vor Yolei stand. Dann breitete sich Entschlossenheit auf seinem Gesicht aus. „Hey!“, brüllte er. „Mummymon! Es hat keinen Sinn! Arukenimon ist nicht hier!“ Der Mann schien in seiner Bewegung einzufrieren. Yolei starte ihn mit offenem Mund an. Mummymon? Ein wortloses Grollen verließ die Kehle der Gestalt, sie wirbelte herum – und Davis nahm ein paar Schritte Anlauf und schleuderte den Pflasterstein, den er in der Hand hielt. Das Geschoss streifte den Kopf des Mannes, der dadurch ins Taumeln geriet. „Schnell jetzt!“ Mimi packte Yolei am Arm und zog sie hinter sich her, an dem Bewaffneten vorbei zum anderen Ende der Gasse. Sie prallten beinahe mit den anderen zusammen, die nun hinter Davis um die Ecke stürmten.   Kari und die anderen erreichten Davis im selben Moment, in dem die Letzten aus ihrer Gruppe sich vor der Gestalt in Sicherheit brachten. Vielleicht wäre es besser gewesen, einfach weiterzulaufen, aber nun bildeten die DigiRitter eine gemeinsame Front gegen ihren Feind. Der Mann fand sein Gleichgewicht wieder und stieß ein langgezogenes Stöhnen aus. Seine Maske war verrutscht, und da er nun nicht mehr durch die schmalen Sehschlitze blicken konnte, riss er sich das goldene Fuchsgesicht vom Kopf. Unter der breiten Hutkrempe kam ein hässliches, graues Gesicht zum Vorschein, mit nur einem riesigen Auge, ohne Nase und mit einem mit spitzen Zähnen bewehrten Mund. Kari schluckte. Tatsächlich, es war Mummymon. Ken hatte Recht gehabt. „Hör schon auf, unsere Welt auf den Kopf zu stellen!“, rief Davis dem Digimon zu. Er hatte die Fäuste geballt und schien keine Angst vor Mummymons Gewehr zu haben. „Arukenimon ist tot! Du wirst es hier nirgendwo finden, weder im Westendviertel noch sonst wo in unserer Welt!“ Mummymon starrte ihn aus seinem einen Auge an. Dann schienen seine Knie einknicken zu wollen, denn es wankte und musste sich mit der langen Waffe abstützen. „Was redest du … Tot … Arukenimon ist tot … Ich habe gesehen, dass es …“  Es heulte gequält, vergrub das hässliche Gesicht in seiner Hand. „Du lügst!“ „Ich lüge nicht!“, platzte Davis heraus. „Du weißt es! Das da ist nicht Arukenimon, das ist unsere Freundin Yolei! Du kennst sie!“ „Izzy, der Laptop“, sagte Tai. „Solange es abgelenkt ist.“ Der Rotschopf runzelte die Stirn. „Das wird nicht …“ „Ist doch scheißegal, versuch’s einfach!“ Izzy nickte. Sie hatten den Energiesparmodus des Laptops deaktiviert, damit der Benutzer sich nicht abmeldete und er nach dem Aufklappen sofort betriebsbereit war. Er ließ sich von Ken das Tor öffnen und schleuderte das geklaute Notebook auf Mummymon. Es prallte gegen seine Brust und polterte zu Boden. Wenn es nun noch heil war, wäre das ein Wunder. „Es hat nicht geklappt“, stellte Izzy das Offensichtliche fest. „Weil Mummymon kein Digimon mehr ist“, sagte Ken. „Es ist ein Geist – wie Wizardmon, nur mit mehr Macht und mehr Substanz.“ „Es muss hier irgendwo sein …“, stöhnte Mummymon. Kari konnte das Leid hören, die unaussprechliche Trauer und Sehnsucht, die aus seiner Stimme troff. „Es muss … Es muss … Arukenimon, wo bist du? Wo?“ Sein letzter Schrei schien etwas in der Luft zum Vibrieren zu bringen. Als es den Kopf in den Nacken legte und ein langgezogenes Heulen ausstieß, quollen die Schatten hinter ihm über, und wo die drei nackten Steinmauern der Sackgasse hätten sein sollen, schienen sich plötzlich Schemen abzuzeichnen, bestialische Gesichter, die wie durch eine dünne Haut zu sehen waren, sie schienen direkt durch die Wände  kriechen zu wollen … Was hatte Astamon gesagt? Ein Ruf von ihm genügt, und wir stehen wieder vor euch. „Es hat wieder ein Tor erschaffen“, murmelte Kari. Sie meinte, erneut das brüllende Rauschen des  Dunklen Meers zu hören, und zwang sich, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Keinem war geholfen, wenn sie im Spalt zwischen den Welten verlorenging, weil sie sich von diesem finsteren Ort rufen ließ wie diese Digimon von Mummymons Schrei! „Mummymon, hör auf damit!