Schnittwunden... von abgemeldet (...alles tut weh...) ================================================================================ Kapitel 7: zu ------------- „Nicht! Hör auf! Bitte hör auf!“ Ich erinnere mich. Das war damals, in der Abtei... Immer wieder dasselbe! Warum tat er das? Wieso nur? Ich hatte ihm doch nichts getan! Ich hatte doch gar nichts angestellt! Wieso machte er dann so etwas? In mir kochte die Wut! Ich könnte nicht mehr! Ich wollte das nicht! Ich würde es beenden... Ich konnte nicht anders, es musste ein... Ich konnte diesem Drang nicht mehr widerstehen... Ich kam eben doch ganz nach ihm... Ich würde es tun, ich würde ihn alles heimzahlen! „Kai! Wach auf!“ ~ ...Ich versuche mir zu wiederstehen dass - ich nicht aus Wut den Vater töte... ~ Tränen liefen mir die Wangen hinunter... Kerzengerade saß ich in meinem Bett. Es war nur ein Traum... Ein Traum, der aber der Wirklichkeit entsprach, das wiederspiegelte, was schon so oft geschehen war... Am ganzen Körper zitterte ich, wie üblich. Es ging nicht anders. Ich hatte Angst... Immer wieder träumte ich davon, von dem, was er uns, mir angetan getan hatte, von dem, was niemanden mehr als menschlich bezeichnet hätte. „Du kannst mich wieder los lassen...“ Tala, mein Zimmerkamerad. Er ist der Einzige, mit dem ich mich einigermaßen verstehe. Eigentlich ist er auch der Einzige, der damals je mit mir gesprochen hatte. Alle anderen hatten mich gemieden, weil ich doch „der Enkel“ war. Sie meinten, dass jeder, der mit mir zu tun haben sollte, noch mehr Strafe bekommen würde, als ohnehin schon. Aber Tala... dem schien das alles nie so wirklich interessiert zu haben. Er war der Einzige, der die Wahrheit über mich wusste, der auch wusste, dass man mich nicht anders behandelte. Im Gegenteil: Meist bekam ich sogar mehr ab, wie alle anderen zusammen. Eben, weil ich „der Enkel“ war... Tala war auch der Einzige, der mich davor bewarte, dass ich nur noch eine wandelnde Hülle wurde, der mich sozusagen am Leben hielt. Ohne ihn, wäre mein Geist damals schon längst gestorben... ~ ...ich behalte meine Wahrheit mir dass - ich nicht sterben muss den Geistestod... ~ Er ließ mich los und ging zu seiner Matratze zurück. Ich weiß noch, dass ich jeden seiner Schritte beobachtet hatte. Ich fand ihn halt damals schon faszinierend. Trotz, dass man seinen Stolz gebrochen hatte, seinen Körper beschmutzt und ihm seine Seele gerade zu ausgetrieben hatte, blieb er dennoch „Mensch“... Er war wie ein kleiner Junge eben sein sollte: Fröhlich, aufgeschlossen, neugierig, hilfsbereit und verspielt. Er zog vieles immer ins Lächerliche, versuchte aus allem das Positive zu sehen und die Stimmung aufzulockern. Er hatte damals viele Freunde, sehr viele sogar. Eigentlich kannte ihn in der Abtei jeder, er war sozusagen die einzige Stütze, die manch einer hatte. Aber als sie mitbekamen, dass er auch versuchte meine Stütze zu sein, fingen sie auch an ihn zu meiden. „Den Freund des Enkels“... Ich hatte leider die Angewohnheit, meine Meinung immer und gegen jeden frei zu äußern. Dass mir das Ärger bringt, wusste ich, aber das war mir egal. Ich wollte noch nie eine Marionette sein, weder von einem Fremden, noch eines Verwandten. Umso mehr stieg mein Zorn an, als mir mein Großvater Nacht für Nacht immer mehr meines Stolzes zerbröckelte. Oftmals schmiss er mich einfach vor die Tür seines Büros und sagte noch: „Sieh zu, wie du wieder in dein Raum kommst!