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Magenta III

Im Bann der Aspekte
von

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Die Gunst der Bronzenen

Ohne sich dessen bewusst zu sein, war Abbefaria in die Knie gesunken. Er konnte das alles einfach nicht glauben. Die Augen voller Tränen presste er Magentas lebelosen Körper an sich und ergab sich der Trauer. Alles erschien ihm plötzlich so sinnlos. Warum hatte das passieren müssen? Warum hatte Chromie sie hierher geschickt? Warum konnte sich außer ihm niemand erinnern? Warum hatte Magenta sterben müssen?

Er legte seinen Kopf in den Nacken und brüllte seine Wut heraus: „WARUM???“

Die andere Nachtelfen sahen ihn mitleidig an und das schürte seinen Zorn nur noch. Am liebsten hätte er sich auf den Nächstbesten gestürzt und ebenso auf ihn eingeprügelt wie auf den Prinzen, damit er sich endlich erinnerte. Damit dieser Albtraum endlich aufhörte.
 

„Äh, hallo?“, quäkte da eine gedämpfte Stimme irgendwo hinter ihm. „Hey, Großer, bist du das? Wäre super, wenn du mir hier mal raushelfen könntest. Dieser Korken sitzt verdammt fest.“

Abbefaria hielt für einen Augenblick inne und überlegte. Er kannte diese Stimme. Sie gehörte… „Pizkol?“

„Exakt dieser.“, kam die Antwort aus dem Hintergrund. „Wenn du also so freundlich wärst, mich zu befreien? Mir scheint, hier ist so Einiges im Argen.“

Wie betäubt erhob der Druide sich und entnahm Magentas Gepäck eine große, bauchige Flasche, in deren Inneren sich der Wichteldiener seiner Geliebten die Nase am Glas plattdrückte.

„Hey, schön dich zu sehen.“, begrüßte ihn der kleine Dämon. „Na los, mach die Flasche auf, damit ich hier raus kann. Danach können wir dann…“

„Das wird ja immer schlimmer.“, bellte Easygoing und wies anklagend auf die Flasche in Abbefarias Hand. „Jetzt paktiert er auch noch selbst mit Dämonen. Was für ein Schwindler!“

„Mal ganz langsam, Dicker.“, ereiferte sich der Wichtel und schielte zu dem großen Druiden hoch. „Ich bin immerhin nicht ganz freiwillig an diesem Ort. Und wenn überhaupt, dann kann nicht mein langohriger Freund hier was dafür, sondern meine Meisterin, die da drüben gerade so ein nettes Nickerchen hält.“

Abbefaria schluckte schwer. „M-Magenta schläft nicht. Sie ist…ist…“

„Wenn du jetzt tot sagen willst, muss ich dich enttäuschen.“, unterbrach ihn der Wichtel. „So ein Hexenmeister ist schwerer umzubringen, als man meinen sollte. Glaub mir, ich hab es schon versucht. Mal davon abgesehen, erinnere ich mich, ihr den Trick mit dem Seelenstein selbst verraten zu haben. Man, muss mir langweilig gewesen sein!“

„Aber das…das kann nicht sein.“, stotterte Abbefaria. „Ich habe sie untersucht. Sie atmet nicht mehr und ihr Herz hat aufgehört zu schlagen. Sie ist fort.“

„Wenn das so wäre, säße ich jetzt aber schon längst wieder in meiner Höllendimension und würde hier kein Kaffeekränzchen mit dir veranstalten.“, erwiderte der Wichtel augenrollend. „Glaub mir, sie lebt noch. Also im Moment nicht wirklich, aber wenn du den Seelenstein aus ihrer Tasche holen und zerbrechen würden, könnte uns das schon ein ganzes Stück weiterhelfen. Dann sollte ihr Geist, der sich momentan darin befindet, wieder in ihren Körper zurückkehren und alles ist tutti.“

Er warf einen zweifelnden Blick auf die drei andere Nachtelfen. „Naja fast alles. Mir brummt auch noch der Schädel von dieser ganzen Gedächtnis-Veränder-und-Geschichte-Umschreib-Aktion. Hat mich tatsächlich so ein Schnösel namens Rulpep vertreten? Unfassbar! Außerdem ist es verdammt eng hier drin. Wenn du mich also vielleicht endlich mal hier raus lassen würdest…“
 

Abbefaria tat, worum Pizkol ihn gebeten hatte und entfernte den Stopfen aus dem Flaschenhals. Es gab ein saugendes Geräusch und der Dämon stand wieder in seiner ganzen, bockbeinigen Herrlichkeit vor ihm. Vor Freude macht die kleine Kreatur einen Luftsprung.

„Viel besser.“, konstatierte er und streckte sich. „Ich weiß wirklich nicht, wer auf die dämliche Idee gekommen ist, Geister in Flaschen einzusperren. Immerhin stehen ganze Dimensionen zur Verbannung zur Auswahl. Aber egal jetzt. Suchen wir nach diesem Seelenstein.“

Er hüpfte zu Magentas Rucksack und begann darin herumzuwühlen. Es klirrte und klimperte und dann hielt er einen eckigen, violetten Stein in die Höhe. Missmutig musterte er den Kristall.

„Bei Archimonds geblümter Unterhose, was wollte sie nur mit all diesen Seelensplittern.“ Er roch an dem Kristall. „Ganz eindeutig Satyr. Mhm…Satyr, Satyr, Satyr. Muss ja ne Menge von denen gegeben haben in letzter Zeit. Und der hier…pfui Fischgeruch. Von einer Naga! Die sollte man wirklich nicht zu lange aufbewahren. Und der hier? Taure gut abgehangen würde ich sagen? Wie lange hat sie den denn schon dabei? Aber wo ist denn jetzt…ah hier. Wenn du mir den mal abnehmen könntest“

Der Wichtel zog mit einiger Mühe eine violette Kristallkugel aus dem Gepäck, die etwa halb so groß war wie er selber, und übergab sie an Abbefaria. Ein schwaches Glühen ging davon aus und als der Druide hineinsah, zogen dunkle Schlieren durch das Innere. Fasziniert folgte er ihren hypnotischen Bewegungen mit den Augen.

„Also wenn ich du wäre, würde ich da nicht zu lange reingucken.“, brach der Wichtel seine Konzentration. „Die Seele eines anderen zu sehen kann eine ziemlich verstörende Angelegenheit sein. Außerdem weiß ich nicht, wie die Zeit da drinnen so abläuft. Es könnte sein, dass sie schon seit Stunden in dem Ding festhockt und ich glaube nicht, dass das ihrer Laune sehr zuträglich ist.“

„Natürlich.“, nickte Abbefaria und wandte den Blick mit Gewalt von dem faszinierenden Stein ab. „Was muss ich tun?“

„Der Stein muss zerbrochen werden, um die darin enthaltene Seele wieder freizusetzen. Danach tritt der Geist wieder in den Körper über und derjenige lebt wieder. So viel Hexenmeisterei solltest selbst du zustande kriegen.“
 

Abbefaria trat einen Schritt zurück und wandte sich Magentas leblosem Körper zu. Mit einem letzten Blick in das Innere des Steins, hielt er ihn hoch über seinen Kopf und schleuderte ihn dann mit voller Wucht zu Boden.

Mit einem Geräusch, das eher an einen Donnerschlag, denn an zerspringendes Glas erinnerte, zerplatzte der Kristall auf dem Boden. Schwarzvioletter Rauch stieg daraus empor und kräuselte sich in einem nicht vorhandenen Luftzug. Langsam waberten die Schwaden auf die am Boden liegende Hexenmeisterin zu und strömten ihr in den halb geöffneten Mund. Als der Rauch verschwunden war, senkte sich für einen Augenblick atemlose Stille über die Anwesenden, die kurz darauf von einem Husten unterbrochen wurde. Magenta war wieder erwacht.

Schnell ließ Abbefaria sich neben ihr auf die Knie sinken und half ihr, sich zu erheben. Voller Hoffnung suchte er in ihrem Gesicht nach Anzeichen des Wiedererkennens.

„Was zum…Abbe?“ Ein weicher Schimmer erschien in ihrem Blick, als sie sein Gesicht erkannte. Sie hob die Hand und berührte sanft seine Wange.

„Du erinnerst dich?“, flüsterte er. „Du erinnerst dich tatsächlich an uns?“

„Das tue ich.“, antwortete sie leise. „Auch wenn einiges mir merkwürdig verschwommen scheint und da Bilder in meinem Kopf sind, die dort nicht hinzugehören scheinen. Doch dich könnte ich nie vergessen.“

Ihre Lippen fanden sich zu einem tiefen, endlosen Kuss, der mehr ausdrückte, als Worte es je vermocht hätten. Abbefaria vergaß alles um sich herum, bis irgendwann jemand an seinem Ärmel zupfte. Als er hinab sah, blickte er direkt in das ziegengehörnte Gesicht des Wichtels.

„Also ich will ja nicht stören, aber ich glaube, wir sollten euren Freunden vielleicht das eine oder andere erklären, bevor mich dieser andere Druide da in den Boden stampft. Er sieht zumindest ganz danach aus.“
 

In der Tat standen die Zeichen in Easygoings Gesicht auf Sturm. Grollend kam er näher.

„Ich wüsste wirklich gern, was all das hier zu bedeuten hat. Hexenwerk und Schattenmagie! Dafür wirst du dich vor dem Zirkel zu verantworten haben.“

„Es gibt eine Erklärung dafür.“, begann Abbefaria. „Aber sie ist kompliziert und vermutlich würdest du mir nicht glauben, wenn ich dir erzähle, dass wir dort, wo ich herkomme, alte Freunde sind.“

„Das glaube ich in der Tat nicht.“, knurrte der andere Druide.

„Und doch erinner ich mich genau, wie wir beide damals zusammen mit Ceredrian aufgebrochen sind, um den Anhänger des Seelöwen zu suchen. Wie wir im Auftrag von Raene Wolfrunnner die Verderbnis der Furbolgs in Ashenvale untersuchten und dabei in Gefangenschaft der Horde gerieten. Wie wir auf unserer weiteren Reise nach Westfall den Blackrock durchquerten und schließlich unsere Wassergestalt erhielten. Wie Raene Wolfrunner uns erneut um Hilfe bat und wir im Steinkrallengebirge auf die Gnomenmagierin Emanuelle trafen. Und wie sich unsere Wege dann in der öden Wildnis der Schimmernden Eben trennten, um schließlich in Feralas wieder zusammen zu finden. An all das erinner ich mich und es fällt mir schwer zu verstehen, warum du das nicht mehr weißt, alter Freund.“

Easygoing schüttelte ungläubig den Kopf. „All das ist tatsächlich passiert, aber…ich habe all diese Dinge nur zusammen mit Ceredrian und meinem Bruder erlebt. Es war sonst niemand bei uns. Woher weißt du davon?“

„Es muss an Chromies Zauber liegen.“, überlegte Magenta. „Sie hat uns das eingebrockt, da bin ich mir ganz sicher.“

„Chromie?“ Easygoing sah verwirrt von einem zum anderen. „Wer ist das?“

„Ein Mitglied des Bronzenen Drachenschwarms.“, antwortete Abbefaria. „Ich fürchte, wenn wir Licht in die Sache bringen wollen, müssen wir mit ihr sprechen. Wir werden daher wohl in die Pestländer reisen und dort nach ihr suchen müssen.“

„Und wenn sie nicht dort ist?“, fragte Magenta leise. Abbefaria konnte die Hoffnungslosigkeit hinter ihren Worten deutlich erkennen. Er nahm ihre Hand, streichelte sanft ihre Finger.

„Das weiß ich nicht, mein Herz. Aber ich fürchte, dann werden wir so lange suchen müssen, bis wir irgendwo auf dieser Welt einen anderen Bronzedrachen gefunden haben und hoffen dass er uns hilft.“
 

„Ich höre hier immer nur Drachen.“, mischte sich mit einem Mal Deadlyone ein. Der Schurke zog höhnisch die Mundwinkel nach oben. „Glaubt ihr etwa, mit so einer dummen Geschichte könnt ihr euch herausreden? Bronzene Drachen, pah! Die gibt es doch gar nicht mehr. Das sind doch nur alte Geschichten. Ihr…“

„Deadly, halt den Mund!“

Abbefaria sah Easygoing erstaunt an. So wie er seinen Freund kannte, hatte er nicht erwartet, dass der Druide sich auf ihre Seite schlug.

„Willst du damit etwa sagen, dass du ihnen glaubst?“, ereiferte sich der Schurke.

„Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll.“, antwortete Easygoing. „Aber ich denke, dass ich einen Ort kenne, an dem unsere Fragen beantwortet werden können. Ich habe euch nicht alles erzählt, was mir auf meinem Abstecher nach Silithus widerfahren ist. Ich hatte dort eine…Begegnung. Ein Nachtelf, der sich als Barisolth vorstellte. Er sagte, sein Meister hätte ihn beauftragt auf ein Zeichen zu warten. Ein Zeichen, das ich ihm gebracht hätte und das davon kündete, dass sein Meister zurückkehren würde. Ich hielt sein Gerede für dummes Geschwätz, doch jetzt…“

„Was hat er gesagt?“, fragte Abbefaria atemlos.

„Er sagte: Reist zu den Höhlen ganz im Westen von Tanaris. Dort werdet Ihr die Ruhestätte des Bronzeschwarms finden. Ich denke jetzt, dass er vom Bronzenen Drachenschwarm gesprochen hat. Wenn ihr also einen von ihnen finden wollt, solltet ihr dort anfangen zu suchen.“

Abbefaria stand auf und sah dem Easygoing fest in die Augen. „Ich danke dir mein Freund und habe eigentlich nur noch eine Frage: Wirst du uns begleiten?“

Der andere Druide wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als Ceredrian ihm zuvorkam.

„Natürlich werden wir mitkommen. Oder meint ihr vielleicht, ich will den Schluss dieser spannenden Geschichte verpassen? Kommt gar nicht in Frage.“

„Aber was ist mit der Teufelsranke?“, erwiderte Easygoing. Auf seinem Gesicht rangen die Emotionen miteinander. „Wir müssen sie in Sicherheit bringen.“

„Ja eben.“, echote auch Deadlyone. „Was, wenn das nur ein Trick ist, um an die Ranke zu kommen? Oder uns hinterrücks zu ermorden?“

„Als wenn sich irgendjemand freiwillig in die Nähe dieses Gewächses begeben würde.“, schnaubte Magenta. „Und wenn wir euch hätten umbringen wollen, wäre doch wohl mehr als genug Gelegenheit dazu gewesen. Aber bitte, wir schaffen es auch ohne Eure Hilfe nach Tanaris. Geht nur und nehmt dieses teuflische Ding mit. Ich werde sehr viel besser schlafen, wenn ich es nicht in meiner Nähe weiß.“

„Nein.“, sagte Easygoing und machte ein entschlossenes Gesicht. „Wir werden Euch begleiten. Nach Tanaris ist es von hier aus nicht weit und ich möchte auch sehen, was sich hinter dieser mysteriösen Geschichte verbirgt. Aber seid gewarnt: Wenn wir am Ende der Wüste nicht mehr als Sand und Steine finden, werden Eure Knochen in der Sonne bleichen und dann wir mich niemand, nicht einmal mehr mein friedfertiger Cousin, davon abhalten.“

„Abgemacht.“, sagte Abbefaria erleichert. „Dann lasst uns jetzt diese Stätte des Grauens so schnell wie möglich verlassen und nach Tanaris reisen. Magenta?“
 

Die Hexenmeisterin war stehengeblieben und warf einen langen, fast sehnsüchtigen Blick zum Immol’thars zerstörtem Gefängnis. Als Abbefaria sie an der Schulter berührte, zuckte sie zusammen.

„Was ist? Was hast du?“, fragte er leise.