“, schrie Yolei, um das Gewirr der Stimmen zu übertönen, das sich hinter Mummymon erhob, ein infernalisches Brodeln voller Vorfreude auf Fressen und einen neuen Platz, um sich auszutoben … Es waren wieder keine guten Digimon, die sein Ruf ereilte. „Mummymon!“, schrie auch Davis. „Hör mir zu! Du wirst Arukenimon hier nicht finden! Ich weiß noch, dass du kurz vor deinem Tod gesagt hast, dass dein Leben ohne es keinen Sinn mehr hat – was willst du also noch hier? Das, was du tust, ist wirklich sinnlos, verstehst du?“ „Sei still!“, knirschte Mummymon. „Sei still, sei still! Arukenimon, ich muss Arukenimon finden …“ „Dann geh dorthin, wo es auch ist!“, rief Davis plötzlich, und Mummymon verstummte. Kari sah eine glitzernde Tränenspur unter seinem Auge. Gegen ihren Willen bekam sie Mitleid mit diesem bedauernswerten Geschöpf. „Was?“, murmelte Mummymon und der Chor aus Stimmen schien leiser zu werden. „Du hast doch selbst gesehen, dass MaloMyotismon Arukenimon umgebracht hat“, versuchte es Davis erneut. „Du weißt, dass es nicht mehr lebt! Ich hab schon gehört, dass Geister wie du zurückbleiben, weil sie sich ans Leben klammern und noch irgendwas zu erledigen haben, aber das, was du suchst, findest du in der Welt der Lebenden nicht! Arukenimon und du, ihr seid beide in dieser komischen Wünsche-Dimension gestorben, also wenn du es dir ganz fest wünschst, kannst du Arukenimon sicher dorthin folgen, wo auch immer es jetzt ist! Aber dazu musst du akzeptieren, dass du tot bist!“ „Meinst du das ernst?“, fragte Mummymon hilflos. Sein verweinter Blick glitt zu Yolei und dann zurück zu Davis. „Ich muss nachgeben? Ich muss diese Existenz loslassen? Ich soll diesen Körper und diese Macht … aufgeben? Das ist alles, was ich habe, um nach Arukenimon zu suchen!“ Wieder erscholl das Gemurmel. Die Schatten krochen näher, breiteten sich vor Mummymons Füßen aus wie zweidimensionale Schlangen. Kari meinte schon, die vertrauten Umrisse einzelner Digimon zu erkennen. „Mit dieser Macht kannst du es nicht suchen, weil es nicht hier ist! Geht das nicht in deinen hohlen Schädel rein?“, rief nun Tai. Davis überraschte die anderen mit einem milden Lächeln. „Ich kann dir leider nicht sagen, wo du oder Arukenimon hinkommen, nachdem ihr gestorben seid. Aber hier zu suchen ist vergeblich. Wenn du noch Chancen hast, dann dort … wo immer das ist.“ „Der Meinung bin ich auch.“ Ken trat vor. „Ihr wart beide Digimon, die Oikawa erschaffen hat. Wir haben nie einen Hinweis darauf entdeckt, dass ihr in der DigiWelt wiedergeboren werden könnt. Und Wizardmon hat nur von einem anderen Geist gesprochen, also halte ich es für unwahrscheinlich, dass Arukenimon auch hier herumirrt. Vielleicht gehen eure Seelen dorthin, wo auch die Menschen hingehen.“ „Ein Ort, wo die Menschenseelen hingehen? Wo soll das sein?“, fragte Mummymon. Es klang ruhiger, genau wie die Digimon, die sich ihren Weg in diese Welt erkämpfen wollten. Wenn das Tor sich nicht bald schloss, würden sie gewiss das ganze Westendviertel auf den Kopf stellen. „Das weiß ich nicht“, gestand Ken. „Aber ich bin fest davon überzeugt, dass es diesen Ort gibt.