“ Alleine hätte ich es nie geschafft, dass gebe ich ehrlich zu, aber Tala stand schon immer hinter der nächsten Ecke, stützte mich und brachte mich in unseren Raum. Hätte ich meine Worte des Zorns nur unterdrückt, wäre es niemals so weit gekommen... ~ ...ich verstecke mich in meinem Wort dass - ich nicht leiden muss des andern Zorn... ~ Und obwohl ich ihn so sehr hasste, den Menschen, der mir alles nahm, wuchs auch die Gier in mir. Die Gier nach Macht, mehr Macht, mit der ich ihn hätte zerstören können. Und diese Gier zerfraß mich innerlich und gab mir auch gleichzeitig wider halt. Den Halt, um aufrecht stehen bleiben zu können, mich vor ihm aufbauen zu können und ihm immer und immer wieder die Worte der Wahrheit ins Gesicht zu spucken! Mein Gefühl sagte mir, dass es so richtig sei. Ich sollte mich nicht unterkriegen lassen. Aber es war schwer. Es tat weh. Und es machte einsam... Ein Grund mehr, warum ich Tala nicht verstehen konnte. Auch als er geschunden aus einen der Privaträume kam, so kam er doch immer wieder mit einem lächeln auf den Lippen zurück in unseren Raum. Ich hatte ihn nie weinen sehen oder jammern hören, und schon gar nicht um gnade winseln. Aber zugehört hatte ich ihm immer, still und heimlich... ~...ich berufe mich auf mein Gefühl dass - ich nicht reden muss von meiner Gier...~ „Nicht! Hör auf! Bitte hör auf!“ Immer wieder hatte ich diese Worte geschrieen, aber niemand scherte sich darum. Es war so, als würde ich gar nicht existieren, als wäre ich nur Luft, ein Gegenstand, mit dem man es ja machen konnte. Als würde ich gar nicht fühlen, was da mit mir geschah. Aber zugesehen, dass hatten sie alle. Und daran aufgegeilt, sowieso... Es war erniedrigend, unmenschlich und einfach nur pervers! Aber dennoch taten sie es, immer und immer wieder, fanden gar kein Ende und lachten meist noch dabei. Wie sehr hatte ich mir in diesen Momenten gewünscht, Talas Stimme zu hören, die sagt, dass ich aufwachen solle. Aber sie war nur sehr selten da, nur sehr selten... Ich weiß noch, dass es einmal ganz extrem war. Mein Großvater hatte einen Geschäftspartner verloren, einen sehr wichtigen. Und ich musste dafür büßen! Er rief fast die Hälfte seiner Männer zu sich und mich mit eingeschlossen. Er saß einfach nur da und sah zu, wie sie das taten, was er ihnen befohlen hatte, was er befohlen hatte mit mir anzustellen. In dieser Nacht dachte ich, dass es nun endgültig vorbei wäre... Ich fühle mich wie ein totes Stück Fleisch, das langsam beim Ausbluten beobachtet wird. Und ich hatte diese Nacht geblutet, äußerlich wie auch innerlich. Aber es war ihnen allen egal gewesen... ~ ...ich blute aus, ich faule aus... ~ „Kai...“ „Lass mich in Ruhe!“ Ich kam gerade so in unseren Raum zurück gekrabbelt und obwohl ich wusste, dass er sich nur Sorgen machte, keifte ich ihn immer wieder an. Ich wollte nicht schwach sein, vor allem aber nicht schwach sein vor jemanden, der so stark war! Aber dieses Mal war es anders... Obwohl ich ihm sagte, er solle mich in Ruhe lassen, trottete ich mit allerletzter Kraft auf ihn zu und klammerte mich an ihm fest! Ich schrie und weinte in sein Shirt, all die unterdrückten Schreie und Tränen, die ich vor meinem Großvater niemals äußern durfte! Tala packte mich und drückte mich ganz fest an sich. Ich hatte Schmerzen, alles