Sie schüttelte den Kopf. „Ach nichts. Ich wollte…nicht so wichtig. Lass uns nach Tanaris reisen. Ich hoffe nur, wir finden dort auch, was wir suchen.“

Abbefaria lachte und küsste sie auf die Stirn. „Das hoffe ich auch. Ansonsten wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben, als den dreien eine Abreibung zu verpassen und uns dann auf die Suche nach Chromie zu begeben.“

Magenta rollte mit den Augen. „Bitte alles nur das nicht. Ich glaube, noch eine Begegnung mit dieser Gnomin wäre mein Untergang. Man kann eigentlich nur hoffen, dass sie nicht grad schon wieder mit irgendwelchen Zeitsträngen herumspielt. Wer weiß, was dann dabei herauskommt.“
 


 

Risingsun ließ den Sack aus ihrer Hand auf den Marktplatz von Darrowshire fallen. Es polterte, als die darin enthaltenen Schädel auf dem Boden auftrafen. Das Geräusch halte laut zwischen den zerstörten Häuser und halb verbrannten Ruinen wider.

„Seid doch vorsichtig.“, mahnte Emanuelle die Paladina und stieg von ihrem Roboschreiter. „Wir haben lange genug gebraucht, um die passenden Schädel zu finden. Wenn Ihr jetzt einen zerbrecht, müssen wir noch einmal den ganzen Weg in dieses verseuchte Tal reiten und uns durch Dutzende von Skeletten, Banshees und sonstigen Kreaturen kämpfen. Man sollte doch meinen, dass Ihr so langsam die Nase voll davon habt.“

„Mein Hass auf die Untoten kann vermutlich niemals vollkommen gestillt werden.“, erwiderte Risingsun. „Aber Ihr habt Recht. Zunächst einmal wollen wir uns um die kleine Pamela kümmern. Habt ihr den Kristall? Gut, Dann zerbrecht ihn jetzt wie Carlin Redpath gesagt hat.“

Die kleine Magierin beäugte den durchsichtigen Stein, der ihnen beim Auffinden der Schädel so gute Dienste geleistet hatte, noch einmal sorgfältig und warf ihn dann mit voller Wucht zu Boden. Es klirrte und der Kristall zersprang in tausend Scherben. Gleichzeitig erhob sich ein gewaltiges Brausen in der Luft und ein Wind, der von Westen her wehte, stob durch die leeren Gassen der Stadt. Staub wurde aufgewirbelt und nahm den beiden Heldinnen die Sicht.

„Hört ihr das?“, rief Emanuelle gegen den Sturm an. „Ich glaube, da kommt etwas. Etwas sehr Großes!“

Risingsun hielt den Kopf gegen den fauchenden Wind gesenkt, doch auch sie hörte das flappende Geräusch, das wie das Schlagen großer, ledriger Flügel klang. Ein Schatten rauschte am Boden über sie hinweg und kurz darauf verebbte der Sturm ebenso schnell wieder, wie er gekommen war. Als die Paladina aufblickte, stand Chromie mitten auf dem Marktplatz und klatschte fröhlich in die Hände.

„Oh wie schön, Ihr hat die Relikte beisammen. Schnell, lasst mich sehen, was Ihr gesammelt habt.“

Sie begutachtete das Buchband, Schild und Schwert und das Sammelsurium an Schädeln.

„Sehr gut.“, nickte sie und sah Risingsun und Emanuelle freudestrahlend an. „Zusammen werden sie einen wunderbaren Zauber ergeben. Einen, der die Geister von Darrowshire wieder zum Leben erwecken wird. Mit seiner Hilfe und ein wenig Glück kann es uns oder vielmehr Euch gelingen, Joseph Redpath vor seinem schrecklichen Schicksal zu retten.“

„Und wie wird das vonstattengehen?“, wollte Emanuelle wissen.

„Ich werde diese Gegenstände mit einem Zauber belegen.“, erklärte Chromie. „Dadurch werdet Ihr die Gelegenheit bekommen, selbst an der Schlacht um Darrowshire teilzunehmen. Allerdings wird es Euer Ziel sein, den Ausgang der Schlacht zu ändern.“

„Wir werden Darrowshire vor dem Untergang retten?“, fragte Risingsun. Sie blickte auf alle die Zerstörung um sich herum und malte sich aus, wie es sein würde, Darrowshire in seinem alten Glanz vor sich zu sehen.

„Nun ja, nicht ganz.“, antwortete Chromie ausweichend. „Allzu sehr dürfen wir die Geschichte nicht verändern. Das würde zu großen Problemen führen. Ihr müsst wissen, die Zeit ist eine komplizierte Angelegenheit. Es ist daher wichtig, dass die Schlacht bis zu einem bestimmten Punkt genauso abläuft, wie es damals geschehen ist. So müsst ihr dafür Sorge tragen, dass der Paladin Davil Crockford überlebt, bis er Horgus den Verheerer geschlagen hat. Er hatte beim ersten Mal großes Glück, dass ihm das gelungen ist und wenn es jetzt zu einem erneuten Aufeinandertreffen der beiden kommt, wäre es durchaus möglich, dass Davil den Kampf verliert. Ihr müsst dafür sorgen, dass das nicht geschieht. Er muss überleben, bis Horgus geschlagen ist.“

Risingsun musterte die kleine Gnomin misstrauisch. „Und was ist danach? Was ist, wenn Horgus besiegt wurde?“

Chromie machte ein betroffenes Gesicht. „Dann hat Davil seine Rolle erfüllt. Ihr kennt die Geschichte. Er wird seinen Verletzungen erliegen.“

„Das klingt mir nicht gerade fair.“, meinte auch Emanuelle.

„Und doch muss es so sein.“, antwortete Chromie. „Denn wäre es nicht so, würde das unsere Gegenwart in nicht vorhersehbarer Weise verändern. Das dürfen wir nicht riskieren. Außerdem gilt es noch einen zweiten Teilnehmer der Schlacht zu schützen. Joseph Redpath muss überleben, bis Marduk Blackpool ihn zu einem Diener der Geißel macht.“

„Was?“ Risingsun glaubte, sich verhört zu haben. „Aber ich dachte, wir wären hier, um ihn zu schützen.“

„Schützen ja, aber davor, ein Diener der Geißel zu bleiben.“, erklärte Chromie. „Er muss korrumpiert werden und die Seuche unter seinen Männern verbreiten, weil diese Tatsache schließlich zum Fall Darrowshires führte. Doch sobald es geschehen ist, werde Ihr Euch ihm entgegenstellen und ihn befreien, indem ihr ihn besiegt und seinem Dasein als Untoter ein Ende bereitet. Danach kann Joseph Redpaths Geist nach Darrowshire zurückkehren und Vater und Tochter werden wieder vereint sein.“

Die Lippen der Paladina wurden schmal. „Ihr meint, es gibt keinen Weg, die kleine Pamela vor dem Tod zu bewahren?“

Chromie zuckte mit den Schultern. „Es tut mir leid, aber das ist das Beste, was ich für die beiden tun kann.“

Risingsun starrte die Gnomin einen Augenblick lang an, dann nickte sie. „Einverstanden. Wenn das dazu führt, dass die beiden ihren Frieden finden, dann sollten wir dieses Wagnis eingehen.“

Risingsun zog ihren Streitkolben und griff nach ihrem Schild. Sie nickte Chromie aufmunternd zu. „Sprecht Euren Zauber, Drache. Ich bin bereit.“

Die blonde Gnomin wandte sich an Emanuelle. „Ich hoffe, Ihr seid auch bereit. Das hier wird kein Zuckerschlecken. Die Stadt wurde damals von Untoten förmlich überrannt.“

„Oh, das wird schon werden.“, antwortete Emanuelle. „Ich glaube, es gibt hier noch ein paar Verteidiger, die sich ebenfalls mobilisieren lassen, nicht wahr. Zusammen werden wir die Schlacht schon durchstehen. Noch einmal.“

„Ich sehe, Ihr habt verstanden.“, grinste Chromie. „Nun denn. Lasst Die Schlacht um Darrowshire beginnen!“
 

Die Gnomin legte die Relikte vor sich auf den Boden und begann, einen Zauber zu wirken. Ein goldenes Leuchten begann sich von der kleinen Gestalt aus auszubreiten. Es bildete einen Strudel, der nach und nach größer wurde und alles um sie herum einhüllte. Als der Strudel Risingsun erreichte, schloss sie für einen Moment die Augen und als sie sie wieder öffnete, sah sie sich einem veränderten Darrowshire gegenüber. Zwar waren die Häuser immer noch zerstört, doch über den Ruinen schwebte eine Illusion dessen, wie die Stadt einst ausgesehen haben mochte.

Geisterhafte Bürger liefen auf den Straßen umher, augenscheinlich dabei, ihr Hab und Gut in Sicherheit zu bringen. Eine Glocke läutete in der Ferne. Männer und Frauen eilten zu einem Gebäude, das das Rathaus der Stadt sein mochte und kamen kurz darauf mit provisorischen Waffen und Rüstungen wieder zum Vorschein. Besser ausgebildete Kämpfer teilten sie in Gruppen ein und sendeten sie an verschiedene Punkte am Stadtrand, wo Befestigungen aus allem, was nicht niet- und nagelfest war, errichtet worden waren. Eine kleine Gruppe von Männern in Silber und Blau stand auf dem Marktplatz Wache. An ihrer Spitze sah Risingsun die spektrale Gestalt Davil Crockfords. Der Paladin wirkte besorgt und gleichzeitig zu allem entschlossen. Plötzlich mischte sich unter das Sturmläuten der Glocke ein Warnruf:

„Die Geißel! Sie kommt!“

Im selben Moment wuchsen blau schimmernde Skelette rings um die Stadt herum förmlich aus dem Boden. Die Miliz und die Paladine der Silbernen Hand schwärmten aus, um sich den Untoten in den Weg zu stellen und ehe sie sich versah, war Risingsun mitten unter ihnen. Ihr Streitkolben zertrümmerte geisterhafte Schädel und spektrale Knochen, als wären sie ebenso real wie sie selbst. Immer wieder traf ihre Waffe auf Widerstand und immer wieder erschienen neue Skelette, die sich den Verteidigern entgegenwarfen.

Ein grauenhaftes Geheul ließ Risingsun herumfahren. Schmatzend und geifernd hatte eine Schar Ghule das Schlachtfeld betreten. Ihr in Bandagen und stinkende Lumpen gehüllten Körper trugen einen Pestgestank an sich, der Risingsun den Atem stockend ließ.

„Lasst nicht nach, Freunde! Wir werden nicht verlieren!“, schmetterte der Geist von Davil Crockford und stellte sich mutig gleich drei Ghulen auf einmal. Die tückischen Kreaturen schnappten nach seinen Gliedmaßen und geiferten dabei voller Gier. Da griffen auf einmal Hände aus dem Erdreich nach dem Paladin und rissen ihn zu Boden. Sofort waren die Ghule über ihm und grapschten nach seiner Kehle.

„Nicht so schnell, elendes Pack!“, zischte Risingsun und fällte den ersten Ghul mit einem wohl gezielten Streich ihres Streitkolbens. Sofort ließen die Ghule von dem am Boden Liegenden ab und wandten sich gegen die Paladina. Schläge prasselten auf ihren Schild, Arme und Beine. Nur mit Mühe wich sie der herannahenden Axt eines weiteren Skeletts aus, das sich ebenfalls in den Kampf eingemischt hatte. Ehe sie sich versah, war Risingsun von Untoten umzingelt.

„Emanuelle!“, rief die Paladina und drängte einen der Ghule mit einem ausholenden Schlag zurück. „Ich könnte hier Hilfe brauchen.“

Anstatt einer Antwort ließ ein Feuerball einen der Ghule, die auf Risingsun eindrangen, in Flammen aufgehen. Die Kreatur kreischte, als ihr das rottende Fleisch von den Knochen gebrannt wurde und nichts als ein Haufen schwelender Knochen übrig blieb. Knochen, die sich zum Glück nicht wieder erhoben. Ein weiterer Ghul fiel unter der vereinten Macht dreier Milizkämpfer, die gemeinsam so lange auf den wiedererweckten Kadaver einschlugen, bis sich dieser nicht mehr rührte. Risingsun wollte ihnen danken, doch sie blickten durch sie hindurch, als wäre sie gar nicht anwesend.
 

„Das Licht scheint hell in dir, Davil.“, greinte da eine Stimme über den Platz. „Doch ich bin gekommen, um es auszupusten. Hahaha!“

Ein riesiger Ghul war auf einem Hügelkamm erschienen und sah aus glühenden Augen auf den stolzen Paladin herab. Seine Haut hing in blutigen Fetzen und Eiter triefte aus seinen Wunden hervor. Ein intensiver Verwesungsgestank waberte ihm voran, als er jetzt den Hügel hinab gewankt kam, die ausgestreckten Arme auf Davil Crockford gerichtet.

Der Paladin erledigte den letzten der Untoten, der auf ihn eindrang, mit einem Streich seines silbernen Hammers und stellte sich dann dem Ghul entgegen. Die untote Kreatur kicherte.

„Komm raus, komm raus und spiel mit mir.“

Der Paladin ersparte sich einen Kommentar und hieb mit seinem Hammer nach Horgus. Er traf den Ghul an der Schulter, doch anstatt die Knochen zu zerschmettern, prallte seine Waffe von einem unerwartet harten Widerstand ab. Der Schwung des Schlags trug den Paladin nach vorn und in Reichweite des Ghuls. Sofort ließ dieser sein albernes Gebaren fallen und schnappte nach der Kehle seines Gegners, während seine Hände mit den dreckigen Krallen über die silberne Rüstung kratzten.

„Weiche, finstere Kreatur!“, rief Davil Crockford und stieß den Ghul von sich. Das Kettenhemd über seinem Arm hing in Fetzen. „Möge das Licht dich läutern!“

Ein greller Blitz fuhr in den Ghul und entlockte ihm ein heiseres Krächzen. Er hielt sich den Schädel und jammerte wie ein Tier. Doch kaum hatte der Paladin den Zauber beendet, stürzte Horgus sich erneut auf ihn. Wie gebannt verfolgte Risingsun den Kampf der gleichstarken Kontrahenten. Bald schon blutete der Paladin aus mehreren Wunden und ein Arm des Ghuls hing nutzlos herab. Trotzdem droschen die beiden mit ungeminderter Kraft aufeinander ein und es stand in den Sternen, wer den Sieg davon tragen würde. Da sah Risingsun, wie sich erneut zwei der Ghuldiener heranschlichen, um den Kampf zu Gunsten ihres Meisters zu verschieben.

„Das könnte euch so passen.“, fauchte die Paladina und warf sich zwischen die zusätzlichen Angreifer und Davil Crockford. Mit weit ausholenden Schlägen ihres Streitkolbens drängte sie die beiden zurück und fing ihre Schläge mit dem inzwischen schon reichlich verbeulten Schild ab. Da heulte einer von ihnen plötzlich au, drehte sich auf dem Absatz herum und setzte zur Flucht an. Dem anderen zertrümmerte Risingsun mit einem schnellen Hieb den Schädel und fuhr dann zu Davil Crockford herum. Der Paladin stand schwer atmend über dem Leichnam des schrecklichen Ghuls. Dunkles Blut klebte an seinem Hals und die hellen Haare waren verklebt von Schweiß und Dreck. Trotzdem war es unverkennbar: Horgus, der Verheerer, hatte sein Ende gefunden.

Einige Milizangehörige nahten heran und einer von ihnen rief: „Horgus ist besiegt! Habt Mut, Bürger von Darrowshire, habt Mut! Wir werden sie zurückschlagen.“

Zwei der Milizen stützten den verletzten Paladin und brachten ihn aus den unmittelbaren Kampfhandlungen heraus, während der Rest von ihnen sich mit neuer Kraft den immer noch auf die Stadt einstürmenden Untoten entgegenstellte. Niemand von ihnen bemerkte, wie einer der Diener von Horgus sich dessen Schädel unter den Arm klemmte und mit ihm über den Hügel verschwand.