“ Kari wusste, dass er in diesem Moment an seinen verstorbenen Bruder dachte. „Lass los, Mummymon. Erspar dir und uns  weitere Schmerzen“, sagte Matt. „Du kannst uns vertrauen, auch wenn wir mal Feinde waren“, fügte T.K. hinzu, der wieder er selbst war. Und Mummymon stieß einen langen Seufzer aus und ließ sich in den Schneidersitz fallen. Es lehnte den Rücken gegen die Mauer der Sackgasse, die von wuselnden Schatten gesprenkelt war, doch das bemerkte der Geist wohl gar nicht. „Vielleicht habt ihr recht. Ach, Arukenimon“, seufzte es. „Ich gehe dorthin, wo du bist, einverstanden? Warte auf mich. Ich habe viel zu viel Zeit verschwendet.“ Kari sah, wie Tai etwas sagen wollte, aber er verkniff es sich. Auch sie selbst hatte nicht vergessen, was Mummymon für schreckliche Dinge auf seiner fruchtlosen Suche getan hatte. Aber nun, als sie schweigend das Digimon betrachteten, wie es grübelte und immer wieder seufzte, schien nicht der passende Moment, einem Geist Vorhalte zu machen. Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte sich Mummymon wohl entschieden. „Also gut“, sagte es. „Ich werde es versuchen. Ich gehe zu Arukenimon. Wo auch immer das ist. Ich brauche nichts mehr, keinen Körper und keine Daten, nichts. Ich bin tot. So soll es sein.“ Als es diese Worte sprach, verlor sein Körper bereits an Substanz. Es wurde durchscheinend wie Wizardmon, dann noch heller, und schließlich verblasste es ganz. Im selben Moment verloren die Schatten auf Wänden und Boden ihre Ecken und Kanten, sie zerflossen und wurden unscharf, so als hätten die Digimon hinter der letzten Faserschicht des Schleiers zwischen den Welten ihr Ziel aus den Augen verloren. Kurz brodelten noch graue Fleckenmuster über das Mauerwerk, dann waren die Weltengrenzen wieder stabil. Und dann war es vorbei.    „Ist … Mummymon jetzt wieder …“, stellte Sora nach einer Weile die Frage, die vielen von ihnen auf der Zunge lag. „Ja. Ich glaube, es ist wieder tot“, murmelte Matt. „Ist mit euch alles okay?“, fragte T.K. Mimi und Yolei. „Hm“, meinte Yolei nur geistesabwesend. „Geht so.“ Tai patschte Davis kräftig auf die Schulter. „Das hast du gut gemacht.“ „Ja, wirklich“, bestätigte Ken. „Wie hast du es hinbekommen, so eloquent mit Mummymon zu reden? Du hast genau seinen Nerv getroffen, wie mir scheint.“ „Ach, das war …“ Davis‘ Wangen röteten sich und er kratzte sich verlegen am Hals. „Ich hab mich nur an ein paar Geisterfilme erinnert, die ich mal gesehen habe. Von denen hab ich den Text dann fast eins zu eins aufgesagt. Hätte nie gedacht, dass es klappt.“ Sie starrten ihn sprachlos an. „Mann, Davis“, stieß Yolei dann aus. „Ich glaub’s nicht!“ Die anderen lachten zaghaft, den Schreck immer noch in den Knochen. „Aber wie war das mit dir, Ken?“, fragte Davis dann plötzlich. „Wie hast du herausgefunden, dass Wizardmons Rätsel auf Mummymon deutet? Ich wär da nie draufgekommen!“ „Wisst ihr … als ihr darüber geredet habt, dass heute kein richtiges Tor notwendig wäre, damit Digimon in unsere Welt gelangen können … Da habe ich mich wieder an BlackWarGreymon erinnert und an Oikawa und Arukenimon und Mummymon. Weil BlackWarGreymon schließlich das Tor ins Westend-Viertel versiegelt hat. Und dann ist mir eingefallen, dass die Saat des ersten Mannes ja nicht notwendigerweise was mit der Menschenwelt zu tun haben muss. Wenn man das Ganze auf die DigiWelt bezieht, bekommt es eine völlig neue Bedeutung.“ „Du meinst, weil ursprünglich nur Kinder in die DigiWelt konnten?