tat mir weh und der Druck, den er auf mich ausübte, machte das ganze nicht besser, aber es war mir egal. Ich wusste, dass er wusste, dass ich genau das brauchte. Jemanden, der mich festhält, ohne mir etwas antun zu wollen, jemand, der mich an sich drückt und mir das Gefühl gibt, nicht alleine zu sein. Und die ganze Zeit schoss mir nur eine einzige Frage durch den Kopf: Konnte man denn trotz des am Leben sein, schon tot sein? Denn so fühle ich mich. Tot... ~ ...ich lebe nur für meinen Tod... ~ Und dann musste es sein! Ich konnte nicht anders! Diese warmen, sauberen und auch starken Hände... Ich wollte sie! Es war ein Drang, dem ich nur meinem Großvater zu verdanken hatte. „Kannst du mich sauber machen...?“ Es war nur ein Flüstern, aber er verstand es, lächelte mich an und stütze mich. „Na komm, ich bringe dich ins Bad...“ Aber das war es nicht, was ich meinte, was ich wollte. Ich hielt ihn einfach nur fest und schüttelte den Kopf. Nein, so meinte ich das ganz bestimmt nicht, damals... Und erst, als er meinen Blick in den Augen verstand, wusste er, was ich meinte. Entsetzt und fragend schaute er mich an, die Angst in seinem Blick werde ich nie vergessen! Es war gerade so, als bat ich ihn darum, mich umzubringen. Und wenn ich ihn nicht doch, irgendwo so gehr gehabt hätte, hätte ich ihn auch darum angefleht! „Das... das kannst du nicht ernst meinen... Kai! Hast du jetzt ganz den Verstand verloren?! Du kannst doch kaum noch aufrecht stehen!“ Ich wollte das nicht hören! Immerhin, wusste ich es doch selber, wusste die Wahrheit. Schließlich war es meine eigene. Ich legte meine Lippen auf seine, wollte ihn somit zum Schweigen bringen, und es half. Es dauerte nicht einmal ein paar Sekunden, da erwiderte er sogar schon, steckte mir seine Zunge in den Hals und tat das, worum ich ihn gebeten hatte. Es war nicht mehr nur mein eigener Drang gewesen, nein, ich tat auch ihm einen Gefallen damit. Ich hatte schon oft mitbekommen gehabt, wie er mich beobachtete, egal bei was, beim Essen, beim Schlafen, im Bad, immer waren seine Augen da und beobachteten alle meine Schritte... „Ich werde dir nicht wehtun...“, war das Letzte, was ich von ihm hörte, ehe er mir die Augen verband und meine Hände am Tisch festband. Warum? Damit ich nicht weglaufe, damit ich nicht wieder sehe, was man mit mir macht? Ich hasste es und doch brauchte ich es auch. Ich kannte ja nur das... ~ ...Ich verschlinge mich in meinem Hass dass - ich nicht sehen lass den bösen schmerz... ~ Drei Tage schlief ich durch. Wieso mein Großvater dieses gestattet hatte, weiß ich noch immer nicht, aber es war mir egal. Ich war ihm sogar zum ersten Mal dankbar, dafür, dass er mich einfach schlafen ließ. Denn dadurch hatte ich genug Zeit, nachzudenken, über all das, was geschehen war und über das, was noch geschehen würde, sollte ich nicht bald etwas unternehmen. Und ich unternahm auch etwas... Ich fing an, mich im Lügen zu üben, immer genau das Gegenteil von dem zu sagen, was ich sonst gesagt hätte, das Gegenteil von dem zu tun, was ich normalerweise tat. Und irgendwie, ließ es sich mit dieser innerlichen Lüge besser leben, besser ertragen als vorher, so dass ich mich schnell daran gewöhnt hatte. Selbst wenn ich wieder einmal her halten musste, so tat ich so, als würde es mir gefallen, tat alles, was sie verlangten. Und es war erträglich! Es tat gar nicht