Chiisana LOVE-STORIES von Ditsch (Die ultimative Anime-Crossover-Dating-Fanfic) ================================================================================ Kapitel 1: Ruffy und Yuuka - Ein ganz besonderer Lehrer ------------------------------------------------------- von Hier habe ich mir Yuuka ausgesucht und Jitsch Ruffy. Wir haben lange überlegt, was das D. in Monkey D. Ruffy bedeuten könnte. Auf was wir dann gekommen sind, könnt ihr ja in der Geschichte lesen. In der Geschichte kommt der Begriff "Going Merry" vor. Das ist der japanische Name der Flying Lamb. So, jetzt geht's los mit Ruffy und Yuuka: Ein ganz besonderer Lehrer "Ich habe euch etwas Wichtiges anzukündigen", sagte Kizuta-sensei, eine Lehrerin der Verone-Mittelschule, mit lauter Stimme, denn die halbe Klasse war mit Privatgesprächen beschäftigt. Als immer noch die meisten weiter redeten, schrie sie: "Ruhe!!! Sonst verpasse ich euch allen Strafarbeiten!" Sofort wurde es mucksmäuschenstill. Kizuta-sensei seufzte und sagte mit normaler Lautstärke: "Also, euer Biolehrer Rosumae-sensei hat eine..." Sie grinste. Dann fuhr sie fort: "Er hat eine Gesichtslähmung und kann nicht mehr sprechen." Sofort begann die ganze Klasse zu lachen. Rosumae-sensei war ein merkwürdiger Lehrer. Er lief immer lächelnd durch die Gegend, egal was er tat. Selbst wenn er jemanden anschrie war noch der Hauch eines Lächelns auf seinem Gesicht zu erkennen. Viele verschiedene Schüler hatten schon vorhergesagt, dass er eines Tages eine Gesichtslähmung bekommen würde. Und jetzt war es tatsächlich passiert! Kizuta-Sensei wurde wieder ernst: "Solange Rosumae-sensei nicht unterrichten kann, werdet ihr eine Vertretung bekommen. Ich kenne ihn noch nicht, aber er soll ganz nett sein. Er heißt Mr. Dobby und hat erst vor kurzem studiert. Soweit ich das mitbekommen habe, ist er mal zur See gefahren. Vielleicht war er ja bei der Marine oder so." Einige der Mädchen brachen in Staunen aus. Irgendjemand vermutete: "Vielleicht war er Pirat!" Kizuta-sensei sah sie böse an und sagte: "Glaubt ihr, unser Direktor würde einen ehemaligen Piraten einstellen?" "Klar!", antwortete das Mädchen. Kizuta-sensei seufzte erneut. Dann sagte sie: "Lasst uns mit dem Unterricht beginnen. Ich weiß nämlich auch nicht mehr über Mr. Dobby. Ihr werdet ihn ja sowieso nächste Stunde kennen lernen." Den Rest der Stunde hatten die Schülerinnen die Aufgabe, ein Referat über ihr Lieblingsbuch vorzubereiten. Es gab allerdings nur eine Schülerin, die das auch tat, Yuuka Odajima, der Star der Schule. Die anderen waren in wilde Spekulationen über Mr. Dobby vertieft. Bei dem ganzen Gequatsche gelang es Yuuka immerhin, eine halbe Seite über das erste Buch der "Harry Potter"-Reihe zu schreiben. Als es klingelte, wurden die Schülerinnen nur noch hibbeliger. Fast jede hatte jetzt schon eine Beschreibung abgegeben, wie sie ihn sich vorstellte. Yuuka fand das albern. Bei einem Lehrer ging es nicht um sein Aussehen, sondern um das, was er ihnen beibrachte. Ihre einzige Befürchtung war, dass er keinen anständigen Unterricht machen könnte. Die Tür öffnete sich. Alle starrten gebannt auf die Tür. Doch als sie den Lehrer sahen, wurden sie enttäuscht. Eine sagte: "Nicht schon wieder so einer!" Denn der junge Mann, der jetzt die Klasse betrat, grinste über das ganze Gesicht. Als er das bemerkte, fragte er gut gelaunt: "Hey! Warum guckt ihr so? Freut ihr euch nicht auf die Biostunde?" Keiner antwortete. Mr. Dobby stellte seinen Rucksack auf das Pult und sah die Klasse fragend an. Irgendwann fasste Yuuka sich ein Herz und fragte: "Wissen Sie nicht, was mit unserem vorherigen Lehrer passiert ist?" Mr. Dobby sah erst ziemlich verwirrt aus. Doch dann sagte er: "Klar! Er hat zu viel gegrinst und 'ne Gesichtslähmung bekommen. Das kann mir aber nicht passieren, darum kann ich soviel grinsen, wie ich will." Yuuka warf ein: "Jeder kann eine Gesichtslähmung bekommen." Mr. Dobby sagte: "Ich nicht. Ich hab nämlich gar keine Muskeln im Gesicht. Mein ganzer Körper besteht aus Gummi. Seht mal!" Er steckte sich seine beiden Zeigefinger in den Mund und zog ihn unmenschlich weit zu beiden Seiten. Die Klasse sah ihm erstaunt zu. Dann fragte ein Mädchen: "Sind Sie Zauberkünstler oder so?" Mr. Dobby grinste und antwortete: "Nee, ich hab die Gum-Gum-Frucht gegessen, als ich klein war." "Was ist das denn?", fragte jemand. Yuuka antwortete für ihren Lehrer: "Nach den Fähigkeiten zu urteilen, die Mr. Dobby jetzt besitzt, nehme ich an, dass es eine Teufelsfrucht ist." Mr. Dobby sagte: "Das stimmt. Und da ich Teufelsfrüchte an sich sehr interessant finde und noch dazu euer Biolehrer bin, werde ich euch im Unterricht alles darüber beibringen, was ich weiß. Das steht zwar nicht im Lehrplan, aber euer Direktor hat mir erlaubt, es zu nehmen, weil ich sowieso nicht allzu lange hier bleiben werde. Rosumae-sensei wird dann, wenn er wieder da ist, mit dem Thema fortfahren, mit dem ihr aufgehört habt. So, genug der Vorrede. Ich werde mich jetzt erst einmal vorstellen. Mein Name ist Monkey Dobby Ruffy. Ich bin früher einmal zur See gefahren und habe eine Menge gelernt. Dann habe ich studiert und jetzt bin ich hier. Am Besten stellt ihr euch auch allle einmal vor, damit ich eure Namen wenigstens schon einmal gehört habe." Er zeigte auf Yuuka, die in der ersten Reihe saß und sagte: "Wir fangen bei dir an und gehen dann reihum." Yuuka nickte. Dann sagte sie: "Ich heiße Yuuka Odajima. Ich mache eigentlich alles gerne. Ich finde das Thema Teufelsfrüchte übrigens sehr interessant." Ruffy sagte: "Okay. Die Nächste." Nachdem sich alle vorgestellt hatten, fragte er: "Möchte noch jemand etwas über mich wissen?" Sofort schnellten alle Finger in die Höhe. Ruffy nahm eins der Mädchen dran. Sie fragte: "Woher haben Sie diese Narbe unter ihrem Auge?" Ruffy grinste. Dann sagte er: "Das verrate ich nicht." Auf die meisten anderen Fragen antwortete er. Er wollte nur nicht verraten, was er früher genau gemacht hatte. Das überzeugte die meisten nur noch mehr davon, dass er Pirat gewesen war. In den nächsten Biostunden lernten die Schüler eine Menge über Teufelsfrüchte. Es gelang Ruffy tatsächlich, dass alle still waren und ihm zuhörten, ohne dass er sie anschrie. Das hatte vor ihm noch kaum ein Lehrer geschafft. Aber vor ihm hatte auch noch kein Lehrer so ein interessantes Thema mit ihnen durchgenommen. Mr. Dobby war eben ein ganz besonderer Lehrer. Der Meinung war Yuuka auch. Sie genoss es, in der leisen Klasse zu sitzen und Mr. Dobbys Ausführungen über die verschiedenen Auswirkungen der Teufelsfrüchte zu lauschen. Er war einfach ein brillianter Lehrer! "Ich habe eine Nachricht für euch", begann Ruffy eines Tages die Stunde. Yuuka fragte interessiert: "Was denn?" Ruffy antwortete: "Rosumae-sensei ist wieder gesund und wird ab morgen wieder unterrichten. Hat noch irgendjemand eine Frage über Teuelsfrüchte?" Natürlich hatte Yuuka noch eine Menge Fragen, aber Mr. Dobby würde es niemals schaffen, ihr das alles in nur einer Stunde zu erklären. Deshalb beschloss sie, ihn nach der Stunde nach weiteren Informationen zu fragen. Diese Stunde würde sie ihren Klassenkameraden den Vortritt lassen. Nach der Stunde stand Yuuka sofort auf und ging zum Lehrerpult. Ruffy fragte: "Hast du doch noch eine Frage, Yuuka?" Yuuka wunderte sich, dass er ihren Namen kannte. Bei allen anderen musste er immer wieder nachfragen, aber ihren Namen hatte er sich anscheinend gemerkt. Doch darum ging es jetzt gar nicht. Yuuka fragte: "Äh... Mr. Dobby? Könnten Sie mir vielleicht noch ein paar weitere Informationen über Teufelsfrüchte geben? Ich finde das Thema sehr interessant und..." Ruffy unterbrach sie: "Es gibt keine Bücher oder so über Teufelsfrüchte. Man kann alles nur mündlich erfahren. Aber du könntest mich besuchen. Da kannst du auch noch einen Elch kennen lernen, der die Mensch-Frucht gegessen hat und eine Frau, die die Flora-Frucht gegessen hat. Sie heißen Chopper und Nico Robin. Ich bin mir sicher, sie würden sich freuen, dir etwas darüber zu erzählen. Und Usopp kann dir bestimmt auch viel erzählen, auch wenn die Hälfte von dem, was er labert, nicht wahr ist. Möchtest du vielleicht am Samstagnachmittag kommen?" Yuuka zückte ihren Terminkalender und sah, dass sie an dem Tag nicht viel zu tun hatte. Deshalb sagte sie: "Sehr gerne. Wo wohnen Sie denn?" Ruffy antwortete: "Mh... das ist schwer zu erklären. Ich glaube, ich sollte dich abholen." Yuuka meinte: "Okay. Können Sie mich vielleicht gegen zwölf Uhr hier an der Schule abholen? Dann müsste ich mit dem Volleyballtraining fertig sein." Ruffy sagte: "Okay! Dann bis Samstag!" Yuuka verabschiedete sich ebenfalls. Dann machte sie sich schnellstens auf den Weg zum nächsten Unterricht. Am Samstag nach Yuukas Volleyballtraining wartete Ruffy schon vor der Sporthalle. Yuuka sagte: "Vielen Dank, dass Sie mich abholen!" Dann gingen die beiden los. Nach einer Weile fragte Yuuka: "Waren Ihre Mitbewohner einverstanden, dass ich Sie besuche?" Ruffy sagte grinsend: "Ich hab ganz vergessen, ihnen davon zu erzählen. Aber sie werden bestimmt einverstanden sein. Und sonst gehen wir halt zu Sanji ins Restaurant. Wenn wir bei ihm was spachteln, hat er bestimmt nichts dagegen, dass wir kommen." Yuuka sah ihren Lehrer mit einem entgeisterten Blick an. Er redete ganz anders als im Unterricht. Bis jetzt war er ihr immer wie ein höflicher junger Mann vorgekommen, aber anscheinend war er in seiner Freizeit ganz anders. Yuuka hörte ein leises Rauschen in der Ferne. Sie fragte: "Wohnen sie am Wasser?" Ruffy antwortete: "Nicht direkt." Als sie in das geschäftige Treiben des Hafens eintauchten sagte er: "Ich wohne nicht am Wasser, ich wohne auf dem Wasser." Dann zog er sie zu einem Schiff, das hier lag. Die Galionsfigur hatte die Form eines Schafkopfes und ein paar Orangenbäume zierten das Deck. Ruffy sagte: "Darf ich vorstellen? Die Going Merry!" Yuuka fragte vorsichtig: "Äh... Sie wohnen auf einem Schiff, Mr. Dobby?" Ruffy nickte begeistert. "Ja! Cool, oder?" Yuuka nickte langsam. Was war das eigentlich für ein Lehrer? Wollte sie wirklich einen ganzen Nachmittag mit ihm verbringen? Es war nicht so schlimm, wie sie gedacht hatte. Robin, Chopper und Usopp waren sehr nett zu ihr. Und sie lernte an diesem Nachmittag mehr über Teufelsfrüchte, als sie es in den ganzen letzten zwei Wochen getan hatte. Als es langsam dunkel wurde, verabredete sie einen neuen Termin und ging nach Hause. In der nächsten Zeit besuchte sie immer häufiger die Crew der Going Merry. Nach einiger Zeit waren sie sich so vertraut, dass Ruffy Yuuka erlaubte, ihn statt Mr. Dobby Ruffy zu nennen. Yuuka gefiel es, auf dem Deck, zwischen den Orangenbäumen oder im Inneren des Schiffs zu sitzen und den anderen zuzuhören, was sie schon so alles erlebt hatten. Auch die anderen hatten ihren Spaß daran. Usopp hatte endlich jemanden gefunden, der ihm alle seine Geschichten glaubte und ihm die ganze Zeit zuhörte; Ruffy konnte sein gesamtes Wissen preisgeben, von seinen Erfolgen und Misserfolgen erzählen und von anderen guten Kämpfern schwärmen; Chopper konnte ihr ein paar wichtige Dinge aus dem Dasein als Arzt beibringen; und Robin konnte sich, während die anderen Yuuka vollquatschten, in Ruhe in ihr Zimmer zurückziehen und ungestört lesen. Yuuka betrat die Going Merry. Irgendwie kam es ihr ruhiger vor als sonst. Sie rief: "Ruffy! Usopp! Chopper! Robin! Wo seid ihr?" Ruffy kam sofort zu ihr runter gesprungen und sagte grinsend: "Die anderen sind einkaufen. Sie meinten, uns wird schon etwas einfallen, was wir machen könnten. Weißt du irgendwas?" "Äh... na ja...", druckste Yuuka herum. "Ja?", fragte Ruffy." Sie fragte: "Könnten wir vielleicht eine Runde mit der Going Merry drehen? Ich meine, ich bin noch nie mit so einem Segelschiff gefahren und würde gerne wissen, wie das so ist. Ginge das vielleicht?" Ruffy rief fröhlich: "Klar!" Dann hüpfte er zum oberen Teil des Schiffes. Er rief Yuuka zu: "Kannst du die Taue abmachen?" Yuuka antwortete: "Okay! Ich versuche es." Dann erledigte sie das schnell. Als sie fertig war, rief sie Ruffy zu: "Du kannst losfahren!" Ruffy, der gerade dabei war den Anker hochzuziehen, sagte: "Gleich!"Dann warf er den nassen Anker auf das Deck und steuerte das Schiff aus dem Hafen. Schon nach etwa zehn Minuten spürte Yuuka ein merkwürdiges Gefühl in ihrem Magen. Sie tapste ein wenig schwankend zu Ruffy hinaus und sagte: "Ich glaube, ich bin seekrank." Ruffy sah sie besorgt an und sagte: "Ich fahr sofort zurück." Sie lächelte schwach und sagte: "Danke." Ruffy drehte das Schiff, wobei Yuuka noch schlechter wurde. Sie hustete. Dann lief sie so schnell sie konnte zur Reling. Ihr war speiübel. Während sie sich immer wieder übergab, steuerte Ruffy das Schiff so sanft er konnte in Richtung Hafen. Plötzlich raste ein blonder Mann in einem weißem Motorboot auf die Going Merry zu. Er hatte ein schnöselhaftes Grinsen aufgesetzt und in seinem geöffneten Hemdausschnitt glänzte eine Goldkette. Yuuka stolperte ein paar Schritte auf Ruffy zu und flüsterte: "Steuer mal ein Stück nach rechts. Da kommt so ein komischer..." Plötzlich schwankte die Going Merry gefährlich zur Seite. Yuuka, die sich sowieso kaum auf den Beinen halten konnte, fiel in Richtung der Reling. Ruffy sog sich mit Luft voll und schmiss sich vor Yuuka. Sie wurde zurück geschleudert und konnte sich am Steuerknüppel festhalten. Doch die Luft, die Ruffy eingesogen hatte, schoss wieder aus ihm heraus und er zischte davon wie ein Luftballon. Er landete etwa zehn Meter vom Schiff entfernt im Wasser. Er kann nicht schwimmen, schoss es Yuuka sofort durch den Kopf. Ohne weiter zu überlegen sprang sie über Bord und schwamm so schnell sie konnte auf Ruffy zu. Als sie endlich bei der Stelle war, wo er bis eben noch wie wild um sich geschlagen hatte, war er schon untergetaucht. Yuuka holte Luft. Dann tauchte sie unter. Wasser drang in ihre Augen und sie konnte kaum etwas erkennen. Doch als sie Ruffy sah, packte sie ihn am Arm und zog ihn nach oben. An der Oberfläche hängte sie sich seine Arme über die Schultern. Mit der einen Hand hielt sie ihn fest und mit der anderen paddelte sie. Als sie beim Schiff angekommen war stellte sie fest, dass es keine Möglichkeit gab, wieder auf das Schiff zu kommen. Es war zu hoch. Sie versuchte, sich mit einer Hand an einer der Planken festzuhalten, aber der Versuch scheiterte. Das Holz war viel zu nass und rutschig. Yuuka sah zum Hafen. Er war mindestens hundert Meter entfernt. Das würde sie mit Ruffy auf dem Rücken niemals schaffen. Egal, sie musste es einfach versuchen. Doch schon nach den ersten zehn Metern hatte sie viel Wasser geschluckt und konnte sich kaum noch über Wasser halten. Plötzlich erblickte sie drei Gestalten am Hafen. Chopper, Usopp und Robin! Yuuka versuchte um Hilfe zu rufen, doch sie verschluckte sich an dem Wasser, was dabei in ihre Luftröhre gelangte und begann heftig zu husten. Die drei schienen sie trotzdem bemerkt zu haben, denn Robin rief ihr etwas zu. Yuuka verstand es nicht. Die Entfernung war zu groß und das Rauschen der Wellen zu laut. Plötzlich wurde Yuuka von hinten gepackt. Sie drückte Ruffy noch fester an sich und sah sich um. Hände sprossen aus der Bordwand der Going Merry. Auch Ruffy wurde von zwei Händen gepackt und aus dem Wasser gezogen. Sie wurden immer weiter nach oben gereicht und schließlich auf dem Deck losgelassen. Die Hände zogen sich zurück. Yuuka wollte aufstehen. Sie musste das Schiff irgendwie zurückbringen! Doch als sie es endlich geschafft hatte, sich aufzurichten, wurde ihr schwarz vor Augen und sie fiel hart auf den Holzboden. Ruffy hustete. Er spuckte so viel Wasser wie möglich aus und stand auf. Als er Yuuka neben sich liegen sah, wusste er nicht, was er tun sollte. Plötzlich hörte er Usopps Stimme über das Wasser schallen: "Mach Mund-zu-Mund-Beatmung!" Ruffy nickte. Dann hockte er sich neben Yuuka und senkte sein Gesicht zu ihrem hinab. In seiner Ausbildung hatte er zum Glück einen Erste-Hilfe-Kurs besucht, bei dem auch die Mund-zu-Mund-Beatmung geübt wurde. Er führte sie aus. Als sie sich regte, richtete er sich wieder auf und fragte: "Wie geht's dir?" Sie antwortete: "Geht so..." Dann lächelte sie Ruffy zu und sagte: "Ruffy, ich liebe dich!" "Hey!", sagte Ruffy fröhlich. "Das trifft sich ja gut!" "Warum?", fragte Yuuka verwirrt. Sie hatte alle möglichen Reaktionen erwartet, aber nicht das. Ruffy sagte: "Ich hab dich nämlich auch ganz doll lieb!" Yuuka wurde knallrot und sagte gar nichts. Er liebte sie also auch. Das war ja wunderbar! Ruffy umschlang sie mit seinen Armen. Sie konnte sich kaum regen vor Glück. "Hey ihr Turteltauben! Ihr fahrt gleich gegen das Schiff da!", rief Usopp ihnen zu. Ruffy wollte sich gerade aus der Umarmung mit Yuuka lösen, als Robin sagte: "Ich mach das schon." Das Schiff drehte sich einmal um 180° und fuhr auf das offene Meer hinaus. Ruffy und Yuuka schauten sich an. Dann bewegten sich ihre Gesichter langsam aufeinander zu und ihre Lippen berührten sich zärtlich. Die Going Merry fuhr direkt auf die orangerote Sonne zu, die gerade im Meer versank... Kapitel 2: Junpei und Lettuce - Verlorene Wette, gewonnenes Glück ----------------------------------------------------------------- von Bei diesem Pärchen habe ich mir irgendein Mädchen ausgesucht und Ditsch sich irgendeinen Jungen. Aber Junpei und Lettuce passen doch irgendwie voll gut zusammen! Ihr werdet ja sehen, was draus wird... aber es ist auf jeden Fall auch ein wenig (?) dramatisch. *grins* Ein paar Textstellen sind übrigens von Ditsch. ^.^ Egal, jetzt viel Spaß mit meiner zweitliebsten Geschichte unserer bisher ausgedachten Love-Stories (meine liebste kommt erst in Kapitel 8, also freut euch drauf!!) Verlorene Wette, gewonnenes Glück Das Café Mew Mew ist ein kleines, hübsches Gebäude, das ein wenig an ein winziges Schloss erinnert. Die Fenster haben Herzform und auch auf den Türen sind kleine Herzen. Das ganze Café ist über und über mit niedlichen Ornamenten verziert und macht einen sehr verträumten Eindruck. Dieses Café liegt in Tokyo und es ist besonders beliebt bei Mädchen zwischen zwölf und vierzehn Jahren, da es eine große Auswahl an Desserts, Kuchen und Kaffeegetränken bietet. Junpei interessierte das alles recht wenig, als er auf das Gebäude zuschritt, seine Freunde im Schlepptau. Er hoffte im Moment nur, dass ihn ein einigermaßen süßes Mädchen bedienen würde. Denn wenn nicht, hatte er Pech. Warum hatte er auch gewettet, dass das Baseballteam seiner Schule das Spiel verlieren würde? Nun gut, die Mannschaft hatte seit Beginn der Saison noch kein einziges Spiel gewonnen, aber er hätte doch wissen müssen, dass die Mannschaft der Narunishi-Schule noch viel schlechter war. Oder er hätte es zumindest ahnen müssen. So aber hatte er darauf gewettet, dass die Mannschaft seiner Schule verlieren würde. Und seine Freunde hatten natürlich alle auf ihre Mannschaft getippt und somit die Wette gewonnen. Jetzt musste er den Wetteinsatz einlösen. Es war nicht unbedingt ein richtiger Wetteinsatz, aber die Jungs hatten eindeutig beschlossen, dass Junpei eine kleine Strafe dafür bekommen musste, dass er falsch gewettet hatte. Und das war die Bedingung: er musste im Café Mew Mew etwas essen - allein das war schon peinlich genug, da als Junge hinzugehen - und dann musste er auch noch das Mädchen, das ihn zuerst bediente, um eine Verabredung bitten. Jetzt, als er geradeaus auf die Tür zuschritt und seine Freunde zur Seite, zu einem der Fenster verschwanden, fragte er sich, warum er dem eigentlich zugestimmt hatte. Aber im Grunde hatte er auch keine Wahl gehabt. Direkt neben dem Eingang stand ein bildhübsches Mädchen, das bestimmt schon an der Highschool war. "Herzlich Willkommen im Café Mew Mew.", sagte sie ziemlich lieblos. Sie klang ganz schön gelangweilt. Junpei nickte nur und entdeckte ein freies Tischchen in der Nähe des Fensters, an dem seine Freunde kauerten. Hier waren ja sogar die Stuhllehnen in Herzform. Und außer ihm waren tatsächlich nur Mädchen da. Einige sahen ihm belustigt nach, ein paar fingen an zu tuscheln, als er sich hinsetzte. Bestimmt, weil er nicht ganz der schlankste war. Oder eben, weil er als Junge in so einem Café auftauchte. Jetzt müsste ihn gleich jemand bedienen. Und das Mädchen, das das tat, würde er auch fragen müssen, ob sie mit ihm ausgehen wollte. Immerhin - sie musste nicht. Er hatte seine Wettschuld schon erfüllt, wenn er sie gefragt hatte. Jemand trat an seinen Tisch und Junpei sah auf. Das Mädchen, das nun an seinem Tisch stand, hatte dunkelgrüne Haare, von denen die meisten etwa schulterlang waren. Nur zwei dünne Zöpfe hingen ihr bis auf Hüfthöhe herab. Sie hätte gut ausgesehen, wenn da nicht diese riesige Brille mit kreisrunden Gläsern gewesen wäre, die auf ihrer Nase saß. "Gu... guten Tag. Was darf... darf ich... ähm... Ihnen... ähm... bringen?", fragte sie mit leicht panischer Stimme. Waren die Mädchen, die hier arbeiteten alle etwas seltsam? "Ich nehme einen großen Milchkaffee und ein Stück Käsesahnetorte, bitte.", sagte Junpei. Das Mädchen verbeugte sich tief. "Kommt... sofort." Damit verschwand sie fluchtartig in Richtung Küche. Junpei sah ihr nach. Warum musste die, die er nach einer Verabredung fragen musste, ausgerechnet so eine sein, die stotterte und eine Brille trug? Da wäre ihm sogar die am Eingang lieber gewesen, die sah wenigstens komplett gut aus. "Bitte sehr, Ihr Kaffee und der Kuchen.", sagte jemand und Junpei sah auf. Das Mädchen, das ihn jetzt bediente war rothaarig und sah ziemlich normal aus. "Dankeschön.", sagte Junpei. Das Mädchen drehte sich um und wollte gerade weiter zum nächsten Tisch, als Junpei etwas einfiel. "Ehm, du...!" Sie drehte sich noch mal um. "Ja, bitte?" "Kannst du mir sagen, wie die Bedienung mit den grünen Haaren heißt? Die, die vorhin meine Bestellung angenommen hat?" Das Mädchen grinste. "Du meinst Lettuce-chan. Gefällt sie dir etwa?" Junpei wusste nicht genau, was er sagen sollte, aber zum Glück riefen gerade jetzt ein paar Mädchen am Nebentisch: "Können wir bitte jetzt bestellen?" "Sofort!", entgegnete die Rothaarige und war verschwunden. Was war das nur für ein Café? Aber die Rothaarige schien wenigstens normaler zu sein, als die anderen. Warum durfte er sich nicht aussuchen, welche er fragte? Langsam schlürfte er am Schaum von seinem Milchkaffee. Gut schmeckte es ja. Am Besten, er zögerte das Ganze noch ein wenig heraus, dann wären vielleicht weniger Leute im Café. Außerdem mussten seine Freunde die ganze Zeit draußen stehen, während er hier was essen konnte. Und die Torte war wirklich köstlich! Junpei hätte am Liebsten noch ein Stück bestellt, aber erstens reichte sein Geld dafür nicht und außerdem musste er ja noch das grünhaarige Mädchen... Lettuce... um eine Verabredung bitten. Was war das überhaupt für ein Name? Lettuce... irgendwie klang das exotisch. War wohl irgendwas Ausländisches. "Sie sind ja fertig, ne! Bezahlen Sie bitte, ne?", forderte ihn auf einmal ein kleines Mädchen mit blonden Haaren auf, das wohl auch hier arbeitete. Junpei zuckte zusammen und sah das Mädchen an, das die Hand aufhielt. "Das macht dann 675 Yen, ne!", rief sie. Junpei zog sein Portmonee hervor und bezahlte, was die kleine schier aus dem Häuschen brachte. Tänzelnd verschwand sie, und Junpei stand auf. Nun gut, wo war Lettuce? Sie schien gerade nicht zu bedienen. Also musste sie dort sein, wo die Mädchen immer hinliefen, um das Essen abzuholen, bevor sie es servierten. Junpei ging etwas nervös auf den kleinen Flur zu, von dem ein paar Türen abzweigten. Und welche war nun die Richtige? "Wo willst du denn hin, Junge? Die Toilette ist da hinten.", sagte jemand. Junpei erstarrte. "Willst du mir nicht mal antworten. Komischer Junge." Junpei drehte sich um. Vor ihm stand ein blonder Junge mit schwarzem Oberteil und einer hellen Jeans. "Ich-- ähm-- ich suche jemanden." Der Junge grinste frech. "Wen denn? Vielleicht kann ich dir da helfen!" "Ähm... ich suche Lettuce-chan, weil ich sie etwas fragen muss..." Jetzt grinste der Blonde noch breiter. "Ach, gehörst du etwa zu den Jungs, die da draußen vorm Fenster hocken? Warte, ich schick dir Lettuce-chan raus. Aber sei nicht zu direkt, das verwirrt sie immer so." Junpei nickte verwirrt und der Junge verschwand in der rechten Tür. Kurz darauf kam die grünhaarige heraus. Junpei wurde richtig mulmig in der Magengegend. Er musste sie so fragen, dass seine Freunde ihn auch hören konnten. Und die waren am Fenster ganz hinten. Also musste er Lettuce irgendwie dahin bringen. "Ähm... du willst mit mir sprechen?", fragte Lettuce schüchtern und mit gesenktem Kopf. "Ja, genau. Aber nicht hier. Komm mit." Junpei bewegte sich etwas steif in Richtung des Fensters. Oh Mann, was hatte er sich da eingehandelt? Das Ganze musste sie ja total verwirren! Junpei blieb vor dem Fenster stehen und stellte fest, dass immerhin nur noch ein Tisch im Café besetzt war. Außerdem waren die beiden Mädchen, die da saßen, gerade dabei, einen Manga zu lesen und unterhielten sich ziemlich angeregt darüber. Lettuce sah ihn schüchtern an. "Also... was willst du fragen?", fragte sie. Junpei steckte seine Hände in die Hosentaschen, weil sie so sehr zitterten, und ballte sie zur Faust. Sein Blick schweifte zum Fenster, wo er seine Freunde vermutete. Sehen konnte er sie allerdings nicht. Ja, die versteckten sich und lachten sich heimlich über ihn schlapp. Und er durfte sich hier zum Affen machen. Na los! Es ist an der Zeit, ein Mann zu sein!, schalt er sich, auch wenn er das selbst nicht besonders ernst nahm. "Ich wollte dich fragen, ob du vielleicht mit mir ausgehen möchtest!", sagte er laut und deutlich. Die beiden Mädchen mit dem Manga sahen auf und er konnte von irgendwo weiter hinten ein Kichern hören. Na toll, er hatte sich wirklich gerade bis auf die Knochen blamiert. "Eh... verabreden?", fragte Lettuce total verwirrt. "Ja, genau.", murmelte Junpei mit gesenktem Kopf. Eigentlich hätte er jetzt einfach weglaufen können, denn seine Wettschuld war eingelöst. Aber das wäre dann doch ziemlich gemein ihr gegenüber gewesen. Wo sie doch so schüchtern war. "Ähm... ja, gerne... warum ... warum nicht?" Junpei hob ruckartig den Kopf und starrte sie direkt an, woraufhin sie ziemlich rot wurde. Warum musste sie denn ja sagen? "Ja... ähm... toll... also, hast du Samstag Zeit?", fragte er nervös und bemühte sich, sie nicht mehr anzusehen. "Eh... ja, also, am Nachmittag.", sagte sie so leise, dass er Mühe hatte, sie zu verstehen. "Gut. Dann treffen wir uns doch Samstag um drei hier am Café!" Sein Satz hätte unternehmungslustig klingen sollen, aber er klang total lahm. "Ja, gut..." "Ich geh dann jetzt mal." "Ist gut..." Junpei drehte sich um und verließ das Café sofort. Direkt hinter der Tür blieb er stehen und atmete tief ein. Erst einmal wieder etwas Fassung bekommen, bevor er mit seinen Freunden sprach. Hoffentlich hatten die Mädchen mit dem Manga nicht die ganze Zeit zugehört... "Astrein.", sagte Tetsuya, der mit den anderen auf ihn zukam. "Wettschuld eingelöst." Junpei lächelte gequält. "Hm-hm..." "Wunderbar! Los, lasst uns jetzt in die Spielhalle gehen!", schlug Akira vor. "Ich komm nicht mit. Ich hab noch was zu tun zu Hause.", sagte Junpei schnell und machte sich dann auf zur U-Bahn-Station, von der er nach Hause kommen würde. Er hatte keine Lust, sich die ganzen Sticheleien, was diese Sache betraf anhören zu müssen. Und außerdem sollten die drei Jungs nicht auch noch erfahren, dass er sich tatsächlich mit dem Mädchen verabredet hatte... na gut, vielleicht hatten sie es auch so schon mitgekriegt. Er konnte es sich lebhaft vorstellen: "Ha, endlich findet selbst der mal ne Freundin! Was besseres als so ne Brillenschlange hat der auch nicht verdient!" Als er da saß und sich von dem Zug durchschütteln ließ, konnte er schon wieder etwas sachlicher denken. Das wäre seine erste Verabredung mit einem Mädchen. Schon irgendwie aufregend. Andererseits war Lettuce ja nun so was von schüchtern... ob sie wohl Schokolade mochte? Als Junpei sich am Samstag für das Date fertig machte, überlegte er, ob er ihr vielleicht etwas mitbringen sollte. Eigentlich wollte er gar nicht so wirklich hin, aber er konnte sie auch nicht einfach warten lassen... Am Besten, er brachte ihr eine Tafel Schokolade mit. Davon hatte er sowieso noch einige da. Also steckte er sich drei Tafeln ein (zwei davon für den Hin- und Rückweg oder zwischendurch). Besonders angezogen hatte er sich nicht, denn es wäre ihm auch recht, wenn Lettuce ihn nicht noch mal treffen wollte... Sie wartete vor dem Café, das heute geschlossen hatte. Der hellrosa Pullover passte irgendwie total gut zu ihren grünen Haaren, und auch der hellblaue Rock stand ihr sehr gut. Wieder schoss es Junpei durch den Kopf, dass sie gut aussah, wenn da nicht diese Brille gewesen wäre. Obwohl... irgendwie machte diese Brille sie auch niedlicher... "Ah, Hallo!", rief sie ihm aufgeregt entgegen. Junpei grüßte mit erhobener Hand zurück und kam zu ihr. "Schön, dass du da bist... weißt du, ich hab echt befürchtet, du kommst nicht...", murmelte Lettuce. "Wieso das?" "Ich weiß auch nicht! War nur so ein Gefühl!" "Wollen wir irgendwo hin gehen?", fragte Junpei. Sie nickte. "Gerne doch. Aber vorher habe ich noch eine Frage: Wie heißt du eigentlich?" Junpei sah sie erstaunt an. "Ach, das habe ich dir gar nicht gesagt, was? Na ja, ich heiße Shibayama Junpei." [Anm.: Japaner nennen den Nachnamen immer zuerst] Sie lächelte ihn an. "Und ich heiße Midorikawa Lettuce. Sehr erfreut!" Irgendwie war sie heute ganz anders, als im Café. Immer noch ein wenig schüchtern, aber doch irgendwie... immerhin stotterte sie nicht so. "Hast du irgendwas bestimmtes geplant, wo wir hin wollen?", fragte sie. "Nein, aber ich... ich hab dir was mitgebracht." Junpei griff in seine Hosentasche und zog eine Tafel Schokolade hervor. "Das ist meine Lieblingssorte", kommentierte er, als er sie Lettuce hinhielt. Sie nahm die Tafel entgegen. "Oh, das ist aber nett. Vielen Dank!" Junpei wusste jetzt wirklich nicht mehr was er sagen sollte. Das hatte sie doch bestimmt nur aus Höflichkeit gesagt. Oder freute sie sich wirklich? Lettuce verstaute die Schokolade in ihrer Jeanshandtasche. "Also, wohin möchtest du gehen?", fragte sie. Was fragte sie ihn das? Aber er hatte sie ja eingeladen, also musste er auch eine Idee haben. Blöderweise hatte er sich über so etwas im Vorfeld keinerlei Gedanken gemacht. Also jetzt schnell... Karaoke? Nee, zu zweit war das nicht so gut. Pri-Cla [Abkürzung für Print-Club, solche Fotoautomaten]? Schon besser, aber das dauerte ja nicht lange. Was essen gehen? Ja, das klang einigermaßen annehmbar. Sie konnten ja auch einfach ein bisschen durch die Stadt schlendern und dann mal sehen, was ihnen gefiel. "Lass uns einfach in Richtung Innenstadt gehen, wir werden schon was finden!" "Gut!" Als er in der U-Bahn nach Hause saß, hatte Junpei sein Urteil über Lettuce vollkommen geändert. Der Nachmittag war wirklich lustig gewesen. Erst hatten sie ein paar Pri-Clas gemacht, wobei er so komische Grimassen gezogen hatte, dass sie immer noch gelachte hatte, als sie schon längst wieder aus dem Kaufhaus gewesen waren. Danach hatte er sie zu einem Eis in einem kleinen Café eingeladen. Als serviert worden war, hatte Lettuce es irgendwie hinbekommen, ihren Eisbecher der Bedienung aus der Hand zu schlagen und das gesamte Eis auf deren Schürze zu verteilen. Sie war sofort aufgesprungen, um der armen Frau zu helfen, hatte dabei ihren Stuhl umgeschmissen und der war direkt auf dem Rücken eines kleinen Hundes gelandet, der mit seinem Frauchen gerade vorbei gehen wollte. Junpei hatte sich vor Lachen kaum noch einkriegen können, und letztendlich hatten dann fast alle, die im Café saßen angefangen zu lachen, selbst Lettuce. Die Leute von dem Café hatten nicht darauf bestanden, dass Lettuce den Becher, in dem das Eis gewesen war, bezahlen musste, mit der Begründung, dass es sie alle sehr amüsiert habe. Und dann hatte man ihr den Eisbecher noch mal gebracht. Während sie ihr Eis aßen, hatte Lettuce dann erzählt, dass ihr ständig solche Sachen passierten, aber es sei noch nie so lustig gewesen wie heute. Und dann hatte er noch festgestellt, dass sie auch sehr gerne Schokolade aß, am liebsten weiße oder mit Nüssen. Jetzt, wo er im Zug saß, dachte Junpei, dass Lettuce bestimmt nicht so war, wie er auf den ersten Blick gedacht hatte. In nächster Zukunft würde er bestimmt noch einmal ins Café Mew Mew gehen. So war es auch. Junpei kam von jetzt an fast regelmäßig ins Café, zum einen, weil der Kuchen dort so lecker war, und zum anderen, weil er gerne mit Lettuce redete. Mit der Zeit lernte er auch die anderen Mädchen vom Café Mew Mew kennen. Die schweigsame, aber bildhübsche Zakuro; die gelenkige Purin, die immer wieder Geschirr zu Akrobatischen Vorführungen missbrauchte; die reiche Mint, die lieber ihren Tee trank, als zu arbeiten; die rothaarige und lebensfrohe Ichigo und die beiden Besitzer des Cafés, Ryo (der Blonde) und Keiichiro. Es war immer sehr lustig, den Mädchen zuzusehen. Purin gingen ständig Teller zu Bruch, wenn sie mit ihnen Jonglierte und Lettuce war sowieso Meisterin im Geschirr-kaputt-schmeißen. Aber Junpei kam trotzdem immer wieder. Die Gefahr, von einem fallenden Teller getroffen zu werden, war erträglich, wenn er den leckeren Kuchen des Cafés essen oder sich von Purin lustige Kunststücke vorführen lassen konnte. Es war spät im Herbst, als er Lettuce nach Schließung des Cafés fragte, ob sie nicht mal wieder miteinander ausgehen wollten, und sie begeistert zusagte. Die Verabredung für den nächsten Samstag am Café stand, und so verabschiedeten sie sich voller Vorfreude voneinander. Es war Samstag. Lettuce stand in einem Jeansmantel vor dem Café und wartete auf Junpei. Sie hatten sich für vier Uhr verabredet und jetzt war es schon halb fünf. Wo blieb er denn? Jetzt hatte sie aber wirklich genug gewartet. Ob er es vergessen hatte? Oder war ihm etwas passiert? Mit zittrigen Fingern zog sie ihr Handy aus der Tasche und tippte eine SMS an ihn ein. Kommst du bald? Du bist spät dran. Let Etwa eine Minute später trudelte seine Antwort bei ihr ein. Sorry, hab ne Grippe und darf nicht raus. Kannst mich aber gern besuchen, meine Adresse ist Odaiba .... J.P. [Anm.: Die Adresse habe ich nicht aufgeschrieben, weil ich sie nicht weiß] Lettuce lächelte. Er schrieb in SMS immer J.P., weil das kürzer war als Junpei, so wie sie immer Let statt Lettuce schrieb. Manchmal schrieb er ihr nachmittags, wenn er vorhatte, ins Café zu kommen, oder wünschte er ihr abends eine gute Nacht. Sie freute sich über jede einzelne Nachricht und hatte noch keine von ihnen gelöscht. Jetzt war die Frage: sollte sie ihn besuchen oder nicht? Sie machte sich natürlich Sorgen, außerdem hatte sie sich schon seit Tagen auf diese Verabredung gefreut. Andererseits, war es nicht ein wenig aufdringlich, so bei ihm aufzutauchen? Andererseits hatte er sie praktisch gebeten, ihn zu besuchen, sonst hätte er ihr ja auch nicht seine Adresse gegeben. Also machte sie sich auf zur U-Bahn-Station. Nachdem sie bei der Station ausgestiegen war, in deren Nähe er wohnen musste, kaufte sie ihm noch eine Tafel seiner Lieblingsschokolade. Darüber würde er sich bestimmt freuen. Es dauerte ein wenig, bis sie mithilfe eines Polizisten das Hochhaus gefunden hatte, in dem Junpei im fünften Stock wohnte, aber dann rannte sie so schnell wie möglich die Treppe hoch, zwei Stufen auf einmal nehmend. [Anm.: in Japan gibt es keine Straßennamen, deshalb findet man auch so schwer eine bestimmte Adresse, dass man Polizisten oder Briefträger fragen muss, ist praktisch normal, wenn man noch nie irgendwo war] Natürlich stolperte sie einmal, aber sie rannte sofort weiter. Ihr war schon irgendwie mulmig zu mute, als sie klingelte. Sie war das erste Mal bei ihm zuhause. Wie wohl sein Zimmer aussah? "Guten Tag!", begrüßte eine korpulente Frau sie, die die Tür aufmachte. Sie war ohne Zweifel Junpeis Mutter. "Guten Tag.", sagte Lettuce und verbeugte sich. "Möchtest du auch Junpei besuchen? Seine Freundin ist grade bei ihm, aber er hat bestimmt nichts dagegen, dass noch wer kommt." Lettuce erstarrte. Junpei hatte eine Freundin? Davon wusste sie ja gar nichts. Warum traf er sich dann überhaupt mit ihr? Machte er sich über sie lustig? "Ich... ich habe... ihm... ähm... Schokolade mitgebracht. Bitteschön." Lettuce gab der verblüfften Mutter die Tafel Schokolade und drehte sich um. Sie wollte nur so schnell wie möglich weg von hier. Als sie die Treppe herunterrannte, stolperte sie fast, aber sie lief trotzdem weiter, bis nach ganz unten und dann raus, irgendwohin, bloß weg. Als sie die Straße entlang rannte, kamen ihr langsam, aber sicher die Tränen. Sie hatte ihn nie gefragt, ob er eine Freundin hatte, aber irgendwie war sie immer davon ausgegangen, dass er keine hatte... dass sie seine Freundin war. Sie kam in einem Park zum Stehen und ließ sich auf eine Bank fallen. Wie blöd. Sie hatte sich so gefreut, dass sich endlich mal ein Junge für sie interessierte, und dann so etwas... Mir doch egal, dachte sie trotzig. Dann treffe ich mich halt nicht mehr mit ihm Aber das wollte sie auch nicht... Sie wollte sich gerne mit ihm treffen. Traurig zog sie das Pri-Cla von ihrer ersten Verabredung aus der Tasche. Es war so lustig gewesen. Seit sie ihn kannte, fühlte sie sich viel stärker und fand ihre Tollpatschigkeit nicht mehr so schlimm. Wenn sie mit ihm lachen konnte, war sie so glücklich gewesen... Sie saß eine ganze Weile einfach nur da und wusste nicht, was sie tun sollte. Außerdem gingen ihr noch viel zu viele Sachen im Kopf herum, die er gesagt hatte oder die überhaupt irgendwas mit ihm zu tun hatten. "Lettuce-chan!", rief jemand. Sie sah auf. Die Stimme kannte sie nicht, aber sie musste gemeint sein. Lettuce war nicht gerade ein häufiger Name. Ein Mädchen mit blonden Haaren kam auf sie zu. Sie sah hübsch aus. Violette Hose, weißes T-Shirt und eine Violette Jacke, und dazu so eine lustige Mütze mit Ecken, die wie kleine Katzenohren oder Hörner aussahen. "Bist du Lettuce-chan?", fragte das Mädchen. Lettuce nickte verwirrt. "Ich heiße Izumi.", stellte sich das Mädchen vor und setzte sich neben sie auf die Bank. "Was willst du von mir?", fragte Lettuce abweisend. Sie wollte jetzt mit niemandem reden, schon gar nicht mit jemandem, den sie nicht kannte. Aber woher kannte Izumi eigentlich ihren Namen? "Ich glaube, es gab da ein ziemliches Missverständnis wegen Junpei und mir. Um es gleich vorneweg zu sagen, ich bin nicht seine Freundin." Lettuce sah sie erstaunt an. "Seine Mutter hat uns deine Schokolade gebracht und erzählt, dass du sofort wieder gegangen bist, deshalb hat Junpei sie etwas genauer gefragt, was sie dir eigentlich erzählt hat. Na ja, und dann hat sie gesagt, dass sie gemeint hat, seine Freundin wäre da. Aber das stimmt nicht so wirklich, weil wir sind zwar befreundet, aber ich bin nicht mit ihm zusammen oder so." Lettuce nickte nur, etwas anderes fiel ihr auch gar nicht ein. Innerlich hätte sie jubeln können. "Weißt du, wir, also er und ich, kennen uns von einer Freizeit und schreiben uns seitdem regelmäßig SMS ... und als er mir geschrieben hat, dass er krank ist, habe ich beschlossen, ihn zu besuchen, weil ich ganz in der Nähe wohne. Aber er hat die ganze Zeit nur von dir geredet, glaub mir. Du solltest nicht aufgeben! Er mag dich wirklich!" Lettuce fragte: "Und du? Magst du ihn?" Izumi lächelte. "Nicht in einem gewissen Sinne. Er kann ganz nett sein und so, aber ich bin nicht in ihn verliebt." "Dann ist ja gut...", murmelte Lettuce erleichtert. "Na los! Dann besuch ihn doch jetzt! Er freut sich bestimmt riesig. Er wäre ja im Schlafanzug losgegangen, um dich zu suchen, aber seine Mutter hat ihn nicht gelassen, deshalb habe ich das übernommen." Lettuce stand auf. "Danke, dass du mir das erklärt hast, Izumi-chan.", sagte Lettuce. Izumi grinste. "Das hab ich doch gerne getan. Überhaupt, er hat sich auch ziemlich verändert, seit wir uns das letzte mal gesehen haben. Das muss an dir liegen, er ist jetzt nämlich viel glücklicher hab ich das Gefühl. Ja, ja, die Liebe." Izumi erhob sich ebenfalls von der Bank und schlang einer sprachlosen Lettuce ihren Arm um die Schultern. "Los geht's!", rief sie und dann gingen sie zusammen zurück zu Junpeis Wohnung. Der war richtig erleichtert, als Lettuce und Izumi wiederkamen und entschuldigte sich bei Lettuce noch mal dafür, dass seine Mutter so etwas zweideutiges gesagt hatte. Aber Lettuce war sowieso viel zu erleichtert, dass Izumi nicht mit ihm zusammen war, als dass sie noch jemandem hätte böse sein können. Und er schien ja auch ziemlich erschüttert gewesen zu sein, dass sie Izumi für seine Freundin gehalten hatte. Glücklich verließ Lettuce die Wohnung, als es draußen schon ziemlich dunkel war. Izumi hatte Junpei italienische Pasta mitgebracht gehabt, und zu dritt hatten sie sie dann gegessen. Das Essen war köstlich gewesen. Izumi hatte sich dann unter dem Vorwand, es sei schon so spät, verabschiedet. Beim Abschied hatte sie Lettuce aufmunternd zugezwinkert. Junpei und Lettuce hatten sich über alles mögliche unterhalten. Außerdem hatte sie festgestellt, dass er die Pri-Clas von ihrer ersten Verabredung alle an seinen Nachttisch geklebt hatte und eins sogar auf sein Handy. Sie hatten noch ein wenig zusammen ferngesehen und Junpei hatte sie mit einigen kleinen Zauberkunststücken erheitert. Dann hatte sie versprochen, ihn morgen wieder zu besuchen, worüber er ziemlich glücklich gewesen zu sein schien. Und sie war auch froh, dass alles in Ordnung war. Am nächsten Tag hatte Junpeis Mutter ihnen erlaubt, ein wenig rauszugehen, weil Junpei sich über Nacht ziemlich gut erholt hatte. Er musste zwar eine dicke Daunenjacke tragen, aber das störte die Beiden recht wenig. Sie gingen jetzt nebeneinander durch den Park. Lettuce schielte zu seiner Hand, die locker an seiner Seite baumelte. Ob sie nach seiner Hand greifen sollte? Nein, auf keinen Fall. Das sollte er ruhig zuerst machen... Auf einmal blieb Junpei stehen und hielt den Arm vor sie, damit sie nicht weitergehen konnte. Verwirrt hob sie den Kopf... ... und starrte direkt auf eine Regenwurm-Chimäre!! "Was ist das denn für ein Vieh?", murmelte Junpei und nahm eine Kampfpose ein. Lettuce schluckte. Sie müsste sich verwandeln... aber dann würde ihre Tarnung auffliegen. Das wäre doch bestimmt nicht gut. Der Regenwurm stieß seinen riesigen Kopf zu ihnen hinunter und Lettuce wusste nicht, was sie tun sollte. Verzweifelt kniff sie die Augen zu. Sie hörte ein Geräusch von etwas Aufeinanderprallendem und öffnete die Augen wieder. Junpei hatte den Regenwurm mit einem Tritt abgefangen und die Chimäre fiel zu Boden. Allerdings konnte sie jeden Moment wieder aufwachen. "Los, Lettuce-chan, wir sollten lieber weglaufen!", schlug Junpei vor, nahm ihre Hand und zog sie weg von der Chimäre. Aber das nützte nicht viel, denn direkt vor ihnen bohrte sich auf einmal ein weiterer Regenwurm aus der Erde und traf Junpei frontal am Bauch. Mit einem Stöhnen sank er zu Boden und Lettuce musste seine Hand loslassen. "Junpei!", rief sie, aber er antwortete nicht. Sie merkte, dass der Regenwurm jetzt sie angreifen wollte. Aber sie konnte sich wehren! "Mew Mew Lettuce Metamorphose!!" Mit einem Satz brachte Mew Lettuce sich und Junpei aus der Bahn des herannahenden Wurms, der sofort abbremste, und sich wieder ihnen zuwandte. Lettuce ließ die Lettuce-Kastagnetten in ihren Händen erscheinen und feuerte aus ihnen einen Strahl direkt auf die Chimäre. "Ribbon Lettuce Rush!" Der Regenwurm schrumpfte so schnell wieder auf Normalgröße, dass er im nächsten Augenblick verschwunden zu sein schien. Jetzt wendete sich Mew Lettuce dem Regenwurm zu, der immer noch am Boden lag und verwandelte ihn mit einer weiteren Attacke ebenfalls zurück. Lettuce verwandelte sich wieder zurück und beugte sich dann über Junpei. "Junpei? Alles in Ordnung?", fragte sie leise und schüttelte ihn an der Schulter. Er öffnete langsam die Augen, setzte sich auf und fasste sich an den Kopf. "Was ist passiert? Wo bin ich?" Lettuce zögerte. Aber sie durfte ihre geheime Identität nicht preisgeben. "Du bist... auf einmal einfach umgekippt. Vielleicht bist du... doch noch nicht ganz gesund...", sagte sie Zögernd und hatte das Gefühl, man könne ihr am Gesicht ansehen, dass sie log. Junpei stand vorsichtig auf. "Seltsam, eigentlich fühle ich mich ganz fit. Aber vielleicht bin ich wirklich noch krank. Am Besten, wir gehen zu mir." Lettuce nickte, aber sie fühlte sich elend. Komm schon Lettuce! Das musste sein! Niemand darf wissen, dass du eine Mew Mew bist!, sagte sie sich. "Seltsam...", murmelte Junpei. "Ich bilde mir ein, da wäre eben was mit einem riesigen Regenwurm gewesen... hab ich wohl geträumt." Lettuce ging weiter schweigend neben ihm her. "Eh? Träum ich schon wieder?", stieß Junpei auf einmal aus. Lettuce schrak auf. Vor ihnen standen fünf Chimären, ein Hund, eine Katze, eine Ratte, eine Krähe und ein Kanarienvogel, allesamt etwa fünfmal so groß wie normal. "Lauf weg, Lettuce!", rief Junpei und stellte sich schützend vor sie. Lettuce ballte die Hände zur Faust. Nein, sie würde die Chimären ihn nicht angreifen lassen. Sie würde ihn beschützen, auch wenn das hieß, ihre geheime Identität aufzugeben. "Mew Mew Lettuce Metamorphose!!" Junpei drehte sich erschrocken um und stellte fest, dass Lettuce sich vollkommen verändert hatte. Ihre Haare waren jetzt hellgrün und sie trug ein knappes, glänzendes, grünes Kostüm. "Ich bin Mew Lettuce.", sagte sie ruhig. Dann machte sie einen Schritt an ihm vorbei. Junpei konnte es nicht glauben. Lettuce, eine von Mew Mew? Aber natürlich, die namentliche Verbindung mit dem Café war ja auch offensichtlich. Dann waren die Kellnerinnen alle solche Kriegerinnen? "Ribbon Lettuce Rush!!", schrie Mew Lettuce und verwandelte das Kanarienvogel-Monster wieder in einen kleinen Kanarienvogel, der aufgeregt das Weite suchte. Genau so verfuhr sie mit den anderen Monstern. Die Wesen hatten keine Chance, die grüne Kriegerin überhaupt anzugreifen, da sie so schnell war. Die zurückverwandelten Tiere liefen in alle Himmelsrichtungen und Mew Lettuce blieb ein paar Meter vor Junpei stehen. Sie verwandelte sich wieder zurück, dann lief sie einfach davon. Sie hatte Junpei belogen, ihm gesagt, dass er einfach so umgefallen wäre. Wie konnte sie nur? Wie hatte sie nur denken können, dass sie als Mew Mew einen ganz normalen Freund haben könnte, der nichts von ihrer geheimen Identität wusste? Sie hatte ihn in Gefahr gebracht. Sie durfte ihn nicht noch einmal treffen. Das würde er wahrscheinlich sowieso nicht wollen. Sie hatte alles vermasselt! Lettuce blieb erst stehen, als sie in der U-Bahn zurück nach Hause stand. "Hey, du da mit den grünen Haaren!", rief ein Junge, der auf einem der Sitzplätze saß. Lettuce sah ihn erstaunt an. Schon wieder wurde sie von einem völlig unbekannten angesprochen. "Wer bist du?", fragte sie. Er grinste. "Du bist doch diese aus dem Café Mew Mew! Kommst du von Junpei?" Sie schluckte. Sie wollte nicht an ihn erinnert werden. Aber...woher wusste dieser Junge von ihr? "Also hat die Wett ihm tatsächlich was gebracht.", sagte er. "Was .. für .. eine .. Wette?", fragte Lettuce stockend. Sie ahnte, dass er ihr nichts gutes erzählen würde. "Ach, das wusstest du gar nicht? Er hat beim Baseball-Match falsch gewettet und dann haben wir gesagt, er soll... " Lettuce hörte nicht mehr, was er noch erzählte. Eine Wette also. Tränen stiegen ihr in die Augen. Er hatte sie nur wegen einer Wette gefragt. Es hatte nichts damit zu tun gehabt, ob er sie mochte. Er liebte sie gar nicht!! Die U-Bahn hielt an ihrer Station und sie rannte sofort los. Die Tränen wollten gar nicht mehr aufhören, ihre Wangen herunterzulaufen. Und sie lief einfach durch die Straßen. Aber wohin wollte sie eigentlich? Hatte ihr Leben überhaupt noch einen Sinn? Sie merkte, dass sie vor dem Café Mew Mew angekommen war. Es hatte schon längst geschlossen. Lettuce setze sich vor die Tür und weinte hemmungslos. "Lettuce!", hörte sie auf einmal Junpeis vertraute Stimme. War er ihr etwa gefolgt? Er kam näher und hockte sich vor sie. Lettuce schossen schon wieder Tränen in die Augen und sie konnte ihn nicht ansehen, also starrte sie angestrengt auf das Markenschildchen an seiner Jacke. "Lettuce-chan, warum bist du denn weggelaufen?", fragte er. Unter Tränen sagte sie: "Tu nicht so, als wenn du dir Sorgen machst. Es war doch eh nur eine blöde Wette. Worum ging es? Wie lange du es schaffst, mit mir zusammenzubleiben?" Junpei entgegnete: "Das war doch keine richtige Wette! Weil ich im Baseball-Match falsch getippt hatte, musste ich eine aus dem Café Mew Mew um ein Date bitten! Aber auch nur das! Wenn ich mich nicht mit dir hätte treffen wollen, hätte ich es auch nicht getan! Aber darum bist du doch nicht weggelaufen...?" Lettuce schloss die Augen und eine dicke Träne lief über ihre Wange. "Ich habe dich angelogen... du bist nicht zusammengebrochen..." Lettuces Stimme erstickte an einer weiteren Träne. "Ich... ich kann nicht mit dir zusammensein. Ich bin eine von Mew Mew." "Das ist doch kein Problem. Ich werde es niemandem erzählen. Und dass du mich angelogen hast ist nur natürlich, weil du deine geheime Identität aufrecht erhalten wolltest!" "Darum geht es doch gar nicht!", rief Lettuce und traute sich jetzt endlich, zu ihm hochzusehen. "Diese Chimären haben mich gezielt angegriffen! Wenn du mit mir zusammen bist, bist du immer in Gefahr! Und ich will nicht... dass du verletzt wirst." Junpei lächelte sie an. "So schwach bin ich auch wieder nicht, dass ich mich gegen so ein Vieh nicht verteidigen könnte, hast du doch gesehen. Und außerdem bist du ja immer bei mir, um mich zu beschützen, oder?" Er hielt ihr die Hand hin und sie griff überglücklich danach. Er zog sie hoch, aber sie stolperte. Direkt in seine Arme. "Ja, das werde ich bestimmt!" Kapitel 3: Katsuya und Usagi - Mit Liebe ins Ziel ------------------------------------------------- Von Ich habe irgendwann beim Zeichnen festgestellt, dass Jounouchi und Usagi ein sehr schönes Pärchen abgeben, dadurch ist es zu diesem Pairing gekommen. Die Story stand schon, bevor wir überhaupt die Idee zu dieser Geschichtensammlung hatten. Zur Story sei noch gesagt, dass sie vor der Geschichte von "Sailor Moon" spielt, also dass Usagi Mamoru noch nicht kennen gelernt hat (nein, sie ist nicht untreu!). Yu-Gi-Oh!-Technisch ist die Story irgendwann vor dem Turnier im Königreich der Duellanten angesiedelt. Im Zuge unseres Fanart-Wettbewerbs hat ein Fanart zu dieser Geschichte gezeichnet: http://animexx.onlinewelten.com/fanarts/output/?fa=1486573 Vielen Dank dafür ;) Mit Liebe ins Ziel "Verdammt!", schrie Usagi hysterisch. "Schon wieder Game-Over!!" Sie saß im Game-Center Crown, am Sailor V-Spiel. Der Junge, der neben ihr an einem anderen Spiel saß, fluchte. "Ey du blöde Kuh! Deinetwegen hat der mich jetzt K.O. gehauen!" "Da kann ich doch nichts für!!", rief Usagi, "Du hättest eben besser aufpassen sollen!" "Was ist, Jounouchi? Noch ein Spiel?", rief jemand von der anderen Seite der Spielreihe. "Nee, kein Bock", erwiderte der Junge und drehte sich Usagi zu, die gerade eine Hundert-Yen-Münze eingeworfen und ein neues Spiel angefangen hatte. Konzentriert starrte sie auf den Bildschirm und klammerte sich an den Joystick. Jounouchi beugte sich ganz dicht zu ihr und beobachtete ihre Sailor V-Figur, die wie verrückt mit ihrer Pistole in der Gegend umherfeuerte und dabei jede Menge komische Wesen aus dem Weg katapultierte. Usagi bemerkte ihn nicht. Jounouchi grinste. "Buh!", sagte er. Usagi fuhr zusammen, Sailor V blieb stehen und ein kleines grünes Wesen lief gegen sie. ,Game Over' erschien auf dem Bildschirm. Wütend drehte sich Usagi um. "Was soll das? Findest du das lustig?", rief sie. Jounouchi grinste. "Tja. Eigentlich war das nur die gerechte Strafe dafür, dass du mir den Fight versaut hast." "Suchst du Streit oder was?" "Wieso ich? Du hast angefangen!" Usagi funkelte den Jungen mit den wuscheligen blonden Haaren an. "Wie wäre es mit einem Wettkampf? Wer im Sailor V-Spiel mehr Punkte erreicht?" Jounouchi nickte sofort. "Ich fang aber an!", rief er, "Rutsch mal!" Er übernahm Usagis Platz vor dem Sailor V-Spiel und steckte eine Münze in den Schlitz. Sailor V fiel vom oberen Bildschirmrand auf eine Ebene aus blauen Klötzen und er bewegte sie vorwärts. Usagi beobachtete ihn. "Hey, was machst du da, Jounouchi?", fragte ein Junge, der gerade um die Ecke gekommen war. Usagi flüsterte ihm zu: "Er spielt. Lenk ihn bloß nicht ab, sonst wäre das ein wenig unfair." "Wieso?" "Wir spielen gegeneinander." Der Junge nickte und setzte sich auf den Platz neben Jounouchi, um ihm ebenfalls zuzusehen. Jounouchi schien Schwierigkeiten zu haben, denn seine Sailor V-Figur konnte sich oftmals nur knapp vor dahinspringenden Wesen retten und ihre Munition war verbraucht. Aber er versuchte es weiter und schaffte es immerhin bis in Level 5, wo er dann mit einer Punktzahl von 5777 abstürzte. "Hey, super!", rief sein Freund. "Aber klar doch", erwiderte Jounouchi und machte Usagi den Platz am Gerät frei. Sie war eine Münze ein und begann, Sailor V durch die Massen von Monstern zu lenken, die ihr entgegenkamen. Es war offensichtlich, dass sie das Spiel besser beherrschte, sie ging vorsichtiger mit ihrer Munition um und schien schon immer im Voraus zu wissen, wann ihr welche Monster entgegenkamen. Als sie dann am Ende von Level 5 abstürzte, hatte sie gut 5899 Punkte ergattert. "Ha! Ich bin besser als du!", grinste sie Jounouchi an. Der grinste zurück und erwiderte: "Das war ja klar, dass du in dem Spiel besser bist als ich, wenn du es dauernd spielst. Versuch mal, mich in ,KungFu-Battle4' zu schlagen!" "Klar!", erwiderte sie. "Dann spielen wir gegeneinander!", rief Jounouchi, "Ich geh rum." Er rannte um die Reihe von Automaten herum und setzte sich dann gegenüber von Usagi an einen der Automaten. Usagi warf ihre Münze ein, suchte sich ,MysticMila' als Kämpferin aus und wählte dann den Kampf gegen einen Herausforderer. Jounouchi hatte sich den ,KamakiriBoy' ausgesucht, einen muskelbepackten Mann in einem Karateanzug. Usagis Figur trug einen Kampfanzug und hatte lange rote Haare. Der Kampf begann. Zuerst umkreisten sich die Gegner langsam. MysticMila schlug zuerst zu, sie versuchte, KamakiriBoy mit einem Tritt in den Magen zu treffen, doch der Kämpfer konnte ausweichen und versuchte, einen Treffer mit der Faust zu landen, dem die Frau jedoch auch ausweichen konnte. So ging es einige Zeit fast ohne Treffer weiter. Die Kämpfer schienen sich ebenbürtig zu sein. Auf einmal riss KamakiriBoy sein linkes Bein hoch. Usagi hatte überhaupt nicht mit so einem Angriff gerechnet und versuchte, den Schlag mit einem Faustschlag von MysticMila zu parieren. Die Figur wurde allerdings trotzdem nach hinten geschleudert und verlor mehr als die Hälfte ihrer Energie. "Ha, selber Schuld!", rief Jounouchi herüber. Usagi packte den Joystick fester und lenkte ihre Figur zu einem Sprung auf KamakiriBoy zu, der ihn tatsächlich am Arm traf. "Wer ist hier selber Schuld?", lachte Usagi. Aber jetzt wurde KamakiriBoy aggressiver. Er raste auf MysticMila zu und begann, sie mit Schlägen zu bombardieren. Usagi konnte nichts tun, außer MysticMila ihre Hände zum Schutz heben zu lassen, aber trotzdem verlor sie mit jedem Schlag einen Teil ihrer Energie, die zusehends schwand. Usagi versuchte, MysticMila einen Tritt ausführen zu lassen, doch just in dem Moment hob auch KamakiriBoy sein Bein und traf MysticMila genau in den Magen. Mit lautem Piepsen sank die restliche Energie der Kämpferin auf null. "Gewonnen!", brüllte Jounouchi und erhob sich. Über die Automaten hinweg grinste er Usagi an. "Jetzt sind wir quitt!" "Aber du hast mehr Übung in diesem Spiel", erwiderte Usagi, "wollen wir nicht noch mal spielen? Wir brauchen eine entgültige Entscheidung!" "Ooookay", sagte Jounouchi gedehnt, "aber wäre es nicht viel spannender, wenn wir um einen Einsatz spielen?" "Zum Beispiel?" "Was weiß ich. Wenn du gewinnst, darfst du mir eine Forderung stellen." "Alles?" "Nichts, was gegen irgendein Gesetz verstößt, in Ordnung? Wir wollen uns ja nicht strafbar machen." "In Ordnung. Und was spielen wir?" Jounouchi sah seinen kleinen Freund an. "Sag du mal, Mutou." Der Junge war ein wenig erstaunt, auf einmal in das Gespräch miteinbezogen zu werden, schlug dann aber recht bald vor: "Autorennen?" "Ja, die Idee ist gut! Auf geht's!" Jounouchi rannte zu einem glücklicherweise freien Automaten und ließ sich auf den Sitz fallen. Usagi folgte ihm etwas langsamer. Mutou kam hinter ihnen und stellte sich zwischen die beiden Sitze. "Wollt ihr nicht vorher sagen, worum jeder von euch spielt? Das wäre fair, oder?", bemerkte er. "Ja, klar. Also, ähm... wie heißt du, Mädel?" "Tsukino Usagi heiße ich. Und wenn ich gewinne, musst du mir ein Eis ausgeben", erklärte sie schelmisch. Jounouchi nickte. "Okay. Anstandshalber stelle ich mich auch mal vor, ich heiß' Jounouchi. Das da ist mein Kumpel Mutou." "Yuugi", fügte der Junge hinzu. "Okay, und was ist deine Forderung?", wollte Usagi jetzt wissen. Jounouchi grinste das Mädchen frech an. "Wenn ich gewinne, musst du mir einen Kuss geben." Usagi erstarrte zuerst, doch dann senkte sie kampfeslustig die Augenbrauen. "Du gewinnst sowieso nicht", verkündete sie und wendete sich dem Bildschirm zu. "Das werden wir sehen!", erwiderte Jounouchi. Sie warfen ihre Münzen ein, auf den Bildschirmen erschienen nacheinander die Zahlen 3... 2... 