Auch Risingsun, die das Ganze beobachtet hatte, ließ ihn ziehen. Sie wusste, es war nicht ihre Aufgabe, das zu verhindern. Suchend sah sie sich stattdessen nach Emanuelle um und entdeckte sie ganz in der Nähe eines rotbärtigen Mannes in einer Milizuniform. Mit Schild und Schwert warf er sich dem Strom der Untoten entgegen, als gäbe es kein Morgen. Skelett um Skelett fiel unter seinen Streichen und als Risingsun das Schild sah, wusste sie, dass es sich um niemand anderen als Joseph Redpath handelte. Er schien überall und nirgends zugleich zu sein und feuerte dabei die andere Milizen an, nicht nachzugeben und die Stellung zu halten. Der Mann war ein geborener Anführer.
 

Ein schrilles Wiehern erweckte Risingsuns Aufmerksamkeit. Mitten auf der Straße, die in die Stadt führte, stand ein Skelettross, auf dessen Rücken ein dunkler Reiter thronte. Er war von Kopf bis Fuß in schwarzes Eisen gehüllt und an seiner Seite hing ein schwarzes Schwert mit breiter Klinge, die in einem unheilvollen Licht glühte. Als er es zog, erkannte Risingsun die runenverzierte Klinge wieder, die sie und Emanuelle aus dem Dreck der Seuchennarbe gezogen hatten. Marduk Blackpool war erschienen, um in die Schlacht einzugreifen.

Um ihn herum standen Untote in blutroten Rüstungen. Sie wirkten im Gegensatz zu den hageren Skelettkriegern, die oft nicht mehr als ein schartiges Schwert oder ein einzelnes Rüstungsteil trugen, wie disziplinierte Krieger. Auf einen Wink des schwarzen Ritters hin, setzten sie sich wie ein Mann in Bewegung und hielten dabei genau auf die Stelle zu, an der Joseph Redpath und seine Gefolgsleute sich erfolgreich gegen den Angriff der Geißel zur Wehr setzten.

Risingsun knirschte mit den Zähnen, als sie erkannte, welchen Plan Blackpool verfolgte. Seine blutroten Soldaten stürzten sich ohne Gnade auf die Verteidiger Darrowshires und nicht wenige fielen schon nach einem kurzen Gefecht den gut ausgebildeten Kämpfern zum Opfer. Andere, die sich erfolgreicher zur Wehr setzten, wurden weiter zurückgedrängt, so dass bald eine Schneise zwischen Marduk Blackpool und Joseph Redpath entstand. Eine Schneise, die mit jedem Schwertstreich breiter wurde.

Währenddessen hatten gleich drei der blutroten Krieger den Anführer der Miliz in ein Scharmützel verwickelt. Risingsun erkannte jedoch genau, dass die Attacken gegen Joseph Redpath nur halbherzig ausgeführt wurden und einzig und allein dazu dienten, seine Aufmerksamkeit von der wahren Gefahr abzulenken. Einer Gefahr in einer schwarzen Rüstung, die sich ihm jetzt in seinem ungedeckten Rücken näherte. Nur mit Mühe konnte sich Risingsun zurückhalten, dem Mann eine Warnung zuzurufen. Und dann war es dafür ohnehin zu spät. Marduk Blackpool hatte Pamelas Vater erreicht und hob sein Schwert.

„Dein Leben endet hier, Redpath!“, verkündete der schwarze Ritte und bohrte die runenbedeckte Klinge bis zum Heft in den Rücken des Milizkapitäns.

Joseph Redpath riss die Augen weit auf und sein Mund öffnete sich zu einem tonlosen Schrei. Schwarzer Rauch löste sich von der Schwertklinge, die in seiner Brust steckte, und griff mit dunklen Spinnenfingern nach seinem Gesicht. Die dunklen Fäden drangen in Ohren, Mund und Nase vor und der gesamte Körper begann in schrecklichen Krämpfen zu zucken.
 

Risingsuns Finger umklammerten den Griff ihres Streitkolbens so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. Sie durfte sich nicht einmischen. Sie musste die schreckliche Transformation mitansehen und konnte nichts tun, um dem Mann zu helfen, dessen Körper jetzt da stand wie eine Marionette, der man die Fäden abgeschnitten hatte. Auf ein Wort von Marduk Blackpool hin erzitterte die Gestalt und hob langsam ihren Kopf.

Was die Paladina sah, war noch immer das Gesicht von Joseph Redpath und doch etwas völlig anderes. Wo vorher Fürsorge und Leidenschaft geglänzt hatten, sah man jetzt nur noch Schwärze in seinem Blick. War er vorher ein Sinnbild von Mut und Tapferkeit gewesen, so strahlte er jetzt auf eine schwer zu beschreibende Art und Weise Gewalt aus. Aus dem strahlenden Helden war ein Streiter für das Dunkle geworden. Eine Aura des Bösen umwaberte ihn wie die schwarzen Schatten, die von seiner Seele Besitz ergriffen hatten. Und die Schatten breiteten sich aus.
 

Einer der Verteidiger von Darrowshire brach mit einem Schrei zusammen. In seiner Seite steckte das Schwert seines Nebenmannes, der eben noch mit ihm zusammen gegen die rotgerüsteten Krieger vorgegangen war. Ein zweiter kreuzte die Waffen mit einer Frau in Milziuniform. Ihr Gesicht war ausgezehrt und hager, die Arme, die das Schwert schwangen, ausgemergelt, ihr Brustkorb eingefallen. Sie wirkte fast wie eine…

„Lebende Leiche.“, flüsterte Risingsun. „Joseph Redpaths Aura macht die Soldaten zu Untoten, die sich gegen ihre eigenen Leute wenden. Wir müssen das beenden.“

Immer mehr der ehemaligen Verteidiger richteten die Waffen gegen die eigenen Leute. Wo immer Joseph Redpath in ihre Nähe kam, wurden sie transformiert und reihten sich in die Reihen der Untoten ein. Bald schon würde keiner mehr von ihnen übrig sein und sie würden sich gegen die zivile Bevölkerung wenden. So wie es damals bereits geschehen war und wie es jetzt wieder vor ihren eigenen Augen passierte. Entschlossen packte Risingsun Streitkolben und Schild. Sie würde dieses grausame Schauspiel jetzt beenden.
 

„Emanuelle?“ rief sie laut über den Kampfplatz. „Joseph Redpath. Er wurde verwandelt. Wir müssen ihn aufhalten.“

„Schon unterwegs.“, kam ein Stimmchen von irgendwo hinter den Reihen der schwindenden Verteidigung. „Ich muss nur noch eben…huiiiii“

Ein Feuerstreifen erhellte den gelben Himmel und zog eine rauchende Bahn hinter sich her. Am vorderen Ende des Feuerstrahls klebte Emanuelle. Sie hatte eine Brille mit grünen Gläsern vor dem Gesicht und ihre Zöpfe flatterten im Wind. Als sie hoch über Risingsun vorbeiflog, löste sie das Ding, was funkensprühend auf ihrem Rücken saß und schwebte sanft an den Strippen eines Fallschirms hängend zur Erde. Unten angekommen grinste sie Risingsun an.

„Ich hab meine Raketenstiefel mit dem Antrieb eines Mithrildrachlings gekoppelt. Die Wirkung ist phänomenal, besonders wenn man…ach nicht so wichtig. Joseph Redpath. Wir wollten ihn aufhalten.“

Risingsun deutete auf das Schlachtfeld. „Wir müssen ihn vor allem von den übrig gebliebenen Verteidigern fernhalten. Und wir sollten ihn von den Elite-Soldaten trennen. Ich glaube nicht, dass ich es mit ihm aufnehmen kann, wenn er aus ihren Reihen Unterstützung erhält.“

„Dann übernehme ich diese roten Kasper.“, erklärte Emanuelle. „Wollen wir doch mal sehen, was die ein paar schönen, arkanen Explosionen entgegenzusetzen haben. Meint Ihr, Ihr schafft es allein gegen Joseph Redpath anzukommen?“

Risingsun starrte den ehemaligen Captain der Verteidiger von Darrowshire und antwortete langsam: „Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass ich eher sterben würde, als es nicht zu versuchen.“

Emanuelle legte den Kopf schief und sah zu der Paladina empor. „Ihr seid eine mutige Frau, Risingsun. Aber versucht doch bitte, das mit dem Sterben noch zu verschieben, bis wir Zul’Gurub erobert haben.“

Der Paladina huschte ein kleines Lächeln über das Gesicht. „Einverstanden. Und jetzt lasst uns die Geschichte von Darrowshire umschreiben.“
 


 

Als die braunen Felsformationen am Rand der Wüste sichtbar wurden, fing Magentas Herz an schneller zu klopfen. Was würde sie dort erwarten? Würden sie eine Antwort auf ihre Fragen erhalten? Oder würden sie dort am Ende des Kontinents nicht mehr als ein paar leere Höhlen und zerklüfftete Steinhänge finden?

Die Hexenmeisterin warf einen Blick zu Abbefaria, der neben ihr auf seiner weißen Reitkatze saß. So froh sie waren, dass sie sich wieder aneinander wiedergefunden hatten, lag doch ein Schatten über dem Gesicht des Druiden. Er litt darunter, dass sich keiner seiner Freunde an ihn erinnern konnte und ihm noch dazu misstrauten. Sie wusste, dass ein guter Teil der Schuld dafür darin lag, dass er sich zu ihr bekannt hatte. Obwohl auch sie sich erinnerte, zumindest zwei der anderen Nachtelfen schon einmal begegnet zu sein, war sie für sie lediglich eine Fremde und eine Hexenmeisterin obendrein.

Abbefaria hob den Kopf und bemerkte ihren Blick. Ein Lächeln streifte sein Gesicht. „Wie sind bald da. Du wirst sehen, es wird alles gut.“

Magenta erwiderte sein Lächeln und hoffte tief in ihrem Inneren, dass er Recht haben würde. Es würde schwer werden, in einer Welt zu leben, die zwar dieselbe und doch so ganz anders war als die, die sie kannten. Zumal die Erinnerungen an ihre Geschichte, wie sie hier verlaufen war, mehr und mehr zu verblassen zu begannen, wie ein Bild, das sich langsam im Wasser auflöste.
 

Quälend langsam kamen die dunklen Schatten näher, und jeder Schritt, den die Reittiere hinter sich brachten, wurde zu einem Wettlauf gegen die sinkende Sonne. Denn, so hatte Easygoing verfügt, sie würden sich nicht im Dunkeln auf unbekanntem Gebiet bewegen, in dem möglicherweise Drachen hausten. Zwar hatte Abbefaria eingewandt, dass er und die andere Nachtelfen im Dunkeln fast ebenso gut sahen wie am Tage, doch der andere Druide hatte dieses Argument nicht gelten lassen. Immerhin wussten sie nicht, wie es um die Drachen bestellt war und es bestand durchaus die Möglichkeit, dass diese ihnen im Dunkeln überlegen waren. So atmete Magenta erleichtert auf, als sie die ersten Felsen noch im Licht der untergehenden Sonne erreichten.
 

„Was…was ist das hier?“, staunte Ceredrian, der als Erster von seinem Reittier geglitten war und jetzt mit großen Augen das betrachtete, was vor ihnen lag.

Halb vergraben im weißen Sand reihten sich Gebäude verschiedenster Epochen und Baustile aneinander. Es gab elfische Türme und zwergische Rundbauten, eine flache Orkhütte und Streben, die zu einem Trollzelt gehören mochten, Mauern, die einer menschlichen Burg glichen und marmorne Säulen, die keiner Kultur entstammten, die Magenta kannte. Dazwischen ragten Teile von Schiffen und anderen Gefährten aus dem Sand. Es wirkte fast so, als hätte jemand eine Festung aus den Resten dessen, was die Zeit angespült hatte, errichtet. Kaum hatte der Priester jedoch einen Fuß auf den Sand hinter dem ersten Felskamm gesetzt, erhob sich plötzlich vor ihnen mit lautem Getöse ein gewaltiger Sandsturm. Wie eine Wand ragte er vor ihnen auf und versperrte ihnen die Sicht und den weiteren Weg.
 

„Mir scheint, wir sind hier nicht willkommen.“, brüllte Easygoing gegen das Heulen des Windess an. „Wir sollten warten, bis der Sturm vorbei ist.“

„Nein.“, rief Abbefaria zurück. „Ich glaube nicht, dass dieses unnatürliche Wetter enden wird, bevor wir mit einem der Drachen gesprochen haben. Ich werde reingehen.“

„Warte!“, rief Magenta ihm nach. „Ich komme mit!“

Sie sprang vom Rücken ihres Teufelsrosses und lief in die Richtung, in die Abbefarias Silhouette verschwunden war. Von einem Moment auf den anderen konnte sie kaum mehr die Hand vor Augen sehen und die feinen Kristalle rieben über ihre Haut wie Sandpapier. Halb blind torkelte sie durch den Wind und rief dabei immer wieder Abbefarias Namen. Sie erhielt keine Antwort, außer dem Tosen des Sturms, der ihr die Worte vom Mund riss. Schließlich blieb sie stehen und schrie in den Sturm hinaus:

„Ich bin Magenta und ich bin gekommen, um die Hilfe des bronzenen Drachenschwarms zu erbitten. Uns wurde großes Unrecht durch einen von Euch zugefügt und ich fordere Wiedergutmachung.“

Sie lauschte angestrengt, doch außer dem Jaulen des Windes konnte sie nichts hören. Tränen schossen ihr gegen ihren Willen in die Augen und sie versuchte sich verzweifelt selbst davon zu überzeugen, dass das nur an den Sandkörnern lag, die der Sturm hineingetragen hatte. Hastig wischte sie die verräterischen Spuren beiseite, als sie plötzlich das Gefühl hatte, nicht mehr allein zu sein.

„Hallo?“, flüsterte sie in den brausenden Sturm hinaus. „Ist das jemand?“

Du stellst unangemessene Forderungen, Sterbliche.

Die Stimme schien von überall und nirgends zu kommen und Magenta hätte nicht sagen können, ob sie tatsächlich den Umweg durch ihr Ohr in ihren Kopf genommen hatte. Panisch sah die Hexenmeisterin sich um und konnte doch niemanden entdecken.

„Wer…wer bist du? Wo bist du?“

Die sterbliche Wahrnehmungsweise ist so beschränkt, flüsterte die Stimme in ihrem Kopf.

„Dann hilf mir.“, rief Magenta. „Beende diesen Sturm und zeig dich mir!“

So klein, so vergänglich…

Magenta spürte kalte Wut in sich aufsteigen. Natürlich war es albern, einen Drachen dazu zwingen zu wollen, ihr zu helfen. Und doch hätte sie nach all ihren Erfahrungen mit dieser Rasse etwas mehr erwartet.

„Ich hätte nicht gedacht, dass die Mitglieder des Bronzenen Schwarms so feige sind.“, rief sie gehässig. „Immerhin hatte die kleine Chromie keine Scheu, sich mit uns abzugeben. Auch der rote Drache Vaelastrasz hat sich unser angenommen, ja selbst die schwarze Matriarchin Onyxia war gezwungen, von uns Kenntnis zu nehmen. Und ausgerechnet Ihr wagt es nicht, mir gegenüber zu treten? Ihr müsst ein ganz erbärmlicher Drache sein.“
 

Kaum hatte Magenta die Worte ausgesprochen, fühlte sie schon, wie eine große krallenbedeckte Klaue sie in den Sand drückte. Der Sandsturm war ebenso schnell verschwunden, wie er gekommen war. Stattdessen schwebte jetzt das geöffnete Maul eines sandfarbenden Drachen über ihr, in dem nadelspitze, diamantene Zähne funkelten.