mehr all zu sehr weh. So bemerkte ich auch nicht, wie mein Körper immer mehr nach diesen Lügen schrie, merkte nur, dass ich schon meist förmlich um das bettelte, was ich vorher so sehr hasste. Von Tala hatte ich mich distanziert... Ich wusste zwar, dass er mir noch immer auf Schritt und Tritt folgte und alles beobachtete, aber sagen tat er nichts. Ich glaube, er wusste von meinem Spiel. Aber wieso reden, wenn man doch auch alles stumm ertragen kann. Nur noch ein bisschen, nur noch eine kleine Weile, einen Augenblick lang, einen kurzen Moment... ~ ...ich belüge dich mit Feuermund dass - ich nicht blass noch schön von reden muss... ~ Es dauerte eine Weile, bis ich ein Teil des Vertrauens von meinem Großvater bekommen hatte. Aber es hatte sich gelohnt, ich hatte all das, was ich wollte. Ich konnte mich frei bewegen, konnte tun und lassen, was ich wollte, solange es in der Abtei war. Aber das reichte schon! Immerhin, hatte ich dadurch den Zugang zu sämtlichen Räumlichkeiten bekommen gehabt, hatte Zugriff auf alle möglichen Dateien, die mir mehr als nur nützlich waren. Denn ich wusste, dass es hier diesen einen Raum gab. Der, der mir meine Freiheit sichern würde... Aber den Schmerz, den ich dafür ertragen musste, würde das noch lange nicht gut machen. Es musste noch länger dauern, musste noch mehr Schmerzen verursachen, musste all das gut machen, was er mir angetan hatte. Aber für welchen Preis? Ich hatte weder etwas mit den anderen zu tun, was eigentlich wie immer dasselbe war, aber Tala, den hatte ich auch verloren. Der Einzige, der mir helfen wollte, der immer da war. Es war mir erst vor kurzem aufgefallen, dass er mich nicht mehr beobachtete, mich gar schon ignorierte. Und es tat weh! Ich hatte es meinem Großvater zu verdanken gehabt, dass ich mein eigenes Ich, mein Selbst verloren hatte. Oder hatte ich noch mehr verloren? Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, hatte er mir eigentlich alles genommen, hatte ich durch ihn alles verloren. Denn bis zu meinem Ende, hing diese Vergangenheit tief in mir. .. . ~ ...ich verdiene mir des andern schmerz dass - ich nicht zeigen muss mein wahres selbst... ~ „Kai? Wir müssen los! Das Training fängt gleich an.“ Nur ein Flüstern, aber ich wusste, dass es Tala war. Es war so schön, seine Stimme zu hören. Wie lange hat er mich schon nicht mehr geweckt gehabt? Eine Woche? Einen Monat? Oder doch nur einen Tag? Ich hatte absolut kein Zeitgefühl mehr... Ich weiß noch, dass ich mich umgedreht hatte und Tala zu mir runterzog, mich dicht an ihn kuschelte und am liebsten einfach so liegen geblieben wäre. Wenn er da war, vergaß ich alles! Das ich hier war, was passiert war, was ich tun wollte, einfach alles. Und er ließ es zu. Zum ersten Mal nach längerer Zeit ließ er es wider zu. Und in solchen Momenten wurde mir aber auch immer wieder klar, dass ich auf ganzer Linie versagt hatte. „Dein Großvater bringt uns um, wenn wir nicht endlich losgehen...“ „Kann er gar nicht... ich werde ihn nämlich zuerst umbringen!