1, und schon starteten sie durch. Usagi klammerte sich fest an das Lenkrad. Sie durfte nicht verlieren! Ihren ersten Kuss wollte sie sich für jemanden aufsparen, den sie wirklich liebte. Und nicht bei einer Wette verlieren! Die Autos, das rote von Usagi und das blaue von Jounouchi rasten so schnell über die Strecke, dass sie beide Schwierigkeiten hatten, ihren Wagen daran zu hindern, in die Böschung zu brettern. Drei Runden waren vorgeschrieben und jetzt begann die dritte. Usagi drückte das Gaspedal voll durch und ihr Wagen zog an seinem vorbei, direkt auf die Kurve zu und dann um die Ecke. Aber er holte schon wieder auf. Ihre Wagen waren fast gleichauf, als sie den geraden Teil der Strecke entlang bretterten. Da kam die Kurve. Usagi war weiter außen und wäre fast aus der Kurve geflogen, konnte sich aber gerade noch fangen. Jounouchi war jetzt knapp vor ihr und das Ziel schon in Sicht. Usagi drückte das Pedal mit aller Kraft durch. Sie konnte es noch schaffen. Ihr Wagen holte auf, kam gleichauf mit dem von Jounouchi. Aber der ließ sich nicht überholen. Jetzt, kurz vor der Ziellinie, gaben beide noch mal Vollgas. Die Wagen schossen über die Ziellinie. Jetzt würde gleich auf dem Bildschirm erscheinen, wer gewonnen hatte. Die Wagen schlitterten noch ein Stück weiter, ohne dass man sie lenken musste. Dann wurden auf einmal beide Bildschirme gleichzeitig schwarz. "Was soll das denn?", rief Jounouchi. Usagi stutzte ebenfalls. "Was habt ihr gemacht?", rief ein blonder Junge und kam zu ihnen gerannt. "Wir haben gespielt, sonst nichts", entgegnete Jounouchi. Der Junge hockte sich zu den Automaten und schraubte eine Klappe auf. "Sonst ist nichts passiert, oder was? Das Ding hört doch nicht grundlos auf, zu funktionieren!" "Na ja, wir sind fast gleichzeitig ins Ziel gefahren", bemerkte Usagi. "Ja, natürlich. Irgendwie hab ich mal so was gehört, dass die Simulatoren dieses einen Herstellers abstürzen, wenn beide Autos gleichzeitig, und zwar auf die Sekunde genau, ins Ziel kommen." Jounouchi und Usagi sahen sich an. Der Junge sah zu ihnen hoch. "Geht am Besten woanders hin, bis die wieder funktionieren kann es noch ein bisschen dauern." "Und wer hat jetzt die Wette gewonnen?", fragte Yuugi die beiden. "Tja... wir waren ja gleichzeitig im Ziel, also eigentlich gar keiner. Andererseits haben wir auch beide auf irgend'ne Weise gewonnen...", überlegte Jounouchi laut. "Dann müsst ihr eben beide eure Wettschuld einlösen.", schlug Yuugi vor. "Ja, das klingt gut.", sagte Jounouchi und sah Usagi fragend an. In ihrem Kopf arbeitete es heftig. Sie wollte gerne ein Eis ausgegeben haben, da sie selbst kein Geld mehr hatte, aber wenn sie dem zustimmte, würde sie Jounouchi küssen müssen! Dabei wollte sie ihren ersten Kuss freiwillig jemandem geben, den sie liebte... Andererseits war Jounouchi irgendwie... "Na gut." "Hey, gut. Dann gehen wir dir jetzt zuerst ein Eis kaufen. Weißt du, wo's hier in der Nähe welches gibt?" "Am Besten ist das Eis im Café Elk, da gehe ich mit meinen Freundinnen auch gerne hin.", schlug Usagi vor. "Dann zeig mir mal den Weg." "In Ordnung. Es ist auch gleich hier nebenan.", sagte Usagi. Sie sammelte ihre Schultasche ein, die noch neben den anderen Automaten stand und führte Jounouchi und Yuugi dann zum Café. "Mensch, das sieht aber teuer aus.", grummelte Jounouchi, als sie die Treppe hochstiegen. In seinen Taschen wühlte er nach ein wenig Geld. Immerhin, für ein Eis würde es reichen. Usagi setzte sich an einen freien Tisch und stützte die Ellenbogen auf die Tischplatte. Jounouchi lehnte sich ihr gegenüber in das Polster und Yuugi setzte sich mit im Schoß zusammengelegten Händen neben ihn. "Hör mal, Tsukino, ich hab nicht mehr so viel Geld. Wenn du was für mehr als 600 Yen bestellst, musst du n Teil davon selber bezahlen.", sagte Jounouchi. Usagi nickte und sah schon mal die Karte durch. Was gab es denn? Als die Bedienung, ein junges Mädchen mit roten Haaren kam, bestellte Usagi sich ein Spaghettieis. Jounouchi nahm, weil er noch etwas Geld überhatte, eine Cola und Yuugi verzichtete auf eine Bestellung. Also ging die Bedienung wieder. "Bist du öfters hier im Game Center?", fragte Jounouchi Usagi. Sie nickte. "Öfters, so nach der Schule zum Entspannen. Aber dich habe ich hier noch nie gesehen." "Nee, ich hab auch selten Zeit zum Spielen. Ich würde ja öfter, aber ich hab so viele Nebenjobs, dass ich gar nicht dazu komme." "Aber du bist doch noch an der Highschool! Du darfst gar nicht jobben." Jounouchi verdrehte die Augen. "Als wenn das irgendwen kümmern würde." Die Bedienung kam mit dem Eisbecher und der Cola. "Darf es sonst noch etwas sein?", fragte sie, aber die Jugendlichen verneinten. Dann stand Yuugi auf. "Ich glaube, ich gehe lieber nach Hause, es sieht so nach Regen aus", murmelte er, dann hatte er das Café schon verlassen. Jounouchi und Usagi sahen sich skeptisch an, dann begann Usagi mit dem Löffel in ihrem Eisbecher rumzustochern. Sie hatte zwar Hunger, aber sie musste daran denken, dass sie Jounouchi noch einen Kuss schuldig war... Unter gesenkten Wimpern beobachtete sie, wie er am Ende des Strohhalms kaute und auch nicht wirklich zu trinken schien. Mach dir nicht so viele Gedanken... iss einfach., überzeugte sie sich und begann, ihr Eis zu löffeln. Aber sie war langsam heute. Normalerweise hätte sie keine zwei Minuten gebraucht, um so ein Eis aufzuessen, aber so wie sie heute aß, wurde es fast eine Viertelstunde. Als wirklich kein Eis mehr in der Schale war, legte sie den Löffel hin. Jounouchi hatte seine Cola immer noch nicht alle, wie es aussah. Er blickte gedankenversunken aus dem Fenster und kaute auf dem Strohhalm herum, das Glas war immer noch zu etwa einem Viertel voll. Er bemerkte, dass sie ihn ansah, schlürfte die Cola ganz aus und stellte das Glas auf den Tisch. Usagi konnte nicht anders, ihr Herz begann zu klopfen. Draußen regnete es mittlerweile in Strömen, Yuugi hatte in diesem Punkt also Recht gehabt. Und jetzt musste sie ihn also küssen. Sie sah Jounouchi unsicher an. "Auf den Mund...?", fragte sie zögernd. Jounouchi wurde ein wenig rot, dann nickte er aber deutlich. Ohne ein Wort zu sagen. Wahrscheinlich war er selbst aufgeregt. Blödsinn. Einer, der Mädchen zu solchen Wetten herausfordert, hatte bestimmt schon etliche Freundinnen, dachte Usagi. Jounouchi stützte seine Arme auf den Tisch, damit sie sich näher waren. "Los, mach schon.", sagte er ungeduldig. Usagi schloss unter dem Tisch ihre Hände ineinander und sah ihn zögernd an. Wie schön seine braunen Augen waren... Aber darum ging es jetzt nicht. Sie musste ihn küssen. Komm schon, es ist nur ein Kuss! Ihre Lippen kamen seinen immer näher. Und dann berührten sie sich zögernd und sanft. So ein Gefühl hatte Usagi noch niemals in ihrem Leben verspürt. Ihr ganzer Körper schien mit Schmetterlingen angefüllt zu sein, die ihn zu verlassen versuchten und ihn zu sprengen drohten. Als sie sich wieder von ihm entfernte, tat es ihr fast Leid, dass es schon vorbei war. "Tja, dann wäre deine Wettschuld auch eingelöst.", sagte Jounouchi nach einer Weile. Usagi nickte. Ihre Wangen fühlten sich heiß an. "Seid ihr fertig?", fragte die Bedienung. "Ja", sagte Jounouchi. "Gut, das macht dann 550 Yen, bitte." Jounouchi übergab ihr wortlos seine restlichen Münzen, sie gab ihm mit ein paar freundlichen Worten das Wechselgeld und dann erhob sich Jounouchi. Als er aus dem Gebäude trat, schlug ihm der Regen entgegen. "Was für'n Mistwetter.", murmelte er. Usagi war direkt hinter ihm und spannte gerade ihren Schirm auf. Er war rosa und mit kleinen weißen Hasengesichtern versehen. "Ich bringe dich nach Hause.", schlug er vor. Usagi wurde rot, nickte aber. Sie hielt ihren Schirm ein Stückchen höher, damit er auch darunter passte. Er war nicht viel größer als sie. Langsam machten sie sich auf den Weg und keiner von ihnen wusste, was er sagen sollte. "Warum jobbst du so viel?", fragte Usagi irgendwann. "Sonst könnte ich mir wahrscheinlich nicht mal was zu Essen leisten. Mein Vater kriegt zwar Sozialhilfe, aber die versäuft er immer gleich." Usagi nickte. "Solche Probleme hast du wohl nicht, was?", fragte Jounouchi, "Du trägst die Schuluniform von der Juuban-Chugakkou [Anm.: Mittelschule] und wohnst bestimmt auch hier in der Gegend." "Ja, mein Vater ist Journalist und verdient recht viel", erklärte Usagi. Und: "Oh, wir sind da." Sie blieben vor dem zweistöckigen Haus stehen. "Tja, dann heißt es wohl Abschied nehmen.", sagte Jounouchi gedankenverloren. "Es war ein schöner Nachmittag", bemerkte Usagi. "Ja. Also dann, mach's gut." Jounouchi wollte sich zum Gehen wenden. "Warte, nimm doch meinen Schirm mit, dann wirst du nicht so nass!", rief Usagi. Jounouchi nahm verblüfft den Schirm entgegen. "Also, mach's gut." Usagi verschwand mit wehenden Zöpfen in der Einfahrt. Jounouchi drehte sich weg, aber er grinste. Jetzt hatte er immerhin einen Grund, sie noch mal zu besuchen... Kapitel 4: Inuyasha und Hazuki - Hals über Kopf ----------------------------------------------- Von Dieses Pärchen haben wir uns auch nach Zufallsprinzip ausgedacht. Ich habe Inuyasha vorgeschlagen und Ditsch Hazuki. Hätte ich gewusst, dass sie jemand so junges nimmt, hätte ich jemand anderen genommen. Aber wir haben es trotzdem hinbekommen, dass sich Hazuki und Inuyasha kennen lernen...! (höhö! sind wir gut!) Hals über Kopf Hazuki ging langsam und gemessenen Schrittes hinter ihren Eltern her. Ihre Mutter trug heute einen besonders schönen, violetten Kimono mit Goldfäden, die Hibiskusse darstellten. Ihr eigener Kimono war orange, mit aufgestickten Vögeln in allen möglichen Farben. Der Obi war passend zum Stoff dunkelblau und sehr eng geschnürt. Hazuki konnte sich nur mit Trippelschritten vorwärtsbewegen, aber dennoch fühlte sie sich in einem Kimono immer so erhaben, fast wie eine Kaiserin. Jetzt mussten sie die lange Treppe zum Schrein des Sonnenuntergangs empor gehen. Warum war die denn auch so lang? Hazuki sah nach oben, das Tor des Tempels erhob sich und aus ihrer Perspektive konnte sie dahinter nur noch die Hochhäuser Tokyos und den hellen Morgenhimmel sehen. Sie waren nicht die einzigen, die ihren ersten Schreinbesuch im neuen Jahr schon so früh tätigten. Ein paar Leute trugen Kimonos wie sie und ihre Mutter, andere waren in Alltagskleidung gekommen. Am Ende der Treppe angekommen, konnte sie über den, um diese Zeit noch nicht sehr vollen Hof blicken. Rechts stand eine große Eiche, die mit Papierbändern behängt war. Geradeaus lag das Hauptgebäude des Schreins. Hazuki trat hinter ihren Eltern in das Gebäude. Hintereinander, der Vater zuerst, warf jeder von ihnen ein wenig Opfergeld in den Kasten, dann begaben sie sich zu den Läden, wo man Orakelzettel ziehen konnte. Als Hazuki und ihre Eltern dort ankamen, telefonierte der Priester gerade, aber ein kleiner Junge, der nicht älter als Hazuki sein konnte, lächelte sie fröhlich an und hielt ihnen den Kasten mit den Orakelzetteln hin. Nachdem sie bezahlt hatten, zogen ihr Vater und ihre Mutter je einen Zettel, doch gerade als Hazuki die Schachtel schütteln wollte, kam ihr jemand dazwischen. "Wo ist Kagome?" Hazuki zog erschrocken ihre Hand zurück und starrte entgeistert auf einen Jungen in einem roten Gewand. Er hatte lange, weiße Haare, dennoch schien er nicht älter als siebzehn zu sein, auf keinen Fall älter als zwanzig... Das seltsamste an ihm waren jedoch die kleinen, weißen Ohren, die ihm am Kopf wuchsen. Der Junge sah den Orakelzettelverkäufer böse an. "Los, sag schon, wo ist sie?", donnerte er unfreundlich. "Ich weiß es nicht, Inuyasha... tut mir Leid", sagte der Jüngere. "Verdammt! Gerade jetzt, wo wir sie mal brauchen!", schimpfte der aufgebrachte Inuyasha (denn das schien ja sein Name zu sein), schlug mit der Hand auf den Tresen, so dass einige Orakelzettel aus der Box fielen und rannte dann unter den erstaunten Blicken der Anwesenden über das Grundstück. Hazuki sah ihm verzückt nach. Was für ein direkter, gutaussehender Typ! "Hey, du, Mädchen, möchtest du jetzt einen Orakelzettel ziehen?", fragte der Junge. Hazuki legte ihm gedankenverloren ein wenig Geld hin und zog einen der Orakelzettel. "Hazuki-chan, wo bleibst du denn?", rief ihre Mutter vom Baum her, an dem die Orakelzettelchen aufgehängt wurden. Hazuki sah zu ihr herüber. Ihre Eltern waren gerade damit beschäftigt, ihre Orakelzettelchen an einen Zweig des Baumes zu knoten, damit das Orakel auch in Erfüllung ging. Sie beachteten sie momentan gar nicht. Hazuki glitt so schnell wie möglich hinter eine Ecke des Gebäudes, sah sich hastig um und zog dann ihr Tap aus der Tasche. Sie drückte die richtigen Töne und warf es in die Luft. Sofort erschien über ihrem Kopf ein orangefarbenes Kleidchen, das sie sich schnell überzog. Augenblicklich bildeten sich an ihren Füßen Stiefel und an den Händen Handschuhe, ebenfalls Orange, dann zog sie sich den (wer hätte das gedacht) orangefarbenen Hexenhut über den Kopf. "Juppi, Juppla, Karapata!" Dann ließ sie aus dem Tap ihr Krakordeon erscheinen. "Pilli Pilli, Popalura, Popalou! Doppelgängerin, erscheine!" Sofort materialisierte sich vor ihren Augen eine zweite Hazuki in dem violetten Kimono, den sie eben noch getragen hatte. "Los, geh zu meinen Eltern bis ich wieder da bin", flüsterte Hazuki dem Double zu. Die zweite Hazuki verbeugte sich höflich und begab sich dann in Richtung ihrer Eltern. Die echte Hazuki dagegen ließ aus ihrem Magic Tap den Hexenbesen erscheinen und schwang sich darauf. Sie wollte diesem Jungen - Inuyasha - helfen, diese Kagome zu finden. Mit ihrer Magie würde sie das bestimmt schaffen. Aber erst einmal musste sie ihn finden. Die Suche stellte sich als ziemlich leicht heraus, da Inuyasha von vielen Leuten gesehen worden war und sie so nur der Spur verwirrt zurückgebliebener Menschen folgen mussten. Sie erreichte den Jungen mit den weißen Haaren an einer Kreuzung. "Pilli Pilli, Popalura, Popalou! Zeig Inuyasha den Weg zu Kagome!", rief Hazuki. Sofort erschien vor Inuyashas Nase ein kleiner Pfeil. "Folge dem Pfeil und du findest, was du suchst!", rief Hazuki dem Jungen zu. Inuyasha drehte sich verwirrt um, aber Hazuki war schon auf ein Hochhausdach und damit aus seiner Sicht verschwunden. Inuyasha schüttelte mürrisch den Kopf und blickte dann wieder auf den Pfeil, der nach links zeigte. Dann setzte er sich in die angegebene Richtung in Bewegung. Hazuki folgte ihm bis zu einer Filiale einer Fastfoodkette, vor der drei junge Mädchen standen. "Kagome!", brüllte Inuyasha, "Da bist du ja!" Eines der Mädchen mit langen, schwarzen Haaren fuhr herum. Die anderen beiden betrachteten Inuyasha erschrocken. "Was hast du denn hier zu suchen? Ich hab doch gesagt, du sollst mich über die Neujahrstage in Ruhe lassen!", rief das Mädchen. Anstatt zu antworten, machte der Junge einen Satz, packte sie um die Hüfte und rannte dann mit ihr zurück in Richtung Tempel. Hazuki flog ihnen neugierig hinterher. "Lass mich los, Idiot! Was soll das? Ich habe gesagt, du sollst mich in Ruhe lassen! Hörst du mir überhaupt zu? Kannst du mir mal erklären, warum du hier bist? Inuyasha!!", zeterte das Mädchen wütend. "Mecker nicht rum, wir brauchen deine Hilfe!" "Und anstatt mich mal zu bitten, entführst du mich gleich? Du bist echt der größte Idiot, den ich kenne!" "Hör auf zu meckern!" Die beiden waren jetzt am Tempel angekommen und Inuyasha sprang durch ein Fenster in das Wohnhaus. Wohlgemerkt durch das geschlossene Fenster, sodass die Scheibe zu Bruch ging. Sofort hörte Hazuki das Mädchen wieder herumzetern und Inuyasha etwas erwidern, aber sie konnte es nicht genau verstehen. Fünf Minuten Später trug das Mädchen einen großen Rucksack und klammerte sich an Inuyashas Rücken, der aus dem Fenster sprang und zu einem kleineren Nebengebäude aus Holz eilte. Einige Tempelbesucher sahen sie verblüfft an. Hazuki landete neben dem Gebäude und glitt dann unauffällig durch die Tür. Am Ende einer kurzen Treppe lag hier ein hölzerner Brunnen, und von den beiden Menschen war nicht die geringste Spur zu sehen. Wo konnten sie sein? Hazuki ging näher an den Brunnen heran. Er schien nicht sonderlich tief zu sein, höchstens fünf Meter, und an seinem Grund sah sie nichts als Erde. Eigentlich, so dachte sie, müsste ich jetzt zurück zu meinen Eltern. Aber ich würde doch zu gerne wissen, was es mit diesem gutaussehenden Jungen auf sich hat. Er wirkt irgendwie mystisch... Sie zog ihr Krakordeon wieder hervor und rief dann: "Pilli Pilli, Popalura, Popalou! Bring mich zu Inuyasha!" Für einen Augenblick hatte sie das Gefühl, mitten durch ein Stück Himmel voller Sterne zu fallen, dann befand sie sich neben dem Brunnen. Aber dennoch war alles anders. Der Brunnen war auf einmal grasbewachsen und sie stand auch nicht mehr in einem Gebäude, sondern unter freiem Himmel. Unter ihren Füßen erstreckte sich eine Graslandschaft, sie konnte in der Ferne Berge sehen und einen Wald. Wo war sie gelandet? Hazuki hatte nicht viel Zeit, sich das zu fragen, denn nun hörte sie ein ohrenbetäubendes Brüllen. Als sie sich umdrehte, sah sie eine riesige Gestalt sich über die Bäume des Waldes erheben. Es schien so etwas wie ein Dämon zu sein, hatte einen nahezu menschlichen Körper, der Kopf jedoch war von einer dichten schwarzen Mähne umgeben, aus dem blauen Gesicht ragten zwei scharfe Eckzähne, sein ganzer Körper war blau und seine Arme von Hörnern geziert. Allein schon beim Anblick dieses Wesens brach Hazuki der kalte Angstschweiß aus. Aber irgendwo hier mussten Inuyasha und... Hazuki stockte der Atem. Eine Gestalt war aus dem Wald zu dem Dämon empor gesprungen. Selbst aus dieser Entfernung konnte Hazuki ausmachen, dass, wer immer es war, rote Kleidung trug und lange weiße Haare hatte. In den Händen hielt die Gestalt ein gigantisches Schwert und hieb damit auf die Schulter des riesigen Wesens ein, was diesem jedoch nicht viel ausmachte. Der Dämon hob seine riesige, mit Fell bewachsene und krallenbewehrte Hand und verpasste Inuyasha einen Schlag, der ihn zurück in den Wald beförderte. Hazuki schrie auf. Sie musste ihm helfen! Gleichzeitig hörte sie einen anderen Aufschrei: "Inuyasha!!" Das war doch die Stimme von diesem Mädchen! Hazuki entdeckte sie am Waldrand, wo sie mit ihrem riesigen Rucksack stand. Die kleine Hexe schwang sich auf ihren Besen und schloss zu dem Mädchen auf, das sich jetzt ihres Rucksacks entledigt hatte und durch den Wald eilte. "Warte mal!", bat Hazuki sie und flog jetzt direkt neben ihr. "Wer bist du?", fragte das Mädchen. "Das ist jetzt nicht so wichtig. Weißt du, was ich tun kann, damit der Dämon verschwindet?", erwiderte Hazuki hastig. "Man müsste ihm den Splitter des Juwels der Vier Seelen, des Shikon no Tama entreißen!" "Gut." Hazuki riss ihren Besen nach oben und stieg zwischen den Baumspitzen hervor. "Pilli Pilli, Popalura, Popalou! Bring mir den Splitter des Shikon no Tama!" Der Dämon schrie auf und dann flog auf einmal etwas kleines, glitzerndes auf Hazuki zu. Im gleichen Augenblick schrumpfte der Dämon so schnell, dass er innerhalb von Sekunden nicht mehr von oben zu sehen war. Hazuki fing das kleine rosafarbene Teilchen auf und flog dann dort hin, wo Inuyasha abgestürzt war. Um den Jungen in dem roten Gewand hatten sich drei Menschen versammelt. Einer von ihnen trug die mittelalterliche Tracht eines buddhistischen Mönchs und einen dazu gehörenden Stab. Das andere war eine Frau in einer Rüstung und das dritte schien ein kleiner Junge mit roten Haaren zu sein. Hazuki eilte zu dem Jungen. Sein Arm war blutüberströmt. "Verdammt, dieser blöde Youkai! Den muss uns Naraku auf den Hals gehetzt haben!" "Wer bist du?", fragte auf einmal der kleine Junge, der sie zuerst bemerkt hatte. Sofort sahen auch die anderen zu ihr. "Ich bin... Hazuki...", sagte die Hexe verlegen. "Hast du gerade diesen Youkai besiegt?", fragte der Mönch. Hazuki nickte. "Wie hast du das geschafft?", wollte die Kämpferin wissen. "Ich habe ihm diesen Splitter des Shikon no Tama mit Hilfe von Magie entrissen", erklärte Hazuki und hielt den versammelten den Splitter hin. Die Menschen sahen sich an. "Ähm... du bist verletzt, Inuyasha...", murmelte Hazuki. "Woher weißt du, wie ich heiße?", fragte der Junge misstrauisch. "Ich... habe gehört, wie jemand dich so genannt hat." "Ähm... also, wenn du möchtest, kann ich deine Verletzung heilen." "Ach was, das ist nur ein Kratzer", erklärte der Junge, "außerdem heilen meine Wunden immer schnell." "Inuyasha! Bist du hier?", rief auf einmal das Mädchen. Sie kam zu den anderen gestürmt, den Rucksack hatte sie wieder auf, jetzt ließ sie ihn aber auf die Lichtung fallen. "Du bist verletzt!" "Nur ein Kratzer." "Blödsinn, dann würde es nicht so stark bluten. Zeig mir mal deinen Arm!" Das Mädchen zog den Ärmel Inuyashas zurück und betrachtete den Arm genauer. "Das sieht ziemlich gefährlich aus. Miroku-sama, würdest Du mir bitte mal das Verbandszeug aus dem Rucksack holen?" Hazuki sah schweigend zu, wie der Mönch in dem Rucksack zu kramen begann. Den Splitter hatte sie noch immer in der Hand. "Hey, du... Hazuki!", rief der kleine Junge. Als die Hexe ihn ansah, er war nur wenig kleiner als sie, stellte sie fest, dass er kein normaler Junge sein konnte. Seine Füße sahen aus wie Tierpfoten und er hatte einen bauschigen Schwanz, der ihm aus der Hose guckte. "Was bist du eigentlich?", fragte Hazuki den Jungen. "Ich heiße Shippou und ich bin ein waschechter Fuchsdämon", sagte er stolz."Ein Dämon?" "Ja. Im Gegensatz zu Inuyasha, der ist nämlich nur ein Halbdämon." "Ach so..." Hazuki sah zu dem zeternden Inuyasha herüber, dem das Mädchen gerade etwas auf den Arm tupfte. "Und wie heißen die anderen?" "Der Mönch heißt Miroku. Das Mädchen heißt Sango, sie ist eine Dämonenjägerin. Und das andere Mädchen, das ist Kagome." Hazuki nickte. Dann fiel ihr noch eine Frage ein: "Wo bin ich hier eigentlich?" "Im Wald", entgegnete Shippou verständnislos. "Ich meine... warum gibt es hier Youkai und so? Ist das eine Parallelwelt?" "Ich verstehe nicht so ganz, was du meinst. Bist du vielleicht aus Kagomes Zeit?" "Ja, ich denke schon." "Und wie bist du dann hierher gekommen?" "Mit Zauberei." "Du kannst richtig zaubern? Zeig mal!" Hazuki lächelte und ließ ihr Krakordeon erscheinen. Aber es war nur noch ein Magic-Ball darin enthalten. Den würde sie brauchen, um zurückzukehren. "Tut mir Leid, ich kann nicht unbegrenzt viel zaubern... und ich will ja auch noch zurück." "Dann zaubere ich mal was für dich!" Shippou sprang in die Luft und verwandelte sich augenblicklich in ein Eichhörnchen. Allerdings hatte dieses Eichhörnchen immer noch Shippous Schwanz statt dem eines Eichhörnchens. "Wie machst du das?", fragte Hazuki amüsiert. Der Fuchs-Youkai verwandelte sich zurück und erklärte: "Das ist simple Fuchsmagie. Ich kann alle möglichen Formen annehmen!" Hazuki drehte sich jetzt wieder zu Inuaasha. Der Halbdämon trug jetzt einen Verband um den Oberarm und ließ gerade den Ärmel wieder darüber fallen. "Das ist echt zu viel Aufwand", brummte er. Kagome drehte sich jetzt zu Hazuki. "Du hast doch den Splitter des Juwels, oder?" "Ja." "Den will ich haben", meldete sich Inuyasha zu Wort und schien losspringen zu wollen, doch Kagome rief schnell: "Sitz!" Sofort wurde der Junge von einer Kette, die er um den Hals trug, zu Boden gezogen. "Er ist manchmal etwas voreilig, wenn es um Juwelensplitter geht", erklärte Kagome leichthin, "aber du solltest den Splitter nicht unbedingt behalten. Es sind eine menge Youkai hinter ihm her und könnten dich angreifen." Hazuki nickte und übergab den Splitter an das Mädchen: "Gut, dann nimm du ihn." Kagome steckte den Splitter in ein Beutelchen, das sie bei sich trug. Dann fragte sie: "Und wo kommst du her?" "Ich komme aus Tokyo... genauer gesagt, war ich grade beim Neujahrsfest am Schrein des Sonnenuntergangs." "Und wie bist du hierher gekommen? In diese Zeit?" "Mittels Magie. Aber wie seid ihr hierher gekommen?" "Das weiß ich nicht so genau, irgendwie können Inuyasha und ich durch den Brunnen am Schrein hierher gelangen." "Wollen wir jetzt nicht zum Dorf zurückkehren?", schlug Miroku vor. Hazuki blieb bei den anderen im Dorf. Oftmals beobachtete sie einfach nur Inuyasha, der auf einem Baum saß und über irgendetwas nachdachte. Sie sprach aber auch viel mit Shippou, der ihr etwas über den Shikon no Tama erzählte, und außerdem über die Abenteuer, die die Gruppe schon erlebt hatte. Hazuki hörte ihm gerne zu, denn sie wollte so viel wie möglich über Inuyasha erfahren. Nicht einmal, dass er an der Priesterin Kikyou hing, die ihn vor fünfzig Jahren gebannt hatte, weil sie beide einem Youkai namens Naraku zum Opfer gefallen waren, störte sie. Sie war schon froh, bei ihm zu sein, auch wenn er immer etwas ruppig war. Es war mitten am Tag, etwa drei Wochen nachdem Hazuki in das Mittelalterliche Japan gekommen war, als sie, hinter einer Hütte versteckt, ihren Angebeteten beobachtete. Er zuckte auf einmal zusammen und schlug sich gegen die Wange. "Myouga! Hör auf, mich immer so zu überfallen!", schimpfte er. Hazuki konnte niemanden erkennen, mit dem er redete. Misstrauisch lugte sie genauer hin. Inuyasha hielt seine Hand auf, als wenn etwas darauf sitzen würde. Aber wenn, dann musste es ziemlich klein sein. "Was!?", schrie Inuyasha jetzt und war mit einem Satz vom Baum gesprungen. Als er an Hazuki vorbei in Richtung des Hauses der alten Kaede, bei der sie momentan lebten, rennen wollte, stoppte er. "Du solltest besser hier verschwinden. Laut Myouga ist eine ganze Armee von Youkai auf dem Weg hierher!" Hazuki schluckte, rannte ihm dann aber hinterher, als er die Matte vor der Tür wegschob und ins Haus stürmte. "Miroku! Sango! Shippou! Wir müssen hier weg!" "Was?" "Wieso?" "Ist was passiert?" "Youkai sind auf dem Weg hierher! Wir müssen sie vom Dorf weglocken!" "Sind sie hinter uns her?" "Naraku hat sie geschickt!" In Sekundenschnelle waren alle bereit. Sango hatte ihre normale Kleidung gegen die Rüstung getauscht und war hinter Miroku auf den Rücken ihres riesiges Katzen-Youkai Kirara gesprungen. Shippou schloss sich ihnen an und Kagome hatte sich mit Pfeil und Bogen gerüstet und wurde von Inuyasha getragen. Dann verabschiedeten sich die fünf hastig von Kaede und flohen so schnell wie möglich aus dem Dorf. Schnell waren die Töne am Tap gedrückt. "Juppi, Juppla, Karapata!" Der Besen war schnell genug, um die Gruppe der fliehenden einzuholen. "Was machst du hier?", rief Inuyasha, "Ich habe gesagt, du sollst weggehen!" "Aber ich will euch helfen! Ich bin schließlich eine Hexe!" "Tu was du nicht lassen kannst", brummte der Halbdämon. Dann hörten sie hinter sich schon ein Brüllen. Als Hazuki sich umdrehte, sah sie eine undefinierbare Zahl an Youkai aller möglichen Formen und Farben, die ihnen folgte. "Sind das viele!", stieß sie aus. "Wir kämpfen hier", ließ Inuyasha verlauten und stoppte auf einer Wiese. Kagome glitt ins Gras, Miroku stellte sich kampfbereit auf und Sango griff nach ihrem Bumerang, dem Hiraikotsu. Hazuki landete ebenfalls. "Los geht's!", rief Inuyasha. Er zog sein Schwert Tessaiga aus der Scheide und stürzte sich damit auf die Youkai. Hazuki hatte Angst. Vielleicht hätte sie doch gehen sollen. Vielleicht hätte sie gleich gehen sollen. Eingeschüchtert kauerte sie sich zusammen und hoffte, dass es bald vorbei wäre. Sie hörte die Schreie der anderen, und dann sah sie auf. Sie lagen allesamt am Boden. Die Youkai waren in der Überzahl und um ein vielfaches stärker. Inuyasha versuchte mühsam, aufzustehen, aber die Youkai würden wieder angreifen. Jetzt konnte nur noch eine Hexe helfen!! "Pilli Pilli, Popalura, Popalou! Vernichte die Youkai!!" Wahrscheinlich war ein Magic-Ball zu wenig, um all diese Wesen auszulöschen. Aber Hazuki musste es versuchen und die anderen retten. Sie umklammerte das Krakordeon fest. Und dann ging von ihm eine Welle aus Licht aus und sämtliche Youkai lösten sich in Luft auf. Erschöpft sank Hazuki ins Gras. Als sie wieder aufwachte, lag sie in Kaedes Hütte. Sie erhob sich. Wo waren die anderen? Inuyasha schlief in einer Ecke, sein Bauch war verbunden und neben ihm, ebenfalls verletzt, lag Sango. Miroku war nicht zu sehen, genau so wenig wie Shippou. Inuyasha machte die Augen auf, als Hazuki aufstand. "Du hast uns gerettet", stellte er fest. "Das...", murmelte Hazuki und errötete, "das habe ich doch gern getan." Sie schlang ihre Hände ineinander. "Inuyasha... ich habe mich in dich verliebt!" Der Halbdämon sah sie ungläubig an. Dann sagte er: "Du hast bei mir keine Chance. Es gibt schon eine andere, die ich sehr mag. Außerdem ist es hier zu gefährlich. Du hast uns zwar geholfen, aber du bist noch zu jung, um mit uns zu kämpfen. Geh lieber zurück in deine Zeit." Es traf Hazuki wie ein Schlag. Obwohl sie schon damit gerechnet hatte, stiegen ihr die Tränen in die Augen. Sie rannte ohne ein Wort zu sagen aus der Hütte. Aber wo sollte sie hin? Sie hatte ihren letzten Magic-Ball geopfert um die anderen zu retten und jetzt konnte sie nicht mehr zurück. "Hazuki-chan, was ist los?", fragte auf einmal Kagome. Hazuki hatte sie nicht einmal bemerkt. "Ich will zurück in meine Zeit", sagte Hazuki leise. "Kannst du das denn nicht?" "Ich habe keine Magic-Balls mehr, und ohne sie kann ich nicht zaubern..." Kagome sah sie an. Dann schlug sie vor: "Dann schauen wir mal, ob du durch den Brunnen zurück kommst. Und wenn nicht kann ich vielleicht jemanden auftreiben, der dir helfen kann?" "Ja, meine Freundinnen können auch zaubern... sie arbeiten im Magic Shop." "Gut, dann lass es uns gleich ausprobieren." Es funktionierte nicht. Hazuki konnte den Brunnen nicht durchqueren. Aber Kagome sprang hinein und kurze Zeit später erschienen Doremi und Aiko mitten in der Luft. "Hazuki-chan!", rief Doremi, "Warst du etwa die ganze Zeit weg?" Hazuki nickte. "Los komm, wir bringen dich zurück!", sagte Aiko. "Pamekilak, Lalilori, Palou! Bring uns drei zurück in unsere Zeit!" Dann standen sie wieder neben dem Brunnen, aber in ihrer Zeit. Hazuki seufzte. Inuyasha hatte sie abgewiesen... aber sie war noch jung. Sie würde sich nicht damit quälen. Und immerhin war es eine interessante Erfahrung gewesen. "Gehen wir nach Hause", sagte Hazuki. Kapitel 5: Shinichi und Kai - Bei Mord Liebe -------------------------------------------- von Ditsch Diesmal wollten wir eine Shounen-Ai Geschichte und haben uns beide einen Jungen ausgesucht. Ich habe Kai genommen und Jitsch hat sich für Shinichi entschieden. Bei Mord Liebe Shinichi seufzte. Warum hatte er sich nur überreden lassen, mit den Detective Boys ins Beyblade-Stadion zu gehen? Er wusste doch noch nicht einmal genau, worum es bei diesem Spiel überhaupt ging. "Hey, Shinichi! Was hast du denn? Gleich kommen die Spieler auf's Feld! Kai ist so cool! Ich glaube, nach Takao ist er der beste Beyblade-Spieler überhaupt!", rief Ayumi begeistert. Es ging also um den Spieler und nicht um das Spiel. Das war mal wieder typisch Mädchen! "Und die Spieler betreten das Stadium! Kai Hiwatari, Vizeweltmeister und ehemaliger Teamkollege von Takao Kinomiya, dem Weltmeister. Und jetzt kommt auch Gwydion, ein bis jetzt völlig unbekannter Spieler, der unbedingt gegen Kai antreten wollte. Anscheinend will er uns allen zeigen, was er drauf hat!", erschallte die laute Stimme des Ansagers. Die Detective Boys jubelten und schrien vor Freude. Shinichi sagte gar nichts. Es war zwar schon länger her, dass er aus der Fußballmannschaft der Schule ausgetreten war, aber Fußball war immer noch eine der wenigen Sportarten, die er interessant fand. "3... 2... 1... Let it rip!!!", brüllte der Ansager. Kai und Gwydion starteten ihre Blades. Die Kreisel jagten sich ein paar Runden durch die Arena. Dann rief Kai: "Dranzer! Angriff!" Sein Kreisel schoss auf den anderen zu, doch dieser wich keinen Zentimeter zurück. Kai sah erschrocken aus. Doch er fasste sich schnell wieder und griff erneut an, dieses Mal erheblich stärker. Jetzt begann der Blade von Gwydion sich auch zu regen. Die beiden rasten aufeinander zu, stießen so hart zusammen, dass es Funken sprühte und wurden zurückgeschleudert. Etwa eine halbe Stunde ging das so weiter. Doch dann rief Gwydion: "Wyroon! Greif an!" Sein Beyblade raste noch einmal auf Dranzer zu, diesmal mit einem noch höheren Tempo aus zuvor. Dranzer wurde aus der Arena geschleudert, direkt an den Hals von Gwydion. Blut spritzte hervor und er fiel rücklings zu Boden. Einige Frauen im Publikum schrieen auf. Sofort sprang Shinichi auf. Das war eindeutig Mord gewesen! Als Shinichi an der Arena angekommen war, lief er Kai Hiwatari direkt in der Arme. Wunderbar! So konnte er ihn befragen, bevor die Polizei eintraf. "Was ist passiert?", fragte er den verschreckten Jungen. Dieser antwortete: "Ich... Ich weiß es nicht!" "Sind die Kanten deines Blades so scharf, dass sie jemandem die Kehle aufschlitzen können?", befragte Shinichi ihn weiter. Kai schüttelte entschlossen den Kopf. "Auf keinen Fall!" Shinichi überlegte kurz. Dann sagte er: "Ich seh mir das mal an." Dann ging er zu dem blutbespritzten Beyblade, der neben Gwydion auf dem Boden lag. Lange Klingen schauten aus ihm hervor. Shinichi fragte Kai, der ihm gefolgt war: "Gehören diese Messer dazu?" Kai schüttelte heftig den Kopf. Shinichi überlegte: "Also, das ist dein Blade. Und ich nehme an, niemand außer dir hat Zugriff darauf?" Kai sah ihn verzweifelt an, doch er schüttelte den Kopf. Bevor Shinichi noch irgendetwas sagen, packte er ihn an den Schultern und sagte: "Bitte glaube mir! Ich war es nicht! Ich würde niemals jemanden umbringen! Versprich mir, dass du den Täter findest. Bitte!" Erst sah Shinichi ihn überrascht an. Doch dann sagte er: "Ja, ich verspreche es." Dann lief er wieder in die Zuschauerreihen hoch. Vielleicht würde er dort ja einen Verdächtigen finden. Ein Mann mit lila Haaren sprang ihm ins Auge. Diese Haarfarbe war ja nun wirklich sehr auffällig. Ohne wirklich daran zu glauben, dass er den Täter vor sich hatte, ging Shinichi auf den Mann zu. Er fragte: "Was haben Sie denn da in der Tasche?" Er hatte eine Ausbeulung in der Hosentasche des Mannes gesehen. Er erschrak fürchterlich. Doch dann sagte er abweisend: "Das geht dich gar nichts an!" Shinichi hatte das kleine Gerät bereits aus der Tasche herausgeangelt. Es war ziemlich klein und bestand eigentlich nur aus einem roten Knopf und einer Antenne. Shinichi fragte: "Was haben wir denn da? Ist das zufällig eine Fernbedienung, mit der man die Klingen an einem Beyblade ausfahren kann?" Der Mann erstarrte. Plötzlich versuchte er Shinichi das Gerät aus der Hand zu schlagen. Dieser riss seine Hand im letzten Moment weg und lief durch die Zuschauermenge nach unten. Der Mann folgte ihm. Unten stieß Shinichi gegen Inspektor Megure, der inzwischen mit den anderen Mitgliedern der Mordkommission eingetroffen war. Die Fernbedienung fiel auf den Boden. Der Mann sprang darauf zu. Doch Shinichi rief: "Schnappt ihn euch! Er ist der Mörder!" Sofort hechteten einige Polizisten, darunter auch die Shinichi wohlbekannten Kommissare Takagi und Sato, auf den Verbrecher zu. Er hatte keine Chance. Sato drehte ihm den Arm auf den Rücken. Dann fragte sie Shinichi: "Hast du Beweise, Kudou?" Er hob grinsend die Fernbedienung auf und sagte: "Ich denke, das hier ist ein erstklassiger Beweis." Megure stand auf und fragte: "Wozu komme ich überhaupt noch zum Tatort, wenn du den Fall sowieso immer löst, bevor ich da bin?" Shinichi antwortete: "Sie können noch den Typen ausfragen, warum er das überhaupt gemacht hat." Megure sah ihn unzufrieden an. Doch dann ging er auf den Mann zu und fragte: "Wie heißen Sie?" "Boris", antwortete er zähneknirschend. Einer der Männer von Megure zückte ein Klemmbrett und schrieb sich den Namen auf. Megure fragte weiter: "Motiv?" Erst schwieg der Mann. Doch dann fiel er auf die Knie und schluchzte: "Ich wollte mich bei ihm rächen! Er hat meine Firma zerstört! Meinen besten Mann einfach niedergemäht! Ich habe ihn gehasst! Darum habe ich die Klingen an seinen Blade montiert und sie im richtigen Moment aktiviert. Mir war es völlig egal, was mit Gwydion passierte. Hauptsache, man fand die Klingen an Kais Blade und würde ihn ins Gefängnis stecken. Aber dieser Plan ist ja nun nicht aufgegangen..." Er lächelte und eine Träne tropfte auf den Boden. Shinichi sagte wütend: "Wie kann man nur so leichtfertig mit dem Leben unschuldiger umgehen?! Das ist unverantwortlich!" Boris schwieg nur. Shinichi sagte: "So, ich muss jetzt gehen. Die Kinder warten." Megure sagte empört: "Shinichi! Das in deinem Alter! Die arme Ran..." Shinichi fragte erstaunt: "Was hat Ran denn damit zu tun?" Megure schüttelte den Kop über so viel Blödheit und sagte: "Als Mutter hat sie eine Menge damit zu tun, junger Mann." Shinichi schrie: "Was?! Ran ist Mutter? Wer ist der Vater?" Megure fragte verwirrt: "Du, oder nicht? Hast du nicht gerade von deinen Kindern gesprochen?" Shinichi wurde knallrot und sagte: "Mit `die Kinder´ meinte ich Mitsuhiko, Genta und Ayumi. Was denken sie von mir?" Megure wurde ebenfalls rot und murmelte: "Sag das bloß nicht Ran, Kudou." Shinichi würdigte ihn keines weiteren Blickes mehr und ging schnellen Schrittes davon. "Äh...", hörte er die Stimme von Kai hinter sich. Er drehte sich um. Kai sah verlegen zu Boden und sagte: "Vielen Dank, Kudou..." Kudou lächelte und sagte: "Das habe ich doch gern getan. Mein Motto ist nämlich: Es gibt nur eine Wahrheit und ich finde sie." Kai lächelte glücklich und sagte: "Trotzdem, vielen Dank." Shinichi saß in seiner Wohnung und blätterte lustlos in einem Sherlock Holmes Roman rum. Er konnte sich nicht auf das Buch konzentrieren und starrte dauernd über den Buchrand hinweg auf den Boden. Er musste die ganze Zeit an diesen Jungen denken, diesen Kai Hiwatari. Wie es ihm wohl ging? Es klingelte an der Tür. Shinichi legte das Buch zur Seite und ging zur Tür. Ran stand davor. Bevor er sie überhautp begrüßen konnte, fragte sie besorgt: "Was ist los mit dir Shinichi? Du bist in letzter Zeit so komisch." Shinichi fragte: "Ich bin komisch? Was meinst du mit komisch?" Ran stemmte die Hände in die Hüften und sagte: "Du hörst mir nie richtig zu und schenkst dem Unterricht keine Beachtung, obwohl du wegen deiner Zeit als Conan sowieso hinterher hängst." Shinichi sagte langsam: "Das hab ich gar nicht bemerkt." Ran schlug sich mit der Hand gegen die Stirn und fragte: "Bist du verliebt, oder was?" Shinichi sagte: "Verliebt? Wie kommst du denn darauf? Moment mal, vielleicht bin ich ja wirklich verliebt. Ist man verliebt, wenn man die ganze Zeit an jemanden denken muss?" Ran sagte: "Ja, natürlich, du Idiot! Was soll das denn sonst sein?!" Dann stapfte sie ohne ein weiteres Wort davon. Shinichi blieb verwirrt zurück. Ein paar Tage später klingelte es schon wieder an der Tür. Shinichi stöhnte auf. Hoffentlich ist es nicht schon wieder Ran,dachte er. Er öffnete die Tür. Kai stand vor ihm. Er trug einen feinen schwarzen Anzug. Shinichi stotterte: "Wa-was machst du denn hier?" Kai antwortete mit einem schüchternen Lächeln: "Ich möchte dich zum Essen einladen, weil du mir neulich geholfen hast." "Das wäre doch nicht nötig gewesen!", sagte Shinichi. In Wirklichkeit freute er sich riesig über Kais Einladung und wäre ihm am liebsten um den Hals gefallen. Shinichi zog sich schnell ein wenig feiner an und folgte Kai dann dann zu dem feinsten Lokal der Stadt, dem "BEIKA Restaurant". Dieses war ein Vier-Sterne-Restaurant und Shinichi war erst einmal hier gewesen, nämlich als er Ran einen Heiratsantrag machen wollte, aber vorher wieder zu Conan geworden war. Sie bestellten Essen und unterhielten sich dann ein wenig über den Fall und wie schnell Shinichi es geschafft hatte, ihn zu lösen. Er selbst meinte, das wäre doch nur Zufall gewesen, aber Kai war total begeistert davon, wie Shinichi einfach auf irgendwen zugegangen war und das war dann zufällig der Mörder gewesen. "Äh... Kai... ich wollte dir noch was sagen...", fing Shinichi an. "Was denn?" Kai sah ihn interessiert an. Shinichi sah zu Boden, er war knallrot geworden. Doch dann schluckte er einmal, sah Kai fest in die Augen und sagte: "Ich musste die ganze Zeit an dich denken und habe festgestellt, dass ich in dich verliebt bin." Kai sah ihn im ersten Moment erstaunt an. Doch dann sagte er mit einem Lächeln, dass Shinichi noch röter werden ließ: "Ich hab dich auch sehr gern." Am nächsten Tag saß Shinichi gemütlich in seinem Sessel und las Zeitung. Da klingelte es an der Tür. Fröhlich ging er zur Tür. Hoffentlich war es Kai! Es war nicht Kai. Es war Ran. Sie hatte Tränen in den Augen und fragte: "Warum hast du mir nie gesagt, dass du schwul bist?" Shinichi antwortete erstaunt: "Weil ich es selbst bis vor kurzem nicht wusste. Aber woher weißt du das?" Ran schluchzte: "Sonoko hat dich gestern im Restaurant gesehen und deine Unterhaltung mit Kai mitgehört. Wusstest du eigentlich, dass ich dich immer geliebt habe?" Shinichi lächelte, legte ihr die Hand auf die Schulter und sagte: "Nein, aber genau deshalb müsstest du doch eigentlich wissen, dass man gegen die Liebe nichts tun kann." Kapitel 6: Kazuya und Hanon - Nullchecker ----------------------------------------- von Ditsch Hier habe ich mir Kazuya und Jitsch sich Hanon ausgesucht. Da Hanon sehr schnell für Jungs schwärmt, war es nicht so schwer, sie mit jemandem zu verkuppeln. Aber das heißt nicht, dass es irgendwie fantasielos ist oder so! Lest es einfach. Nullchecker Hanon Houshou stand am Rand des Fußballfeldes und feuerte eifrig ihre Mannschaft an. Ein paar Jungen aus ihrer Klasse spielten in der Mannschaft, deshalb hatte sie sich überreden lassen, doch mitzukommen. Doch da schoss ein Stürmer der gegnerischen Mannschaft, die von der Hanazono-Schule kam, hervor, bekam den Ball von einem Mitspieler zugeschossen und stürmte auf den Torwart von Hanons Schule zu. Der Stürmer war blond, hatte eine gute Figur und sah ziemlich entschlossen aus. Interessiert fragte Hanon ihre Klassenkameradin, die neben ihr stand: "Wer ist der Kerl, der da gerade am Ball ist, Minako-chan?" Minako antwortete: "Das ist Yanagiba Kazuya. Er ist der Star der Mannschaft. Warum fragst du?" Hanon grinste und sagte: "Der ist echt süß!" Dann rief sie laut: "Yanagiba! Yanagiba! Du schaffst das!" Er schien zu lächeln, als er mit voller Kraft auf das Tor zielte. Der Ball flog direkt auf eine Ecke zu, der Torwart warf sich zur Seite und schaffte es nicht! Der Ball landete im Tor! Hanon und, zu ihrem Erstaunen, auch eine Menge andere Mädchen von ihrer Schule jubelten vor Freude. Immer mehr Mädchen von ihrer Schule begannen, Kazuya anzufeuern und vielleicht schoss er deshalb noch drei weitere Tore, vielleicht war er aber auch immer so gut. Nach dem Spiel schwärmte Hanon: "Hach, ich bin total verliebt. Dieser Kazuya ist aber auch wirklich total süß! Findest du nicht auch, Minako-chan?" Minako sagte: "Du weißt doch, dass mich beim Fußball nicht die Leute, sondern nur ihre Fähigkeiten interessieren. Außerdem glaube ich kaum, dass du eine Chance bei ihm hast. Er wird sich kaum in irgendein Mädchen von einer anderen Schule verlieben." Hanon sagte leicht verärgert: "Darum geht es doch gar nicht. Wenn man solche Jungen liebt, wird die Liebe meistens nicht erfüllt. Aber du hast davon ja keine Ahnung. Du warst ja noch nie verliebt." Dann stapfte sie davon. Ein paar Wochen später hatte Hanon Kazuya immer noch nicht vergessen. Er war aber auch sowas von süß gewesen... Und als sie eines Tages die Eingangshalle des Pearl Piari[Hotel, in dem Hanon mit wohnt] betrat, hielt sie es zuerst für einen Traum: An der Rezeption stand Kazuya Yanagiba mit einem Koffer neben sich und unterhielt sich mit Nikola. Hanon lief sofort auf ihn zu und sagte: "Ich kümmere mich um ihn. Als unser hundertster Gast hat er eine besondere Pflege verdient. Nikola sah sie erstaunt an. Doch als Hanon ihr verschwörerisch zuzwinkerte, wusste sie sofort, was los war. "Soll ich deinen Koffer tragen?", fragte Hanon mit einem bezaubernden Augenaufschlag. Kazuya wurde ein wenig rot und murmelte: "Ja, gerne." Hanon nahm den Koffer und trug ihn zum Fahrstuhl. Kazuya folgte ihr. Im Fahrstuhl fragte sie: "Wie heißt du überhaupt?" "Kazuya Yanagiba. Und du?" "Hanon Houshou", antwortete Hanon. Dann fügte sie noch hinzu: "Ich arbeite hier. Und was machst du hier?" Er meinte: "Ich hab beim Torwandschießen auf einem Fest einen dreitägigen Aufenthalt hier gewonnen." "Cool!", rief Hanon begeistert. "Kannst du gut Fußball spielen?" Kazuya antwortete ein wenig verlegen: "Na ja, ich bi schon ziemlich lange in der Mannschaft meiner Schule..." Hanon klammerte sich an seinen Arm und sagte: "Du bist bestimmt der Star deiner Mannschaft." Kazuya bemerkte: "Äh... der Fahrstuhl ist da. Sollten wir nicht aussteigen?" "Klar!", rief Hanon. Dann ließ sie Kazuya los, nahm den Koffer in die Hand und verließ den Fahrstuhl. Die nächsten Tage kümmerte Hanon sich so gut sie konnte um Kazuya: Sie zeigte ihm das Hotel, brachte ihm kostenloses Essen und tat noch eine Menge andere Dinge für ihn. Sie versuchte alles, um irgendwie an ihn ranzukommen, doch er schien es gar nicht zu bemerken. An seinem Abreisetag, er stand schon mit seinem Koffer an der Rezeption, ging Hanon zu ihm und sagte: "Kazuya, ich muss dir noch was sagen." "Was denn?", fragte er. Sie sah ihm fest in die Augen und sagte: "Ich liebe dich." Verwirrt blickte er sie an. Sie sagte: "Oder was meinst du, warum ich dich die ganze Zeit so gepflegt habe?" Kazuya fragte: "Ich dachte, ich sei einfach der hundertste Gast." "Nullchecker!", blaffte Hanon ihn an. Kazuya schnappte sich seinen Koffer und verließ fluchtartig das Gebäude. Hanon seufzte. Wie hätte sie auch ahnen können, dass Kazuya so schüchtern war? Bei seinem Aussehen konnte es doch gar nicht angehen, dass er keine Erfahrung mit Mädchen hatte. Hanon seufzte. "Hey, Hanon! Was hast du?", fragte Lucia im Flüsterton. "Nichts...", sagte Hanon und seufzte erneut. "Dann solltest du dich vielleicht besser auf den Unterricht konzentrieren. Unsere Lehrerin sieht dich schon ganz böse an." "Houshou!! Wie oft soll ich dich eigentlich noch ermahnen?!" Hanon schreckte hoch und fragte: "Was ist denn los?" "Vor die Tür!", schimpfte die zornige Lehrerin. Hanon seufzte erneut, stand dann aber auf und ging vor die Tür. Nach der Stunde fragte Lucia Hanon: "Was hast du? Ich merk' doch, dass was passiert ist. Liebeskummer?" Hanon nickte. Dann erzählte sie ihrer Freundin von Kazuya. Lucia klopfte ihr auf die Schulter und sagte aufmunternd: "Kämpfe um ihn! Es ist doch sonst nicht deine Art, einfach aufzugeben." Am nächsten Morgen hatte Hanon einen Entschluss gefasst: Sie würde die Schule schwänzen und zu Kazuya schwimmen. Zum Glück lag seine Schule dicht am Meer. Also lief sie zum Strand, ging ins Wasser und verwandelte sich sofort in eine Meerjungfrau. Dann schwamm sie los. Als sie endlich an der Schule ankam, war es schon Nachmittag. Auf dem Sportplatz der Schule war gerade ein Fußballspiel im Gange. Hanon lief sofort zu den schreienden Fans, drängelte sich durch die Menge und gelangte fast nach vorne. Was sie sah, schockierte sie: Kazuya spielte nicht so, wie er es bei Spiel gegen ihre Schule getan hatte. Andauernd verfehlte er sein Ziel, schoss aus Versehen zu Spielern der gegnerischen Mannschaft und ließ sich innerhalb von wenigen Sekunden den Ball abjagen. "Kazuyaaaa! Streng dich an!", rief Hanon so laut sie konnte. Kazuya zuckte ein wenig zusammen, sah sich um und dann sah er sie. "Du schaffst das!", schrie sie. Er lächelte ihr zu. Dann wandte er sich wieder dem Spiel zu, schnappte sich sofort den Ball und stürmte aufs Tor zu. "Komm schon!", brüllte Hanon. Kazuya, angespornt von Hanon, schoss den Ball so stark er konnte. Der Torwart sprang in die Ecke, in die der Ball flog, doch er verfehlte ihn um wenige Zentimeter. Der Ball zappelte im Netz. "Tooor!", brüllte Hanon begeistert. Ab dem Zeitpunkt schien Kazuya wie ausgewechselt. Er stürmte immer häufiger auf das Tor zu und verfehlte es nur ganz selten. Nach dem Spiel kam Kazuya direkt auf Hanon zu. Er sah zu Boden und sagte: "Äh... Ich- ich habe dich schrecklich vermisst. Liebst du mich noch?" Erst sah sie ihn erstaunt an, doch dann lächelte sie glücklich, sagte: "Natürlich." Sie lief auf ihn zu, fiel ihm um den Hals und küsste ihn. Nach einem langen und leidenschaftlichen Kuss lösten sie sich wieder voneinander. Er fragte: "Äh... Was machst du eigentlich hier?" Kapitel 7: Daisuke und Tomoyo - Model ------------------------------------- von Ditsch Bei diesem Paar habe ich mir ein Mädchen ausgesucht und Jitsch hat überlegt, welcher Junge zu ihr passt. Da Tomoyo ja eher still ist, hat sie den spontanen und draufgängerischen Daisuke (Davis) gewählt, denn Gegenteile ziehen sich ja bekanntlich an. Das hier ist bis jetzt übrigens die längste von meinen bisherigen Chiisana LOVE-STORIES. Es hat mir auch viel Spaß gemacht, sie zu schreiben. Also dann, viel Spaß beim Lesen!!! Auch zu dieser Geschichte gab es ein Fanart für unseren Wettbewerb^^ Das (Gewinner-)Bild kam von : http://animexx.onlinewelten.com/fanarts/output/?fa=1461665 Model "Sag mal, O-nee-chan, kann ich vielleicht morgen zum Kochkurs mitkommen?", fragte Daisuke eines schönen Tages seine große Schwester. Sie blickte ihn erstaunt an und fragte: "Was willst du doch da? Du kannst doch gar nicht kochen!" Daisuke grinste und sagte: "Ja eben! Ich will es halt lernen! Was dagegen?" Seine Schwester schüttelte nur den Kopf und sagte: "Komm doch mit, wenn du willst. Sensei wird schon nichts dagegen haben." Daisuke grinste. Natürlich ging es ihm nicht darum, kochen zu lernen, sondern um süße Mädchen, die beim Kurs mitmachten und vor allem um das leckere Essen! Seiner Schwester ging es schließlich auch nur darum, Ishida mit ihren Kochkünsten zu umgarnen. Am nächsten Tag brauchte Daisuke ziemlich lange, bis er sich entsheiden konnte, was er anziehen sollte. Nach einigem Überlegen entschied er sich dann für die blau-rote Jacke mit dem weißen Pelzkragen, in der er sich so unglaublich cool vorkam. Erst wollte er auch noch die gelben Handschuhe dazu anziehen, aber das hielt er dann doch für unangebracht, schließlich wollte er zu einem Kochkurs. "Daisuke-chan! Kommst du endlich? Wir wollen los!", hörte er die Stimme seiner Schwester. "Ich komme sofort!", erwiderte er und zog sich schnell noch eine Jeans über. Dann ging er schnell zur Tür und machte sich dann mit seiner Schwester auf den Weg zum Kochkurs. Der Kurs fand im dritten Stock eines Hochhauses nahe der Wohnung der Motomiyas statt. In dem Raum gab es mehrer Kochstellen, genug, dass jeder alleine kochen konnte, denn der Kurs hatte nur sieben Mitglieder. Bevor Daisuke anfangen durfte zu kochen, zeigte die Kursleiterin ihm noch, wo was stand. Heute würden sie beginnen, italienische Gerichte zu kochen, zuallererst Spaghetti Bolognese. Das würde er wohl hinbekommen! So schwer konnte das ja gar nicht sein. Daisuke ging zu der Kochstelle, die die Leiterin ihm zugewiesen hatte. Neben ihm stand ein Mädchen, vielleicht dreizehn Jahre alt. Sie hatte ihr glänzendes schwarzes Haare zu einem Zopf gebunden, was bei dieser Länge auch ratsam war. Ihre Kleidung war auch sehr auffällig: Sie trug ein langes hellrosa Kleid mit vielen Rüschen. "Hi", sagte Daisuke grinsend, "ich heiße Daisuke Motomiya." Sie lächelte ihm freundlich zu, was sie noch schöner machte, als sie es sowieso schon war, und sagte: "Guten Tag. Ich bin Tomoyo Daidouji. Nett, dich kennenzulernen. Bist du das erste Mal hier?" Daisuke grinste noch breiter und sagte dann: "Ja, eigentlich besuche ich einen anderen Kurs, in dem wir anspruchsvollere Gerichte kochen, aber meine Lehrerin ist krank und deshalb dachte ich, ich könnte doch mal mit meiner Schwester mitkommen." Irgendwie bekam er ein schlechtes Gewissen, dieses engelgleiche Wesen anzulügen, aber er konnte ihr ja schlecht sagen, dass er nur zum Anbaggern und Spachteln gekommen war. Daisuke nahm sich einen Topf und füllte Wasser hinein. "Äh... Daisuke-kun... meinst du nicht, dass das ein bisschen zu viel Wasser ist?" Daisuke grinste um seine Unsicherheit zu überspielen und sagte: "Ach was! Ich weiß schon, was richtig ist." Tomoyo sagte: "Wenn du meinst..." Als das Wasser kochte, kippte Daisuke die Spaghetti rein. "Daisuke-kun? Eigentlich sollen wir nur ein Viertel der Packung nehmen. Dir ist klar, dass du das jetzt alles alleine essen musst, oder?" Das Grinsen verschwand kurz aus seinem Gesicht. Doch dann sagte er: "Ich habe einen gesunden Appetit. Das werde ich schon schaffen. Außerdem könnte es ja sein, dass die Spaghetti von irgendwem anders nicht so gut werden und dann kann der was von mir abbekommen." Tomoyo grinste und sagte dann: "Du glaubst doch wohl nicht, dass irgendwer in diesem Kurs keine Spaghetti kochen kann, oder? Wir alle machen diesen Kurs schon seit über einem halben Jahr." Daisuke meinte dazu nur: "Das war ja auch nur ein Scherz." Dann wandte er sich wieder seinen Spaghetti zu. Warum meinte Tomoyo, er hätte zuviel genommen, wenn sie selber die ganze Packung in das Wasser geschüttet hatte? Das konnte er sie natürlich nicht fragen, denn dann würde sie denken, er hätte keine Ahnung und machte einfach alles nach, was sie machte. Klar, das war die Wahrheit, aber das durfte Tomoyo auf keinen Fall wissen. Sonst würde sie ihn noch für einen lügnerischen Dummkopf halten. Das musste er auf jeden Fall vermeiden! "Daisuke-kun! Deine Spaghetti!" "Was ist denn damit?" "Sie kochen gerade über!" Daisuke starrte auf seinen Topf. Das Wasser sprudelte fröhlich aus dem Topf und landete zischend auf der heißen Herdplatte. "Anscheinend war es doch zu viel Wasser...", merkte Tomoyo an. "Das habe ich auch gerade bemerkt...", meinte Daisuke zerknirscht. Jetzt hielt sie ihn bestimmt für total bescheuert. Jeder Mensch konnte Spaghetti kochen, nur er wieder nicht. "Keine Panik! Ich helfe dir. Das wird schon wieder", drang plötzlich Tomoyos Stimme in sein Bewusstsein. Er sah zu ihr hin. Sie lächelte und kümmerte sich schon um die Spaghetti, oder um das, was noch zu retten war. Daisuke ließ sie einfach machen, er hatte sowieso keine Ahnung davon. Doch nach einiger Zeit schüttelte sie den Kopf und sagte: "Tut mir Leid, die kann man nicht mehr retten. Ich habe mein Bestes gegeben." Daisuke meinte lächelnd: "So schlimm ist das doch auch nicht. Ich -" "Motomiyaaaa!!!! Was hast du getan?!" Daisuke drehte sich langsam um und blickte in das zornige Gesicht der Kursleiterin. Daisuke blickte schuldbewusst zu Boden, doch Tomoyo sagte: "Das ist doch nicht schlimm. Er kocht ab jetzt einfach mit mir zusammen." Die Frau seufzte, doch dann meinte sie, das wäre wohl das Beste. Das Essen, was die beiden zusammen kochten, gelang wirklich gut. Tomoyo hatte eine Menge Ahnung und Daisuke tat einfach immer das, was sie sagte. Als auch die Soße fertig war, stellten sie die Schüsseln auf einen Tisch, an dem sie essen wollten. "Meine Freundin und ihr Freund kommen auch noch zum Essen. Stellst du die Teller hin?" Daisuke nickte. Verdammt! Wenn er gewusst hätte, dass man auch einfach zum Essen kommen konnte, hätte er sich diesen Kurs nie angetan. Aber dann hätte er Tomoyo nicht kennengelernt. Also hatte es sich doch gelohnt. "Hallo! Ist das Essen schon fertig?", fragte ein Mädchen etwa in Tomoyos Alter, das gerade den Raum betrat. Ein braunhaariger Junge hielt ihre Hand und sah seine Freundin glücklich an. Daisuke sagte: "Ja, ist es. Seid ihr die Freunde von Tomoyo-chan?" Die beiden nickten. "Setzt euch doch schon mal hin. Ich hol gleich das Geschirr", bot er ihnen an. Sie setzten sich an den Tisch. Daisuke ging schnell in die Küche zurück und holte das Geschirr. Dann deckte er den Tisch und setzte sich neben Tomoyo an den Tisch. Der Junge, der sich inzwischen als Shaolan Li vorgestellt hatte, tat dem Mädchen, Sakura Kinomoto, Nudeln auf und goss Soße darüber. Sie bedankte sich mit einem Küsschen auf die Wange bei ihm. Neidisch sah Daisuke die beiden an. Es gab eine Menge Mädchen, mit denen er sich gut verstand, aber so vertraut war er bis jetzt mit niemandem gewesen. Er war doch so ein toller Typ, warum hatte er dann bis heute noch nie eine Freundin gehabt? "Lecker! Das ist echt toll geworden, Tomoyo. Du kannst aber auch alles", sagte Sakura, als sie gerade angefangen hatte zu essen. Tomoyo blickte verlegen zu Boden und sagte: "Daisuke-kun hat mir aber auch sehr geholfen. Ohne ihn wäre das bestimmt nie so gut geworden." Daisuke grinste nur ein wenig schüchtern. Schon bald waren Sakura und Shaolan nur noch mit sich beschäftigt. Sie fütterten sich gegenseitig und erzählten einander immer wieder, wie lieb sie sich hatten. Aus diesem Grund unterhielt Tomoyo sich mit Daisuke. Sie erzählte ihm von ihrem Hobby, Videos zu drehen. Außerdem beteuerte sie ihm, dass Sakura in allen Kostümen, die sie ihr nähte, absolut süß aussah und dass sie sie deshalb oft mit diesen Kostümen filmte. Daisuke fand es sehr interessant, dass sie in ihrem Alter so viel nähte. Irgendwann fasste er sich dann ein Herz und fragte: "Kannst du mich vielleicht auch mal filmen?" "Gerne doch!", rief Tomoyo begeistert. "Wann denn?" Daisuke überlegte kurz. Dann sagte er: "Nächsten Sonntag um zehn haben wir ein wichtiges Fußballspiel. Da könntest du mich filmen." "Au ja!", rief Tomoyo. "Das ist eine ausgezeichnete Idee. An welche Schule gehst du denn?" "An die Odaiba-Mittelschule." Tomoyo lächelte und sagte: "Ich werde da sein." Nach dem Essen verabschiedeten sie sich voneinander. Auf dem Nachhauseweg lächelte Daisuke ununterbrochen. Diese Tomoyo war aber auch wirklich süß. Hoffentlich dachte sie über ihn genauso... "Hey, Daisuke-chan! Worüber hast du dich mit Daidouji-san unterhalten?", fragte seine Schwester. "Alles mögliche", antwortete er knapp. Sie grinste. "Glaubst du, sie findet irgendwas an dir?" "Natürlich!", sagte Daisuke. "Wir haben sogar schon ein Date verabredet!" Eigentlich war es zwar kein wirkliches Date, sondern ein einfaches Treffen, aber das musste er seiner Schwester ja nicht gleich auf die Nase binden. Also schwieg er den Rest des Weges und sie hatte auch gemerkt, dass er nicht darüber reden wollte. Am Sonntagmorgen war Daisuke total aufgeregt. Nicht wegen des Fußballspiels oder der ganzen jubelnden Fans am Spielfeldrand, nein, daran hatte er sich inzwischen gewöhnt, aber Tomoyo würde auch zusehen und ihn auch noch filmen. Warum hatte er das nur vorgeschlagen? Was, wenn er sich total blamierte? Daisuke betrat das Spielfeld. Unauffällig blickte er sich im Publikum um. Tomoyo stand in der ersten Reihe, die Videokamera in der Hand. Schnell blickte Daisuke wieder woanders hin. Bei seinem Glück würde er sich bestimmt blamieren. Na toll, da hatte er sich ja was Schönes eingebrockt... Das Spiel verlief überhaupt nicht gut. Daisuke schaute dauernd zu Tomoyo und verfehlte deshalb dauernd sein Ziel, egal ob Mitspieler oder Tor. Nach dem Spiel ging er gesenkten Hauptes in die Umkleidekabine zurück. Tomoyo würde ihn auslachen. Am besten ging er ihr gleich einfach aus dem Weg. Doch daraus wurde nichts. Tomoyo wartete gleich vor der Tür auf ihn. Als sie ihn sah, rief sie: "Du warst so süß, Daisuke-kun!" Er wurde knallrot. Sie grinste und sagte: "Ich sollte dir unbedingt was nähen!" "Was denn?", fragte er niedergeschlagen, "Einen Mantel auf dem hinten fett `Loser´ draufsteht?" Tomoyo lächelte und sagte: "Ach, quatsch, du bist kein Loser. Du warst heute voll süß! Wollen wir uns nächstes Wochenende treffen, damit ich dich messen kann? Ohne deine Maße kann ich dir ja schlecht was nähen." "Meinetwegen...", murmelte Daisuke. Wo war sein Optimismus geblieben? Blieb er sonst nicht völlig gelassen, wenn seine Mannschaft verlor? Aber sonst gab er ja wenigstens sein Bestes. Heute hatte er gar nichts geschafft. Er hatte Glück gehabt, dass sein Trainer ihn nicht ausgewechselt hatte... Tomoyo gab ihm noch ihre Adresse, verabredete einen genauen Termin und ging dann weg. "Hey, Daisuke-chan! Was war denn mit dir heute los?", fragte plötzlich seine Schwester. "Nichts...", murmelte er. Doch seine Schwester ließ nicht locker. "Du hast die ganze Zeit zu Daidouji-san geschaut. Hat sie dich eigentlich wirklich gefilmt oder hab ich mir das nur eingebildet?" "Sie hat", sagte Daisuke knapp. "Und? Was hat sie eben dazu gesagt?" Daisuke seufzte. Dann meinte er: "Sie hielt mich für total süß. Ich will aber nicht süß sein. Ich will so cool sein wie Taichi-kun!" Sie schüttelte den Kopf und meinte: "Sei doch froh, wenn sie dich süß findet. Vielleicht hast du ja doch eine Chance bei ihr. Hat sie dir denn wenigstens ihre Telefonnummer gegeben oder so?" Daisuke murmelte: "Ja, wir treffen uns nächstes Wochenende. Sie will mich messen, damit sie mir was nähen kann..." "Cool!", rief seine Schwester. Doch er reagierte gar nicht darauf, sondern ging einfach nach Hause. Am nächsten Wochenende ließ Daisuke sich von seiner Mutter zu Tomoyo bringen. Sie zwinkerte ihm zum Abschied noch einmal verschwörerisch zu. Doch er achtete gar nicht darauf, sondern klingelte einfach an dem großen Tor, das zum Haus der Daidoujis führte. Sie schienen sehr wohlhabend zu sein. War er überhaupt angemessen angezogen? Er sah an sich herunter. Er trug schon wieder die gleiche Jacke wie bei ihrem ersten Treffen und seine Hose sah auch nicht sehr anders aus. Und seine Frisur hätte er vielleicht auch noch ein wenig ordnen können. "Daisuke-kun? Bist du das?", hörte er Tomoyos vertraute Stimme aus dem Lautsprecher. "Ja, hallo", sagte er. Das Tor öffnete sich und Daisuke trat ein. Noch während er auf das Haus zuschritt, wurde die Tür geöffnet und Tomoyo schaute hinaus. "Hi!", sagte er und grinste dabei. "Schön, dass du da bist.", sagte sie. Nachdem Tomoyo ihm erst einmal das Haus gezeigt hatte, führte sie ihn in ihr riesiges Zimmer. Dort holte sie ihr Maßband aus einer Schublade und begann, Daisuke von Kopf bis Fuß zu vermessen. Das war ihm ein wenig peinlich, wie er da so stand und sie die ganze Zeit um ihn rumwuselte, aber zum Glück war niemand anderes im Raum, der sie hätte beobachten können. Zusammen tranken sie auch noch Tee, aßen von Tomoyo selbstgebackene Kekse, die Daisuke sehr gut schmeckten, und unterhielten sich ein wenig. Irgendwann fragte Tomoyo dann: "Wollen wir uns vielleicht das Video anschauen, dass ich letzten Sonntag von dir gedreht habe?" Er wurde rot und murmelte: "Wenn es unbedingt sein muss..." Nachdem Tomoyo mit ein paar Handgriffen die Videokamera mit dem Beamer verbunden hatte, setzte sie sich neben Daisuke auf den Boden. Es war ihm ziemlich peinlich, sich selbst an der Wand zu sehen, wie er gerade über den Ball stolperte oder den Ball fünf Meter neben das Tor schoss, obwohl er eigentlich rein treffen wollte. Irgendwann reichte es ihm und er sagte mit hochrotem Kopf: "Können wir bitte aufhören? Das ist total peinlich." Sie lachte und sagte: "Ach was! Ich find das total süß!" Daisuke wurde noch röter und murmelte: "Wenn du meinst..." Als er es endlich überstanden hatte, sah er kurz auf die Uhr und sagte: "Meine Mutter kommt in fünf Minuten, um mich abzuholen." Tomoyo erschrak und sagte: "Oh, das ist schade. Aber ich habe dich doch noch gar nicht nach deinen Lieblingsfarben gefragt." "Wofür denn meine Lieblingsfarben?", wollte Daisuke wissen. "Für dein Kostüm natürlich." Daisuke überlegte. Dann sagt er: "Eigentlich mag ich rot und blau am liebsten. So wie bei meiner Jacke." "Okay!", flötete Tomoyo. "Kommst du dann nächstes Wochenende wieder?" Er nickte. "Klar. Gleiche Zeit?" "Ja.", sagte sie. Die Woche über machte Daisuke sich viele Gedanken darüber, was Tomoyo ihm wohl nähen würde, aber er hatte keine Ahnung, wie ihre anderen Kostüme so aussahen, also konnte er sich kein wirkliches Bild davon machen. Aber eigentlich empfand er das auch als nicht so wichtig. Wichtiger war es, dass er Tomoyo wiedersehen würde. Sie war aber auch wirklich ein süßes Mädchen und es freute ihn inzwischen, dass sie auch so für ihn empfand. Daisuke betätigte die Klingel. Sein Herz klopfte. Warum? Beim letzten Mal hatte es das auch nicht getan. Waren seine Gefühle für sie etwa stärker geworden? Das Tor öffnete sich und Daisuke trat ein. Langsam ging er auf die Tür zu. Was war, wenn das Kostüm total bescheuert aussah? Was sollte er sagen, damit er sie nicht anlog, aber auch nicht verletzte? "Daisuke-kun! Schön, dich zu sehen! Wie geht es dir?", rief Tomoyo, die gerade aus der Tür gestürmt kam. "Äh... gut." Tomoyo führte ihn eilig in ihr Zimmer. Dort ging sie zu ihrem Schrank und holte etwas heraus. Dann gab sie es Daisuke und sagte: "Dein Kostüm! Es sieht ein wenig normaler aus als die Kostüme, die ich sonst schneidere, aber ich wusste nicht, ob du auf solche abgefahrenen Kostüme stehst. Ich gehe kurz raus, dann kannst du es anprobieren." "Okay", meinte er. Sie verließ den Raum und ließ ihn allein. Zu dem Kostüm gehörte als Hauptbestandteil ein langer Mantel. Er lief nach unten rechts und links spitz zu. Der Mantel war größtenteils dunkelblau, aber vom Gürtel aufwärts schlängelten sich orangefarbene Flammen. Die Ränder des Mantels waren orange. Der Gürtel war ziemlich breit und schwarz, ein goldener Stern bildete den Verschluss. Zum Unterziehen hatte Tomoyo ein schwarzes, kurzärmliges Hemd vorgesehen, dessen Ärmelränder orange waren. Die Hose war ziemlich unauffällig. Sie war einfach kurz und schwarz. Dazu hatte Tomoyo noch Fahrradhandschuhe, also welche ohne Finger, genäht. Sie waren dunkelblau, genau wie der Mantel und hatten oben einen orange Pelzrand. Schnell zog Daisuke das Kostüm an. "Ich bin fertig!", rief er. Tomoyo betrat den Raum. "Das sieht ja großartig aus! Ich wusste ja, dass es zu dir passt, aber dass du so cool damit aussiehst, hätte ich nicht gedacht.", rief sie. Daisuke sah an sich herab. "Hast du zufällig einen Spiegel?", fragte er. Natürlich hatte sie. Sie ging zu ihrem Kleiderschrank und öffnete eine der Türen, an dessen Rückseite ein Spiegel angebracht war. Daisuke betrachtete sich darin. "Das ist irgendwie voll cool", staunte er, "danke, Tomoyo-chan!" Sie lächelte und sagte: "Jedes gute Kostüm braucht aber auch ein gutes Modell und du passt wunderbar dazu. Einfach cool!" Daisuke nickte, glücklich darüber, dass seine Befürchtung, das Kostüm sehe bescheuert aus, nicht zutraf. "Wollen wir nicht ein wenig spazieren gehen?", fragte Tomoyo. "In dem Kostüm?", wollte er wissen. "Klar! Warum denn nicht?" "Na ja...", druckste er herum. "Ist das nicht ein wenig auffällig?" Sie grinste und fragte: "Willst du nicht auffallen? Außerdem kennt dich hier doch keiner. Och, komm schon, Daisuke-kun." Er seufzte. Doch dann sagte er ja. Tomoyo holte noch schnell ihre Videokamera um ihn auch filmen zu können. Dann gingen sie los. Draußen wurden er schon gleich von vielen Leuten gemustert. Er fragte: "Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist? Alle starren mich an." Tomoyo lächelte und sagte: "Das ist doch egal. Freu dich doch darüber, dass du ihnen gefällst!" Tatsächlich, die Leute sagten Sachen wie: "Cooles Kostüm! So eins hätte ich auch gerne.", oder: "Ich würde auch gerne so cool aussehen wie der!" Daisuke konnte nicht anders, er musste einfach grinsen bei all den Komplimenten. Tomoyo, die ihn die ganze Zeit filmte, fragte: "Jetzt gefällt es dir doch auch, oder?" Er grinste in die Kamera und sagte: "Klar doch!" Nach einiger Zeit gingen sie wieder zurück, denn Daisuke würde bald abgeholt werden. Natürlich verabredeten sie sich schon mal für das nächste Wochenende. Daisuke freute sich jetzt schon darauf. Und als seine Mutter schon mit dem Auto vorfuhr, gab er ihr noch ein Küsschen auf die Wange und sagte: "Vielen Dank für das Kostüm, Tomoyo-chan." Kapitel 8: Takuto und Rei - Ghost Writers ----------------------------------------- von Jitsch Als wir uns dieses Pärchen ausgedacht haben, haben wir zur Bedingung gemacht, dass die Personen beide singen können, und dann hab ich mir einen Jungen und Ditsch sich ein Mädchen ausgesucht. Obwohl man bei Sängern zuerst an Mermaid Melody Pichi Pichi Pitch denkt (wir zumindest), kamen Takuto und Rei heraus. Diese Geschichte hat mir so gut gefallen, dass ich einiges an der Handlung gegenüber unsere Storyline ausgeweitet habe. Ich finde den Schluss echt schön. Schreibt mir, wie ihr die Geschichte findet. (Ich hoffe, sie ist euch nicht zu lang -.