„Lächerlichesss Insssekt.“, grollte der Drache. „Ich sollte dich auf der Stelle töten.“

„Chronalis!“, donnerte eine Stimme aus dem Hintergrund. „Lass sie gehen und befreie auch ihren Begleiter aus dem Bernstein, in den du ihn gesteckt hast. Ich will mir die beiden ansehen.“

Der Drache über Magenta zögerte noch einen Augenblick, dann aber fletschte er die Zähne und knurrte: „Wie du befielst, Anachronos.“

Seine Klaue löste sich von Magenta und gab sie frei. Sie beeilte sich wieder auf die Füße zu kommen und sah sich nach dem zweiten Sprecher um. Als sie ihn gefunden hatte, stockte ihr für einen Augenblick der Atem.
 

Anachronos war ein ausgewachsener, bronzener Drache. Seine Schuppen funkelten im rötlichen Sonnenlicht wie geschliffene Edelsteine und pures Gold. Trotz seiner Größe war sein Körper schlank und agil und er bewegte sich mit der Geschmeidigkeit einer großen Katze, als er jetzt näher kam und seinen mächtigen Kopf mit den langen Hörner auf Augenhöhe mit Magenta brachte. In den grünen Seen schimmerten kleine, goldene Punkte.

„Wie bei Chromie.“, murmelte Magenta.

Der Drache schnüffelte an ihr.

„Du riechst falsch.“, konstatierte er. Der riesige Kopf zog sich wieder zurück und betrachtete die Hexenmeisterin jetzt von oben herab. Magenta wurde klar, dass, wenn er gewollt hätte, er sie vermutlich mit einem Biss hätte töten und im Ganzen herunterschlucken können. Umso erleichterter war sie, als Abbefaria mit schnellen Schritten auf sie zueilte.

„Ist dir etwas passiert, mein Herz?“, fragte der Druide und legte schützend den Arm um sie.

„Nein, nein.“, wiegelte sie ab. „Mir fehlt nichts.“

Trotzdem wich sie einen Schritt zurück, als der andere Drache namens Chronalis neben Anachronos landete und sie misstrauisch anstarrte. Er war ein ganzes Stück kleiner als der große, bronzene Drache und statt der langen Hörner hatte er einen spitzen Schuppenkamm, der über seinen ganzen Rücken lief und in einem gewaltigen, an einen Morgenstern erinnernden Stachelknoten endete. Jedes Peitschen seines nervös zuckenden Schwanzes ließ kleine Sandfontänen aufspritzen.

„Ich habe dir den anderen gebracht.“, sagte er zu dem großen Bronzenen und neigte den Kopf ein fast unmerkliches Stück. „Was soll mit denen geschehen, die noch vor den Toren stehen? Tick hält sie zurzeit im Schach.“

„Lasst sie für den Augenblick dort.“, befahl Anachronos. „Aber krümmt ihnen kein Haar. Ich werde mich später mit ihnen befassen. Und jetzt lass uns allein.“

„Wie du wünschst.“, grollte der Drache und katapultierte sich aus dem Stand in die Luft. Seine Flügelschläge wirbelten den Sand um Magenta und Abbefaria herum in die Höhe und ließen die Hexenmeisterin husten. Sie war froh, als der Umriss des kleineren Drachen sich entfernte. Doch als sie die „Miene“ des großen Drachen sah, war sie sich nicht sicher, ob sie wirklich etwas Gutes erwartete.
 

„Ihr habt nach Hilfe verlangt, Sterbliche.“, begann er zu sprechen, nachdem er sie eine ganze Zeit lang nur gemustert hatte. „Ob sie Euch gewährt wird, hängt unter anderem von Euch ab. Ich werde mir daher zunächst Euren Bericht anhören.“

Magenta und Abbefaria sahen sich an und Magenta nickte unmerklich. So begann Abbefaria zu erzählen, wie sie nach Andorhal gekommen waren, um Jezibah zu suchen, dabei auf Chromie gestoßen waren und dass die Drachin irgendeinen Zauber benutzt hatte, der ihnen die Erinnerung an ihre gemeinsame Geschichte genommen hatte.

„Inzwischen jedoch ist unsere Erinnerung zurückgekehrt. Allerdings betrifft das nur uns beide. Unsere Freunde und vermutlich auch der Rest der Welt kann sich immer noch nicht erinnern, wer wir sind.“

„Mhm.“, machte Anachronos. „Ich kenne Chromie. Sie würde einen solchen Zauber nicht leichtfertig aussprechen. Auch muss sie einen Grund dafür gehabt haben. Hat sie ihn Euch genannt?“

„Sie sagte irgendwas von einem König und dass wir alle am falschen Ort wären.“, erinnerte sich Magenta.

„Könige gibt es viele.“, erwiderte Anachronos. „Erklärt mir: Was wolltet ihr von Jeziba?“

„Haleh, die Matriarchin des blauen Drachenschwarms, hat uns zu ihm gesandt.“, antwortete Abbefaria. „Er sollte uns ausrüsten, damit wir gegen Onyxia in die Schlacht ziehen können. Wir haben das Komplott der schwarzen Drachin in Stormwind aufgedeckt und…“

„Aha.“, donnerte Anachronos so unvermittelt, dass Magenta erschrocken den Kopf einzog. „Das wirft natürlich ein anderes Licht auf die Sache. Ich beginne zu verstehen, was passiert ist. Chromie hat Euch nicht nur Eure Erinnerungen genommen. Sie hat Euch auch in eine andere Zeitlinie versetzt. Es entzieht sich jedoch meiner Kenntnis, warum Ihr immer noch hier seid. In dieser Zeitlinie hätte Euer beider Leben bereits vor Stunden enden sollen.“

Magenta riss die Augen auf und starrte den großen Drachen an. „Wir sollten tot sein? Aber warum? Wir haben doch nichts getan!“

„Die ist in dieser Zeitlinie Eure Geschichte.“, erklärte Anachronos. „Dass Ihr nicht gestorben seid, stellt uns vor ein ernsthaftes Problem. Ich kann Euch nicht einfach wieder zurückgehen lassen. Ihr könntet auch den Lauf dieser Zeitlinie durcheinander bringen.“

„Dann schickt uns wieder in unsere Zeitlinie zurück.“, verlangte Magenta. „Das könnt Ihr doch, nicht wahr? Wir versprechen auch, niemand etwas von Onyxia zu sagen.“

„Dafür dürfte es etwas zu spät sein.“, wisperte Abbefaria. „Du erinnerst dich? Sie hat den halben Thronsaal in Schutt und Asche gelegt bei Ihrer Flucht. Außerdem könnten wir sicherlich nicht mit dem Schlüssel zu ihrem Hort herumlaufen, ohne dass früher oder später jemand auf ihn aufmerksam wird. Und denk nur an Vaelastrasz. Soll sein Opfer etwa umsonst gewesen sein?“

Magenta schwieg und blickte zu Boden. Sie hatte den Gedanken an den freundlichen, roten Drachen, der ihretwegen gestorben war, bis zu diesem Moment erfolgreich verdrängt.

„Vaelastrasz war ebenfalls in diese Sachen verwickelt?“ Zum ersten Mal zeigte sich auf dem Gesicht des Drachen so etwas wie Erschrecken. „So langsam beginne ich wirklich zu begreifen, warum Chromies Zauber Euch so weit von dem fortgebracht habt, was Ihr kanntet. Aber natürlich könnt Ihr nicht begreifen, wie tief die Wunden sind, die ihr geschlagen habt. Wie solltet Ihr auch…“

Der bronzene Drache versank in brütendes Schweigen. Ab und an flimmerte seine große Gestalt und schien für einen Augenblick mit dem Hintergrund zu verschmelzen, bevor sie wieder vollkommen sichtbar wurde. Magenta erschien es wie Stunden und doch konnte nicht viel Zeit vergangen sein, denn die Sonne hatte sich nicht ein Stück näher zum Horizont bewegt.

Endlich brach Anachronos seine Meditation ab und beäugte die beiden mit kritischem Blick. „Das Einfachste wäre es, Euch aus dem Hier und Jetzt zu entfernen, indem ich Euch Chronalis überlasse. Doch scheint mir die Tatsache bemerkenswert, dass ihr jetzt die Plätze Eurer in diese Zeitlinie gehörenden Persönlichkeiten übernommen habt, nachdem diese den Tod gefunden haben. Die Konsequenzen Eurer Auslöschung könnten daher größere Kreise ziehen, als ich von hier aus zu beurteilen vermag. Ich werde mich mit einigen anderen Mitgliedern des Schwarms beraten, was wir in Eurem Fall zu unternehmen gedenken. Bis dahin werdet Ihr hier bleiben und meine Rückkehr erwarten.“
 

Mit diesen Worten drehte sich der große, bronzene Drache herum und verschwand kurz darauf in einem Sandwirbel. Magenta seufzte und ließ sich auf den heißen Boden sinken. Die Sonne am Horizont hatte sich noch immer nicht bewegt.
 


 

Risingsun war fast auf Schlagreichweite an den korrumpierten Joseph Redpath heran gelangt und hielt für einen Moment inne, um sich für den bevorstehenden Kampf zu wappnen. Sie sprach ein kurzes Gebet und beruhigte ihren Atem.

Das Licht ist mit mir. Das Licht wird mich leiten. Das Licht erhält mich und schützt mich vor der Dunkelheit. Das Licht ist ewig.

Sie öffnete die Augen wieder und griff nach ihrem Streitkolben. „Joseph Redpath. Ich bin hier, um dein unheiliges Leben zu beenden. Stell dich mir zum Kampf!“
 

Der Captain wirbelte herum und Risingsun sah, dass die Verwandlung nun vollständig vollzogen war. Seine einstige Milizrüstung war schwarz angelaufen und blutrote Ränder zierten das düstere Metall. Auf seinem Schild prangte ein Totenschädel und in seinen Augen glühte ein unheiliges Feuer.

„Zeit zu sterben, Paladin.“, grollte er mit Grabesstimme und hob ohne weitere Verzögerung sein Schwert zum ersten Streich.

Risingsun riss gerade noch rechtzeitig den Schild nach oben, bevor die wuchtige Klinge dagegen prallte. Es gab einen dumpfen Schlag, der der Paladina bis in den Ellenbogen schoss und ihren Arm für einen Augenblick gefühllos machte. Was immer Joseph Redpath verändert hatte, es hatte ihn auch stärker gemacht.

Risingsun wich ein Stück zurück und brachte sich in eine bessere Ausgangsposition. Dann hieb sie mit voller Wucht nach dem Schild ihres Gegners. Kurz bevor der breite Kopf auf den Schädel traf, änderte sie die Schlagrichtung minimal, so dass statt der Mitte der Rand des Schildes getroffen wurde. Die Wucht des Schlags riss den Schild hoch und zur Seite. Eine Bewegung, die einem normalen Mann den Arm gebrochen oder zumindest verrenkt hätte. Nicht so jedoch Joseph Redpath. Er glich die Bewegung aus und ließ gleichzeitig sein Schwert vorschnellen, um der Paladina die Brust aufzuschlitzen. Risingsun wich dem Streich aus und stolperte zwei Schritte nach vorn. Sofort hob sie ihr Schild wieder und fing den nächsten Hieb ab, der auf ihren Hals gezielt hatte. Die Waffe krachte gegen den Schild und brachte sie aus dem Gleichgewicht. Mit einem triumphierenden Brüllen setzte Joseph Redpath ihr nach und trat nach ihren Beinen. Der Paladina blieb nichts anderes übrig, als sich fallen zu lassen und sich zur Seite abzurollen. Die Waffe entglitt ihrer Hand und sie riss instinktiv das Schild über sich, auf das keinen Augenblick später erneut ein heftiger Schlag erfolgte.
 

„Hey, so haben wir aber nicht gewettet.“, rief da ein kleines Stimmchen und eine Feuerwalze rollte über Joseph Redpath hinweg. Der ehemalige Captain brüllte und fuhr zu Emanuelle herum. Die kleine Magierin stand auf einem Haufen lebloser Skelette in roten Rüstungen. Um sie herum die verbliebenen Geister der Verteidiger von Darrowshire. Schon begann die dunkle Aura um Joseph Redpath herum zu glühen.

Oh nein, dachte Risingsun. Nicht, wenn ich es verhindern kann.

Sie sprang wieder auf die Füße, griff im Laufen nach ihrem Streitkolben und holte zum Schlag aus. Helles Licht flammte um den Kopf des Streitkolbens auf und zog eine brennende Spur in die Finsternis. Die Waffe donnerte gegen die Schulter ihres Widersachers und ließ ihn in die Knie brechen. Wieder und wieder flammte das heilige Licht auf, während Risingsuns Schläge auf die dunkle Kreatur niederprasselten. Sie zerschmetterten seinen Schild, zerbrachen sein Schwert und streckten ihn schließlich mit einem letzten Aufflammen nieder.
 

Keuchend stand Risingsun über dem Besiegten und fühlte, wie langsam das Pulsieren des Heiligen Feuers in ihrem Inneren abebbte. Mit jeder Welle kehrten das Gefühl und die Schmerzen zurück, die ihr die verschiedenen Blessuren des Kampfes bereiteten. Ihre Hand war verstaucht, irgendetwas in ihrem Fuß gebrochen und ihr linker Arm fühlte sich vollkommen taub an. Schweiß brannte in ihren Augen und ihre Lungen stachen bei jedem Atemzug. Aber sie spürte die Wunden kaum, als ihr Blick auf die Geister fiel, die jetzt im Halbkreis um sie herumstanden.

„Captain Redpath wurde besiegt.“, flüsterten sie. „Die Schlacht ist vorbei.“

Einer nach dem anderen begann sich in Luft aufzulösen. Auch der korrumpierte Joseph Redpath verschwand und die Körper der gefallenen Verteidiger und ihrer besiegten Gegner folgten ihm hinüber ins Nichts. Was blieb, war eine einzelne, durchscheinende Gestalt. Ein Mann, bar jeder Waffen und Rüstung, der Risingsun ruhig entgegenblickte.

„Eine Dunkelheit hatte mich befallen, aus der ich keinen Ausweg mehr sah.“, sagte Joseph Redpath. „Ihr habt mich davon befreit und mich aus diesem Albtraum erlöst. Ich danke Euch, Paladin, und bitte Euch, mir meine Schwäche zu vergeben.“

Der Geist kniete nieder und beugte das Haupt vor der Paladina. Sie zögerte einen Augenblick, dann trat sie zu ihm und legte die Hand auf seinen Kopf.

„Euch sei vergeben, Joseph Redpath. Ruhet in Frieden.“

Mit einem Seufzen verging sich die Gestalt des Mannes und ließ nur den leeren Marktplatz von Darrowshire zurück. Ein wenig unschlüssig drehte sich Risingsun zu Emanuelle herum.

„Was nun?“

Die kleine Magierin zog die Nase kraus. „Ich glaube, wir sollten Pamela einen letzten Besucht abstatten.“

„Eine gute Idee.“
 

Sie fanden das Haus, in dem Pamela Redpath sich einst versteckt hatte, am Stadtrand wieder. Der Geist des Mädchens stand in der Tür. Sie hielt ihre Puppe im Arm und winkte ihnen freudig entgegen.

„Mein Papa ist wieder da.“, begrüßte sie Risingsun und Emanuelle. „Er hat gesagt, dass er all die bösen Geister vertrieben hat und dass er jetzt bald heimkommt. Er hat auch gesagt, ich soll Euch herzlich willkommen heißen, wenn Ihr uns besuchen kommt. Wollt Ihr reinkommen? Ich habe Tee gemacht.“

Emanuelle hob schon zu einer Antwort an, doch Risingsun schüttelte schnell den Kopf. „Danke, Kleine, aber wir müssen weiter.“

„Ich hab auch ganz viel Zucker reingetan.“

Das kleine Mädchen machte ein so herzzerreißendes Gesicht, dass die Paladina schließlich einwilligte. Sie folgte Pamela in das zerstörte Haus und fand drinnen einen gedeckten Tisch vor. In einem Becher dampfte eine hellbraune Flüssigkeit und verbreitete einen bittersüßen Geruch.