“ Ein gerade zu krankhaftes Grinsen huschte in diesem Augenblick über meine Lippen und die Angst in Talas Augen wird mich wohl noch weiterhin verfolgen. Er schien begriffen zu haben, worauf ich hinaus wollte. Und es tat gut, dass noch jemand anderes davon wusste, jemand, der niemals weitersagen würde, was er weiß. In dem Moment ging mir ein Lied durch den Kopf, das meine Mutter immer gesummt hatte, wenn ich nicht schlafen konnte. Wie das Lied hieß, weiß ich nicht mehr, aber es löste einen Hebel in mir, der seit langen eingerostet schien. Heute würde ich es tun, dachte ich noch, ehe ich das Zimmer verließ und zu dem Raum ging, zu dem ich all die Jahre keinen Zutritt hatte. ~ ...ich berate mich mit drein von mir dass - ich nicht hören muss was mich verzagt... ~ „Kai? Was ist das?“ „Waffen... Was glaubst du? Mit welcher dauert es schön lange und ist schmerzhaft?“ Schwarze Flaggen hingen an den Wänden, sahen eigentlich wie Dekoration, aber hinter ihnen waren Regale, mit allem, was ein Mörder begehrt. Mein Herz schlug wie wild, als ich den ersten Vorhang runterriss und die Waffen dahinter sah. Manche waren noch ältere Modelle, aber von der Wirkung her noch immer genau so effektiv wie die Neuen. Ich stöberte den ganzen Raum durch. Tala war dicht hinter mir, sagte die ganze Zeit über nicht ein Wort, während ich vor Begeisterung fast umgefallen wäre. Ich kam mir vor wie im Himmel. Endlich würde ich das bekommen, was ich so lange ersehnt hatte! In mir schrie etwas, als hätte man in mir einen blutgeilen Kampfhund losgelassen. Ich hoffte so sehr, dass mein Großvater diesen Hund bellen und knurren hörte, dass er hörte, wie dieser Hund ihn jetzt zerfleischen wird, bis er da liegt, faulend und blutend! ~ ...ich verkünde heut mein schwarzes herz dass - ich nicht leben muss wie faulend Tier... ~ Mein Stolz war schon so lange gebrochen, was würde da jetzt noch ein Mord großherrlich zerstören können? Mich hätte man doch eh freigesprochen, wenn diese scheiß Beamten und Co. erfahren hätten, was dort abging! Und selbst wenn nicht, das war es mir wert! In jeder Gefängniszelle wäre man freier wie hier! „Hörst du es?“ „Was meinst du?“ „Das Schreien... Der Abgrund, er ruft nach ihnen... Es will sie haben... Die Hölle... Hörst du das nicht?“ Jeder normale Mensch hätte mir damals gesagt, dass ich in die Gummizelle müsste, dass ich unter Wahnvorstellungen litt. Und ja, dass tat ich, aber nur teilweise, denn das, was ich da sagte und hörte, war nur das, was die Zukunft bringen würde! Die Befreiung, die Erlösung! ~ ...ich befreie mich von meinem stolz dass - ich nicht balancier dem Abgrund nah... ~ Ich nahm mir eine der Waffen, welche eine Verankerung am Ende des Laufes hatte. Das Teil sah fast so aus, wie eine kleine Harpune. Und Ideen schossen mir durch den Kopf, was man damit so alles anstellen könnte. Aber nur die eine gefiel mir davon am besten! „Kommst du mit mir? Willst du auch dabei sein? Dich rächen?“ Tala schluckte hart und der Schweiß stand ihm auf der Stirn. Ja, ich wusste, dass er dazu niemals fähig wäre, dazu war er viel zu sehr darauf fixiert, das Gute im Menschen zu suchen, zu finden und zu sehen. Allein das gab mir schon manchmal bedenken, ob nun ich hier der Irre wäre oder doch eher er... Doch er schritt an mir vorbei, nahm sich eine normale Magnum und stellte sich wieder zu mir, nickte mir zu und gemeinsam traten wir aus dem wahrhaftig göttlichen Raum hinaus. Den ganzen Weg über bis hin zu dem Büro meines Großvaters und Boris tanzte ich den Flur entlang. Schnee und Eis wehten durch die offenen Fenster hinein und es machte mir nichts aus, barfuss über die vereisten Flächen zu laufen und im Nachthemd mit den Schneeflocken mich zu drehen. ~ ...ich verbünde mich mit meinem leid dass - ich nicht sonne tanz wenn’s eist und schneit... ~ Ich trat das Brett ein und würde sofort mit den fragenden Gesichtsausdrücken von Voltaire und Boris konfrontiert. Ich lächelte hingegen. Tala stand nur stumm daneben. Ich ging auf den Schreibtisch zu und drückte auf den Knopf der Sprechanlage. „An alle ‚Schüler’. Begebt euch auf der Stelle nach draußen vor dem Turm. Schaut schön nach oben, ich habe ein Geschenk für euch!