-) Die Lieder, die in dieser Geschichte gesungen werden, sind übrigens "Rhythm Emotion" von Two-Mix und "WARRIORS" von Yuuichi Ikuzawa aus der Serie Yu-Gi-Oh!. Ghost Writers I just feel "Rhythm Emotion" I just feel love forever and more Only to you, I'm sending my heartbeat so far away Rei Hino sang klar und laut, das Puplikum war in Aufruhr. Sie war eine der letzten Sängerinnen des Gesangswettbewerbs - bei dem es immerhin um einen Künstlervertrag ging - und die erste, die das Puplikum so sehr mitriss. Inoru Takakabe, A&R Manager bei der berühmten Plattenfirma Avex, war begeistert. Wenn jetzt nicht noch was besseres kommt, ist die unter Vertrag, dachte er und machte sich ein dickes Ausrufezeichen in seine Notizen. Rei Hino, ein sehr interessanter Name, der ließe sich sicherlich gut vermarkten. Ihre Stimme war kräftig und markant, aber keineswegs übertrieben und genau das, was das Publikum wollte. Und, was fast noch wichtiger war, das Mädchen sah auch noch gut aus. Aber einer war noch dran, einer der Männer (die bei diesem Casting eindeutig in der Unterzahl waren), und erst, wenn er ihn gehört hatte, konnte er sicher sein. Takakabe warf einen Blick auf seine Informationen. Der nächste, der letzte Kandidat, hieß Takuto Kira und hatte sich für sein Casting "Warriors" ausgesucht. Takakabe konnte nicht sagen, dass er das Lied sehr mochte, aber er war gespannt. Besonders der Refrain war schwer zu singen. Rei war fertig und verbeugte sich vor dem Publikum, das ihr begeistert hinterher jubelte, als sie von der Bühne verschwand. Von Rechts kam jetzt ein junger Mann, auf Takakabes Akten stand, er sei dreiundzwanzig Jahre alt, mit langen schwarzen Haaren. Sofort brach unter den Mädchen ein Jubelsturm aus, obwohl sie ihn das erste Mal sahen. Kommt gut an, notierte sich der Manager im Geiste. Takuto nahm das Mikrofon vom Ständer und stellte sich vor. Dann setzte die Musik ein und er begann sofort zu singen. Yurete iru omokage ni Bokura no negai Eien ni hateshinai Takakabe jagte der Gesang eine Gänsehaut über den Nacken. Allerdings war das nicht schleckt, nein, der Sänger legte wirklich viel Gefühl in den Gesang, der ihn sofort in die Trauer im Text hineinversetzte. Der war ja verdammt gut, selbst das ,Yurete iru' am Anfang hatte er perfekt gemeistert. Nachdem alle Kandidaten durch waren, setzte sich die Jury, bestehend aus Takakabe und noch drei weiteren wichtigen Menschen, zusammen, um zu entscheiden. Von Anfang an war klar, dass es einer der beiden letzten sein musste, entweder Rei Hino oder Takuto Kira. Aber wer? Nachdem die Jury fast eine Stunde ununterbrochen diskutiert hatte, waren sie alle mit den Nerven am Ende und immer noch keinen Schritt weiter. "Lassen wir doch das Publikum entscheiden", schlug schließlich Takenori Uzuki vor, "Dann ist auch sicher, dass sie mit unserer Entscheidung einverstanden sind. Wozu veranstalten wir das Casting sonst in einem Konzertsaal mit 1000 Gästen?" Da er Recht hatte, wurde schnell ein Applaus-o-meter besorgt und dann trat Takakabe vor das Publikum. "Verehrtes Puplikum!", rief er in den Saal. "Wir haben heute ein paar wirklich erstklassige Sänger gehört!" Jubel brach aus. "Natürlich hat nicht jeder der Kandidaten das Zeug zum Star, aber die Jury war sich einig, dass zweien unter den Teilnehmern der Plattenvertrag sicher zusteht. Ich bitte sie jetzt auf die Bühne: Rei Hino und Takuto Kira!" Beide Sänger kamen auf die Bühne. Rei winkte dem Publikum zu und Takuto grinste breit und zeigte den Leuten im Raum das Siegeszeichen. "Nun, liebes Publikum, ist es an euch, zu entscheiden! Jubelt so laut ihr könnt für euren Favoriten, wir werden den Applaus messen! Wer von den beiden mehr Jubel bekommt, geht mit einem Plattenvertrag aus dem Saal!", heizte Takakabe an. Das Publikum war begeistert. Dies war der Beginn der "Ghost Writers". Rei und Takuto erhielten exakt gleich viel Jubel und nach einigem Überlegen entschied sich die Jury deshalb dafür, aus den beiden ein Duo zu machen. "Was? Wir müssen zusammen wohnen?", rief Takuto entsetzt. Oogaki, der neue Manager der Ghost Writers nickte. "Ihr sollt euch als Duo aufeinander einstellen. Das wird euer Musik nur zugute kommen." Rei warf Takuto einen Blick von der Seite zu. Schlecht sah er ja nicht aus. Außerdem war es die Chance ihres Lebens, die musste sie beim Schopf packen. "Ich bin einverstanden", sagte sie. "Und du, Takuto?" Der Sänger sah etwas peinlich berührt drein. "Müssen wir auch... in einem Zimmer schlafen?", fragte er mit rotem Kopf. Wie ein Kleinkind, dachte Rei, so ein kleiner Junge, der nur so weit wie möglich von Mädchen weg sein will. "Keine Sorge, ihr bekommt jeder ein eigenes Zimmer. Die Wohnung hat ein Badezimmer und eine Küche, die ihr euch wohl teilen müsst. Aber das kriegt ihr hin, oder?" "Klar", stieß Rei überzeugt aus. "Wenn's sein muss", meinte Takuto vorsichtig dazu. "Das ist ja schon mal was. Dann werdet ihr morgen dort einziehen." Seit diesem Beschluss waren jetzt zwei Wochen vergangen. Es war früh am Morgen, fünf Uhr zwanzig um genau zu sein, und ein Schrei gellte durch die kleine Wohnung. "Takuto!! Was hast du nun schon wieder angestellt?" Der angesprochene hatte noch geschlafen und schlurfte jetzt müde zum Badezimmer, von wo Reis Schrei gekommen war. "Was'n los?", fragte er. Rei deutete wütend und wortlos auf die Dusche. Takuto blinzelte, aber er konnte nichts erkennen, was ein Mädchen zum Schreien bringen könnte. "Was denn?", fragte er nach. "Deine ganzen Haare sind im Abfluss! Ich hab dir schon mal gesagt, dass du die da rausmachen sollst, wenn du geduscht hast!" "Gestern Abend hatte ich halt keine Lust mehr..." Rei atmete tief ein. "Das ist mir vollkommen egal! Sieh zu, dass du diese ekligen Haare da rausmachst, ich möchte duschen!!" Grummelnd gehorchte Takuto. Insgeheim schwor er sich, dass er sich dafür noch rächen würde, dass sie ihn jetzt schon aus seinen Träumen gerissen hatte, als er langsam zurück ins Bett schlurfte. Solche Begebenheiten waren in dem Appartement im zwanzigsten Stock eines Hochhauses in Tokyo keine Seltenheit. Vielmehr verging in der Wohnung, an deren Klingelschild aus Anonymitätszwecken die Namen Kenji Wakabe und Tomoe Nakano standen, keine Stunde ohne dass die beiden sich ankeiften. Dabei gelang es ihnen nach außen hin, als schönes Paar rüberzukommen. Es gab immer wieder Gerüchte, die beiden seien zusammen, aber niemand konnte es beweisen. In Interviews gaben sich die beiden harmonisch, als sei alles in Ordnung und als mochten sie sich gerne, hinter verschlossenen Türen aber ging sofort wieder der Streit los. Oogaki war nicht begeistert von diesen Streitereien, aber offenbar litt die Musik der beiden Stars nicht sehr darunter. Sie hatten ihre erste Single schon kurz nach dem Casting aufgenommen und sie war ein Bombenerfolg geworden. Rei war auch schon nach zwei Wochen dabei, weitere Songs zu schreiben. Sie hatte dafür mehr Talent als ihr Partner. Es war Freitag. Takuto und Rei saßen nebeneinander in dem Auto, dass ihnen von der Agentur zur Verfügung gestellt wurde. Der Mann war am Steuer, da er schon den Führerschein besaß, Rei auf dem Beifahrersitz. Es ging zu einem Interview mit der Zeitschrft ,Zappy', bei dem auch noch ein paar Fotos gemacht werden sollten. Takuto schmiss den Motor an und schwenkte auf die Straße. "Wieso fährst du so langsam?", fragte Rei nach einiger Zeit. "Wenn wir so weitermachen, sind wir morgen früh noch nicht da. Der Termin ist um neunzehn Uhr!" "Hetz' mich nicht" "Hetzen? Wie schnell fährst du, dreißig?" "Fünfzig, mehr darf man hier auch nicht." "Aber wir sind spät dran!" "Ja, und weshalb? Weil Madame sich nicht entscheiden konnte, ob sie grünen oder violetten Lidschatten nimmt!" "Das ist eine wichtige Entscheidung! Im übrigen, wenn du eher geduscht hättest, hätte ich auch eher ins Badezimmer gekonnt!" "Ach, ich bin also Schuld?" "Klar, du kriegst doch nie was gebacken!!" "Und wer hat gestern um Hilfe gerufen, nur weil eine kleine Spinne auf seinem Schreibtisch saß?" Rei wollte gerade etwas erwidern, da sah sie das Auto. Ein rotes Auto fährt genau auf sie zu, der Fahrer sieht betrunken aus, scheint das Fahrzeug nicht mehr unter Kontrolle zu haben. "Takuto, vorne!!", kreischt Rei. Reifen quietschen, Takuto reißt das Lenkrad herum, das Auto dreht sich, dann ein Knall, und alles ist schwarz. . . . "Wo bin ich?" Rei öffnete die Augen, und ihre erste Frage war ihr schon über die Lippen gekommen. Allerdings antwortete ihr niemand. Sie sah hoch, ein Fernseher an einer mit Steckdosen bestückten Leiste, alles weiß. Ein Blick an ihr herunter sagte ihr, dass sie mit einer weißen Decke zugedeckt war und in einem Bett lag. So langsam begriff sie... sie musste im Krankenhaus sein. Aber was war passiert? Rei hob die Hand, sie ließ sich problemlos bewegen, und befühlte ihren Kopf. Er fühlte sich ein wenig schwer an, aber sie schien nicht verletzt zu sein. Langsam richtete sie sich auf. Sie trug ein weißes Nachthemd. Neben ihrem Bett stand eine kleine Kommode, auf die jemand einen Blumenstrauß gestellt hatte. Es waren Buchenblüten, Rei kannte sich mit Blumensymbolik aus, das stand dafür, dass ihr jemand Wohlergehen wünschte. Aber wo war Takuto? Sie sah sich um. Neben ihrem Bett befand sich ein weiteres. Sie konnte jemanden darin erkennen, schwarze Haare, ein Verband um den Kopf und jede Menge Schläuche und Geräte, die auf die Person zuliefen. Rei rutschte von ihrem Bett, es bereitete ihr keine großen Schwierigkeiten, und ging zu der Person herüber. Es war Takuto, der dort lag. Sein Kopf lag tief in den weißen Kissen und auf seinem Gesicht spiegelte sich kein einziges Gefühl. Er schien zu schlafen, nein, bewusstlos zu sein. Kein Windstoß bewegte etwas an ihm, er hätte aus Wachs sein können und hätte genau so ausgesehen. Sein linker Unterarm war mit einem Kabel an einem Gerät angeschlossen. Rei schauderte. Sie hatte noch nie einen Menschen gesehen, der so leblos wirkte. Und dennoch, er musste leben, das Gerät piepste leise und zeigte einen Regelmäßigen Herzschlag an. "Sie sind wach?", fragte jemand hinter ihr. Rei schrak auf, unwillkürlich hatte sie sich hingehockt, um auf einer Höhe mit Takutos Gesicht zu sein. Jetzt richtete sie sich auf. Gerade war ein Mann durch die Tür gekommen, ein Arzt, was auch sonst. "Es stand zu erwarten, dass Sie bald aufwachen. Sie haben nur leichte äußere Verletzungen, sie mussten sich nur von dem Schock erholen." "Was genau ist passiert? Ich erinnere mich nur noch, dass wir im Auto saßen und uns jemand entgegenkam." Rei sah den Arzt unsicher an. Dieser runzelte die Stirn und rückte seine Brille zurecht. "Nun, wie es scheint, sind Sie quer mit einem entgegenkommenden Wagen kollidiert. Dabei wurde Ihr Partner Takuto, der auf der linken Seite des Autos saß, frontal von dem Auto getroffen und ist seit dem Unfall nicht mehr zu sich gekommen. Seine Verletzungen heilen, sie sind auch nicht allzu schwer, nur Knochenbrüche und Schürfungen." "Aber... wann wacht er dann wieder auf?", fragte Rei. "Das können wir jetzt noch nicht sagen. Es kann Tage dauern, aber auch Monate oder Jahre. Nun ja, Sie sollten sich jetzt erst einmal von unseren Ärztin durchchecken lassen, ob wirklich alles in Ordnung ist." Rei nickte und ließ sich dann von einer Krankenschwester zur Untersuchung bringen. Sie hatte wirklich keine bleibenden Verletzungen davon getragen, wegen denen man sie noch im Krankenhaus hätte behalten müssen. Sie könne praktisch sofort gehen, teilten ihr die Ärzte mit, dann wurde sie zurück in ihr Zimmer gebracht, wo sie sich umziehen konnte. Takuto lag immer noch bewegungslos da, wie vorher. Rei packte ihre Sachen in eine Tasche, die jemand an ihren Nachtschrank gestellt hatte. Gedankenverloren streifte ihr Blick die Buchenblüten, sie griff nach der Vase und stellte das Bouquet auf den Nachtschrank ihres Partners. Sie wusste nicht genau, was sie jetzt tun sollte, deshalb setzte sie sich einfach an Takutos Bett und betrachtete sein regungsloses Antlitz. "Hey, Takuto-kun, hörst du mich?", fragte sie leise, "Jetzt liegst du hier rum und rührst dich nicht..." Sie verstummte wieder und sah ihn einfach nur an. Kurz darauf betrat Oogaki, der Manager, den Raum. "Sie haben mir gesagt, dass du wach bist", stellte er an Rei gewandt fest. Sie nickte und machte eine Geste in Richtung von Takuto. "Ja, er liegt im Koma", meinte Oogaki leise. "Was passiert jetzt?", fragte Rei zögernd und sah den Manager unsicher an. "Das kommt darauf an. Wir warten erst einmal ab, vielleicht wacht er ja bald wieder auf." "Und wenn nicht?" "Dann wirst du wohl eine Solokarriere versuchen müssen. Aber lass uns nicht darüber reden. Warten wir ab." Rei stand auf und schulterte ihre Tasche. "Ich bringe dich jetzt erst mal in eure Wohnung", sagte Oogaki sachlich. Rei folgte ihm, warf aber im Verlassen des Raumes noch einen Blick auf Takuto. Ein seltsames Gefühl, dass er sich auf einmal nicht mehr regte. "Wir werden der Presse natürlich nicht verraten, was mit Kira ist. Offiziell hat er eine Erkältung und kann nicht singen. Ich möchte dich bitten, das auch zu sagen, wenn die Sprache auf ihn kommt." Rei nickte gedankenverloren. Ihr Blick glitt über die vorbeiziehenden Häuser, aber sie nahm sie nicht wirklich wahr. Sie fühlte sich leer und verloren. Alles war so ... fremd. Das Auto war nicht das, mit dem sie sonst immer mit Takuto gefahren war. Oogaki hielt vor dem Hochhaus, in dem sich ihr Appartement befand und stieg aus. Rei folgte ihm. "Gut, den Schlüssel hast du ja. Ich habe den Leuten von der ,Zappy' gesagt, dass ihr gestern nicht kommen konntet, weil es Takuto auf einmal schlecht ging. Ich habe das Interview mit Fotoshooting auf heute Abend um neunzehn Uhr verlegt, ich hole dich dann ab. Auf Takuto werden sie verzichten müssen." Rei betrat den Raum fast ohne ein Geräusch von sich zu geben und setzte sich auf den Hocker an Takutos Krankenbett. "Stell dir vor, Takuto...", begann sie leise, "gestern war das Interview mit der ,Zappy', das, wo wir hinwollten, als du den Unfall hattest... als wir den Unfall hatten. Aber es war schrecklich. Sie haben mich Sachen gefragt... ob wir zusammen sind, ob du privat auch ein netter Mensch bist... ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Sie haben mir noch ein paar Fragen gestellt, aber ich wusste keine davon zu beantworten. Das ist seltsam, oder? Wenn wir zusammen Interviews gegeben haben, hatte ich nie Probleme, gute Antworten zu finden... Das Fotoshooting haben sie auch ausfallen lassen. Sie wollten die Ghost Writers zusammen, nicht mich. Wenn du bald wieder aufwachst, dann wird alles anders... Ich war gestern wieder in unserer Wohnung. Es war so ungewohnt still. Niemand, der mit mir schimpft oder so. Ich habe dein Zimmer nicht betreten, keine Sorge. Aber abends konnte ich nicht einschlafen, ich weiß nicht wieso... Ich habe die ganze Nacht an die Decke gestarrt und nachgedacht. Irgendwie musste ich die ganze Zeit darüber nachdenken, was wohl gewesen wäre, wenn ich im Koma liegen würde..." "Na, da bin ich wieder. Heute habe ich keine Termine. Solange du nicht wach bist, wimmelt Oogaki die Journalisten ab. Wir wollten doch im Herbst die Shadow And Light Tour machen, die wird ausfallen, wenn du nicht bald zu dir kommst. Bitte, wach bald wieder auf. Heute Nacht konnte ich schon wieder nicht schlafen... Darf ich hier bei dir schlafen? Oder stört dich das? Wahrscheinlich kriegst du es nicht mal mit, was?" Rei schloss die Augen, sie saß im Krankenhaus auf einem von diesen wackeligen Hockern für Besucher und war fast sofort eingeschlafen. Die Krankenschwester weckte sie später, weil die Besuchszeit vorbei war. Rei kam jeden Tag. Sie redete ein wenig mit Takuto, erzählte ihm etwas aus ihrem Leben oder was am letzten Tag geschehen war. Aber er wachte nicht auf. Rei konnte in der Wohnung nicht mehr schlafen, aber sie besuchte Takuto jeden Tag, und dort fand sie den Schlaf auf wundersame Weise. "Takuto... bitte, wach endlich auf! Oogaki hat gesagt, dass er die Lüge mit deiner Erkältung nicht ewig aufrecht erhalten kann. Wenn du nicht bis morgen aufwachst, muss ich alleine singen... aber ich kann das nicht. Ich weiß genau, dass ich nicht singen kann, solange du nicht mit mir singst. Warum kann nicht alles so sein wie früher? Ich vermisse dich... ohne dich ist unsere Wohnung so leer. Ich habe dein Zimmer nicht verändert, es ist genau so wie vorher. Takuto..." Rei brach in stumme Tränen aus, als ihr Partner weiter schwieg. "Ich will dich nicht verlieren", flüsterte sie. Rei kehrte erst nach Hause zurück, als die Besuchszeit zuende war, also um 19 Uhr. Sie fühlte sich leer. Seit Tagen hatte sie nicht richtig essen können, sie ernährte sich praktisch von Tüten-Suppe, auch wenn sie wusste, dass das nicht gesund war. Sie fühlte sich wie in einem Alptraum - nur dass es hier kein Erwachen geben würde. Als sie die Wohnung betrat, bildete sie sich fast ein, seine Stimme zu hören, die ihr ein ,da bist du ja endlich' entgegenrief. Aber es war nicht so. Sie war allein und die Wohnung war leer. Rei hängte ihre Jacke auf den Haken und schleppte sich in ihr Zimmer. Es war still in der Wohnung, als sei hier niemand mehr am Leben. Rei fühlte sich fast so, als sei auch sie nur noch ein Geist, der zwischen dem Krankenhaus und der Wohnung hin und herwandelte, weil er sein Leben nicht vergessen konnte. Und die Schuld. Sie konnte seit Tagen nicht mehr schlafen, nein, schon seit dem Unfall nicht mehr. Sie war Schuld, dass Takuto nicht auf die Fahrbahn geachtet hatte, als der Unfall passiert war. Sie lag einfach nur da, auf ihrem Bett, und ihre Gedanken kreisten um Takuto. Am nächsten Morgen hatte sie keine Sekunde geschlafen. Ihre Augen starrten ihr im Badezimmerspiegel, vor dem immer noch Takutos Rasierwasser und seine Deos standen, mit dunklen Ringen entgegen. Es kümmerte sie nicht einmal, sie kämmte sich nur schnell durch die Haare und begab sich dann sofort zum Krankenhaus. Stumm nickte sie der Frau am Empfang zu, die sie besorgt musterte, und wandelte zu Takutos Zimmer. Der Weg war in ihrem Kopf eingebrannt, jeder einzelne Schritt. "Takuto, heute ist es soweit. Wenn du nicht aufwachst... Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich habe zu nichts Lust, ich möchte nur hier sein und mit dir reden, aber ich habe keinen Willen mehr, zu leben, wenn du nicht aufwachst. Du bist ein Idiot...! Wie kannst du mich nur so alleine lassen. Ich will, dass du die Augen aufmachst!! Aber du hörst mich ja nicht mal. Takuto... ich glaube, ich bin in dich verliebt. Ich meine, wie kann es sonst sein, dass ich ohne dich so einsam bin. Ja, Takuto, ich liebe dich. Aber das spielt keine Rolle, wenn du nicht wieder zu dir kommst... Jetzt muss ich schon wieder weinen. Ich hasse es, wenn andere mich so schwach sehen... aber du siehst mich ja nicht. Du bist irgendwo anders, wo dich niemand finden kann, nicht einmal ich." Rei presste ihre Hände gegen ihre Brust und schluchzte leise auf. Tränen rannen ihr in Strömen die Wangen herunter und sie konnte nichts tun, als sie fließen zu lassen. Als sie eine Berührung an ihrem Knie wahrnahm, hielt sie es zuerst für den Wind, oder die Decke, die verrutscht war. Trotzdem öffnete sie die geröteten Augen, um zu sehen, dass sich Takutos Hand auf ihr Knie gelegt hatte. Ihr Blick glitt zu seinem Gesicht. Seine Augen waren geöffnet und auf sie gerichtet. "Rei-chan", sagte er leise. Jetzt konnte nichts mehr ihre Tränen zurückhalten. Sie waren immer noch da, obwohl sie schon so viel geweint hatte, dass keine Tränen mehr zurückgeblieben sein konnten. Aber sie weinte, und diesmal war es ihr, als wüschen die Tränen all ihre Sorgen fort. "Takuto", flüsterte sie. Er lächelte schwach. "Hey, warum weinst du? Es ist doch alles in Ordnung. Du hast dir doch die ganze Zeit gewünscht, dass ich aufwache." "Du hast alles gehört?" "Hm-hm. Tut mir Leid. Ich konnte noch nicht aufwachen. Aber jetzt bin ich da." Rei nickte, und langsam breitete sich auf ihrem Gesicht ein Lächeln aus. "Und übrigens bist du an dem Unfall genau so wenig Schuld wie ich. Mach dir keine Sorgen." Rei nickte, ungläubig, fassungslos. "Und Rei-chan...? Ich liebe dich auch, danke, dass du mich nicht aufgegeben hast. Sonst hätte ich mich auch aufgegeben." Rei nickte und wischte sich die Tränen aus den Augen. Alles würde gut werden. Sie und Takuto würden wieder singen und sie waren ein Paar. "Mensch, Takuto-kun, wo bleibst du?" "Ich komme doch!" Takuto kam aus seinem Zimmer und zog sich in aller Seelenruhe die Jacke über. "Wegen dir kommen wir noch zu spät!", schimpfte sie. "Kommen wir nicht", erwiderte er und schlüpfte in seine Schuhe. "Und außerdem, du hättest mich auch ein bisschen früher wecken können!" "Woher soll ich wissen, dass du so lange brauchst!?" "Das solltest du aber langsam gemerkt haben." Takuto stand auf und nahm die Autoschlüssel vom Bord. "Du bist einfach nicht lernfähig", stellte er fest. "Na und? Du ja auch nicht!", sagte Rei. Takuto grinste. "Es ist auch immer das gleiche mit uns", sagte er, dann zog er Rei kurz an sich und küsste sie. Kapitel 9: Hiroto und Makoto - Chaos mit Hund --------------------------------------------- von Jitsch Bei diesem Pärchen haben wir wieder zwei Personen ausgesucht, die gut zusammenpassen. Als ich als Jungen Honda vorgeschlagen hatte, hatte ich schon eine Liaison mit Makoto im Kopf und dann Ditsch dazu gebracht, Makoto zu nehmen ^.^ Chaos mit Hund Makoto rannte ziemlich schnell die Straße entlang. Sie war spät dran, Rei würde fuchsteufelswild werden! Und das nur, weil ihre Tomatenpflanzen die Blätter hatten hängen lassen und sie jede einzelne noch einmal hatte gießen müssen. Sie sah hektisch auf ihre Uhr. Deswegen sah sie auch nicht den Oberschüler, der ihr mit seinem Hund entgegenkam. "Achtung!", schrie er gerade noch, aber der Hund war gerade quer über den Weg zu einem Mülleimer gerannt, so dass die Leine sich spannte und Makoto genau darüber stolperte. Sie fühlte sich einen Augenblick lang fallen, dann aber hielt ein starker Arm ihren Sturz auf. "Hey, alles in Ordnung?", fragte eine raue Stimme sie. Makoto richtete sich wieder auf und blickte den Jungen an, der sie gerade noch gefangen hatte. "Tut mir echt Leid, mein Hund...", begann er, doch Makoto fiel wieder ein, dass sie nur noch zwei Minuten hatte. "Macht nichts, Danke für's Auffangen! Tschüss!", rief sie deshalb schnell, während sie um die nächste Ecke verschwand. Der Junge blieb stehen und sah ihr versonnen hinterher, das Ziehen seines Hundes an der Leine nicht beachtend. Samstagabends kam Makoto vom Convenience Store wieder. In der rechten Hand hatte sie eine Plastiktüte, in der etwas gehacktes Fleisch, Gemüse und etwas Knoblauch steckten - Zutaten für das Curry, das sie heute mit ihren Freundinnen kochen wollte. Sie schlenderte ein wenig, die Mädchen würden ja erst in einer halben Stunde kommen und bis dahin hatte sie konkret nichts zu tun. Sie bog ein wenig gedankenverloren in eine der engeren Straßen ab. Und war prompt mit jemandem zusammengestoßen und hatte ihre Tüte fallen lassen. "Aaaaaaargh!", schrie jemand auf. Makoto fuhr zurück. So doll war der Zusammenstoß nun auch wieder nicht gewesen... Drei übel aussehende Kerle, Lederjacken mit Nieten, Stachelhalsbänder und wilde Frisuren in allen Regenbogenfarben zur Schau stellend, standen vor ihr. Einer der drei, mit einer dunkelroten Irokesen-Frisur mit schwarzem Ansatz, hielt sich den Arm. "Der ist gebrochen", knurrte er. Makoto war sich sicher, dass das nicht stimmte, aber die sahen gefährlich aus. "Wie kannst du das unserm Kumpel antun, hä?", fragte der andere bösartig. Makoto wollte zurückweichen, aber auf einmal stand der Dritte mit verschränkten Armen hinter ihr. "So kommst du uns nicht davon, Süße. Das schreit nach Schmerzensgeld." Makoto sah sich besorgt um. Sie war zwar stark, aber mit dreien auf einmal wurde sie nicht fertig, das war klar. "Ich... habe kein Geld", sagte sie schnell. Der eine der Typen grinste hämisch. "Macht nichts. Dann steckst du einfach Prügel ein, das reicht." Er machte einen Schritt vorwärts, bemerkte die Einkaufstüte und trat erst einmal genüsslich darauf. Dann holte er mit dem rechten Arm aus. Makoto wich aus, als er sie schlagen wollte. "Halt gefälligst still", knurrte der Kerl hinter ihr und packte sie unter den Armen. "Lass mich los!", schrie Makoto. "Halt die Klappe!", zischte der eine von hinten und presste ihr die Hand auf den Mund. Angsterfüllt sah sie zu, wie der Mann mit dunkelgrünen lockigen Haaren ausholte. Er würde sie genau im Magen treffen. "Hat man euch nicht beigebracht, dass man keine Frauen schlägt?", fragte da auf einmal jemand. Sofort hielt der grünhaarige inne und drehte sich um. Jemand kam in die Gasse und ein Hund sprang bellend neben ihm her. Er entriss Makoto dem dritten und stellte sich schützend vor sie. Der Hund bellte laut, aber davon ließen sich die Schlägertypen nicht beeindrucken. "Misch dich nicht in unsere Angelegenheiten ein, Halbstarker!", raunzte der grünhaarige. "Auf ihn, Jungs!" Die drei stürzten sich auf den Jungen, und Makoto konnte nichts tun, als entsetzt daneben zu stehen. Der Hund war hier auch keine große Hilfe, er bellte einfach weiter munter drauf los und schien den Ernst der Lage überhaupt nicht zu begreifen. Zum Glück verloren die Punker bald die Lust an dem Prügeln und trollten sich. Makoto beugte sich besorgt über den Jungen. "Hey, alles in Ordnung?", fragte sie. Er grinste breit, auch wenn ihm ein blutiger Zahn schief im Mund hing. "Das hab ich dich letzte Woche auch gefragt, erinnerst du dich?" Makoto sah ihn erstaunt an. "Wann?", fragte sie verdutzt. "Du bist über die Leine von Blankey gestolpert und ich konnte dich gerade noch auffangen." "Oh, stimmt. Das hatte ich fast wieder vergessen." Makoto musterte ihn vorsichtig. Seine linke Augenbraue war blutverschmiert, aus seinem Mund lief ebenfalls Blut und seine Wange sah ziemlich dunkel aus. Das waren bestimmt nicht die einzigen Verletzungen, die er davongetragen hatte. "Du siehst ja übel aus. Soll ich dich zu mir mit nach Hause nehmen? Ich hab noch ein bisschen Verbandszeug da", sagte Makoto. Der Junge nickte: "Das wäre nett." Makoto griff nach seiner Hand, wobei er das Gesicht vor Schmerz verzog, und griff ihm unter die Schulter. "Es ist nicht weit", erklärte sie. Er nickte. "Los, komm, Blankey", befahl er seinem Hund. Der trottete gehorsam hinter ihnen her, während sie sich vorwärts schleppten. "Wie heißt du eigentlich?", fragte der Junge. "Makoto Kino", sagte sie und hielt Ausschau nach vorne. Zum Glück war es nicht mehr weit. "Und du?", fragte sie schließlich, als sie schon vor der Tür des Hochhauses standen. "Hiroto Honda", erklärte er. "Und mein Hund heißt Blankey, aber das hast du wohl schon mitgekriegt, oder?" Makoto nickte. Makoto zog einen Schlüssel aus der Rocktasche, schloss die Tür auf, drückte die Tür mit der Schulter auf und schleppte Hiroto zum Fahrstuhl. Vom Fahrstuhl war es nur noch ein Katzensprung bis zu Makotos Wohnungstür. Drinnen brachte sie ihn bis zum Sofa. "Das ist ja der reinste Urwald hier", stellte Hiroto fest. "Na ja, ich mag Pflanzen halt", erwiderte Makoto schnippisch. Blankey lief sofort aufgeregt von Pflanze zu Pflanze und schnüffelte daran. "Ich hol eben Verbandszeug", verkündete die Braunhaarige und verschwand im Badezimmer, um kurz darauf mit einem weißen Kasten zurück zu kommen. "So, jetzt wollen wir mal sehen", sagte sie versonnen und öffnete den Kasten. "Erst mal ein paar Pflaster." Dann schien ihr etwas einzufallen und sie rannte noch mal zurück ins Badezimmer, um mit einem feuchten Lappen zurückzukehren. "So, jetzt halt still", murmelte sie, als sie sich über Hiroto beugte und seine Wunden abtupfte. Er verzog einmal den Mund, als sie zu der Wunde an seiner Augenbraue kam, aber er sagte kein Wort und ließ über sich ergehen, wie sie ihm dann noch ein Pflaster auf die Wunde klebte und den blauen Fleck an der Wange mit einer Salbe einstrich. "So", sagte sie schließlich. "Bist du noch irgendwo schwer verletzt?" "Nee, das geht schon. Außerdem bin ich das ja gewohnt, ist nur schon ein bisschen her, dass ich mich das letzte mal geprügelt habe." Makoto sammelte das Verbandszeug wieder ein und ließ es in dem Koffer verschwinden. "Was hast du dich überhaupt mit denen angelegt?" "Na, hätte ich dich da so stehen lassen sollen?" Makoto senkte den Blick. "Nein... schon gut. Danke, dass du mir geholfen hast." "Das war die Wiedergutmachung, weil du letztes Mal wegen mir fast gefallen wärst." Makoto wurde etwas rot und wendete ihr Gesicht ab. Gerade in diesem Moment klingelte es an der Tür. Sofort fuhr sie auf. "Ach du liebe Zeit, die Mädels sind da!", rief sie und rannte zum Eingang. Sofort stürmten zwei blonde Mädchen in den Raum. Hiroto richtete sich langsam auf. "Hey, du hast Besuch?", rief eines der Mädchen, das seine Haare zu zwei Zöpfen aufgesteckt hatte. "Ähm... ja, so ungefähr!", rief Makoto von der Tür her. "Bist du Mako-chans Freund?", fragte das Mädchen Hiroto. Er kam darum herum, eine Antwort zu geben, denn jetzt kam Blankey bellend auf die Mädchen zugerannt. "Was macht denn der Hund hier?", rief jetzt eine Schwarzhaarige. "Das ist meiner", sagte Hiroto, und: "Blankey, aus!" Gehorsam streckte sich der Hund auf dem Teppich aus. "Wir wollten kochen, erinnert ihr euch?", fragte Makoto und ging in die Küche. Dann jedoch blieb sie erschrocken stehen. "Mist!", stieß sie aus. "Was ist?", fragte die Einzige, die noch nicht gesprochen hatte, eine blauhaarige. Die beiden Blonden hatten sich sofort auf den Hund gestürzt, um ihn zu streicheln. "Diese Typen haben mir doch meine Tüte zermatscht! Daran hatte ich gar nicht mehr gedacht!" Makoto drehte sich um. "Mädels?", rief sie laut. Sofort fuhren die Blondinen auf. "Ja?", riefen sie gleichzeitig. "Könnt ihr vier mal eben zum Convini laufen und mir Zwiebeln, Möhren und vierhundert Gramm Curry-Rindfleisch besorgen? Hier ist das Geld." Makoto drückte der Blauhaarigen ihr Portmonee in die Hand. "Und was machst du?", fragte die Blonde mit den zwei Zöpfen. "Ich muss schon mal Wasser heiß machen und die ganzen Gewürze zusammensuchen. Außerdem kann ich schon mal die Töpfe bereitstellen und so weiter. Dabei wäret ihr mir sowieso im Weg." "Na gut, gehen wir!", rief die zweite Blonde und rannte sofort zur Tür. Die anderen Drei folgten ihr. "Deine Freundinnen sind ja sehr aktiv", stellte Hiroto fest. Makoto verschwand in der Küche und begann, im Regal herumzuwühlen. "Na ja, besonders Usagi und Minako", meinte sie. "Die beiden Blonden?" "Hm-hm" Hiroto warf Blankey einen Blick zu, der jetzt seelenruhig auf dem Boden lag und den Kopf auf die Vorderpfoten gelegt hatte. Dann sah er auf zur Küche, aber Makoto war aus seinem Blickfeld verschwunden. Plötzlich ein Aufschrei und eine Menge Gepolter. Hiroto sprang auf und lief in die Küche. Makoto hatte einen Topf in der Hand, die restlichen schienen gerade alle auf sie gefallen zu sein. "Mist", murmelte sie, "Man sollte nie versuchen, den untersten da so rauszuziehen." Sie kam auf die Beine. "Warte, ich sammle die Töpfe wieder ein", bot Hiroto an und bückte sich. "Danke", erwiderte sie und eilte zum gegenüberliegenden Regal, um einige Gewürze herauszusuchen. "Noch mal danke, dass du mir geholfen hast", sagte Makoto. "Ach, keine Ursache. Einer Frau in Not muss man doch helfen", erwiderte Hiroto verlegen. "Da bist du aber einer von wenigen, der das denkt. Ich habe immer die Erfahrung gemacht, dass man sich als Mädchen selbst wehren muss." Die Braunhaarige hatte jetzt die Gewürze rausgesucht und ließ Wasser in den Topf laufen. Hiroto schlug die Schranktür zu. Sie stellte den Topf auf den Herd und drehte sich dann zu ihm um. "Du bist wohl ein echter Gentleman", sagte sie versonnen, "so was ist selten." Hiroto errötete. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber ihm fiel nichts gutes ein, also schloss er ihn wieder. Sein Blick streifte ihr Gesicht und blieb an ihren Augen hängen. "Deine Augen sind schön", sagte er. Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. "Danke." Sekundenlang sahen sie sich an, gefangen von ihrem Gegenüber. Dann machte Makoto einen Schritt nach vorne und näherte ihren Mund seinem. *Ding Dong* Sofort fuhren die beiden auseinander und Makoto rannte mit rotem Kopf zur Tür. Natürlich waren es die Mädchen, die sofort in die Wohnung stürmten und Blankey auffahren ließen. Makoto übernahm sofort die Leitung: "Rei, du kannst das Gemüse waschen und schneiden. Ami, würdest du bitte Reis machen? Usagi und Minako, ihr geht mir zur Hand mit dem Fleisch und den Gewürzen." Sie zögerte. "Und du kannst dich noch ein wenig hinlegen, wenn du mitessen möchtest, Honda-san." "Wenn ich darf, nehme ich die Einladung gerne an." Die Zubereitung des Essens ging flott voran, obwohl Minako und Usagi sich teilweise ziemlich dämlich anstellten. Trotzdem konnte Makoto schon nach einer halben Stunde ein lecker riechendes Curry servieren. Die sechs hockten sich um den niedrigen Tisch im Wohnzimmer und nach einem fröhlichen "Guten Appetit" begannen sie zu essen. Hiroto war schon vom ersten Bissen an begeistert. "Fantastisch", sagte er, was Makoto zum Erröten brachte. "Stimmt, Mako-chan ist einfach die Beste!", rief Usagi, die übrigens die mit den zwei Zöpfen war. "Kommt hört auf, ihr macht sie doch ganz verlegen", sagte Rei, "esst doch einfach!" Usagi folgte der Aufforderung sofort und begann so schnell zu essen, dass sie sich fast an dem Reis verschluckte. Allerdings hatte keiner von ihnen mehr an Blankey gedacht. Der Hund hatte die ganze Zeit ruhig in einer Ecke gelegen. Als er jedoch nun den Duft von gebratenem Fleisch vernahm und noch dazu feststellte, dass das Essen für ihn gut erreichbar war, gab es für ihn kein Zurück mehr. Er huschte mit einer Heidengeschwindigkeit hinter dem Sofa hervor und landete mit einem Sprung auf dem Tisch. Die Mädchen schrieen auf, der Hund schmiss mindestens zwei Teebecher um und stürzte sich sofort auf den Teller von Ami, der Blauhaarigen. Es nützte nichts, dass Hiroto aufstand und "Blankey! Aus!" brüllte. Seelenruhig machte sich der Hund über das Essen her. "Blankey!" Hiroto packte den Hund grob am Halsband und zerrte ihn brutal vom Tisch, wobei auch noch zwei Teller auf dem Teppich landeten. Der Hund wurde einmal grob durchgeschüttelt und trollte sich dann, als Hiroto ihn laufen ließ, mit eingezogenem Schwanz hinter das Sofa. Hiroto drehte sich um. "Tut mir Leid, normalerweise ist Blankey nicht so ungezogen." Makoto stand auf. "Ihr geht jetzt besser. Das Chaos hier kann ich schon beseitigen. Und das Essen holen wir später nach, ja?" Usagi und Minako wechselten einen Blick, standen aber dann vollkommen synchron auf. "Ist gut. Kommt, Rei-chan und Ami-chan!", rief Usagi. Dann waren die Mädchen auch schon fort. "Tut mir echt Leid. Jetzt ist meinetwegen das Essen geplatzt", sagte Hiroto. "Du hattest doch eh noch was bei mir gut", grinste Makoto und kniete sich hin, um die Teller vom Boden aufzusammeln. "Zum Glück sind noch alle ganz", murmelte sie. "Warte, ich helfe dir!", schlug Hiroto vor und sammelte das Geschirr, das noch auf dem Tisch verblieben war ein. "Was machen wir jetzt mit dem Rest?", fragte er. "Weiß nicht. Vielleicht esse ich sie später. Oder... du kannst auch deinem Hund was davon geben." Schließlich waren die beiden damit beschäftigt, die Essensreste vom Teppich zu wischen. Blankey lag in der Ecke und fühlte sich offenbar ziemlich wohl, da er noch ziemlich viel von dem Curryfleisch bekommen hatte. "Jetzt sind wir aber gleich fertig", sagte Makoto und stemmte ihre Hände in den Rücken. Hiroto sah auf und betrachtete dann den Teppich. Mit dem Lappen ging er noch einmal über die Stelle, die es am Schlimmsten getroffen hatte, aber es schien so ziemlich alles sauber zu sein. "Dann sind wir jetzt wohl fertig", sagte er, stand auf und ging zum Waschbecken, um seinen Lappen auszuwaschen. Makoto trat neben ihm und tat dasselbe. Schweigend wischte sie die Reste in den Ausguss. Als sie die Lappen weglegen wollten, berührten sich ihre Hände. Sie sah auf und blickte in seine Augen. Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Sie näherte sich ihm und ihre Lippen berührten sich zögernd. Sie lösten sich fast sofort wieder voneinander und Hiroto war rot geworden. "Ich ... muss dann auch mal nach Hause ...", sagte er zögernd. Sie nickte. "Kriege ich deine Adresse?" "Klar." Blankey zog schon ganz aufgeregt in Richtung Treppe, als sich Makoto und Hiroto voneinander verabschiedeten. "Wir sehen uns doch wieder...?", fragte er. Makoto lächelte. "Wenn es nach mir geht - gerne!" Honda warf Blankey einen Blick zu. "Dann will ich mal nicht länger warten, unser Unruhestifter braucht frische Luft." "Bis Bald, und pass auf dich auf", sagte Makoto und drückte ihm einen kurzen Kuss auf die Wange. "Tschüss!", rief Honda, während Blankey ihn zur Treppe zerrte. Er freute sich schon auf das nächste Mal. Kapitel 10: Lun und Nabiki - Schicksalhafte Begegnung im Hundert-Yen-Shop ------------------------------------------------------------------------- Von So, das ist jetzt das erste (und wahrscheinlich auch einzige) Shoujo-Ai-Pärchen, die erste Person aus Ranma ½ und die erste Person aus Shaman King. Die beiden passen irgendwie nicht besonders gut zusammen, aber das macht ja nichts. Hauptsache es gibt eine gute Geschichte! ^_^ Schicksalhafte Begegnung im Hundert-Yen-Shop Lun Tao ging zwischen den Regalen des Hundert-Yen-Shop hindurch. Sie suchte Geschirr für ihre neue Wohnung in Tokyo. Diese Schüssel dort drüben, war die nicht perfekt? Lun nahm sie in die Hand und besah sie sich. "Hey, du! Die Schüssel wollte ich nehmen.", hörte sie plötzlich die Stimme eines Mädchens hinter sich. Sie drehte sich um. Das Mädchen war etwa sechzehn Jahre alt und hatte braune Haare. Lun sagte erstaunt: "Da sind doch noch andere von der Sorte, oder nicht?" Das Mädchen schüttelte den Kopf. "Nein, das war die letzte. Weißt du, ich bin gerade ziemlich knapp bei Kasse und meine Schwester hat bald Geburtstag. Eigentlich würde ich ihr ja etwas Teures schenken, aber das kann ich mir einfach nicht leisten. Also wollte ich etwas nehmen, was nicht so billig aussieht, es aber trotzdem ist. Diese Schüssel wäre perfekt." Das war natürlich gelogen. Nabiki hatte ziemlich viel Geld, aber sie würde nie auf die Idee kommen, ihr geliebtes Geld für jemanden wie ihre Schwester auszugeben. Da sie aber auch nicht einfach sagen konnte: "Mein Geld ist mir zu schade, um dir ein Geschenk zu kaufen, Akane", musste sie etwas möglichst Billiges finden. "Oh", meinte Lun. "Ich habe auch nicht sehr viel Geld. Ich bin gerade hierher gezogen um zu studieren und da brauche ich den meisten Teil meines Geldes für andere Dinge. Aber Geschirr brauche ich natürlich auch, wenn ich mir selbst etwas kochen will." Und das war die Wahrheit. Das Mädchen meinte: "Könntest du nicht vielleicht eine andere Schüssel nehmen? Ich will jetzt nicht beleidigend werden oder so, aber es ist doch eigentlich ziemlich egal, wie deine Schüssel aussieht, oder?" Lun meinte entrüstet: "Einer Tao ist gar nichts egal." "Tao?", fragte das Mädchen interessiert. Lun lächelte und sagte: "Ich heiße Lun Tao. Wir sind eine stolze Familie, besonders mein Onkel. Aber der ist ziemlich bösartig." Das Mädchen grübelte kurz. Dann sagte sie: "Ich glaube, ich habe schon mal von deiner Familie gehört. Mein Vater leitet ein Dojo und deshalb kenne ich ein paar solcher Familien." Lun fragte: "Dein Vater leitet ein Dojo? Wie heißt er denn?" Das Mädchen lächelte und sagte: "Soun Tendou. Ich heiße übrigens Nabiki Tendou. Aber was ist jetzt mit der Schüssel? Darf ich sie haben?" Lun lachte und meinte: "Klar! Aber dafür musst du mir verraten, wo ich das Tendou Dojo finde!" Nabiki meinte: "Natürlich. Hast du einen Stadtplan dabei? Dann kann ich es dir einzeichnen." Lun hatte tatsächlich einen dabei, also zeichnete Nabiki das Dojo ein. Dann verabschiedete sie sich von Lun und ging zur Kasse. Während Lun nach einer anderen Schüssel suchte, dachte sie Diese Nabiki ist wirklich nett. Wir werden bestimmt gute Freunde. Ein paar Tage später kam Lun zum Dojo. Sie hatte ihre Wohnung fertig eingerichtet und konnte nun endlich ihre neue Freundin besuchen. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und zwei Mädchen kamen aus dem Haus. Eins hatte kurze dunkelblaue Haare und das andere rote zu einem Zopf geflochtene Haare. Sie schrieen sich an und versuchten sich zu schlagen, doch sie schienen beide sehr trainiert zu sein, denn keiner der Schläge traf. Lun räusperte sich. Doch die beiden bemerkten sie gar nicht. Sie waren viel zu sehr mit sich beschäftigt. "Hallo", sagte Lun, diesmal etwas lauter. Jetzt bemerkten die beiden sie auch. Sie hörten augenblicklich auf zu zanken und das blauhaarige Mädchen sagte: "Herzlich Willkommen im Tendou Dojo." Dann verbeugte sie sich sogar noch. Lun fragte: "Ist Nabiki Tendou da?" Das Mädchen sagte: "Ja. Soll ich sie holen?" Lun nickte. Schon wenig später kam das Mädchen mit Nabiki im Schlepptau wieder. Als sie Lun sah, rief sie erstaunt: "Lun! Was machst du denn hier?" Lun lächelte über diese unfreundliche Begrüßung und sagte: "Ich hatte gerade Zeit und dachte mir, ich könnte doch mal vorbeikommen. Ich wollte fragen, ob ich vielleicht mal im Dojo trainieren könnte." "Gerne doch", sagte Nabiki. Dann führte sie Lun in die Kampfsporthalle und ließ sie dort allein. Lun trainierte über eine Stunde mit Li Bailong. Und währenddessen dachte sie über Nabiki nach. Sie mochte sie wirklich sehr gerne. Sie wusste zwar noch nicht viel über sie, aber die Seiten, die sie bis jetzt kennen gelernt hatte, gefielen ihr echt gut. Nach dem Training fragte Lun Nabiki: "Wollen wir uns vielleicht mal so treffen? Wir könnten ja ins Café gehen oder so." Nabiki schaute kurz in ihren Terminkalender und sagte: "Übermorgen gegen drei Uhr hätte ich Zeit. Geht das?" Lun nickte. Sie verabredeten auch noch ein Café, indem sie sich treffen wollten. Dann ging Lun glücklich nach Hause. Zwei Tage später saß Lun im Café und wartete. Sie hatte schon einen Kaffee bestellt, denn sie wartete jetzt schon seit einer Dreiviertelstunde auf Nabiki. Doch das war ihr egal, sie musste sich sowieso noch überlegen, was sie ihr nun genau sagen wollte. Sowas wollte gut überlegt sein, immerhin ging es darum ihr ein großes Geheimnis zu offenbaren. "Hey, Lun! Sorry, dass du so lange warten musstest. Ich hatte noch was Wichtiges zu tun.", rief Nabiki und setzte sich zu Lun an den Tisch. Diese lächelte und sagte nur: "Kein Problem. Ich hab mir schon einen Kaffee bestellt." Nabiki rief der Kellnerin zu: "Einen Kaffee, bitte!" Dann wandte sie sich wieder Lun zu. "Und was machen wir jetzt?", fragte sie. Lun blickte in Nabikis braune Augen und sagte: "Weißt du, es gibt etwas, was ich dir unbedingt sagen muss." "Was denn?", fragte Nabiki interessiert. "Na ja...", begann Lun. "Wir haben uns ja seit unserer ersten Begegnung ziemlich gut verstanden. Und da ist mir etwas aufgefallen, was ich vorher nie gemerkt hatte. Ich hätte zwar nie gedacht, dass es so wäre, aber nun ist es nun mal so und..." "Kommst du auch mal zur Sache?", fragte Nabiki. Lun schluckte einmal. Dann sagte sie: "Weißt du..." Sie rührte ein wenig mit dem Löffel in ihrem Kaffee herum und nahm dann einen Schluck. "Ich habe mich in dich verliebt." Sie sah Nabiki herausfordernd in die Augen, erwartete, dass sie aufsprang und davon lief oder sonst irgendwas tat. Doch sie tat nichts dergleichen, sondern blieb einfach sitzen und blickte Lun in die Augen, ein Lächeln auf den Lippen. Nachdem die beiden sich eine Weile einfach nur angeschaut hatten, sagte Nabiki: "Das trifft sich ja gut. Ich bin nämlich auch in dich verliebt." Das verschlug Lun nun wirklich die Sprache. Sie war schon damit zufrieden gewesen, dass sie es überhaupt gesagt hatte, aber sie hätte niemals gedacht, dass Nabiki ihre Gefühle erwiderte. Es war wie ein Traum. "Ihr Kaffee", schreckte die Kellnerin Lun aus ihren Gedanken. "Danke", sagte Nabiki, als sie ihr den Kaffee hinstellte. Dann rührte sie in ihrem Kaffee herum und trank einen Schluck. Glücklich lächelnd sagte Lun zu ihr: "Ich glaube, es war Schicksal, dass wir uns in dem Hundert-Yen-Shop getroffen haben." Nabiki nickte und meinte: "Das mag wohl sein." Am nächsten Tag schlenderte Lun durch die Stadt, lächelnd, wie immer seit dem vorigen Nachmittag. So glücklich war sie noch nie gewesen, noch nie in ihrem ganzen Leben. Und immerhin war sie schon vierundzwanzig Jahre alt. Aber Nabiki war aber auch wirklich nett. Sie hatte etwas für ihre Schwester gekauft, obwohl sie nicht mehr sehr viel Geld gehabt hatte und war auch sonst sehr freundlich. Mit ihr hatte Lun wirklich einen Glückstreffer gelandet. Lun blickte durch das Fenster des Cafés, in dem sie gestern mit Nabiki gewesen war - und erstarrte. Nabiki saß dort. Ihr gegenüber ein braunhaariger Junge. Nabiki hatte sich vorgebeugt und war seinem Gesicht sehr nahe, zu nahe. Lun sah schnell weg und lief dann davon. Sie rannte durch die Stadt, bis sie endlich bei ihrer Wohnung ankam. Während sie alles, was sie besaß, in ihren Koffer schmiss, dachte sie nur an eins: Nabiki hat einen Jungen geküsst, obwohl sie mir gestern ihre Liebe gestanden hat! Als sie alles gepackt hatte, lief sie aus dem Haus und verließ mit dem nächsten Zug die Stadt. Sie wollte nur weg von hier, weg aus der Stadt in der Nabiki wohnte, das Mädchen, dass sie schon nach einem Tag verraten hatte. Ein paar Sekunden, nachdem Lun sie mit Kuno gesehen hatte, lehnte Nabiki sich grinsend in ihrem Sitz zurück. Kuno wurde bleich. Als er seine Sprache wiedergefunden hatte, sagte er: "Bitte, verkaufe sie mir. Ich zahle jeden Preis." Nabiki grinste noch breiter. Dann sagte sie: "Okay. Ich verkauf dir dir Fotos für, sagen wir, vierhundert Yen." Kapitel 11: Ryouga und Mai - Schwein an Bord -------------------------------------------- Von Wie wir auf dieses Pärchen gekommen sind, weiß ich gar nicht mehr so genau. Irgendwie sind wir einfach darauf gekommen, dass Mai und Ryouga gut zusammenpassen, wahrscheinlich, weil beide viel unterwegs sind. Schwein an Bord Mai Kujaku stützte sich erschöpft auf die Reling des Unterdecks der "Royal Azure" und seufzte leise. Dieser Job als Kellnerin war zwar gut bezahlt, aber auch dementsprechend sehr anstrengend. Jetzt hatte sie eine kurze Stunde frei und dann würde sie schon wieder zum Abendessen bedienen müssen. Ihr Blick glitt über den Horizont und dann langsam über die Wellen, die seicht an den Schiffsrumpf schlugen und leise Geräusche verursachten. Selten war die See so ruhig wie heute. Es waren einige der Gäste auf den oberen Decks unterwegs, Mai konnte ihre Stimmen undeutlich hören. Sie hatte sich gerade vom Meer abgewandt, um in ihrem Zimmer noch ein wenig auszuspannen, als sie jemanden rufen hörte. "Ein Schwein!!" Mai drehte sich um und entdeckte zwei Kinder in teuer aussehenden Rüschenkleidern, die aufgeregt auf das Wasser deuteten. Eine ältere Frau, vielleicht die Mutter, kam hinzu und sagte leise etwas zu den Mädchen. "Aber es stimmt! Da schwimmt ein Schwein im Wasser! Siehst du es denn nicht, Mama?", rief eines der Mädchen. Mai warf einen Blick auf die See. Tatsächlich - was sie eben noch für einen dunklen Fleck, vielleicht den Schatten eines Vogels, gehalten hatte, entpuppte sich nun, wo es näher an das Schiff trieb, als ein wild strampelndes kleines schwarzes Schweinchen. Es schien nicht schwimmen zu können. "Das Ärmste! Es ertrinkt!", rief eines der Mädchen. Mai sah hinunter. Das Schwein schien schon arge Schwierigkeiten zu haben. Das Wasser war ruhig und das Schiff fest verankert. Es konnte nicht all zu schwierig sein, das Schwein zu retten. Das Schwein quiekte laut und Mai sprang über die Reling. Es war nur eine Handlung von Sekunden, das strampelnde, schwarze Etwas zu packen. Allerdings war Mai jetzt der Weg zurück auf das Schiff verwehrt. "Kinder! Holt jemanden vom Personal!", rief Mai. Sie hielt sich mithilfe schneller Schwimmstöße über der Oberfläche. Sie konnte nicht sehen, ob die Mädchen ihre Bitte gehört hatten, aber kurz darauf erschien an der Reling einer der Matrosen und warf ihr eine Strickleiter hinunter. Das Schwein mit einer Hand gegen ihre Brust gedrückt, kletterte Mai daran hoch. "Was haben Sie denn da?", fragte der Matrose. "Ein Schwein", erwiderte Mai knapp und schritt an ihm vorbei in Richtung ihrer Kabine. "Na, du kleiner, da hast du mir aber was eingebrockt", murmelte sie dem Schwein zu. Es blinzelte sie aus großen Augen an. "Na komm, ich trockne dich erst mal ab", sagte sie zu dem Schwein, als sie die Tür zu ihrem eigenen, allerdings recht kleinen, Badezimmer aufstieß. Sie nahm ein Frotteehandtuch vom Haken und schlang es um das kleine Schwein und rubbelte es kräftig ab. Das Tier rührte sich keinen Millimeter, während Mai es langsam abtrocknete. "Was hast du denn da überhaupt für ein Tuch?", fragte Mai und betrachtete das gelbe Halstuch des Schweins. Sie knotete es ab und legte es auf den Waschbeckenrand. "Das sollte erst mal trocknen. Wie kommst du überhaupt hierher?" Das Schweinchen sah sie unschuldig an und Mai lächelte freundlich. Dann drehte sie die Dusche auf. Das Schwein machte einen Satz nach hinten. "Was hast du denn?", fragte Mai, "ich wollte nur schon mal die Dusche anschalten, damit sie gleich warm ist. Ich will eben meine nassen Klamotten ausziehen. Warte hier." Mai griff sich ein großes Handtuch und verschwand in das Schlafzimmer. Sie hatte sich gerade das Handtuch um den nackten Körper geschlungen, als sie ein verzweifeltes Quietschen aus dem Badezimmer vernahm. Schnell stieß sie die Tür auf und blieb erschrocken stehen. Gerade war ein schwarzhaariger Junge mit einer schwarzen Hose, einem hellbraunen T-Shirt und einem großen Rucksack dabei, die Dusche auszuschalten. Er drehte sich zu ihr um. Mai starrte ihn einen Augenblick lang an. Als sie gerade loskreischen wollte, war der Junge auch schon aufgesprungen und hatte ihr die Hand auf den Mund gedrückt. "Hey, ist ja gut. Tschuldigung, jetzt hast du dich bestimmt erschrocken, was?", fragte er. Mai nickte andeutungsweise. "Wenn ich jetzt die Hand wegnehme und dir alles erkläre, versprichst du mir, dass du nicht schreist?", fragte er. Mai nickte wieder und die Hand verschwand von ihrem Mund. Misstrauisch musterte sie den Jungen. Wie konnte er überhaupt ins Badezimmer gelangen? Und - wo war das Schweinchen hin. "Das musst du mir wirklich erklären", sagte Mai verwirrt. Der Junge kratzte sich am Kopf. "Nun ja...", murmelte er gedehnt. "Im Endeffekt ist das eine lange Geschichte... Aber ich mach's so kurz wie möglich... also, vor einiger Zeit bin ich in China gewesen, um da zu trainieren. Und dabei bin ich in eine Quelle gefallen. Leider lag auf der Quelle ein Fluch und jetzt verwandle ich mich immer in ein Schwein, wenn ich mit kaltem Wasser in Berührung komme... und wenn ich heißes Wasser abbekomme, werde ich wieder zum Mann." Mai rückte ihr Handtuch zurecht. "Dann bist du das Schweinchen, das ich eben gerettet habe?" "Ja. Ich heiße Ryouga Hibiki." Mai schwieg eine ganze Weile. "Nun... damit wärest du aber praktisch ein blinder Passagier, nicht wahr? Gegen ein Schwein hätte sicher niemand etwas einzuwenden, aber ein Junge..." Der Junge trat zum Waschbecken und band sich das gelbe Tuch um die Stirn. "Ich kann mich auch wieder in ein Schwein verwandeln, wenn das besser ist", sagte er. Mai nickte. Er drehte den Wasserhahn auf und hielt die Hand unter das Wasser. Sofort wurde er wieder zu dem kleinen schwarzen Schweinchen. Dann wuselte er aus dem Badezimmer und blieb draußen sitzen. Mai drehte das Wasser zu und sagte dann zu dem Schwein: "Wenn du möchtest, kannst du in meiner Kabine bleiben. Ich gehe jetzt eben duschen, meine Haare sind noch ganz - " Sie wurde von einem Piepsen unterbrochen, das von ihrem Bett kam. Das Schwein sprang auf und eilte zu dem Wecker, der neben dem Bett stand, dann schaltete es ihn durch einen Druck seiner Füße auf. Mai seufzte. "Mist, meine Schicht fängt gleich an. Fünf Minuten. Und ich muss ganz zum Unterdeck!" Panisch schlug sie die Tür zu, um sich umzuziehen. Zwei Minuten später erschien sie voll geschminkt und in Kellnerinnenuniform. "Du kannst wie gesagt hier bleiben. Ich muss los." Damit verschwand sie aus dem Raum. Das Schwein blieb noch kurz sitzen, dann entschloss es sich, das Schiff zu erkunden, sprang zur Klinke, öffnete die Tür der Kabine und verschwand dahinter. Während Mai den Gästen ihre Getränke und Essen brachte, fühlte sie sich immer schlechter. Ihre Haare hatte sie vorm Runtergehen nur notdürftig anfönen können und sie fühlte sich nicht wohl. Die heiße, stickige Luft im Restaurantteil mit den ganzen Tabakdämpfen tat ihr übriges. Als sie zurück in die Küche kam, taumelte sie fast nur noch. "Kujaku, was ist los mit dir?", fragte Michael, einer der Köche besorgt. Mai fasste sich an den Kopf. "Ich weiß nicht... Mir ist so heiß und ich habe Kopfschmerzen." Michael trat zu ihr und legte ihr die Hand auf die Stirn. "Du hast Fieber", stellte Michael fest. "Am Besten, du gehst in deine Kabine." "Aber mein Dienst...", versuchte sie einzuwenden. "Das schaffen die andern auch so!", sagte Michael, "Los, ich bringe dich in deine Kabine." Mai unternahm nur noch einen kleinen Versuch, sich zu wehren, aber sie war so schwach... Michael begleitete sie tatsächlich bis zu ihrer Kabine. Er stützte sie, als sie durch die Tür trat und schloss die Tür hinter ihnen. Mai nahm das nur am Rande war, sie fühlte sich unglaublich müde und noch dazu war ihr so heiß... Michael drückte sie auf ihr Bett. Müde blinzelte sie zu ihm hoch. "Ich würde sagen, das ist eine ideale Gelegenheit", sagte er leise. Wovon sprach er? Und was tat er da mit ihren Händen an den Knöpfen ihrer Uniform? "Komm, meine Süße", flüsterte er ihr zu und öffnete ihre Jacke. "Ich wollte dich schon immer einmal für mich haben." Mai starrte ihn angsterfüllt an. Schlagartig wurde ihr klar, was er vorhatte. Ein Schrei brach aus ihrer Kehle, den er jedoch sofort mit seiner Hand unterdrückte. "Komm schon. Du willst mir doch nicht meinen Spaß verderben..." Das Schweinchen war gerade zu dem Zeitpunkt wieder vor der Tür gelandet - rein zufällig versteht sich - als Mai geschrieen hatte. Es hatte es nur kurz gehört, aber da es sie und ihren Kollegen in der Kabine hatte verschwinden sehen, wusste es sofort, was los war. Aber was konnte es nun tun? Das Schweinchen sprang hoch und erwischte tatsächlich die Türklinke. Das brachte ihm jedoch gar nichts, die Tür war von innen verriegelt. Was sollte es tun? Wenn es doch nur zu einem Menschen werden könnte, dann wäre die Tür kein Problem! Aber so musste es Hilfe holen. Mit einem lauten Quieken raste das Schweinchen los. Mai konnte das Quieken hören, aber sie nahm es nicht wirklich wahr. Ihr war heiß und Michael hatte ihr mittlerweile nicht nur die Jacke und das Hemd ausgezogen. Das Schweinchen wurde schon hinter der nächsten Ecke fündig, wo an Deck ein Mann mit Bart und einer Matrosenuniform stand. Das Schwein zögerte nicht lange, machte einen Riesensprung und erwischte die Mütze des Seemannes mit dem Maul. Der Mann schrie verblüfft auf und sah seine Mütze gerade noch im Maul des Schweinchens zu den Kabinen rennen. Fluchend folgte er ihm. Als das Schweinchen vor einer Kabinentür stehen blieb, verwirrte ihn das noch mehr. Was hatte das Wesen vor? Das Schwein ließ die Mütze fallen und machte einen Sprung zur Türklinke. "Na, das ist doch die Kabine von einer Kellnerin. Die ist abgeschlossen. Offenbar will sie nicht gestört werden." Das Schwein schüttelte energisch den Kopf und sprang mit voller Wucht gegen die Tür. "Was machst du denn da?" Mai nahm das Klopfen an der Tür nur noch wie in Trance wahr. Dennoch begriff sie, dass dort jemand war, der ihr vielleicht helfen konnte. "Hilfe!", schrie sie. Sofort drückte ihr Michael wieder die Hand auf den Mund. Hoffentlich hatte sie jemand gehört. Der Matrose draußen hatte ihren Schrei tatsächlich vernommen. "Das wolltest du mir sagen?", fragte er das Schweinchen verblüfft. Dieses nickte eilig. Der Mann ballte die Fäuste. "Die Frau braucht unsere Hilfe", sagte er entschlossen. Dann warf er sich mit all seiner Kraft gegen die Tür. Mai merkte kaum noch, wie etwas lautes gegen die Tür stieß. Sie war krank, und dieser fiese Michael nutzte ihre Situation noch aus. Seine Hände waren mittlerweile unter ihrem Rock. "Die kommen hier nicht rein", flüsterte Michael ihr zu, "Die Tür ist zu." "Verdammt", stieß der Matrose aus. "Das schaff ich nicht allein!" Das Schwein sah zu ihm hoch. Es wollte ihm gerne helfen, aber es war ja nur ein armes kleines Schweinchen. "Hey, Hend, was ist los?", fragte auf einmal einer der Kellner und erschien am Ende des Ganges. In der Hand hielt er ein Tablett, auf dem eine Tasse mit dampfendem Tee stand. "Ich soll vom Koch das hier in die Kabine von Kujaku-san bringen", erklärte er. Sofort war das Schwein bei ihm. Erschrocken ließ der Mann das Tablett fallen. Der Tee spritzte auf das Schweinchen, das sich sofort in einen kräftigen, Jungen Mann verwandelte. Bevor die beiden Crewmitglieder sich von dem Schrecken erholt hatten, hatte Ryouga sich schon auf die Tür der Kabine gestürzt und sie mit einem einzigen Fußtritt in Kleinholz verwandelt. Johnson fuhr erschrocken auf. Wie es schien, hatte er gerade seine Hose öffnen wollen. Ryouga war mit einem Sprung bei ihm und beförderte ihn mit einem Schlag ins Reich der Träume. Jetzt kam auch der Matrose herein. Ryouga bedeckte Mai mit der Decke. Sie atmete schwer. "Dieser verdammte Zuhälter!", knurrte der Matrose und eilte zu dem am Boden liegenden Mann. "Na, das wird ein Nachspiel haben!" Er zog den stöhnenden Kellner hoch. "Und du, du siehst doch, dass die Frau Fieber hat! Hol gefälligst neuen Tee!", schnauzte er den Kellner an, der noch in der Tür stand. "So-sofort, Sire!" Der Matrose zog mit dem Kellner ab. Ryouga blieb an Mais Bett sitzen. "Hey, kannst du mich hören?", fragte er leise. "Kujaku-san...?" Mai drehte leicht ihren Kopf. "Danke, dass du mir geholfen hast...", sagte sie leise. "Ich kann doch eine Frau in Not nicht alleine lassen!", erwiderte Ryouga. "Und außerdem ist es doch meine Schuld, dass du jetzt Fieber hast! Wenn du nicht ins Wasser gesprungen wärst, um mich zu retten...!" Ryouga gewahrte, dass Mai die Augen geschlossen hatte. Als der Kellner mit dem Tee zurückkam, nahm Ryouga ihn entgegen. "Sie schläft", erklärte er leise, "Aber ich kann ihr den Tee geben, wenn sie wieder wach ist." Der Matrose schüttelte den Kopf. "Hend hat gerade beim Käpt'n Meldung gemacht. Du bist schließlich ein blinder Passagier, oder nicht? Er will dich oben in der Kapitänskajüte sehen. Ich passe solange auf sie auf." Ryouga erhob sich. "Was passiert mit mir dann?", fragte er. Der Kellner zuckte die Achseln. "Wir hatten noch nie einen blinden Passagier, keine Ahnung. Aber ich denke, für ihre Rettung hast du was gut." Ryouga nickte. "Warte hier, ich komme gleich wieder", flüsterte er Mai zu, dann verschwand er aus der Kabine. Kapitel 12: Spinel Sun und Mipple - Liebe auf der Suche ------------------------------------------------------- Von Hier haben wir uns mal eine neue Bedingung ausgedacht: Die beiden müssen Monster sein. Also hab ich mir Spinel Sun (Suppi) ausgesucht und Jitsch hat sich Mipple ausgesucht. Zuerst hatten wir beide Pokémon, dann beide Digimon. Da das aber nicht geht, haben wir beide Monster aus Serien genommen, wo es nicht so viele verschiedene Monster gibt. Ich habe ziemlich lange gebraucht, um diese Geschichte zu schreiben, weil ich zwischendurch immer wieder keine Lust mehr hatte. Dieses Pairing gefällt mir nicht so gut und wir hatten uns auch nicht so viel zur Story ausgedacht, deshalb ist diese Geschichte nicht so lang. Lest sie einfach und schreibt Kommis. Liebe auf der Suche "Oh Mann...", seufzte Mipple, "warum dürfen sich alle auf dem Sommerfest vergnügen und ich muss auf Pollun aufpassen? Das ist wirklich nicht gerecht." "Mipple-chaaaan! Spielst du mit mir?", rief Pollun und kam in Honokas Zimmer gehüpft. "Och nee...", sagte Mipple. "Jetzt nicht, ich bin müde, Pollun. Warum spielst du nicht mit Chuutarou?" "Der schläft und wacht nicht auf, egal was ich mache. Och, büüüüddääää, spiel mit miiiiiir!!!" "Nein!", sagte Mipple, vielleicht eine Spur zu hart, denn Pollun begann zu heulen und schrie: "Du bist gemein!" Dann lief er aus dem Zimmer. "Bleib hier, Pollun!", rief Mipple ihm hinterher, doch er hörte nicht auf sie, sondern lief quer durch den Garten, sprang über den Zaun und dann auf die Straße. Sofort sprang Mipple auf und lief ihm hinterher. Doch als sie auf dem Gehweg stand, war von Pollun nichts mehr zu sehen. Wütend machte sie sich auf die Suche nach ihm. Die Sonne brannte erbarmungslos auf Mipple nieder. Sie schleppte sich mühsam vorwärts. Ihre Füße schmerzten von der langen Wanderung auf dem heißen Stein. Und sie hatte Pollun natürlich immer noch nicht gefunden. Wo war der bloß schon wieder hingerannt? Irgendwann hatte Mipple einfach keine Energie mehr. Sie ließ sich auf den Weg fallen und verwandelte sich in ein Handy zurück. Suppi schwebte über die Hochhäuser und sah sich in der Gegend um. Er hatte zwar nicht direkt etwas gegen Eriol und Nakuru, aber er brauchte einfach mal ein wenig frische Luft, deshalb war er ausgerissen. Plötzlich sah er etwas auf dem Bürgersteig liegen. Es sah aus wie ein Handy, aber Suppi spürte, dass es kein normales Handy war. Deshalb landete er daneben, schnappte sich das Teil und flog mit ihm zu seinem Lieblingsplatz. Hier unter der Brücke am Fluss hielt die schwarze Katze mit den Libellenflügeln sich oft auf, wenn sie abgehauen war. Man hatte sein Ruhe und konnte die Fische im Fluss beobachten. "Wo bin ich?", fragte Mipple und sah Suppi fragend an. "An meinem Lieblingsplatz am Fluss", antwortete Suppi ihr. "Und wer bist du?", wollte Mipple wissen. "Spinel Sun. Aber du kannst mich Suppi nennen. Und wie heißt du?" "Mipple. Aber ich muss jetzt gehen." "Bleib doch noch ein bisschen, Mipple-chan." "Nein, ich muss noch etwas wichtiges erledigen! Lass mich gehen!" Mipple wollte weglaufen, doch Suppi hielt sie am Schwanz fest und sagte: "Wollen wir nicht noch ein bisschen unseren Spaß haben?" Mipple drehte sich zu ihm um und sagte bittend: "Ich muss Pollun suchen. Honoka, Nagisa und Mepple vertrauen mir, ich kann sie nicht enttäuschen. Bitte, lass mich gehen, Suppi." "Okay", gab Suppi nach. "Wie sieht denn dieser Pollun aus, den du suchen musst? Ich werde dir helfen, das ist bestimmt lustig." Mipple beschrieb Suppi schnell den kleinen Prinzen der Hoffnung, dann setzte sie sich auf seinen Rücken und sie flogen los. "Hilfe!", hörten sie plötzlich eine helle Stimme quietschen. Mipple und Suppi sahen sich an. Dann flog er in die Seitenstraße, aus der der Schrei gekommen war. "Pollun!", rief Mipple. Der kleine hatte sich an die Wand gedrückt Vor ihm stand ein großer, muskulöser Mann. Er trug einen hautengen dunkelblauen Anzug, hatte weiße Haare und dunkelblaue Striche im Gesicht. "Mipple! Hilf mir!", rief Pollun verängstigt. Mipple sprang von Suppis Rücken und lief auf Pollun zu. Doch der Mann trat sie und sie flog hart gegen die Wand. "Na warte!", rief Suppi, raste auf den Mann zu und verbiss sich in seinem Arm. Er versuchte, ihn abzuschütteln, doch Suppi ließ nicht los. "Lass mich in Ruhe, du Mistvieh!", schimpfte der Mann. "Sag mir lieber, wo die Prismasteine sind!" "Lass sie in Ruhe!", hörten sie plötzlich die Stimmen von zwei Mädchen. "Nagisa! Honoka!", riefen Mipple und Pollun erleichtert. Schnell sprang Mipple auf Honoka zu und verwandelte sich in ein Handy. Honoka und Nagisa fassten sich an den Händen und riefen: "Magisches Farbenspiel!" Schon wenige Sekunden später standen sie verwandelt im Eingang zu der Seitenstraße. "Beschützerin des Lichts! Ich bin Cure Black!", rief Black. "Beschützerin des Lichts! Ich bin Cure White!", rief White. Dann riefen sie zusammen: "Vereint sind wir Pretty Cure!" Sie zeigten mit den Zeigefingern auf den Mann und riefen: "Aufgepasst du Diener der Finsternis! Kehre zurück ins Reich der Dunkelheit!" Doch der Bösewicht grinste nur schief und sagte: "Wenn ihr mir die Prismasteine gebt, verschwinde ich sofort" "Niemals!"; rief Black. Dann stürmte sie auf den Typen zu und trat auf ihn ein. Doch er wich aus und sprang auf White zu. Sie konnte nicht rechtzeitig reagieren und es gelang ihm, sie zu Boden zu werfen. "Cure White!", rief Black. "PRETTY CURRYYYYYYYY!", brüllte Pollun. Er wurde kurz in gleißendes Licht gehüllt, dann standen Black und White plötzlich wieder. "Danke, Pollun", sagte White. Dann setzten sie ihren Regenbogenorkan ein. Ihr Gegner schrie auf, dann verschwand er. "Warum musst du denn immer weglaufen, Pollun? Wir haben uns Sorgen gemacht", sagte Honoka und kniete sich zu Pollun runter. "Mipple hat mich angeschrieen", sagte Pollun verteidigend. "Ach, das ist schon in Ordnung", sagte Nagisa und streichelte Pollun über den Kopf. "Schön, dich wiederzusehen, Mepple", sagte Mipple und schmiegte sich an ihn. Suppi räusperte sich. Die fünf sahen ihn erstaunt an. An Mipple gewandt sagte er: "Ich muss weg. Vielleicht sehen wir uns ja wieder." Dann erhob er sich in die Luft und verschwand hinter der Hausecke. "Wer war das?", fragte Honoka. "Das war Suppi. Ich habe ihn getroffen, als ich Pollun gesucht habe. Er hat mir bei der Suche geholfen." "Was ist er für ein Wesen? Kommt er auch aus dem Garten des Lichts?", fragte Nagisa interessiert. "Ich glaube nicht", erwiderte Mipple. "Aber er hat nichts darüber gesagt." "Na ja, vielleicht kommt er uns ja mal besuchen.", meinte Honoka. Ein paar Wochen später saßen Honoka, Nagisa, Mipple, Mepple und Pollun in Honokas Zimmer und aßen die von Honokas Großmutter gebackenen Kekse. Da klopfte es an der Tür. Schnell verschwanden Mipple, Mepple und Pollun unter dem Bett. "Herein!", rief Honoka. Die Tür wurde einen Spalt breit geöffnet und Suppi lugte in den Raum. "Ist Mipple-chan hier?", fragte er. "Ja, bin ich", sagte Mipple und kam unter dem Bett hervor gekrochen. Auch Mepple und Pollun kamen wieder raus. "Ich wollte dich besuchen", sagte Suppi. "Schön!", sagte Mipple. "Möchtest du einen Keks?", fragte Honoka. "Gerne", sagte Suppi und nahm sich einen Keks von dem Teller, den sie ihm hinhielt. Als Suppi seinen Keks aufgegessen hatte, fragte er: "Kann ich dich einmal unter vier Augen sprechen, Mipple-chan?" "Klar", sagte sie. Die beiden verließen das Zimmer und setzen sich auf die Veranda. "Weißt du, Mipple-chan...", begann Suppi. Er wusste zwar genau, was er sagen wollte, aber nicht, wie er es sagen sollte. "Ich... ich finde dich echt total süß und..." "Wir können ja Freunde werden!", schlug Mipple vor. Suppi spürte einen Stich in seinem Herzen. Er sah zu Boden und sagte: "Das... das meine ich nicht... ich meine... ich... ich hab dich total gern... ich... was ich sagen wollte ist..." "Dass du in mich verliebt bist?", fragte Mipple ernst. Suppi nickte. Sie schwiegen eine Weile. Dann sagte Mipple: "Weißt du, ich bin vor sehr langer Zeit mit Mepple von einem weit entfernten Ort gekommen und wir waren immer zusammen und haben uns durch nichts trennen lassen. Wir gehören einfach zusammen. Aber es würde mich trotzdem freuen, wenn wir Freunde sein könnten." Suppi nickte. Plötzlich kam Pollun von hinten angesprungen und rief: "Lasst uns spielen!" Erschrocken zuckte Suppi zusammen. Mipple stand auf und hielt ihm die Hand hin. Suppi nahm sie lächelnd und ließ sich von ihr hochziehen. "Spielen wir mit Pollun?" Suppi nickte. Suppis Liebe zu Mipple wurde zwar nicht erwidert, aber er war trotzdem glücklich. Er konnte bei ihr sein, mit ihr Lachen, mit ihr Spaß haben. So glücklich wie jetzt war er in seinem ganzen Leben nicht gewesen. Kapitel 13: Izumi und Max - Schildkröte und Hund ------------------------------------------------ Von Bei diesem Pairing war unsere Bedingung, dass beide Charaktere blond sein sollten, da ist dann mal wieder Shounen-Ai bei rausgekommen. Ich habe Izumi vorgeschlagen und Ditsch Max. Ehrlich gesagt waren wir beide von der Story nicht so begeistert, aber mittlerweile finde ich sie doch ganz gut. Das Ende ist zwar ein bisschen kitschig, aber ich finde es superschön. Der Teamname Medama-Yaki ist übrigens, wie bei den anderen Todesengelteams auch, etwas zu essen und bedeutet Spiegelei. Jetzt lest aber erst mal den Anfang ^.