„Dein Tee.“, sagte das Mädchen und zeigte auf den Becher.

Die Paladina griff danach, pustete vorsichtig und trank einen Schluck. Es war unbeschreiblich süß und fast hätte sie den Tee wieder zurück in den Becher gespuckt. Aber dann spürte sie plötzlich, wie sich ein Gefühl der Wärme in ihrem Körper ausbreitete. Die Schmerzen verklangen nach und nach und sie fühlte sich gestärkt und erfrischt. Ohne weitere Worte reichte sie den halb geleerten Becher an Emanuelle weiter, damit auch die Magierin sich stärken konnte.

„Gut nicht wahr?“, fragte Pamela und lächelte. „Mein Papa hat auch gesagt, dass Ich Euch Danke sagen soll. Warum hat er das gesagt? Habt Ihr ihm erzählt, dass Ihr meine Puppe gefunden habt? Ich hab ihm gesagt, dass ich Euch gut leiden kann. Ihr seid eine sehr nette Frau. Vielen Dank, Risingsun! Vielen Dank für alles.“

„Keine Ursache, Kleines. Und vielen Dank auch dir für den Tee.“

Risingsun nahm Emanuelle den leeren Becher ab und stellte ihn auf den Tisch zurück. Dann drehte sie sich um und ging Seite an Seite mit der kleinen Magierin zurück zur Mitte der Stadt. Während sie gingen, hörten sie, wie hinter ihnen ein Mann und ein kleines Mädchen miteinander sprachen.

„Pamela, Liebling, bist du da?“

„Papa! Papa! Du bist wieder zurück!“

„Ja das bin ich. Endlich.“

„Komm, Papa, lass uns etwas spielen. Wir könnten Tee trinken. Sieh doch nur, ich habe meine Puppe wieder. Und dann musst du mir eine Geschichte erzählen, aber eine lustige. Eine mit Blumen und Schmetterlingen und kleinen Hasen.“

„Alles was du willst, mein kleiner Engel.“

„Weißt du, Papa, ich habe dich so sehr vermisst.“

„Ich dich auch, mein Schatz, ich dich auch…“
 

Als Risingsun und Emanuelle auf den Marktplatz zurückkehrten, stand in dessen Mitte Chromie. Sie strahlte die beiden an.

„Ihr habt es geschafft. Ihr habt wirklich die Geschichte verändert. Bemerkenswert. Oh, ich mag es, wenn Geschichten gut ausgehen.“

„Was passiert jetzt?“, fragte Risingsun.

„Ich werde Euch jetzt verlassen.“, antwortete die blonde Gnomin. „Ich wurde abberufen und muss vorher noch einen Zwerg namens Schakal ausfindig machen. Wenn ich nur wüsste, wo ich da am besten anfangen zu suchen.“

„Schakal?“, fragte Emanuelle nach. „Doch wohl nicht etwa der Schakal, den wir beide auch kennen.“

Chromie sah sie eine geschlagene Minute mit großen Augen an.

„Ja aber natürlich.“, rief sie dann aus. „Du bist ja Emanuelle. Die Emanuelle. Wann hab ich nur heute wieder meinen Kopf. Natürlich suche ich den Schakal. Wisst Ihr, wo er ist?“

„Er erwartet unsere Rückkehr in Ironforge. Ich könnte uns schnell ein Portal dorthin machen.“, bot Emanuelle an.

„Ja bitte.“, sagte Chromie. „Ich wollte schon immer mal mit einem Magierportal reisen. Und ich war auch noch nie in Ironforge. Wie aufregend! Also los doch, gehen wir. Husch, husch!“
 

Risingsun wusste nicht recht, was sie von dieser neuen Entwicklung halten sollte, doch wie es schien, hatte Chromie nicht vor, sich ihnen zu erklären. So blieb der Paladina nicht viel anderes übrig, als Emanuelles einladender Geste zu folgen und das Portal zu betreten, hinter dem sie schon die Tore von Ironforge sehen konnte.
 


 

Schakal staunte nicht schlecht, als plötzlich gleich drei entschlossen wirkende Damen vor ihm auftauchten. Gerade hatte er noch versucht, zwei Kunden zu einer Stadtführung zu überreden, doch im Angesicht der holden Weiblichkeit suchten die beiden jungen Männer lieber das Weite. Schakal sah ihnen nach und mit ihnen sein Gold in der Ferne verschwinden.

„Emanuelle, Risingsun…wie schön.“, brummte er und begann sich eine Pfeife zu stopfen. „Und mit wem habe ich noch die Ehre?“

„Chronormu.“, antwortete die fremde Gnomin. „Aber du kannst mich ruhig Chromie nennen. Immerhin sind wir uns ja schon einmal begegnet und der Name ist ohnehin viel zu lang.“

„Wir sind uns schon einmal begegnet?“, fragte Schakal nach. Er hatte immer geglaubt, ein gutes Personengedächtnis zu haben, aber bei dieser eigenartigen Gnomin klingelte bei ihm überhaupt nichts.

„Oh ja, das sind wir.“, entgegnete sie freundlich. „Und wir werden uns auch noch ein paar Mal wieder treffen. Glaube ich. Nun zumindest bin ich hier, um dich abzuholen. Du wirst mich nach Tanaris begleiten.“

„Was?“, riefen gleich drei Leute gleichzeitig und starrten Chromie erstaunt an.

„Davon war aber nicht die Rede.“, empörte sich Emanuelle. „Ich brauche Schakal, um in Zul’Gurub einzumarschieren.“

„Nur weil Ihr ein Drache seid, könnt Ihr doch nicht einfach über das Leben anderer Leute entscheiden.“, stimmte Risingsun ihr zu.

Schakal sah von einer zur anderen und verstand gar nichts mehr. „Drache? Tanaris? Zul’Gurub? Was bei Magnis mächtigem Hammer ist hier eigentlich los?“
 

„Kommen wir ungelegen?“

Schakal hätte sich am liebsten die Haare gerauft und wäre gerne ein paar Mal schreiend im Kreis gelaufen. Diese komische Priesterin namens Demuny und der Musterknabe Bladewarrior hatten ihm gerade noch gefehlt. Seit Tagen hingen die beiden schon hier herum um mit ihm zusammen auf Emanuelle zu warten, und verscheuchten ihm damit die Kundschaft. Aber solcherlei Ausbrüche waren nicht Schakals Art. So paffte er nur ein paar Mal ärgerlich an seiner Pfeife und wartete darauf, dass sich die Lage von selbst erklärte.

„Ich spüre hier eine ganze Menge unangenehme Schwingungen.“, schalt Demuny und drohte den Anwesenden mit dem Finger. „Vielleicht sollten wir uns alle einmal an den Händen fassen und zusammen tiiiief durchatmen.“

Die Gnomin, die sich als Chromie vorgestellt hatte, setzte ein unverbindliches Lächeln auf. „Das klingt nach einem wirklich tollen Vorschlag. Diesen Brauch der menschlichen Kultur kenne ich noch nicht. Ich fürchte jedoch, die Zeit wird langsam knapp. Wir müssen uns wirklich auf den Weg machen, ehe die Zeitlinie noch mehr durcheinandergeraten. Das Problem mit dem Druiden und der Hexenmeisterin muss so schnell wie möglich gelöst werden und dazu brauche ich auch Schakal.“

„Ich werde nirgendwo hingehen, bevor mir nicht einer erklärt, was hier Sachen ist.“, polterte Schakal. „Und da dazu offensichtlich keiner gewillt ist, werde ich mir jetzt ein paar schöne Thelsamarer Blutwürste und ein schönes, kaltes Bier zum Abendessen suchen. Wenn mich die Damen also entschuldigen wollen.“

„Oh, für solchen Firlefanz habe ich jetzt keine Zeit.“, rief Chromie und klatschte in die Hände. „Du wirst mir jetzt einfach mal vertrauen müssen. Für Erklärungen ist später immer noch Zeit“
 

Schakal blieb wie angewurzelt stehen. Nicht etwa, weil er es gewollt hätte, sondern weil ihn irgendetwas festhielt. Als er nach unten blickte, sah er, dass seine Füße bis zu den Knöcheln in feinem, goldgelbem Sand steckten. Und damit nicht genug. Der Sand begann zudem auch noch höher zu kriechen und hatte jetzt schon seine Knie erreicht. In Windeseile krochen die schimmernden Körner an ihm empor und hüllten ihn mehr und mehr ein. Noch bevor er protestieren oder schreien konnte, hatte der Sand sein Gesicht erreicht und verbarg sein geliebtes Ironforge vor ihm.

Er fühlte ein Drehen und Ziehen um sich herum, hatte das Gefühl, einige Male um die eigene Achse zu trudeln und dann ein wenig unsanft auf einer harten Oberfläche zu landen. Gleichzeitig wurde es unglaublich warm in seinem Gefängnis und die Temperatur stieg mit jedem Augenblick an. Schweiß brach ihm aus allen Poren hervor und das beklemmende Gefühl der Enge wurde übermächtig. Gerade als er glaubte, keine Luft mehr zu kriegen, barst die Sandhülle um ihn herum und gab den Blick auf etwas frei, dass er nicht erwartet hatte. Oder vielmehr auf jemanden.
 

„Magenta?“, fragte er ungläubig und sah sich in der weißen Sandwüste um. „Wo bei allen Schneehängen von Dun Morogh sind wir und vor allem warum?“

Die Hexenmeisterin, die er vor so langer Zeit das letzte Mal gesehen hatte, seufzte schwer. „Das zu erklären wird etwas länger dauern. Am besten du setzt dich und hörst mir erst einmal zu.“
 

Als Magenta ihre Erzählung beendet hatte, nahm Schakal seine inzwischen ausgebrannte Pfeife aus dem Mund und richtete das Mundstück auf die Hexenmeisterin.

„Das ist ein Scherz, nicht wahr? Ein toller Zaubertrick, den ihr und diese Gnomin Euch ausgedacht habt. Welche von den beiden auch immer. Diese Geschichte kann nie und nimmer wahr sein.“

Der Nachtelf, den Schakal inzwischen unter dem Namen Abbefaria kannte, sah ihn ernst an. „Habt Ihr nicht manchmal das Gefühl, dass Ihr Dinge wisst, die Ihr gar nicht wissen könnt? Erinnerungen, die nicht zusammenpassen? Orte, die Ihr wiedererkennt, obwohl Ihr nie dort wart? Gegenständer, bei denen Ihr Euch nicht sicher seid, wie sie in Euren Besitz gelangt sind?“

Schakal spürte, wie sich seine Barthaare sträubten. Er griff in seine Westentasche und zog einen Gegenstand hervor, der in der Sonne glitzerte. Es war ein Amulett mit einem schwarzen Schmucksstein. Ein kleiner, silberner Drache ringelte sich um den Stein und biss sich selbst in den Schwanz.

„Das Drachenfeueramulett.“, riefen Magenta und Abbefaria gleichzeitig.

Schakal sah auf den Anhänger herab und kratzte sich gedankenvoll an der Nase. „Ich habe mich schon oft gefragt, woher er wohl stammt. Ich dachte immer, ich hätte ihm irgendjemandem aus der Tasche gezogen, doch ich konnte mich partout nicht erinnern, wann und vor allem wer das gewesen sein soll. Außerdem habe ich versucht, es zu verkaufen. Mehrmals. Doch irgendwie konnte ich es dann doch nicht über mich bringen, mich davon zu trennen. Wie es aussieht, habe ich jetzt den Grund dafür gefunden, warum das so war.“

Er blickte für einen Augenblick in die Ferne der unendlichen Wüste.

„War ich auch mal in Undercity?“, fragte er unvermittelt

Die Hexenmeisterin rutschte ein wenig unruhig hin und her. „Ja, das könnte man so sagen. War meine Schuld. Ein unglücklicher Zauber, der ein wenig schief gegangen ist.“

Schakal nickte. „Gut, das erklärt Einiges. Ich hatte schon befürchtet, ich hätte dem Bier ein wenig zu häufig zugesprochen. Ihr könnt Euch gar nicht ausmalen, was das für eine Katastrophe gewesen wäre. Aber jetzt, da wir jetzt wissen, dass wir nicht in der richtigen Zeitlinie sind, was wird jetzt mit uns passieren?“
 

„Das, Sterbliche, wollten wir Euch gerade mitteilen.“, sagte eine tiefe Stimme hinter ihm.

Schakal drehte sich herum und betrachtete die drei Gestalten, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Da war zum Einen die Gnomin Chromie, die Magenta und Abbefaria ein wenig verlegen grüßte. Sie trippelte an der Seite eines blonden Mannes in einer bronzenen Rüstung, der jedoch trotz seines kriegerischen Äußeren keinerlei Waffen bei sich trug. Die Dritte im Bunde war eine elegante Elfe mit rotblonden Haare in einer freizügigen, bronzefarbenden Robe. In ihrer Hand hielt sie einen Stab, dessen Spitze golden glühte und so immer wieder andere Lichtreflexe auf ihre schöne Gestalt warf. Schakal erhob sich und strich sein Wams glatt.

„Mein Name ist Anachronos.“, stellte sich der Mann. „Und dies ist Soridormi, die Gemahlin Nozdormus. Sie führt den Schwarm in seiner Abwesenheit.“

„Ich grüße Euch, Sterbliche.“, sagte die Elfe und musterte sie alle aus eindringlichen, wasserhellen Augen. „Anachronos und Chronormu haben mir von Euch berichtet.“

Schakal fiel auf, dass die Gnomin bei der Nennung ihres vollen Namens zusammenzuckte.

„Das Gefüge der Zeitlinien wurde an mehreren Stellen empfindlich erschüttert. Wir sind noch dabei, den Grund dafür herauszufinden. Um das Gleichgewicht herzustellen und die Dinge geschehen zu lassen, wie es ihnen vorherbestimmt ist, sah sich Chronormu veranlasst, Euch in eine andere Zeitlinie zu versetzen, um die fehlerhafte, aus der Ihr kamt, zu eleminieren. Allerdings hätte es nie passieren dürfen, dass Ihr Eure Erinnerungen an das, was Ihr in der andere Zeit erlebt habt, behaltet oder wieder erlangt. Ihr hättet vollkommen in Euren hier lebenden Persönlichkeiten aufgehen sollen. Dass das nicht geschehen ist, bleibt rätselhaft.“

„Ja aber…was passiert jetzt mit uns?“, wagte Magenta einzuwerfen. „Wir können ja schlecht bis in alle Ewigkeit hier bleiben.“

Die Elfe lachte ein seltsam raues Lachen. „Für eine Sterbliche, die keine Ahnung von der Ewigkeit hat, gebrauchst du diesen Begriff recht leichtfertig. Trotzdem hast du Recht. Hier könnt Ihr nicht bleiben, obwohl Ich mir durchaus vorstellen könnte, dass mein Gemahl Euch als eines der weniger langweiligen Stücke seiner Sammlung zu schätzen wüsste. Wir haben daher beschlossen, die Zeitlinien erneut zu beeinflussen und gemeinsam eine Realität zu schaffen, in der die meisten Widersprüche ausgemerzt sind. Die meisten, jedoch nicht alle.“
 

An dieser Stelle übernahm Chromie das Wort. „Eure Entdeckungen um die schwarze Drachin Onyxia müssen weiterhin geheim bleiben. Wir beachsichtigen daher, erneut Euer Gedächtnis zu verändern, wenngleich auch nicht so stark wie beim ersten Mal. Zusätzlich werden wir einen Zauber über Euch legen, der es Euch, solltet Ihr Euch jemals an die Begebenheiten aus Eurer Zeitlinie erinnern, unmöglich machen wird, mit jemandem, selbst miteinander, darüber zu sprechen.“

„Das klingt…nicht sehr angenehm.“, sagte Magenta unbehaglich.