“ Den Knopf wieder aus drückend, richtete ich die Waffe auf meinen Großvater und bat ihn geradezu nett darum, seinen Arsch sofort zum Turm zu schwingen. Boris das gleiche, der die Knarre von Tala am Rücken hatte. Gemeinsam gingen wir die Flure entlang, die Treppen des Turmes hinauf und wurden von einer eiskalten Priese des Windes empfangen, als wir die Luke zur Spitze des Turmes öffneten. Mutter Natur ist auf meiner Seite, was für ein herrliches Gefühl! „Überleg dir gut, was du tust. Du wirst dadurch zum Mörder. Das könntest du eh nicht.“ Ich entnahm Tala seine Waffe und schoss Boris ins Knie. Schmerzerfüllt aufschreiend sackte er zusammen. „Das hier wird euer beider Sarg...“ ~ ...ich besiege die Mutter natur dass - ich nicht liegen muss im Kindessarg... ~ Alle waren draußen versammelt, starrten den Turm hinauf, konnten uns sehen, mich sehen, ihren Erlöser...! Ein Stern funkelte am Himmel, eigentlich, war das der Chrisstern, aber für mich war er schwarz. Er würde erst wieder weiß für mich leuchten, wenn ich das hier vollbracht hatte. „Hopp!“, forderte ich sie beide auf und sie traten ans Ende bis zum Geländer. Ich bat Tala darum, auf die beiden aufzupassen, während ich zwei Seile ans Geländer befestigte und das andere Ende an die Hacken der Pistole band, welche ich in der Hand hielt. „Könnte jetzt wehtun. Na, so ein Pech aber auch...“ Ich schoss Boris den ersten Haken direkt durch den Bauch, dasselbe tat ich auch bei meinem Großvater. Ich hörte ein paar entsetzte Schreie des Ekels von unten her, aber auch da jubelt manch einer. Tala hingegen drehte sich um und übergab sich. Er konnte noch nie Blut sehen, eine sehr schlechte Eigenschaft, wie es mein lieber Großvater immer bezeichnete. Aber das war mir egal, denn ich hatte es fast geschafft, hatte es bald vollbracht. Jetzt konnte ich nicht mehr verlieren! ~ ...ich reite auf dem schwarzen Stern - der mir hilft der mich fängt wenn ich verlier... ~ Ich ging auf die beiden zu und stieß sie einfach übers Geländer. Und es war still... Herrlich still... Ich blickte zum Himmeln hinauf und sah einen weißen Stern. Er leuchtete in seinem schönsten weiß, nur für mich, für mich ganz allein! Tala, der sich wider beruhigt hatte, stürmte zum Geländer und sah hinunter, sah, wie sie da baumelten, langsam ausbluteten und vor Schmerzen keuchten und schreien. Schreie waren auch von unten zu hören, schreie der Freude, des Dankes, der Erlösung! Immer wieder schreien sie Talas und meinem Namen und da fiel mir auch wieder der Song ein, den meine Mutter immer Summte. „Es werde Licht...“ Ich hatte wieder Licht in meinem Leben! Und es rief mich! Alles rief nach mir! Alles und Jeder! ~ ...ich reite auf dem schwarzen Stern - der mich ruft der mich immer wieder ruft... ~ „Wie ist das Wetter da? Ein bisschen kühl, oder?“, rief ich nach unten und der Schnee am Boden hatte sich schon rot gefärbt. Und sie tanzten in ihm, alle die, die hier gefangen waren, sie tanzten in dem blutgetränkten Schnee. „Kai? Sollten wir nicht...?