^ Schildkröte und Hund "Izumi Ryo, dies ist Rix Mahamazu. Er ist gerade hier angekommen. Ich möchte dich bitten, ihn ein bisschen herumzuführen. Außerdem werdet ihr beide in das Schichtplanteam der Seniorenabteilung verlegt. Du kennst dich damit ja bereits aus, also weise ihn bitte ein." Izumi gab durch ein Nicken zu verstehen, dass er alles aufgenommen hatte. Vorsichtig musterte er den Neuankömmling. Er hatte grüne Haare, die ihm ziemlich wuschelig vom Kopf abstanden. In seinem Nacken ringelte sich eine dünne Strähne. Der Junge trug schwarze Kleidung, wie alle Todesengel die neu ankamen. Izumi hasste so etwas. Warum musste er sich immer um die Neuankömmlinge kümmern? "Ihr könnt jetzt gehen", verkündete der Death Master. "Ja", sagte Izumi, überflüssigerweise, und sah Rix an. "Los, komm." Rix folgte ihm, als er das große Büro des Death Master verließ. "Ich werde dich erst einmal herumführen.", bemerkte Izumi. Rix nickte nur stumm. Izumi zeigte Rix die Schlafsäle, die Duschen, die Archivräume, das Gefängnis, die Räume der Verwaltung und was noch alles zum Gebäude der Todesengel gehörte. Rix sprach die ganze Zeit kein Wort und auch Izumi hielt sich mit seinen Erklärungen so knapp wie möglich. Er hatte keine Lust. Als er Rix schließlich zum Gruppenschlafsaal für die noch nicht vollwertigen Todesengel brachte, fragte Rix leise: "Muss ich jetzt für immer hier bleiben?" Er klang traurig. Aber was für eine Frage! "Natürlich. Das Schicksal eines Todesengels ist es, auf ewig zu existieren und die Seelen ins Totenreich zu begleiten, während er selbst niemals dort hingelangen kann." "Ach so..." Rix senkte den Kopf. "Wie gesagt, hier ist dein Schlafsaal. An den Betten sind Namensschilder. Wir treffen uns morgen am Eingang zum Verwaltungstrakt." Izumi nickte Rix noch kurz zu und machte sich dann auf den Weg zu seinem eigenen Schlafraum, den er zum Glück alleine bewohnte. Es hatte schon seine Vorteile, ein "alter Hase" zu sein, auch wenn man sich dann oft um die Neuen kümmern musste. Rix erwartete ihn schon, als er am nächsten Morgen zur Verwaltungsabteilung kam. "Guten Morgen", murmelte Rix. "Morgen. Folge mir", erwiderte Izumi knapp. Er betrat einen der Räume, die von dem Gang abzweigten und deren Türen alle gleich aussahen. Hinter der Tür befand sich ein Büro, in dem mehrere Schreibtische standen. An einigen davon saßen schon Todesengel und arbeiteten. Izumi trat zu einem Schreibtisch am rechten Ende des Raumes und ließ sich auf einem der beiden Stühle nieder, die daran standen. "Setz' dich", murmelte Izumi und deutete auf den zweiten Stuhl. Rix tat wie geheißen und sah Izumi aufmerksam an. "Also hör zu. Wir sind Todesengel für Senioren, also für alle Menschen, die älter als 60 Jahre alt sind. Wir sind nur für Südjapan zuständig. Unsere Aufgabe ist, die Sterbelisten durchzugehen und alle Menschen herauszuschreiben, die unseren Bezirk betreffen. Wir leiten die Aufträge dann an die Todesengel weiter, die dafür zuständig sind. Hast du das soweit verstanden?" Rix nickte bedrückt. "Gut. Eigentlich müsste Hakuou gleich--" Izumi brach im Satz ab, als sich die Tür öffnete und ein in ein weißes Gewand gekleideter Todesengel eintrat. Er hatte Fuchsohren und langes, strohblondes Haar, das er in einen Zopf gezwängt hatte. "Guten Morgen!", rief er. In seinen Händen hielt er einen dicken Stapel Papier. "Hier sind die Todeslisten für morgen", sagte er routiniert und legte auf jeden der Schreibtische einen dicken Stapel Papier. Dann verschwand er wieder aus dem Raum. Izumi nickte Max zu. "Also gut, beginnen wir. Wir müssen bei jeder Person aus der Liste überprüfen, ob sie zu unserem Bezirk gehört oder sich gerade für längere Zeit dort aufhält." Rix hatte schnell den Bogen raus. Er erwies sich besonders als nützlich, wenn es galt, Botengänge zu erledigen (die Izumi hasste). Bald schon hatte er sich eingearbeitet und sich an das Leben gewöhnt. Aber Izumi bemerkte auch, dass er oftmals traurig dreinschaute. Das war normal. Fast jeder Todesengel, der gerade erst angekommen war, hatte Probleme mit seinem Gemüt. Denn obwohl Rix sich in diesem Stadium nicht an seine Vergangenheit erinnern durfte, so waren ihm doch vage Bruchstücke geblieben, Gefühle, die ihn in den Selbstmord getrieben hatten und die ihn jetzt noch immer quälten. Welch ein Glück, dass ich mich sofort erinnern konnte, dachte Izumi manchmal, wenn er Rix sich quälen sah, obwohl es mir nicht viel genützt hat. Vielleicht ist es sogar besser, wenn er sich nicht ganz erinnert. Dann muss er nicht auch noch den Schmerz ertragen, die Wahrheit zu kennen. Manchmal in den Pausen redeten Rix und Izumi miteinander, doch meist über Belanglosigkeiten. Izumi redete nicht gerne, aber wenn er Rix ansah, beschlich ihn die Ahnung, das sein grünhaariger Partner vor seinem Selbstmord ein sehr lebenslustiger Mensch gewesen sein musste. Doch von diesem Menschen war nicht viel geblieben, Rix schien manchmal nur noch eine leere Hülle zu sein, angefüllt von Gefühlen, die er lieber vergessen würde. Das ist nun einmal das Schicksal eines Todesengels. Er darf nicht glücklich sein. Izumi konnte nicht sagen, wie viel Zeit er in der Seniorenabteilung mit Rix verbracht hatte, als sie zu Sheldon, dem Chef der Außendienstler beordert wurden. Es schien fast so, als hätten sie schon immer zusammen gearbeitet. Izumi konnte sich der Zeit davor nur schwer entsinnen. "Izumi Ryo und Rix Mahamazu", begann Sheldon mit ruhiger Stimme. Während er redete, ging er langsam im Raum hin und her und sein dunkles Gewand bauschte sich dabei. "Ihr beiden habt in der letzten Zeit gute Arbeit geleistet. Ich habe keine Beschwerden bekommen. Deshalb werde ich dich, Rix, nun in den Status eines vollwertigen Todesengels erheben." Izumi warf Rix einen freundlichen Blick zu. Der Todesengel schien sich auch zu freuen, denn ein schmales Lächeln drang in seine Züge. Sheldon zückte seine Sichel, das Zeichen eines Todesengels. "Nun, Rix, empfange meinen Segen", sagte er leise und ließ die Sichel hernieder fallen. Rix bewegte sich keinen Millimeter, als die Waffe durch seinen Körper glitt. Sheldon zog die Sichel zurück. "Nun bist du ein vollwertiger Todesengel." Mit Staunen nahm Rix wahr, wie sein Körper zu zittern begann, schloss die Augen. Er fühlte, dass eine Veränderung vor sich ging. Flügel sprossen aus seinem Rücken und dann war da noch etwas, etwas hartes. "Du bist eine Schildkröte", stellte Izumi fest. "Was?", fragt Rix verwirrt. "Du trägst als Todesengel einen Schildkrötenpanzer", erklärte Izumi. Rix fühlte nach seinem Rücken. Izumi hatte Recht, dort war ein Schildkrötenpanzer. Er schien ihn an etwas zu erinnern... Gedankenverloren strich Rix über das harte Material. "Rix Mahamazu und Izumi Ryo, da ihr in der Vergangenheit gut zusammengearbeitet habt, werdet ihr das auch weiterhin tun. Ich mache euch zu Außendienstlern für den Großbezirk Tokyo, wo ihr für Menschen von dreißig bis sechzig Jahren zuständig seid. Euer Teamname wird Medama-Yaki sein." Rix und Izumi sahen sich entgeistert an. "Ihr seid ab morgen früh eingeteilt. Holt euch euren Schichtplan in der Verwaltung ab. Bis dahin habt ihr frei. Rix wird ab sofort dein Zimmer mit bewohnen, Izumi. Ihr könnt jetzt gehen." Rix und Izumi taten wie geheißen. Hinter der Tür sahen sie sich an, dann wendete sich Izumi jedoch ab. "Warum muss ich mein Zimmer mit dir teilen? Eigentlich hatte ich das Recht auf ein Einzelzimmer!" Rix blickte kurz zu Boden, doch dann hob er den Kopf. "In einem Zimmer alleine zu wohnen muss schrecklich einsam sein. So schlimm wird es schon nicht." Izumi hob den Blick durch das große Fenster am Ende des Ganges. Rix hatte Recht, so schlimm würde es kaum werden. Es war ja schließlich nicht irgendjemand, mit dem er jetzt in ein Zimmer kam. "Was machen wir jetzt?", fragte Rix. "Mir doch egal", entgegnete Izumi gelangweilt. "Willst du den ganzen Tag nichts tun? Das kann ich mir nicht vorstellen", bemerkte Rix. "Hier kann man nichts tun, das ist alles." "Doch bestimmt. Lass uns in den Garten gehen!" Rix machte sich auf den Weg. Izumi überlegte kurz und folgte ihm dann. Die Ernennung zum vollwertigen Todesengel schien ihn glücklich zu machen. "Und, was hast du jetzt vor?", fragte Izumi, als sie in den leeren Parkanlagen des Schlosses angekommen waren. Todesengel arbeiteten oft und meist den ganzen Tag, so dass jetzt niemand hier war. Rix rannte zum Brunnen, der leise vor sich hinplätscherte und hielt seine Hände unter das Wasser. "Los komm schon, Izumi. Wir können fangen spielen!" "Bist du verrückt? Ich bekomme mehr und mehr das Gefühl du warst ein Kind, als du gestorben bist." "Keine Ahnung, ich erinnere mich nicht mehr", sagte Rix leise. Dann sah er auf. "Und was ist mit dir? Wie alt warst du, als du dich umgebracht hast?" Izumi verschränkte die Arme. "Das geht dich nichts an", wollte er sagen. Aber Rix sah ihn mit echtem Interesse an und gleichzeitig hatte er das Gefühl, er würde traurig werden, wenn er nichts sagte. "Ich war ungefähr fünf, als ich mich umgebracht habe." "Was, fünf? So jung? Warum?" Izumi wich zurück, als Rix neugierig auf ihn zusprang. "Los, sag schon!" "Setzen wir uns lieber hin, das ist eine längere Geschichte..." Izumi erzählte Rix an diesem Nachmittag alles. Wie seine Mutter ihn wieder und wieder angeschrieen hatte, wie sie die Fotos seines Vaters verbrannt hatte und wie sie sich gewünscht hatte, er wäre nie geboren. Izumi hatte sich auf dem Weg zum Einkaufen auf die Gleise gestellt und dann war der Zug gekommen. Er hatte sie lächeln sehen wollen, das erleichterte Lächeln, darüber, dass er nicht mehr da war. Sie hatte gelächelt, doch die Enttäuschung war geblieben. Jahre später hatte Izumi die Seele seiner Mutter genommen. Doch er war noch immer nicht zufrieden. Irgendetwas war nicht so, wie er es geplant hatte. "Das muss sehr schwer sein, oder? Sich an seine Vergangenheit erinnern zu können?", fragte Rix und durchbrach damit das Schweigen, das nur vom Wasserplätschern unterbrochen wurde. "Ich wünsche dir, dass du dich nie erinnern musst. Es würde dir nur Schmerzen bringen", sagte Izumi. Obwohl der Job als Außendienstler einiges an Aufmerksamkeit erforderte und das neue Team Medama-Yaki ständig forderte, so blieb dieses Gespräch doch in Izumis Gedanken haften. Noch nie hatte er mit jemandem so vertraut gesprochen. Er hatte überhaupt noch nie irgendwelche Partner gehabt, die für ihn mehr als nur Partner gewesen waren. Aber Rix war anders. Seine ganze Art schien auf merkwürdige Weise so untypisch für Todesengel zu sein und dann doch wieder komplett so wie die aller anderen. Wenn sie zusammen arbeiteten, konnten sie sich aufeinander verlassen. Und zum ersten Mal in seinem Leben empfand Izumi es als gar nicht so schlimm, dass er ein Todesengel war. "Unser nächster Auftrag ist auf der Yamanote-Linie. Eine Insassin ist für einen Herzinfarkt vorgesehen", verkündete Rix mit einem Blick auf seine Liste. "Wie viel Zeit haben wir noch bis dahin?", fragte Izumi. "Zehn Minuten. Aber wir müssen ja auch noch dort hinkommen." Izumi seufzte und schlug mit seinen Flügeln, um sich von dem Hochhausdach zu erheben. Rix stand ebenfalls auf. "Wenn du nicht möchtest, kann ich das auch gerne alleine machen", sagte er. "Warum sollte ich das nicht wollen?" "Ich weiß nicht. Vielleicht, weil es etwas mit einem Zug zu tun hat. Da bist du doch gestorben." "Nein, es geht. Komm." Die beiden Todesengel machten sich auf den Weg über Tokyo hinweg zur betreffenden Eisenbahn. Niemand konnte sie sehen, als sie mit schnellen Flügelschlägen die Hochhäuser des Juban-Viertels hinter sich ließen und zielstrebig auf die Innenstadt zuflogen. Schließlich ließen sie sich auf einem Bahnmast nieder. "Der Zug kommt in fünf Minuten", stellte Izumi fest, "das ist unser letzter Auftrag für heute. Scheint wohl nicht viel los zu sein." "Wie kommen wir in die Bahn?", fragte Rix. "Wie immer. ,Schlupf durch die Wand'", erwiderte Izumi und zückte ein Stück Kreide. Diesen Trick hatten sie schon oft benutzt. Auch wenn Todesengel unsichtbar waren, waren sie dennoch keine Geister und konnten somit nicht durch Gegenstände hindurchgehen. Aber mit dem Trick, dass man einen Kreidekreis in die Wand zeichnete und dieser dann für kurze Zeit durchlässig wurde, funktionierte es immer. Langsam näherte sich der Zug. Izumi sah ihm erwartungsvoll entgegen. "Bist du bereit?", fragte er Rix routinemäßig. Dann drehte er sich langsam zu seinem Partner um. "Rix?" Der grünhaarige Junge war totenblass geworden und starrte wie hypnotisiert auf die Bahngleise. Seine Lippen bewegten sich unruhig, aber Izumi konnte kein Wort verstehen. "Rix!" Der Junge mit dem Schildkrötenpanzer kniff die Augen zu und presste sich die Hände auf die Ohren. Dann flog er davon. "Rix!!", schrie Izumi ihm hinterher, aber der andere schien ihn nicht zu hören. Der Todesengel mit den Hundeohren blickte nach unten, der Zug war schon fast vorbei. Mit einem Fluchen flog er hinterher, malte einen Kreidekreis auf den mittleren Wagen. Die Frau war unschwer zu identifizieren, sie sah sehr blass aus und zitterte. Mit einem Herniedersausen der Todesengelsichel hatte Izumi ihre Seele zu sich genommen. Sofort verließ er die Bahn. Was nun? Er musste die Seele ins Totenreich geleiten, aber Rix... Izumi fuhr sich entnervt durch die Haare und erhob sich dann in den Himmel. Die Seele wegzubringen dauerte nicht lange, doch er hatte dennoch das Gefühl, wertvolle Zeit zu verlieren. Sofort kehrte er zurück nach Tokyo. Doch wo sollte er suchen? "Rix!! Wo bist du?", schrie er in den Lärm von Verkehrsmitteln, der die Stadt erfüllte. Er war nicht auf dem Dach eines Hochhauses. Er hielt sich nicht zwischen Wolkenkratzern auf. Auch an irgendwelchen Stellen, wo es Wasser gab, konnte Izumi seinen Partner nicht ausmachen. Ja, wahrscheinlich würde Rix bald von selbst zurückkehren ins Totenreich, aber Izumi wollte nicht so lange warten. Irgendetwas war mit ihm geschehen, als er die Eisenbahn gesehen hatte. Eine Erinnerung an sein früheres Leben? Er fand Rix nach langem Suchen doch. Der Todesengel hatte sich in seinen Mantel gehüllt und sich auf einer Parkbank zusammengerollt, von wo aus er traurig in den Nachthimmel blickte. Izumi versetzte dieser Anblick in Trauer. Er landete neben der Bank. "Rix, alles in Ordnung?", fragte er. Der Todesengel sah ihn traurig an und schüttelte den Kopf. "Nichts ist in Ordnung... ich... ich erinnere mich wieder an alles, aber..." Izumi setzte sich neben Rix. "Es ist immer schwer, sich an etwas zu erinnern, das einen in den Selbstmord getrieben hat. Möchtest du es mir erzählen?" Rix wischte sich mit der Hand über die Augen. "Hm--, ja, vielleicht... vielleicht hilft mir das...", murmelte er. Izumi nickte ihm ermutigend zu. "Ich... Ich hieß... Max Mizuhara. Meine Mutter war Amerikanerin und mein Vater Japaner. Sie lebten getrennt. Mich hat das nicht sehr gestört, denn ich hatte meinen Vater und meine Freunde. Aber... dann haben meine Eltern beschlossen, mir zuliebe wieder zusammen zu leben. Ich hätte das nicht gebraucht... ich war bereits 15 Jahre alt, aber... sie haben sich immerzu nur gestritten. So oft es ging, habe ich die Wohnung gemieden, um ihnen nicht zuhören zu müssen... und dann bin ich in der Schule immer weiter abgesackt... ich konnte mich auf nichts mehr konzentrieren... und meine Eltern haben sich dafür gegenseitig die Schuld gegeben, wenn sie gerade nicht auf mir rumgehackt haben... es ging mir immer schlechter. Und meine Freunde... sie haben mich einfach nicht verstanden... ich dachte, sie würden mir helfen... aber sie haben mich nur gefragt, warum ich nicht mit meinen Eltern darüber rede... ich war ihnen nicht mehr gut genug... und dann... dann habe ich mich vor einen Zug geworfen." Izumi schwieg lange Zeit. Er wusste nicht, was er tun sollte, jedes tröstende Wort, das ihm einfiel, wäre ihm falsch vorgekommen. Schließlich fragte er leise: "Wollen wir nicht zurück gehen? Morgen wird ein anstrengender Tag." Rix sah in an und nickte dann. Leise erhoben sich die beiden Todesengel in den Nachthimmel. Izumi merkte, dass es Rix noch immer schlecht ging. Sie führten gemeinsam ihre Aufträge aus, doch der grünhaarige Todesengel hatte sich verändert. Er war schweigsam geworden und seine Gefühle hielt er unter Verschluss. Manchmal hörte Izumi ihn nachts weinen. Dann wäre er am liebsten aufgestanden, um Rix zu trösten, doch irgendetwas hielt ihn noch davon ab. Rix musste alleine damit fertig werden. Ihn, Izumi, hatte auch niemand getröstet. Izumi stand im Zimmer und ging die Auftragsliste für den Tag durch. Rix war unten bei den Waschräumen und hatte ihn gebeten, ihm schon mal seine Klamotten rauszusuchen, was Izumi auch getan hatte. Jetzt glitt sein Blick über die Liste. Niemand, bei dem es etwas zu befürchten galt. Izumi hatte vor kurzem beschlossen, sollte jemals ein Mizuhara auf der Liste sein, so würde er den Auftrag allein ausführen. Als Rix hereinkam, deutete Izumi wortlos auf die bereitgelegten Kleidungsstücke und verließ den Raum. Es war der letzte Auftrag für heute. Eine Frau im Alter von 45 Jahren, die in einer Wohnung in der Innenstadt wohnte. Keine Mizuhara. Sie benutzten die ,Schlupf durch die Wand'-Technik, um direkt neben dem Fenster in die Wohnung einzudringen. Dahinter lag eine kleine, adrett saubere Küche. Sie schien lange nicht mehr benutzt worden zu sein, oder aber der Besitzer war ein sehr ordentlicher Mensch. Nein, die Besitzerin. "Sie müsste in einem der anderen Räume sein", stellte Izumi fest und betrat den schmalen Flur. Hier gab es nichts außer einem Schuhschrank. Keine Bilder an der Wand, nicht einmal eine Kalligrafie, einfach nichts außer weißer Tapete. Izumi stieß die nächste Tür aufs Geratewohl auf und machte einen Schritt nach vorne. Das musste sie sein. Auf einem einfachen Bett lag eine blonde Frau mit geschlossenen Augen. Ihr Gesicht war eingefallen und ihre Haut aschfahl, ihre Haare hatten einen stumpfen Glanz. Izumi drehte sich zu Rix um und erstarrte. Rix starrte die Frau an und zitterte. "Mutter", kam es leise über seine Lippen. Die Frau schien es gehört zu haben, denn sie hob ihren Kopf ein wenig. "Wer ist dort?", fragte sie mit leiser Stimme. "Seid ihr gekommen, um mich zu holen? Bitte, tut es nur... Ich verdiene es sowieso nicht mehr, zu leben." Izumi wechselte einen schnellen Blick zwischen der Mutter und ihrem Sohn, der jetzt langsam auf ihr Bett zuschritt. "Max, bist du das?", fragte sie schwach, "darf ich dich noch einmal sehen? Oh, es tut mir so leid... wir haben es alle nicht bemerkt, oh, Max bitte verzeih mir und deinem Vater...!!!" Wortlos ließ Rix die Waffe eines Todesengels in seinen Händen erscheinen und diese auf seine Mutter hernieder sausen. "Lebe wohl, O-kaa-san", sagte er, als sich ihre Seele aus ihrem Körper löste und in seine Hand kam. Die Fenster waren geschlossen und die Luft stickig. Für einen Augenblick glaubte Izumi, Rix würde anfangen zu weinen. Dann drehte der sich jedoch um und sah ihn an. "Gehen wir", sagte er. Wortlos schritten sie zurück in die Küche, wo Izumi den Kreidekreis zeichnete und sie hintereinander die Wohnung verließen. Gemeinsam kehrten sie zurück ins Totenreich. Izumi fand Rix nach kurzem Suchen am Brunnen im Park. Er saß da und blickte mit starrem Blick auf das Wasser. "Rix", sagte Izumi leise. Rix sah auf. Dann sprang er plötzlich hoch und warf sich in Izumis Arme. "Es war nur meine Schuld!", rief er verzweifelt, "Nur weil ich mich umgebracht habe, ist meine Mutter so traurig geworden... ich habe sie in den Tod getrieben! Ich... ich habe sie alle allein gelassen anstatt mich den Problemen zu stellen! Ich habe alles falsch gemacht!" Izumi legte seine Arme um Rix. "Das ist jetzt vorbei. Du hast ein neues Leben angefangen. Und deine Mutter war schließlich froh, dass sie dich noch mal sehen durfte. Du kannst nur lernen damit zu leben... ich weiß es ist schwer." Rix sah an Izumi hoch. Jetzt waren seine Augen doch voller Tränen. "Aber--" Izumi beugte sich zu dem kleineren Todesengel herunter und küsste ihm sanft die Tränen von den Wangen. "Rix, ich weiß, es ist schwer, damit zu leben. Aber ich werde bei dir bleiben. Und ich werde dich immer trösten, wenn du traurig bist." Rix schloss für einen kurzen Augenblick die Augen, als lausche er auf eine unhörbare Stimme. Ein Lächeln erschien auf seinen Lippen. "Danke, Izumi." Kapitel 14: Satoshi und Miyako - Rocky, oh, Rocky ------------------------------------------------- Von Dieses ist mal wieder ein "normales" Pairing. Es gab also keine Bedingungen. Jitsch hat sich Satoshi ausgesucht und ich mir Miyako. Da meine letzten Chiisana LOVE-STORIES viel zu kurz waren, werde ich mir bei dieser hier mal wieder richtig Mühe geben! Bei den letzten hatte ich immer gesagt: "Ich mach das schnell fertig, das liest sowieso keiner."-.- Hoffentlich verirrt sich ja doch noch mal jemand hierher und schreibt uns Kommis^.^ Damit ihr bei den ganzen japanischen Namen in der Geschichte nicht den Überblick verliert, habe ich hier mal kurz aufgeschrieben, wer von den auftauchenden Personen im Japanischen wie heißt (lasst euch aber nicht davon abschrecken, dass es so viele sind!! Die meisten kommen sowieso nicht so oft vor): Satoshi: Ash Haruka: Maike Masato: Max Takeshi: Rocko Laplace: Lapras Minamo City: Seegrasulb City Kimori: Geckarbor Mukashi: Jessie Kojirou: James Nyarth: Mauzi Gardie: Fukano Tokusane City: Moosbach City Kaina City: Graphitport City Fuen Town: Bad Lavastadt So, jetzt geht's endlich mit dem Kapitel los, Satoshi und Miyako in: Rocky, oh, Rocky Die Sonne tauchte das endlos scheinende Meer in ein wunderschönes Orangerot, als Laplace nach einer langen Reise endlich den Strand von Minamo City erreichte. Vier Pokémon-Trainer sprangen von seinem Rücken in den weichen Sand. "Mist! Jetzt hab ich Sand in den Schuhen!", begann Haruka sogleich zu fluchen. "Sei still! Wir sind genauso müde wie du!", maulte Masato, ihr kleiner Bruder sie an. "Ich bin nicht müde!", fauchte Haruka. "Ich habe nur Sand in den Schuhen!" "Wir haben alle Sand in den Schuhen, Haruka-chan", redete Takeshi beruhigend auf das Mädchen ein. "Ihr habt aber nicht solche zarten Füße wie ich!", schnauzte Haruka ihn an. Satoshi seufzte und ließ Laplace in seinem Pokéball verschwinden. "Pika Pika!", rief Pikachu auf seiner Schulter. Sein Besitzer streichelte ihm über den Kopf und sagte: "Gut, dass wenigstens du gut gelaunt bist, Pikachu." "Und was machen wir jetzt? Sollen wir etwa hier am Strand schlafen?", zeterte Haruka. Takeshi erwiderte: "Wo denkst du hin? Hier in Minamo City gibt es ein wunderschönes Hotel mit Meerblick." "Den Meerblick kannst du dir sonstwohin stecken! Vom Meer hab ich erst mal genug!", beschwerte Haruka sich. Dann stapfte sie wütend auf die Treppe zu, die über den kleinen Deich nach Minamo City führte, wobei noch mehr Sand den Weg in ihre Schuhe fand. Die drei Jungs sahen ihr verdattert nach, doch da sie auch nicht ewig hier stehen bleiben wollten, folgten sie ihr. Die Stadt war wunderschön, besonders durch die Anstrahlung der aufgehenden Sonne: viele kleine blaue Häuschen drängten sich aneinander, zwischendurch mal zwei- oder dreistöckige Gebäude, und in der Mitte ein Hochhaus mit einer blauen Kuppel auf den groß "Pokémarkt" geschrieben war. "Wow!", staunte Masato. Auch die anderen waren stark beeindruckt von dieser Großstadt. "Was steht ihr da so blöd rum? Ich will endlich schlafen!", rief Haruka ihnen von unten zu. "Dann geh doch!", sagte Masato genervt. "Ich weiß aber rein zufällig den Weg nicht, du Schlaumeier!" Takeshi, Masato und Satoshi warfen sich vielsagende Blicke zu, dann rannten sie die Treppe hinunter und Satoshi rief, etwas weniger enthusiastisch als sonst: "Auf in ein neues Abenteuer!" "Pika Pikachu!", stimmte sein kleiner Freund ihm zu. Nach einigem Herumirren und Herumfragen hatten sie endlich das Pokéhotel gefunden. Es stand am anderen Ende des Strandes. Durch eine elektrische Glastür, wie sie hier fast jedes Gebäude hatte, betraten sie das Pokéhotel. "Herzlich Willkommen im Pokéhotel Minamo City!", wurden sie sogleich von der bildhübschen jungen Frau hinter der Rezeption begrüßt. Takeshi verbeugte sich tief und sagte: "Guten Morgen" Dann fragte er: "Haben Sie heute Abend schon etwas vor? Wollen Sie nicht mit mir..." "Wir hätten gerne zwei Zimmer. Wir sind müde, also beeilen Sie sich.", unterbrach Haruka ihn, die inzwischen neben ihn getreten war. Im ersten Moment sah die Frau sie verwirrt an, doch dann fasste sie sich wieder, setzte ihr freundlichstes Lächeln auf und erkundigte sich dann: "Für wie viele Personen dürfen die Zimmer denn jeweils sein?" "Ich nehm ein Einzelzimmer und die Jungs und Pikachu teilen sich zu viert eins", erklärte Haruka schlecht gelaunt. "Wie lange möchten Sie denn bleiben?", wollte die Frau wissen. "Bis morgen früh. Kriegen wir jetzt endlich unsere Zimmer? Ich bin müde", sagte Haruka gereizt. Die Frau rollte mit ihrem Stuhl vor den Computer und tippte ein paar Sachen ein. "Beeilen Sie sich gefälligst! Ich habe fast sechzehn Stunden mit drei Leuten auf einem engen Laplace-Rücken gesessen und keinen Bock mir hier noch stundenlang die Beine in den Bauch zu stehen!", schnauzte Haruka sie an. Takeshi legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter und sagte: "Lass deine schlechte Laune bitte nicht an der armen Frau aus, Haruka-chan. Sie kann doch auch nichts dafür, dass der Weg von Tokusane City bis Minamo City so weit ist." "Das ist mir völlig egal!", schrie Haruka wütend und schlug Takeshis Hand von ihrer Schulter. "Ähm... Könnten Sie bitte etwas leiser sein? Einige unserer Gäste schlafen noch", merkte die Frau hinter der Rezeption zurückhaltend an. "Wenn Sie nicht so lahm wären, könnte ich auch schon schlafen!", zeterte Haruka. Endlich stand die Frau auf, nahm zwei Schlüssel von dem Schlüsselbrett hinter sich und übergab sie Haruka. Dazu sagte sie: "Zimmer drei ist das Einzelzimmer. Erster Stock, zweite Tür links. Das Dreierzimmer ist im zweiten Stock." Wortlos schnappte Haruka sich die Schlüssel und ging direkt auf die Treppe zu. "Könntest du uns bitte unseren Schlüssel geben, Haruka-chan?", bat Satoshi. "Fang!", sagte sie und schleuderte ihm einen der Schlüssel vor die Füße. Seufzend hob er ihn auf und ging ebenfalls zur Treppe. Masato folgte ihm. "Kommst du, Takeshi-kun?", fragte er. Doch das hatte sich nach einem Blick zur Rezeption erledigt; Takeshi hatte die Hände der Frau ergriffen und überhäufte sie gerade mit Komplimenten. "Wir haben Zimmer fünfzehn!", rief Satoshi ihm nach einem Blick auf den Schlüssel zu. Dann machten er und Masato sich auf den Weg zu ihrem Zimmer. In ihrem Zimmer warfen sich Satoshi und Masato sofort auf ihre Betten und schliefen auch schon bald ein. Pikachu ging zum Fenster und schloss die Vorhänge, damit die Morgensonne nicht in das Zimmer eindringen konnte. Dann zog es die Decke unter Satoshis Körper hervor, breitete sie über ihm aus und rollte sich dann neben ihm zusammen. Gegen drei Uhr am Nachmittag wurde Pikachu davon geweckt, dass es aus dem Bett fiel. Es sprang auf und sah Satoshi erstaunt an. Es hatte ein merkwürdiges Gefühl in der Magengegend, aber es konnte nicht sagen, was es bedeutete. "Wer hat dir erlaubt, in meinem Bett zu schlafen, Pikachu? Schlaf gefälligst auf dem Boden!", sagte Satoshi wütend. "Pika Pika!", protestierte Pikachu. "Das hast du sonst auch gemacht? Na und, ich habe endlich eingesehen, dass Pokémon wie du nicht das Recht dazu haben, wie Menschen behandelt zu werden. Warum verschwindest du nicht in deinem Pokéball, wie alle anderen Pokémon auch? Glaubst du, du bist etwas besonderes?" "Pika...", machte Pikachu leise und sah zu Boden. "Für mich bist du jedenfalls nichts besonderes! Ich bin nicht auf dich angewiesen! Wenn ich will, kann ich mir jederzeit ein Pikachu fangen, das pflegeleichter ist als du, du eingebildetes Vieh!" Jetzt blieb Pikachu das "Pika" im Halse stecken. Verletzt sah es zu Boden und ging langsam zur Tür. "Ja! Verschwinde nur! Ohne dich ist das Leben viel leichter!", rief Satoshi. Wenn Pokémon weinen könnten, hätte Pikachu das jetzt sicherlich getan. Was war bloß mit Satoshi los? Er war doch sonst immer so freundlich und liebevoll zu ihm. Konnte ein Mensch sich über ein paar Stunden so sehr verändern? Plötzlich wurde Pikachu von einer scharfen Papierkante am Hinterkopf getroffen. "Pika!", rief es erschrocken und drehte sich um. Eine kleine weiße Karte mit goldenem Rand lag vor ihm auf dem Boden. Darauf stand: Warnung an Satoshi: Heute Abend werde ich deiner Mütze die Schönheit nehmen. Kaitou Jeanne Erschrocken sah Pikachu erst zu Satoshi, dann wieder auf die Karte. "Was hast du da?", fragte Satoshi misstrauisch. "Und was guckst du mich so blöd an?" Pikachu hüpfte neben ihm aufs Bett und hielt ihm zitternd die Karte hin. Satoshi schnappte sie sich und sagte dann zu Pikachu: "Wolltest du nicht verschwinden?" Pikachu senkte den Kopf, sprang wieder vom Bett und verließ dann das Zimmer. Nachdem es sorgfältig die Tür wieder hinter sich verschlossen hatte, sah es sich um. Wo sollte es jetzt hingehen, jetzt, wo Satoshi es nicht mehr haben wollte? "Pikachu! Was machst du denn hier?", fragte Haruka. Sie kam gerade den Flur entlang, anscheinend wollte sie zu Satoshi. Aufgeregt sprang Pikachu auf sie zu. "Pika! Pika Pika Pikachu!", rief es. "Was hast du denn?", fragte Haruka und beugte sich zu dem Pokémon herunter. "Pika!", sagte Pikachu und zeigte auf die Tür von Satoshis Zimmer. "Ich soll da rein gehen?", fragte Haruka. Pikachu nickte. Haruka stand auf und legte ihre Hand auf die Türklinke. Als sie sah, dass Pikachu in die andere Richtung ging, fragte sie: "Willst du nicht mitkommen?" Traurig schüttelte es den Kopf. "Habt ihr euch gestritten?", erkundigte sie sich. Pikachu nickte. "Komm doch mit rein. Du wirst dich schon wieder mit ihm vertragen." "Pika?", fragte Pikachu hoffnungsvoll und sah sie mit großen Augen an. "Ja. Komm mit", sagte Haruka und öffnete die Tür. Schüchtern folgte Pikachu ihr. Satoshi funkelte die beiden wütend an. "Was willst du denn schon wieder hier?", knurrte Satoshi. Pikachu versteckte sich schnell hinter Haruka. Empört stemmte diese die Hände in die Hüften und beschwerte sich: "Was ist nur mit dir los, Satoshi-kun? Ist Pikachu nicht dein bester Freund?" "Ha", sagte er hochnäsig, "das war mal. Dieses Vieh macht mir doch nichts als Ärger! Ich war doch echt bescheuert, dass ich es die ganze Zeit mit mir rumgeschleppt habe!" Entsetzt sah Haruka ihn an. Dann hob sie Pikachu hoch und fragte: "Und warum wolltest du jetzt, dass ich hier reingehe?" Pikachu sprang auf Satoshis Bett, was ihm einen bösen Blick von seinem ehemalig besten Freund einbrachte, und hob die Warnung von Kaitou Jeanne hoch. Haruka kam zu ihm und nahm ihm die kleine Karte ab. Pikachu sprang schnell auf den Boden zurück und versteckte sich wieder hinter Harukas schlanken Beinen. "Eine Warnung von Jeanne?" Takeshi sah Haruka erschrocken an. Die vier Freunde hatten sich in ein kleines Café in der Nähe des Hotels gesetzt, weil Haruka ihnen von der Warnung erzählen wollte. Haruka nickte ernst. "Wer ist Jeanne?", erkundigte Masato sich. Haruka schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. Takeshi erklärte ihrem kleinen Bruder: "Jeanne ist eine berüchtigte Kunstdiebin. Sie ist schon lange unterwegs, aber die Polizei hat es noch nicht geschafft, sie zu fassen. Sie soll sehr schön sein und-" "Danke, das reicht mir", unterbrach Masato ihn. "Und was machen wir jetzt?" Haruka sah fragend in die Runde. "Wir machen sie alleine fertig und liefern sie der Polizei aus", war Satoshis Vorschlag. Er hatte die Arme verschränkt und das Kinn erhoben. Takeshi, der Älteste und Vernünftigste unter ihnen, widersprach: "Nein, das ist zu gefährlich. Wir sollten zur Rockystation gehen." Satoshi grinste fies. "Dann werden die aber vielleicht Jeanne fangen und du bekommst sie nicht zu Gesicht." "Vielleicht sollten wie sie doch selber erledigen", änderte Takeshi plötzlich seine Meinung. "Takeshi-kun!!!", riefen Haruka und Masato im Chor. "Ja, ja, schon gut!" Er erhob abwehrend die Hände. Plötzlich stand Satoshi auf, wobei sein Plastikstuhl nach hinten kippte und sagte barsch: "Ich gehe ins Hotel zurück. Eure Gesellschaft nervt mich echt an." Dann verließ er schnellen Schrittes das Café. Seine drei Freunde sahen ihm entgeistert nach. "Ist der jetzt völlig übergeschnappt?", sprach Masato ihrer aller Gedanken aus. Miyako saß in ihrem Büro und spielte mit ihrem Kugelschreiber herum. Sie langweilte sich. Seit über einer Stunde hatte sie nichts mehr zu tun und wartete nur darauf, dass irgendwelche Touristen mit ihren Beschwerden ankamen. Miyako war die Rocky in dieser Stadt, sie sorgte für Recht und Ordnung auf den Straßen von Minamo City. Nur leider war in letzter Zeit ziemlich wenig losgewesen. Die meisten Touristen zogen inzwischen Kaina City mit seinem riesigen Sandstrand und dem berühmten Markt Minamo City vor. Und die Einwohner von Minamo City kamen auch alleine zurecht. Plötzlich klopfte es an der Tür. Schnell nahm Miyako die Füße vom Tisch, legte den Stift, mit dem sie rumgespielt hatte, zur Seite und setzte sich gerade hin. Dann rief sie: "Herein?" Drei Jugendliche betraten den Raum: ein etwa achtjähriger Junge mit Brille und dunkelblauen Haaren, ein etwas ältereres Mädchen mit braunen Haaren und ein sehr erwachsen aussehender dunkelhäutiger Junge mit schwarzen Haaren. Letzterer stürmte bei ihrem Anblick sofort zu ihrem Schreibtisch und heulte ihr vor: "Ach, Rocky, wir sind so verzweifelt! Sie müssen uns helfen! Alleine schaffen wir es nicht!" Die Braunhaarige versetzte ihm einen harten Schlag auf den Kopf und erklärte dann sachlich ihre Lage. Als Miyako den Namen ihrer Lieblingsfeindin hörte, musste sie unwillkürlich grinsen. Danke, Jeanne! Ohne deine Hilfe wäre ich hier gestorben vor Langeweile! Miyako und die drei Freunde gingen die Straße entlang. "Sagt mal, hat sich Satoshi-kun in letzter Zeit vielleicht irgendwie seltsam benommen?", wollte Miyako wissen. Haruka sah sie erstaunt an und antwortete: "Ja, woher weißt du das?" Miyako erklärte: "Alle Leute, die von Jeanne beklaut werden, benehmen sich vorher seltsam. Und wenn Jeanne ihnen dann etwas gestohlen hat, sind sie wieder normal." Haruka seufzte. "Hoffentlich wird das bei Satoshi genauso sein. Er hat heute nämlich sein Pikachu angeschrieen, obwohl die beiden eigentlich seit mehreren Jahren die besten Freunde sind. Und er hat uns gesagt, unsere Gesellschaft nerve ihn an." Miyako legte ihr den Arm über die Schulter und sagte: "Das wird schon wieder." Haruka nickte nur stumm. Als sie im Hotel ankamen, gingen sie zuerst in Harukas Zimmer, weil Pikachu dort wartete und sie es nicht so lange allein lassen wollten, nachdem Satoshi so gemein zu ihm gewesen war. Pikachu war überglücklich, als Miyako ihm erklärte, dass Satoshi schon bald wieder er selbst sein würde. Zu fünft gingen sie dann einen Stock höher und dort in das Zimmer von Satoshi, Takeshi und Masato. "Wer ist das denn?", fragte Satoshi mürrisch, als Miyako hinter den anderen das Zimmer betrat. Miyako verbeugte sich und sagte: "Ich heiße Miyako Toudaiji und bin die wachthabende Rocky hier in Minamo City. Deine Freunde haben mir gesagt, du hättest eine Warnung von Kaitou Jeanne bekommen?" "Das stimmt", knurrte Satoshi, "aber du kannst gleich wieder verschwinden. Ich werde Jeanne alleine besiegen. Wie ich hörte, ist sie dir schon einige Male durch die Lappen gegangen." "Das ist wahr", sagte Miyako. Doch dann setzte sie ein siegessicheres Lächeln auf und rief: "Doch diesmal werde ich sie fangen! Und zwar mit dem "Miyako Spezial" Part vierundvierzig!" "Und was ist das?", fragte Masato interessiert. Miyako legte den Finger an den Mund und flüsterte: "Das ist meine Geheimfalle für Jeanne." "Und wie funktioniert die?", wollte Haruka wissen. "Geheim", sagte Miyako nur. Takeshi schlug vor: "Sollten wir nicht das Gebäude umstellen lassen?" Miyako schüttelte den Kopf und erklärte: "Jeanne soll denken, dass ich nicht hier bin. Dann ist sie unvorsichtig und -Plopp!- schon haben wir sie!" Begeistert sah sie in die Runde. "Das könnte klappen", sagte Haruka vorsichtig. "Das könnte nicht klappen, das wird klappen!", widersprach Miyako ihr. "Das kannst du dir abschminken. Ich habe gesagt, du sollst verschwinden", keifte Satoshi sie an. "Tut mir Leid, Satoshi-kun, aber die Gelegenheit, endlich Jeanne zu fangen, lasse ich mir nicht entgehen. Außerdem würde mir auf der Wache nur wieder langweilig sein", setzte Miyako entgegen, "Und womit willst du Jeanne überhaupt fangen?", erkundigte sie sich. "Mit meinen Pokémon natürlich", sagte er überheblich. Mit einem Seitenblick auf Pikachu fügte er noch hinzu: "Natürlich nur mit denen von meinen Pokémon, die sich nicht einbilden, sie seien etwas Besonderes." Haruka sagte erbost: "Wie kannst du sowas sagen! Alle deine Pokémon sind auf ihre persönliche Art etwas ganz Besonderes!" Dankbar sah Pikachu sie an. Nachdem Miyako alles für ihre Geheimfalle vorbereitet hatte - wobei sie die ganze Zeit von Satoshi angemotzt wurde - , setzte sie sich erst einmal erschöpft auf eins der Betten. "So, jetzt müssen wir nur noch auf Jeanne warten", stellte Takeshi fest, "Wollen wir nicht solange an den Strand gehen, Miyako-chan?" "Takeshi-kun!", brüllten Haruka und Masato. Masato zog den Vorhang ein Stück zur Seite und sah aus dem Fenster. Ein dunkler Schatten bewegte sich über die Straße. Schnell schloss er den Vorhang wieder und flüsterte: "Ich glaube, sie kommt." Wie verabredet schob Haruka einen kleinen Zettel unter der Tür durch, damit Miyako auch Bescheid wusste. Sie wollte sich nicht zeigen, damit Jeanne unvorsichtig wurde. Plötzlich zersplitterte die Fensterscheibe in tausende Scherben. "Bonjour!", rief Jeanne fröhlich und sprang in die Mitte des Raumes, wo Miyako Satoshis Mütze platziert hatte. "Jetzt!", schrieen Haruka und Masato. Eigentlich sollte jetzt ein Netz für Jeanne aus einer Falltür in der Decke kommen, aber nichts passierte. "Wo ist diese verdammte Fernbedienung?!", brüllte Miyako vor der Tür. "Tja, Miyako-chan, das war wohl wieder nichts. Anscheinend hat mein Schutzengel mir mal wieder geholfen!", rief Jeanne grinsend und wollte gerade ihren Pin auf die Mütze schleudern, als ein Kimori vor ihr Ziel sprang. "Rasierblatt!", brüllte Satoshi. Doch die Diebin hatte urplötzlich eine Sprayflasche in der Hand und spühte deren Inhalt in Kimoris Gesicht. "Kimori...", sagte das Pflanzen-Pokémon, taumelte ein wenig und fiel dann um. "Tackle, Gardie!", rief Miyako, die gerade in den Raum stürmte, ihrem Hunde-Pokémon zu. Doch auch dieses Pokémon wurde von Jeannes Spray außer Gefecht gesetzt. "Was ist das?", fragte Miyako entsetzt. "Bloß Schlafgas", erklärte Jeanne mit einem Augenzwinkern. Dann warf sie endlich ihren Pin auf Satoshis Mütze und verschwand dann durch das Fenster. "Warte gefälligst, Jeanne!", brüllte Miyako ihr hinterher, doch sie hörte natürlich nicht. "Satoshi-kun! Was hast du?", fragte Masato und rüttelte Satoshi an den Schultern. Dieser war nämlich zu Boden gefallen, nachdem Jeanne den Pin auf seine Mütze geschleudert hatte. "Das ist normal", erklärte Miyako, "Alle Opfer von Jeanne fallen in Ohnmacht, wenn sie beklaut wurden." "Ach so", sagte Masato. Miyako half ihm und Haruka, Satoshi auf sein Bett zu heben. Pikachu sprang neben ihn aufs Bett. Langsam öffnete Satoshi die Augen. Miyako hatte sich besorgt über ihn gebeugt. "Geht es dir gut?", fragte sie. "Wer... Wer bist du?", wollte er wissen. Erst sah sie ihn überrascht an. Doch dann lächelte sie und stellte sich ihm erneut vor. Sie erklärte ihm auch, was passiert war, da er das anscheinend auch vergessen hatte. "Es tut mir Leid", sagte sie und sah zu Boden. "Was tut dir Leid?", fragte Satoshi. "Na... dass ich Jeanne nicht aufhalten konnte..." Satoshi grinste und sagte: "Das ist doch kein Problem. Die Mütze war sowieso schon alt." "Danke, dass du mir verzeihst", flüsterte Miyako und stand auf. "Was ist mit Kimori?", erkundigte Satoshi sich. "Es liegt dort auf Masato-kuns Bett", sagte Miyako. Satoshi stand auf und ging zu seinem grünen Pokémon. Erschrocken stellte er fest: "Ich glaube, es geht ihm nicht gut!" "Warum?", fragte Miyako. Satoshi zeigte nur wortlos auf das schlafende Pokémon. Miyako hockte sich neben das Bett. Kimori atmete schwer und schwitzte am ganzen Körper. Miyako und Satoshi sahen sich alarmiert an. Dann wickelte sie es schnell in Masatos Decke ein und hob es hoch. "Wir müssen es sofort in ein Pokémon-Center bringen!" Satoshi nickte. Also verließen die beiden mit dem kranken Pokémon das Hotel und machten sich auf den Weg zum nächsten Pokémon-Center. Dort angekommen wurde Kimori sofort von einer freundlichen Schwester Joy entgegengenommen und in ein Behandlungszimmer gebracht. Miyako und Satoshi setzten sich ins Wartezimmer. Satoshi sah zu Boden und fragte leise: "Was ist, wenn Kimori jetzt nicht wieder gesund wird...?" Miyako legte ihm den Arm um die Schultern und sagte: "Das wird schon wieder, Satoshi-kun. Die Joys aus dieser Stadt sind alle sehr gut ausgebildet. Bis jetzt haben sie jedes Pokémon wieder hingekriegt. Und viele von denen waren dem Tod noch viel näher." "Du hast Recht. Ich sollte mich nicht verrückt machen", sagte Satoshi. Ein Lächeln umspielte seine Züge. Schon wenige Minuten später kam eine Joy aus dem Behandlungsraum und sagte lächelnd: "Kimori ist jetzt auf jeden Fall außer Lebensgefahr. Wir werden es aber zur Beobachtung noch ein wenig hierbehalten. Wir werden Sie benachrichtigen, wenn Sie es abholen können." Satoshi nickte ihr dankbar zu. Dann verließ er mit Miyako das Center. Wieder im Hotel wurden sie schon wieder mit einem neuen Problem konfrontiert: Sie konnten knapp die Rechnung für eine Nacht im Pokéhotel bezahlen, aber für eine weitere Nacht würde es auf keinen Fall reichen." "Ähm... vielleicht könntet ihr ja bei mir übernachten, bis Kimori wieder gesund ist...", schlug Miyako vor. "Das wäre super!", sagte Takeshi. "Okay, dann wäre das ja geklärt", stellte Haruka fest. "Geht das denn in Ordnung? Ich meine... solltest du nicht zuerst deine Eltern fragen?", fragte Satoshi und sah zu Boden. Miyako sagte lachend: "Das ist kein Problem. Ich lebe alleine. Meine Eltern wohnen in Fuen Town." "Ach so...", sagte Satoshi. Sie sah ihn misstrauisch an. "Willst du nicht bei mir übernachten oder was ist los?" "Doch, doch!", wehrte Satoshi ab "Ich... ich will dir nur keine Umstände machen." Miyako lächelte und sagte: "Das ist doch kein Problem. Ich freue mich immer auf Besuch." Jetzt lächelte auch Satoshi wieder. "In Ordnung." Miyako wohnte in einem kleinen Haus inmitten der Innenstadt von Minamo City. Das Haus war blau, wie alle anderen Häuser hier auch. Es stand zwischen zwei großen Hochhäusern eingeklemmt an der Hauptstraße. In dem Haus gab es nur vier Räume und einen Dachboden, der aber mit allen möglichen Kartons vollgestellt war. Miyako bot Haruka an, bei ihr im Zimmer zu schlafen, was diese dankend annahm. Die Jungen mussten im Wohnzimmer schlafen. Doch sie waren zufrieden damit, immerhin hatten sie überhaupt einen Platz zum Schlafen. Es war gegen elf Uhr in der Nacht, Satoshi lag auf dem Sofa und starrte in die Finsternis des Zimmers. Er konnte nicht schlafen. Masato und Takeshi waren schon vor fast einer Stunde eingeschlafen. Etwas später hatte Masato angefangen zu schnarchen. Und jetzt begann Takeshi auch noch "Schwester Joy" zu murmeln. Genervt drehte Satoshi sich auf die Seite. Pikachu neben ihm schlief natürlich auch schon längst. Es lächelte selig. Warum konnten alle schlafen, nur er wieder nicht? Plötzlich hörte er ein Flüstern: "Sei leise! Sonst hören sie uns noch." Eine andere Stimme erwiderte: "Sei selber still!" "Wer ist da?", fragte Satoshi erschrocken. "Na toll! Jetzt hast du ihn aufgeweckt! Warum musst du uns immer alles verderben, Kojirou-kun?" "Ich war sowieso schon wach", erklärte Satoshi. "Na gut, dann nehm ich es zurück. Wir sind doch ein Team, oder?", sagte die Stimme von eben. Satoshi sprang vom Sofa und rief: "Verschwindet!" "Jetzt können wir doch auch das Licht anschalten, oder? Er hat uns doch sowieso bemerkt", ertönte eine quietschige Stimme. "Hast Recht, Nyarth", stimmte die Stimme von eben zu. Also schaltete einer von ihnen das Licht an. "Team Rocket!", rief Satoshi überrascht. "Halt die Schnauze! Wir müssen uns erst vorstellen!", keifte Mukashi ihn an. "Jetzt gibt's Ärger..." "...und es kommt noch härter!" "Wir wollen über die Erde regieren..." "...und unseren eigenen Staat kreieren!" "Liebe und Wahrheit verurteilen wir!" "Mehr und mehr Macht, das wollen wir!" "Mukashi..." "...und Kojirou!" "Team Rocket, so schnell wie das Licht!" "Gebt lieber auf und bekämpft uns nicht!" "Miauz, genau!" Als sie endlich fertig waren, lief Nyarth schnell auf das schlafende Pikachu zu, schnappte es sich und steckte unter eine Glaskuppel, die Mukashi ihm zuwarf. "Pikachu!", rief Satoshi. Doch Pikachu regte sich nicht. Kojirou hatte sich derweil Satoshis Jeans unter den Nagel gerissen, die über der Sofalehne gehangen hatte. "Hey! Was machst du mit meiner Hose?", fragte Satoshi aufgebracht. Kojirou steckte die Pokébälle, die an der Hose befestigt gewesen waren, in einen kleinen Beutel. Dann warf er Satoshi die Hose zu, mit den Worten: "Die brauch ich nicht. Es ging mir nur um die Pokémon." "Du gemeiner Kerl! Gib mir meine Pokémon zurück!", rief Satoshi aufgebracht. "Was ist denn hier los?", fragte Miyako verschlafen und kam langsam in den Raum. "Team Rocket hat alle meine Pokémon geklaut und Pikachu in diesen Behälter eingesperrt!" Miyako verschaffte sich schnell einen Überblick über die Lage. Dann stürmte sie auf das schlafende Pikachu zu und zertrümmerte mit einem gezielten Tritt die Glasglocke. "Pika?", sagte Pikachu müde und öffnete langsam die Augen. "Pikachu!", rief Satoshi überglücklich und schloss es in die Arme. Doch das Pokémon entschlüpfte ihm gleich wieder und trippelte auf Team Rocket zu. "Piiiiikaaaachuuuuuuu!!!", brüllte Pikachu und ein Blitz traf Team Rocket. Diese wurden durch das Fenster geschleudert. "Das war mal wieder ein Schuss in den Oooofeeeeen..." "Danke, Miyako, dass du Pikachu gerettet hast", sagte Satoshi. Miyako lächelte verlegen und sagte: "Das war doch kein Problem. Außerdem ist es ja mein Job, Verbrechern das Handwerk zu legen." "Stimmt...", meinte Satoshi. Sie schwiegen eine Weile. Pikachu sah die beiden überrascht an. Dann sprang es Miyako auf die Schulter. "Huch? Was machst du da Pikachu?", fragte Satoshi. Pikachu stupste Miyako mit seiner nassen Nase gegen die Wange. Dann sprang es auf den Boden zurück und legte sich wieder hin. "Ich geh dann mal wieder ins Bett...", sagte Miyako und verließ langsam den Raum. Satoshi sah ihr verträumt nach. Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, legte er sich wieder auf sein Sofa. Plötzlich fiel ihm etwas auf. "Pikachu... Warum hast du mir nicht gesagt, dass ich die ganze Zeit nur Boxershorts anhatte?" Pikachu kicherte nur leise. Etwa eine halbe Stunde später, Satoshi konnte schon wieder nicht schlafen, fragte er: "Pikachu? Bist du noch wach?" "Chuu?", kam als Antwort. Satoshi drehte sich auf den Rücken und fragte: "Findest du nicht auch, dass Miyako total süß ist?" "Pika Pika!" "Sie ist so freundlich und so stark..." "Pikachu!" "Und sie hat alles versucht, um meine Mütze zu retten..." "Pika Pika..." "Wast hast du denn?" "Pika Pika, Pikachu, Pika Chuu!" "Du meinst, das hat sie nur getan, weil das ihr Job ist und, weil ihr sonst sowieso langweilig war?" "Pika!" "Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube, sie mag mich auch ein bisschen." "Chuu?" "Vielleicht auch ein bisschen mehr..." "Pika..." "Du glaubst, das bilde ich mir nur ein?" "Pika Pika!" "Ich dachte, wir sind Freunde!" "Chuu, Pikachu Pika, Pikachuu!" "Du willst nur das Beste für mich? Warum lässt du mir dann nicht meine Träume!" "Pika, Pikachu, Chuu!!" "Ja, Pokémonmeister werden ist auch ein Traum von mir, und den werde ich bestimmt nicht aufgeben, aber Miyako bedeutet mir auch sehr viel... Kann ich nicht mit Miyako zusammen sein und Pokémonmeister werden." "Chuu, Chuu!" "Nicht? Schade..." "Pikachu!" "Du hast Recht, ich sollte mich durch nichts von meinem Traum ablenken lassen!" "Pika Pika!" "Aber ich glaube, ich werde sie nicht vergessen können..." "Pika!" "Weißt du was, Pikachu? Ich glaube, ich habe mich zum ersten Mal in meinem Leben verliebt..." "Pikachu..." "Gönnst du mir das etwa nicht?" "Chuu, chuu." "Du bist gemein, Pikachu. Ich rede nicht mehr mit dir." "Chuu?" "Das war doch nur ein Scherz. Du bist doch schließlich mein bester Freund." "Chuu!" Satoshi wurde davon geweckt, dass ihn etwas Kaltes an der Wange berührte. Er schlug die Augen auf. Ein fröhliches "Kimori!" ertönte. Sofort richtete er sich auf und umarmte sein Pokémon. "Kimori! Schön, dass du wieder da bist!" "Kimori!" "Huch? Was ist das für eine Mütze?", fragte Satoshi plötzlich. Erst jetzt hatte er bemerkt, dass auf Kimoris grünem Kopf eine Mütze saß. "Kimori!", sagte es und gab Satoshi die Mütze. Dieser nahm sie erstaunt an. "Die habe ich dir gekauft, nachdem wir Kimori aus dem Pokémon-Center abgeholt hatten, weil Jeanne doch deine alte geklaut hatte", erklärte Miyako, die - wie Satoshi erst jetzt merkte - im Türrahmen stand. Satoshi sah sie überrascht an. "Danke! Aber das wäre doch nicht nötig gewesen! Ich meine, ich habe doch gesagt, es macht mir nichts aus..." Miyako lächelte traurig und sagte: "Vielleicht ist es ja auch ein Abschiedsgeschenk..." "Wieso Abschiedsgeschenk?", fragte Satoshi. Miyako erwiderte: "Kimori ist doch jetzt wieder da. Ihr könnt wieder losziehen. Die anderen haben schon ein paar Sachen für eure weitere Reise gekauft." "Ach so", sagte Satoshi leise und sah zu Boden. "Weißt du... diese Mütze, sie sieht genauso aus wie die, die ich früher mal hatte." "Echt?", fragte Miyako erstaunt. Satoshi nickte. Dann schwiegen sie wieder. "Ja... dann werden wir jetzt wohl gehen, oder?", sagte Satoshi und sah seine Freunde an. Diese nickten. Satoshi drehte sich noch einmal zu Miyako um. Er ging zu ihr und drückte ihr kurzerhand einen Kuss auf die Wange. "Auf Wiedersehen", sagte er und drehte sich langsam um. Er kämpfte mit den Tränen. Doch das sollte Miyako nicht sehen. "Auf Wiedersehen, Satoshi-kun...", flüsterte sie. Satoshi ging zu seinen Freunden und die vier machten sich auf Weg. Warum musste das Leben so grausam sein? Er wollte Miyako nicht einfach so verlassen. Er wollte bei ihr sein! Sofort machte er kehrt und rannte zu Miyako zurück. Diese war zuerst ziemlich überrascht. Doch dann lächelte sie breit und Glückstränen flossen ihre Wangen herab. Satoshi fiel ihr um den Hals. Sie schlang seine Arme um ihn. Für einen kurzen Moment sahen sie sich in die Augen und hatten das Gefühl, die Zeit sei für sie stehen geblieben. Satoshi, dem inzwischen auch die Tränen gekommen waren, flüsterte: "Ich will bei dir sein, Miyako-chan. Lass mich nicht allein." Sie erwiderte: "Das werde ich nicht, Satoshi-kun. Ich komme mit euch. Ich werde als Rocky kündigen und mit dir deinen Weg gehen." Kapitel 15: Jeile und Kagome - Traumprinz ----------------------------------------- Von So, jetzt sind wir schon bei der fünfzehnten Chiisana Love-Story. Nicht schlecht, oder? Es gab auch mal wieder eine Bedingung: Der Name musste drei Silben haben, wenn man es in japanischen Zeichen schreibt. Sonst hätte Jeile ja höchstens zwei Silben. Aber im Japanischen schreibt man das ja JE-I-LU (ヅェイル). Kagome ist ja klar. Jeile hab ich mir übrigens ausgesucht, weil ich gerade Merupuri zu Weihnachten bekommen hatte. Merupuri und Inuyasha ist ja mal wieder eine sehr merkwürdige Kombination... Aber das sind sie doch irgendwie alle, oder? Das hier ist übrigens bis jetzt die längste der bisherigen Chiisana Love-Stories! Da bin ich voll stolz drauf ^-^ Und bevor ich das Wichtigste vergesse: Dieses Kapitel widme ich DatRandy-chan, die uns schon so viele liebe Kommis geschrieben hat, und die sich so sehr auf dieses Kapi gefreut hat! Jetzt aber genug gelabert, los geht es mit: Traumprinz Kagome streckte sich. Sie saß auf ihrem Schreibtischstuhl; der ganze Schreibtisch lag voller Schulbücher und -hefte. Ihr roter Wecker zeigte fünf nach drei. Leise fluchend setzte Kagome sich auf und nahm ihr Geschichtsbuch in die Hand. Sie musste sich wirklich ranhalten, wenn sie die Prüfung schaffen wollte. Und weil sie schon wieder beim Lernen eingeschlafen war, hatte sie eine wertvolle Stunde verloren. 1852 entdeckten die Menschen aus Edo, dem heutigen Tokyo, riesige schwarze Schiffe auf dem Meer. Sie standen unter dem Befehl des Amerikaners Perry, der... Kagome seufzte. Erstens hatte sie diesen Text schon dreimal gelesen und zweitens interessierte sie sich sowieso nicht für Geschichte. Teilweise war Geschichte zwar sehr interessant, besonders wenn man sie selbst erlebte, an der Seite eines Halbdämons namens Inuyasha, aber meistens war sie einfach nur langweilig und ermüdend. Bei dem Gedanken an Inuyasha schlich sich ein Lächeln auf Kagomes Lippen. Wenn sie diese blöde Prüfung hinter sich hatte, konnte sie endlich wieder ins Mittelalter zurückkehren und mit ihren Freunden Sango, Miroku und Shippo und natürlich mit Inuyasha die Splitter des Juwels suchen. „Guten Morgen, Kagome-chan!“, rief ihre Freundin Ayumi ihr fröhlich zu. „Morgen, Ayumi-chan“, erwiderte Kagome verschlafen. Sie hatte kaum zwei Stunden geschlafen und außerdem das Gefühl, alles wieder vergessen zu haben, was sie gelernt hatte. „Hast du wieder so lange gelernt? Wie geht es deinem Rücken?“, erkundigte Ayumi sich. Kagome seufzte und antwortete: „Meinem Rücken gehts super, aber ich bin todmüde. Ich sollte vielleicht beim nächsten Mal eher anfangen zu lernen.“ „Wenn dein Zustand es erlaubt“, fügte Ayumi grinsend hinzu. Kagome ließ nur einen erneuten Seufzer hören. „Hey, Kagome-chan! Auch mal wieder da?“, fragte Yuka, eine andere Freundin von Kagome, die gerade mit Eri auf dem Fahrrad ankam. Kagome nickte nur. Den ganzen Weg zur Schule schwieg sie und versuchte sich auf die geschichtlichen Fakten zu konzentrieren, die sie können musste, während Ayumi, Yuka und Eri sich über die neuste Mode unterhielten. Kagome verließ niedergeschlagen das Schulgebäude. Sie seufzte. Wie sie es schon vermutet hatte, hatte sie fast alles wieder vergessen. Nur die Legende des Bambusschneiders hatte sie mit einem siegessicheren Lächeln auf den Lippen aufschreiben können. Was ja auch verständlich war, denn sie hatte sie ja gewissermaßen selbst erlebt [siehe Inuyasha The Movie 2 – The castle beyond the looking glass]. Aber bei den meisten anderen Sachen hatte sie nur einfach irgendwas geschrieben. Wie sollte man sich auch solche blöden Jahreszahlen merken? „Wunderschönen guten Tag, oh Schönste aller Frauen!“, sagte plötzlich eine vornehme Stimme. Erschrocken drehte Kagome sich um. Vor ihr stand ein Mann. Aber was für ein Mann! Er trug ein tiefblaues Jacket mit vielen Knöpfchen. In seinem Ausschnitt prangte eine gewaltige Rüschenschleife und auch seine Ärmelsäume waren mit Rüschen versehen. Seine braunen Haare waren mit einer weiteren großen Schleife zu einem Zopf gebunden. „Äh... hallo...“, erwiderte Kagome völlig perplex. Was war das denn für ein Kerl? Der sah ja sehr merkwürdig aus. Und was wollte er überhaupt von ihr? Dieses „Schönste aller Frauen“ erinnerte sie ein wenig an den Mönch Miroku, der jede Frau fragte, ob sie nicht die Mutter seines Kindes sein wollte. Der Fremde lächelte charmant, machte dann eine tiefe Verbeugung und sagte: „Ich bin Jeile. Ich unterrichte Mesopotamisch an dieser Schule. Wie ist dein Name?“ Kagome antwortete, während sie immer noch gebannt auf diesen Jeile starrte: „Kagome Higurashi. Und ... was wollen Sie von mir, Jeile-sensei?“ „Du bist so viel schöner als jede andere Frau, die ich bis jetzt getroffen habe. Und manche Frauen sind wirklich wunderschön, Airi zum Beispiel ... Aber das kann dir jetzt egal sein. Du bist so wunderschön, deshalb werde ich dich auf die Kandidatenliste meiner potentiellen zukünftigen Ehefrauen setzen.“ „Pontentielle zukünftige Ehefrauen? Wollen Sie sich etwa an einer Schülerin vergreifen?“, rief Kagome. Jeile nickte und sagte: „Selbstverständlich. Schülerinnen sind die schönsten Mädchen überhaupt.“ Kagome sah ihn entgeistert an. Doch dann schrie sie: „Sind Sie verrückt? Es gibt schon genug Leute, die mich heiraten wollen!“ Jeile lächelte charmant und sagte: „Das ist verständlich, bei deiner Schönheit. Aber wollen wir uns nicht erstmal näher kennen lernen? Warum kommst du nicht mit zu mir?“ „Auf keinen Fall! Ich muss noch Hausaufgaben machen und außerdem muss ich heute Nachmittag zu ... meinem Freund zurück.