„Oh, keine Sorge.“, versicherte die Gnomin zuversichtlich. „Wir werden diesmal bei der Zusammenführung der Zeitlinien geschickter vorgehen, als ich es beim ersten Mal tat. So sollten sämtliche Erinnerungen, die sich eventuell einstellen könnten, allenfalls ein leichtes Unbehagen hervorrufen, so wie etwas, was man schon einmal in einem Traum erlebt hat.“
 

„Wir sind Euch zu tiefem Dank verpflichtet, dass Ihr dies für uns auf Euch nehmt.“, sagte

Abbefaria und verbeugte sich tief vor den Drei, von denen Schakal im Laufe des Gesprächs klar geworden war, dass es sich um bronzene Drachen handeln musste. Wächter der Zeitlinien, von denen er persönlich immer gedacht hatte, dass sie inzwischen schon längst ausgestorben waren. Aber anscheinend gab es in dieser Welt noch mehr von ihnen, als man annehmen sollte.

„Wir tun dies nicht nur für Euch, Sterbliche“, gab Soridormi zurück und ihr Gesicht verriet dabei keinerlei Regung. „Der Erhalt der Zeitlinien hat absoluten Vorrang, ob für oder gegen Euer persönliches Wohlempfinden. Wären wir zu dem Schluss gekommen, dass es von Vorteil wäre, Euch zu töten, hätten wir dies ohne zu Zögern getan.“

„Doch in diesem Fall gab es keinen Grund dazu.“, fuhr Anachronos fort. „Uns liegt nicht daran, jemandem Leid zu verursachen. Zudem werdet Ihr, wenn die Zeit gekommen ist, Gelegenheit erhalten, Eure Schuld zurückzuzahlen.“

„Wie…wie meint Ihr das?“, fragte Magenta und rückte ein Stück näher an Abbefaria heran.

Der bronzene Drache schmunzelte. „Das werdet Ihr früh genug erfahren. Doch jetzt sollten wir das Ritual beginnen, denn auch wir können den Lauf der Zeit nicht unendlich aufhalten.“
 

Die Umrisse der drei Gestalten begannen zu verschwimmen und zu wachsen. Hörner, Flügel und schuppige Leiber dehnten sich über dem weißen Sand aus und binnen weniger Augenblicke standen anstatt der drei humanoiden Wesen drei gewaltige, bronzene Drachen vor Schakal und den anderen. Sand wirbelte auf, als einer von ihnen die Flügel streckte und ein paar Mal damit schlug.

„Es ist lange her, dass die Erde so weit unter mir lag.“, lachte er und Schakal erkannte, dass es sich um Chromie – Chronormu - handeln musste. Sie schob ihren glänzenden Schuppenleib um sie herum, so dass Schakal, Magenta und Abbefaria sich jetzt mitten zwischen lebenden, bronzefarbenden Wänden befanden. Der Zwerg musste zugeben, dass dieser Anblick schon sehr beunruhigend war. Besonders weil die drei Drachen jetzt ihre Mäuler öffneten und lange Reihen blitzender Zähne entblößten. Als Chronormu Schakals Gesicht sah, klappte sie das Maul noch einmal zu und senkte den Kopf zu ihnen herab.

„Ihr braucht keine Angst haben.“, flüsterte sie. „Es wird nicht wehtun. Und ich muss mich noch einmal bei euch entschuldigen. Gerade die letzten Tage haben mir gezeigt, wozu ihr sterblichen Wesen fähig seid. Zwar verbringt ihr einen großen Teil eurer knapp bemessenen Leben mit großen Dummheiten und großer Zerstörung, doch es gibt mehr in euch. Viel mehr. Bei all der Zeit, die ich zwischen modernden Knochen verbracht habe, habe ich das wohl vergessen. Ich danke euch, dass ihr mich daran erinnert habt, was ich an euch so mag.“
 

Die Drachin zwinkerte ihnen noch einmal zu, erhob sich wieder und öffnete das Maul. Gleichzeitig legten sie, Anachronos und Soridormi die Köpfe zurück und spien ein jeder einen gewaltigen Strahl goldfarbenden Sandes aus. Die drei Strahlen prallten aufeinander, wanden und umkreisten sich und bildeten so eine gewaltigen Sandhose, unter deren Zentrum Schakal und die anderen standen. Immer größer wurde der rotierende, sandfarbende Kreis, in den sich neben Gold und weiß mit der Zeit alle Farben des Regenbogens mischten. Der Sand war allgegenwärtig, er umfasste die Welt, löschte sie aus und erschuf sie gleichzeitig neu. Ein durchdringendes Heulen begleitete das Phänomen und es wurde immer lauter, so dass Schakal sich schließlich die Hände auf die Ohren presste und die Augen schloss. Trotzdem hörte er das Tosen und Brausen um sich herum und der Wind zerrte an seinem Bart. Und dann war es plötzlich vorbei.
 

Die plötzliche Stille war so allgegenwärtig, dass Schakal sich unwillkürlich fragte, ob er noch lebte. Aber dann merkte er, dass er auf etwas saß. Das konnte im Tod kaum der Fall sein. Außerdem roch es ganz eindeutig nach köstlichem, geröstetem Eberfleisch und einen frisch gezapften Donnebräu Lager.

Wenn ich tot bin, ist die Bewirtung zumindest gut, dachte Schakal bei sich und öffnete vorsichtig ein Auge. Ihm gegenüber saß eine Gnomin und musterte ihn neugierig. Erleichtert stellte der Schurke fest, dass auf ihrem Kopf zwei schwarze Zöpfe in die Luft ragten und ihre Augen nicht grün mit goldenen Punkten sondern eisblau waren. Vorsichtig wagte er, die Finger aus den Ohren zu nehmen.

„…glaube ich, dass es das Beste wäre, wenn wir noch ein paar Leute zusammentrommeln:“, schwatzte Emanuelle munter. „Ich könnte mir vorstellen, dass ich meinen Vetter überreden kann, uns günstig Flugblätter zu drucken. Wir sollten außerdem einen Aushang machen. Vielleicht neben dem Auktionshaus, dort ist am meisten los. Risingsun wird sich noch um zwei weitere Pferde bemühen, Demuny ist für die medizinischen Versorgungsgüter zuständig, Bladewarrior für das Waffenarsenal und Schakal…“

Sie unterbrach sich und schenkte Schakal einen irritierten Blick. „Was ist? Schmeckt es nicht? Ihr habt doch darauf bestanden, erst einmal etwas zu essen, bevor wir unseren Feldzug nach Zul’Gurub planen. Deshalb werdet Ihr auch für die Verpflegung sorgen.“
 

Während die Gnomin daraufhin munter weiter plapperte, blickte Schakal die Eberkeule auf seinem Teller an, als sähe er sie zum ersten Mal. Als ihm jedoch der köstliche Duft in die Nase stieg und die Schaumkrone seines Biers langsam drohte, in sich zusammenzufallen, noch bevor er den ersten Schluck genommen hatte, kam er zu der Überzeugung, dass alles in bester Ordnung war. Entschlossen griff er zu seinem Bierkrug, prostete der Gnomin und den drei Menschen am Tisch zu und nahm einen großen Schluck. Während das gelbe Gold seine Kehle hinab rann, verblasste in seinem Geist der Gedanke an sehr viel Sand und eine lächelnde, goldbraune Drachendame. Denn wo hätte ihm so etwas schon begegnen sollen?
 


 

Abbefaria erwachte, als die Sonne bereits den Horizont erreicht hatte. Genüsslich streckte er sich noch einmal auf seinem Lager aus und griff neben sich. Doch der warme Körper, den er erhofft hatte, lag nicht dort. Mit einem Grunzen rollte er sich auf die andere Bettseite und vergrub sich in den duftenden Laken, die wenigstens noch einen Hauch von Gesellschaft versprachen. Warum musste Magenta auch immer so früh aufstehen?

„Du hast Post!“, verkündete eine Stimme von irgendwo oberhalb der Bettdecke. Er brummelte eine unverständliche Antwort und vergrub sich zusätzlich noch unter einem Kissen.

„Von Eralas Ambersky.“, ließ die Stimme nicht locker. „Komm schon, aufstehen. Es ist schon fast wieder dunkel.“

„Ich bin ja auch ein Nachtelf.“, grollte Abbefaria und tastete mit geschlossenen Augen nach Magenta. Er bekam stattdessen ein Stück Pergament zu fassen. Seufzend wühlte er sich unter den Kissen hervor und sah seine Geliebte an.

„Was schreibt er denn?“, gähnte er und bleckte dabei die spitzen Eckzähne.

„Wahrscheinlich ja wohl eine Antwort auf deinen Bericht. Aber wenn du den Brief aufmachen würdest, wüsstest du es genau.“, gab die Hexenmeisterin spitz zurück.

„Später.“, beschloss er und warf den Brief auf den kleinen Tisch neben dem Bett. „Warum hast du mir nicht geweckt, als du aufgestanden bist? Wir hätten zusammen frühstücken können.“

„Du meinst Mittag essen.“, antwortete die Hexenmeisterin frostig.

Aha, aus dieser Richtung wehte der Wind also. Mit einem unterdrückten Seufzen erhob sich der Druide aus dem Bett und trat hinter seine Geliebte. Während er die Arme um sie schloss und sie so an seinen Brustkorb drückte, vergrub er sein Gesicht in ihrem Nacken und liebkoste ihn mit seinen Lippen.

„Was bedrückt dich, mein Herz? Gefällt es dir hier in Feathermoon nicht?“

Er spürte, wie die Anspannung aus ihrem Körper wich und sie sich gegen ihn lehnte.

„Doch schon.“, antwortete sie zögernd. „Es ist hübsch hier. Wenn es nur außer einem verrückten Lederverarbeiter vielleicht auch noch ein paar andere Menschen geben würde. Und wenn es etwas zu tun gäbe. Oder wenn es wenigstens nicht tagaus, tagein regnen würde. Diese Wetter macht mich ganz krank.“

Sie löste sich abrupt aus seinen Armen und trat an die Fensterbrüstung ihres Zimmers, von der aus man einen wunderbaren Blick über die Bucht hatte. „Es gibt ja nicht einmal etwas, um die Feuchtigkeit draußen zu halten. All meine Sachen sind ständig klamm und feucht und außerdem…außerdem ist mir langweilig.“

E zog die Lippen nach oben. „Was würdest du denn gerne tun? Vielleicht noch ein paar Tore in die Höllendimension von Xoroth öffnen? Das ist doch jetzt gerade mal eine Woche her und wenn ich ehrlich bin, kann ich auf die Begegnung mit weiteren Gestalten wie diesem Schreckenslord Hel’nurath gerne verzichten.“

„Als wenn Prinz Thortheldrin so eine angenehme Gesellschaft gewesen wäre.“, schoss Magenta prompt zurück.
 

Abbefaria schwieg. Er wusste, wenn sie in solch einer Stimmung war, halfen vernünftige Argumente meist nicht mehr viel. So verzichtete er darauf zu erwähnen, dass es ihn immerhin seine gesamte Überredungskunst gekostet hatte, seinen Freund Easygoing und dessen Bruder Deadlyone davon zu überzeugen, Magenta bei dieser Sache mit dem Schreckenssross zu helfen. Allein die Tatsache, dass die Hexenmeisterin sie ebenfalls bei ihrer Mission in Düsterbruch unterstützt hatte, hatte in den Augen seiner Freunde überhaupt für sie gesprochen. Wenn nicht noch Ceredrian ein gutes Wort für sie eingelegt hätte, hätte sie ihren neuesten, dämonischen Diener jetzt vermutlich immer noch nicht.

Im Stillen hatte er sich auch schon gefragt, was sie eigentlich auf die verrückte Idee gebracht hatte, allein nach Düsterbruch zu reisen. Er hatte sie zu diesem Zeitpunkt sicher in einer der Hauptstädte der Östlichen Königreiche vermutet und war sehr erstaunt gewesen, als sie in der gebrochenen Allmende auf einmal vor ihm gestanden hatte. Natürlich hatte er sich gefreut, sie nach so langer Trennung wiederzusehen. Die Verpflichtungen seinem Volk und dem Zirkel des Cenarius gegenüber hatten es leider erfordert, dass sie sich eine Weile nicht sahen. Umso mehr genoss er jetzt die Zeit, die sie für sich zu zweit hatten. Doch offensichtlich war er der Einzige, dem es so ging. Dabei hatten sie beide so wunderbare und aufregende Zeiten ganz allein verbracht.

Er ließ sich zurück auf das Bett sinken und ließ im Geiste Revue passieren, was sie bereits alles zusammen durchgemacht hatten. Die Reise ins Brachland zu Magentas wundersamen Lehrmeistern, ihr Ausflug in die Brennende Steppe zu diesem eigenartigen Hexenmeister und seinem Goblin-Gehilfen, die Jagd auf Dämonen und korrumpierte Furbolgs in Felwood und dann diese Sache in Winterspring. Er grinste.
 

„Wir könnten auch noch ein paar Eulenbestien jagen, wenn dir das lieber ist.“, schlug er in beiläufigem Ton vor. Ihre Reaktion folgte prompt.

„Du bist gemein.“, sagte sie mit einem schuldbewussten Gesicht. „Ich meine, ich konnte doch nicht wissen…dass du…ich meine…dich ins eines dieser Dinger verwandeln würdest.“

„Dinger?“ Er zog die Augenbrauen nach oben und weidete sich an ihrem schlechten Gewissen. „Wie sprichst du von den edlen Wächtern Elunes?“

Als er den verräterischen Glanz in ihren Augen bemerkte, erhob er sich schnell und trat zu ihr.

„Es war nicht so gemeint.“, murmelte er und küsste sie auf die Stirn. „Ich will doch nur, dass du glücklich bist. Also, mein Herz, was würde dich glücklich machen?“

„Ich weiß nicht.“, nuschelte sie undeutlich in seine Umarmung hinein. „Zunächst einmal anderes Wetter. Ich hasse Regen. Und dann irgendein nettes, kleines Abenteuer.“

„Mhm…“
 

Er dachte nach, während er seine Hände gedankenverloren durch ihr Haar gleiten ließ. Es gab da noch etwas, was er ihr nicht erzählt hatte. Etwas, das sich zugetragen hatte, nachdem sie sich zum Beginn des Mondfestes in Moonglade schweren Herzens voneinander verabschiedet hatten.

„Während Easy und ich in Silithus waren, um das Reliquiar der Reinheit zu suchen, haben wir jemanden getroffen. Einen eigenartigen Nachtelfen namens Barisolth. Er behauptete, ein Ewiger Wächter zu sein und dass sein Meister zurückgekehrt wäre. Es klang wie dummes Geschwätz, aber er bestand darauf, dass wir uns nach Tanaris begeben sollten, um dort nach etwas zu suchen, das er die Ruhestätte des Bronzeschwarms nannte. Ich muss zugeben, dass ich es fast vergessen hatte, weil es mir nicht wichtig erschien, doch jetzt…“

„Tanaris sagst du?“, fragte Magenta und hob den Kopf. „Ich war noch nie in Tanaris, aber ich habe gehört, es gibt dort kilometerlange Sandstrände.“

„Nun ja, es ist eine Wüste.“, gab Abbefaria zu bedenken.

„Das heißt, es regnet dort nicht.“, antwortete sie. „Ich packe sofort meine Koffer Wir reisen noch heute ab.“

„Heute?“, fragte er und zog sie näher an sich. „Aber heute ist doch schon fast vorbei. Und die Hippogreife fliegen zwar auch im Dunklen, doch mir wäre es lieber, wenn wir bis morgen warteten. Ich würde dir gerne noch etwas zeigen.“

Sie schmiegte sich an ihn. „Ich glaube, ich habe es bereits gefunden.“, schnurrte sie und ließ sich mit ihm zusammen wieder zwischen die Kissen sinken, während draußen die Sonne endgültig in den Fluten des verhüllten Meers versank.
 