“ Er hielt mir seine Waffe entgegen und sah mich flehend an. Ich verstand, was er meinte, aber ich verstand den Sinn nicht! Wieso wollte er, dass ich ihnen ihren Tod erleichtere? Denen, die unser Leben zur Hölle umgestaltet hatten, denen wir es zu verdanken hatten, dass unsere Kindheit nur ein Haufen Asche war! „Nein! Sie sollen ausbluten und hier faulen, bis die Krähen sie aufgefressen haben!“, schrie ich ihn an und riss ihm die Pistole aus der Hand. Die Wunde, die die beiden in ihrem Bauch hatten, würde sie schon früh genug töten. Viel zu früh meiner damaligen Meinung nach. Und sollten sie nicht an Blutverlust sterben, so würde sie wenigstens die Kälte verschlingen! ~ ...ich blute aus, ich faule aus... ~ Ich schritt an Tala vorbei und ging nach unten, wo ich mit großem Ansturm gefeiert wurde. Die Angestellten, diese Bastarde, die alles taten, was mein Großvater ihnen gesagt hatte, standen auch da versammelt. Ich gab einer kleinern Gruppe von Jungs den Zugangscode zum Waffenraum. Nach kurzer Zeit kamen sie wieder, verteilten Munition und Waffen. Gemeinsam metzelten sie die Wachen und alle anderen nieder. „Lasst uns für unseren Tod leben!“, war das einzige, was sie immer wieder schrieen. Wir sind tot, das stimmt, aber wir sind lebende Tote. Wir hatten es auch verdient, wie normale Menschen behandelt zu werden. Ich blickte nach oben und sah, dass Boris als auch Voltaire schon den Geist aufgegeben hatten. Ich fühlte mich befriedigt wie noch nie. Jetzt hätte die Welt untergehen können, es wäre mir egal gewesen. Aber die Erinnerungen an alles, sie saßen noch immer tief in mir und liefen wie in Zeitlupe vor meinem geistigen Auge ab. ~ ...ich lebe nur für meinen Tod... ~ „Rot gefällt mir der Schnee noch besser...“ „Vor allem, wenn es zur Abwechslung mal deren Blut ist!“ „Wie siehst aus? Hat wer Hunger?“ „Ich hatte seit Tagen nichts mehr...“ „Großes Fressen!“ „Jaaaa~!!!“ Sie stürmten davon, doch ich hielt nur Ausschau nach einem. Doch von Tala war weit und breit keine Spur. Ich ging auf unser Zimmer, in der Hoffnung ihn dort zu finden und war erleichtert, als er auch wirklich hier war. Er sah mir tief in die Augen und drehte mir dann den Rücken zu, zog sich an und packte sich so gut wie möglich ein. „Es ist vorbei... Ich habe versagt...“ „Was meinst du?“ Er sah mich wieder an, kam auf mich zu und nahm mich in den Arm. „Ich sollte auf dich aufpassen, das war der letzte Wunsch deiner Mutter. Ich hatte versagt und nun bist du auch noch zum Mörder geworden. Ich verdiene es nicht, länger in deiner Gegenwart zu sein. Und außerdem...“, er stockte, nahm mein Gesicht in seine Hände und küsste mich leidenschaftlich. So einen Kuss hatte ich noch nie zuvor zu spüren bekommen, doch es war schön... sehr schön... Bis er mich los ließ und an mir vorbei ging. „Wo willst du hin?! Ich will nicht, dass du gehst!“ „Wir werden uns eh wieder sehen...“ Das war das letzte Mal, das ich Tala sah. Aber er hatte Recht, wir sahen uns wieder. Doch das alles damit enden würde, dass mich meine Vergangenheit einholen würde und ich Selbstmord begehen würde... ...hätte mir das damals einer gesagt, ich hätte ihn für irre gehalten... ...tot zu sein ist schon eine komische Angelegenheit... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)