“ Natürlich meinte sie Inuyasha, aber davon durfte sie diesem merkwürdigen Lehrer selbstverständlich nichts erzählen. Seit wann unterrichtete der überhaupt an dieser Schule? Kagome hatte ihn noch nie gesehen. „Ich geh dann mal“, murmelte Kagome und drehte sich um. Da begann Jeile, etwas zu flüstern. Es klang wie eine Art Zauberspruch. Kagome blieb stehen. Ihr wurde schwindelig. Die Gedanken schienen aus ihrem Kopf zu fliehen. Dann wurde ihr schwarz vor Augen; sie spürte nur noch, wie jemand seinen Arm um ihre Hüfte legte. Kagome blinzelte. Sie lag auf einem großen weichen Bett, das mit bunten Tüchern verhängt war. Langsam sah sie an sich herunter. Sie trug ein langes Kleid von dem Grün ihrer Schuluniform. An der Hüfte war es eng geschnürt und es hatte lange, weite Ärmel. Der ganze Stoff war mit kunstvollen Mustern verziert. „Guten Morgen, meine Göttin“, hörte sie hinter den Tüchern jemanden sagen. Dann schob eine Hand sie wie einen Vorhang zur Seite. Es war Jeile. Er hatte sich umgezogen und trug jetzt einen noch aufwändigeren, weißen Anzug mit noch mehr Rüschen als zuvor. Er lächelte Kagome freundlich an und schwärmte: „Du siehst himmlisch aus in diesem Kleid, meine Göttin!“ Kagome errötete von diesem Kompliment, dennoch fragte sie Jeile erbost: „Haben Siemir etwa dieses Kleid angezogen?“ „Nein, das war ich“, sagte eine hohe Stimme neben Jeile. Kagome sah erschrocken in die Richtung, doch sie konnte den Ursprung der Stimme nicht ergründen. „Tu nicht so, als sähest du mich nicht!“, sagte das Stimmchen empört. Da entdeckte Kagome es letztendlich doch: neben Jeiles linkem Ohr schwebte ein winzig kleines Wesen. „Wer... wer bist du?“, fragte Kagome verwirrt. „Ich bin Malulu“, sagte das Wesen stolz. Doch dann wurde ihre Stimme wieder wütend und sie sagte: „Aber Jeile-sama gehört allein mir! Er hat mir diese Schleife geschenkt!“ Du kannst ihn ruhig haben, hätte Kagome fast gesagt, doch Jeile sprach zuerst, seine Stimme war sanft und leise: „Malulu-chan, könntest du bitte wieder gehen? Wir haben hier... noch etwas zu tun.“ Schmollend schwebte Malulu davon. „So“, sagte Jeile und wandte sich erneut Kagome zu, „dann wollen wir mal“ „Was?“, fragte Kagome. Jeile sah sie erstaunt an. „Was wollen wir?“, fragte Kagome. Unbehagen stieg in ihr auf. Jeile lächelte nur breit und erhob vielsagend die Augenbrauen. Dann packte er sie plötzlich an den Schultern und drückte sie auf das Federbett. Sie protestierte: „La – Lassen Sie das, Jeile-sensei!“ Er beugte sich über sie und flüsterte in ihr Ohr: „Nenn mich doch einfach nur Jeile. Und in solch einer vertraulichen Situation sollte man sich wirklich nicht mehr siezen...“ Kagome versuchte sich von ihm loszureißen, doch er war stärker, als sie erwartet hätte. Auch ihr Versuch, ihn zu treten, misslang, denn er hatte sich auf ihre Beine gekniet. Jeile nahm die rechte Hand von Kagomes Schulter und machte sich an der engen Schnürung ihres Kleides zu schaffen. „Jeile-sensei! Hören Sie auf!“, rief Kagome hilflos. Ihr linker Arm war jetzt zwar frei, aber auch der war nicht stark genug, um Jeile von ihr weg zu drücken. Plötzlich ertönte ein Splittern. Überrschascht sahen beide zum Fenster. Durch die Tücher, die das Bett umgaben, konnten sie nur einen Schatten erkennen: die Gestalt stand im zerstörten Fenster und hatte die Faust erhoben. „Hey, du Mistkerl! Lass Kagome in Ruhe!“ „Inuyasha!“, rief Kagome erleichtert, als sie die Stimme des Halbdämons erkannte. Er sprang vom Fensterbrett und riss die Tücher zu Boden. „Raus!“, rief Jeile. „Du zerstörst gerade mein privates Schlafgemach, du ...“ „Halt die Fresse!“, schnauzte Inuyasha ihn an. Dann schnappte er sich Kagome und verschwand wieder durch das Fenster. „Hey! Gib mir meine Göttin wieder!“ Doch Inuyasha reagierte gar nicht auf ihn. Er ließ Kagome im Park, der das Schloss umgab, runter. „Danke!“, stieß sie aus. „Was war das für'n Kerl?“, fragte Inuyasha missgelaunt. „Äh... Er sagte, er wäre Lehrer an meiner Schule und unterrichte Mesopotamisch“, erwiderte Kagome zögernd. „Was is'n das schon wieder?“, erkundigte sich Inuyasha mürrisch. „Ähm... Mesopotamien liegt glaub ich irgendwo am Mittelmeer. Weiß ich nicht so genau“, erklärte sie. Dann sah sie ihn an und fragte: „Ähm... Warum bist du eigentlich hier? Ich hab doch gesagt, du sollst mich nicht immer holen kommen!“ „Mann, diese komische Prüfung ist doch jetzt vorbei, oder? Außerdem kannst du froh sein, dass ich dich gerettet habe“, schnauzte Inuyasha sie an. „Ich hätte mich schon selber retten können“, sagte Kagome beleidigt. Schmollend machten die beiden sich auf den Rückweg zum Higurashi-Schrein. Dort angekommen betrat Kagome das Haus und rief ihrem Bruder zu, der beim Essen saß: „Hey, Souta-kun, ich geh jetzt mit Inuyasha zurück. Sag das Mama, okay?“ „Wann kommst du denn wieder?“, fragte Souta neugierig, die Stäbchen in der Hand. „Weiß noch nicht, wahrscheinlich erst zur nächsten Prüfung, die ist erst nächsten Monat“, überlegte Kagome. Dann lief sie hoch in ihr Zimmer und packte alles, was sie brauchte, in ihren großen gelben Rucksack. Nachdem sie sich noch einmal versichert hatte, dass alles drin war, lief sie ins Esszimmer zurück. Souta, der noch immer seinen Reis aß, sagte mit vollem Mund: „Inuyafa if fon rüwerwewangen“[Inuyasha ist schon rübergegegangen] „Danke. Man spricht nicht mit vollem Mund“, murmelte Kagome, dann verließ sie das Haus und ging zum Brunnen rüber. „Kouga-kun!“, stieß Kagome überrascht aus und versteckte sich schnell hinter einem Stein in der heißen Quelle, in der sie gerade badete. Die Geschehnisse mit Jeile waren inzwischen einige Tage her und sie hatte sich wieder mit Inuyasha vertragen. Jetzt waren sie gerade, wie so oft, auf der Suche nach Narakus Schloss. „Hallo, Kagome-chan. Schön, dich wiederzusehen.“ Kagome steckte vorsichtig ihren Kopf an der Seite des Steins vorbei, um ihn anzusehen. Er grinste sie an. „Ja, schön dich zu sehen“, murmelte sie. „Ich weiß, wo Narakus Schloss ist!“, platzte es da aus Kouga heraus. „Echt? Wo?“, wollte Kagome gleich wissen. „Das... kann ich dir nicht sagen. Du verrätst es doch sowieso nur wieder diesem dreckigen Halbdämon und dann schnappt er mir die Chance weg, mich an Naraku zu rächen. Tut mir leid, Kagome-chan, aber das kann ich dir nicht verraten“, sagte er traurig. Dann drehte er sich um und wollte gehen. Kagome handelte sofort. Sie stürmte hinter dem Stein hervor, kletterte aus der heißen Quelle und hielt Kouga am Arm fest. Erstaunt drehte er sich um und starrte auf die nackte Kagome vor seinen Augen. Sie sah ihm fest in die Augen und sagte: „Bitte, Kouga-kun! Verrate mir den Standpunkt des Schlosses. Wir möchten doch unbedingt dabei sein, wenn du Naraku fertig machst. Du bist doch so ein starker und stolzer Wolfsdämon!“ Sie legte ihre Hand an seine vor Scham errötete Wange und sagte mit einem Lächeln: „Ich wäre dir wirklich sehr, sehr dankbar, wenn du mir dieses Geheimnis offenbaren würdest.“ Er stotterte: „Ähm... in Ordnung... ich... werde es dir verraten.“ „Danke, Kouga-kun!“, rief Kagome und fiel ihm überglücklich um den Hals. Wenn er jetzt noch Zweifel hatte, dann wusste sie auch nicht weiter. „Hey, Kagome! Alles in Ordnung? Was will dieser Typ hier?“, hörte sie plötzlich Inuyashas Stimme aus dem Gebüsch hinter Kouga. „MACH PLATZ!!“, schrie Kagome zornentbrannt. Dann wandte sie sich wieder Kouga zu. „Wo ist nun das Schloss?“, fragte sie mit sanfter Stimme. Doch Kouga hatte anscheinend seine Meinung geändert. Er sagte gekränkt: „Du tust doch jetzt nur so freundlich, damit du diesem stinkenden Hundevieh verraten kannst, wo das Schloss ist, damit er Naraku vor mir fertig machen kann. Sonst würdest du dich niemals so verhalten.“ Dann lief er schnell wie der Wind davon. Wütend wickelte Kagome sich ihr Handtuch um den Körper. Dann lief sie auf Inuyasha zu, der noch immer in dem Busch hockte und schrie ihn an: „Was sollte das denn jetzt schon wieder, du Spanner! Ich war gerade dabei aus Kouga herauszukitzeln, wo dieses Schloss liegt! Aber du musstest mir ja unbedingt dazwischenfunken!“ „Woher sollte ich denn wissen, dass der das weiß?! Ich dachte, er wollte dich schon wieder entführen!“, antwortete der Halbdämon gereizt. „Sah es so aus, als wollte er mich entführen?“, beschwerte Kagome sich. „Mann, ich dachte, du wärst in Gefahr, da hab ich nicht so genau drauf geachtet!“, schnauzte Inuyasha sie schlecht gelaunt an. „Ich hab langsam die Schnauze voll! Immer meckerst du rum, wenn ich dich retten will! Sei doch einfach mal dankbar!“, fügte er dann noch hinzu. „Bin ich aber nicht! Warum sollte ich dankbar dafür sein, dass du mir überhaupt nichts zutraust? Ich kann mich auch alleine retten! Weißt du was? Ich geh nach Hause!“, entschied Kagome schließlich. Kagome verließ fröhlich das Gelände des Schreins. In der Stadt traf sie ihre drei Freundinnen und begrüßte sie überschwänglich. Ayumi fragte: „Sag mal, was ist eigentlich mit dir los? Warum bist du so gut gelaunt?“ „Ich bin gut gelaunt?“, fragte Kagome grinsend. „Ähm... ja“, sagten ihre Freundinnen synchron und warfen sich vielsagende Blicke zu. Kagome schien das gar nicht zu merken. Sie fühlte sich gut, mal wieder ohne Prüfungsstress zur Schule gehen zu können. Außerdem war sie es wirklich langsam leid, sich dauernd mit Inuyasha streiten zu müssen. Im Unterricht war Kagome sehr aufmerksam. Sie hatte viel verpasst und musste das möglichst schnell wieder aufholen. Denn bestimmt würde sie bald ins Mittelalter zurückkehren müssen. Die anderen brauchten sie schließlich, um die Splitter des Juwels zu finden. Aber was sollte denn so aus ihr werden? Entweder würde sie es gerade so schaffen, die Oberschule zu beenden und dann irgendeinen Billigjob zu bekommen, oder es würde in einem Nervenzusammenbruch enden, weil sie an den wenigen Tagen, an denen sie in der Gegenwart war, viel zu viel arbeitete und lernte. Also musste sie darauf hoffen, dass sie bald alle Splitter des Juwels zusammenhatten und Naraku besiegen würden. Langsam ärgerte sie sich darüber, dass sie überhaupt in diese ganze Geschichte reingeraten war. Nach der Schule verließ Kagome fröhlich hüpfend das Gebäude. Sie würde zu Hause ihre Hausaufgaben erledigen und für den Abend hatte sie sich mit Houjou am Kino verabredet. Bis jetzt war immer etwas dazwischen gekommen, aber heute würde sie ihn nicht wieder versetzen! Vielleicht würden die beiden dann ein Paar werden... Es ist toll, mal wieder ein paar Tage als normaler Teenager zu verbringen!, dachte sie vernügt. „Was für eine Freude, nach so langer Zeit wieder deine wunderschöne Gestalt zu erblicken!“, hörte sie in diesem Moment eine Männerstimme hinter sich. Langsam drehte sie sich um. Jeile, der Mesopotamischlehrer, kniete vor ihr. Er hielt ihr mit einem Lächeln eine rote Rose entgegen. Kagome errötete ein wenig und sagte: „Hallo, Jeile-sensei...“ Er neigte seinen Kopf zum Boden und sagte leise und erstaunlich ernst: „Ich bitte vielmals um Verzeihung für das, was ich dir angetan habe. Ich hätte dich nicht so überfallen dürfen. Es tut mir unendlich leid.“ „Ähm... das ist schon okay“, murmelte Kagome, der es allmählich unangenehm wurde, da ein paar Schüler sie und Jeile schon mit merkwürdigen Blicken besahen. Es musste aber auch merkwürdig aussehen, wie er da vor ihr hockte in seinen ungewöhnlichen Klamotten, die Rose in der Hand und das Haupt gesenkt. „Würdest du als Wiedergutmachung eine Einladung zum Essen annehmen?“, fragte er und sah auf. „Ähm...“ Kagome zögerte. Jeile sprang auf, schmiss kurzerhand die Rose auf den Boden und packte sie an den Schultern. „Bitte, Kagome-chan. Ich könnte es nicht ertragen, wenn du jetzt schlecht über mich dächtest! Oder ist es dir meine Gegenwart etwa unangenehm?“, fragte Jeile und sah ihr fest in die Augen. „Nein, eigentlich...“, begann sie. „Okay, dann ist das verabredet“, sagte Jeile erleichtert, „wir treffen uns heute Abend um sieben Uhr am Eingang zum Stadtpark, in Ordnung?“ Völlig überrumpelt von seinem plötzlichen Entschluss nickte sie einfach. Unsicher sah Kagome sich um. Es war punkt sieben Uhr und Jeile war noch nicht da. Sie hingegen wartete schon seit einer Viertelstunde am Eingang zum Park. Erstens wollte sie auf keinen Fall zu spät kommen, und zweitens hatte sie zu Hause sowieso nichts zu tun gehabt. Da kam Jeile auch schon angelaufen. Schnaufend blieb er vor Kagome stehen und sagte: „Tut mir leid... dass ich so spät bin... ich hatte noch was zu erledigen... Aber jetzt können wir gehen“ „Ähm... Möchten Sie nicht vielleicht erst ein wenig verschnaufen?“, schlug Kagome vor. „Sie sehen sehr erschöpft aus.“ Jeile lächelte und sagte: „Das bin ich auch. Ich wollte dich ja schließlich nicht allzu lange warten lassen. Und du kannst mich ruhig duzen. Dieses `Sie´ wirkt so distanziert.“ Nachdem Jeile sich eine Weile ausgeruht hatte, machten die beiden sich auf den Weg durch den Park. Dieser war nicht sonderlich lang, denn Jeiles Schloss befand sich ja in ebendiesem Park. Deshalb gelang es ihnen auch nicht, ein richtiges Gespräch auf die Beine zu stellen. Im Schloss angekommen führte Jeile Kagome in ein kleines, romantisch eingerichtetes Zimmer. Die himmelblauen Vorhänge waren zugezogen, so dass das Licht der einfallenden Abendsonne ein wenig gedämmt wurde. Der Tisch in der Mitte des Raumes war von einem weißen Tischtuch bedeckt und auf ihm stand eine Kerze mit flackernder Flamme. „Was sagst du dazu?“, erkundigte sich Jeile. „Ich habe das Zimmer speziell für diesen Abend herrichten lassen.“ Kagome erwiderte lächelnd: „Ich finde es schön.“ Jeile sagte stolz: „Oh ja, meine Dienstmädchen haben wirklich einen Blick für solche Dinge.“ Und in diesem Moment betrat eines dieser Dienstmädchen in einem rüschenbesetzen Kostüm durch eine Seitentür den Raum. Sie machte einen kleinen Knicks und fragte dann: „Wünschen Sie schon etwas zu trinken?“ Kagome fragte: „Was haben Sie denn da?“ Das Mädchen antwortete mit einem Lächeln auf den Lippen: „Was Sie wünschen. Wir haben eigentlich alles, von einfachem Mineralwasser bis hin zu den erlesensten französisch Weinen.“ Kagome überlegte kurz. Sie hatte noch keine Erfahrung mit Alkohol gemacht, da sie erst fünfzehn Jahre alt war und das Trinken von Alkohol in Japan erst mit zwanzig erlaubt war. Aber einmal probieren konnte ja nicht schaden. „Ich nehme einen Rotwein“, entschied sie schließlich. „Was für einen?“, wollte das Dienstmädchen wissen. „Egal. Ich bin da nicht so wählerisch“, log Kagome. Jeile sagte: „Ich nehme meinen Lieblingswein, du weißt bescheid. Den wird Kagome-chan auch mögen.“ „In Ordnung“, sagte das Mädchen und verließ den Raum. „Setzen wird uns doch hin“, schlug Jeile vor. Kagome nickte. Die beiden ließen sich auf den Stühlen nieder, die neben dem Tisch standen. Jeile stützte den Kopf auf seine Hände und sah Kagome unverwandt an. Sie wich seinen Blicken aus und dachte: Ich hätte vielleicht doch etwas anderes als meine Schuluniform anziehen sollen. So saßen sie eine Weile schweigend da; Jeile sah Kagome an und diese zupfte verlegen an ihrem kurzen Rock herum. „Deine Augen sind wunderschön. Hat dir das schon mal jemand gesagt?“ Kagome wurde noch verlegener und sagte leise: „Nein“ Oder vielleicht doch? Hatte Inuyasha nicht schon mal...? Nein, dafür war er gar nicht der Typ! Und wenn überhaupt, dann hat er sie bestimmt mit Kikyous Augen verglichen... Kagome seufzte. Ja, Inuyasha dachte immer nur an Kikyou. Auch in ihr sah er wahrscheinlich immer noch nur die Reinkarnation von Kikyou, nicht sie selbst, nicht Kagome Higurashi. Erst als Jeile fragte: „Kagome-chan, was hast du?“, tauchte sie wieder aus ihren Gedanken auf. „Es... es ist nichts“, murmelte sie. Doch Jeile ließ nicht so schnell locker. „Ich merke doch, dass dich etwas bedrückt.“ Kagome seufzte erneut. Dann erklärte sie: „Ja, Sie... du hast Recht. Aber ich möchte nicht darüber sprechen. Ich komme schon alleine damit klar.“ Jeile sagte mit einem verständnisvollen Lächeln: „Ich möchte zwar nicht, dass etwas deine Stimmung trübt, aber wenn du es mir nicht mitteilen möchtest, dann muss ich das wohl akzeptieren.“ Kagome nickte nur. Schon wenig später brachte das Dienstmädchen die Getränke. Auf der Weinflasche stand der Name Astellare. Kagome kam er gänzlich unbekannt vor. Aber sie wollte auch nicht nach seiner Herkunft fragen, da Jeile sie dann vielleicht für unerfahren halten würde. Jeile erhob das Glas und sagte: „Auf dich!“ Kagome stieß zögernd mit ihrem dagegen. Jeile schenkte ihr ein freundliches Lächeln. Dann trank er einen Schluck. Auch Kagome führte das Glas zm Mund und trank. Dieser Wein schmeckte außergewöhnlich gut. Er war sehr süß, ganz anders, als Kagome es erwartet hatte. Deshalb trank sie gleich noch einen Schluck. Jeile fragte: „Und? Schmeckt er dir?“ Kagome antwortete: „Ja, ich mag ihn sehr gerne.“ Das Dienstmädchen erläuterte kurz, was sie für das Essen geplant hatte. Das meiste davon war französischer Herkunft, einiges war Kagome allerdings auch vollkommen unbekannt. Ich werde es schon mögen, dachte sie sich. Nach einer Weile sagte Jeile: „Weißt du was? Ich habe schon so viele schöne Frauen in meinem Leben getroffen. Und sie alle haben von mir den Namen einer Blume bekommen, die Namen meiner Lieblingsblumen. Auch bei dir habe ich überlegt, welche Blume zu dir passen könnte.“ „Und? Zu welchem Ergebnis bist du gekommen?“, fragte Kagome interessiert. „Zu keinem. Es gibt einfach keine Blume auf dieser Welt – und auch nicht auf irgendeiner anderen Welt – die deiner Schönheit ebenbürtig ist.“ Kagome kicherte verlegen und sagte: „Danke!“ Das Essen war aufgetragen worden und die beiden ließen es sich reichlich schmecken. Kagome war inzwischen bei ihrem dritten Glas Wein angelangt. Jeile fragte: „Was machst du eigentlich so in deiner Freizeit?“ „Was für 'ne Freizeit?“, fragte Kagome. „Ich hab keine Freizeit, ich jage den lieben langen Tag mit einem unfreundlichen Hundedämon durch die Wälder und suche die Splitter irgendeines komischen Juwels.“ Eigentlich sollte sie nicht vor anderen Leuten von diesem Geheimnis sprechen, aber das war ihr in diesem Moment ziemlich egal. Sie fühlte sich so frei, es schien keine Regeln und Grenzen zu geben, die sie beachten musste. Es fühlte sich an wie ein Traum. „Ein Hundedämon? Wie interessant! Etwa dieser, der beim letzten Mal einfach ins Zimmer gestürmt ist?“, erkundigte sich Jeile. „Ja, genau der. Der bildet sich immer ein, ich wäre total hilflos und er müsste mir immer helfen. Das geht mir total auf die Nerven! Und außerdem hänge ich wegen diesem blöden Köter in der Schule total weit zurück und komm überhaupt nicht mehr nach mit lernen. Wie soll ich es denn so zu was bringen?“ „Das ist natürlich wahr. Aber wenn er dich für so hilflos hält, warum sucht er die Splitter dieses Juwels dann nicht alleine?“ „Er würd sie gar nicht alleine finden. Nur ich spüre sie schon von weitem und darum brauchen sie mich.“ „Sie? Wer ist da denn noch außer diesem Dämon?“ „Das ist eine sehr komische Truppe. Da wäre zum einen ein Lüstling, der sich Mönch nennt, und eigentlich nur darauf aus ist, einen Nachfolger zu zeugen. Und dann ist da noch diese Dämonenjägerin, die voll den Bruderkomplex hat und nur mit uns mitgeht, weil sie glaubt, wir könnten ihr helfen, ihren Bruder zurückzuholen. Der Kleine ist sowieso so gut wie tot. Und dann läuft uns auch noch immer so ein winziger Fuchsdämon hinterher, der uns eigentlich überhaupt keine Hilfe ist, weil er außer Illusionskünsten überhaupt nichts drauf hat. Aber am schlimmsten ist immer noch Inuyasha, der Hundedämon höchstpersönlich. Dieser Idiot hätte mich schon mal fast getötet, als sein Dämonenblut zum Vorschein gekommen ist!“ „Fast getötet? Wie schrecklich! Und mit so einem gibst du dich noch ab?“ „Ich bin praktisch dazu gezwungen. Schließlich habe ich dieses verdammte Juwel zertrümmert. Ehrlich gesagt war ich ja mal in Inuyasha verliebt und habe sogar geglaubt, er würde meine Gefühle erwidern, aber er sieht in mir immer nur die Reinkarnation von Kikyou, von seiner Kikyou. Dabei ist die doch eigentlich schon längst tot! Meinetwegen soll er doch mit ihr zur Hölle fahren!“ „Deine Gefühle scheinen sich ja sehr geändert zu haben...“ „Mir ist einfach nur klar geworden, was er doch für ein Idiot ist.“ „Ja, für mich klingt er auch sehr unfreundlich! Soll er doch versuchen, ohne dich klarzukommen!“ „Da hast du völlig Recht! Ich werde dem Typen bestimmt nicht noch länger hinterherlaufen! Sonst bildet er sich noch irgendwas darauf ein!“ Jeile schenkte ihr ein freundliches Lächeln, doch sie war viel zu wütend, um ihn überhaupt zu bemerken. „Jeile?“, fragte sie nach einer Weile. „Was ist denn?“, wollte er wissen. „Ich bin so müde... Mein Kopf fühlt sich so schwer an...“ Bevor er irgendetwas tun konnte, landete ihr Kopf auf dem Tisch. Kagome wandelte durch die Dunkelheit. Alles war schwarz. Sie konnte noch nicht einmal die Hand vor Augen sehen. Ein unangenehmes, kaltes Gefühl kroch durch ihren ganzen Körper. Sie fühlte sich einsam. Sie wollte Licht sehen, Feuer, irgendwas, was diese unendliche Dunkelheit verscheuchte. Und dieses Licht kam, in Person eines ihr bekannten Menschen. „Jeile“, flüsterte sie erleichtert. Er trug einen weißen Anzug mit den üblichen Rüschen. Es schien Kagome, als sei er von einem wundersamen weißen Schimmer umgeben. Er lächelte freundlich und kam langsam auf sie zu, vertrieb die Dunkelheit um sie herum und die Einsamkeit in ihrem Herzen. Er nahm sanft ihre Hand in seine und fragte: „Kagome-chan, willst du mich heiraten?“ Sie konnte nicht anders, als einfach mit Tränen des Glücks in den Augen zu nicken und in sein freundlich lächelndes Gesicht zu blicken. Und mit einem Mal wurde alles taghell. Kagome und Jeile standen vor einem Altar. Sie bemerkte, dass auch sie jetzt Weiß trug, ein wunderschönes weißes Kleid. Jeile hatte ihre Hand genommen und sah glücklich zu dem Priester vor ihnen. Dieser sagte: „Ich erkläre Sie nun zu Mann und Frau.“ Jeile drehte sich zu seiner Braut um und sah in ihre unendlich schönen kastanienbraunen Augen. Und sie sah zurück. Sie fühlte sich wunderbar. Eine kühle Hand berührte Kagomes Arm und eine sanfte Stimme flüsterte in ihr Ohr: „Wach auf, Kagome-chan.“ Verwirrt schlug sie die Augen auf und sah in Jeiles Gesicht. Dieser sagte: „Es ist schon halb elf. Ich denke, du solltest langsam nach Hause gehen.“ Kagome richtete sich erschrocken auf. „Halb elf?“ Jeile nickte. Dann sagte er: „Aber vorher muss ich dich noch etwas von hoher Bedeutung fragen.“ „Was denn?“, fragte Kagome mit einem kribbligen Gefühl in der Magengegend. Sie erinnerte sich sehr gut an den Traum, den sie gerade gehabt hatte. „Kagome-chan. Willst du mich heiraten?“ Doch Kagome reagierte nicht genauso wie in ihrem Traum. Sie fragte: „Und was ist mit den anderen Frauen auf der Liste deiner potentiellen zukünftigen Ehefrauen?“ Jeile erwiderte: „Die habe ich alle gestrichen, während du geschlafen hast. Sie bedeuten mir nichts mehr. Kagome-chan, ich will nur dich.“ Ein wenig misstrauisch seiner plötzlichen Wandlung gegenüber sagte Kagome: „Dann... dann werde ich es mir überlegen.“ „Ach so...“, sagte Jeile. Er lächelte zwar noch immer, aber sein Blick war zu Boden gerichtet und nicht mehr auf Kagome. Diese sagte: „Ich geh dann mal“, und verließ schnell den Raum. An der frischen Luft atmete sie erst einmal tief durch. Sie war verwirrt. Sie wusste nicht, was sie fühlen sollte, was sie denken sollte. Noch vor wenigen Tagen war sie wie selbstverständlich mit ihren Freunden durchs Mittelalter gezogen. Und mit Inuyasha. Und jetzt so etwas. Sie wusste wirklich nicht, was sie für Jeile empfand. Musste sie ihn nicht eigentlich hassen, nachdem er sie beim ersten Mal so behandelt hatte? Aber nach diesem Traum waren ihre Gedanken wie verändert. Jeile war für sie da gewesen in der Dunkelheit und hatte ihr Herz erleichtert. Dieser Traum musste doch etwas bedeutet haben! Aber sie war erst fünfzehn. Sie war noch gar nicht alt genug, um heiraten zu dürfen. Und was würde ihre Familie überhaupt dazu sagen? Sie musste unbedingt mit ihrer Mutter darüber reden! Jeile saß in seinem Zimmer und starrte gedankenverloren aus dem Fenster in die dunkle Nacht. Was würde Kagome ihm antworten? Würde sie ja sagen? Oder nicht? Er war sich so sicher, dass dieser Zaubertraum, den er ihr geschickt hatte, sie überzeugen musste. Aber dann war diese Antwort gekommen. Würde sie überhaupt zu ihm zurückkehren? Oder würde er sie nie wiedersehen...? Vielleicht hatte er auch erneut zu überstürzt gehandelt. Sie kannte ihn doch kaum. Warum sollte sie ihn nur wegen einem Traum heiraten wollen? Außerdem war sie ja erst fünfzehn. Laut den Regeln dieses Landes durfte sie noch gar nicht heiraten. Und bestimmt würde ihre Familie es auch nicht erlauben. Jeile seufzte. Er hatte mal wieder alles falsch gemacht. Und aus diesem Grund würde er jetzt vielleicht nicht bei der Frau sein können, die er liebte. Kagome betrat das Haus und rief: „Ich bin wieder da!“ Sofort kam ihr kleiner Bruder angestürmt und fragte: „Wo warst du?“ Kagome sah ihn erstaunt an. „Hab ich euch das nicht gesagt?“ „Du hast gesagt, du gehst mit Houjou-kun ins Kino, aber er hat vorhin angerufen und gefragt, warum du nicht kommst.“ „Houjou-kun? Den hab ich ja völlig vergessen! Ich war mit ... jemand anderem essen.“ „Mit wem denn?“ „Das geht dich überhaupt nichts an. Musst du nicht ins Bett? Es ist schon fast elf und du musst morgen zur Schule!“ „Du aber auch!“ „Ich bin älter als du!“ Souta streckte ihr die Zunge raus, dann ging er aber wirklich hoch in sein Zimmer. Kagome seufzte und setzte sich an den Tisch. Sie dachte nach. Was sollte sie auf Jeiles Frage antworten? Sie kannte ihn doch eigentlich kaum. Aber dann war da dieser Traum gewesen. Sie hatte sich so glücklich gefühlt, als sie ihn gesehen hatte. Aber hätte sie sich nicht beim Anblick einer jeden Person in dieser Dunkelheit glücklich und erleichtert gefühlt? Und was war überhaupt mit Inuyasha? Inuyasha ist ein Idiot! Er liebt doch eigentlich nur Kikyou, ich bedeute ihm rein gar nichts... Ihre Mutter betrat den Raum und setzte sich neben sie. „Hallo, Kagome-chan. Wo warst du so lange?“, fragte sie ihre Tochter. „Das... das spielt doch jetzt gar keine Rolle. Ich muss eine wichtige Entscheidung treffen“, antwortete Kagome. „Was denn für eine Entscheidung?“ „Eine Entscheidung für mein Leben.“ „Geht es um Inuyasha?“ „Ja, gewissermaßen schon.“ Kagome wollte ihrer Mutter nicht die ganze Wahrheit erzählen. Aber sie wollte sie auch auf keinen Fall belügen. Ein wenig hatte die Sache ja schon mit Inuyasha zu tun. „Egal was es ist, du solltest es dir genau überlegen, wenn es so eine wichtige Entscheidung ist.“ „Ich habe schon darüber nachgedacht. Aber ich weiß einfach nicht, wie ich mich entscheiden soll.“ „Bei so einer Entscheidung ist das Wichtigste, dass du auf dein Herz hörst. Schalte deinen Verstand für eine Weile aus und höre auf das, was dein Herz dir sagt.“ „Es... es geht um eine Bindung fürs Leben. Bei so etwas sollte ich meinen Verstand nicht ausschalten.“ „Vergiss für einen Moment, dass du erst fünfzehn bist. Denke einfach daran, ob du dein Leben mit dieser Person verbringen möchtest oder nicht.“ In diesem Moment wurde es Kagome klar: Sie kannte Jeile eigentlich kaum, sie wusste so gut wie gar nichts über ihn, aber... Ich will bei ihm sein! Dieser Traum hat es mir gezeigt! Er ist derjenige, mit dem ich mein Leben verbringen will! Er ist derjenige, den ich liebe. Kagome stand auf und sagte: „Danke, Mama. Ich habe jetzt meine Entscheidung getroffen. Dafür werde ich dir ewig dankbar sein. Morgen früh werde ich zu ihm gehen.“ Ihre Mutter lächelte nur. An diesem Morgen riss Kagomes Wecker sie schon um halb fünf aus dem Schlaf. Sofort sprang sie auf, wenn auch noch etwas schläfrig, und zog sich um. Nachdem sie sich die Splitter des Juwels der Vier Seelen geschnappt hatte, verließ sie leise das Haus – sie wollte niemanden aufwecken – und lief zu dem kleinen Haus, in dem sich der Brunnen befand. Als sie davor stand, und schon die Hand auf das Holz gelegt hatte, hielt sie einen Moment inne. Es würde das letzte Mal sein, dass sie in diesen Brunnen sprang. Denn sie hatte sich entschieden, Inuyasha und alle anderen aus dieser anderen Zeit für immer zu verlassen. Entschlossen sprang sie in den Brunnen hinein, spürte den Strom der Zeit an sich vorbeifließen und landete schon nach wenigen Sekunden im steinigen Inneren des Knochenfresserbrunnens im Mittelalter. Sie kletterte hinaus. Die aufgehende Sonne tauchte den Wald in ein zartes Orange. Doch das kümmerte Kagome in diesem Moment weniger. Deshalb durchschritt sie schnell den Wald und sah schon bald das kleine Dorf, in dem Kaede lebte. Sie ging an den Feldern vorbei und dann stand sie endlich vor der kleinen Hütte, in der Kikyous kleine Schwester sich niedergelassen hatte. Kagome schob vorsichtig die Bambusmatte zur Seite, die als Tür diente und betrat die Hütte. Sofort richtete Kaede, die am anderen Ende des kleinen Raumes lag, sich auf und fragte: „Wer ist da?“ „Ich bin's nur, Kagome.“ Kaede seufzte und sagte: „Hast du mich erschreckt, Kagome-chan.“ Kagome setzte sich neben sie und sagte ohne Umschweife: „Ich werde heiraten.“ Kaede schien nicht sehr erstaunt über diese Aussage. „Wen? Kouga-kun? Oder jemanden aus deiner Welt?“ „Jemanden aus meiner Welt. Er heißt Jeile.“ „Und warum bist du hier? Bestimmt nicht nur, um uns diese freudige Botschaft zu überbringen, oder?“ Kagome schüttelte den Kopf. Dann schwieg sie. Komm schon, Kagome, drängte sie sich, du hast dir doch schon die Worte zurechtgelegt! Und obwohl es ihr schwer fiel, es zu sagen, tat sie es schließlich doch. „Kaede-sama... Hier sind die Splitter des Juwels der Vier Seelen. Gib sie Sango-chan, sie wird gut darauf aufpassen. Ich habe beschlossen ... diese Zeit zu verlassen.“ Kaede nahm schweigend die Splitter entgegen und steckte sie in ihr Gewand. „Und, Kaede-sama, eins noch: bitte Sango, den Knochenfresserbrunnen zu zerstören. Sonst wird Inuyasha kommen, um mich zurückzuholen.“ Kaede nickte nur. Dann sagte sie leise: „Ich werde deine Anweisungen befolgen ... Es ist schade, dass du gehst, aber ich will dich nicht aufhalten. Du wirst dir viele Gedanken über diese Entscheidung gemacht haben. Danke für die Zeit, die du bei uns warst.“ Kagome konnte ihre Tränen kaum noch zurückhalten. Deshalb fiel sie Kaede kurz um den Hals und flüsterte: „Danke für alles.“ Dann verließ sie rasch die Hütte und rannte aus dem Dorf. Die Tränen fanden den Weg in ihre Augen und glitzerten im Licht der Sonne, die schon ein wenig weiter gewandert war auf ihrer tagtäglichen Reise am Himmelszelt. Jetzt stand Kagome auf der Lichtung, direkt vor dem Brunnen. Sie musste nur noch hineinspringen. Doch wollte sie das wirklich? Dann würde alles vorbei sein. Sie würde niemals zurückkommen können, niemals. Auf einmal war sie sich nicht mehr sicher, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Die Zeit hier war teilweise so schön gewesen. Sie erinnerte sich daran, wie sie Inuyasha das erste Mal getroffen hatte. Sie erinnerte sich an seine weichen Hundeohren und seine glänzenden goldenen Augen. Sie erinnerte sich an das, was im Grab von Inuyashas Vater geschehen war, wie Inuyasha gesagt hatte, er werde sie beschützen. Sie erinnerte sich daran, wie sie Miroku, Sango und Shippo kennnen gelernt hatte. Sie erinnerte sich daran, wie Inuyasha sie einmal angesehen hatte... Aber damals hat er nicht mich gesehen! Er hat Kikyou in mir gesehen! Und dieser Gedanke war es, der sie aus ihrer Starre löste und sie durch den Brunnen springen ließ. Während sie die Zeit durchquerte, zum letzten Mal in ihrem ganzen Leben, dachte sie mit einem traurigen Lächeln: Auf Nimmerwiedersehen, meine Freunde... Kagome kletterte aus dem Brunnen und verließ dann das kleine Häuschen. Unbemerkt verließ sie das Gelände des Schreins. Es war kalt hier in der Stadt, schließlich war es erst halb sechs. Kagome fror in ihrer knappen Schuluniform. Und wieder stiegen Zweifel in ihr auf. Warum hatte sie nur diese Entscheidung getroffen? Hatte sie nicht einst beschlossen, dass sie bei Inuyasha sein wollte, obwohl er Kikyou liebte? War ihr nicht schon längst klargeworden, dass sie Inuyasha liebte? Und jetzt würde sie diesen Inuyasha, der ihr so viel bedeutet hatte, nie wieder sehen... Zum Zweifeln ist es jetzt zu spät!, schalt sie sich selbst. Ich habe auf mein Herz gehört, und das hat sich für Jeile entschieden! Und wenn ich meinem Herz nicht mehr vertrauen kann, kann ich niemandem mehr vertrauen. Und mit diesem Gedanken fest im Kopf verankert durchquerte sie die leeren Straßen und kam schließlich an Jeiles Schloss an. Mit pochendem Herzen klopfte sie an das große Eingangstor. Schon wenig später wurde ihr von einem Dienstmädchen geöffnet. Kagome, die Jeile erwartet hatte, sagte verwirrt: „Ähm... ich möchte Jeile sprechen...“ Das Dienstmädchen fragte: „Wie ist Euer Name?“ „Kagome Higurashi.“ Das Mädchen verbeugte sich und sagte: „Bitte folgt mir.“ Sie machte einen Schritt zur Seite und ließ Kagome eintreten. Nachdem sie die Tür wieder geschlossen hatte, führte sie Kagome durch die großen Räume des Schlosses. Als sie im zweiten Stock angekommen waren, blieb das Mädchen vor einer rot lackierten Tür stehen. Sie klopfte an die Tür und sagte: „Jeile-sama, Higurashi-san ist eingetroffen.“ Sofort wurde die Tür aufgerissen und Jeile stand vor den beiden. „Komm herein“, bat Jeile sie mit einem glücklichen Lächeln. Kagome gehorchte und betrat sein Gemach. Er schloss die Tür und sagte: „Vielen Dank, dass du gekommen bist. Ich dachte schon, ich würde dich nie wiedersehen.“ „Aber du hast mich doch etwas gefragt! Da muss ich doch zurückkehren“, gab Kagome empört zurück. Jeile sah sie gerührt an und sagte: „Ich finde es toll, dass das für dich so selbstverständlich ist.“ Kagome lächelte unsicher. Dann sagte sie: „Ich habe mich entschieden.“ Jeile sah sie ernst an. Jetzt war es soweit. In diesem Moment würde entschieden werden, ob er glücklich sein würde in seinem Leben oder nicht. „Jeile...“ Sie sah ihm fest in die Augen. „Ja, ich möchte dich heiraten.“ Er konnte sich nicht mehr beherrschen. Er musste ihr einfach um den Hals fallen. Tränen der Freude stiegen in seine Augen. Es war so wunderbar. Er würde sie heiraten. Sie, die Frau seiner Träume. Kagome fühlte sich erleichtert. Sie hatte es hinter sich gebracht. Jetzt würde es ihr bestimmt leichter fallen, Inuyasha und ihre Freunde zu vergessen. Sie lächelte und legte ihre Arme sanft um Jeile. Kagome saß auf dem Bett in einem der vielen Zimmer des Schlosses von Jeiles Vater und wartete auf ihren zukünftigen Ehemann. Sie war sehr erstaunt gewesen, als Jeile ihr nach ihrer Zusage erzählt hatte, er sei der Prinz eines Zauberreiches. Erst hatte sie ihm nicht geglaubt, doch er hatte sie ziemlich schnell überzeugen können, da sie ja schon Erfahrung mit fremden Welten hatte. Das Zauberreich, in das er gehörte, hieß Astelle. Es war anders als die Welt, aus der Kagome stammte, aber sie fühlte sich dort eigentlich ganz wohl. Fremde Sitten und Bräuche schreckten sie schon lange nicht mehr ab. Jeile war sich zu Anfang nicht sicher gewesen, ob sie die andere Welt betreten konnte, aber nachdem sie ihm von ihren Ausflügen in die Vergangenheit erzählt hatte, waren seine Zweifel beseitigt. Und es war ihr dann auch tatsächlich gelungen, ihm nach Astelle zu folgen. Jeile betrat den Raum. Kagomes Anblick zauberte ein Lächeln auf seine Lippen. „Du bist wunderschön“, sagte er. Kagome stand auf und betrachtete sich noch einmal in dem großen Spiegel, der an der Flügeltür ihres Schrankes angebracht war. Sie trug ein langes weißes Kleid, wie es auch in diesem Land zu Hochzeiten üblich war. Es war sehr schlicht, aber die Schneiderinnen hatten gemeint, das würde ihre Schönheit noch mehr zum Ausdruck bringen. Jeile flüsterte ihr von hinten ins Ohr: „Dieses Weiß harmoniert hervorragend mit deinem obsidianschwarzem Haar.“ Kagome drehte sich zu ihm um und sagte: „Vielen Dank, Jeile. Und du siehst so majestätisch aus in diesen Klamotten...“ Sie strich einen Fussel von dem weißen Stoff seiner Kleidung. Er ergriff ihre behandschuhte Hand und sagte: „Lass uns gehen! Dieses Fest dürfen wir nicht verpassen.“ „Du hast Recht. Denn dieses Fest, dieser Tag, gehört nur uns allein.“ Nur einer ist bei dieser Geschichte völlig leer ausgegangen: Houjou. Der wartet wahrscheinlich sehnsüchtig darauf, dass Kagome endlich diese elenden Windpocken los wird, wegen denen sie laut ihrem Großvater mal wieder nicht zum Unterricht erscheinen kann. Kapitel 16: Noah und Hinagiku - Was sich liebt das neckt sich ------------------------------------------------------------- Von Hier hatten wir mal wieder eine Haarfarbe als Bedingung: grün. Da Noah eigentlich schon tot ist, haben wir seine Familienverhältnisse einfach an die von Seto angepasst, was hätten wir auch sonst machen sollen? Also wundert euch bitte NICHT, wenn er hin und wieder mit „Kaiba“ angesprochen wird, ich finde auch, dass „Kaiba“ immer Seto ist... Ich habe mir erlaubt, ein (fast) Zitat aus „Plötzlich Prinzessin“ einzubauen, nämlich das mit dem Rasen. Das Dritte ist japanisch und heißt „Würde es Ihnen etwas ausmachen, die Wiese zu verlassen?“. Hoffe, dass die Story euch gefällt. Was sich liebt das neckt sich „Bist du bereit, Hina-chan?“, fragte Hanasaki Momoko aufgeregt ihre Freundin Tamano Hinagiku. Diese grinste breit und schnürte das rote Band um ihre Stirn mit einem Doppelknoten zu. „Und wie bereit ich bin!“, gab sie selbstsicher von sich. „Dann zeig’s den anderen“, kam es von Tanima Yuri. „Was denkst du denn?“, fragte die grünhaarige Hinagiku und zupfte ihr Sportoutfit noch einmal zurecht. „Viel Glück“, wünschten ihr ihre Freundinnen im Chor. Sie machte einen kleinen Sprung, wie um warm zu werden, und machte sich dann im Laufschritt auf den Weg zu den Rennbahnen. Die Läufer der anderen Klassen standen schon größtenteils bereit und die meisten von ihnen waren Jungen, die sich gerade dehnten. Nur die 1-F hatte auch ein Mädchen für den 70-m-Sprint aufgestellt, das Hinagiku allerdings nicht näher kannte. Sie stellte sich auf einer der Bahnen auf und musterte ihre Konkurrenz. Die 1-A hatte natürlich Fuma aufgestellt, den Freund von Momoko, aber sie wusste, dass Laufen nicht gerade seine Stärke war. Dafür war er einfach ein bisschen zu plump. Als Torwart kam ihm das sehr zugute, aber ihn würde sie sicher schlagen. Und wer war da noch? Den Läufer der 1-B kannte sie nicht, aber er hatte nicht die Statur eines Läufers, auch sah er nicht gerade sehr glücklich aus. Vermutlich hatte die Klasse ihn gegen seinen Willen dazu gewählt, hier anzutreten. Der Kerl aus der E sah sehr athletisch aus, gegen ihn würde sie es schwer haben. Und wo war der Läufer der D? Das schienen sich auch die Mädchen vom Organisationskomitee zu fragen, denn sie sahen sich suchend um. Die beiden, die bereitstanden um den Startschuss zu geben, flüsterten kurz miteinander, dann lief eine von ihnen zum Organisationszelt, das in der Mitte des Sportplatzes aufgebaut worden war. Hinagiku hatte sich schon seit Wochen auf das Sportfest der Hanazono-Chuugakkou [Mittelschule, also 7.-9. Klasse, die 1. Mittelschulklasse entspricht also unserer 7.] gefreut. Dass sie von ihrer Klasse für den Sprint gewählt werden würde, war ihr von vornherein klar gewesen. Laufen konnte sie gut, auch wenn ihre wahre Stärke im Karate lag. Nur warum vermieste ihr der aus der D jetzt den Sprint? Wehe, er käme nicht. »Kaiba Noah wird gebeten, sich umgehend am Start des 70-m-Sprints einzufinden! Ich wiederhole, Kaiba Noah...« , schallte es über den Sportplatz. Hinagiku verdrehte innerlich die Augen, während sie noch einmal ihre Beine dehnte. Der Läufer der D war der Sohn von Kaiba Gozaburo, diesem superreichen Firmenheini? Dem Besitzer der Kaiba Corporation, die ständig irgendwelche PC-Spiele und Automaten mit Simulationen auf den Markt brachte? Konnte der Sohn eines solchen Computerfuzzies überhaupt rennen? Sie hob den Kopf, als sie jemanden „Noch nicht anfangen!“, schreien hörte. Es musste dieser Noah sein, der mit dem dunkelblauen Band um den Kopf angerannt kam und etwas aufgelöst wirkte. Er reihte sich neben Hinagiku ein, die ihn perplex musterte. Welcher Idiot hatte so einen halbwüchsigen Idioten, der auch noch zu spät kam, nominiert? Und was war das denn für eine Frisur? Das grünhaarige Mädchen beschloss spontan, dass sie diesen Firmensprössling nicht leiden konnte. Noah wischte sich nervös über die Stirn. Er hätte sich halt nicht für das 70-m-Rennen und das Basketballturnier melden sollen. Er war jetzt schon total kaputt; nach dem Rennen würde er wieder in die Turnhalle zurückmüssen und dort weiterspielen. Vielleicht sollte er einfach ein mittelmäßiges Rennen abliefern und sich seine Kräfte für den Ballsport aufheben? Er drehte sich zu seinem Gegner links von ihm um. Es war ein Mädchen mit grünen, zu einem Zopf geschlungenen Haaren, aus denen eine widerspenstige Strähne nach oben aus dem Haargummi ausgebrochen war. Sie sah mit einem Glitzern in den braunen Augen auf die Bahn vor sich und murmelte leise etwas vor sich hin. »Der Siebzigmeterlauf der ersten Klassen beginnt nun!«, wurde über Lautsprecher bekannt gegeben. „Aufgepasst!“, rief eines der Mädchen, das eine Startklappe über ihren Kopf erhoben hatte. Noah warf noch einen kurzen Blick zu der Vertreterin der 1-C. „Auf die Plätze“ Alle Läufer hockten sich auf den Boden. Noah senkte den Kopf. Er würde nicht gegen ein Mädchen verlieren, und wenn sie noch so entschlossen dreinschaute. „Fertig“ Nun richteten sich alle halb auf, bis zum Anschlag gespannt und nur noch auf das endgültige Startsignal wartend. Noahs Herz begann jetzt schon, das Blut schneller durch seinen Körper zu pumpen, alles in ihm arbeitete auf dieses Rennen hin. „Los!“ Mit einem Knall schlugen die Holzklappen zusammen und sofort stieß sich Noah von seinem Standort ab. Im Lauf richtete er sich auf. Er rannte einfach. Die Grünhaarige war neben ihm. Sie lief was das Zeug hielt. Aber er würde nicht verlieren. Mit einer letzten Anstrengung zwang er seinen Körper vorwärts... »Und der Sieger ist Tamano Hinagiku aus der Klasse 1-C!!« Noah kam langsam zum Stehen und warf Hinagiku einen Blick zu, der einerseits Enttäuschung, aber auch Wut ausdrückte. Sie bemerkte ihn nicht, sondern fing erst einmal die Wasserflasche auf, die ihr zwei Mädchen vom Rasenstück zuwarfen, und trank gierig. Erst, als sie die Flasche absetzte, bemerkte sie, dass Noah sie immer noch anstarrte. „Was ist?“, fragte sie genervt. Noah sagt gar nichts. Hinagiku schraubte ihre Flasche wieder zu. „Hör mal, wenn du gewinnen willst, musst du schon früher aufstehen. Und auf jeden Fall noch ein bisschen wachsen.“ Hingiku tätschelte ihm von oben den Kopf. Wenn es eines gab, das Kaiba Noah auf den Tod nicht ausstehen konnte, dann waren das abfällige Bemerkungen über seine Körpergröße. „Du hast mir gar nichts zu sagen, du blöde Kuh! Ich hätte dich um längen schlagen können, wenn ich nicht vorher Basketball gespielt hätte!“, brach es aus ihm hervor. „Wie kann man so doof sein und vor seinem Sprint noch Basketball spielen? Da bist du doch selber schuld. Und jetzt lass mich in Ruhe, du Zwerg!“ Das war zuviel. Noah machte einen Satz und rammte Hinagiku seine Schulter mit voller Wucht in den Rücken, so dass sie, überrumpelt wie sie war, auf die Tartanbahn fiel. „Hast du sie noch alle?“, schrie sie aufgebracht. „Normalerweise vergreife ich mich nicht an jüngeren, aber bei dir muss ich wohl ...“ Sie hob die Faust und wollte Noah, der neben ihr auf dem Boden gelandet war, einen Schlag verpassen. „Sofort aufhören, ihr beiden! Das hier ist eine sportliche Veranstaltung und kein Prügelwettkampf!“ Noah wurde am Kragen gepackt und weggezogen, doch Hinagiku hatte sowieso schon ihre Faust sinken lassen. „Harimoto-Sensei“, murmelte sie respektvoll. Noa wurde unsanft herumgedreht und stand genau der gefürchteten Lehrerin gegenüber, die von allen Schülern nur liebevoll „Die Drachin“ genannt wurde. „Du wirst doch wohl keinen kleineren schlagen wollen!“, fauchte sie Hinagiku an und ließ dann Noah wieder runter. „Und du, du verschwindest jetzt sofort wieder zu deinem Basketball“, kommandierte sie. Noah folgte ihrer Aufforderung ohne Widerstand. Doch damit war der Streit der beiden noch lange nicht beigelegt! Sobald Hinagiku auch nur ansatzweise irgendwo den grünen Schopf des Kaiba-Erben erblickte, musste sie ihn irgendwie reinlegen. Ob sie ihm nun ein Bein stellte, während er den Flur entlanglief oder ihn heimlich aus einer Ecke mit Papierbällchen bewarf, sie freute sich jedes Mal hämisch, wenn sie ihn irgendwie bloßstellen konnte. Allerdings zahlte er es ihr immer mit barer Münze heim; einmal versteckte er ihre Hausaufgaben unterm Lehrerpult, ein anderes Mal ersetzte er ihr Bentou durch eine Ratte und wiederum ein anderes Mal verschwand auf mysteriöse Weise ihre Schuluniform aus der Umkleide der Turnhalle um kurz darauf an einem Baum hängend wieder aufzutauchen. Besonders heftig wurden ihre Streitereien, wenn sie gemeinsam an einem Ort waren, wie zum Beispiel bei der Vorbereitung des Kulturfestivals, als sie sich so sehr prügelten, dass Hinagiku schließlich mit Nasenbluten ins Krankenzimmer gebracht werden musste während er ein angestauchtes Handgelenk zu beklagen hatte. Es war der letzte Tag der Osterferien und Hinagiku saß mit Momoko und Yuri im Eiscafé in der Einkaufszone. „Morgen werden die Klassen neu eingeteilt!“, freute sich Momoko, „hoffentlich komme ich mit Yosuke-kun in eine Klasse.“ [In Japan werden ab der Mittelschule die Klassen jedes Jahr neu gemischt, und zwar beginnt das neue Schuljahr dort auch schon nach den Osterferien] Yuri schüttelte den Kopf und belehrte sie: „Das solltest du dir lieber nicht wünschen. Sonst würde er dich doch ständig ablenken!“ Sie blickte Momoko durchdringend an. „Du willst doch nicht, dass du ständig nur zu ihm schaust und deine Noten absacken, oder?“ Momoko senkte den Kopf und beschäftigte sich lieber mit ihrem Eis. Hinagiku rührte abwesend mit ihrem Strohhalm in ihrem Eiskaffee und blickte in den Himmel. Ein leises Seufzen glitt ihr über die Lippen, das Momoko und Yuri sofort die Köpfe zu ihr schnellen ließ. „Was ist los, Hina-chan?“, fragte Momoko, „du wirkst so unglücklich!“ „Bin ich auch“, gab Hinagiku lasch zurück und schloss die Augen. „Ihr habt alle einen Freund, nur ich nicht. Das ist doch irgendwo nicht fair“, murmelte sie. Yuri lächelte gequält. „Vielleicht solltest du mal versuchen, von diesem Schlägerbraut-Image runterzukommen. Ich glaube, das gerade gefällt den Jungs nicht so.“ Hinagiku schien einen Augenblick zu überlegen, dann maulte sie: „Das ist nur Kaibas Schuld!! Wenn er mich nicht ständig provozieren würde, hätte ich dieses Image gar nicht.“ Yuri lächelte weiter und ließ einen gut gemeinten Kommentar lieber ungesagt, denn er hätte ihre grünhaarige Freundin sicher nur noch mehr aufgebracht. „Ich verstehe immer noch nicht, weshalb du ihn eigentlich so anzickst. Ich meine, er hat doch das Rennen gegen dich verloren... außerdem ist das schon fast ein halbes Jahr her! Irgendwie leuchtet mir das nicht ein...“, murmelte Momoko, immer noch halb mit dem Kinn auf dem Tisch. Hinagiku hob das Kinn. „Das hat doch damit nichts zu tun! Er ist einfach ein kleiner, besserwisserischer Schmarotzer der sich sonst was einbildet, nur weil er mal ne tolle Firma erbt! Und so ein Pimpf will gegen mich gewinnen!? Das ist doch die Frechheit! Ich kann mich ihm doch nicht einfach geschlagen geben!“ Jetzt stand sie auf und haute auf den Tisch. „Dem werde ich zeigen, wo der Hammer hängt!“, stieß sie aus. Dann ließ sie sich wieder auf ihren Stuhl fallen und schlürfte im Eiltempo ihr kaltes Getränk aus. „Wir sollten hoffen, dass sie nicht mit Kaiba-san in eine Klasse kommt, oder?“, murmelte Yuri Momoko zu. Diese nickte. Am nächsten Morgen erschien Momoko ausnahmsweise mal nicht erst zu Unterrichtsbeginn sondern schon zehn Minuten vorher. Sämtliche Schüler drängelten sich um die neuen Klassenlisten. „Habt ihr schon geguckt?“, fragte sie. Hinagiku schüttelte den Kopf. „Noch nicht, ich bin auch gerade erst gekommen.“ „Steh hier nicht im Weg rum!“ Kaiba Noah drängelte sich an den drei Mädchen vorbei und trat Hinagiku dabei auf den Fuß. „Pass du auf, wo du hinlatscht!“, rief sie, aber er war schon in der Menschenmenge verschwunden. Yuri verdrehte in Momokos Richtung die Augen, aber die war gerade losgerannt -„Yosuke-chan!“- und warf sich ihrem Schatz in die Arme. Yuri legte ihre Hand Hinagiku auf die Schulter. „Komm, reg dich ab. Er ist nur ein kleiner Pimpf, hast du selbst gesagt.“ „Dem sollte mal jemand Manieren beibringen!“, schnaubte Hinagiku. Yuri schloss die Augen. Du solltest gerade von Manieren reden, dachte sie sich. Just in dem Moment, als Momoko und Yosuke sich der kleinen Gruppe anschließen wollten, ertönte aus der Schülermenge ein Aufschrei. „Nein, Nein, Nein!!“, hörten sie jemanden brüllen, dann teilte sich die Menge und ließ jemanden zum Lehrertrakt hindurchgehen, den man aber nicht sehen konnte, da Hinagiku und ihre Freunde auf der anderen Seite der Schülermenge standen. „Was ist da los?“, erkundigte sich Yuri bei einer älteren Schülerin, die jedoch nur die Achseln zuckte. Keiner machte Anstalten, das eben geschehene zu erklären und schon begannen die ersten Schüler wieder ihre Gespräche miteinander zu führen. „Ich gehe für uns nachschauen, wer in welcher Klasse ist“, teilte Yuri ihren Freundinnen mit. „Kannst du auch für mich gucken?“, fragte Yosuke. Yuri nickte, dann kämpfte sie sich durch die langsam etwas kleiner werdende Ansammlung zu den Listen der zweiten Klasse durch. Sie selbst war mit Momoko und Hinagiku in der 2-E gelandet, Yosuke fand sie in der 2-A. Sie wollte gerade wieder gehen, als ihr Blick noch einmal an der Klassenliste der E hängenblieb. Hinagiku stand neben Momoko und Yosuke und versuchte schlichtweg, die beiden Turteltauben zu ignorieren, während sie nach Yuri Ausschau hielt. Ihr Fuß trommelte ungeduldig auf den Boden. Ihr Blick glitt immer wieder über die inzwischen recht überschaubare Schülermenge und entdeckte schließlich Yuri, die langsam zurückkam. „Und?“, rief Hinagiku ihr fragend entgegen. Die brünette sah sie an und kam schneller dazu. „Du bist in der A, Yosuke. Und wir drei sind in der E“, erklärte sie, als sie dazukam. „Ja? Die E? Gut, dann nichts wie los!“ Hinagiku stürmte los und kämpfte sich eilig zur Treppe in den zweiten Stock durch. „Hina-chan, warte!“, schrie Yuri ihr hinterher, aber sie wurde nicht mehr bemerkt. „Ich wollte dich doch noch warnen...“, murmelte Yuri. Momoko sah sie deutlich verwirrt an. „Wovor denn?“ „Kaiba Noah!“ Hinagiku blieb wie angewurzelt in der Tür ihres neuen Klassenzimmers stehen und schoss förmlich Blitze aus ihren braunen Augen auf die genannte Person ab. Noah lehnte an der Fensterbank und erwiderte ihren Blick feindselig und mit verschränkten Armen. „Was hast du hier zu suchen?“, schrie Hinagiku und sprang ihm fast mit einem Satz vor die Füße. Noah wich keinen Millimeter zurück: „Ich bin in der 2-E, und wenn dir das nicht passt, dann beschwer dich beim Schulleiter.“ Mit einer lästigen Geste schüttelte er sich seine Ponyhaare aus dem Gesicht, „allerdings glaube ich nicht, dass du als Tochter eines Blumenverkäufers mehr Chancen hast als ich.“ „Rede nicht schlecht über meinen Vater“, schnaubte die aufgebrachte grünhaarige ihn an. „Ich stelle nur die Tatsachen fest, du blöde Kuh.“, gab er gereizt zurück. „Ich geb’ dir gleich deine Blöde Kuh! Du Muttersöhnchen!“ „Fällt dir keine bessere Beleidigung ein?“, fragte Noah mitleidig. „Das schon, aber ein so wohlerzogener kleiner Junge wie du sollte nicht mit solchen harten Beleidigungen in Berührung kommen!“ „Sag noch mal Kleiner Junge und ich hau’ dich so klein...“ „Wie schön, dass wir anfangen können!“, wurden sie von einer schneidenden Stimme aus ihrem Streitgespräch gerissen. Hinagiku stellte einigermaßen entsetzt fest, dass schon alle anderen Schüler sich einen Platz gesucht hatten und der Lehrer, Hirioto, die Klasse betreten hatte. Er war es auch, der sie jetzt mit strengem Blick musterte. „Los, setzt euch schon hin“, sagte er. Hinagiku warf einen Blick auf die Klasse. Neben ihr stand Noah auf und marschierte wie in Trance zu einem der beiden letzten freien Tische. „Ich setze mich nicht neben Kaiba!“, stieß Hinagiku aus. Hirioto hob die Augenbrauen. „Das ist der letzte freie Platz. Entweder du setzt dich da hin... oder du stehst.“ Hinagiku sog die Luft ein und stampfte zum letzten freien Platz in der letzten Reihe, direkt neben Noah. Während der Lehrer nun begann, etwas über das bevorstehende Schulfest zu erzählen, warfen die beiden Grünhaarigen sich ziemlich finstere Blicke zu. Schließlich riss Hinagiku aus ihrem Block, den sie vorsichtig aus ihrer Tasche zog, ein Stücken Papier aus und formte es zu einer Kugel um, die sie Noah gegen den Kopf schnipste. Der schien es nicht einmal zu bemerken, also schoss sie noch eine Papierkugel hinterher, die ihm knapp vor den Augen vorbeizischte. Ruckartig fuhr sein Kopf zu ihr herum und streckte ihr die Zunge heraus. Sie hatte schon wieder ein Kügelchen in der Hand und schleuderte es ihm ins Gesicht. Noah senkte wütend den Kopf und zog seinen eigenen Block hervor, während er von mindestens drei weiteren Kugeln in den Haaren getroffen wurde. Dann aber schoss er zurück. Zunächst unbemerkt vom Lehrer und den meisten Schülern lieferten sich die beiden eine ziemlich wilde Schlacht mit den immer kleiner werdenden Geschossen, die auch immer genauer den Gegner trafen. Allerdings verging Hinagiku schon bald die Lust darauf, nachdem sie schon ein ganzes Blatt verbraucht hatte und begann in ihrer Federmappe nach etwas Besserem zu suchen. So wechselte sie von Papierkugeln auf Radiergummistückchen, die nicht nur besser flogen, sondern auch härter waren. Noah begann natürlich auch, mit den Bruchstücken seines Radiergummis auf sie zu zielen und so wurde Hirioto schließlich doch aufmerksam, als Hinagiku eines der Geschosse gegen die Wange bekam und leise aufschrie. „Dürfte ich erfahren, warum ihr beiden nicht zuhört?“, fragte er streng. Die beiden bemerkten es nicht einmal und Hinagiku schoss ein weiteres Stückchen auf ihren Klassenkameraden. „Kaiba! Tamano! Strafarbeit! Und du tauscht sofort mit Hanasaki, Tamano!“, donnerte der aufgebrachte Pädagoge. Hinagiku stand zögernd vor einem Gebäude, das so gar nicht in seine Umgebung passen wollte. Zwischen eher traditionell japanischen Häusern und ein paar ziemlich modernen Bauten stand es, fast wie ein europäisches Schloss. Hinter einem großen Tor, an das sich breite, steinerne Torpfosten und ein langer Zaun anschlossen, befand sich ein Weg, der kreisförmig um ein schön angelegtes Blumenbeet führte und direkt an der kurzen Treppe lag, die zu einer riesenhaften Holztür hinauflenkte. Das Gebäude selbst zeichnete sich durch große Fenster aus, die von Rahmen umgeben waren und sie noch gewaltiger wirken ließen. An den Ecken waren kleine Türmchen mit Spitzdächern und das Gebäude endete vielmehr in Zinnen als in einem normalen Dach. Hinagiku hatte die Klingel schon bald am rechten Torpfosten ausgemacht und näherte jetzt ihren Finger. Sie brauchte noch ein wenig Überwindung. Wollte sie das wirklich? Nein, sie musste. Mit einem Seufzen berührte sie den metallenen Schalter und drückte ihn in die Mauer. Erst passierte gar nichts, dann flackerte unter dem Klingelknopf ein Bildschirm auf, der vorher nicht zu sehen gewesen war. Ein düster aussehender Mann mit Sonnenbrille und dunklen Haaren fragte: „Wer ist da?“ Hinagiku schluckte beeindruckt. „Ich... ich heiße... Tamano Hinagiku... ich habe eine Verabredung mit Kaiba Noah-san.“ Der Mann nickte. „Warten Sie bitte kurz“, meldete er. Der Bildschirm flackerte und wurde durch ein Abbild eines Stücks Mauer gefüllt. Deshalb hatte sie ihn vorher nicht bemerkt! Nervös schaute Hinagiku zu den großen Fenstern hoch und konnte nicht anders, als beeindruckt zu sein. Dagegen war ihre kleine Wohnung über dem Blumenladen nichts! Kurz darauf summte das Tor kurz und ging dann langsam von selbst auf. Das Mädchen schlich über die gekieste Einfahrt und ließ ihren Blick über die vielen Blumen in der Mitte schweifen. Was für eine Vielfalt! Dann sah sie den Garten außerhalb des Weges und blieb atemlos stehen. Was für schöne Bäume! Und dazwischen all diese seltenen Blumen, die ihr Vater in seinem Laden eigentlich nie zu sehen bekam...! Sie musste sie einfach einmal von nahem ansehen! Doch kaum hatte sie einen Fuß auf das akkurat gestutzte Gras gesetzt, ertönte eine Stimme: „Runter vom Rasen! Please, don’t walk on the grass! Sogen wo dete mo ii desu ka?“ Panisch machte sie einen Satz nach hinten und rutschte prompt auf den Kieselsteinen aus, konnte sich nur dadurch retten, dass sie ihren Sturz mit den Händen abfing. Erschrocken atmete sie langsam ein und versuchte, den Schock aus ihren Gliedern zu verbannen. „Weißt du, wir wollen nicht, dass unser Rasen von den Schuhen eines Durchschnittsbürgers irgendwie in Mitleidenschaft gezogen wird. Aber wie ich sehe, bist du nicht mal in der Lage, normal auf Kies zu laufen.“ Hinagiku sprang auf und eilte zur Treppe, wo Noah sie mit einem arroganten Gesichtsausdruck erwartete, eine Hand auf das Geländer gestützt. „Bild dir ja nichts ein“, fauchte sie. Warum zum Teufel hatte er nicht ein bisschen später auftauchen können? „Komm rein. Mein Palast ist natürlich sehr viel größer, als das, was du gewohnt bist... ich muss dich bitten, nichts zu berühren, es könnte ja beschädigt werden... und bitte sei nicht so laut, Vater hat eine Menge Arbeit“, sagte Noah geflissentlich, während er ihr voran in eine riesige Eingangshalle trat und dann die gigantische Treppe hinaufging. Hinagiku folgte ihm langsam und betrachtete eingehend die gesamte Umgebung. Die Wände waren von Gemälden geschmückt und an ihnen standen in regelmäßigen Abständen kleine Tischchen mit Vasen darauf, die Treppe war von einem kunstvoll gewebten Teppich bedeckt und das Geländer aus einem dunklen, schimmernden Holz. „Ich kann mir schon denken, warum du das gerne bei mir machen wolltest“, sagte Noah und bog zielstrebig nach rechts ab, in einen ebenfalls mit Vasen geschmückten Gang, „schließlich wäre dein Zuhause für dich die reinste Blamage geworden. Und außerdem wäre ich dort niemals freiwillig hingegangen.“ „Du weißt nicht einmal, wie meine Wohnung aussieht!“, zischte Hinagiku. „Das muss ich nicht wissen. Wenn ich mir deine armseligen Schuhe anschaue weiß ich schon, wie es bei dir aussehen muss.“ Hinagiku musterte ihr Schuhwerk. Die Halbschuhe waren tadellos, aus Kunstleder und kein bisschen dreckig. „Was hast du an meinen Schuhe auszusetzen?“, fragte sie und folgte ihm in ein Zimmer, das immerhin halb so groß war wie ihre ganze Wohnung. Noah drehte sich um und bedeutete ihr, die Tür zu schließen. Dann sagte er: „Es ist ihnen doch wohl anzusehen, dass sie nicht einmal aus echtem Leder gefertigt sind und die Schnalle, das ist ja wohl eine billige Legierung. Das erkenne ich auf den ersten Blick.“ Hinagiku zwang sich, seine Arroganz zu missachten und sah sich im Raum um. Er hatte am anderen Ende zwei große Fenster, in ihm standen in einer Ecke zwei barock anmutende Sofas um einen kleinen Tisch, in einer anderen Ecke ein Schreibtisch aus massivem Holz, auf dem ein völlig unpassend erscheinender Flachbildschirm-Computer platziert war. „Was ist das für ein Zimmer?“, fragte Hinagiku neugierig. Das Zimmer ihres Klassenkameraden konnte es in Ermangelung eines Bettes kaum sein. „Das ist eines unserer Arbeitszimmer. Wir haben eigentlich viel zu viele, aber was soll man denn auch mit den ganzen Räumen anfangen...“, murmelte Noah, setzte sich an den Schreibtisch und zog die Tastatur zu sich heran. „Du willst das mit Computer schreiben?“, fragte Hinagiku ungläubig. „Na klar. Es geht schneller, man kann Fehler besser korrigieren und es schnell mehrmals ausdrucken.“ „Aber... ich meine... das ist eine Strafarbeit! Wo ist denn da die Strafe, wenn wir es nur eben am Computer schreiben?“ „Wir müssen es uns trotzdem selber ausdenken!... Zehn Regeln für ein angebrachtes Sozialverhalten im Klassenraum!“ Noah schnaubte auf. „Damit das klar ist, das haben wir nur dir zu verdanken!“ „Warum mir?“ Hinagiku trat ihm gegenüber an den Schreibtisch. „Wer hat denn angefangen, Papierschnipsel zu werfen?“ „Du hättest es doch einfach lassen können! Ich dachte, du hast so gute Manieren!“ Noah lehnte sich in seinen Stuhl zurück und blickte sie an. „Darum geht es hier doch gar nicht. Wir waren bei der Diskussion, ob wir die Strafarbeit mit dem Computer schreiben oder mit Hand.“ – „Hand, ist doch klar!“ Noah stand auf. „Wenn wir das mit Hand schreiben, müssen wir es mindestens noch einmal abschreiben!“ „Na und? So was unpersönliches wie einen Computer benutzt man doch nicht für eine Strafarbeit!“ Hinagiku schlug mit ihrer Hand auf den Tisch. „Und mit Hand dauert das alles doch viel zu lange! Willst du vielleicht noch eine Kalligraphie draus machen?“, donnerte Noah. „Du kleiner Wicht, du hast mir gar nichts zu sagen!“ Hinagiku packte ihr Gegenüber am Kragen und zog ihn halb über die Tischplatte, so dass sie sich nun Auge in Auge miteinander befanden. „Ich bin immer noch stärker als du!“, zischte sie. „Mit roher Gewalt überzeugst du mich auch nicht.“ Sie schüttelte ihn feste durch und schrie: „Ach ja? Friss das, du Pimpf!“ „Ich bin kein Pimpf!“, kam es zurück und Noah traf seine Kontrahentin mit der Faust ins Gesicht. „Hat man dir nicht beigebracht, dass man keine Frauen schlägt?“ „Und dir nicht, dass man sich nicht an Söhnen der höheren Gesellschaft vergreift?“ Die beiden wurden immer hitziger und schließlich zog Hinagiku ihn quer über den Tisch auf den Boden. Zwischen ihnen entspann sich eine ziemliche Rangelei. Ein Klopfen riss sie aus ihrem Kampf und noch bevor sie sich voneinander lösen konnten, stand ein alter Mann mit einem kantigen Gesicht und einem roten Anzug in der Tür. „Was habe ich dir gesagt, Noah-kun?“ fragte er missgelaunt. Noah sprang sofort von Hinagiku weg und verbeugte sich unterwürfig. „Es tut mir leid, O-Too-sama“[sehr ehrfurchtsvolle Anrede für den eigenen Vater] , bat er. „Das sollte es auch. Wenn ihr mich noch einmal stört, dann setzt es ein Computerverbot für die nächsten zwei Wochen!“ Noah verbeugte sich noch einmal, dann verschwand der Mann auch schon wieder. „War das etwa dein Vater?“, fragte Hinagiku. „Ja“, sagte Noah leise. Auf einmal hatte sich aus seinem Auftreten sämtliche Arroganz verloren. Hinagiku fiel nichts mehr ein. „Lass uns per Losverfahren entscheiden, ob wir mit Computer oder Hand schreiben“, schlug Noah schließlich vor. „Wie wäre es mit Schere-Stein-Papier?