 

Magenta wischte sich unauffällig den Schweiß von der Stirn. Noch vor kurzem hatte sie sie vehement über Regen beschwert, aber jetzt wäre eine Wolke am Himmel nicht zu verachten gewesen. Trotzdem hielt sie sich mit einer entsprechenden Bemerkung zurück. Immerhin waren sie hier, weil sie nach Tanaris gewollt hatte. Allerdings hatte sie dabei eher an einen schattigen Platz am Wasser gedacht und nicht an die Besichtigung dieser Ansammlung von Steinen.

„Meinst du, wir sind hier richtig?“, fragte sie und sah sich um. Sie waren so weit nach Westen geritten, wie es ihnen möglich gewesen war und dies war der Ort, an den sie ihre Reise geführt hatte. Trotzdem wirkte er so unwirklich.

„Ich weiß es nicht.“, gab Abbefaria zu. Auch der Druide wirkte ein wenig abgeschlagen und müde. „Ich fürchte, dieser Barisolth war doch verrückt.“

„Dann hätte ich ihn wohl kaum zum Wächter auserkoren.“, sagte eine tiefe Stimme aus dem Nichts heraus.

Magenta schrak zusammen und blickte unwillkürlich nach oben. Direkt über ihr schwebte die Schnauze eines Drachen. Die Farbe seiner Schuppen glich denen des Sandes, so dass er fast vollkommen mit ihm verschmolz. Hätte er nicht den gehörnten Kopf zur Seite geschwungen und wäre da nicht dieses tiefgrüne Auge gewesen, dass sie beide aufmerksam musterte, Magenta wäre an ihm vorbei gelaufen, ohne ihn zu bemerken.

„Ich habe mich schon gefragt, wann ihr beide hier auftauchen würdet. Umso mehr freut es mich, dass meine Geduld nicht allzu sehr auf die Probe gestellt wurde.“

„Wer…wer seid Ihr?“, stammelte Abbefaria.

„Mein Name ist Anachronos. Ich bin derjenige, den ihr sucht.“
 

Der Drache breitete seine Flügel aus und streckte sie so weit, dass sie Magentas gesamtes Blickfeld ausfüllten. Als er sie wieder senkte, erblickte sie hinter ihm den Eingang zu einer großen Höhle. Den Weg dahin säumten Gebäude verschiedenster Baustiele und Epochen und der Himmel über dem Weg wurde von drei bronzefarbenden Wächtern durchkreuzt.

„Willkommen in den Höhlen der Zeit.“, sagte Anachronos und faltete die Flügel wieder an den Körper. „Die ist die Heimat der Brut Norzdormus‘, den man auch den Zeitlosen nennt. Wir sind der bronzene Drachenschwarm, Hüter der Zeitlinien und Wächter über das Schicksal dieser Welt. Lange hielten wir uns von den Sterblichen fern, die uns damals so sehr enttäuscht haben. Doch jetzt rührt sich das Uralte Böse wieder und die Wächter, die einst bestimmt wurden, sind ins Dunkel gefallen. Es braucht daher einen neuen Anfang, damit die Welt nicht von innen heraus verschlungen wird.“

Magenta schluckte zweimal trocken und gab sich dann einen Ruck. „Verzeiht, Anachronos, aber Ihr sprecht in Rätseln? Was für eine Gefahr meint Ihr?“
 

Der bronzene Drache wandte sich Abbefaria zu. „Der, den man Easygoing nennt, hat dir sicherlich von den Vorkommnissen berichtet, bei denen er Zeuge war. Die steigende Aktivität der insektioden Silithiden. Gemeinsam hörtet Ihr von den Qiraj, die lenkend hinter den Silithiden stehen, und von dem Krieg, den das Volk der Nachtelfen einst gegen sie focht und der ihm schwere, sehr schwere Verluste beibrachte. Doch was ihr nicht wisst, ist, dass auch wir Drachen von den Qiraj bedroht wurden. Zu groß war die Zahl ihrer Soldaten und zu schrecklich die Macht, die sie antrieb. Als ich das erkannte, willigte ich schließlich in meines Vaters Namen in das Bündnis ein, um das euer Erzdruide Fandral Staghelm mich gebeten hatte, nachdem die Qiraj seine Armee zerschmettert hatten.“

„Dann ist es also wahr.“, murmelte Abbefaria. „Es gab…Gerüchte, Geflüster darüber, dass im Krieg der Sandstürme auch Drachen mitgekämpft hätten. Doch niemand wagte je laut darüber zu sprechen.“
 

Anachronos schüttelte das mächtige Haupt.

„Ein Verdienst, der sowohl auf die Bemühungen des Erzdruiden wie auch auf unsere zurückgeht. Es ist normalerweise nicht die Sache der Drachen, die Angelegenheiten der Sterblichen zu regeln. Das sagte ich damals auch Staghelm, bevor ich die schreckliche Wahrheit erkennen musste, die zu unserem Bündnis führte. Gemeinsam stellten wir uns den Massen entgegen, doch selbst unsere vereinte Macht reichte nicht aus, um die Qiraj zurückzudrängen. Für fünfzig von ihnen, die wir auslöschten, krochen hundert neue aus ihren Löchern. Selbst Grakkarond, unser bester und stärkster Kämpfer, wurde von einem ihrer Anubisath, einer hundeköpfigen Steinkreatur, vom Himmel geholt und ertrank förmlich in den Fluten der gegnerischen Krieger.

Weiter und weiter drängten uns die Qiraj und ihre Armee zurück und ich musste mir eingestehen, dass wir auf verlorenem Posten standen. So nahm ich Kontakt mit den anderen Kindern der Aspekte auf. Merithra vom Grünen Schwarm und Tochter von Ysera, der Träumenden, war die erste, die auf meinen Ruf reagierte. Sie informierte die übrigen zwei Schwärme und mit ihr kamen Caelestrasz vom Roten Schwarm, Sohn der Lebensbinderin Alexstrasza, und Arygos, Sohn von Malygos, dem blauen Aspekt der Magie. Gemeinsam begaben wir uns zum Ausgangspunkt der Armee der Qiraj um zu sehen, was niemand von uns hatte sehen wollen.“

Anachronos schloss für einen Augenblick die Augen, so als schmerzten ihn die Erinnerungen an das, was geschehen war. Als er weitersprach, war die Stimme des großen Drachen brüchig. „Ihr sollt nun Zeuge werden dessen, was damals geschah. Das Schweigen über das, was im Herzen von Silithus lauert, muss gebrochen werden. Deshalb sende ich Euch vor die Tore von Ahn’Qiraj, der großen Festungsstadt der Qiraj-Armee. Ihr müsst sehen und verstehen, was zu lange vergessen war.“
 

Der gewaltige, bronzene Drache legte den Kopf zurück und stieß einen fauchenden Ruf aus. Kurz darauf schwebte einer der sandfarbenden Schatten vom Himmel.

„Ihr habt mich gerufen?“, fragte der Drache und Magenta meinte an der schlankeren Struktur und der helleren Stimme zu erkennen, dass es sich um ein Weibchen handeln musste.

„Ja, Tick. Bring diese beiden hier zu den Toren von Ahn’Qiraj.“

Die Drachin wirkte erstaunt, sagte jedoch nichts, sondern bog stattdessen ihren langen Hals herab und legte sich flach auf die Erde.

„Steigt auf, Sterbliche. Aber haltet Euch gut fest. Die Winde sind rau über Silithus.“

Mit einem mulmigen Gefühl kletterte Magenta zwischen die Rückenstacheln der bronzenen Drachin und klammerte sich an einem von ihnen fest. Abbefaria nahm den Platz hinter ihr ein. Er wirkte auf seine Art ebenso beunruhigt wie Magenta.

Geschmeidig erhob sich Tick wieder und breitete die Flügel aus. Mit einem gewaltigen Sprung katapultierte sie sich in den wolkenlosen Himmel hinein und nahm Kurs Richtung Westen.
 


 

Tick landete vor einer großen Mauer, die am südlichen Rand von Silithus die sie umgebenden Bergketten miteinander verband. In ihrer Mitte war ein gigantisches, sechseckiges Tor eingelassen, dessen Rand mit Abbefaria unbekannten Runen beschriftet war. Dicke Wurzelstränge, die bei genauerem Hinsehen von innen heraus zu glühen schienen, bildeten auf der Oberfläche des Tores ein dichtes Geflecht. Über dem Tor schwebten zwei der schwarzen Monolithen mit dem Skarabäus-Symbol, die Abbefaria schon kannte. Es herrschte somit kein Zweifel daran, dass sie Ahn’Qiraj erreicht hatten. Er glitt vom Rücken der bronzenen Drachin und dankte ihr.

„Ruft mich einfach, wenn ich euch wieder zurückbringen soll.“, sagte Tick und schwang sich wieder in den Himmel empor. Kurz darauf waren die beiden allein.
 

„Und jetzt?“, wollte Magenta wissen. „Ich sehe hier nicht viel mehr als einen Haufen Sand und alte Steine. Was genau soll uns das jetzt sagen?“

„Ich weiß nicht.“, entgegnete Abbefaria und sah sich suchend um. „Aber vielleicht…halt, sieh mal dort oben am Himmel!“

Magenta blickte hinauf und starrte mit offenem Mund zu den riesigen, halb durchsichtigen Drachen empor, die über ihnen schwebten. Nicht ganz von dieser Welt, und doch so wirklich, als hätte man nach ihnen greifen können. Abbefaria wusste plötzlich: Dies hier war ein Traum oder besser eine Erinnerung an das, was sich vor diesen Toren zugetragen hatte. Deswegen waren sie hierher geschickt worden. Um zu sehen und zu verstehen.
 

Einer der durchsichtigen Drachen war eindeutig Anachronos, doch neben dem bronzenen schwebten noch ein grüner, ein blauer und ein roter Leviathan am Himmel. Das mussten die drei anderen Vertreter der Drachenschwärme sein, von denen ihnen Anachronos berichtet hatte. Die Kinder der Apsekte.

„Es ist seltsam.“, sagte der blaue Drachen, von dem Abbefaria sich erinnerte, dass sein Name Arygos war. „Ich spüre eine eigenartige, dunkle Macht, die von der Stadt ausgeht. Irgendetwas ist dort im Inneren der Tempelanlage verborgen. Wenn wir doch nur näher heran könnten, dann könnte ich vielleicht herausfinden, worum es sich handelt.“

„Das haben wir doch bereits versucht.“, antwortete der rote Drache Caelestrasz. „Irgendetwas verhindert, dass wir die Mauern des Tempels überqueren.“

Arygos fauchte frustriert. „Ja, ich weiß. Aber was für eine Macht wäre imstande, sich so vollkommen abzuschotten? Niemand kann das. Nicht gegen uns Drachen.“

„Was immer es auch ist, es muss die geheime Kraftquelle der Qiraj sein.“, meinte der grüne Drache Merithra nachdenklich.

„Oder etwas noch Schlimmeres.“, knurrte Anachronos. „Etwas, dass nicht nur die einfachen Silithiden sondern auch ihre Herren, die Qiraj, lenkt. So oder so, wir müssen etwas unternehmen oder diese Insekten werden diese Welt überrennen.“

„Warum nutzen wir dann nicht ihre Stärke gegen sie?“, fragte eine weitere Stimme, von der Abbefaria sich sicher war, dass er sie kannte. Er blickte genauer hin und entdeckte schließlich einen Nachtelfen, der auf dem Rücken von Anachronos saß. Es war der Erzdruide Fandral Staghelm.

„Wie meint Ihr das, Nachtelf?“, knurrte Arygos.

„Es muss einen Weg geben, die Tore zu schließen, aus denen sich diese sechsbeinige Pest ergießt.“, erklärte der Erzdruide. „Wir verwandeln ihre wunderbare Brutstätte in ein Gefängnis und sperren sie darin ein. Wenn ihr nicht hineinkönnt, werden sie wohl auch nicht hinauskommen.“

„Das wäre schwierig.“, brummte Anachronos. „Sehr schwierig. Doch vielleicht…vielleicht gibt es eine Möglichkeit. Wir müssen uns beraten.“

„Dann aber schnell, Drache.“, verlangte Fandral Staghelm. „Mein Volk stirbt mit jeder verstreichenden Minute.“
 

Die Schatten der großen Drachen verblassten und statt ihrer erschien eine Gruppe von Qiraj-Soldaten und Silithiden vor dem Tor. Sie bekämpften ein Bataillon Nachtelfen in einer blutigen Schlacht. Neben den unzähligen Insekten stampften zwei riesige, hundeköpfige Wesen durch die Menge und trampelten die Nachtelfen nieder, die sich verzweifelt gegen die Übermacht zur Wehr setzten. Noch hielten die tapferen Krieger stand, doch es war nur eine Frage der Zeit, bis auch der letzte von ihnen unter den Beißzangen und Klauen der Insektioden gefallen sein würde und nur noch tote Körper den Sand bedeckten.
 

„Wir müssen uns beeilen, sonst ist alles verloren.“, sagte eine Stimme hinter Abbefaria. Er drehte sich herum und stand vor der Erinnerung an einen Mann in einer bronzefarbenden Rüstung. Neben ihm standen noch ein Gnom in einem blauen Hemd, eine Nachtelfe mit grünen Haaren und zwei männliche Nachtelfen. Einer von ihnen trug eine rote Robe, der andere die Kampfrüstung des Erzdruiden.

Fandral Staghelm wies auf die kämpfen Nachtelfen am Tor. „Meine Truppen können den Widerstand nicht brechen, Drache. Wir werden nie nahe genug herankommen, um Eure kostbare Barriere zu errichten. Euer Plan ist fehlgeschlagen!“

Die Nachtelfe, bei der es sich um Merithra handeln musste, sagte leise: „Es gäbe einen Weg...“

Der Gnom Arygos nickte. Seine Augen waren fest auf die kämpfenden Qiraj gerichtet. Er ballte die kleine Hand zu einer Faust.

Fandral Staghelm lachte bitter auf. „Ihr zögert, während mein Volk abgeschlachtet wird. Ich hätte es wissen müssen. Nichts als Worte, denen keine Taten folgen. Jetzt ist alles verloren und uns bleibt nur noch, möglichst viele dieser Bestien mit in den Untergang zu reißen.“

Er wandte sich ab und machte einen Schritt in Richtung Wüste.

Caelestrasz, der Nachtelf in der roten Robe, stellte sich ihm in den Weg. „Fandral, hört mich an. Ihr dürft Euch nicht in Euren Schmerz ergeben. Eure Gedanken sind dunkel, Nachtelf…und sie werden Euch an dunkle Orte führen. Absolution kann nicht durch fehlgeleitete Rache erreicht werden. Ihr dürft nicht aufhören zu glauben!“
 

Merithra ließ ihren Blick über ihre Kampfgefährten schweifen, bevor sie wieder die kämpfenden Massen fixierte. „Er hat aber in einem Punkt Recht. Wir müssen jetzt etwas unternehmen. Lasst uns diese Insekten dorthin zurückdrängen, wo sie hergekommen sind. Anachronos, wenn es gelungen ist, müssen du und der Nachtelf schnell handeln. Lasst euch nicht von der Sorge um unser Schicksal vom Weg abbringen lassen und tut, was getan werden muss. Ich verlasse mich darauf.“

Damit drehte sich die Nachtelfe herum und lief mit eiligen Schritten auf das Tor zu. Im Laufen veränderte sich ihre Gestalt, wurde größer und länger, bekam Schuppen und Flügel. Giftiger, grüner Atem quoll aus dem Maul der Drachin hervor und hüllte die Qiraj vollständig ein. Schatten wanden sich darin und stürmten auf die Insektioden ein.