“, fragte Mimi. „Bis auf Oikawa. Er war der erste erwachsene Mann, der zum DigiRitter auserwählt wurde“, sagte Ken. „Er wäre der erste Mann gewesen, der die DigiWelt betritt, wäre er nicht vorher gestorben. Und Oikawa hat Arukenimon und Mummymon erschaffen, auf Basis seiner eigenen Gene … Sie sind also die Saat des ersten Mannes.“ Er bedachte Davis mit einem schwer zu deutenden Blick. „Und du hast erwähnt, dass jemand oder etwas verkleidete Frauen umbringt. Du hast irgendwas von Glitzerperücken gesagt, wenn ich mich nicht täusche.“ „Das hab ich erwähnt?“ Davis schien sich nicht mehr so genau daran erinnern zu können. „Naja, kann sein  … War trotz allem ein ziemlicher Schock, als ich das gehört habe, und ich wollte es loswerden.“ Er zuckte mit den Schultern. „Und die anderen Mordfälle waren ähnlich“, fuhr Ken fort. „Ich hab mir überlegt, dass die Opfer alle als Hexen verkleidet gewesen sein könnten. Schließlich hat Arukenimon in Menschenform einer Hexe nicht unähnlich gesehen. Und dann konnte ich mir Mummymon bildlich vorstellen, wie es benebelt und verzweifelt genug, die Tore zur DigiWelt aufzureißen, in einer chaotischen Nacht wie dieser durch die Stadt taumelt und jede Frau anhält, die auch nur im Entferntesten wie Arukenimon aussieht.“ „Und sie umbringt, sobald es merkt, dass sie es nicht ist.“ Kari fröstelte. „Und deswegen hast du gleich geahnt, dass Yolei in Gefahr ist“, schlussfolgerte Izzy. „Sie ist heute ja auch eine mustergültige Hexe.“ „Oh mein Gott!“ Yolei schlug sich gegen die Stirn und schien mit den Nerven am Ende. „Und ich Blödkopf hab mir auch noch die Haare gebleicht! Jetzt, wo ihr es sagt, ich seh‘ wirklich fast aus wie Arukenimon! Ich gehe sofort morgen zum Frisör!“ „Du konntest ja nicht wissen, dass das passiert“, sagte T.K. „Moment mal“, sagte Tai plötzlich scharf. „Wir haben das rote LadyDevimon vergessen! Dem ist es egal, wie seine Opfer aussehen, das will nur ihr Blut!“ „Keine Sorge“, murmelte Mimi. „Mummymon hat es erledigt. Gerade, als es auf uns losgehen wollte.“ Tais Miene verfinsterte sich kurz, dann nickte er schließlich und ließ das Thema fallen. „Also, so wie ich das sehe, sind wir nochmal glimpflich davongekommen“, schmunzelte T.K. „Ja? Geht es dir wirklich wieder gut?“, fragte Matt seinen kleinen Bruder besorgt. Dieser lächelte. „Alles wieder beim Alten. Keine Sorge.“ „Du solltest trotzdem in ein Krankenhaus“, sagte Sora. „Nur um sicherzugehen, ja?“ „Wir sollten uns vielleicht alle untersuchen lassen“, sagte Matt. Tai stöhnte. „Muss das sein?“ „Wir wären heute alle beinahe draufgegangen. Dich hat fast ein Bakemon erwürgt, schon vergessen?“ „Nein“, brummte Tai. „Aber ich wollte auch nicht dran erinnert werden.“ „Guter Einwand“, sagte Kari sarkastisch. „Können wir vielleicht irgendwo hin gehen, wo wir nicht ständig an die Ereignisse von heute Nacht erinnert werden?“ Niemand hatte etwas dagegen. Etwas Heißes zu trinken und ein wenig Ablenkung würden ihnen, neben Heilsalbe und Pflastern, sicher gut tun. Kari blickte noch einmal in die Sackgasse zurück, in der Mummymon sich in Luft aufgelöst hatte. Es war wirklich unglaublich viel passiert. Eine ganze Menge Menschen waren gestorben, und sie hatten nichts tun können. Sie hatten es zwar geschafft, die Unruhen beizulegen, aber für die Opfer war jede Hilfe zu spät gekommen. Über den Häusern funkelte immer noch das Blaulicht der Einsatzkräfte. „Kommst du, Kari?“, fragte T.K. Sie warteten auf sie. Kari nickte. Das Rauschen des Meeres in ihren Ohren war weg. „Ich komme.“  Und ich freue mich auf das nächste Tageslicht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)