“ Hinagiku nickte und hielt ihm die Hand hin. „Der Gewinner bestimmt“, sagte sie. Der Gewinner war Noah, der Stein wählte und so Hinagikus Schere schlug. Er entschied sich natürlich für den Computer. „Wir fangen an mit... ähm... Im Unterricht höre ich dem Lehrer zu“, schlug Hinagiku vor. „Nein, das ist irgendwie doof. Wie wäre es mit...“ , er begann zu tippen, „Punkt 1: Zu Beginn des Unterrichts sitzen alle Schüler auf ihren Plätzen“ „Das hat doch mit Sozialverhalten gar nichts zu tun! Lösch das wieder weg!“ „Wieso, das ist doch eine gute Regel!“ „Aber sie passt gar nicht. Vielleicht sollte die erste Regel sein ‚Im Klassenzimmer werden keine Schüler ausgegrenzt’.“ „Wenn sie nun aber keiner mag?“ „Das ist doch egal, es sind nur Regeln. Sagt ja keiner, dass wir uns dran halten müssen!... Was tippst du da?“ „Punkt 2: Die Schüler hören dem Lehrer zu“ „Das hat wieder nichts mit Sozialverhalten zu tun. Und wieso überhaupt Punkt 2? Wir waren uns über 1 doch noch gar nicht einig!“ „Was war denn an meinem Punkt 1 auszusetzen?“ „Ich hab gesagt, das hat nichts mit Sozial...“ „Na und? Hauptsache, wir haben die zehn Regeln!“ „Aber wir sollen das im Team machen, schon vergessen? Also müssen wir uns auch einig sein!“ „Wir sind uns einig. Punkt 2: Die Schüler hören dem Lehrer...“ „Hast du mir überhaupt zugehört?“ „Ja, absolut. Punkt 3: Jeder Schüler...“ „Mann, ich hab gesagt wir müssen uns erst mal über Punkt 1 einig werden!“ „Das klappt sowieso nie!“ „Ja, wenn du gleich drauf los schreibst...!!“ Noahs Gesicht verfinsterte sich. „Hau ab“, sagte er. Hinagiku, die gerade hatte weiterreden wollen, verstummte. „Was soll das heißen, Hau ab?“, fragte sie nach einiger Zeit etwas verwirrt. „Lass mich das alleine machen. Mit dir wird das ja nie was!“ Hinagiku starrte ihn an. „Dann mach ich das halt auch alleine! Wirst ja sehen, was der Lehrer dazu sagt, wenn du das so machst, wie du angefangen hast...!!!“ Hinagiku drehte sich um. „Den Weg nach draußen finde ich auch ohne Hilfe, danke der Nachfrage“, bemerkte sie an der Tür. Noah blieb finster auf seinem Stuhl sitzen. Hinagiku saß vor einem leeren Blatt Papier und hatte keine Ahnung was sie schreiben sollte, da ihr Zorn über Noahs plötzlichen Rauswurf immer noch an ihr nagte. Genau genommen machte sie sich gar keine Gedanken über die Strafarbeit. Sie hatte gar nicht gewusst, dass ihr Rivale so einen strengen Vater hatte. Sie war ganz froh, dass ihrer sie nur anschrie, wenn sie eine Klausur mit unter 10 Punkten [in Japan gibt es immer maximal 100 Punkte, also sind 10 Punkte schon eine 6] nach Hause brachte, was zum Glück nur sehr selten passierte. Machte so ein strenger Vater ihn dermaßen arrogant? Weil er ihm gegenüber nur demütig sein konnte, musste er gegenüber anderen den Macho raushängen lassen? War er deshalb so darauf versessen, sie zu schlagen? Um sich etwas zu beweisen? Ein Klopfen an ihrer Tür. „Herein!“, rief Hinagiku, dankbar für die Ablenkung. Ihr Vater betrat den Raum. „Das ist ja mal wieder ein Saustall hier“, bemerkte er und stakste durch ihre quer über den Raum verteilte Garderobe. Sie hatte in der Tat ziemlich lange überlegt, was sie bei Noah anziehen sollte, sich dann aber doch für ihre Schuluniform entschieden. „Was gibt’s?“, fragte sie. „Hier, das soll ich dir geben, von einem Mitschüler von dir.“ Der Mann drückte seiner sichtlich erstaunten Tochter einen Brief in die Hand. „Er hat keinen Namen gesagt. Und ich soll dir keine Grüße bestellen. Na ja, er ist auch sofort wieder gegangen.“ Hinagiku nickte abwesend und betrachtete die ordentliche Handschrift auf dem Umschlag. Wer zum Teufel war der Absender? „Was? Nee-chan [Anrede für die eigene große Schwester] hat einen anonymen Liebesbrief gekriegt?“ Hinagikus kleiner Bruder Akira erschien in der Tür und eilte zu ihr. „Los, zeig mal.“ Hinagiku hielt ihm den Umschlag entgegen. „Wie kommst du auf Liebesbrief...“, sagte sie. „Los, mach auf!“, bettelte der kleine Blauhaarige. „Ist ja gut...“ Hinagiku zog den Zettel hervor. „Zehn Regeln für ein angebrachtes Sozialverhalten im Klassenraum“, las sie staunend. „Hä? Schule?“ Akira schnappte sich den Brief, gab ihn jedoch sofort zurück. „Wie langweilig“, schimpfte er und verschwand aus dem Raum. Sein Vater tat es ihm nach und ließ Hinagiku mit dem Brief allein zurück. Die Handschrift war tadellos. Hinagikus Augen flogen über die Sätze. Es waren nicht dieselben, die er vorhin hatte schreiben wollen sondern welche, die sich wirklich auf das Sozialverhalten bezogen... Was musste es für eine Arbeit gewesen sein! Und dann noch so ordentlich geschrieben und ohne irgendeinen deutlich hervorstechenden Fehler...! Hinagiku lächelte. Dass Kaiba Noah nur mit dem Computer schreiben konnte, war also doch nur ein albernes Vorurteil gewesen. „Sehr schön“, stellte Hirioto fest, als er den Zettel entgegennahm, „genau so hatte ich mir das vorgestellt. Gebt nur acht, dass ihr euch auch daran haltet!“ Noah und Hinagiku sahen sich an und nickten. „Werden wir bestimmt“, sagte Hinagiku. „Danke noch mal, dass du das alles allein geschrieben hast“, sagte Hinagiku, als sie halb auf dem Weg in die Pause noch an ihrem Tisch stehenblieb. Noah war der einzige, der noch im Raum war, alle anderen hatten sich schon verdünnisiert. „Ich wollte es wieder gut machen. Ich hatte den Eindruck, dass dich das sehr verletzt hat, dass ich dich rausgeschmissen habe“, murmelte Noah mit leicht geröteten Wangen. „Dein... Vater ist übrigens sehr nett...“, sagte er dann. Hinagiku nickte. „Ich bin ganz zufrieden mit ihm“, sagte sie. Warum fiel ihr nichts besseres ein? Irgendwas hatte sich zwischen ihnen beiden entscheidend verändert... Warum konnte sie nicht einfach sagen: „Besser als deiner ist er allemal“? Weil sie seine Gefühle nicht verletzen wollte. Noah stand auf und wollte an ihr vorbeigehen, da fiel ihr noch etwas interessantes ein, sie wollte noch ein bisschen mit ihm reden. „Stell dir vor, mein Bruder dachte, es wäre ein Liebesbrief und war ganz enttäuscht, als es nur eine Stararbeit war“, erzählte sie. Noahs Gesicht wurde rot. „Tatsächlich...“, murmelte er. „Dann... hat er es nicht...“ Hinagiku runzelte die Stirn. „Was hat er nicht?“ Noah fuhr sich mit den Fingern durch den Pony. „Dann hat er es nicht gesehen...“ Hinagiku ließ ihre Hände sinken, mit denen sie gerade ihr Bentou aus der Schultasche hatte holen wollen. „Was nicht gesehen?“, fragte sie verwirrt. Da war doch nichts zu sehen gewesen? Nur ein Zettel, und zwar der, den sie gerade abgegeben hatten. „Hast du... das gar nicht gemerkt... dass ich noch was in den Briefumschlag geschrieben hatte...“, sagte Noah mit belegter Stimme und gesenktem Kopf. Hinagiku zögerte und versuchte, ihn nicht anzusehen. „Ich hab nichts bemerkt, tut mir leid... Den Umschlag habe ich gar nicht weiter beachtet...“ Sie atmete langsam ein. Noahs Körpersprache war zu eindeutig und sein gerötetes Gesicht sprach Bände. „Aber ich kann ihn mir heute angucken, ja?“ Noah nickte langsam. Er wollte immer noch nicht gehen und Hinagiku wollte das auch gar nicht. „Wenn... du es mir nicht persönlich sagst natürlich nur“, fügte sie nach einer viel zu langen Pause hinzu. Noah verkrampfte seine Hände ineinander. „Ja... ich... also, was ich dir geschrieben hatte war... dass... ähm... also... ich... ... ich ... glaube... ich ... ähm... es ist so, dass... ich dich... gar nicht mal so ... übel, ja... übel finde, ahm... ja... das war’s eigentlich.“ Noah hatte nicht mehr den Mut, mehr zu sagen und stürmte aus dem Klassenraum. „Halt, warte, Noah-kun!“ Sie rannte ihm nach und packte ihn am Handgelenk. „Ich... ich finde dich auch nicht so schlimm...“, murmelte sie, „es hat mir ehrlich gesagt immer irgendwie Spaß gemacht, mit dir zu streiten... na ja gut, ähm, würdest du vielleicht heute zu mir kommen wollen? Damit du mal meine armselige Wohnung siehst...?“ Sie holte tief Luft, nachdem sie all das fast in einem Atemzug von sich gegeben hatte. „Ja...“, sagte Noah zögernd. „Gut, siebzehn Uhr! Wo ich wohne, weißt du ja...“, lächelte sie. Noah nickte, dann ließ sie ihn los und er entschwand den Gang hinunter. Zuhause angekommen, stürmte die Grünhaarige in ihr Zimmer und griff nach dem Papierkorb unter ihrem Schreibtisch. Er war leer. Sofort eilte sie zurück in den Laden. „O-Too-chan, wo ist der Müll aus meinem Zimmer?“, rief sie. „Den habe ich heute Morgen ins Altpapier getan. Der wird gleich abgeholt.“ „WAS?“ Sie rannte zur Altpapiertonne und riss den Deckeln nach hinten. WO WAR DIESER VERDAMMTE BRIEFUMSCHLAG? Da! Zwischen ihren Händen tauchte das dünne Papier auf. Eilig riss sie ihn auseinander, um die Rückseite klar erkennen zu können. Dort standen nur drei Schriftzeichen, aber allein davon wurde ihr sofort warm ums Herz. „Ich mag dich“ Und dann hörte sie auch schon ihren Vater brüllen: „Hina-chan, Besuch für dich!“ „Ja, ich komme!“, rief sie und rannte überglücklich zurück in den Laden. Kapitel 17: Seto und Erika - Diamant ------------------------------------ von Irgendwie fanden Ditsch und ich, nachdem wir Skip Beat! gelesen hatten, dass Erika Koenji, Tochter eines Firmenchefs, unbedingt jemanden braucht, dem sie ihren Diamant-Ohrring schenken kann. Und wer passt da, wenn nicht einer, der so reich ist wie sie und außerdem noch verdammt gut aussieht? Genau!! – In der Geschichte kommt ein 5-Sterne-Hotel vor, damit klar ist, dass es wirklich teuer ist, ich kann nicht sagen, ob es das Sternesystem in Japan wirklich gibt. Auf jeden Fall hat es mir Spaß gemacht, die Story zu schreiben und ich hoffe, dass das Lesen derselben euch auch Spaß macht. ^.^ Diamant Sehr geehrter Herr Kaiba, Aufgrund der bestehenden Geschäftsbeziehungen zwischen der Kaiba Corporation und der Koenji Group möchte ich Sie mit aller Herzlichkeit zur Feier der Volljährigkeit meiner Tochter Erika einladen. Diese findet am... Kaiba Seto verdrehte die Augen über dieses schleimige Gequatsche, als er den Zettel langsam auf seinen Schreibtisch sinken ließ. Er hasste Partys wie die Pest. Mokuba platzte in den Raum. „Was ist das, O-Nii-sama?“, fragte er, schlug die Tür zu und wuselte zum Schreibtisch seines Bruders, wo er sich mit dem Knie auf Setos Stuhl stützte, um das Schriftstück zu betrachten. „Hey, eine Einladung!“, rief er aus und zog seinem Bruder die Karte aus der Hand. „Von Koenji!“ Seto hielt eine Bestätigung offenbar für überflüssig und starrte nur grimmig auf die gegenüberliegende Wand. „Willst du nicht hin?“, fragte Mokuba neugierig. Seto schüttelte schwach den Kopf. „Eigentlich nicht, aber ich fürchte ich muss, einfach wegen der Geschäftsbeziehungen...“ Mokuba schüttelte ungläubig den Kopf. „Ich würde zu gerne mal auf so eine High Society Party und du überlegst, ob du hinwillst!?“ „Tut mir leid, ich bin allein eingeladen. Wenn du größer bist, kannst du bestimmt mal mit.“ Seto griff nach seinem Telefon und begann eine Nummer einzugeben. „Ich sage eben zu, aber danach muss ich wieder arbeiten...“, deutete er an. Mokuba nickte und sprang vom Stuhl. Das Tuten ertönte schon im Hörer, da fiel Seto noch etwas ein. „Ach, Mokuba-chan, was schenkt man eigentlich einer Zwanzigjährigen zum Geburtstag...?“ Kaiba Seto verließ seine Limousine in einem weißen Anzug mit einem cremefarbenen Hemd und einer schwarzen Krawatte und fühlte sich wie eine Puppe im Schaufenster eines Herrenbekleidungsgeschäfts. Während er auf den Eingang des Hotels „Diamond Sky“, in dem die Party stattfand, zu schritt, wuchs sein Ärger über Koenji, der ihn eingeladen hatte, ziemlich. Seine Miene war finster, als ihm durch den Kopf ging, dass der ihn doch nun wirklich nicht einladen musste, nur weil seine Firma der Koenji Group in regelmäßigen Abständen Mikrochips abkaufte. Im Portal des 5-Sterne-Hotels standen zwischen allerhand blühendem Grünzeugs ein paar superteure Vasen. Im von Gemälden, weiteren Vasen und teuren Accessoires verzierten Foyer wartete hinter einem dunklen Holzpult ein livrierter, dunkelhaariger Butlerund fragte routiniert: „Dürfte ich bitte Ihren Namen erfahren und Ihre Einladung sehen?“ Seto knallte die Einladung auf das Pult und raunzte den Mann an: „Noch nie was von der Kaiba Corporation gehört? Mein Name ist Kaiba Seto.“ Er ließ das Stück Papier einfach liegen und betrat schnell den Festsaal. Umgeben von mit weißen Tischtüchern bedeckten Tischen, die eine Hufeisenform bildeten, stand ein runder Tisch, von dem faltenreicher Stoff herabhing und auf dem sich Blumensträuße und teurer Schmuck stapelten. Halb davor stand eine junge Frau in einem tief ausgeschnittenen, weißen Seidenkleid, ihr hellblondes Haar war lang und gelockt. Sie schüttelte gerade einem älteren Mann im schwarzen Frack die Hand. Seto trat dazu und bemühte sich, wenigstens einen neutralen Gesichtsausdruck zur Schau zu tragen, und sagte: „Sie müssen Erika-san sein.“ Die Frau sah ihn einen Augenblick nur stumm an, bevor sie ausstieß: „Kaiba Seto!“ Ein Lächeln erschien auf ihren rosa glänzenden Lippen und sie streckte Seto ihre behandschuhte Hand entgegen, um seine zu schütteln. Seto nahm sie und murmelte ein „Alles Gute zum Geburtstag.“ Erika ging gar nicht darauf ein – vielleicht hatte sie es auch gar nicht gehört – sondern ließ seine Hand los um um sich zu deuten. „Mein Vater hat diese Feier mir zu Ehren organisiert. Ist es nicht wunderbar?“ Seto nickte wenig überzeugt und zog eine kleine Schachtel aus seiner Jackentasche. „Ich habe ein Geburtstagsgeschenk für Sie“, sagte er. Sie nahm sie ehrfurchtsvoll entgegen. „Darf ich es öffnen?“ Seto nickte und sah sich im Raum um. Überall standen ältere Männer in Anzügen, alle von ihnen in Schwarz, und unterhielten sich. Und auch die Frauen, die für sich in Grüppchen standen, waren alle dunkel gekleidet. Er war bei weitem der Jüngste und – abgesehen von Erika – der einzige im Raum der Weiß trug. „Oh, es ist wunderbar!“, stieß Erika aus und lenkte Setos Aufmerksamkeit wieder auf sich. „Freut mich, dass es Ihnen gefällt“, sagte Seto abwesend und nutzte es aus, dass gerade ein anderer Geschäftsmann auf Erika zukam, um ihr zu gratulieren, damit er selbst sich entfernen konnte. Von einem der von hübschen Kellnerinnen herum getragenen Silbertabletts nahm er sich ein Glas Champagner und gesellte sich zu einer Gruppe Männer um die Fünfzig. „... ist es ja nun wirklich nicht einfacher geworden“, beschwerte sich einer mit einer dunkelblau-schwarz gestreiften Seidenkrawatte. „Ja, Sie haben Recht“, stimmte der nächste zu, „die modernen Technologien haben die besten Chancen heutzutage. Sie haben auch darin investiert, hörte ich, Touma-san?“ Seto blieb stumm daneben und nippte an seinem Getränk. Schon beim ersten Schluck beschloss er, jeden Tropfen Alkohol in Zukunft so weit wie möglich zu umgehen. Das Zeug schmeckte ja widerlich! Er warf einen Blick zu Erika, die jetzt von drei Männern bedrängt wurde, die ihr scheinbar alle auf einmal gratulieren wollten. Seto fiel auf, dass er doch nicht ganz der jüngste war, denn hinter dem Präsenttisch Erikas befanden sich drei Männer in blauen Samtanzügen, die etwa ihr Alter haben mussten. Sie standen steif da und schienen so etwas wie Angestellte zu sein, denn einer von ihnen nahm gerade einen Blumenstrauß von Erika entgegen, um ihn in einer Vase auf dem Tisch zu platzieren. Alle drei hatten verschiedene Haarfarben; einer war blond, einer schwarzhaarig und einer hatte rotes Haar, zudem trug jeder von ihnen einen Ohrring, der, soweit Seto es aus der Entfernung feststellen konnte, mit einem teuren Edelstein versehen war. „Kaiba-san, warum sind Sie denn gegangen?“ Seto erschrak so sehr, dass er fast sein Glas fallen ließ, als Erika wie aus dem Boden gewachsen neben ihm erschien. „Ihr Geschenk hat mir sehr gefallen, sehen Sie?“ Sie drehte ihm ihr linkes Ohr zu, an dem ein hellblauer, tropfenförmiger Saphir an einer kunstvoll gearbeiteten Blume aus Silber baumelte. Seto hätte nicht sagen können, ob dieser Ohrring von ihm war, denn das Geschenk für die Frau hatte sein Hausdiener Isono besorgt, der sich mit Frauenangelegenheiten besser auskannte. „Freut mich, dass es Ihnen gefällt“, wiederholte er seine Floskel ohne jedes Anzeichen von Freude. Erika jedoch strahlte ihn zufrieden an. „Steht es mir?“ „Ja, ganz wunderbar“, sagte Seto und wandte sich dem Gespräch der vier Männer zu, von denen gerade einer meinte: „...braucht man ja schon, man kann doch nicht alles selber machen.“ „Sie haben vollkommen Recht, Touma-san, in meinem Haus brauche ich auch immer jemanden, der sich um die allgemeine Ordnung kümmert“, schaltete sich Seto ein, als habe er schon die ganze Zeit mit den Männern geredet, dann bemerkte er an Erika gewandt: „Wie Sie sehen, unterhalte ich mich gerade von Firmenchef zu Firmenchef...“, bevor er sich wieder am Gespräch beteiligte. Erika verschwand langsam. Seto unterhielt sich noch ein wenig mit den vieren über belanglose firmentechnische Angelegenheiten, bevor ein Glöckchenklingeln ertönte und ein schick schwarz (wie auch sonst) gekleideter Mann um die Sechzig, Erikas Vater, neben dem Geschenktisch zu Erika kam. Er hielt eine kurze Rede über Erikas Entwicklung „von einer zarten Knospe zur voll erblühten Rose“, bevor er zu Setos Erleichterung den ersten Gang des Menüs ankündigte und die Gäste bat, sich an die gekennzeichneten Plätze zu begeben. Seto hatte die Namensschilder schon bemerkt, die an jedem der kunstvoll mit Serviette, drei verschiedenen Tellern und Dutzenden Bestecken gedeckten Plätze standen. Bevor er jedoch dazu kam, nach seinem Schildchen Ausschau zu halten, war er auch schon von den drei blaugekleideten Männern umgeben. „Sie werden neben Erika-sama sitzen“, sagte der Rothaarige, der tatsächlich einen echten Rubin in seinem rechten Ohr stecken hatte. Ohne auf seinen Protest einzugehen, schleppten ihn die drei Bediensteten direkt zu einem Stuhl neben dem von Erika, die zufrieden lächelte. „Sie können mir nicht entkommen, wenn ich es nicht will, Kaiba-san“, sagte sie leise, als er sich setzte. Seto funkelte sie an und sagte: „Ich bin aus reiner Höflichkeit hier und kann gehen, wann ich will.“ Die junge Frau lächelte und richtete ihren Blick geradeaus. „Das werden wir ja sehen.“ „Ich freue mich wirklich sehr, dass Sie meine Einladung angenommen haben“, mischte sich Erikas Vater vollkommen ahnungslos ein und beugte sich über Erikas Schoß etwas zu ihm hinüber. „Ihre Einladung hat mich sehr gefreut“, entgegnete der Braunhaarige gezwungen. Der Ältere lehnte sich zufrieden wieder zurück und Seto verfluchte sich dafür, dass er jetzt selbst diese Unehrlichkeit an den Tag legte, die er so verabscheute. Wie tief konnte er an diesem Abend noch sinken? Die Suppe wurde aufgetragen und sofort erschienen wie aus dem Nichts Erikas drei Diener hinter ihr, um sie nach ihren Wünschen zu fragen. Seto versuchte sie einfach zu missachten, während er die dampfende Suppe löffelte, aber es stieg trotzdem heiße Wut in ihm auf über das ständige „Erika-sama, darf ich Euch...“ und „Erika-sama, wünscht Ihr...?“ „Sie sagen ja gar nichts, Kaiba-san“, stellte Erika auf einmal fest und blickte ihn unschuldig an, „geht es Ihnen nicht gut?“ Dieser Tropfen brachte das Fass zum Überlaufen. Seto knallte seinen Löffel neben den Teller und fuhr sie nur noch mit Mühe in einem leisen Ton an: „Natürlich geht es mir wunderbar! Abgesehen davon, dass ich nicht wirklich freiwillig hier bin, Partys hasse, niemanden kenne und Ihre drei Schoßhündchen mich mit ihrem Gerede zur Weißglut bringen!“ Erika wich erschrocken zurück. „Erika-sama, soll ich Euch beim Essen behilflich sein? Braucht Ihr Hilfe, um Eure Gabel zu halten?“, sagte er theatralisch und verdrehte dabei die Augen. Ohne auf ihre Reaktion zu achten, griff er nach dem Löffel und aß weiter. Erika fand erst nach ein paar Minuten ihre Sprache wieder und sagte: „Hojo, Todo, Sakasaki, bitte entfernt euch. Ich gebe euch frei bis zum Ende der Party.“ „Sehr wohl, Erika-sama!“, riefen die drei Männer im Chor und dann waren sie auch schon verschwunden. „So besser?“, fragte sie. Seto atmete ein und sagte dann aus dem Mundwinkel heraus: „Das ändert nichts daran, dass ich Partys nicht leiden kann.“ Erika legte ihre Hand an seine Wange und drehte seinen Kopf zu sich herum. „Dann werde ich eben persönlich dafür sorgen, dass Sie hier auch Ihren Spaß haben“, hauchte sie. Seto wich angeekelt zurück, soweit er konnte, und gab zurück: „Das schaffen selbst Sie nicht.“ Dann riss er sich los und aß weiter. Erika warf ihm einen schelmischen Blick zu und machte sich dann an ihre eigene Suppe. Zu Setos Glück kam Erika im weiteren Verlauf des Essens nur selten dazu, mit ihm zu reden. Zwischen den zahlreichen Gängen hielten die Gäste Reden über das Geburtstagskind, und wenn Erika ihn doch einmal ansprach, hatte er immer den Mund voll und kam so um eine Antwort herum. In Bedrängnis kam er erst, als der Nachtisch (ein Fruchtsorbet mit heißen Kirschen) gegessen und die vorerst letzte der Reden, die sowieso alle gleich waren, gehalten war, denn nun wurde am Ende des Saals ein Vorhang zur Seite gezogen, hinter dem ein weites Parkett und eine Bühne lagen, auf der sich ein Streicherorchester aufgebaut hatte. Koenji stand auf und breitete die Arme aus. „Nun ist es an der Zeit für den Tanz, liebe Gäste! Ich bin stolz darauf, dass meine Tochter das Parkett nun eröffnen wird. Erika-chan, mein Liebes...“ Mit einem Lächeln erhob sich die weißgekleidete Tochter von ihrem Stuhl und streckte Seto ihre Hand in dem weißen Seidenhandschuh entgegen. Das Beste war es, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, und so erhob er sich, legte seine Hand in ihre und ließ sich von ihr auf den glatten Holzboden führen. „Ich kann nicht tanzen“, knirschte er ihr aus dem Mundwinkel zu, als sie ihre linke Hand gegen seine rechte drückte. „Lassen Sie sich einfach von mir führen“, flüsterte sie zurück, dann fügte sie mit Blick auf seinen orientierungslos herunterhängenden linken Arm hinzu: „Und legen Sie mir mal die Hand auf die Taille.“ Seto tat wie geheißen, auch wenn er sich dabei nicht wirklich wohl fühlte. Erika schnipste mit der rechten Hand und legte sie auf seinen Oberarm, während er ein letztes Stoßgebet zum Himmel schickte. Die Musik setzte ein und Erika machte einen Schritt nach hinten. Er folgte ihr einfach. Seine Sorgen waren, wie sich schon nach wenigen Takten herausstellte, vollkommen unbegründet gewesen. Schon nach wenigen Schritten hatte er den Rhythmus angenommen und tanzte, als habe er nie etwas anderes getan. Nach und nach kamen weitere Paare auf die Tanzfläche, doch das bemerkte er kaum. Sie tanzten einfach weiter,sie und er, sie drehten sich wie im Traum, ihre blonden Haare umschwebten sie, und ihr Kleid bauschte sich in der Tanzbewegung wie die Flügel eines Schwans. Zusehends verlor er sich in die Schritte, in den Takt der Musik, die er nur noch als ein Rauschen im Hintergrund wahrnahm. Ihm war, als tanzten sie nicht selbst, sondern als würden sie hineingezogen in einen Strudel, der ihnen auf wundersame Weise die Bewegungen vorgab und sie mitriss, ohne dass es ein Entkommen gab. Aber das war nebensächlich, denn sie hätten ewig so weitertanzen können... Bis die Musik schließlich verklang. Sie blieben stehen und der Strudel verlor seine Macht. Seto ließ ihre Hand los und trat einen Schritt zurück, und damit war der Zauber gebrochen. Und schon kam Koenji hinzu geeilt, um mit seiner Tochter das Kuchenbuffet zu eröffnen. Die Worte, die sie sprachen, rauschten bedeutungslos an Seto vorbei, während er zurück zu seinem Platz schlich. Das Gefühl, das eben noch so deutlich gewesen war, versiegte und schon konnte er sich nicht einmal mehr daran entsinnen. Die Gäste strömten zum Buffet, doch er griff nach seinem Mobiltelefon und teilte Isono mit, dass er sofort abgeholt zu werden wünschte. Bevor er ging, warf er noch einen Blick zu Erika hinüber, die wie ein Engel inmitten der schwarzgekleideten Raben stand und ihn ansah. Er hob die Hand zum Abschied und verließ den Saal. Draußen war es selbst um diese Uhrzeit noch nicht dunkel und die Sterne kaum zu sehen in der Helligkeit, die die Stadt ausstrahlte. Isono hielt den Wagen vor seinen Füßen an, Seto stieg ein und ließ sich in die gepolsterte Rückbank fallen. Sein Chauffeur legte den Gang ein, drückte das Gaspedal und dann verließen sie das Hotel. In den nächsten Tagen versuchte Seto sich zu benehmen wie immer. Tatsächlich merkte er, dass irgendetwas sich verändert hatte, irgendwo tief in ihm drin. Auf einmal war alles um ihn herum anders, obwohl sich doch nichts verändert hatte, ihm fielen Dinge auf, die er so nie bemerkt hatte, und über manches, das ihn vorher furchtbar geärgert hätte, konnte er jetzt nur noch belustigt die Achseln zucken. Manchmal, wenn er morgens aufwachte, hatte er den flüchtigen Eindruck von einem Strudel aus Weiß und einer sanften Sommerbrise, die ihm aus seinem Traum in die reale Welt gefolgt waren, doch meist vergaß er es sofort wieder. Am Donnerstag nach der Feier, es war gerade sechs Uhr und Seto erst seit ein paar Minuten aus der Schule zurück, klingelte sein Telefon im Büro des Firmengebäudes der Kaiba Corporation. Er nahm ab, in Gedanken noch bei dem Geschichtsthema der letzten Stunde, und murmelte sein übliches „Kaiba Corporation Geschäftsleitung, Kaiba Seto am Apparat“ in den Hörer. „Sie sind es persönlich! Was für ein Glück!“, schallte ihm eine helle Stimme ins Ohr, die er sofort erkannte. „Hier ist Koenji Erika“, fuhr die Anruferin fort. „Wie geht es Ihnen, Kaiba-san?“ „Soweit gut“, erwiderte Seto, „aber Sie werden doch nicht nur angerufen haben, um das zu fragen, also kommen Sie zur Sache, ich habe zu tun!“ „Wenn Sie darauf bestehen... Ich habe schon die ganze Woche versucht, sie zu erreichen, aber Sie waren nie da...“ „Ich sagte, kommen Sie zur Sache!“ „Also gut, ich mache es kurz. Hätten Sie Interesse, mich in nächster Zeit zu treffen?“ Sein Herz klopfte auf einmal schneller, was sollte er sagen? „Nein. Auf Wiederhören“, sagte er knapp und legte auf. Er ließ sich in seinen Chefsessel zurückfallen und starrte zur Decke. Nein? Hatte er das gerade tatsächlich gesagt? Warum hätte er ja sagen sollen? Und doch fühlte er sich irgendwie enttäuscht. Von ihr? Von sich selbst. In der folgenden Woche rief Erika noch zweimal an, als er da war, doch er hatte sich entschlossen, konsequent zu bleiben. Die einzige Antwort war nein, und als sie das zweite mal anrief, legte er fast augenblicklich wieder auf, ohne etwas zu sagen. Warum gab sie nicht einfach auf? „Was ist das denn?“ Seto hatte gerade seinen elektronischen Terminkalender aufgerufen, um die nächste Woche zu checken. „Was ist was?“, fragte Mokuba, der es sich mit seinen Mathehausaufgaben auf der Couch in der Chefetage gemütlich gemacht hatte, und legte seinen Stift ab. Seto deutete mit einem Stirnrunzeln auf den Bildschirm, auch wenn Mokuba ihn sowieso nicht sehen konnte, und erklärte: „Hier steht für morgen ‚Geschäftsessen mit Nakayama von ComTech um 18 Uhr im Au Four’. Den Termin habe ich sicher nicht ausgemacht! Was will der Typ überhaupt noch von mir? Das mit der nächsten Lieferung hatten wir doch schon umfassend geklärt!“ Mokuba stand auf. „Ich habe den Termin eingetragen...“, sagte er schüchtern, „es klang irgendwie wichtig. Ich habe also geschaut und mit ihm einen Termin ausgemacht... bist du mir jetzt böse?“ Seto unterdrückte eine Grimasse. „Woher weißt du überhaupt das Passwort für meinen Rechner?“ „Das wusste ich schon eine ganze Weile... ist ja auch nicht so schwer zu erraten... mein Geburtsdatum, ich bitte dich...“ Jeden anderen hätte Seto jetzt angeschrien, dass er trotzdem nichts an seinem Rechner verloren hätte, aber bei Mokuba war das etwas anderes. „Dann sollte ich das Passwort wohl dringend ändern. Und du machst in Zukunft keine Termine mehr für mich ab, ist das klar?“ „Ja...“, murmelte Mokuba kleinlaut. Seto seufzte. „Ich freue mich jetzt schon riesig auf morgen Abend...“ Seto verließ den Wagen mit einem Gesichtsausdruck, der jeden Verbrecher in die Flucht geschlagen hätte, klemmte sich die Aktentasche mit den Details über den Handel mit der ComTech unter den Arm und ging auf das Restaurant zu. Übel gelaunt aus zwei Gründen; zum einen musste er mal wieder einen Anzug tragen, zum anderen hatte Erika seit vier Tagen nicht mehr angerufen. Als er die Treppe zum Eingang erklomm, schalt er sich einen Idioten. Er hatte doch selbst gewollt, dass sie aufgab, also was ärgerte er sich jetzt darüber? „Sind Sie Kaiba Seto?“, fragte ihn der Kellner am Eingang. „Ja, wer denn sonst!“, fuhr Seto ihn an. Der Mann nickte, als sei dieser Umgangston das Normalste auf der Welt in einem 4-Sterne-Restaurant und verbeugte sich mit den Worten: „Folgen Sie mir bitte“. Er führte Seto zwischen den Tischen hindurch, der noch immer überlegte, ob er vielleicht doch wollte, dass Erika ihn anrief. Vielleicht sollte er selbst morgen... „Guten Abend Kaiba-san!“ „Guten Abend“, sagte er abwesend und setzte sich auf den Stuhl gegenüber von seinem Geschäftspartner. „Dann lasse ich Sie mal allein“, bemerkte der Kellner und ging. Seto sah ihm nach und fragte sich noch, warum er so seltsam grinste, als ihn jemand am Ärmel zupfte. Er drehte sich lustlos um und fuhr dann so weit es ging auf seinem Stuhl zurück. „E- Erika-san! Was tun SIE denn hier?“ Die Frau, die ihm gegenüber saß lächelte erstaunt. „Wen haben Sie denn sonst erwartet?“ Seto sah sich desorientiert um. „Ich – ich war mit einem Geschäftspartner von der ComTech verabredet, um 18 Uhr. Dass ich Sie hier treffe...“ Er war schon halb wieder aufgestanden, doch Erika winkte ihm, wieder Platz zu nehmen. „Mokuba-kun ist wirklich ein cleverer Junge“, stellte sie fest. Seto ließ sich wieder auf den Stuhl fallen und fragte verwundert: „Was hat Mokuba damit zu tun?“ Erika zwinkerte ihm zu. „Als ich vor ein paar Tagen angerufen habe, ist Ihr kleiner Bruder rangegangen. Ich habe ihm gesagt, dass ich mich gerne mit Ihnen verabreden würde und da hat er mir versprochen, sie irgendwie dazu zu bringen, hier aufzutauchen. Aber dass er Sie sogar anlügen würde...“ Sie lachte kokett und trank einen Schluck von dem Wein, der in einem Glas vor ihr stand. Seto bemerkte, dass an seinem Platz auch eines stand und stürzte die rote Flüssigkeit in einem Zug hinunter. „Dieser kleine Schlingel...“, murmelte er. Erika lächelte ihn an und auf einmal musste auch er lächeln, nein, er begann zu lachen. Wie hatte er nur so blöd sein können und auf Mokuba reinfallen? Als sein Lachen versiegte, sah er Erika wieder an, die sich prompt erhob. „Da Sie nun hier sind, können wir ja gehen“, stellte sie fest. Er stand auf und trat an ihre Seite. „Gehen? Wohin?“, fragte er. Sie lachte ihn geheimnisvoll an und legte einen Finger auf die Lippen. „Das ist ein Geheimnis!“ Draußen wartete auf sie eine fünf Meter lange, weiße Limousine, deren Tür von dem schwarzhaarigen Diener mit dem Smaragdohrring aufgehalten wurde und der sich tief verbeugte, als Erika auf die Rückbank glitt. Sie winkte Seto zu sich, eine Aufforderung, der er lieber nicht nachgekommen wäre, wäre nicht die zweite Sitzbank von den drei Dienern besetzt gewesen. Der Fahrer gab Gas und das Auto fuhr gemächlich an. Seto war möglichst weit nach außen gerutscht und betrachtete neugierig das luxuriöse Innere des Wagens, das nicht nur einen kleinen Tisch, einen Minikühlschrank und einen Fernseher enthielt, sondern auch noch Aufbewahrungsort für ein großes Sortiment an kleinen Schönheitsmittelchen und Schmuck zu sein schien. Ein verstohlener Blick zu Erika hinüber bestätigte, was er bisher nur ansatzweise bemerkt hatte, nämlich, dass sie den Schmuck trug, den er ihr geschenkt hatte. Nicht nur die Ohrringe gehörten dazu, sondern auch eine Kette, an der mehrere kleinere Exemplare des Ohrschmuckes hingen. Warum nur konnte er den Blick nicht von ihrem schönen, weißen Hals wenden? Sie bemerkte, dass er sie anstarrte und lächelte freundlich. „Steht es mir?“, fragte sie. Er erinnerte sich, dass sie ihm diese Frage schon einmal gestellt hatte, doch damals hatte er eine komplett unehrliche Antwort gegeben, nein, er hatte nicht einmal auf den Schmuck geachtet. Er hatte gerade den Mund geöffnet, als der Wagen mit einem Ruck stehen blieb. Sofort sprangen die drei Diener hervor und der Rothaarige öffnete die Wagentür, um erst Seto und dann Erika hinauszulassen. Erika deutete nach vorn, wo ein riesiges, glasverkleidetes Hochhaus stand. „Dort oben ist unser Ziel“, sagte sie und deutete auf die Spitze des Hauses. Seto sah hinauf, konnte allerdings kein besonderes Ziel ausmachen. Er ließ sich von Erika und ihren drei Dienern, die eifrig den Boden putzten, bevor sie ihn betrat, zu einem Fahrstuhl führen, der außen am Gebäude angebracht war. „Ihr wartet bitte hier“, sagte Erika zu den Männern und betrat mit Seto den Fahrstuhl. Der setzte sich langsam in Bewegung. „Sie haben sicher bemerkt, dass meine drei persönlichen Bediensteten jeder einen Ohrring tragen“, sagte Erika. Seto nickte. „Nun, es ist so. Nur Personen, die ich persönlich auswähle, erhalten von mir einen solchen Ohrring mit einem Edelstein. Es ist eine Auszeichnung, die ich nur an besonders gut aussehende und charmante junge Männer vergebe. Mein Lieblingsstein, den Diamanten, hatte bisher noch niemand verdient.“ Der Fahrstuhl kam zum Halten und die Tür öffnete sich. Erika trat auf einen langen Flur und betrat dann zielsicher eine Tür auf dessen rechter Seite, deren Aufschrift Seto nicht schnell genug erkennen konnte. Der Raum dahinter war voller Geschmeide. In Vitrinen lagen diamantene Halsketten, goldene Ringe, Ohrgehänge aus Rubinen und dergleichen vieles mehr. Ein älterer Mann hatte die Türglocke vernommen und kam hinter einem Regal hervor. „Erika-sama! Was für eine Ehre, dass Sie mir wieder einen Besuch abstatten! Was kann ich für Sie tun?“ „Takara-san, bringen Sie mir bitte den Diamanten.“ Die Augen des Alten weiteten sich. „Natürlich, Erika-sama!“, rief er aus und verschwand. „Verstehe ich das richtig?“, fragte Seto, „Sie wollen wir den Diamantohrring geben? Ich weiß nicht, ob ich diese Ehre verdiene.“ „Aber ich weiß es ganz genau. Sie und kein anderer sind der Richtige für dieses Schmuckstück.“ „Ich trage normalerweise keine Ohrringe...“ „Das ist kein Problem. Takara-san wird ihnen gleich ein Ohrloch stechen. Setzen Sie sich schon mal hin.“ Erika drückte Seto sanft auf einen Sessel. „Ich würde sagen, Sie sollten ihn im linken Ohr tragen, was meinen Sie?“ „Ja...“, sagte Seto. Er fühlte sich ein wenig schwindelig und noch dazu war ihm unwohl zumute bei der Vorstellung, dass man ihm gleich eine gar nicht all zu dünne Metallnadel durch das Ohrläppchen bohren würde. Der Mann kam zurück, in der Hand ein Gerät, das große Ähnlichkeit mit einer Pistole hatte. „Das Linke“, sagte Erika. Er beugte sich über Seto und schob seine Haare zur Seite, dann drückte er mit einem Kugelschreiber einen Punkt auf sein Ohrläppchen. „Ja, das ist gut“, rief Erika begeistert. Takara tupfte mit einem desinfizierten Tuch über Setos Ohrläppchen. „Keine Sorge, es ist nur ein kleiner Pieks“, versicherte der Juwelier. Seto beruhigte das nicht sonderlich, aber er schaute so furchtlos drein wie möglich, als Takara das Stechgerät anlegte, „Nicht bewegen!“ sagte und abdrückte. Es war wirklich nur ein kurzes Stechen, dann löste sich die Anspannung. „Ooh, wunderbar!“, stieß Erika aus. Takara hielt Seto einen Spiegel vor das Gesicht und der betrachtete sein linkes Ohr. Das Ohrläppchen war ein bisschen rot, aber der Diamant in der silbernen Fassung glitzerte und bildete einen schönen Kontrast zu seinem dunkelbraunen Haar. „Ich wusste es! Es sieht einfach wunderbar aus, Kaiba-san!“, sagte Erika angetan. Seto stand auf und sah ihr in die Augen. Auf einmal fühlte er sich klarer als je zuvor. „Da Sie mir nun schon so ein wertvolles Geschenk gemacht haben, können Sie auch Seto zu mir sagen.“ „Nur, wenn du mich auch duzt.“ Seto nickte. Takara überreichte ihm noch ein kleines blaues Fläschchen mit Desinfektionslösung, die er zweimal täglich auf das neue Ohrloch träufeln sollte, um eine Entzündung zu vermeiden. Er riet ihm außerdem, das Schmuckstück hin und wieder zu drehen, damit es nicht festwuchs. Mit Erika verließ er das Hochhaus wieder über den Fahrstuhl, von wo sie eine gute Aussicht über die Stadt hatten, angestrahlt vom Licht der letzten roten Sonnenstrahlen. Erika brachte Seto mit ihrer Limousine nach Hause und verabschiedete sich von ihm mit dem Versprechen, sich bald wieder zu melden. Mokuba wartete auf einem Sessel in der Eingangshalle, wo er eingeschlafen war, doch als Seto die Tür hinter sich zuschlug, fuhr er hoch und rieb sich die Augen. „Na, wie war es?“, fragte er. „Schrecklich“, sagte Seto. Mokuba wich in seinen Sessel zurück und sah entschuldigend zu seinem Bruder hoch. „Hee, wo hast du denn den Ohrring her, O-Nii-sama?“ „Den hat mir ‚Nakayama’ geschenkt.“ „War es wirklich so schlimm?“, fragte der Kleine schuldbewusst. Seto beugte sich dicht über ihn und piekste ihm mit dem Zeigefinger in die Seite. Mokuba schrie auf. „Hör auf, da bin ich kitzelig!“ „Selber schuld, wenn du deinen Bruder anlügst“, gab Seto zurück und richtete sich wieder auf. „Ich tu’s nie wieder! Wirklich!“, rief Mokuba ängstlich. Kaiba wandte sich zur Treppe und begann zu grinsen. „Schon gut“, sagte er und ging zügig nach oben. Mokuba richtete sich im Sessel wieder auf und sah ihm verwirrt nach. Hatte er schrecklich gesagt? Am nächsten Morgen in der Schule fiel den Mädchen sofort auf, dass Seto nun über ein neues Schmuckstück verfügte. Nachdem er jedoch verkündet hatte, der Ohrring stehe für ein Versprechen an eine Frau, ließen sie ihn in Ruhe. Schon vor Unterrichtsbeginn hatten sich ein paar abstruse Gerüchte über die Identität dieser Frau entwickelt. Es gab sogar ein paar, die behaupteten, sie hätten ihn mit einem Mann gesehen, der am rechten Ohr einen solchen Ohrring trug. In der Mittagspause wurde Seto in das Büro des Schulleiters bestellt. Als er es betrat, wies ihm der Mann mit Namen Kochou an, Platz zu nehmen und ergriff das Wort. „Ich denke, du weißt, warum du hier bist?“ Seto sah ihn schweigend an und wartete ab. „Die Schulordnung verbietet das Tragen von Tätowierungen und Piercings an allgemein sichtbaren Stellen.“ „Was wollen Sie mir damit sagen?“, fragte Seto ungeduldig. Kochou sah ihn irritiert an. „Dein Ohrring fällt unter dieses Verbot. Du darfst ihn nicht tragen.“ Seto verschränkte die Arme und lehnte sich zurück. „Was, wenn ich mich nicht daran halte?“ „Wer gegen die Schulordnung verstößt, fliegt.“ Kaiba erhob sich und baute sich vor dem unwillkürlich zurückweichenden Kochou auf. „Wenn ich einen Verlobungsring tragen würde, würde Sie mir verbieten, ihn zu tragen?“ Der Schulleiter schwieg angespannt. „Würden Sie das?“ „Na- natürlich nicht! Das Tragen von Schmuck wie Ringen und Ketten ist durchaus erlaubt...“ Seto legte seine Hand mit Nachdruck auf den Schreibtisch und sagte bedrohlich: „Wenn dieser Ohrring aber ein Zeichen der Zusammengehörigkeit ist, so wie ein Verlobungsring?“ „Ohrringe sind nicht erlaubt“, wiederholte der Ältere verunsichert. Seto richtete sich erbost zu voller Größe auf. „Dies ist eine staatliche Schule, die von den Steuergeldern der Bürger finanziert wird. Wissen Sie eigentlich, wie viele Steuern die Kaiba Corporation im Jahr zahlt, damit diese Schule auch ärmeren Leuten die Chance zur Ausbildung gibt? Ich zahle das Geld, von denen IHR Gehalt bezahlt wird und SIE wollen mir verbieten, einen läppischen Ohrring zu tragen?“ Kochou wich ängstlich zurück. Seto blieb unvermindert bedrohlich stehen. „A- also gut... eine.... Sondergenehmigung“, murmelte der Schulleiter. Seto verließ auf der Stelle mit einem zufriedenen Lächeln den Raum. „Koenji-san hat angerufen“, teilte Mokuba ihm mit, als er am Freitag aus der Schule kam, seine regennasse Jacke ablegte und zu seinem Schreibtisch ging. „Er möchte sich mit dir noch mal über die Mikrochips unterhalten, du wolltest doch die Menge erhöhen... Sonntag im Diamond Sky, um Neunzehn Uhr.“ Beinahe hätte Seto seine Akten über die Geschäftsbeziehungen zur Koenji Group vergessen, als er sich am Sonntagabend aufmachte, doch zum Glück hatte Mokuba noch rechtzeitig daran gedacht. Er stieg in den Wagen und während Isono den Wagen durch den Feierabendverkehr lotste, drehte er gedankenverloren den Ohrring zwischen seinen Fingern. Erika hatte sich seit dem letzten Treffen nicht mehr mit ihm in Verbindung gesetzt, was ihm überhaupt nicht gefiel. Hatte er etwas falsch gemacht? Das Auto hielt vor dem Hotel, das er schon von der Party kannte, und er stieg aus. Es hatte sich nichts verändert in den drei Wochen seit er Erika das erste mal getroffen hatte, und doch war nun alles anders. Wie hatte ihm damals nicht auffallen können, wie wunderschön sie war? „Kaiba-sama, Ihre Tasche!“, rief Isono ihm nach. Seto schlug sich gegen die Stirn und rannte zurück. Wie konnte er nur so gedankenverloren sein? Drinnen grüßte ihn ein Kellner mit einer Verbeugung und brachte ihn in das Restaurant des Hotels, wo die Tische in mit Hecken voneinander getrennten Nischen standen. Aus unsichtbaren Lautsprechern ertönte Klaviermusik und das satte Grün wirkte sich auf ihn äußerst beruhigend aus. Als der nächste Tisch in Sicht kam, blieb er unwillkürlich stehen. An ihm saß eine Frau mit blondem Haar, doch er konnte ihr Gesicht noch nicht sehen. „Erika...?“, fragte er. Sie drehte sich um und brachte ein Lächeln auf sein Gesicht. Sie war es. Erika stand auf und begrüßte ihn mit einer kurzen Umarmung, die er nur zu gerne erwiderte. Die Aktentasche fiel ungeachtet zu Boden. „Was tust du hier?“, fragte er, als sie gegenüber Platz nahmen. „Ich dachte, ich wäre mit deinem Vater verabredet... Hat Mokuba etwa wieder...?“ „Nein, ich habe ihn überredet, dich mir zu überlassen, weil ich dich sehen wollte.“ Ein schwarz livrierter Kellner tauchte auf und brachte Rotwein, verschwand aber sofort wieder. Kaiba nippte an dem Getränk und sah Erika weiter an. „Du siehst hübsch aus“, sagte er nach ein paar Schlucken. Sie trug ein weißes Oberteil mit Rüschen und ihre Haare zu einem einfachen Pferdeschwanz aufgesteckt. „Der Ohrring steht dir aber auch sehr gut.“ „Ich hatte in der Schule ein paar Probleme deswegen...“ Erika erschrak. „Tut mir leid! Ich... ich hatte ganz vergessen, dass du noch...“ Er schüttelte abwehrend den Kopf. „Keine Sorge, ich habe meinen Schulleiter überzeugen können, dass ich ihn tragen darf“, sagte er und griff abwesend nach einem der Messer, die rechts von seinem Teller lagen. „Du hättest mir doch sagen können, dass du mit dem Ohrring Ärger riskierst...!“ Er wiegte das Messer zwischen Zeige- und Mittelfinger und blickte ihr fest in die Augen. „Hätte ich auf das Zeichen, dass du mich ausgewählt hast, verzichten sollen nur um Ärger zu vermeiden?“ In dem Augenblick, wo er den Satz beendete, schleuderte er das Messer knapp an ihr vorbei in den Mandarinenbusch hinter ihr. Ein Aufschrei ertönte und dann kippte der Topf mit der gesamten Hecke hinter ihr um. Erika fuhr herum und blickte auf den verlegen schauenden grauhaarigen Mann, der sich gerade noch vor dem umkippenden Gewächs hatte in Sicherheit bringen können. „O-Too-sama?“ [O-Too-sama: erfurchtsvolle Anrede für den Vater], fragte sie entsetzt. Seto stand auf und trat neben den Mann, wo er sein Messer wieder aufhob. Seine Miene war hart. „Das haben Sie aber schön eingefädelt, Koenji-san!“, sagte er. „Mich zum Geburtstag Ihrer Tochter einzuladen, Sie überredet, dass ich den Diamanten verdient habe und sie zum Geschäftsessen geschickt. Und das, um eine Verbindung unserer Firmen zu erwirken. Sie wollten wohl sehen, wie ihr Plan funktioniert?“ Ein Knallen ertönte; Erikas Stuhl war umgefallen, als sie aufgesprungen war. „So denkst du also über mich, Seto?“, schrie sie. Seto starrte sie betroffen an, denn noch mehr als ihre Worte erschreckten ihn die Tränen, die in ihren Augenwinkeln schimmerten. „Du hättest nichts besseres tun können, als hier aufzutauchen!“, fuhr sie ihren Vater an, dann drehte sie sich auf dem Absatz um und verschwand in Richtung Ausgang. Seto und ihr Vater blieben schuldbewusst stehen und sahen sich besorgt an. Schließlich brach der Ältere das Schweigen, während zwei Kellner angerannt kamen, um die Hecke wieder aufzurichten. „Ich hatte Sie zu ihrem Geburtstag eingeladen, weil ich der Meinung war, sie bräuchte dort jemanden in ihrem Alter. Aber ich hätte nicht gedacht, dass sie so schnell Gefallen an Ihnen finden würde. Es war immer Erika-chan, die Sie sehen wollte. Dass sie sich mit Ihnen getroffen und Ihnen diesen Ohrring gegeben hat, habe ich erst von meiner Frau erfahren, und als Erika-chan mich heute morgen mit Mühe überredete, sich mit Ihnen hier zu treffen, da wurde ich neugierig... Sie hat noch niemals Gefallen an einem Mann geäußert, und für einen Vater ist so etwas nun einmal auch sehr interessant... Wie haben Sie mich überhaupt bemerkt?“ „Ich habe irgendwas rascheln gehört, und da es nicht aufhörte kam ich zu dem Schluss, dass uns jemand belauschen musste“, sagte Seto, immer wieder schluckend. Er suchte den Anblick der beruhigenden Pflanzen, doch er fühlte sich elend. Mit den Fingern drehte er den Ohrring und war fast versucht, ihn herauszureißen. Er hatte mit seinen bodenlosen Anschuldigungen alles zerstört! Er war nur so erschrocken gewesen, als er Koenji entdeckt hatte, hatte das alles für ein abgekartetes Spiel gehalten, ohne irgendeinen Beweis zu haben. Dabei mochte er Erika so, hatte er sie so lieb gewonnen und sich die ganze Woche nichts sehnlicher gewünscht, als sie wiederzusehen oder zumindest am Telefon mit ihr zu sprechen... Er schrak zusammen, als ihm jemand eine Hand auf die Schulter legte. „Machen Sie sich keine Sorgen. Wenn sie Ihnen den Ohrring geschenkt hat, wird sie Sie nicht so leicht aufgeben. Erika-chan ist manchmal etwas aufbrausend, aber wenn Sie sich bei ihr entschuldigen, wird alles wieder gut.“ Seto nickte, und tatsächlich brachte ihm die Vorstellung von einer Entschuldigung mit einem großen Strauß roter Rosen ein wenig Linderung. Die beiden Kellner hatten längst wieder alles in Ordnung gebracht, als einer von ihnen zu den beiden Männern kam und sich tief verbeugte. „Kaiba-san, ich soll Ihnen ausrichten, dass Koenji Erika-san im Zimmer 311 auf Sie wartet“, teilte er mit und verschwand wieder hinter der nächsten Hecke. Koenji sah Seto aufmunternd an. „Sehen Sie, Sie würde Sie wohl nicht zu sich bitten, wenn sie noch wütend wäre.“ Seto nickte. „Danke“, sagte er und rannte los, direkt zur Treppe in den nächsten Stock. Den Fahrstuhl zu benutzen wäre ihm in seiner Eile nicht eingefallen. So kam er etwas außer Atem im dritten Stock an, rannte jedoch sofort in den rechten Gang, stellte fest, dass das gesuchte Zimmer nicht in diesem Trakt lag und kehrte um, bis er vollkommen aus der Puste vor der Tür mit der goldenen Aufschrift „311“ stand. Er erlaubte sich nur ein kurzes Atemholen, bevor er klopfte. Ein freundliches „Herein“ ertönte. Seto stieß die Tür auf und blieb wie angewurzelt stehen. Erika lag mit dem Rücken flach auf dem großen Bett am anderen Ende des recht kleinen Zimmers, ein Bein angewinkelt und das andere graziös ausgestreckt. Ihr goldenes Haar spielte um ihren Körper, der in rosa Unterwäsche mit schwarzen Borten steckte. Ihre Beine steckten in langen, mit Strumpfbändern befestigten Strümpfen. Ihr ganzer Körper war schlank und anmutig und drückte einen unbändigen Stolz aus. Seto schloss langsam die schwere Holztür hinter sich und konnte dabei den Blick nicht von ihrem Körper wenden. Sie begann zu sprechen. „Die Geschäftsbeziehungen meines Vaters haben mit meinen Gefühlen nichts zu tun.“ Ihre Stimme klang gleichzeitig freundlich und auffordernd. „Ich will dich, Seto.“ Der trat an ihr Bett und wusste nur eines. Es war seine Erika, sie wartete auf ihn, sie war so verrückt nach ihm, wie er nach ihr und er der einzige, dem sie sich jemals so zeigen würde. Er sah zu ihr hinab und sah ihr tief in die Augen. „Ich will dich auch, Erika.“ Dann riss er sie an sich und küsste sie leidenschaftlich. ... und was dann noch passiert, überlasse ich der (schmutzigen?) Fantasie von euch Lesern, schließlich wollen wir das Kapitel doch nicht als Hentai markieren müssen ~.° Kapitel 18: Yukihito und Chibi-Usa - Zukunftsträume --------------------------------------------------- Von So, jetzt bin ich wieder dran^.^ Bei diesem Pairing hatten wir wieder eine Bedingung: helle Haare. Dieser Begriff ist ziemlich dehnbar. Ich habe mir Yukihito Yashiro ausgesucht und Jitsch hat sich für Chibi-Usa entschieden. Yashiros Vorname stellte ein kleines Problem dar. Da haben die Übersetzer irgendwie Mist gebaut-.- Bei der Charakterbeschreibung zu Yashiro im Manga stand eindeutig Yukihito. Aber in einer späteren Folge war ein kleiner Pfeil zu Yashiro und da stand Kouichi. Im Nachhinein haben wir festgestellt, dass das im Grunde genommen dasselbe ist, weil beides mit den gleichen Schriftzeichen geschrieben wird, nämlich „Schnee“ und „Eins“. Bei dem mit dem Pfeil wird wahrscheinlich nicht drübergestanden haben, wie man die Schriftzeichen ausspricht... Mit dem Alter war das schon wieder ein Problem, weil Chibi-Usa acht ist und Yukihito fünfundzwanzig. Aber auch dieses Problem haben wir gelöst! Und an alle die Ren kennen: Chibi-Usas Sicht von Ren entspricht nicht meiner. Sie hat halt keine Ahnung... Na ja, egal! Jetzt geht's los mit Yukihito und Chibi-Usa in: Zukunftsträume Chibi-Usa räkelte sich auf dem gemütlichen Sofa und starrte gelangweilt auf den flimmernden Bildschirm des Fernsehers. Gerade standen ein Mann und eine Frau am Strand, von der untergehenden Sonne in ein orange-rotes Licht getaucht und bewegten ihre Lippen aufeinander zu. Chibi-Usa betätigte die Fernbedienung. Die beiden verschwanden. Jetzt erschien ein steinalter Nachrichtensprecher und erzählte mit ernster Miene von irgendwelchen belanglosen Dingen, die auf der Welt geschahen. Erneut schaltete Chibi-Usa weiter. Das Gesicht eines jungen Mannes, vielleicht zwanzig Jahre alt, füllte jetzt den Bildschirm. Dieses wahr sehr schmal. Braune Augen sahen Chibi-Usa an und ein unglaublich gekünsteltes Lächeln ließ sie zusammenzucken. Was ist das denn für einer?, fragte Chibi-Usa sich und wollte gerade weiterschalten, als ein anderer Mann neben dem Schmalgesichtigen auftauchte. Er hatte rotblondes Haar, das ihm widerspenstig ins Gesicht fiel. Seine braunen Augen blitzten hinter der Brille, die ihn sehr intelligent aussehen ließ, interessiert auf. Chibi-Usa betrachtete diesen Mann. Er sieht sogar noch besser aus als Mamoru!, stelle sie fasziniert fest. Eine weibliche Stimme, anscheinend eine Interviewerin, sagte: „Nun, Tsuruga-san, ich hörte, Sie seien ein sehr selbstständiger Mensch. Brauchen Sie überhaupt einen Manager wie Yukihito Yashiro?“ Der Schmalgesichtige schenkte seinem gut aussehenden Begleiter ein Lächeln und sagte: „Selbstverständlich. Yashiro-san kümmert sich um meine Termine und sorgt auch sonst für alles, was ich überhaupt nicht schaffen kann. Ohne einen fleißigen, ruhigen und geordneten Manager wie ihn wäre ich bestimmt nie so weit gekommen.“ Chibi-Usa, die nur noch auf den rotblonden starrte, stellte fest, dass er bei diesen Worten ein wenig rot wurde. „Yukihito...“, murmelte Chibi-Usa. Dann sprang sie auf. Einer plötzlichen Idee folgend lief sie zu Usagis Zimmer hoch und riss die Tür auf. „Luna!“, rief sie. Die schwarze Katze mit dem Halbmond auf der Stirn hatte bis eben noch auf der mit Sternen und Monden verzierten Bettdecke gedöst. Jetzt fuhr sie erschrocken hoch. „Luna! Ich muss dich unbedingt was fragen!“, sagte Chibi-Usa aufgeregt. „Was ist denn los?“, fragte Luna schläfrig. Chibi-Usa sprang auf das Bett und setzte sich neben Luna. „Du guckst doch den ganzen Tag fern -“ „Tu ich gar nicht!“ Chibi-Usa ging gar nicht auf sie ein, sondern fragte: „Kennst du einen Tsuruga? Das ist irgend so ein schmalgesichtiger Typ, der...“ Luna hob die Augenbrauen und fragte: „Redest du von Ren Tsuruga, dem beliebtesten Mann Japans? Er ist Schauspieler.“ „Bei welcher Agentur?“, fragte Chibi-Usa begierig. „Und kennst du seinen Manager? Er heißt Yukihito Yashiro.“ Luna überlegte kurz. Dann antwortete sie: „Soweit ich weiß ist er bei LME. Seinen Manager kenne ich glaub ich nicht.“ Chibi-Usas Augen begannen zu leuchten. „Luna... weißt du, wo das Firmengebäude von LME ist?“ Luna sah sie misstrauisch an. „Ich glaube, das ist hier in Tokyo. Aber warum -“ „Danke!“, rief Chibi-Usa, sprang auf und verließ rennend das Zimmer. Luna sah ihr verwundert nach. Chibi-Usa schnappte sich Luna-P, den schwarzen Katzenkopf mit dem Halbmond auf der Stirn, der sich in alles Mögliche verwandeln konnte, und schlich dann zur Haustür. Außer Luna war zwar nur ihre Mutter Ikuko zu Hause, aber die hatte Ohren wie ein Luchs. Chibi-Usa zog schnell ihre Hausschuhe aus und schlüpfte in ihre Straßenschuhe. Langsam streckte sie die Hand nach der Türklinke aus und drückte sie runter. „Chibi-Usa! Wo willst du hin?“, fragte da Ikukos strenge Stimme hinter ihr. Chibi-Usa wirbelte herum und sah zu der blauhaarigen Frau hinauf. „Ähm... ich wollte spielen gehen“, log sie. Ikuko hob die Augenbrauen und sagte: „Das Mittagessen ist bald fertig. Wenn Shingo und Usagi nach Hause kommen, essen wir.“ Blitzschnell überlegte Chibi-Usa sich, was sie sagen konnte, um sich loszueisen. „Aber ich hab mich mit Momoko verabredet.“ Ikuko seufzte, doch dann sagte sie: „In Ordnung. Aber komm bald zurück.“ Chibi-Usa grinste über das ganze Gesicht und sagte: „Klar doch, Mama!“ Dann öffnete sie die Tür und lief hinaus. Es war sehr warm heute, schließlich war es mitten im Sommer. Die Bienen summten und die Grillen zirpten munter. Chibi-Usa vergewisserte sich, dass niemand zusah, dann warf sie Luna-P in die Luft und rief: „Luna-P! Verwandle dich!“ Sofort wurde der Katzenkopf zu einem blinkenden roten Pfeil, der sich langsam nach vorne entfernte. Er würde ihr den Weg zum LME-Gebäude zeigen. Chibi-Usa lief ihm fröhlich hinterher. Nach etwa zehn Minuten, sie waren jetzt mitten in der Innenstadt von Tokyo, blieb Chibi-Usa keuchend stehen. Auch der rote Pfeil, dem sie gefolgt war, hielt inne. Sie war zwar eigentlich recht gut in Sport, aber länger konnte sie in diesem Tempo auf keinen Fall durchhalten. Da kam ihr eine Idee. Hier würde sie bestimmt jemanden finden, der ihr den Weg zum Firmengebäude zeigen konnte. Und dann konnte sie Luna-P in etwas anderes verwandeln... „Du, Onkel, weißt du, wo das Gebäude von LME ist?“, sprach sie einen älteren Herrn im Indianerkostüm an, der gerade auf einem prächtigen braunen Pferd an ihr vorbeiritt. Er lenkte seinen Blick auf das kleine Mädchen mit den rosa Haaren, das zu ihm aufsah. Lächelnd sagte er: „Selbstverständlich weiß ich das, kleine Lady. Steig auf.“ Chibi-Usa, die diesen Mann auf Anhieb sympathisch fand, schnappte sich Luna-P, verwandelte sie unter den erstaunten Blicken der Umstehenden zurück und trat dann neben das Pferd. Sie war ungefähr so hoch wie seine Beine. „Ich komm nicht hoch. Dein Pferd ist zu groß“, maulte sie. Der freundliche Mann reichte ihr seine Hand und zog sie hoch. Er setzte sie vor sich und sagte: „Halt dich fest, Prinzesschen.“ Sie konnte sich gerade noch in der schwarzen Mähne festkrallen, als das Pferd auch schon losgaloppierte, mitten durch die belebte Innenstadt von Tokyo. „Wie heißt du?“, fragte der Mann nach einer Weile. „Chibi-Usa“, murmelte sie. Es bereitete ihr Mühe, bei dieser Geschwindigkeit nicht vom Pferd zu fallen. „Und wer bist du?“ „Lory Takarada, Präsident von LME“, stellte er sich mit stolzer Stimme vor. „Nett dich kennenzulernen, Chibi-Usa.“ „Du? Echt? Hätte ich nicht gedacht!“, stieß Chibi-Usa aus. Vor Erstaunen hätte sie fast vergessen, sich festzuhalten. Vor einem großen Gebäude mit mindestens acht Stockwerken und vielen Fenstern brachte Lory sein Pferd schließlich zum Stehen. Er half Chibi-Usa beim Absteigen. Sie sagte: „Danke fürs Mitnehmen, Lory!“ „Gern geschehen, kleine Lady“, erwiderte er, ließ sein Pferd umdrehen und galoppierte davon. Chibi-Usa sah ihm nach, bis er hinter dem nächsten Haus verschwunden war, dann drehte sie sich zu dem Gebäude um. Durch eine große Glastür sah sie in eine gewaltige Eingangshalle, durch die ein paar beschäftigt aussehende Leute eilten. Chibi-Usa stieß die Tür auf und lief quer durch die Halle auf eine Art Rezeption zu, hinter der eine junge Frau gerade etwas in einen Computer eintippte. „Kannst du mir helfen?“, fragte Chibi-Usa sie geradeheraus. Die Frau löste ihren Blick vom Bildschirm des Computers und musterte Chibi-Usa, die kaum über den Tisch gucken konnte. „Wen suchst du denn?“, fragte sie. „Yukihito Yashiro!“, erwiderte Chibi-Usa. „Das ist der Manager von irgend so einem schmalgesichtigen -“ Doch die Frau unterbrach sie mit schriller Stimme: „Schmalgesichtig? Schämst du dich denn nicht, Ren Tsuruga so zu beleidigen?“ Chibi-Usa schüttelte erstaunt den Kopf und sagte: „Der sieht doch nun wirklich nicht gut aus. Aber ich will zu Yukihito!“ Die Frau schüttelte den Kopf und sagte dann eine Spur zu grob: „Das geht nicht. Yashiro-san ist beschäftigt. Wo kämen wir denn hin, wenn ich jeden zu seinem Idol ließe? Die müssen arbeiten. Und jetzt geh zu deiner Mama zurück und lass mich in Ruhe.“ Chibi-Usa sah sie ungläubig an, dann begann sie laut zu heulen. „Pssst!“, zischte die Frau ihr wütend zu, doch Chibi-Usa schrie nur noch lauter. Ein paar Leute drehten sich empört zu ihr um. Ein großer dunkelhaariger Mann durchquerte mit langen Schritten die Eingangshalle. Als er die schreiende und weinende Chibi-Usa vor der vor Zorn erröteten Empfangsdame sah, setzte er sein freundlichstes Lächeln auf und kam zu ihr. Er ging neben ihr in die Hocke und fragte mit sanfter Stimme: „Na, Kleine? Hast du deine Mama verloren?“ Chibi-Usa sah ihn zweifelnd an und sagte dann trocken: „Du bist doof.“ Den Mann schien diese simple Feststellung ein wenig zu verwirren, denn er sagte nichts mehr. Chibi-Usa schien jetzt erst zu bemerken, dass sie diesen Mann ja kannte. „Bist du nicht dieser komische Schauspieler? Mit Yukihito Yashiro als Manager?“ Er, der anscheinend noch nie erlebt hatte, wie jemand so etwas zu ihm sagte, schwieg kurz. Dann antwortete er, sein freundliches Lächeln wieder aufgesetzt.: „Ja, der bin ich. Warum fragst du?“ Chibi-Usa erwiderte: „Ich will Yukihito treffen, aber die blöde Tante da“, sie zeigte auf die Empfangsdame, „lässt mich nicht. Aber du kannst mir doch helfen, oder?“ Sie sah ihn hoffnungsvoll an. Ren schien zu zweifeln, ob er jemandem helfen sollte, der ihn als doof und als komischen Schauspieler bezeichnet hatte, da trat plötzlich eine andere Person auf die Bildfläche. Chibi-Usa sprang auf und lief auf ihn zu. „Yukihitooo!“, kreischte sie und sprang ihm um den Hals. Er stolperte ein paar Schritte rückwärts, traute sich aber nicht, etwas zu sagen. Als Chibi-Usa sich einigermaßen wieder beruhigt hatte, gelang es ihm, sie auf den Boden vor sich zu stellen. Doch noch immer blickte sie ihn mit großen leuchtenden Augen an, was ihn ein wenig beunruhigte. Er öffnete gerade den Mund, als es aus Chibi-Usa herausplatzte: „Die sind alle so gemein zu mir! Diese... diese blöde Frau wollte mich nicht zu dir lassen und dieser schmalgesichtiger Heini da hinten“, sie zeigte mit dem Finger auf Ren, der langsam auf sie zukam, „behandelt mich wie ein kleines Kind!“ Jetzt wusste Yukihito wirklich nicht mehr, was er sagen sollte. Ren, der jetzt hinter ihr stand, fragte: „Was willst du überhaupt von Yashiro-san?“ Chibi-Usa drehte sich zu ihm um und streckte ihm, den Kopf in den Nacken gelegt, die Zunge raus. „Das sag ich dir doch nicht!“, sagte sie mit trotziger Stimme. Dann drehte sie sich wieder zu Yukihito um und sagte: „Heirate mich, Yukihito!“ Dieser blickte sie überrascht an, dann sah er Hilfe suchend zu Ren auf. Doch dieser grinste nur, sagte: „Ich muss jetzt zum Dreh“, und verließ die Eingangshalle. Yukihito schien nicht so genau zu wissen, was er sagen sollte. Er zögerte kurz, wobei es Chibi-Usa einiges an Anstrengung kostete, still stehen zu bleiben, und erwiderte dann: „Ich werde es mir überlegen, in Ordnung? Aber wie heißt du überhaupt?“ „Chibi-Usa!“, antwortete sie strahlend. Yukihito sah sie einen Moment zögernd an, dann erklärte er: „Hör mal, Chibi-Usa, ich muss jetzt arbeiten. Kannst du nicht -“ „Ich komm mit!“, unterbrach sie ihn. Er startete noch ein paar Versuche, ihr diese Idee auszutreiben, aber es wollte ihm nicht gelingen. Also musste er letzten Endes seufzend nachgeben und die beiden gingen auf die Tür zu, durch die Ren eben verschwunden war. „Wie alt bist du?“, fragte Chibi-Usa und sah Yukihito über ihre Schulter an. Sie saß auf seinem Schoß, während sie der aktuellen Szene des Drehs zuschauten und unterhielt sich mit ihm – genau genommen fragte sie ihn alles, was sie wissen wollte und er antwortete ihr in knappen Sätzen. „Fünfundzwanzig. Sag mal, Chibi-Usa, deine Mutter wartet doch bestimmt zu Hause mit dem Essen auf dich, oder?“ „Stimmt. Ich sollte sie anrufen und ihr sagen, dass ich bei Momoko bin.“ Sie sprang von seinem Schoß und schnappte sich Luna-P. Doch das hatte Yukihito eigentlich nicht beabsichtigt. „Ähm... hast du kein schlechtes Gewissen dabei, deine Mutter anzulügen?“ „Ach was, sie ist ja gar nicht meine richtige Mutter und außerdem würde sie mir sowieso nicht glauben, dass ich bei einem soooo berühmten Mann bin!“ „Ach so. Ja. Dann ruf sie mal an.“ Chibi-Usa verließ mit Luna-P in der Hand den Raum. Draußen verwandelte sie den Katzenkopf in ein Handy und überzeugte ihre Mutter, dass sie bis zum Abend bei Momoko bleiben durfte. Wieder zurück im Raum setzte sie sich wieder auf Yukihitos Schoß und fuhr mit ihrer Fragerei fort: „Wie lange bist du schon der Manager von diesem Typen?“ „Noch nicht lange, vielleicht ein oder zwei Jahre.“ „Magst du ihn?“ „... Was soll ich dazu sagen? Er ist manchmal wie ein kleiner Bruder für mich, manchmal wie ein Sohn und manchmal einfach wie ein Arbeitskollege. Kommt drauf an, wie er gerade drauf ist. Und natürlich kommt es drauf an, was Kyouko gerade wieder getan hat.“ „Wer ist Kyouko? Seine Freundin?“ Yukihito seufzte und strich über ihr von dem Ritt mit Lory etwas durcheinander geratenes Haar. „Tja, wenn das so einfach wäre... Ich bin mir sicher, dass die beiden sich sehr gerne haben, aber sie wollen es einfach nicht zugeben.“ „Sind die denn blöd? Liebe ist doch was Tolles, dafür braucht man sich doch nicht zu schämen!“ Das zauberte ein Lächeln auf seine Lippen. „Ja, das hast du eigentlich völlig Recht. Aber sag das mal Ren Tsuruga, dem berühmten Schauspieler, der nichts tun will, was seiner Karriere irgendwie im Wege stehen könnte.“ „Aber warum sollte sie ihm im Wege stehen? Ist sie denn blöd?“ Yukihito musste lachen. „Nein, das verstehst du falsch. Kyouko ist ein sehr liebes Mädchen. Sie ist auch hier bei LME. Und bei ihrem schauspielerischen Talent wird sie es bestimmt bald schaffen, auf sein Niveau zu kommen und dann wird er sie endlich anerkennen und die beiden werden ein wunderschönes Pärchen werden.