„Ergebt Euch dem Traum.“, fauchte der Drache und spie erneut grünen Dampf. „Lasst euch auf ihn ein und vergeht darin!“

Arygos blickte zu Anachronos empor. „Diese Ablenkung wird dir und dem jungen Druiden genug Zeit geben, die Barriere zu errichten. Lasst nicht nach, bis der Zauber vollendet ist.“

Mit diesen Worten ließ er seine gnomische Verkleidung fallen und erhob sich mit mächtigen Flügelschlägen in die Luft. Eisige Winde und chaostische Magie brachen über die Qiraj herein, während der blaue Drache über sie hinwegfegte.

„Fühlt den Zorn des Blauen Schwarms!“, brüllte er. „Möge Malygos mich beschützen!“

Caelestrasz sah Fandral Staghelm eindringlich an. „Vergesst niemals das Opfer, das wir an diesem Tag erbracht haben, Nachtelf. Wir alle haben unter diesen Kreaturen gelitten.“
 

Er nickte Anachronos noch einmal zu und verwandelte sich in seine Drachengestalt.

„Alexstrasza gib mir Kraft.“, knurrte er und erhob sich ebenfalls in die Luft. Mit gewaltigen Feuergarben trieb er die letzten, verbleibenden Qiraj hinter die Mauern zurück und verschwand dann ebenso wie seine beiden drachischen Vorgänger hinter den dunklen Mauern. Das war der Moment, auf den Anachronos gewartet hatte.

„Jetzt Staghelm!“, rief er und eilte auf das Tor zu. „Wir müssen es verschließen! Bleibt dicht bei mir und haltet Euch bereit.“
 

Ein flimmernder Sandsturm erhob sich vor dem Bronzedrachen und fegte ihm voran. Die Qiraj, die bereits wieder an der sechseckigen Öffnung erschienen waren, erstarrten in ihrer Bewegung. Ein bronzener Glanz legte sich über alles wie ein Schleier. Die Zeit um die Qiraj herum stand still.

„Das wird sie für einige Augenblicke aufhalten.“ keuchte Anachronos. „ Ich errichte jetzt die Barriere. Wartete, bis ich es Euch sage, dann legt Euren Bann über das Tor, Druide“

Er blieb stehen und richtete beide Hände auf den Eingang der Festung. Ein gewaltiger Wirbel aus Sandkörnern erhob sich und rotierte kreisförmig um die Mitte der Toröffnung. Nach und nach fügte sich eine massive Steinplatte aus ihnen zusammen und verschloss den Eingang. Goldglänzende Runen erschienen rund um die Öffnung und glühten im Licht der sie erschaffenden Magie.

„Beendet den Spruch, Staghelm! Schnell!“, schrie Anachronos. Seine Hände zitterten und Schweiß stand auf seiner Stirn. „Ich kann die Schutzrunen nicht länger aufrechte erhalten. Euren Zauber! JETZT!“

Der Erzdruide schloss die Augen und Abbefaria hörte, wie er in der Sprache der Bäume zu rufen begann: „Uralte, steht mir bei und leitet mich. Erwacht aus Eurem Schlaf und versiegelt diesen unheiligen Ort. Uralte, hört mein Flehen. Uralte, steht mir bei!“
 

Die Augenblicke dehnten sich schier zu Stunden, in denen der Erzdruide immer und immer wieder dieselben Worte wiederholte. Anachronos Gestalt schwankte bereits und es war nur noch eine Frage von Sekunden, bis der bronzene Drache zusammenbrechen würde. Da endlich brachen dicke, braune Wurzelstränge aus dem Boden hervor und ringelten sich über den glyphenbesetzten Stein. Immer mehr von ihnen füllten alsbald jede kleine Ritze und Pore des Siegels und bildeten so ein undurchdringliches Gitter. Sie verschmolzen mit den goldenen Runen und erstarrten so in Ewigkeit. Das Tor von Ahn’Qiraj war verschlossen.
 

Fandral Staghelm brach in die Knie und stützte sich mit einer Hand auf dem Boden ab. Fast alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Auch Anachronos wirkte erschöpft, wenngleich auch nicht so sehr wie der Erzdruide. In seinen grünen Augen lag ein trauriger Glanz.

„Es…es ist vorbei, Lord Staghelm. Wir haben gesiegt.“, sagte er und bot dem Nachtelfen seine Hand. „Doch da ist noch eine letzte Pflicht, die es zu erfüllen gilt.“

Fandral Staghelm hob den Kopf und sah den Drachen an. „Was? Was könntet ihr jetzt noch verlangen?“

Anachronos zeigte auf einen Skarabäus, der gerade vorbeikroch. Das Tier erstarrte und begann zu wachsen. Gleichzeitig änderte sich seine Farbe und wurde von einfachem Schwarz zu einem glänzenden Bronzeton. Gleichzeitig wurde er immer flacher und formte schließlich eine runde, glänzende Scheibe. Mit einem weiteren Zauber ließ der Drache einige Steine ihre Form ändern und erschuf so eine Halterung, in die er die Bronzescheibe einsetzte. Als er sich herumdrehte, lag in seinen Händen ein großes Zepter, das in allen Farben des Regenbogens glänzte.

„Bevor ich diesen Ort verlassen, mache ich Euch noch ein letztes Angebot, Lord Staghelm. Sollte eine Zeit kommen, da Ihr Einlass zu diesem verfluchten Ort suchen müsst, schlagt dieses Zepter gegen den heiligen Gong. Er wird den Zauber brechen, der auf dem Tor liegt und den Schrecken in seinem Inneren erneut freisetzen.“

Der Drache übergab dem Nachtelfen das Zepter. Der Erzdruide nahm es, als hätte man ihm eine lebende Schlange gereicht.

„Nach allem, was mein Volk durchgemacht hat, nach all den Gräuel, die ihnen widerfahren sind, nach all dem Leid, das sie gesehen haben, erwartet ihr ernsthaft, dass wir eine weitere Last auf unsere Schultern laden? Ihr seid wahrhaft verrückt, Drache.“

Er stand auf und sah Anachronos direkt ins Gesicht. Seine Züge waren wie aus Stein gemeißelt. „Ich will nichts mehr mit Silithus, mit den Qiraj und am allerwenigsten mit einem von euch verdammten Drachen zu tun haben.“
 

Bevor Anachronos reagieren konnte, hatte Fandral Staghelm das Zepter gepackt und gegen die große Wand geschmettert. Es zerbrach und die Splitter fielen vor der Mauer in den Sand. Der Erzdruide wandte sich zum Gehen.

„Lord Staghelm, wohin geht ihr?“, rief Anachronos ihm nach. „Wollt Ihr wirklich unser Bündnis auf´s Spiel setzen, nur weil es Euch Euer lächerlicher Stolz gebietet. Wir haben gerade einen Krieg zusammen gewonnen.“

Fandral Staghelm wirbelte herum. Wut verzerrte sein Gesicht. „Ihr habt keine Ahnung, was es heißt zu leiden, Drache. Die Seele meines Sohnes wird durch diesen schalen Sieg keinen Frieden finden, Drache. Ich schwöre Euch, hier und jetzt, dass ich ihn zurückbringen werde. Und wenn es tausend Jahre dauert. Ich WERDE ihn zurückbringen!“
 

Mit diesen Worten wandte er dem Bronzedrachen den Rücken zu und ließ ihn und das zerbrochene Zepter hinter sich zurück. Anachronos schüttelte den Kopf. Auf seinem Gesicht stand tiefe Enttäuschung. Er sammelte die Teile des Zepters auf und verbarg sie in seinem Gewand. Dann streckte sich seine Gestalt, wurde größer und größer, bekam Hörner und Klauen, Schuppen und Flügel, bis er sich schließlich in seiner wahren Form vor dem versiegelten Tor stand. Er blickte noch einmal darauf zurück und wandte dann den Kopf zu Abbefaria und Magenta.

„Nun wisst Ihr alles, was es zu wissen gibt, Sterbliche.“, sagte er und die Trauer in seiner Stimme war nicht zu überhören. „Kehrt jetzt zu mir in die Höhlen der Zeit zurück.“
 

Keiner der beiden sagte ein Wort, als die Erinnerung an Anachronos verblasste und stattdessen Tick zwischen ihnen landete. Still kletterten sie auf den Rücken der bronzenen Drachin, die sich kurz darauf wieder in die Lüfte erhob und sie mit zurück nach Tanaris nahm.
 


 

Magenta war froh, als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Ihr schwirrte der Kopf von dem rasanten Flug und den Dingen, die sie gesehen hatte. Während sie sich zu Fuß den Höhlen der Zeit näherten, fragte sie Abbefaria:

„Dieser Nachtelf, Fandral Staghelm. Er ist immer noch der Anführer Eures Volkes, nicht wahr.“

„Er ist der oberste Druide.“, antwortete Abbefaria. „Die Strukturen unserer Gesellschaft sind nicht so wie die der Menschen. Es gibt…zwei verschiedene Gruppierungen, die gleichermaßen über Macht verfügen. Die Druiden sind eine von ihnen.“

„Und die andere?“

„Ist die Gemeinschaft der Mondpriesterinnen unter Tyrande Whisperwind. Sie und Staghelm sind seltener einer Meinung, als sie es sein sollten.“

Magenta rümpfte die Nase. „Ich kann diese Tyrande verstehen. Er ist kein besonders netter…Nachtelf.“

„Was du gesehen hast, ist seine Vergangenheit.“, fühlte sich Abbefaria genötigt zu sagen. „Du kannst ihn nicht aufgrund dessen verurteilen. Er hat viel für unser Volk getan. Er war es, der Teldrassil pflanzen ließ und unserem Volk nach dem Dritten Krieg eine neue Heimat gab. Und nicht zuletzt war er in Trauer, als die Bürde an ihn herangetragen wurde. Er hatte gerade sein einziges Kind auf grausame Art verloren. Einer der Qiraj hat ihn vor seinen Augen und denen der gesamten Armee in Stück gerissen.“

„Und immer noch schwärt der Hass deswegen in ihm.“, sagte eine tiefe Stimme vor ihnen. Sie hatten Anachronos erreicht.

„Mein Lord, wir haben gesehen, was Ihr uns zeigen wolltet.“, sagte Abbefaria und verneigte sich vor dem bronzenen Drachen. Der nickte und malte mit seiner Klaue Zeichen in den Sand.

„Dann sollt Ihr jetzt erfahren, was weiter geschah.“
 

Im Sand begannen, die Zeichen, die der Drache erschaffen hatte, ein Eigenleben zu führen. Sie formten die Umrisse verschiedener Drachen und Magenta musste mehrmals blinzeln, weil sie ernsthaft das Gefühl hatte, sie könne verschiedene Farben im Sand ausmachen.
 

„Nach Staghelms Vertrauensbruch nahm ich die Bruchstücke des Zepters an mich. Ich wusste, ich müsste sie gut vor der Welt verbergen, damit sie nicht in falsche Hände gerieten. Und ich beschloss, diese Aufgabe unter den Drachenschwärmen zu verteilen. Ich dachte, so wäre es sicher. Was für ein Narr ich doch war…“

Anachronos schüttelte das mächtige Haupt.

„Ich übergab je einen der Splitter an die drei restlichen Schwärme und behielt den letzten für mich selbst zurück. Ein jeder Schwarm wählte einen Vertreter aus den eigenen Reihen, der zum Wächter des Zepter-Splitters ernannt wurde. Eranikus aus dem grünen Schwarm Yseras, Vaelastrasz aus dem roten Schwarm der Lebensbinderin Alexstrasza und Azuregos aus dem magiebegabten Schwarm von Malygos, dem Blauen. Drei mächtige Drachen, einer der mächtigsten von jeder Art. Und doch wurden sie – sei es durch Verrat oder andere, dunkle Kräfte – ein jeder Opfer einer Tragödie, deren Ausmaß durch die Wichtigkeit ihrer Aufgabe noch verstärkt wurde.“

Magenta hatte gehört, dass Abbefaria bei der Nennung eines Drachens tief eingeatmet hatte.. Fragend sah sie ihn an.

„Eranikus.“, sagte er. „Easygoing hat mir berichtet, dass er ein Opfer des Alptraums geworden ist. Behüter Remulos selbst hat sich der Aufgabe angenommen, ihn daraus zu befreien.“

Anachronos senkte traurig den Blick. „Es wird mehr brauchen, als gute Vorsätze, um dies zu bewerkstelligen, junger Druide. Die Verderbnis des Alptraums sitzt tief in der Seele des grünen Drachen. Sehr tief.“

„Was ist mit den andere beiden Drachen?“; fragte Magenta, um das Thema zu wechseln. „Sind sie auch diesem…Alptraum verfallen?“

„Nein.“, antwortete Anachronos. „Vaelastrasz hat es sich selbst zur Aufgabe gemacht, dem Herren des Blackrocks, dem schwarzen Drachen Nefarian, einem direkten Nachkommen Deathwings, nachzustellen. Sein Aufenthaltsort befindet sich also irgendwo in den Höhen des schwarzen Berges.“

„Und der blaue Drache? Azuregos?“, wollte Magenta wissen.

„Es heißt, er sei verschollen. Die letzte Spur, die wir von ihm haben, ist dieses magische Buch.“

Anachronos hob die krallenbewehrte Klaue und darin lag ein zerschlissener Foliant. Magenta nahm das Buch und schlug es auf. Stirnrunzelnd betrachtete sie die Seiten, doch die Zeichen darauf wollten einfach keinen Sinn ergeben.

„Was für eine Sprache ist das?“, murmelte sie.

„Das weiß selbst ich nicht.“, gestand Anachronos. „Doch wir wissen, dass Azuregos dieses Buch an einen gewissen Narain Soothfancy schicken wollte, der in der Nähe des Dampfdruckpiers lebt. Wenn ihr erfahren wollt, was mit Azuregos geschehen ist, solltet ihr dort anfangen zu suchen.“

Abbefaria horchte auf. „Wir, mein Lord?“

Anachronos erhob sich und sah mit ernster Miene auf die beiden herab. „Die Splitter des Zepters müssen gefunden und geborgen werden. Die Zeit ist gekommen, die Tore von Ahn’Qiraj erneut zu öffnen und sich dem entgegenzustellen, was sich hinter seinen Mauern verbirgt. Denn, Sterbliche, das Dunkle Böse in ihrem Inneren ist erneut erwacht und nur ihr könnt es aufhalten. Nur ihr könnt diese Welt retten.“
 

Magenta starrte den bronzenen Drachen mit großen Augen an. Das war nicht so ganz das, was sie im Sinn gehabt hatte, als sie zu Abbefaria gesagt hatte, ihr sei langweilig.

„Die Welt retten.“, sagte sie langsam. „Das klingt nach einer…ziemlich großen Aufgabe. Ich meine, so für zwei Leute.“

Anachronos grollte und Magenta erschrak, bis sie verstand, dass dies die Art des Drachen war zu lachen.

„Ihr habt Freunde. Geht und fordert sie auf, euch zu helfen. Sucht andere, die euch zuhören. Bildet eine Streitmacht und dann zieht in die Schlacht, kleine Hexenmeisterin. Gemeinsam könnt ihr schaffen, was kein anderer außer euch vermag. Es ist euer Schicksal.“
 

Magenta wagte nicht, noch einmal zu widersprechen. Und, immerhin, wie schwer konnte es schon sein, drei ziemlich große Drachen zu finden, von denen einer sogar schon entdeckt worden war? Außerdem sah sie an Abbefarias Gesichtsausdruck, dass er bereits beschlossen hatte, sich den Wünschen des Drachen zu beugen. Immerhin war es der Anführer seines Volkes, der ihnen das Ganze überhaupt eingebrockt hatte.

„Also schön, ich bin dabei.“, sagte sie schließlich und grinste ihren Geliebten an. „Gehen wir also und retten diese Welt.“

Abbefaria nickte. „Ja, gehen wir und retten die Welt.“



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