“ Bei den letzten Worten war der Blonde in einen träumerischen Ton verfallen. „Und wenn du damit fertig bist, dir irgendwelche zweifelhaften Geschichten über mich auszudenken, kann ich dich dann was fragen?“, fragte eine höfliche Stimme neben ihnen. Erschrocken fuhren sie beide herum. Ren stand dort, sein übliches Gentlemanlächeln aufgesetzt. Was ist das denn für ein mieses, fieses, ekliges Lächeln? Mit so was kann der doch keinen reinlegen!“, dachte Chibi-Usa bei diesem Anblick. Auch Yukihito schien zu merken, dass Ren nicht sehr begeistert von dem war, was er gerade gesagt hatte. Doch er überging es einfach und sagte: „Klar kannst du das. Worum geht es?“ Ren sagte: „Wir sind fertig mit dem Dreh. Und jetzt müssen wir noch woanders hin, also solltest du die Kleine am besten nach Hause schicken.“ Er deutete mit dem Kopf auf Chibi-Usa, die protestierte: „Ich bin nicht klein und ich will auch nicht nach Hause. Ich bleibe für immer bei Yukihito! Ich werde ihn nämlich heiraten!“ Ren hob belustigt die Augenbrauen und fragte: „Ach ja?“ Yukihito setzte genervt Chibi-Usa auf den Boden, stand auf und sagte: „Ich habe gesagt, ich werde es mir überlegen. Und jetzt geh bitte nach Hause, ich habe heute noch eine Menge zu tun.“ Damit wandte er sich von der Rosahaarigen ab und verließ den Raum. Chibi-Usa sah ihm hinterher. Sie war den Tränen nahe. Er war doch nur so gemein zu mir, weil er vor diesem blöden Ren nicht zugeben wollte, dass er mich eigentlich total gern hat und mich heiraten will!, sagte sie sich. Das munterte sie ein wenig auf und weil Yukihito es ihr gesagt hatte, ging sie jetzt auch nach Hause. „Hallo, Chibi-Usa! Wolltest du nicht bis zum Abend bei Momoko bleiben?“, begrüßte ihre Mutter sie überrascht, als sie ihrer Tochter die Tür öffnete. „Eigentlich schon“, sagte Chibi-Usa abwesend und betrat das Haus. Nachdem sie in ihre Hausschuhe geschlüpft war, maulte sie: „Ich hab Hunger!“ Ihre Mutter sah sie erstaunt an. „Hast du nicht bei Momokos Familie gegessen?“ „Die wollten heute essen gehen, darum bin ich auch schon wieder da.“ „In der Küche steht noch was. Holst du dir das selber? Ich muss noch Papas neue Hemden waschen und bügeln.“ „Geht klar, Mama!“, rief Chibi-Usa und lief in die Küche. An diesem Abend lag Chibi-Usa noch lange wach im Bett und starrte an die Decke. Sie dachte an Yukihito. So einen wunderbaren Menschen hatte sie noch nie getroffen. Er war intelligent (so sah er zumindest aus), freundlich, nicht zu alt und sah besser aus als jeder andere Mensch auf dieser Welt. Sie selbst war klein, vorlaut und sah ihrer Meinung nach auch nicht so toll aus. Und eigentlich war sie zwar schon um die neunhundert Jahre alt, aber sie hatte mit acht aufgehört zu altern. Wie sollten zwei so verschiedene Personen jemals zueinander finden? Es schien vollkommen unmöglich zu sein. Dennoch – nie zuvor hatte Chibi-Usa etwas so sehr gewollt wie Yukihito. Chibi-Usa erwachte davon, dass leise Stimmen durch die Bodenluke, die zu dem Dachzimmer führte, drangen. Es war Samstag, sie musste heute nicht zur Schule. Normalerweise hätte sie sich jetzt einfach umgedreht und weitergeschlafen, aber sie konnte nicht ruhig liegen bleiben, denn Yukihitos lächelndes Gesicht erschien vor ihrem geistigen Auge und ihr Herz begann wie wild zu hüpfen. Schläfrig öffnete sie die Augen und schälte sich aus ihrer rosa Häschenbettwäsche. Sie richtete sich auf, schlüpfte in ihre Hauspantoffeln und schlurfte die Treppe hinab in die Küche. Sie wollte Yukihito unbedingt sehen. Sie wollte an seiner Seite sein. Aber was konnte sie dafür tun? Nachdem sie ausgiebig gefrühstückt hatte, stand ihr Entschluss fest. Sie würde noch einmal zu LME gehen, auch wenn sie heute vielleicht nicht das Glück hatte, dass er gerade durch die Eingangshalle lief. Aber wenn sie ihn heute nicht traf, dann musste sie eben morgen wiederkommen. Der Weg zum LME-Gebäude war noch genau so lang wie am Vortag. Doch heute begegnete sie keinem freundlichen Herrn auf einem Pferd, der sie mitnehmen konnte. Natürlich hätte sie Luna-P in etwas verwandeln können, was ihr half, aber das kam ihr plötzlich total kindisch vor. Als sie endlich keuchend vor dem großen Gebäude stand, begann es gerade zu regnen. Schnell trat sie ein. In der Eingangshalle herrschte ein wenig mehr Betrieb als am Vortag. Was sollte sie jetzt tun? Die gemeine Frau am Empfang würde sie bestimmt nicht zu Yukihito bringen und die anderen Leute sahen viel zu beschäftigt aus. Hatte er vielleicht gestern irgendwas erwähnt, was er heute vorhatte? Chibi-Usa konnte sich nicht erinnern. Und nun stand sie da, Luna-P fest umklammert, in der großen Halle. Die Leute, die an ihr vorbeiliefen, würdigten sie nicht mal eines Blickes. Erneut war Chibi-Usa den Tränen nahe. Sie wollte sich gerade wieder zur Tür umdrehen und einfach wieder nach Hause gehen, als ihr durch den Kopf schoss: Ich darf doch jetzt noch nicht aufgeben! Ich muss alles versuchen, um Yukihito zu treffen! Fest entschlossen lief sie quer durch die Eingangshalle direkt auf den Empfang zu. Zu ihrer Erleichterung stelle sie fest, dass heute eine andere Frau dort saß, die viel freundlicher aussah als die von gestern. „Hallo“, sagte Chibi-Usa höflich. „Hallo!“, erwiderte die Frau überrascht. Es schien nicht an der Tagesordnung zu sein, dass kleine rosahaarige Mädchen mit großen runden Katzenköpfen in der Hand zu LME kamen. „Können Sie mir bitte helfen?“, fragte Chibi-Usa lieb. Sie hatte lange darüber nachgedacht, wie sie die Frau ansprechen sollte und war zu dem Ergebnis gekommen, dass Höflichkeit wohl der beste Weg war, um ihr Ziel zu erreichen. „Hast du deine Mama verloren?“, fragte die Frau mit einem verständnisvollen Lächeln. Chibi-Usa ärgerte sich über diese Frage. Wann immer sie alleine irgendwo auftauchte, jeder fragte sie nur, ob sie ihre Mutter verloren habe. Doch heute würde sie genau das ausnutzen. „Ja“, sagte Chibi-Usa, „sie ist Schauspielerin und arbeitet glaube ich gerade an einem Film mit diesem Tsuruga. Wissen Sie zufällig, wo dieser Dreh stattfindet?“ Die Frau musterte sie von oben bis unten. Dann sagte sie: „Du bist doch bestimmt nur auf ein Autogramm von Ren aus. Und jetzt tu nicht so, ich merke, wenn jemand mich anlügt.“ Chibi-Usa rief: „Das ist gemein!“ „Psst!“, sagte die Frau erschrocken. In leiserem Ton fuhr sie fort: „Es tut mir wirklich leid. Ich hätte auch gerne ein Autogramm von Ren, aber ich darf dich nicht einfach zu ihm lassen.“ Doch Chibi-Usa sah das nicht ein und schrie: „Ich will kein Autogramm von diesem Blödmann! Ich will nur zu meinem Yukihito!!!“ „Was ist denn hier los?“, fragte eine tiefe, sanfte Stimme hinter Chibi-Usa. Sie drehte sich um. Vor ihr stand ein großer Mann mit breiten Schultern. Ein schwarzes Kopftuch mit einem weißen Totenkopf darauf bedeckte den größten Teil seiner schwarzen Haare und an seinen Ohren hingen große, golden glänzende Creolen. Seine Klamotten waren größtenteils zerfranst, doch an seinem Gürtel hing ein prächtiger Säbel, dessen Schaft mit Edelsteinen in allen Regenbogenfarben verziert war. Aber am meisten sprang Chibi-Usa der bunte Papagei ins Auge, der auf der Schulter des Mannes saß und sie mit schief gelegtem Kopf musterte. Er sah aus als wäre er in einen Farbtopf gefallen: Sein Kopf war marineblau mit einer hellblauen Struktur darin, der Schnabel hatte die Farbe glühenden Eisens. Über seinen roten Bauch zogen sich schwarze Streifen, wie bei einem Tiger. Die Flügel und der Schwanz waren sattgrün. Zwischen den Leopardenflecken auf den Beinen des Tieres waren die Federn neongelb. Und selbst zwischen diesen vielen kräftigen Farben stachen die feurig roten Augen des Vogels noch hervor. „Chibi-Usa!“, sagte der Mann und lächelte sie freundlich an. Er kam ihr irgendwoher bekannt vor. „Wer bist du denn?“, fragte Chibi-Usa. „Erkennst du mich nicht?“ „Nee“ „Dabei haben wir uns doch gestern erst kennen gelernt. Ich bin...“ Doch jetzt fiel es Chibi-Usa wieder ein. „Lory!“, rief sie begeistert und strahlte über das ganze Gesicht. „Lory!“, krächzte der Vogel auf der Schulter des Präsidenten von LME. Lory selbst nickte nur. „Wo ist Yukihito?“, fragte Chibi-Usa gleich. Sie konnte nicht länger warten. „Yukihito!“, rief der Papagei begeistert. Lory ließ sich von ihm nicht irritieren und fragte: „Meinst du Yukihito Yashiro?“ Chibi-Usa nickte und sah ihn aus großen Augen an. Er lächelte und sagte: „Komm mit.“ Das LME-Gebäude war wirklich gigantisch. Es gab tausende Räume und Gänge, die für Chibi-Usa alle gleich aussahen. Nur die Aufschriften an den vielen Türen waren verschieden. Einige der Schriftzeichen waren sehr kompliziert und Chibi-Usa hätte sich gerne genauer erkundigt, was sich dahinter verbarg, wenn sie nicht auf dem Weg zu Yukihito gewesen wäre. Denn Yukihito war ihr wichtiger als alles andere, auch wenn sie ihn erst seit dem Vortag kannte. So etwas hatte sie noch nie erlebt! „Wir sind da. Hier ist Ren Tsuruga gerade dabei, seinen neusten Film zu drehen“, schreckte Lorys tiefe Stimme sie aus ihren Gedanken. „Ren! Ren!“, krächzte der Papagei. „Wen kümmert denn Ren Tsuruga? Ich will zu Yukihito!“ „Yukihito!“, rief der bunte Vogel ebenso empört. Lory schmunzelte bei diesen Worten. Dieses Kind war wirklich etwas Besonderes! Er hockte sich hin, um sie besser ansehen zu können und sagte: „Aber du musst mir versprechen, dass du den Dreh nicht behindern und Yashiro-san nicht bei seiner Arbeit stören wirst, in Ordnung?“ Chibi-Usa nickte. Sie würde Lory alles versprechen, was es auch sei, um Yukihito auch nur sehen zu dürfen. Lory sah sie noch einmal prüfend an. Dann stand er auf, verabschiedete sich schnell von ihr, da er noch etwas Wichtiges zu tun hatte, und ging davon. Chibi-Usa ging auf die Tür zu, vor der Lory stehen geblieben war. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals. Langsam drückte sie die Klinke runter und öffnete die Tür einen Spaltbreit. Anscheinend waren sie gerade mitten in einer Szene. Zwei Schauspieler, einer von ihnen Ren Tsuruga, standen sich gegenüber und führten eine hitzige Diskussion über etwas, was Chibi-Usa nicht so genau verstand. Ren war seinem Gegenüber zwar körperlich eindeutig überlegen (er überragte ihn um mindestens einen Kopf), dennoch schien er nicht als Sieger aus diesem Streit hervorzugehen, denn nach einiger Zeit schnappte er empört nach Luft. Er schien noch etwas sagen zu wollen, doch dann wandte er sich um und verließ mit großen Schritten den Raum. Die Tür knallte laut hinter ihm zu. Leise schlich Chibi-Usa, die sich beim Anblick dieser Szene nicht gerührt hatte, in den Raum und schloss die Tür hinter sich. Sie sah sich um – und ein paar Meter rechts von sich entdeckte sie tatsächlich Yukihito, der mit ernster Miene auf einem Stuhl am Rand des Raumes saß. Bei seinem Anblick konnte Chibi-Usa nicht mehr an sich halten. Schnell lief sie auf ihn zu. Als er sie bemerkte, drehte er seinen Kopf zu ihr um. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Chibi-Usa grinste ihn an. Doch sie sagte nichts, denn dann würde sie womöglich noch den Dreh behindern. „Hallo, Chibi-Usa!“, sagte Yukihito. „Hallo, Yukihito!“, rief Chibi-Usa lauter als beabsichtigt. Alle im Raum drehten sich zu ihr um. Als ihr das bewusst wurde, sagte sie kleinlaut: „Entschuldigung.“ Doch niemand schien es ihr übel zu nehmen, denn ein Mann, der der Regisseur zu sein schien, kam mit freudigem Gesicht auf Chibi-Usa zu, hockte sich vor sie hin und sagte: „Hallo! Wie heißt du?“ „Chibi-Usa“ „Wie alt bist du denn?“ „Acht“ „Hättest du vielleicht Lust, in einem Film mitzuspielen?“ Chibi-Usas Augen weiteten sich. „Ich?“ Der Mann nickte. Dann erklärte er: „In dem Film, den wir gerade drehen, spielt ein Mädchen etwa in deinem Alter mit. Die ursprüngliche Schauspielerin für diese Rolle hat sich leider eine schwere Erkältung eingefangen. Und ich glaube, du wärst die perfekte Besetzung.“ „Ich kann mir aber nie einen Text merken“, gab Chibi-Usa zu. Der Regisseur lachte und sagte: „Das ist kein Problem. Du musst nur ein oder zwei Sätze sagen. Das wirst du wohl schaffen, oder?“ Chibi-Usa nickte. Er fragte: „Also machst du mit?“ Chibi-Usa überlegte blitzschnell. Dann sagte sie: „Nur für einen Kuss von Yukihito!“ Sein erstaunter Blick wanderte von ihr zu Yashiro, der steif auf seinem Stuhl saß. „Nun, Yashiro-san, was meinen Sie?“ „In Ordnung. Ich will ja schließlich den Dreh nicht behindern.“ Der Regisseur lächelte und erhob sich wieder. Dann sagte er: „Du brauchst noch eine Perücke. Rosa Haare wirken nicht sehr authentisch.“ „Okay!“, sagte Chibi-Usa. Ihr Herz klopfte wie wild. Sie würde in einem Film mitspielen, auch wenn es nur eine kleine Rolle war, und sie würde einen Kuss von Yukihito bekommen! Das Glück schien ihr wirklich hold zu sein an diesem Tag! Das Mädchen stand mitten in der Innenstadt von Tokyo. Um sie herum drängten sich Menschen mit ernsten Gesichtern. Und trotzdem war sie völlig allein. Es war niemand da, der ihre kleine Hand hielt, niemand, der sie tröstete, niemand der ihr ein Lächeln schenkte... Ein großer Mann mit langen Beinen und einem schmalen Gesicht kam direkt auf sie zu. Er schien sie überhaupt nicht zu bemerken. Deshalb sagte sie: „Du, Onkel, kannst du mir helfen?“ Er beachtete sie nicht. Sie krallte sich in den kratzigen Stoff seiner Hose. „Bitte, ich -“ „Lass mich in Ruhe!“, schnauzte er und schubste sie zu Boden. Dann eilte er weiter ohne sie auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen. Auch die anderen Passanten schenkten ihr keine weitere Beachtung. Sie traten auf das lockige engelgleiche Haar des Mädchens ohne es weiter zu beachten. Tränen des Schmerzes und der Verzweiflung traten in ihre Augen. „Cuuut!“, rief der Regisseur. Sofort bewegte der Mann, der eben noch auf Chibi-Usas Perücke getreten hatte, sich einen Schritt zurück. Sie wischte sich die Tränen aus den Augen und stand grinsend auf. „Du warst super“, sagte der Regisseur begeistert, „echt ein Naturtalent. Ich hätte nicht gedacht, dass du das mit den Tränen so gut hinkriegst. Es sah sehr realistisch aus.“ „Danke!“, sagte Chibi-Usa. Sie verriet nicht, dass sie einfach nur daran gedacht hatte, dass Yukihito sie nicht heiraten würde. Dann trabte sie auf Yukihito zu, der sich auf einem Stuhl am Rand des Drehplatzes niedergelassen hatte und forderte: „Jetzt musst du mich aber küssen!“ Yukihito lächelte und sagte: „Natürlich.“ Er beugte sich zu ihr runter. Chibi-Usa hob ihr Kinn ein wenig, schloss die Augen und spitzte die Lippen. Es war wie ein Traum. So wunderbar konnte sich das wahre Leben gar nicht anfühlen. Es musste ein Traum sein. Bestimmt würde sie gleich aufwachen. Aber dies war der schönste Traum, den sie je gehabt hatte. Denn ihr geliebter Yukihito Yashiro würde sie küssen. Etwas Warmes berührte zart ihre Stirn. Sofort öffnete sie die Augen. Yukihito streichelte über ihren Kopf. Enttäuscht sah sie ihn an. Er hatte sie nur auf die Stirn geküsst. „Warum küsst du mich nicht auf den Mund?“, fragte sie geradeheraus. Er lachte kurz auf. Dann sagte er: „Es war nur die Rede von einem Kuss.“ Er schien es nicht für nötig zu halten, sein Verhalten genauer zu erklären. Das kränkte Chibi-Usa ziemlich. „Und was ist mit dem Heiraten? Hast du es dir inzwischen überlegt?“, fragte sie und sah ihn fast flehend an. Noch eine Enttäuschung wollte sie nicht erleben. „Weißt du, Chibi-Usa, du bist einfach zu jung. Du bist acht und ich bin fünfundzwanzig. Das ist einfach ein zu großer Unterschied. Wenn du größer wärst, würde ich dich bestimmt heiraten. Aber warum suchst du dir nicht einen Jungen in deinem Alter?“ Fassungslos sah Chibi-Usa ihn an. Ihr vermeintlich wunderbarer Traum hatte sich in wenigen Augenblicken in einen Alptraum verwandelt. Sie würde Yukihito nicht heiraten, Yukihito Yashiro, den Mann, den sie liebte. Yukihito schloss die Augen und lehnte sich in dem weichen Sitz des Autos weiter zurück. Ren, der neben ihm auf dem Fahrersitz saß, sah konzentriert auf die Straße. Eigentlich war es Yukihitos Aufgabe als Manager, das Auto zu fahren, aber er war einfach zu müde und erschöpft. Am vorigen Abend hatte er noch lange wachgelegen und an dieses Mädchen, Chibi-Usa gedacht. War es wirklich richtig gewesen, so etwas zu ihr zu sagen? Er hatte Tränen in ihren Augen gesehen, bevor sie sich umgedreht hatte und so schnell sie konnte weggelaufen war. War er vielleicht zu direkt gewesen? Hätte er etwas anderes sagen müssen? Yukihito seufzte. „Was hast du, Yashiro-san?“, fragte Ren, während er geschickt das Auto in eine enge Parklücke auf dem Parkplatz hinter dem LME-Gebäude manövrierte. „Es ist nichts“, sagte Yukihito und seufzte erneut. Ren nahm ihm das nicht ab und fragte, während er die Tür öffnete und ausstieg: „Worum geht es? Ich merke doch, dass etwas nicht stimmt.“ „Es geht um Chibi-Usa“, gab Yukihito zu. Rens Mundwinkel verzogen sich. „Mach dir wegen der Kleinen keine Sorgen. Die ist bestimmt schon darüber hinweg. Das war doch sowieso nicht mehr als eine Schwärmerei.“ Yukihito seufzte ein drittes Mal, stieg dann ebenfalls aus und sagte: „Das meinst du doch nur, weil sie dich als schmalgesichtigen Heini bezeichnet hat.“ Ren zeigte ihm sein freundlichstes Gentlemanlächeln und sagte: „Wie kommst du denn darauf?“ Er öffnete den Kofferraum und zog Yukihitos Tasche hervor, die er dann seinem Manager gab. Yukihito sagte: „Es schien ihr mit dem Heiraten sehr ernst gewesen zu sein. Vielleicht hätte ich sie doch nicht so einfach abweisen sollen...“ Rens Gesicht wurde wieder ernst. Er schlug den Kofferraum mit einem Knall zu. „Jetzt mach aber mal halb lang! Sie ist erst acht. Du willst sie doch nicht ernsthaft heiraten, oder?“ „Sie erinnert mich ein wenig an Maria-chan. Und die sorgt dafür, dass keine Frau dir zu nahe kommt.“ Er sprach von der Enkelin des Präsidenten, die Ren abgöttisch liebte. „Maria-chan hat dank ihrem Großvater die Möglichkeit, sich frei in der Agentur zu bewegen“, erklärte Ren, während er sich mit Yukihito auf den Weg zum Haupteingang machte, da der Nebeneingang nicht passierbar war (niemand wusste genau warum, aber es gab die wildesten Gerüchte, nach denen das Lieblingskamel des Präsidenten dort einen Tollwut-Anfall bekommen hatte). „Chibi-Usa hat es nicht so leicht. Ihr wird es wahrscheinlich schon schwer fallen, dich überhaupt zu finden. Außerdem wirkte sie nicht so hartnäckig wie Maria-chan. Ich bin mir sicher, du wirst sie nie wiedersehen.“ Sie betraten die Eingangshalle und gingen schnellen Schrittes auf eine Tür am anderen Ende zu. „Glaubst du etwa, sie kommt jetzt zufällig zur Tür rein, oder was?“ Unwillkürlich wandte Yukihito sich zum Eingang. Gerade wurden die Glastüren aufgestoßen und eine Frau betrat das Gebäude. Yukihito schnappte nach Luft. Der Anblick dieser Frau raubte ihm den Atem. Zwei knielange hellrosa Zöpfe wehten sacht im Wind, der von draußen hereinkam. Der schlanke anmutige Körper der Frau war in ein langes Kleid in sanftem Himmelblau gekleidet. Ihre zierlichen Hände schlangen sich um den Griff einer kleinen Handtasche. Mit einem schüchternen Lächeln sah sie sich in der Halle um, als wäre es ein Ort, an dem sie vor vielen Jahren schon einmal gewesen war und mit dem sie einige freudige Erinnerungen verband. Und dann sah sie Yukihito. Mit schnellen Schritten – jedenfalls so schnell, wie es mit ihren hochhackigen Sandalen möglich war - kam sie auf ihn zu. Die roten Augen glänzten wie Sterne in dem Gesicht, das weiß war wie der Mond. Und diese wunderschönen Augen dieser wunderschönen Frau sahen ihn direkt an, ihn, Yukihito Yashiro. Und auch er konnte seinen Blick nicht von ihr wenden. Als sie ein paar Meter vor ihm stand, blieb sie stehen, betrachtete ihn ein paar Augenblicke lang fasziniert und sagte dann leise: „Hallo, Yukihito. Wir haben uns lange nicht gesehen.“ Yukihito nahm ihre Worte kaum wahr, denn er war noch immer wie gebannt von ihrer Schönheit. Doch Ren fragte höflich: „Wer sind Sie?“ „Chibi-Usa Tsukino“, antwortete sie. Yukihito starrte sie an. Diese schöne erwachsene Frau sollte das kleine Mädchen vom Vortag sein? Das war unmöglich! „Was hast du, Yukihito? Warum sagst du nichts? Erkennst du mich nicht?“, fragte die Frau besorgt. Da Yukihito nicht in der Lage zu sein schien, ihr zu antworten, tat Ren dies: „Er hat vorgestern ein kleines Mädchen namens Chibi-Usa kennen gelernt. Wahrscheinlich denkt er jetzt, Sie wären dieses Mädchen, was aber völlig unmöglich ist. Woher kennen Sie ihn denn?“ „Ich bin das Mädchen. Ich bin die Chibi-Usa, die Yukihito heiraten wollte. Und mein Wunsch hat sich bis heute nicht geändert. Bitte, Yukihito, heirate mich.“ Endlich fand der rotblonde Manager seine Sprache wieder und sagte: „Ich kenne Sie doch gar nicht. Ich -“ „Natürlich kennst du mich! Du hast doch gestern noch mit mir gesprochen, oder nicht? Ich habe dich keinen Tag vergessen können!“ Ren zog die Augenbrauen hoch und sagte: „Was Sie sagen, widerspricht sich. Wenn sie behaupten, Chibi-Usa zu sein und noch gestern hier gewesen zu sein, können Sie doch nicht sagen, Sie hätten ihn keinen Tag vergessen. Das klingt ja fast, als ob -“ „Als ob ich viele Jahre gewartet hätte!“, unterbrach sie ihn. „Und so ist es auch! Zehn Jahre lang habe ich ungeduldig auf den Tag gewartet, an dem ich dich wiedersehen würde, Yukihito. Und du hast mich an einem einzigen Tag vergessen? Hör zu, es gibt nichts, was ich mehr möchte, als dich heiraten. Du bist alles, wofür ich all diese langen Jahre gelebt habe! Du hast gesagt, du würdest mich heiraten, wenn ich größer wäre!“ Bei den letzten Worten war ihre Stimme lauter und aufgebrachter geworden, aber auch verzweifelter. Yukihito sah sie lange an. Er schwieg. Ren und Chibi-Usa ebenso. Sie bemerkten, dass er nachdachte. „Ich glaube dir nicht, dass du das kleine Mädchen von gestern bist“, sagte er. Sie biss sich auf die Lippe. Ihre Augen glänzten verdächtig. „Aber ich möchte dich dennoch heiraten.“ Jetzt konnte Chibi-Usa die Tränen nicht mehr zurückhalten. Doch es waren Tränen der Freude. Ohne etwas dagegen tun zu können, fiel sie ihm um den Hals. Nachdem Yukihito sie abgewiesen hatte, hatte sie sich lange mit Luna, Artemis und Usagi unterhalten. Und dann hatte sie einen Entschluss gefasst. Noch an demselben Tag hatte sie ihren Raum- und Zeitschlüssel herausgezogen, den sie von ihrer Freundin Sailor Pluto bekommen hatte, und war ein Jahrtausend in die Zukunft gereist, nach Hause. Denn Chibi-Usa war die Tochter der Neokönigin Serenity, die in der Zukunft über Kristalltokyo herrschte. Und in dieser Zeit angekommen hatte sie gewartet. Und wie durch ein Wunder war sie gealtert. Neunhundert Jahre lang hatte sie im Körper einer achtjährigen leben müssen. Aber nun war sie wirklich gewachsen und gealtert. Und das zehn Jahre lang. Ein paar Tage nach ihrem achtzehnten Geburtstag(oder ihrem neunhundertachtzehnten, wenn man es genau nimmt) war sie dann in die Gegenwart zurückgekehrt. Und jetzt war sie hier und so glücklich wie nie zuvor. „Bist du dir sicher, dass du das einfach so sagen kannst? Du kennst sie doch gar nicht. So eine Entscheidung muss wohl überlegt sein“, gab Ren mit skeptischer Stimme zu bedenken. Wütend starrte Chibi-Usa ihn an. Sie wusste genau, warum sie diesen Menschen nicht leiden konnte. Doch Yukihito lächelte nur und sagte: „Das weiß ich. Aber ich bin mir sicher, dass sie die Richtige ist.“ Ren hob nur die Augenbrauen und sagte nichts mehr. „Weißt du was, Ren?“, sagte Yukihito plötzlich. „Ich lade dich nur zur Hochezit ein, wenn du Kyouko deine Liebe gestehst.“ „Wie bitte?“, fragte Ren mit höflicher Stimme und einem freundlichen Gentlemanlächeln. „Du musst Kyouko deine Liebe gestehen. Sonst darfst du nicht zur Hochzeit kommen“, wiederholte Yukihito mit einem schelmischen Lächeln. „Ich lüge keine Leute an.“ „Es ist ja auch keine Lüge.“ „Es ist nicht immer so, wie du denkst.“ „Nicht immer, aber in diesem Fall schon. Das merkt man doch.“ „Das ist Erpressung.“ „Ich weiß.“ Mit erstauntem Blick verfolgte Chibi-Usa das Gespräch der beiden. Rens Worte klangen empört und wütend, aber seine Stimme blieb noch immer freundlich und er ließ sein Lächeln nicht fallen. Ein paar Augenblicke sahen sie sich fest in die Augen, Chibi-Usa bemerkte, wie die Luft zwischen ihnen knisterte vor Anspannung. Dann sah Yukihito über Rens Schulter hinweg zu der Uhr auf, die an der Wand über dem Empfang hing. „Wir haben nur noch fünf Minuten!“, stieß er da aus. Ren hob erschrocken seinen Arm und sah auf die goldene Armbanduhr daran. „Du hast Recht!“ „Wo müsst ihr denn hin?“, fragte Chibi-Usa vorsichtig. „Wir müssen ans andere Ende des Gebäudes. Und der Hauptgang ist gesperrt, weil es einen Rohrbruch gab und der Gang überflutet ist. Durch die Nebengänge brauchen wir mindestens zehn Minuten!“, erklärte Yukihito. Chibi-Usa hatte sofort eine Idee. Sie öffnete ihre Handtasche und zog einen schwarzen golfballgroßen Katzenkopf heraus. Dieses warf sie auf den Boden und sagte: „Luna-P, verwandle dich!“ Es gab einen Knall, eine Rauchwolke stieg auf, und als sich diese wieder verzogen hatte, stand ein großes schwarzes Motorrad zwischen den dreien. Einen Moment lang waren Ren und Yukihito erstaunt darüber, doch dann schwang der Schauspieler sich darauf und sein Manager setzte sich hinter ihn. „Auf Wiedersehen!“, rief Yukihito Chibi-Usa über den Lärm der Maschine hinweg, die Ren gerade in Gang gesetzt hatte. „Bis später!“, rief Chibi-Usa und winkte ihnen lächelnd hinterher, bis sie hinter der nächsten Ecke verschwunden waren. Ein paar Leute sahen ihnen verwundert nach, doch die meisten schienen solche Überraschungen gewohnt zu sein, da der Präsident manchmal auf einem Kamel oder einem Pferd durch das Gebäude ritt. Die beiden Männer sprangen vom Motorrad und betraten den Raum, in dem schon alles für das bevorstehende Fotoshooting vorbereitet war. Sofort kam ein etwa vierzigjähriger Mann mit einem wettergegerbten Gesicht und kleinen Augen auf sie zu. „Ach, gut dass sie da sind, Tsuruga-san. Wir haben Sie schon erwartet. Wenn Sie mir bitte folgen würden...“ Er drehte sich wieder um und führte Ren in einen anderen Raum. Yukihito stellte sich an die Wand und wartete. Als Ren wieder herauskam, umgezogen und komplett gestylt, ging er sofort zum Fotografen, der gerade die Scheinwerfer ein wenig zurechtrückte. Der andere Mann hingegen kam auf Yukihito zu und streckte ihm die Hand hin. „Herzlichen Glückwunsch, Yashiro-san!“, sagte er lächelnd, wobei man seine schiefen gelben Zähne sah. „Woher wissen Sie denn, dass ich heirate?“, fragte Yukihito verwirrt. „Sie haben doch heute Geburtstag, oder nicht?“ „Oh, ja, ganz vergessen...“ Der Mann grinste noch breiter und sagte: „Ja, ja, die Liebe... Aber ich wusste gar nicht, dass Sie eine Freundin haben.“ „Ich... das geht Sie nun wirklich nichts an.“ Nach dem Fotoshooting verließ Ren ziemlich schnell den Raum. Yukihito war noch in eine Unterhaltung vertieft, auch wenn seine Gedanken andauernd vom Thema abschweiften. Er musste immer an Chibi-Usa denken. Doch Rens Verhalten fiel ihm dennoch sofort auf. Und da er auch bald den nächsten Termin hatte, kam er ihm hinterher. Natürlich unbemerkt, denn es interessierte ihn auch, was er vorhatte. Ren durchquerte das halbe LME-Gebäude, stieg dann eine Treppe hoch und kam schließlich auf einen Trakt, der Yukihito bekannt vorkam. Es war der Trakt der Schauspielakademie. Gerade öffnete sich eine Tür und ein paar junge Frauen kamen heraus. Unter ihnen waren auch zwei in schreiend ätz-pinken Overalls: die Love-Me-Praktikantinnen. Zur Love-Me-Section gehörten Leute, die zwar das Potenzial zum Star hatten, denen aber das Herz fehlte. Sie mussten mit kleinen Arbeiten lernen, zu lieben und geliebt werden zu wollen. Die bisher einzigen Praktikantinnen dieser Section waren Kyouko Mogami und Kanae Kotonami. Ren kam direkt auf Kyouko zu und sagte: „Hallo, Kyouko. Ich muss mit dir sprechen.“ Yukihito spitzte die Ohren, da sein Versteck hinter einer Ecke ein paar Meter entfernt war. Ren wollte doch nicht etwa wirklich...? Kyouko sah erst den Schauspieler und dann ihre Kollegin erstaunt an. Dann nickte sie und folgte Ren, der sie in einen benachbarten Raum führte. Yukihito schlich zur Tür und legte sein Ohr daran. Dieses Ereignis durfte er um nichts auf der Welt verpassen! „Sind Sie nicht der Manager von Tsuruga-san?“, fragte da plötzlich eine Frauenstimme hinter ihm. Er wirbelte herum und entdeckte Kanae. „Psst!“, machte er und wandte sich wieder der Tür zu. Sie hockte sich neben ihn. „Worüber wollen Sie mit mir sprechen, Tsuruga-san?“, hörten sie Kyoukos Stimme aus dem Zimmer. „Es geht um Yashiro-san.“ Yukihito zuckte zusammen. Was sollte das werden? „Was ist mit ihm?“ „Er wird heiraten.“ „Wen denn? Ich wusste gar nicht, dass er eine Freundin hat!“ Ren schnaubte verächtlich. „Hat er auch nicht. Diese Frau kam uns heute in der Eingangshalle entgegen und fragte Yashiro-san, ob er sie heiraten wollte. Sie behauptete, ein Mädchen zu sein, dass er vorgestern kennen gelernt hatte. Sie meinte, sie hätte zehn Jahre gewartet. Yashiro-san hat ihr das natürlich nicht geglaubt, aber er hat trotzdem zugesagt sie zu heiraten.“ „Ehrlich? Ich wusste gar nicht, dass er so ein spontaner Mensch ist. Und ich hätte nicht gedacht, dass er sich für Frauen interessiert. Und, dass er es gleich so eilig hat...“ Yukihito errötete leicht, als Kanae ihm nach diesen Worten einen überraschten Blick von der Seite zuwarf. „Hätte ich auch nicht gedacht“, fuhr Ren fort, „wahrscheinlich hat sie ihn mit ihrer Schönheit bezaubert.“ „Eine Märchenprinzessin!“ „Das glaube ich nicht. Aber darum geht es eigentlich gar nicht. Yashiro-san hat mir gesagt, ich dürfte nur zu seiner Hochzeit kommen, wenn ich dir meine Liebe gestehe.“ „Was? Sie ... wie kommt er darauf? Liebe? Sie ...“ „Was natürlich völliger Schwachsinn ist. Aber jetzt habe ich es gesagt und wenn Yashiro-san dich danach fragt, weißt du Bescheid, in Ordnung?“ „Äh... ja.“ Yukihito schüttelte nur den Kopf. So hatte er sich das nicht vorgestellt. Ren schien wirklich keine Ahnung von den Gefühlen eines Mädchens zu haben. „Sie glauben, dass Tsuruga-san in Kyouko verliebt ist?“, fragte Kanae ungläubig. „Ich glaube es nicht, ich weiß es“, erwiderte er niedergeschlagen. Die Orgel spielte ein feierliches Lied, während der Mann und die Frau langsam zwischen den Bänken hindurchschritten. Die Kirchenbesucher sahen das Paar mit großen Augen an. Denn sie sahen wirklich wunderbar zusammen aus. Sie trug, wie es üblich war, ein langes weißes Kleid, das ihre Füße komplett verdeckte. Der Rock hatte viele verschieden lange Lagen und kleine Accessoires. Lange weiße Handschuhe bedeckten ihre schlanken Finger. Eine Perlenkette war um ihren graziösen Hals gelegt. Ihre langen rosa Haare hingen lockig an ihr herab. Er trug einen hellblauen Anzug und eine weiße Krawatte. Seine rotblonden Haare waren ordentlich gescheitelt und seine braunen Augen blitzten aufgeregt hinter der Brille. Chibi-Usa und Yukihito traten vor den Altar. Sie sahen sich an. Ein Lächeln erschien auf ihren Lippen. Als das Orgelstück vorbei war, drehte der Priester der vor ihnen stand, sich um und sprach mit einem freundlichen Lächeln ein Grußwort an die Gäste und das Brautpaar. „Tauschen Sie jetzt die Ringe aus“, sagte der Pastor mit freudiger Stimme, nach seiner Predigt. Yukihito nahm den goldenen Ring mit dem Rubin darauf von dem blauen Samtkissen, das auf dem Altar lag. Er nahm den Handschuh von Chibi-Usas Hand und legte ihn zur Seite. Dann steckte er ihr den Ring auf, wobei er ihr fest in die Augen sah. Sie tat es ihm gleich. „Sie dürfen sich jetzt küssen.“ Chibi-Usa sah Yukihito an. Und Yukihito sah Chibi-Usa an. Dann küssten sie sich. Ihre Augen wurden feucht vor Freude. Obwohl dies der schönste Moment ihres Lebens war, waren doch nicht alle Augen auf sie gerichtet: Die anwesenden Fernsehsender schienen sich trotz dieser Szene nur für Ren Tsuruga zu interessieren, der neben Yukihitos älterem Bruder in der ersten Reihe saß. Kapitel 19: Ryou und Honoka - Ein Buch verbindet ------------------------------------------------ Von Als wir an dieser Story gearbeitet haben, war Luna-Usui gerade zu Besuch, und so kam es, dass sie die Bedingung festlegte, denen beide Personen der Story gehorchen sollten; sie sollten in Besitz eines magischen Gegenstandes sein, und so wählte ich Bakura Ryou (Besitzer des Millenniumsringes) und Shinji-Megumi entschied sich für Yukishiro Honoka (die Mipple besitzt, was auch irgendwie ein Gegenstand ist). Die Geschichte an sich kommt aber wunderbar ohne diese Gegenstände aus und könnte jedem passieren. Es ist eine normale kleine Romanze, die mehr als alle anderen auf das Konzept „Chiisana LOVE-STORIES“ zutrifft. Zu dieser Geschichte hat ein Fanart gezeichnet: http://animexx.onlinewelten.com/fanarts/output/?fa=1486573 Ein Buch verbindet Ryou Bakura verabschiedete sich am Bahnhof Domino von seinen Freunden. Mutou und Mazaki gingen sowieso immer zu Fuß nach Hause und Honda und Jounouchi, die sonst mit ihm mitfuhren, wollten unbedingt das neue Gamecenter neben dem Kino testen gehen. Ryou stieg also wenig begeistert allein die Treppe hinab, und während er auf die Bahn wartete, starrte er abwesend auf die Anzeigetafel. Niemand um ihn herum schien ihn wahrzunehmen, trotz seiner so hervorstechenden weißen Haare. Der Zug kam pünktlich und eine der Türen öffnete sich genau vor ihm. Er ließ sich von der Masse hineindrängen und hielt sich an einem der Plastikgriffe fest, die von einer Stange an der Decke hingen, während sich die meisten auf die Sitzplätze stürzten. Nach fünf Minuten und zwei Zwischenstopps voller monotonen Geruckels und schweigenden Fahrgästen stieg er aus, was ihm nicht schwerfiel, da er direkt neben der Tür stand. Zusammen mit ein paar wenigen anderen Fahrgästen, von denen keiner aus seiner Tür kam, trat er auf den Bahnsteig des Bahnhofs Umibe, wo er langsam die Treppe hinunterschlurfte, vorbei an der Bushaltestelle von der ihn ein Bus direkt vor die Haustür bringen könnte, was er aber nicht tat weil es zu teuerr war, und die Straße hinunter. Er hasste es, nach Hause zu kommen, wo niemand auf ihn wartete als seine Hausaufgaben. Niedergeschlagen schlurfte er die Hauptstraße entlang und wurde dabei von einer Vierergruppe Schüler der Hagaki-Oberschule überholt, die sich im Gehen über die neueste Ausgabe der „Shonen-Monday“ beugten und darüber diskutierten, ob „Detektiv Ronan“ nicht endlich mal zu Ende geführt werden sollte. Bei ihrem Anblick entkam ihm ein Seufzen und seine Schritte, die schon vorher nicht sehr schnell gewesen waren, wurden nun so langsam, dass er kaum noch vom Fleck kam. Er fühlte sich einsam, nutzlos und armselig, ein Gefühl, das er öfter hatte wenn er diese Straße entlang ging, aber heute fühlte er sich davon so erschlagen, dass er auf der Stelle stehenbleiben und einfach verschwinden wollte. Sein Blick schweifte über die Bäume in der letzten Hitze des Sommers, ihre fernen, verdorrten Blätter, und über die Straße, wo er in der Ferne ein sich entfernendes Auto ausmachen konnte. Als er die Kreuzung am Convini [rund um die Uhr geöffneter Laden, bei dem man fast alles kaufen kann] erblickte, blieb er endgültig stehen. Was wollte er schon zu Hause? Was wollte er überhaupt auf seiner Schule, auf dieser Welt? Seine wenigen Freunde waren auch ohne ihn eine eingeschworene Truppe gewesen, das wurde ihm jetzt wieder einmal schmerzlich bewusst. Und seine wenigen Briefe an seine Mutter waren kein Ersatz für eine intakte Familie, die er lange verloren hatte. Er zupfte an seinem Hemd, das ihm auf der Haut klebte, um ein wenig Luft an seinen Körper zu lassen, doch er fühlte sich dadurch auch nicht besser. „Ja, natürlich wollte ich da heute hin“, drang eine helle Stimme an sein Ohr. Er drehte sich träge um und erblickte zwei Mädchen von der Verone-Mittelschule, die sich unterhielten. Eine hatte kurzes, nasses, blondes Haar und trug einen Lacrosse-Schläger zusammen mit der Schultasche. Die andere lächelte ihn freundlich an, als sie an ihm vorbeiging und ihr schwarzes, fast hüftlanges Haar wehte ihr wie ein Schleier hinterher, begleitet von einem unaufdringlichen Duft nach Pflaumenblüten. „Ich verstehe dich nicht!“, sagte die Kurzhaarige leidenschaftlich, „wie kann man nur so viel lesen?“ Das hörte Ryou jedoch nicht, und er hörte auch nicht, was die Schwarzhaarige darauf erwiderte, nur der Klang ihrer Stimme drang deutlich und angenehm an sein Ohr. Dann waren die zwei an der Kreuzung nach rechts abgebogen und aus seinem Sichtfeld verschwunden. Nur langsam fasste er wieder klare Gedanken, und der erste unter ihnen war Lauf ihr nach! Er löste sich aus seiner Erstarrung und rannte los, schneller als er gedacht hätte, noch die Kraft dafür zu haben, eilte er über die Straße und in die, in die die Mädchen verschwunden waren. Er sah die Schwarzhaarige gerade noch in einem mehrstöckigen Gebäude verschwinden, doch ihre Freundin war vor der Tür stehen geblieben und wurde von ihm fast umgerannt, als er versuchte, anzuhalten. „He, pass gefälligst auf, wo du hinrennst!“, fuhr sie ihn an. „Ent- entschuldigung“, presste er völlig außer Atem hervor und verbeugte sich. Als er sich wieder aufrichtete, musste er einen sehr tiefen Atemzug nehmen, bevor er an sie gerichtet fortfahren konnte: „Du... du bist doch... mit dieser Schwarz...haarigen befreundet, oder? Wie ... heißt sie?“ Sie wich verwirrt zurück, während er versuchte, wieder normal zu atmen, und stellte ihrerseits eine Frage: „Wieso willst du das wissen?“ Ryou, nicht nur aus der Puste sondern von dieser Frage auch noch sehr in Verlegenheit gebracht, brachte nicht mehr heraus als „Schleier ... Pflaume.“ Sie schaute ihn entgeistert an und schien mit dem Gedanken zu spielen, einfach zu gehen, denn sie drehte sich schon in Richtung Treppe. Er hielt sie an ihrer Schultasche fest und versuchte es anders: „Bitte, sag mir wie sie heißt, ich möchte es gerne wissen!“ „Wenn du mich dann gehen lässt...“ „Ja.“ „Sie heißt Honoka.“ Sie zog ihm ihre Schultasche aus der Hand und ging die Treppe hinunter, die vom höher gelegenen Eingang zum Bürgersteig führte. Unten angekommen fügte sie noch hinzu: „Mehr wolltest du nicht wissen, oder?“ Ryou schüttelte den Kopf und sah sie die Straße hinuntereilen und aus seinem Sichtfeld verschwinden. Erst dann trat er einen Schritt zurück, um die Schrift zu lesen, die am Rand des Vordaches des Gebäudes angebracht war. „Öffentliche Bibliothek Süddomino“, murmelte er leise vor sich hin und trat dann durch die automatisch öffnende Glastür. Im Eingangsbereich musste man seine Straßenschuhe gegen bereitstehende Besucherpantoffeln tauschen und kam dann durch eine weitere automatische Glastür in das eigentliche Bibliotheksgebäude. Wenn man geradeaus ging, lagen links von einem der Ausleihtresen und eine Ecke mit Tischen und ein paar Computern, rechts aber lange Reihen von Regalen voller Bücher. Gegenüber war der Eingang zu einem Raum, der als „Nur für ausgewiesene Studenten der Domino-Universität“ gekennzeichnet war. Wenn man direkt am Eingang nach links ging, kam man zu einem Seitenflur mit Toiletten und einem Treppenhaus. Ryou sah sich um, doch Honoka konnte er nicht entdecken. Er schlich zum Tresen, hinter dem um diese Uhrzeit nur eine Frau vor einem Computer saß und ein Buch mit dem Titel „Zwanzig kleine Liebesgeschichten“ las. Als er sich räusperte, sah sie auf und ihn freundlich an. „Herzlich willkommen in der öffentlichen Bibliothek Süddomino. Was kann ich für dich tun?“ „Ich... wollte nur mal fragen... ähm... ist hier ein Mädchen ... also, haben sie ein Mädchen... von der Verone-Mittelschule... hier gesehen?“ Sie grinste und deutete mit dem rechten Zeigefinger auf die Decke. „Honoka-chan ist wie immer im zweiten Stock, in der Naturwissenschafstabteilung.“ Ryou starrte sie, ungläubig über die schnelle Antwort, einen Augenblick an, dann verbeugte er sich tief und eilte die Treppe hoch. Die Frau verzichtete darauf, ihn darauf aufmerksam zu machen, dass das Rennen im Gebäude verboten war und blickte wieder auf ihr Buch. „Sowas gibt’s wirklich...“, murmelte sie. Ryou stürzte aus dem Treppenhaus und blieb schlagartig stehen, als er Honoka erblickte, die zwischen zwei Regalen durchging. Sie fuhr mit der rechten Hand über die Buchrücken und in der Linken hielt sie einen Stapel weiterer Bücher, und ihr Haar fiel ihr glänzend über den Rücken und bildete einen wunderbaren Kontrast zu ihrer Bluse. Ryou sah sie an und sie schien ihn gar nicht zu bemerken, war völlig versunken in die Titel der Bücher, ein wunderschöner Anblick. Doch langsam drang es in seinen Kopf, dass sie ihn für seltsam halten würde, wenn sie merkte, wie er sie anstarrte. Er wollte sie ansprechen, und kaum war der Entschluss gefasst, ging er auch schon zwischen den Regalen durch auf sie zu. Sie bemerkte ihn, als sie gerade ein recht dünnes Buch mit Softcover aus dem Regal zog, dessen Titel „Chemie in der Oberschule leicht und verständlich erklärt“ lautete. „Hallo“, sagte sie und legte das Buch auf ihren Stapel. „Leihst du das Buch da aus?“, fragte er ohne vorherigen Gruß und deutete darauf. „Ja, eigentlich schon. Wieso?“ Ryou schluckte. Das war eine gute Frage. „Ich... Ich brauche dieses Buch!“ Er kniff die Augen zu und wartete auf eine Reaktion auf diese merkwürdige Aussage. „Ach so. Bist du nicht so gut in Chemie?“ Ryou senkte den Kopf und murmelte: „Ich hatte im letzten Test 5 Punkte, wenn du es genau wissen willst.“ [Anm.: In Japan gibt es ein Punktesystem von 0 bis 100, das heisst, 5 Punkte sind eine glatte 6] Zu seiner Erleichterung ging sie nicht auf diese Note ein, sondern händigte ihm das Buch aus. „Ich wollte es mal lesen, aber da ich noch nicht an der Oberschule bin, kannst du es zuerst haben. Bitte schön.“ Ryou nahm es wie einen Schatz entgegen, verbeugte sich tief, bedankte sich überschwänglich, versprach, das Buch bald zurückzubringen und eilte dann nach unten, wo er erstmal einen Benutzerausweis beantragen musste. Aus dem Verspechen, das Buch bald zurückzubringen, wurde nichts. Ryou war so begeistert von dem Werk, dass er es so lange behalten wollte wie möglich und versuchte, sich das wichtigste abzuschreiben. Es war sehr übersichtlich nach Themen gegliedert, und zu jedem gab es viele Bilder und ausführliche Erklärungen, ausserdem jeweils eine Seite mit Aufgaben, deren Lösungen im Anhang waren, genau wie eine Kurzzusammenfassung jedes Themas und ein Glossar über die immer wieder auftauchenden Fachbegriffe. Er dankte dem Schicksal, dass es ihm hatte Honoka und dieses Buch über den Weg laufen lassen. Er brachet es erst am letzten überzugsgebührfreien Tag zurück, vier Wochen später und wieder an einem Mittwoch. Dass ihm Honoka seit dem letzten Besuch nicht mehr auf dem Nachhauseweg begegnet war, hatte ihn manchmal etwas mies gelaunt gestimmt, aber jetzt war er umso aufgeregter. Schon, als er an der Kreuzung rechts abbog, begann sein Herz schneller zu klopfen und als er vor der Büchereitür stand, war er so außer Atem, als sei er eine lange Strecke gerannt und sein ganzer Körper kribbelte vor Aufregung. Die Frau hinter dem Tresen war dieselbe wie vor einem Monat und sie las auch in demselben Buch. Mit ihrem Lasergerät las sie den Strichcode auf dem Rücken des Buches ein, als Ryou es ihr hinlegte und sagte dann verschwörerisch zu ihm: „Honoka-chan ist oben. Und falls du es wissen willst, sie war seit vier Wochen jeden Nachmittag hier und hat gefragt, ob du da bist.“ Ryou konnte nicht antworten, denn in seiner Lunge schien sich ein Schwarm Schmetterlinge breitgemacht zu haben. Dass sie ihm aufmunternd zuzwinkerte, merkte er gar nicht mehr, als er sich im Eilschritt auf den Weg zum Treppenhaus machte. Oben angekommen blieb er stehen und suchte Honoka zwischen den Regalen, wurde jedoch enttäuscht. Er sah sich hilflos um, doch sie war nicht zu sehen. Hatte diese Bibliothekarin sich etwa über ihn lustig gemacht? Ein Geräusch aus der Ecke ließ ihn diesen Gedanken beiseitestreifen und dorthin eilen. Sicher genug saß Honoka dort in der Leseecke, die man vom Treppenhaus nicht sehen konnte, an einem Tisch. Heute trug sie ihren hellbraunen Blazer, auf dem sich ihre Flut an schwarzen Haaren glatt ausbreitete, nur eine kleine Strähne war aus der Masse geflohen und ringelte sich über ihrer Schulter. Sie hatte vor sich ein Buch liegen und schrieb sich offenbar daraus etwas in ihr Notizbuch ab. Neben ihr war ein kleiner Stapel weiterer Bücher und ihre Schultasche hing über der Stuhllehne. Wie beim letzten mal war sie vollkommen in ihre Arbeit versunken. Ihre blauen Augen huschten aufmerksam über das Buch, während sie ordentlich Notizen machte. Sie sah erst auf, als Ryou leise sagte: „Lange nicht gesehen.“ Als sie ihn erkannte, erwiderte sie erschrocken: „A- auch lange nicht gesehen.“ Sie schlug Notizbuch und das andere Buch zu und ließ den Bleistift in ihre Federmappe gleiten. „Ähm... ich wollte dir nur sagen, dass ich das Buch zurückgegeben habe, das du letztes Mal ausleihen wolltest... also, wenn du es ausleihen möchtest...“ „Ja“, sagte sie, packte das Notizbuch und die Federmappe in ihre Schultasche und stand auf. „Ich meine, nein, also, vielleicht später. Ich ... Ich wollte dich gerne zu mir nach Hause zum Tee einladen.“ Den letzten Satz haspelte sie hervor und holte danach tief Luft, den Blick zu Boden gesenkt. „Oh, das ist nett“, sagte Ryou in Ermangelung einer intelligenteren Antwort. „Wann denn?“ „Also, wenn du möchtest, können wir jetzt sofort zu mir gehen.“ „Ja, gerne. Ich habe sowieso nichts vor.“ Sie atmete laut aus und tänzelte dann an ihm vorbei zum Treppenhaus. „Gehen wir?“, fragte sie, und Ryou folgte ihrem Vorschlag auf dem Fuß. Als sie die beiden die Bücherei verlassen sah, grinste die Frau hinter ihrer Lektüre. „Vielleicht sollte ich die Story mal an den Verlag schicken“, murmelte sie, „’Ein Buch verbindet’ wäre doch ein guter Titel...“ Auf dem Weg zu Honokas Haus waren beide viel zu aufgeregt, um ein Wort zu wechseln, und so blieb es bei ein paar schüchternen Blicken, bis Honoka vor einem großen, traditionell japanischen Anwesen stehen blieb. Es war von einer Steinmauer umgeben, die mit blauen Ziegeln gedeckt war, und dahinter sah man das Dach eines kleinen Hauses in derselben Farbe. Das Tor befand sich in der Mitte der Mauer und war aus Holz, mit einem kleinen Vordach. Daneben war eine Silberplakette mit der Aufschrift „Yukishiro“ angebracht. Honoka bedeutete Ryou zu warten, schob das Tor einen Spaltbreit auf und schob ihren Körper in die Lücke. Von hinter dem Tor ertönte ein fröhliches Bellen. „Chuutarou, sei lieb!“, sagte Honoka und bückte sich. Ryou linste interessiert über sie hinweg und erblickte einen hellbraunen Hund, der ihm etwa bis zum Knie ging und der Honokas Hände abschleckte. „Jetzt ist aber gut“, sagte sie und schob seine Schnauze zur Seite. „Los, ab mit dir.“ Chuutarou hechelte freudig und setzte sich auf den Boden. „Chuutarou, geh in deine Hütte!“, sagte Honoka, doch er gehochte nicht im Geringsten und musterte stattdessen Ryou aus ausdrucksvollen braunen Augen. „Ist schon in Ordnung“, sagte Ryou und schob die Tür ein bisschen weiter auf, um neben Honoka zu treten. Sofort sprang der Hund auf ihn zu und stieß ihm die Tatzen gegen den Bauch, was so plötzlich kam, dass Ryou nach hinten stolperte und sich nur durch einen schnellen Griff zur Tür vor einem Sturz retten konnte. „Chuutarou, aus!“, rief Honoka und versuchte ihn um den Hals zu packen, er entwand sich jedoch ihrem Griff und sprang erneut an Ryou hoch. Da das diesmal nicht so unerwartet kam, konnte Ryou sich fest hinstellen und hielt die Tatzen des Hundes fest. „Na du? Du bist wohl ein ganz Frecher, was?“, fragte er. Honoka tippte ihrem Hund genervt auf den Rücken, und diesmal ließ er sich gehorsam zu Boden fallen. Ryou konnte das Anwesen betreten und die Tür zuziehen. „Tut mir leid“, sagte Honoka, „normalerweise ist er Fremden gegenüber zurückhaltender.“ Ryou grinste Chuutarou an. „Das macht doch nichts. Ich mag Hunde. Ein Freund von mir hat auch einen, das ist schon okay.“ Während er sprach, beugte er sich zu Chuutarou hinunter und kraulte ihn hinter den Ohren. Der begann, über seine Handflächen zu schlecken und löste bei Ryou ein Kichern aus. Honoka konnte nicht anders, als ebenfalls zu lachen. So standen sie zusammen, als im Haus eine Tür aufgeschoben wurde und eine ältere Frau in einem blauen Kimono hervortrat. „Schön, dass du wieder da bist, Honoka-chan!“, sagte sie und bemerkte dann den Jungen. „Oh, du hast Besuch mitgebracht? Sehr schön!“ Ryou richtete sich auf und verbeugte sich. „Das ist meine Großmutter, Sanae“, erklärte Honoka ihm. „Und, O-Baa-chan, das hier ist ...“ [O-Baa-chan:Anrede für die eigene Grossmutter, etwa wie Oma] Sie brach ab. „Bakura“, kam Ryou ihr zu Hilfe und verbeugte sich tief. „Freut mich sehr!“ „Mich ebenso“, erwiderte die Frau. „Honoka hat so selten Herrenbesuch, da freut es mich natürlich ganz außerordentlich. Soll ich euch Tee machen?“ „Ja, bitte“, äußerte Honoka und drehte sich zu Ryou. „Darf ich dir mein Zimmer zeigen?“ Das durfte sie. Honokas Haus war sehr traditionell, es stand auf kleinen Pfeilern über der Erde und hatte einen Steg aus Holz, der einmal ganz herum führte und von dem man in jedes der Zimmer kam. Das von Honoka lag rechts um die Ecke und war klein, aber gemütlich. Im Garten, der außergewöhnlich groß war, stand noch ein kleines Lagerhaus. Honoka erklärte Ryou, dass ihrer Familie das Grundstück schon seit Generationen gehörte und dass das jetztige Haus aus der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg stammte, das Lagerhaus aber noch älter war und bei der Bombardierung durch Glück nicht beschädigt worden war. Als ihre Großmutter ihnen auf einem Tablett Tee und süße Kekse brachte, saßen sie in ihrem Zimmer auf dem Boden und unterhielten sich über Gott und die Welt. Sie verstanden sich prächtig und hatten beide viel zu erzählen, und als Ryou sich zwei Stunden später von ihr verabschiedete war es schon dunkel [in Japan geht die Sonne immer gegen 6 Uhr unter] und er hatte das Gefühl, alles über sie zu wissen. Sie hatte ihm von ihren Eltern erzählt, die als Schmuckhändler ständig um die Welt reisten und nur zu ihrem Geburtstag zurückkamen, vom Chemieclub, in dem sie war, dass sie unheimlich gerne kochte, dass sie später Forscherin werden wollte und vieles mehr. Er hatte seinerseits von sich erzählt, von seiner Leidenschaft für das Spiel „Monsters World“, von dem magischen Ring, den ihm sein Vater aus Ägypten mitgebracht hatte, von den mysteriösen Geschehnissen, wenn er mit seinen Freunden dieses Spiel gespielt hatte und die sie allesamt ins Koma verfrachtet hatten, von seinen neuen Freunden, die ihn von dem bösen Geist in dem Ring befreit hatten. Dass sie ihm die Geschichte mit dem Geist so ohne Weiteres glaubte, erstaunte ihn, doch er war auch erleichtert, dass sie ihn nicht für verrückt hielt. Nur eine Frage gab es, die er sich im Verlauf des ganzen Gesprächs nicht zu stellen getraut hatte. Als er zu Hause ankam, war er darüber so wütend auf sich selbst, dass er eine Tasse zerschmiss, als er sich einen Tee machen wollte und sich beim Aufsammeln auch noch an den Scherben schnitt. Trotzdem wagte er es erst am darauffolgenden Montag, bei Honokas Schule vorbeizuschauen; nicht bei ihr zu Hause, weil ihm dafür wirklich der Mut fehlte, auch wenn er Chuutarou gerne wiedergesehen hätte. Er kam nach Schulschluss, hoffte jedoch darauf, dass Honoka noch im Club war und erst später nach Hause ging, und so lehnte er sich an die Mauer neben dem Eingang und wartete. Er musste eingeschlafen sein, denn als ihm jemand auf die Schulter klopfte, hatte er niemanden weder kommen sehen noch gehört und erschrak deshalb fürchterlich. Es war die Freundin von Honoka, die mit den kurzen hellen Haaren. „Du bist doch der aus der Bücherei!“, sagte sie und musterte ihn aus ihren braunen Augen. Ryou nickte und wischte sich über die noch schlaftrunkenen Augen, und dann bemerkte er auch die beiden Mädchen, die hinter ihr standen. „Was machst du hier?“, fragte sie. Ryou musste kurz überlegen, bevor er sagte: „Ich wollte Yukishiro-san etwas fragen.“ „Oh, du hast sogar schon ihren Nachnamen rausgefunden“, stellte das Mädchen fest. Ryou fuhr sich verlegen durch die Haare und hoffe, dass dieses Mädchen nicht zu aufdringlich wurde. „Bist du in Yukishiro-san verliebt?“, fragte eine der anderen. Ryou wurde auf einen Schlag rot wie eine Tomate. Offenbar war das für die Mädchen Antwort genug, denn die beiden kicherten los, während die kurzhaarige zu Ryou sagte: „Mach dir keine Hoffnungen.“ Ryou lachte auf. Keine Hoffnungen? Sie hatte ihn zu sich eingeladen, also durfte er sich ja sehr wohl Hoffnungen machen. „Ich sag dir, du hast keine Chance. Honoka hat nämlich schon einen Freund.“ Ryou verstummte abrupt in seinem Lachen und es war wie ein Schlag in seinen Magen. Er taumelte, musste sich an der Mauer abstützen, bevor er ungläubig hervorpressen konnte: „Echt jetzt?“ „Ja, echt“, sagte sie mitleidlos. Ryou schüttelte den Kopf und sämtliche Vorsätze waren vergessen, weil sich die Frage, die er hatte stellen wollen, nun erübrigte. Ohne einen Gruß oder ein weiteres Wort ging er an den Mädchen vorbei und schleppte sich die Straße hinunter in Richtung Bahnhof. Mazaki Anzu, dem einzigen Mädchen in seinem Freundeskreis, fiel am nächsten Morgen sofort auf, was mit ihm los war. Sie beugte sich zu ihm herunter, der seinen Kopf auf seinen verschränkten Armen liegen hatte und so aussah, als habe er in der letzten Nacht nicht viel Schlaf gehabt. „Du siehst total frustriert aus, was ist los? Liebeskummer?“, fragte sie. Ryou sah sie traurig an und nuschelte: „Ja, glaub schon...“ „Willst du darüber reden?“ „Jetzt?“, fragte er gequält. „Doch nicht hier in der Schule! Ich habe heute nach der Schule nichts vor, also ...“ Ryou fand nur die Kraft, matt zu nicken, da kam auch schon Jounouchi in die Klasse gestürmt. „Hey, Bakura, altes Haus! Was ist los mit dir? Nicht geschlafen?“ Neben ihm tauchten Mutou und Honda auf. „Lasst ihn einfach in Ruhe“, wies Mazaki die drei zurecht, und dafür war Ryou echt dankbar. Als der Unterricht zu Ende war, machte sich Anzu mit Ryou auf den Weg zu dem kleinen Café am Bahnhof. Bis sie saßen und ihren Milchkaffee vor sich stehen hatten, stellte Mazaki keine Fragen, doch dann forderte sie ihn auf, zu erzählen. Er begann nur zögernd mit der ersten Begegnung auf dem Nachhauseweg, doch dann sprudelte alles nur so aus ihm hervor. Er erzählte jedes winzige Detail und hörte erst auf, als er damit schloss, wie er am Vortag nach Hause gekommen war und sich die ganze Nacht mit Musik der Band Akumu zugedröhnt hatte. Mazaki schwieg einen Moment und Ryou nippte solange an seinem Getränk. „Rede mit ihr“, sagte sie schließlich und verursachte, dass er sich an seinem Kaffee verschluckte. Er hustete und fragte dann krächzend: „Wieso? Es hat keinen Zweck, sie hat doch einen Freund!“ „Aber das heißt nicht, dass sie dich nicht mag. Vielleicht hat sie noch nicht Schluss gemacht, weil sie sich nicht sicher ist, wie du für sie empfindest! Vielleicht wartet sie darauf, dass du ihr ein Liebesgeständnis machst. Vielleicht stimmt das mit dem Freund auch gar nicht und diese Freundin wollte dich nur ärgern oder aber sie hat sie darum gebeten, weil sie wissen wollte, wie du reagierst!“ Ryou starrte Mazaki mit offenem Mund an. „So was machen Mädchen?“, fragte er entgeistert. „Absolut“, sagte Mazaki und tupfte sich mit einem Taschentuch über den Mund, nachdem sie den letzten Schluck Kaffee genommen hatte, „so sind Mädchen. Wir wollen immer wieder die Gefühle des anderen auf die Probe stellen, so ist das nun mal. Rede einfach mit ihr und es wird sich alles klären. Ich kann mir, nach allem was du erzählt hast, nicht vorstellen, dass sie dich nicht auch mag.“ Mazaki stand auf und streckte sich. „Ich muss los. Du bezahlst für mich, ja?“ Damit eilte sie davon und ließ einen ernstlich verwirrten Bakura Ryou zurück. Am nächsten Tag sprach sich Ryou Mut zu, bevor er sich an der Kreuzung nach rechts wandte und dem Weg folgte, den er erst vor so kurzer Zeit gemeinsam mit Honoka gegangen war. Er hatte extra getrödelt, und nun war es schon achtzehn Uhr, es bestand also eine reelle Chance, dass sie wieder da war. Er stand vor dem Anwesen und hob den Finger, um zu klingeln, ließ ihn jedoch in Panik wieder sinken. Was, wenn sie ihm nun sagte, dass sie ihn überhaupt nicht mochte? Er dachte an Mazakis Worte und versuchte es nochmal, doch ein Ansturm von Zweifel ließ ihn auch diesmal zögern. Er konnte das nicht, nein! Er drehte sich zum Gehen, doch der Gedanke, dass er nun wo er schon hier war einfach umkehren sollte, war absurd. Mit all seinem Mut sprang er zur Klingel und drückte auf den Knopf, und wich dann angsterfüllt zurück. Ein paar Minuten passierte gar nichts und er war dreimal kurz davor, einfach wegzurennen, und beim dritten Mal wäre er wirklich abgehauen, wenn nicht in dem Moment die Tür aufgegangen wäre. Chuutarou sprang ihm bellend entgegen und schaffte es diesmal, ihn wirklich zum Stolpern zu bringen und zu Boden zu werfen. „Chuutarou, aus!“, sagte er wütend. Wenn er jetzt auf etwas keinen Nerv hatte, dann war das ein anhänglicher Hund. Der gehorchte sofort und kehrte zurück zu seiner Besitzerin, die im Tor stand, Honokas Großmutter. „Oh, du bist es“, sagte sie. Ryou stand auf, klopfte sich den Staub vom Rücken und fragte: „Ist Honoka-san da?“ Ihre Großmutter seufzte. „Sie ist da, ja, aber sie ist heute in einer sehr schlechte Verfassung. Sie kam um zwölf Uhr aus der Schule, weil es ihr so schlecht ging. Es muss irgendwas passiert sein, aber mit mir will sie nicht darüber reden, also vielleicht kannst du sie aufmuntern.“ Ryou sah die alte Frau an und Sorge kroch in seiner Brust hoch. Was mochte passiert sein? Als er vor ihrer Zimmertür stehen blieb, hörte er sie leise sprechen. „Honoka-san, darf ich reinkommen?“, fragte er. Sofort verstummte ihr Reden und sie fragte laut und unfreundlich: „Wer ist da?“ „Ich bin es, Bakura.“ „Hau ab!“, kam es prompt zurück, „Du bist der Letzte den ich jetzt sehen will!“ Ryou wich von der Tür zurück. Warum nur hatte er das Gefühl, dass sie wegen ihm so schlechter Verfassung war? Aber wie konnte das sein? „Wenn es dir nicht gut geht verschiebe ich das, wofür ich eigentlich gekommen war, auf später. Aber wenn du darüber redest, wird es bestimmt besser!“ „Nicht mit dir!“, kam es verzweifelt zurück. Ryou trat wieder an die Tür und lehnte den Kopf dagegen. „Honoka-san, ich möchte nicht durch eine geschlossene Tür mit dir reden. Wenn du wütend auf mich bist, dann sag mir wieso, denn ich weiß es nicht!“ Er lauschte und hörte dann ihre Schritte langsam über die Diele tapsen. Sie riss die Tür auf und er fiel fast in den Raum, weil er sich ja gegen diese gelehnt hatte. Honoka sah ihn nicht an. Ihr Anblick war schrecklich. Sie war blass und ihre Augen rot gerädert, ihr sonst so schönes schwarzes Haar hing ihr strähnig auf die Schultern, sie trug ihren Rock und das Hemd und beides war zerknittert. Sie hatte geweint. „Was willst du noch hier?“, fragte sie abweisend. Ryou wusste nicht, was er sagen sollte. Sie nach dem Grund für ihre Tränen fragen? Über das Wetter reden? Schließlich entschied er sich für die Frage, wegen der er gekommen war. „Ist es wahr, dass du einen Freund hast?“ Honokas Augen blitzten auf, doch sie hielt den Kopf gesenkt und sah nicht in seine Richtung. „Und warum sollte dich das interessieren?“, fragte sie. Ryou hob beschwichtigend die Hände. „Honoka-san....“, murmelte er. „Du hast doch selbst eine Freundin!“, platzte es aus ihr heraus. Ryou wich erschrocken zurück. Das war der Grund? Aber... „Ich habe keine Freundin!“, protestierte er. „Leugnen ist Zwecklos, Nagisa, Kyouko und Natsuko haben euch gesehen! Ihr habt zusammen im Café gesessen und euch amüsiert!“ Ryou sah sie an und begann zu lachen. „Was ist so lustig daran?“, schnauzte sie ihn an. Ryou seufzte und sagte: „Das war eine Klassenkameradin von mir. Nachdem deine Freundin mir gesagt hatte, dass du einen Freund hast, war ich so niedergeschlagen und sie hat mich wieder aufgebaut. Aber da läuft nichts.“ Honoka sah auf, doch sie sah ihm noch immer nicht in die Augen. „Das war nicht deine Freundin?“, fragte sie verlegen. „Nein, sag ich doch!“, erwiderte Ryou. „Tut mir leid, ich dachte...“, murmelte sie und trat einen Schritt zurück. Ryou folgte ihr in den Raum und wusste nicht, was er sagen sollte. Sie trat an ihren Nachttisch und wischte sich mit einem Taschentuch über die Augen. Er blieb unschlüssig stehen und stellte dann noch einmal die Frage: „Hast du wirklich einen Freund?“ Honoka hüllte sich in Schweigen, und Ryous Magen zog sich schmerzhaft zusammen, konnte dieses Schweigen doch nur eins bedeuten. Er wollte etwas sagen, irgendetwas, um die Stille zu durchbrechen, doch seine Kehle war trocken und als er den Mund öffnete, wollte kein Laut seine Kehle verlassen. Er ballte hilflos die Hände zu Fäusten, während Honoka unbehaglich eine Haarsträhne zwischen ihren Fingern drehte. Ihr Blick war wieder zur Seite gerichtet und hätte Ryou hingesehen, hätte er das feuchte Glitzern in ihren Augen gesehen, doch er starrte nur auf den Boden, ohne ihn wirklich wahrzunehmen und seine Gedanken kreisten umher, wollten keine vernünftige Form annehmen. „Ja“, beantwortete sie schließlich, nachdem bestimmt zehn Minuten vergangen waren, seine Frage, und ihre belegte Stimme ließ Ryou aufsehen. Als er die Tränen in ihren Augen bemerkte, eilte er zu ihr und packte sie an den Schultern. „Warum weinst du? Ist doch…“ Er musste hart schlucken, bevor er weitersprechen konnte, und seine Stimme degenerierte zu einem Flüstern, „ist doch wunderbar für dich, wenn du einen Freund hast!“ Honoka schluchzte laut auf. „Nichts ist wunderbar!“, rief sie und klammerte sich an seine Brust. „Ich… ich liebe ihn gar nicht! Aber…“ Ein Schwall Tränen hinderte sie am Weitersprechen und benetzte Ryous Hemd. Er legte ihr einen Arm um die Schultern und strich ihr mit der anderen Hand über die Haare. „Ich liebe ihn doch gar nicht“, wiederholte sie mit zittriger, aber nun ruhigerer Stimme. „Es ist nur … als er mich gefragt hat, ob ich mit ihm gehen will, da… ich wollte… also… ich konnte doch nicht einfach nein sagen und ihn enttäuschen…“ Ryou sagte eine Weile kein Wort, doch er strich ihr weiter über die Haare, bis sie aufhörte zu weinen. „Mach Schluss“, sagte er sanft. „Wenn du ihn nicht liebst, kannst du mit ihm nicht glücklich werden. Wenn du es ihm jetzt sagst, wird er es überstehen, aber wenn er es von sich aus herausfindet, wird er sicherlich verletzt sein…“ Honoka sah ihm dankbar ins Gesicht und löste sich vorsichtig aus seinem Griff. „Danke … Bakura-kun.“ Ryou schüttelte den Kopf. „Sag bitte Ryou.“ Sie lächelte, wenn auch ihre Traurigkeit noch nicht ganz aus ihren Zügen verflogen war, sah sie nun doch schon wieder wunderschön aus, trotz ihrer wirren Haare und der zerknitterten Kleidung. „Danke, Ryou.“ Er konnte nicht anders, als breit zu grinsen. Es war alles in Ordnung. Sie würde mit ihrem Freund Schluss machen. Sie hatte geweint bei dem Gedanken, er könnte eine Freundin haben. Und sie hatte ihn Ryou genannt [In Japan ist das Ansprechen mit dem Vornamen ohne Nachsilbe sehr direkt und erfolgt nur bei einem sehr engen Verhältnis]. „Ah, Ryou-kun, jetzt habe ich dein ganzes Hemd vollgeweint! Tut mir leid!“ Doch er war viel zu guter Laune, um ihr das übelzunehmen. Honoka begann zu lächeln, als sie Ryou im geöffneten Schultor erblickte. Ihr Anblick war schöner denn je, ihr Haar glänzte und ihre Schuluniform stand ihr wunderbar. „Hast du auf mich gewartet?“, fragte sie als sie neben ihm ankam und sich mit ihm in Bewegung setzte. „Nicht lange“, sagte Ryou. „Ich hab’s getan“, sagte sie glücklich, „und er war nicht einmal wütend oder so, nur ein bisschen enttäuscht, dass ich ihm das nicht schon früher gesagt habe. Oh, danke, Ryou! Ohne dich hätte ich nie den Mut gefunden, das zu sagen!“ Ryou vergrub die Hände tief in den Hosentaschen und murmelte: „Ich hab doch gar nichts Besonderes gemacht.“ Honoka lächelte. Sie kamen auf den Bahnhof zu, und Ryou blieb stehen. Honoka sah ihn neugierig an. „Da du jetzt single bist…“, sagte Ryou langsam, „hätte ich da noch eine Frage an dich…“ Die Antwort war von vornherein klar. Kapitel 20: Touya und Enel - Der schnuckelige Killer ---------------------------------------------------- Von Soo~, als wir uns diese Geschichte ausgedacht haben, haben wir immer One Piece geguckt und da war gerade die Skypiea-Saga oder wie die heißt, auf jeden Fall das, wo die One Piece-Crew im Himmel ist. Und wir fanden Enel, den selbsternannten Gott so besonders... er war halt so merkwürdig mit diesen langen Ohrläppchen und diesen komischen Augen und der komischen Nase... Und dann kamen wir verrückterweise auf die Idee, dass man ihn ja verkuppeln könnte. Luna-Usui war gerade zu Besuch und da wir sie nicht ausschließen wollten, haben wir es so gemacht, dass sich jeder einen Partner (ich glaube, es musste ein Mann sein, weil Enel sowieso so schwul aussieht...) ausdenkt und wir dann darüber diskutiert haben, wer es wird oder so ähnlich. Ist schon solange her... Luna-Usui hatte sich für Yuri Schauer aus June, the little Queen entschieden, ich für Touya Kinomoto. An Jitschs Wahl können wir uns leider nicht mehr erinnern... Aber egal. Diese Geschichte ist nicht so wie die anderen. Sie ist an manchen Stellen etwas brutal... Aber Enel ist ja auch sonst nicht gerade der romantische Typ... Egal, hier ist: Der schnuckelige Killer Touya und sein Freund Yukito schlenderten gemütlich durch die lange Einkaufsstraße der Kleinstadt Tomoeda, in der sie wohnten. Es war schon fast Abend, schließlich hatte an ihrer Schule ein Basketballturnier stattgefunden und in einer Mannschaft hatten noch zwei Spieler gefehlt. Also hatte Yukito, der viel Spaß am Sport hatte, Touya dazu überredet, mit ihm teilzunehmen. Das Turnier war gut gelaufen und die beiden Aushilfsspieler waren die Stars der Mannschaft gewesen. Sämtliche Mädchen, selbst die, die eigentlich ihren Gegnern hatte zujubeln wollen, hatten sich auf die Seite der gut aussehenden Jungen geschlagen Touya stöhnte auf und verdrehte die Augen, als sein Freund ein Manju aus der Tasche zog. Schließlich war es nicht das erste, was er an diesem Tag aß. Während des Turniers hatte er eine ganze Menge Sandwiches verputzt, obwohl diese nicht besonders klein waren. Auch im Laufe des Schultages hatte er so einiges gegessen und manchmal hatte sich Touya ernsthaft gefragt, wo er all das Essen her hatte. „Möchtest du auch eins?“, fragte Yukito den Braunhaarigen mit seinem üblichen freundlichen Lächeln. „Nein, danke, Papa kocht immer so viel, wenn er mal da ist. Das muss man voll auskosten.“ „Ist in Ordnung.“ „Sag mal, bekommst du eigentlich zu Hause nur so wenig zu essen?“ „Warum?“ „Weil du die ganze Zeit am Futtern bist.“ „Ich bekomme zu Hause völlig genug. Meine Großeltern sorgen gut für mich.“ „Aber wie kannst du dann so viel verdrücken?“ „Ich habe nun mal immer Hunger.“ „Ein Wunder, dass du noch so eine gute Figur hast...“ „Ich treibe ja viel Sport.“ Darauf wusste Touya nichts zu erwidern. Es hatte ihn noch nie gestört, dass sein bester Freund in manchen Punkten etwas ungewöhnlich war, denn er war sehr freundlich. Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her und hingen ihren eigenen Gedanken nach. Auf einmal zerstörte etwas die ruhige Atmosphäre. Ein heller Blitz zuckte durch die Luft. Touya hielt sich die Hand vor die Augen, um nicht zu erblinden. Als er es wagte, sie wieder wegzunehmen, sah er Yukito neben sich auf der Straße liegen. Er regte sich nicht mehr. Sein silbrig blondes Haar war versengt und das angebissene Manju war in einer Pfütze am Straßenrand gelandet. „Oh, tut mir leid, dass ich ihn getroffen habe“, sagte eine sichtlich amüsiert klingende Stimme über ihm. Touya riss den Kopf nach oben und sah einen Mann, der breitbeinig auf der nächsten Straßenlaterne stand. Sein durchtrainierter Oberkörper war vollkommen nackt, an seinen muskulösen Oberarmen glänzte goldener Schmuck. An den Beinen trug er eine unglaublich weite orange-schwarze Hose, die kurz über den Knöcheln zu einem Bund zusammenlief. Darunter trug er an beiden Beinen weitere Goldringe. Die Füße waren nackt. Das Gesicht des Mannes war wirklich hübsch für so einen Körper. Er hatte blondes Haar, das fast gänzlich von einem weißen Kopftuch bedeckt war. Die stechenden blauen Augen wurden von langen Wimpern umrahmt und auf seinem Nasenbein sah Touya eine interessante Musterung. Doch die Ohren des Mannes waren noch aufsehenerregender: die Ohrläppchen hingen ihm bis auf die Brust und es hingen goldene quadratische Ohrringe daran. Und dieser gut aussehende Mann sah nun mit einem breiten Lächeln zu Touya hinunter und sagte: „Ich wollte nur ausprobieren, bei welcher Stromstärke Menschen den Löffel abgeben. Ich glaube aber, dieser war ein besonderes Exemplar. Stell dir vor, ich brauchte tausend Volt, um ihm das Lebenslicht auszupusten!“ Touya starrte den Mann an. Als er seine Sprache wiedergefunden hatte, fragte er: „Wer bist du?“ „Enel, der Gott.“ „Enel...“, murmelte Touya mit starrem Blick. Dann nahm er all seinen Mut zusammen und fragte: „Möchtest du zu mir nach Hause kommen und einen Tee mit mir trinken?“ Enel grinste ihn an und sagte: „Gerne, nett von dir. Sonst laufen die Leute immer vor mir weg, wenn ich ihre angeblichen Freunde töte.“ „Warum sollte ich weglaufen? Ich weiß doch, dass du ihn nicht aus persönlichen Gründen getötet hast. Es war bestimmt ein wichtiger Versuch für dich.“ „Ja, da hast du allerdings Recht“, sagte Enel und sprang dann von der Straßenlaterne. Direkt neben Touya landete er auf dem Boden. „Du bist wirklich außergewöhnlich!“, staunte dieser. „Natürlich“, bestätigte Enel und hob die Augenbrauen. Er warf einen mitleidigen Blick auf den rauchenden Yukito am Boden. Dann packte er kurzerhand das verdreckte Manju und stopfte es ihm in den Mund. „Damit er nicht verhungert“, erklärte er mit einem breiten Grinsen. Dieser Enel war wirklich nett. Er schien freundlich zu sein, aber auch sehr mächtig. Er sah furchtbar gut aus – Touya konnte seinen Blick noch immer kaum von diesen Ohrläppchen nehmen – und er hatte zugesagt, mit ihm zu kommen. Touya hatte so etwas noch die gefühlt, aber er war sich sicher: Das war Liebe auf den ersten Blick! „Papa! Ich bin wieder da!“, rief Touya, streifte seine Straßenschuhe ab und schlüpfte in seine Pantoffeln. Für Enel holte er ein Paar Gästehausschuhe aus einem kleinen Schrank neben der Tür. Sein Vater, Fujitaka Kinomoto, kam aus der Küchentür, die ein paar Meter vom Eingang entfernt auf der linken Seite lag. Als er Enel sah, zuckte er kurz zusammen, doch dann sagte er: „Guten Tag! Bist du ein Freund von Touya?“ Enel versah ihn nur mit einem kurzen Blick aus seinen kalten blauen Augen und sagte nichts. Also sagte Touya: „Ähm, das ist Enel. Ich habe ihn eben getroffen und ihn zum Tee eingeladen.“ Fujitaka schenkte dem Gast ein herzliches Lächeln, das dieser nicht im Geringsten erwiderte, und sagte: „Ich bin sowieso gerade am Tee kochen. Setzt euch doch schon mal ins Wohnzimmer. Sakura hat Kekse aus der Schule mitgebracht. Ihr könnt sie ja fragen, ob sie euch etwas abgibt.“ „Ja, können wir“, sagte Touya und ging mit Enel durch die Tür, aus der Fujitaka gerade gekommen war, da Küche und Wohnzimmer sich in demselben Raum befanden. Dieser war groß und sehr hübsch eingerichtet. Helles Sonnenlicht durchflutete den ganzen Raum. Die sanft rosa Vorhänge wehten im schwachen Wind, der durch das offene Fenster hereinkam. Zwei rote Sofas standen zu beiden Seiten eines kleinen Holztisches vor dem Fenster. Links von der Tür war die Küche. „Setz dich doch“, bat Touya seinen Gast. Enel reagierte gar nicht darauf, sondern fragte: „Wer ist diese Sakura?“ „Meine kleine Schwester. Ich würde dir übrigens raten, ihre Kekse nicht zu essen, sie sind nicht genießbar.“ „Ich hätte sie sowieso nicht gegessen.“ Touya erstaunte diese Feststellung zwar, aber er wollte nicht genauer nachfragen. Ein wenig Ehrfurcht hatte er schon vor Enel, schließlich hatte der Yukito innerhalb eines kurzen Moments einfach umgebracht. Ein etwa zehnjähriges Mädchen betrat den Raum. Sie hatte braune Haare und trug die Schuluniform der Grundschule von Tomoeda. Als sie Enel sah, taumelte sie ein paar Schritte rückwärts. Touya, den das Verhalten seiner Schwester ein wenig ärgerte (warum hatte sie Angst vor so einem gut aussehenden Mann?), sagte: „Das ist Enel. Ich habe ihn zum Tee eingeladen.“ „Nett, dich kennen zu lernen“, sagte sie höflich, aber ihre steife Körperhaltung verriet, dass sie es überhaupt nicht nett fand. Dennoch setzte sie sich auf das eine Sofa. Enel und Touya ließen sich ihr gegenüber nieder. „Ähm... wollte Yukito nicht heute noch kommen?“, fragte Sakura ihren großen Bruder. „Yukito? Ist das nicht der Blonde von vorhin?“, fragte Enel plötzlich. „Ja“, sagte Touya. Ein überhebliches Lächeln erschien auf Enels Lippen und er sah Sakura direkt in die Augen, als er sagte: „Den hab ich abserviert.“ „W-was meinst du mit abserviert?“, stotterte Sakura angsterfüllt. „Getötet“, erwiderte Enel gelassen. Sakura presste sich die Hand auf den Mund, um nicht laut loszuschreien. Hilfe suchend sah sie zu Touya. Warum sagte er nicht, dass das nicht wahr war? Warum sagte er seinem Freund nicht, er solle seine blöden Scherze lassen? Doch Touya nickte nur und gab kein Wort von sich. In dem Moment betrat Fujitaka den Raum, in den Händen trug er ein Tablett mit Keksen, einer Kanne Tee und vier Bechern. „P-Papa!“, stammelte Sakura, lief zu ihm und klammerte sich an ihm fest, weswegen er das Tablett fallen ließ. Die Teekanne und die Becher zerschellten auf dem Boden, Scherben sprangen und der Tee sickerte langsam in den Teppich. „Was ist denn los, Sakura?“, fragte Fujitaka besorgt, anscheinend kümmerte ihn das runtergefallene Tablett gar nicht. „Dieser... dieser Enel, er... hat gesagt, dass er Yukito getötet hat“, brachte sie heraus, dann begann sie zu schluchzen und presste ihr Gesicht an seine Brust. Fujitaka streichelte ihr über den Kopf und sagte mit beruhigender Stimme: „Das hat er doch bestimmt nicht ernst gemeint.“ „Doch, habe ich“, sagte Enel kalt. „Und ihr beiden geht mir auch auf die Nerven!“ Bevor sie sich auch nur einen Zentimeter von der Stelle rühren konnten, krachten ein Blitz durch die Decke und traf Fujitaka und somit auch die an seinen Arm geklammerte Sakura, die daraufhin leblos auf der Stelle zusammensackten. „Dich haben sie doch bestimmt auch schon genervt, oder?“, fragte Enel Touya mit einem kühlen Lächeln und einem angriffslustigen Blitzen in den Augen. „Äh... Ja. Ein wenig“, antwortete Touya kurz. Er hatte jetzt ein wenig Angst vor Enel. Dieser sah zwar wirklich gut aus und war zu ihm auch sehr nett, aber er war leicht reizbar. Er hatte innerhalb von einer halben Stunde alle Menschen getötet, die ihm etwas bedeutet hatten. „Du heißt Touya, nicht wahr?“, fragte Enel. Touya nickte. „Möchtest du mit mir nach Fairy Vearth kommen?“ Erst wollte Touya nicken, doch dann traute er sich zu fragen: „Was ist das?“ Enels Augen glänzten vor Freude, als er erklärte: „Fairy Vearth ist ein Paradies. Dort gibt es unendlich viel Erde, es ist alles voll damit. Ganz anders als im Himmel, wo ich herkomme. Und die Leute dort glauben noch an einen Gott. Und ich werde die Position dieses Gottes übernehmen und über sie herrschen!“ „Was sollte ich in so einer Welt?“ „Willst du etwa nicht mit?“ „Doch, aber...“ Eigentlich wollte er nicht von zu Hause weg, aber hier hatte er sowieso niemanden mehr und außerdem wollte er Enel nicht widersprechen. „Was soll ein Gott wie du mit jemandem wie mir?“ Enel lachte auf. Dann sagte er: „Du gefällst mir... Touya.“ Touya wurde ganz heiß im Gesicht und konnte kein anständiges Wort mehr hervorbringen. Enel sagte gelassen: „Lass uns gehen.“ Also stiegen sie über die leblosen Körper von Sakura und ihrem Vater hinweg und verließen das Haus. Draußen fragte Enel: „Kannst du diese Kutschendinger steuern?“ „Was für Kutschendinger?“, fragte Touya. „Na diese bunten Kutschen, in denen alle rumfahren.“ Da ging Touya ein Licht auf. „Meinst du Autos?“ „Wenn ich wüsste, wie sie heißen, würde ich das auch sagen, oder?“, meinte Enel gereizt. „Klar“, sagte Touya. Er blickte sich um. Gerade kam eine lange schwarze Limousine, von der Touya wusste, dass sie der Familie von Sakuras bester Freundin Tomoyo gehörte, die Straße entlanggefahren. „Meinst du so etwas?“ Enel nickte. „Die nehmen wir.“ Bevor Touya nachfragen konnte, was er meinte, hatte Enel sich schon mitten auf die Straße gestellt und das ohnehin gerade bremsende Auto mit den Händen angehalten. Eine der Türen öffnete sich und ein Mädchen mit langen schwarzen Haaren, etwa in Sakuras Alter, stieg aus. Tomoyo Daidouji, die Tochter einer erfolgreichen Modedesignerin. Sie hielt eine Videokamera in der Hand. Als sie Touya sah, rief sie erfreut: „Guten Tag! Ist Sakura da? Ich möchte ihr das Video zeigen, dass ich vorletztes Wochenende von Daisuke-kun gedreht habe.“ „Halt die Klappe. Wir brauchen dein Auto“, unterbrach Enel sie mit gelangweilter Stimme. Anscheinend mochte er keine Kinder. Oder keine Mädchen. Oder beides nicht. Oder überhaupt niemanden außer sich selbst. „Guten Tag“, sagte Tomoyo höflich. „Sind Sie ein Freund von Touya?“ „Klappe“, sagte er. Ein weiterer Blitz zuckte herab und Tomoyo fiel reglos zu Boden. „Nervig“, fand Touya und ging zur offenen Tür des Wagens. Da sprang die Fahrertür auf und eine junge Frau stieg aus. „Was ist passiert?“, fragte sie. Doch statt einer Antwort wurde sie nur von dem nächsten Blitz getroffen. Auch sie war sofort tot. „Du fährst“, bestimmte Enel und machte es sich auf dem ledernen Rücksitz bequem. „Ähm... Ich hab das noch nie gemacht...“, widersprach Touya leise. „Du schaffst das schon“, sagte Enel in gelangweiltem Ton. Von dem Vertrauen, das Enel ihm entgegenbrachte, beflügelt, stieg Touya ein, schloss die Tür und startete den Wagen. Obwohl er noch nie ein Auto gefahren hatte – schließlich war er erst siebzehn – gelang es ihm, Enel dorthin zu bringen, wo er hin wollte: Zur Bucht von Tokyo. Sie waren lange unterwegs, aber irgendwann erreichten sie dann doch ihr Ziel. Touya parkte das Auto im Halteverbot vor der Polizeiwache, aus der gerade ein uniformierter Polizist herauskam. Dieser wollte ihnen gerade eine Geldstrafe verpassen, als der fünfte Blitz an diesem Tag ihn niederstreckte. Am Hafen fanden sie ein gigantisches goldenes Schiff vor. Touya hatte so etwas noch nie gesehen. Doch Enel schien dieser Anblick nicht zu erstaunen. Er ging auf das Schiff zu und betrat es über einen Steg. Touya sah ihm erstarrt hinterher. Gehörte dieses Schiff etwa ihm? „Komm schon, Touya, oder hast du es dir anders überlegt?“, weckte Enels herüberschallende Stimme ihn aus seinen Gedanken. „Ich komme!“, rief er zurück und ging schnell auf das Schiff zu. Das Innere des Schiffes war ebenso wundervoll wie das Äußere. Die Räume darin waren groß und luxuriös, und alles glänzte im Licht der Sonne, das von den goldenen Wänden reflektiert wurde. Touya gefiel es dort. Es war wirklich unglaublich! Und immer wieder fragte er sich, woher Enel so ein Schiff hatte. Die ersten Gedanken, die ihm dazu kamen, schob er allerdings schnell zur Seite, da sie Mord und Totschlag beinhalteten. Und diese Gewalt kam nicht von den vorigen Besitzern dieses Prachtschiffes... Die beiden reisten lange mit diesem Schiff und häufig kam es Touya vor, als hätten sie das Meer längst schon verlassen. Nachprüfen konnte er dies allerdings nicht, da er die ganze Zeit unter Deck arbeiten musste: Enel brachte ihn dazu, zu kochen, zu waschen und – was bei so einem riesigen Schiff sehr viel Zeit in Anspruch nahm – zu putzen. Jedes Mal, wenn ihm ein Staubkorn unter die Nase kam, schimpfte er mit Touya. Doch dieser hatte das Gefühl, Enel wäre niemals wirklich böse. Er war eben ein Mensch, der die Unordnung hasste. Sie waren mehrere Wochen unterwegs. So kam es Touya zumindest vor, aber er konnte es nicht nachprüfen, da seine nicht wasserdichte Uhr ihm in den Eimer mit dem Putzwasser gefallen war und er ohne das Tageslicht zu sehen auch nicht wusste, wann Tag und wann Nacht war. Doch irgendwann kam Enel mit einem breitem Lächeln im Gesicht auf den Flur, den er gerade fegte, und sagte: „Wir sind da.“ Touya wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht, stellte den Besen beiseite und sagte: „Gut.“ Nachdem er die Putzsachen in die Besenkammer gebracht hatte, durfte er endlich das Deck betreten. Als seine Augen sich an das Licht der Sonne gewöhnt hatten, sah er sich um – und vergaß fast zu atmen vor Erstaunen. Das Schiff stand vor einem gewaltigen Tempel aus purem Gold. Details konnte man kaum erkennen, da die Außenwände so sehr glänzten. Und nach so langer Arbeit auf diesem Schiff konnte Touya sich gut vorstellen, wie viel Arbeit es war, das alles auf Hochglanz zu polieren. Was ihn auch erstaunte, war die Tatsache, das in seinem ganzen Blickfeld kein Tropfen Wasser zu sehen war. Und sie waren mit einem Schiff gekommen. Also konnte es wirklich fliegen. Touya konnte sich das auch ziemlich leicht erklären. Bei Enels Anblick könnte er auch fast Abheben vor Glück. Enel erklärte: „Das ist das Heiligtum des bisherigen Gottes von Fairy Vearth. Ich denke, wir werden ihm einen kleinen Besuch abstatten.“ Touya nickte nur. Er konnte vor Aufregung keinen Laut hervorbringen. Er würde dabei sein, wenn Enel zum Gott einer ganzen Welt würde! Damit würde er sein ganzes Leben lang angeben können. Die beiden verließen das Schiff und gingen auf das Tor des goldenen Heiligtums zu, vor dem zwei bewaffnete Männer mit gekreuzten Speeren standen. Enel verlor kein Wort an sie, sondern tötete sie mit zwei gezielten Blitzen, die er aus seinen Händen schickte, und ging schnurstracks an ihnen vorbei. Drinnen gingen sie einen ewig langen Flur entlang, bis sie schließlich in einen großen Thronsaal kamen. Auch hier war alles golden. Nur ein alter Mann in einem langen schwarzen Gewand, der auf dem riesigen Thron am anderen Ende des Saales saß, stach hervor. Enel ging raschen Schrittes auf ihn zu. Touya folgte ihm. Ein paar Meter vor dem Mann blieb Enel so plötzlich stehen, dass Touya fast gegen ihn gelaufen wäre. „Mach dich auf deine Niederlage gefasst, Gott von Fairy Vearth!“, sprach Enel mit mächtiger Stimme, die im ganzen Saal wiederhallte. „Ich werde ab jetzt über dieses Land herrschen!“ Einen Moment sah der Mann Enel forschend an. Dann sagte er: „Meinetwegen. Ich wollte sowieso längst in Rente gehen.“ Damit stand er auf und ging an Enel und Touya vorbei aus dem Saal. Enel setzte sich auf den Thron und sagte: „Ich werde ein guter Gott sein.“ „Ja, das wirst du“, stimmte Touya zu. „Touya! Wo bist du? Ich habe Hunger!“, schrie Enel durch das große Haus hinter dem Heiligtum, in dem sie nun seit langer Zeit lebten. „Ich bin in der Küche!“, rief Touya zurück. Das große goldene Schiff hatte sie an einen fernen Ort gebracht, von dem Touya noch immer nicht wusste, wo er eigentlich lag. Enel hatte es schnell geschafft, sich zum Gott zu erheben und sich dieses Haus bauen lassen. Er faulenzte nun den halben Tag, wenn er nicht damit beschäftigt war, seinen göttlichen Körper zu pflegen und zu trainieren. Touya war der einzige, den er an sich heranließ. Und ab und zu, wenn Enel mal wieder die Kraft seiner Blitze an einem seiner Untertanen getestet hatte, fragte Touya sich ernsthaft, warum er noch am Leben war. Wahrscheinlich, weil Enel irgendjemanden brauchte, der sich um den gesamten Haushalt kümmerte. „Warum ist das Essen noch nicht fertig?“, schimpfte Enel und betrat genervt die Küche. „Ich habe mir für heute etwas ganz Besonderes ausgedacht. Das dauert allerdings länger, als ich gedacht hatte“, erwiderte Touya leise. „Ist heute irgendein besonderer Tag?“, fragte Enel. „Vor einem halben Jahr haben wir uns kennen gelernt“, erklärte Touya, den Blick fest auf den Löffel in seiner Hand gerichtet, mit dem er gerade in einem Topf herumrührte. „Toll“, murmelte Enel gelangweilt und setzte sich auf einen der Stühle am Küchentisch. Touya durchquerte den Raum und öffnete den Kühlschrank. Eigentlich wollte er nur eine Flasche Milch herausnehmen, doch da fiel ihm die leuchtend pinke Frucht auf, die im obersten Fach der Kühlschranktür lag. Sie sah ähnlich aus wie eine Johannisbeere, aber sie war so groß wie ein Apfel. Und sie besaß eine ungeheure Anziehungskraft. Touya konnte seine Augen nicht von ihr wenden und nahm sie in die Hand. Sie war unerwartet leicht, fast wie eine Feder. „Was ist das?“, fragte er. „Nicht! Das ist eine -“ Doch bevor Enel seinen Satz beenden konnte, hatte Touya schon seine Zähne in dem weichen Fruchtfleisch der pinken Riesenjohannisbeere vergraben. Sie schmeckte extrem merkwürdig, wie eine Mischung aus Himbeere und Kaffee. „Das war meine Mikrofrucht, du verdammter Idiot! Die hat mir heute einer meiner Untertanen geschenkt. Ich wollte sie essen und testen was passiert, wenn die Kräfte von zwei Teufelsfrüchten kombiniert werden. Und du frisst sie mir vor der Nase weg!“ Doch Touya hörte ihm kaum zu und aß auch noch den Rest der Frucht. Dann, nach einigen Minuten Schweigen, wandte er sich wieder Enel zu und fragte: „Was ist eine Teufelsfrucht?“ Enel schüttelte den Kopf von so viel Blödheit, erklärte dann aber: „Teufelsfrüchte sind Früchte, die einem besondere Fähigkeiten verleihen. Hast du dich nie gefragt, woher ich diese Blitzkräfte habe?“ „Ich dachte, du wärest sowieso ein Gott, da ist es doch selbstverständlich, dass du irgendwelche besonderen Kräfte hast.“ „Ich bin ein Gott geworden, weil ich so mächtig bin. Nicht anders rum. Jetzt aber zurück zu den Teufelsfrüchten: Es gibt viele verschiedene, die einem alle verschiedene Kräfte verleihen. Der Nachteil ist, dass man nachher nicht mehr schwimmen kann.“ „Hier auf Fairy Vearth gibt es doch sowieso kein Wasser.“ „Da hast du Recht. Was meinst du, warum es mein Paradies ist?“ „Stimmt, das ist logisch. Aber was bewirkt jetzt eigentlich die Frucht, die ich gegessen habe?“ „Das war eine Mikrofrucht. Damit kannst du deine Stimme beliebig laut und leise stellen.“ „Cool!“, rief Touya. Anscheinend funktionierte die Kraft dieser Frucht wirklich, denn seine Stimme hallte im ganzen Haus wieder. „Schnauze!“, fauchte Enel ihn an und hielt sich die Ohren zu. „Tschuldigung“, murmelte Touya, seine Stimme war jetzt kaum noch zu hören. Enel seufzte und sagte: „Kümmer dich ums Essen.“ Dann verließ er die Küche und ging die Treppe in den ersten Stock hoch, in dem sich seine Zimmer befanden. Als Touya wenige Minuten später das Essen fertig hatte, stellte er alles auf ein goldenes Tablett, legte die weiße Schürze ab, die er beim Kochen immer trug, und ging mit dem Tablett zu Enels Zimmer. Dort klopfte er zaghaft an die Tür. „Herein! Das wurde aber auch Zeit!“, erklang Enels Stimme aus dem Zimmer. Touya drückte die Klinke mit dem Ellenbogen herunter, da er in den Händen ja das Tablett trug, und betrat dann das Zimmer. Es war riesig im Gegensatz zu seinem bescheidenen Kämmerchen. Durch die zugezogenen roten Samtvorhänge schien die Abendsonne in den Raum. Enel saß auf einem hohen, majestätisch wirkenden Thron mit dem Rücken zum Fenster. Die dunklen Schatten in seinem Gesicht ließen ihn bedrohlich wirken. Touya schloss die Tür hinter sich und kniete dann auf dem roten Teppich vor dem Thron nieder. „Das Essen ist fertig, Enel.“ „Das seh ich selber. Stell es auf den Tisch. Und bleib hier, ich muss mit dir reden!“ Auch wenn Enel dies in einem eindeutigen Befehlston sagte, und kein Fünkchen Freude in seiner Stimme mitschwang, begann Touyas Herz wie wild zu klopfen. Es war das erste Mal, dass Enel wünschte, mit ihm zu sprechen. Worum es wohl ging? Enel setzte sich auf seinen vergoldeten Stuhl mit den Armlehnen, der an dem zierlichen Mahagonitischchen stand. Touya stellte das Tablett darauf und sah dann Enel erwartungsvoll an. Dieser schien es hingegen gar nicht so eilig zu haben. Er nahm sich ein Weinglas mit vergoldetem Stiel, hielt es ins Licht um seine Sauberkeit zu prüfen und stellte es dann vor sich ab. Dann bat er Touya, ihm doch etwas von dem vorzüglichen Wein einzuschenken, den er heute auf dem Markt besorgt hatte. Touyas Hand zitterte so stark, dass fast ein Tropfen von dem wertvollen Getränk auf der strahlend weißen Tischdecke gelandet wäre. „Nun“, begann Enel endlich. Touyas Haltung versteifte sich. „Ich denke, da du mir nun schon so lange dienst – so lange hat bis jetzt noch niemand ausgeharrt ohne Opfer meiner Kräfte zu werden – sollte ich mich bei dir erkenntlich zeigen.“ Touya sah ihn mit großen Augen an, sagte aber nichts. „Wie mir nicht entgangen ist, zeigst du auffallendes Interesse an meinen Ohrläppchen.“ Er erhob das Glas und trank einen Schluck Wein daraus. „Vorzüglich“, sagte er. Dann fuhr er fort: „Ich denke, ich sollte dich für die Ewigkeit als meinen persönlichen Diener kennzeichnen.“ Touya schwieg. Sein ganzer Körper war angespannt. „Dank meiner Hilfe wirst du bald genauso anbetungswürdige Ohrläppchen haben wie ich“, schloss Enel. Touya konnte nicht mehr herausbringen als: „Danke“ Er war überglücklich über dieses Angebot. Er, der niedere Mensch Touya Kinomoto, sollte etwas bekommen was Enel, der Gott von Fairy Vearth, auch hatte. Es war wie ein Traum. Einen Tag darauf schenkte Enel Touya ein paar goldener Ohrringe, ähnlich wie die seinen. Da Touya noch keine Ohrlöcher besaß, musste er sich diese in einer schmerzvollen Prozedur vom Schmied des nächsten Dorfes stechen lassen – natürlich mit einem erhitzten Nagel. Als er dann, als die Brandblasen einigermaßen verschwunden waren, endlich die Ohrringe befestigen konnte, hatte er das Gefühl, seine Ohren würden abfallen. Denn die Ohrringe waren unglaublich schwer. Doch der erhoffte Effekt stellte sich schon bald ein: Eine Woche später stellte er fest, dass seine Ohrläppchen schon um mindestens einen Zentimeter länger geworden waren. Bald würden sie so lang sein wie die seines Gottes Enel! Lange Zeit später, Touyas Ohrläppchen waren inzwischen genauso lang wie die von Enel und er war auf leichtere Ohrringe umgestiegen, wurde ihm ganz plötzlich etwas bewusst. Er lebte jetzt schon über ein Jahr mit Enel zusammen, doch es gab etwas, was er ihm nie gesagt hatte. Etwas sehr Wichtiges. Er musste es ihm unbedingt mitteilen! Er sprang auf, zog sich schnell seine Hose und sein T-Shirt über und verließ leise sein Zimmer. Er ging die Treppe hinauf und blieb dann vor der Tür stehen, hinter der sich Enels Zimmer befand. Ich kann das nicht!, dachte er verzweifelt, drehte um und rannte die Treppe wieder runter und dann aus dem Haus. Draußen im Garten setzte er sich auf eine Bank unter einer großen Eiche und schloss die Augen. Die ersten Sonnenstrahlen schienen durch die dichten Wolken am Himmel und wärmten sein Gesicht ein wenig. Doch das nahm er kaum war. Er dachte nach. Er dachte darüber nach, was er jetzt tun konnte, jetzt, wo ihm diese wichtige Sache klar geworden war. Und irgendwann fasste er dann einen Entschluss. Er schlug die Augen auf und verließ schnell den Garten, wobei er so aufgeregt war, dass er zweimal fast über eine Baumwurzel stolperte. In der großen Eingangshalle begegnete er Enel, der anscheinend gerade aufgestanden war. Er trug nicht seine üblichen Klamotten, sondern schwarz-weiß karierte Boxershorts. Das war – wie Touya fand – eine interessante Kombination mit den goldenen Ringen an Armen und Beinen. Trotzdem gelang es ihm, seinen Blick abzuwenden, da Enel es nicht besonders gerne mochte, angestarrt zu werden. Touya richtete seinen Blick fest auf seine Füße und sagte: „Ich muss etwas einkaufen!“ Dann verließ er die Riesenvilla. Als er nach einiger Zeit auf dem Marktplatz von Conifairy, der Hauptstadt von Fairy Vearth, angekommen war, hatte ihn der Mut schon fast wieder verlassen. Er hatte zwar einen Plan gefasst, aber er war sich nicht so sicher, ob er es schaffen würde, diesen auszuführen. Also kümmerte er sich zuerst um die Einkäufe, die er noch zu erledigen hatte. Er kaufte Fisch, ein langes Weißbrot, das die Bewohner dieses Landes Bagett oder so ähnlich nannten, zwei Flaschen des teuren Rotweines, den Enel so gerne mochte, und eine Packung Milch für das katzenähnliche Wesen mit dem bissigen, zwei Meter langen Schwanz, das manchmal im Garten herumstreunte und die Schnecken auffraß, die sich an seinem Salat vergriffen. Als ihm nichts mehr einfiel, was er noch besorgen könnte, zog er sich in eine dunkle Seitenstraße zurück, in der keine Stände standen. Dort lehnte er sich gegen die Wand und sah gen Himmel. Die Sonne stand schon fast im Zenit. Länger sollte er es jetzt wirklich nicht mehr hinauszögern. Also holte er tief Luft und schrie, die Stimme durch die Kraft der Mikrofrucht hundertfach verstärkt: „Enel, ich liebe dich!“ Die Wand des Hauses, an das er sich gelehnt hatte, erzitterte wie bei einem Erdbeben und brach dann in sich zusammen. Touya konnte sich gerade noch vor einem herabfallenden Stein retten. Als er aufsah, sah er im ersten Stock des Hauses eine Frau, die unter der Dusche stand und laut sang. Sie schien gar nicht bemerkt zu haben, dass ihre Hauswand gerade eingestürzt war. Touya betrachtete sie kurz. Sie war schlank und hübsch. Aber niemand auf der Welt konnte so hübsch sein wie Enel. Touya sah, wie einige Stände auf dem Marktplatz umkippten und die Waren sich über den halben Marktplatz verteilten. Die Leute warfen sich auf den Boden, einige Frauen schrien auf. Doch Touya machte sich keine Gedanken darüber. Es war nicht wichtig. Wichtig war, dass er es getan hatte. Er hatte Enel gesagt, was er eigentlich schon die ganze Zeit über empfunden hatte. Wenn auch nicht von Angesicht zu Angesicht, er hatte es gesagt. Sein Herz klopfte ihm noch immer bis zum Hals und er konnte minutenlang keinen Muskel rühren. Irgendwann entschloss er sich dazu, zurückzukehren. Er konnte sich nicht ewig verstecken. Doch auch nach diesem Entschluss traute er sich nicht, den direkten Weg nach Hause zu nehmen. Mit den Einkäufen in einem großen Korb, den ihm ein Händler geschenkt hatte, in der Hand bummelte er durch die Gassen von Conifairy, unterhielt sich mit ein paar Leuten, die ihm entgegen kamen, machte noch einen Abstecher über die Bauernhöfe, die etwas abseits der Stadt lagen, und trieb die Steuern für Gott Enel ein, die die Bewohner ihm bereitwillig gaben, da sie bei der guten Erde von Fairy Vearth ständig gute Ernten hatten und Enel so den Prozentsatz nicht besonders hoch halten musste, um genug Geld zu bekommen. Nach einiger Zeit konnte Touya seine Neugier einfach nicht mehr zügeln. Er musste endlich nach Hause gehen, um zu erfahren, was Enel von seinem Liebesgeständnis hielt. Wenn er jetzt zu lange wegblieb, würde er ihn vielleicht für einen Feigling halten und dann töten. Aber wahrscheinlich würde er ihn sowieso töten. Wahrscheinlich war es eine Demütigung für ihn, von einem Menschen geliebt zu werden. Dennoch stand Touya schon bald vor dem gewaltigen schmiedeeisernen Tor, das zu Enels Grundstück führte. Mit klopfendem Herzen stieß er es auf und ging schnellen Schrittes auf das Haus zu. Mit zitternden Fingern betätigte er den goldenen Türklopfer. Eine Ewigkeit später öffnete sich langsam die Tür, und Touya sah direkt in Enels breit lächelndes Gesicht. Das machte Touya noch gewisser, dass er nicht mehr lange zu leben hatte. „Hallo, Touya. Ich habe dich bereits erwartet“, erklärte Enel, öffnete die Tür weiter und ließ den erstaunten Touya an sich vorbeigehen. „Hast du ... es gehört?“, fragte Touya verunsichert. „Natürlich. Ich denke, jeder hier auf Fairy Vearth wird es gehört haben. Doch nur ich weiß, dass du es warst, der die Erde mit seiner mächtigen Stimme zum Beben gebracht hat.“ Touya blieb stumm. Er erkannte nicht die Absicht hinter Enels Worten. Warum tötete er ihn nicht gleich? Enel sagte leise und in einem lässigen Ton: „Weißt du was, Touya? Deine Gefühle sind nicht unerwidert.“ Touya regte sich nicht und sah Enel nur fest in die eisblauen Augen. Er log nicht. Das sah er. Enel sprach die Wahrheit. Er würde ihn nicht töten. Enel packte ihn an den Schultern und kam ihm langsam näher. Touya spürte, wie sein Gesicht heiß wurde. Sein Herz geriet außer Kontrolle. Er schloss die Augen. Schon spürte er Enels Atem ... auf seinen Ohrläppchen? Er riss die Augen auf. Enel streckte die Zunge heraus und ließ sie liebevoll über Touyas Ohrläppchen streichen. Im ersten Moment war Touya von dieser Aktion überrascht. Doch dann bemerkte er das leichte Kribbeln, das sich von seinen Ohren im ganzen Körper ausbreitete. Er sah Enels Ohrläppchen direkte vor sich baumeln. Und kurzerhand tat er es Enel gleich. Touya hätte ewig so weitermachen können. Ihm gefiel das Kribbeln in seinem Körper, das sich anfühlte, als hätten tausende von Schmetterlingen sich dort ausgebreitet, ihm gefiel das Gefühl von Enels weicher Haut an seiner Zunge, ihm gefiel das feuchte Streicheln von Enels Zunge auf seiner Haut. Doch irgendwann ließ Enel von ihm ab und auch er zog seine Zunge zurück. „Lass uns auf mein Zimmer gehen“, säuselte Enel und nahm seine Hand. „Hier zieht's.“ Kapitel 21: Yuugi und Arisa - Convini, Chaos, Charakterschwächen ---------------------------------------------------------------- Von Dieses Pairing haben wir ausgewählt, weil wir eine Partnerin für Yuugi suchten. Oder war es ein Partner für Arisa? Auf jeden Fall sind die Personen aufeinander abgestimmt. Die Storyline ist vielleicht nicht ganz so gut, weil wir sie zu einem Teil nur über Internetkommunikation erarbeitet haben, aber ich hoffe, ihr mögt die Geschichte trotzdem. Das Lied, das Arisa beim Karaoke singt, ist das Opening von Saiyuki, „For Real“ (der Titel wird ja auch gesagt), die Übersetzung habe ich selber aufgrund des japanischen Textes mit Zuhilfenahme eines Wörterbuches erstellt. Haut mich nicht dafür, dass der Text überhaupt keinen Sinn zu ergeben scheint, das ist im Original auch so! Ich hab diesmal übrigens nicht alle speziell japanischen Begriffe wie Convini oder Furikake in der Geschichte erklärt, weil mein Betaleser (Ditsch) meinte, die würden so stören. Ich denke aber mal, es ist nichts für die Geschichte Entscheidendes, und wenn ihr was unbedingt wissen wollt, fragt in eurem Kommentar. So, und jetzt viel Spaß! Convini, Chaos, Charakterschwächen Unsere Geschichte beginnt an einem Freitagnachmittag gegen 17 Uhr. Es ist noch hell draußen, doch nicht mehr lange bis zur Abenddämmerung. Yuugi war am Morgen von seinem Großvater gebeten worden, auf dem Rückweg von der Schule noch etwas Oden und Furikake beim Convini zu besorgen. So hatte Yuugi, nachdem er sich von seinen Freunden verabschiedet hatte, den „Dawson“-Convenience Store betreten. Oden hatte er schnell gefunden und in seinen Einkaufskorb gelegt, doch der Furikake stellte ein winziges, oder doch eher riesiges Problem dar; er war auf dem obersten Regalbrett gelagert, das sich mindestens 1,80 m über dem Boden befand. Yuugi, berüchtigt in seiner Klasse, weil er es trotz seiner 16 Jahre gerade mal auf eine Körpergröße von 1,52 Metern brachte, versuchte zuerst zu springen, doch selbst dann konnten seine Fingerspitzen gerade eben das Regalbrett von unten berühren. Er kam einfach nicht viel höher als zehn Zentimeter über seine 1,70, die er mit ausgestreckter Hand ungefähr darstellte, hinaus. Mit gerunzelter Stirn sah er sich um, doch er konnte nichts entdecken, was ihm helfen konnte. Er versuchte es noch einmal, diesmal indem er sich auf die Zehenspitzen stellte und dann sprang, doch aus dieser Position hatte er nicht mal die Kraft, mehr als zwei Zentimeter hoch zu kommen. „Kann ich dir irgendwie helfen?“, fragte da eine amüsiert klingende Stimme hinter ihm. Yuugi drehte sich schlagartig um, die rechte Hand immer noch nach oben gestreckt. Vor ihm stand ein im Gegensatz zu ihm riesenhaftes blondes Mädchen im Highschool-Alter, das dem weißen Kittel nach zu urteilen eine Mitarbeiterin hier war. Auf ihrer Brust wies ein kleines laminiertes Schildchen sie als „Uotani“ aus. Hatte sie etwa seine vergeblichen Versuche beobachtet? Yuugis Gesichtsfarbe wurde tiefrot, und er wusste nicht, was er tun sollte. Sie um Hilfe bitten? So tun, als habe er keine Probleme? Oder einfach weglaufen? Sie nahm ihm die Entscheidung aus der Hand, indem sie fragte: „Du möchtest sicher den Furikake. Soll ich ihn dir holen?“ Ohne abzuwarten griff sie mühelos nach dem obersten Regalbrett, wozu sie sich nicht einmal strecken musste, und drückte ihm die Packung grinsend in die Hand. „Da-danke“, stammelte Yuugi verlegen und legte die Plastikpackung zu dem Oden in seinem Korb. „Warum danke? Das ist erstens mein Job hier und zweitens helfe ich solchen süßen Jungs wie dir doch wirklich gerne“, protestierte sie mit einem Augenzwinkern. Yuugi wurde, sofern das überhaupt möglich war, noch röter und brachte kein Wort hervor. „Brauchst du sonst noch was?“, fragte sie. Yuugi reagierte nicht mal und starrte sie nur wie hypnotisiert an. „Ich fragte: Brauchst du sonst noch was“, wiederholte sie lauter. Yuugi blinzelte sie an und schüttelte seinen Kopf, dann fügte er noch hinzu: „Ne-nein, das war alles.“ „Dann können wir ja zur Kasse gehen“, sagte sie. Yuugi nickte und schlich ihr hinterher, als sie sich mit hinter dem Rücken ineinander gelegten Händen zum Ausgang begab. An der Kasse war eine zweite Mitarbeiterin dabei, zwei Dosen Bier und drei Packungen Zigaretten einzulesen, die ein älterer Mann in Anzug ihr hingestellt hatte. Er bezahlte und ließ die Einkäufe in einer Plastiktüte mitgehen. Yuugi legte die Packung Furikake und den Oden auf den Ladentisch und zog sein Portmonee hervor. „Das macht dann bitte 475 Yen“, sagte die Kassiererin. Yuugi gab ihr einen 500-Yen-Schein und steckte das Rückegld ein, bevor er die Tüte entgegennahm, die sie ihm hinschob, und sich zur Tür wandte. „Beehren Sie uns bald wieder“, sagten Uotani und ihre Kollegin gleichzeitig. Yuugi drehte sich nochmal um, um Uotani zuzuwinken. Ihr Gesicht nahm einen erschreckten Ausdruck an, und er fragte sich noch wieso, da war er auch schon gegen die Glastür gelaufen, die sich erst jetzt langsam zu öffnen begann. Er lief puterrot an und drehte sich verlegen zu ihr um. Sie starrte ihn nur einen Moment lang vollkommen entgeistert an, bevor sie lauthals zu lachen begann. Yuugi wusste einen Augenblick überhaupt nicht, was er tun sollte. Jetzt fing auch die Frau an der Kasse an zu lachen. Sein Blick wanderte unsicher zwischen den beiden Frauen hin und her, doch irgendwie war ihr Lachen ansteckend. Er stimmte mit ein. Er war ja auch wirklich dämlich. Die ganze Situation war so bescheuert, dass er gar nicht anders konnte, als zu lachen. Als sein Lachen schließlich versiegte, holte er erstmal tief Luft. „Hey, das war lustig. So hab ich lange nicht mehr gelacht, schon gar nicht bei der Arbeit“, sagte Uotani. Yuugi wurde rot, als er ihr vom Lachen gerötetes Gesicht sah und sie ihn anlächelte. Er verbeugte sich tief und sagte: „Danke, dass Sie mir vorhin geholfen haben“, weil ihm gerade nichts besseres einfiel. „Lass doch das Sie weg, ich bin doch im selben Alter wie du, deiner Schuluniform nach zu urteilen“, entgegnete sie mit einem Wedeln der Hand. Yuugi nickte. „Ich... muss jetzt wirklich los“, sagte er mit einem Blick auf den mittlerweile vollkommen dunkelblauen Himmel hinter der Glastür. „Ja, klar, aber du kommst doch mal wieder vorbei, oder?“, fragte Frau Uotani. Yuugi beließ es bei einem vagen Nicken, bevor er in die angenehme Kühle des Abends verschwand. „Wo warst du so lange?“, fragte sein Großvater, als er den Spieleladen, über dem er wohnte, betrat. „Ich hab eingekauft, wie du gesagt hast“, erwiderte er mit einem leichten Anflug von Rosa auf den Wangen und reichte dem Alten über den Ladentisch hinweg die Plastiktüte mit dem blauen „Dawson“-Aufdruck. Sein Großvater legte die Stirn in Falten und meinte: „Das mag ja sein, aber um mal eben zwei Sachen im Supermarkt zu kaufen braucht man doch nicht mehr als fünf Minuten; und du bist heute fast eine halbe Stunde später dran als sonst!“ Yuugi zuckte die Achseln. „Hier ist jedenfalls das Rückgeld“, sagte er und reichte seinem Großvater die verbliebenen 25 Yen. Bevor dieser noch etwas sagen konnte, war er schon zur Treppe, die in den Wohnbereich im ersten Stock führte, verschwunden. „Yuugi, hast du Lust mit uns nach der Schule noch’n bisschen in die Stadt zu gehen?“, fragte Jounouchi. Der Freund von Yuugi grinste ihn auffordernd an, doch der Junge mit den dreifarbigen Haaren schüttelte langsam den Kopf. „Tut mir leid, ich muss noch was besorgen, aber danach soll ich sofort nach Hause kommen, hat Jii-chan gesagt.“ Jounouchi zuckte die Achseln. „Dann nicht. Honda, kommst du mit?“ Yuugi schulterte seinen Schulrucksack und ein leichtes Grinsen schlich sich auf sein Gesicht, als er den Klassenraum verließ und den Flur entlangschlenderte. Draußen war super Wetter, es war Anfang April und die Kirschbäume vor dem Tor zeigten sich in ihrer schönsten Pracht. Ein paar Blätter wurden vom Wind auf den Schulhof getragen und wirbelten munter umher, als er zum Tor ging. Yuugi schluckte noch einmal schwer und klammerte sich an die Träger seines Rucksacks, bevor er einen Schritt nach vorne machte und wartete, bis sich die automatische Tür genug geöffnet hatte, dass er hindurchschlüpfen konnte. „Herzlich willkommen“, sagte eine Frauenstimme, doch sie segelte an ihm vollkommen ungehört vorbei, denn in dem Moment hatten seine Augen gefunden, was er sich erhofft hatte. Frau Uotani stand am anderen Ende einer Regalreihe und ordnete Suppentüten ein. Ihr langes blondes Haar fiel über den weißen Kittel und leuchtete im Licht, das durch die Glasfront des Dawson-Convini fiel. Sie war vollkommen in ihre Arbeit versunken und summte leise etwas vor sich hin. „Hallo“, sagte er schüchtern. Sie fuhr fast erschrocken herum, aber als sie ihn erkannte, erhellte sich ihre Miene. „Hey! Du bist tatsächlich nochmal gekommen!“, rief sie. „Ja... klar...“ Yuugi senkte den Kopf, damit sie nicht sehen konnte, wie heiß seine Wangen waren. „Hey Emi-chan! Hast du gesehen wer da ist? Du schuldest mir ein Eis!“, brüllte Frau Uotani in Richtung Kasse. Dann blickte sie wieder auf Yuugi. „Hätte ich fast nicht gedacht, dass du dich nochmal hierhertraust“, grinste sie. „A- ach was... das war doch... lustig“, stammelte Yuugi. „Wie heißt du?“, fragte sie. Er riss den Kopf nach oben und starrte sie direkt an. Sie war in etwa so groß wie sein Kumpel Jounouchi, also einen ganzen Kopf größer als er. Und... hatte er sich gerade verhört? Hatte sie ihn wirklich nach seinem Namen gefragt? „Mutou ... Yuugi“, sagte er leise. „Yuugi, hm? Ein interessanter Name. Darf ich Yuugi-kun zu dir sagen? Ich bin übrigens Uotani Arisa, meine Freunde nennen mich Uo-chan, das darfst du auch, wenn du möchtest.“ Yuugi nickte begeistert. „Ja, ... Uo-chan.“ Mutou Sugoroku sah von seinem Ägyptologiebuch auf, als die Türglocke schellte. Seine Hoffnung auf einen Kunden zerstreute sich sofort, denn es war unverkennbar sein Enkel Yuugi, der gerade den Laden betrat und „Bin wieder da!“ rief. Er wollte ohne ein Wort an ihm vorbei in den ersten Stock eilen, doch diesmal sprang Sugoroku ihm in den Weg. „Keinen Schritt weiter, Yuugi!“ Der Angesprochene blieb sofort ertappt stehen und blickte zur Seite, als er fragte: „Was gibt es, Jii-chan?“ Sein Großvater verdrehte die Augen. „Was es gibt? Du bist jetzt schon das dritte mal diese Woche eine halbe Stunde später als sonst zu Hause. In Folge! Wo bist du immer?“ „Ich... war noch im Convini und habe Schokolade gekauft.“ Der Alte verschränkte die Arme. „So so, Schokolade. Und warum?“ „Ich mag Schokolade.“ Sugoroku senkte seine rechte Augenbraue. „Schön. Und was war mit gestern? Und vorgestern?“ „Vorgestern habe ich eine Tüte Salzstangen gekauft... und gestern die neue ‚Shonen Punch’.“ Sugoroku starrte ihn kurz an, und Yuugi machte sich mental auf eine ganze Salve weiterer Fragen gefasst, doch dann wandte er sich einfach ab und setzte sich wieder auf seinen Stuhl hinter dem Ladentisch. „Kannst dein Taschengeld ja verwenden, wofür du willst“, sagte er. „Du, Uo-chan, dieser Junge scheint dich ja echt zu mögen“, sagte Emi, als sie vor dem Laden standen und kurz davor waren, sich voneinander zu verabschieden. Arisa hatte den weißen Kittel wieder in ihre Schultasche gestopft und grinste, als sie Emis Worte hörte. „Ja, er kommt wirklich jeden Tag. Irgendwie süß.“ „Süß ist er, da hast du Recht“, gab Emi zu. Arisa lächelte. „Außerdem erinnert er mich ein wenig an meine Freundin. So was wie mit der Tür neulich hätte ihr auch passieren können.“ Emi lachte kurz. „Was machst du, wenn er dich mal zu irgendwas einlädt?“, fragte sie. „Keine Ahnung. Sieht nicht so aus, als würde das in nächster Zeit passieren, oder?“, stellte Arisa fest und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Auch wieder wahr“, murmelte Emi. „Erzähl, Yuugi, was ist los?“, fragte Jounouchi. Die beiden Jungen saßen auf einer Bank auf dem Schulhof und Jounouchi machte sich in Ermangelung eines eigenen Mittagessens über Yuugis Bentou her. Den Jungen mit der Sternfrisur störte das wenig, er starrte nur versonnen auf die Kirschblüten, was auch der Grund war, warum Jounouchi diese Frage stellte. „Was soll los sein...“, murmelte Yuugi verträumt. „Du bist seit Tagen kaum noch ansprechbar, verschwindest nach der Schule bevor man überhaupt Gelegenheit hat, mit dir zu sprechen und wenn man dich drauf ansprechen will, weichst du einem aus“, sagte Jounouchi, unterbrochen von ein paar Pausen, in denen er sich den Reis mit Yuugis kurzen Essstäbchen in den Mund stopfte. „Ich glaube, ich bin verliebt“, sagte Yuugi schließlich, als Jounouchi sich gerade die letzte Portion Reis in den Mund schob. Diese Worte bewegten den Blonden fast dazu, sie wieder auszuspucken. „Verliebt? Das ist ja was ganz Neues!“ Jounouchi verschluckte sich an den letzten Reiskörnern und begann zu husten. Als er sich wieder beruhigt hatte, fragte er in einem ernsteren Ton: „Du musst es ja wirklich ernst meinen, wenn du es mir sogar erzählst. Normal streitest du doch alles ab!“ Yuugi wurde rot und murmelte so etwas wie „Ja, ist wirklich was anderes“ „Und, wer ist die Glückliche? Mazaki?“ „Nein, die doch nicht... Ich meine, Mazaki ist nett und so, aber nichts gegen dieses Mädchen... sie arbeitet im Dawson bei der großen Kreuzung und heißt Uotani. Sie geht an die Shinagawa-Highschool. Na ja...“ „Und, was hast du bisher getan? Sie zum Karaoke eingeladen? Oder in den Freizeitpark?“ „Spinnst du? Ich... hab in dem Laden eingekauft, das ist alles...“ Jounouchi brach förmlich zusammen. „Yuugi, so geht das nicht. Du musst irgendwo anfangen. Wenn du sie nur anhimmelst, wird das nie was!“ Yuugi hob abwehrend die Hände. „Ist schon okay, Jounouchi, wirklich...“, murmelte er, doch der Blonde schüttelte heftig den Kopf, so dass seine Haare in alle Richtungen flogen. „Nichts ist okay!“ Er stieß Yuugi den Zeigefinger vor die Brust. „Wenn ein Mann verliebt ist, darf er keine Angst zeigen! Ich helf dir, Kumpel! Sie geht also an die Shinagawa?“ Yuugi kauerte sich auf der Bank zusammen. „Ja...“, murmelte er. Jounouchi grinste breit. „Überlass das nur mir!“ „So, jetzt ist deine große Stunde gekommen“, flüsterte Jounouchi. Yuugi verzog die Augenbrauen und sah seinen Kumpel gequält an. Sie standen neben dem Schultor der Shinagawa-Highschool und warteten auf die Schulglocke. „Echt ’n Glück, dass heute bei uns die Homeroom-Stunde ausgefallen ist, was?“, fragte Jounouchi. Yuugi ballte die Hände in seinen Hosentaschen zu Fäusten und dachte genau das Gegenteil. Die Glocke schellte. Aus den geöffneten Fenstern der Schule war das Rücken von Stühlen zu hören, und nach wenigen Augenblicken tauchten die ersten Schüler im Haupttor auf. „Sag mir, wenn sie kommt“, flüsterte Jounouchi. Yuugi versuchte, sich hinter seinem Rücken zu verstecken. Das würde er ganz bestimmt nicht tun! Jounouchi würde sicher dafür sorgen, dass sie ihn für einen totalen Feigling hielt! Oder ihn blamieren. Oder ... Er erstarrte, als er Arisa inmitten der Schülermenge entdeckte. Sie hatte ihre braune Schultasche geschultert und sprach mit einem Jungen mit knallrotem Haar, der von ihrer Gegenwart ziemlich genervt schien. Yuugi begann zu beten. Bitte, mach, dass sie nicht herschaut! Mach, dass sie nicht ... „Oh, Yuugi-kun!“ Arisa ließ den Rothaarigen einfach stehen, dann eilte sie in die Richtung der beiden Schüler der Domino-Highschool. Jounouchi packte Yuugi am Kragen und schob ihn vor sich. „Ha- hallo...“, stammelte Yuugi. Arisa stoppte vor ihm. „Was machst du denn hier?“ Da Yuugi keinen Ton hervorbrachte, ergriff Jounouchi das Wort: „Er wollte dich was fragen.“ Arisa sah ihn an und blinzelte erstaunt. Ein roter Schimmer erschien auf ihren Wangen, doch sie fragte in ihrem üblichen Ton: „Und du bist bestimmt ein Freund von ihm...?“ „Ja. Ich heiße Jounouchi. Aber was Yuugi dich fragen wollte...“ „Was wolltest du fragen, Yuugi-kun?“ Yuugi schüttelte den Kopf. „Gar nichts, eigentlich“, wandte er ein. Arisa runzelte die Stirn. „Aber vorhin hast du zu mir noch gesagt, dass du Uotani-san gerne zum Karaoke einladen möchtest“, sagte Jounouchi. „Karaoke?“, fragte Arisa in einem interessierten Tonfall. Yuugi nickte geschlagen. „Kommst du auch mit?“, fragte Arisa Jounouchi. Der Blonde war kurz davor nein zu sagen, aber Yuugi zupfte unbemerkt an seinem Ärmel. Er zögerte. „Karaoke zu zweit finde ich nämlich irgendwie langweilig“, erklärte Arisa ihre Frage. „Oh, klar, ich komm mit“, sagte Jounouchi leichtfertig. „Wie wärs mit Sonntagnachmittag?“ „Okay. Am Bahnhof?“ „Ja, da ist gut. Wir treffen uns um Drei.“ „Ist gut. Bis dann!“ Arisa hob noch kurz die Hand und rannte dann los, den Blick auf ihre Armbanduhr gerichtet. „Na? Was sagst du?“, fragte Jounouchi. „Ich weiß nicht...“, murmelte Yuugi. „Hey komm, du hast ein Date mit ihr! Ich komm am Anfang mit und lass euch dann allein und alles wird gut!“, sagte Jounouchi. Yuugi zuckte hilflos die Achseln. „Wenn du meinst...“, sagte er hilflos. Yuugi war pünktlich, und sowohl Arisa als auch Jounouchi waren es ganz klar nicht. Er warf einen Blick auf seine Digitaluhr, die 15:05 und 18 Sekunden anzeigte. 19 Sekunden, 20, 21, 22... „Hey Kumpel, hallo, bin ich zu spät?“ Jounouchi kam vom Eingang der U-Bahnstation quer über die Straße auf Yuugi zu und grinste sein übliches Grinsen. „Nein, gar nicht. Auch hallo“, sagte Yuugi gutmütig, „außerdem ist Uotani-san auch noch nicht da.“ „Stimmt. Lass uns warten.“ Jounouchi trug ein weißes T-Shirt ohne Aufdruck und eine zerschlissene helle Jeans, dazu eine blaue Kapuzenjacke mit gelben Streifen auf den Ärmeln, nichts Besonderes also. Yuugi betrachtete seinen Freund und seufzte in Gedanken. Er freute sich, dass er da war, aber irgendwie ließ seine Gegenwart ihn nur noch mickriger wirken. Jounouchi lehnte sich neben Yuugi an die Wand und vergrub die Hände in den Taschen. „Sag mal, meinst du das mit deinen Klamotten echt ernst?“, fragte er ohne Yuugi anzusehen. „Jaah, weißt du, ich dachte, ich komme ganz natürlich...“ „In Schuluniform“, bestätigte der Blonde in einem resignierenden Tonfall. Yuugi spürte, wie sein Gesicht heiß wurde. „Lass mich doch“, murmelte er. Das Letzte, was er jetzt noch gebrauchen konnte, war Kritik an seiner Garderobe. Er war so schon nervös genug. Jounouchi hob den Blick und sagte: „Ah, da kommt sie ja!“ Yuugi riss den Kopf panisch nach oben, und Arisa kam aus der Richtung der Bäckerei auf sie zu. Sie trug ein grellrotes Oberteil mit einer weißen Graffitimalerei darauf, dazu eine schwarze Jacke, die sie sich über die Schulter geschwungen hatte, und einen schwarzen Minirock zu langen hellbraunen Kunstlederstiefeln. „Hallo, ihr beiden. Bin ich spät?“, grüßte sie. „Hallo!“, murmelte Yuugi steif. „Hallo“, erwiderte Jounouchi lässig, um dann noch anzufügen: „Nur n bisschen spät, kein Problem. Lasst uns reingehen.“ Sie bekamen Raum 12, fast am Ende des Ganges voller Karaokekabinen. Die Ausstattung war die Übliche; ein Fernseher mit jeder Menge Apparatur zum Abrufen der Lieder, eine kleine Bühne mit Mikrofonständern und einem kleinen Bildschirm zum Abrufen des Textes, ein Tisch mit dem Katalog der wählbaren Songs und einem Handcomputer zu demselben Zweck, und ein schwarzes Sofa. Jounouchi ließ sich sofort auf letztgenanntes fallen. „Wer singt zuerst?“, fragte er sofort. „Ich wäre dafür, erstmal was zu Essen zu bestellen“, sagte Arisa, die gerade erst ihre Stiefel auszog um sich dann auf einem gepolsterten Sessel gegenüber von Jounouchi niederzulassen. „Auch okay.“ Jounouchi stand auf und ging um den Tisch herum zur Sprecheranlage, wobei er Yuugi eine auffordernde Kopfbewegung zeigte. Doch der kleinere vergrub lieber sein Gesicht hinter dem Menü. Jounouchi verdrehte die Augen. „Was darfs sein?“, fragte er. „Für mich eine Cola“, sagte Arisa sofort. „Orangensaft“, sagte Yuugi, nachdem er die Karte dreimal durchgegangen war. Jounouchi nickte, drückte den Knopf und als es nach einer Weile im Gerät zu knistern begann und eine Stimme fragte: „Was wünschen Sie bitte?“, sagte er: „Ne Cola, n O-Saft und n Glas Limo.“ „Verstanden, eine Cola, ein Orangensaft und eine Limonade. Bitte warten Sie einen Augenblick.“ Er kam zurück zum Sofa und fragte herausfordernd: „So, wer singt zuerst?“ „Wir könnten es auslosen“, schlug Arisa vor. „Jah, ist gut. Schere-Stein-Papier. Verlierer singt.“ Nach drei Runden Gleichstand war es Yuugi, der Papier genommen hatte, während die anderen beiden Schere zeigten. Mit einem Seufzen begann er durch den Prospekt zu blättern und suchte sich schließlich einen einigermaßen neuen Song von Kimeru aus. „Zeig uns, was du drauf hast!“, grölte Jounouchi. Yuugi griff mit roten Wangen nach dem Mikrofon, blieb aber sitzen, während Jounouchi die Nummer seines Songs in die Fernbedienung tippte. Der Fernsehbildschirm zeigte sofort die Nummer und den Songtitel an und das Gerät ratterte ein paar mal, dann begann die Musik zu spielen und ein Musikvideo über den Schirm zu laufen, das eine Rockband zeigte. Yuugi blickte seine Freunde unsicher an und wandte den Blick dann wieder auf den Bildschirm, um mit dem Erscheinen des Textes anzufangen zu singen. Arisa grinste, als er die ersten Töne zitternd über die Lippen brachte und sich dann total im Text verhaspelte. Yuugis Hand verkrampfte sich um das Mikrofon, doch als nach einer kurzen Pause das Lied weiterging, hatte sich seine Stimme einigermaßen wieder gefangen und er brachte das Lied ordentlich weiter. Als er beim Refrain war, steckte eine Bedienung ihren Kopf herein und brachte die Getränke in Gläsern auf einem Tablett. Bevor sie wieder verschwand, grinste sie Yuugi an und machte das Daumen-hoch-Zeichen, was er nicht einmal bemerkte, weil er sich so sehr auf den Text konzentrierte. Als er schließlich geendet hatte, klatschten Jounouchi und Arisa gleichermaßen in die Hände. „Du bist gut!“, sagte Jounouchi. „Ach was...“, murmelte Yuugi und griff nach seinem Orangensaft. „Doch, wirklich nicht schlecht“, sagte Arisa anerkennend. Yuugi gab vor, vollkommen mit seinem Saft beschäftigt zu sein. „Okay, wer singt jetzt?“, fragte Jounouchi. „Ich, freiwillig“, sagte Arisa und stand auf. Sie tippte eine Nummer ein, die sie offenbar während Yuugis Singen rausgesucht hatte und nahm das Mikrofon. Ihr Song hieß „For Real“ und war keinem der beiden Jungen bekannt. Arisa platzierte sich auf der Bühne, schaltete den Bildschirm ein und grinste Jounouchi an, bevor die Musik einsetzte und sie sich im Takt der Rockmusik zu bewegen begann. Yuugi starrte sie fasziniert an, während Jounouchi gelangweilt an seiner Limonade nippte. Dann begann sie mit fester Stimme zu singen. Du stehst still, und dein Rücken wirkt so verlassen, dass es mich nicht loslässt Sie warf Jounouchi einen herausfordernden Blick zu, bevor sie weitersang: Ich will dich mit entschiedener Liebe einhüllen Worte, an die ich nicht glauben kann Fletschen in deinem Lächeln ihre Zähne In diesen Bruchstücken suchst du nach Liebe Jounouchi beobachtete stumm, wie sie weitersang und im Takt der Musik ihren Kopf auf und ab bewegte. Immer wieder sah sie auf, und immer wieder blickte sie zu ihm, als würde Yuugi nicht existieren. Arisa endete, indem sie die letzte Zeile mit einem kämpferischen Gesichtsausdruck ins Mikrofon schrie. Let it go, lass uns aneinander glauben Dann blickte sie Jounouchi zufrieden an, während die letzten Töne des Stückes verklangen. „Du bist dran“, sagte sie und warf ihm das Mikrofon zu. Es glitt ihm durch die Hände und landete auf dem Sofa. „Was ist?“, fragte sie keck. Jounouchi hob das Mikrofon auf und starrte unverwandt auf Yuugi, dessen Blick noch immer an dem Mädchen klebte. „Ich... tut mir leid, mir ist gerade eingefallen... dass ich... noch Zeitungen austragen muss. Ja, ich muss sofort los, sonst krieg’ ich Ärger.“ Jounouchi stand auf und blickte dabei zur Tür. Arisa näherte sich ihm vorsichtig von hinten. „Geh noch nicht“, bat sie. „Lass mich in Ruhe!“, fauchte er sie grob an und stieß sie so hart mit seinem rechten Arm nach hinten, dass sie auf dem Sofa landete. „Ich muss los“, sagte er nochmal. Er zog sein Portmonee aus der Gesäßtasche und einen 500-Yen-Schein daraus hervor, legte ihn neben sein nur zu einem Viertel ausgetrunkenen Limonadenglas und schlüpfte dann an der Tür wieder in seine Sneaker. „Bis demnächst, Yuugi-kun!“, rief er und dann knallte die Tür zu. Arisa starrte ihm erschrocken hinterher und richtete sich langsam wieder auf. Yuugi hatte die Hände im Schoß ineinander gelegt und starrte auf die Tür. Was sollte das? Jounouchi hatte zwar gesagt, er würde sie irgendwie allein lassen, aber diese Aktion war doch viel zu offensichtlich! „Ist der immer so?“, fragte Arisa langsam. „Nein, eigentlich nicht“, sagte Yuugi sofort. Sie schwiegen eine ganze Weile, und Yuugi sippte wieder an seinem Orangensaft, während Arisas Blick sich im nun schwarz gewordenen Bildschirm des Fernsehers verlor. „Ich gehe“, beschloss sie dann auf einmal. Yuugi setzte sein Glas ab und nickte zögernd. Arisa kramte aus ihrer Handtasche 350 Yen – den Preis für eine Stunde Karaoke inklusive Getränke für eine Person – hervor. „Tut mir leid, war wirklich nett“, sagte sie wenig überzeugend. Mit - wie es Yuugi vorkam - leicht zitternden Knien ging sie zur Tür und verschwand dann auch, allerdings nicht so laut wie Jounouchi etwa fünf Minuten vorher. Yuugi starrte auf die Getränke und das Mikrofon, das Jounouchi wieder auf den Tisch gelegt hatte, und ihm war zum Heulen zumute. Irgendwas war hier gewaltig schief gelaufen, und er wusste nicht einmal, was. Yuugi hatte sich auch am Mittwoch auf den direkten Weg nach Hause gemacht. Seit der Sache beim Karaoke hatte er nicht mehr im Dawson vorbeigeschaut, und das war auch gut so... Das versuchte er zumindest sich einzureden, als er mit gesenktem Kopf die Straße entlangging. Im Grunde war überhaupt nichts gut. Er hatte sich verliebt und seine Angebetete hatte fluchtartig das Weite gesucht, sobald sie mit ihm alleine gewesen war. Er kämpfte die Tränen, die ihn nun schon seit drei Tagen immer wieder überkamen, sobald er allein war, tapfer hinunter. Yuugi, sei gefälligst ein Mann, dachte er wütend. Wenn du nicht selbst etwas tust, dann ist es deine eigene Schuld...! Dadurch, dass er während des ganzen Weges, auf den Boden starrte, bemerkte er die vier Jungen erst, als sie ihn schon umzingelt hatten. „Wen haben wir denn da?“, grinste einer von ihnen höhnisch. Yuugi starrte ungläubig zu den Typen hoch, von denen jeder Einzelne mindestens eine Kopf größer war als er selbst. Außerdem kam ihm zumindest einer von ihnen, der mit der Brille und den knallblond gefärbten Haaren, verdächtig bekannt vor. „Was... wollt ihr von mir?“, fragte er zögernd. „Ach, komm, tu doch nicht so, Mutou. Ich hab dich letztes mal schon zusammengeschlagen, also werd ich es auch wieder tun“, höhnte der Blonde. Yuugi zog den Kopf zwischen die Schultern und fragte leise: „Warum, was hab ich getan?“ „Was hab ich denn getan“, äffte einer der Jungs Yuugi nach. Yuugi wollte weg, einfach nur weg, aber der Ring der vier war zu eng, als dass er einfach davonlaufen könnte. „Was du getan hast? Das kann ich dir sagen. Du nervst Jounouchi total an. Heulsuse hat er gesagt und ‚Der soll mal zusehen, dass er auch ohne Hilfe zurecht kommt’. Und weil Hirutani so nett ist, sollen wir uns mal ein bisschen um dich kümmern.“ Yuugi starrte den Jungen aus schreckgeweiteten Augen an. Jetzt ging ihm auf, woher der Junge ihm bekannt vorkam! Er war ein Junge aus der Schar um Hirutani, eines Kumpels von Jounouchi aus der Junior Highschool. Die beiden hatten schon seit einiger Zeit nichts mehr miteinander zu tun, aber vor einem halben Jahr hatte Hirutani mal versucht, Jounouchi wieder in seine Bande zu bekommen, indem er ihm angedroht hatte, seine Freunde zu verprügeln. Damals war Yuugi von eben diesem Jungen geschlagen worden als er versucht hatte, Jounouchi die Sache auszureden. Aber das war lange her, und Jounouchi hatte sich seitdem kategorisch von der Bande ferngehlten...! „So etwas... hat er nicht gesagt“, brachte Yuugi hervor. „So etwas würde er nie sagen!“ „Hat er aber, ich hab’s genau gehört. Also...“ Yuugi taumelte zurück als ihn der ersten Schlag mitten ins Gesicht traf. Er stieß gegen einen der anderen Jungs und wurde von einem harten Tritt in die Wirbelsäule wieder nach vorn befördert. Die vier lachten höhnisch, als er nach einem weiteren Tritt mit den Knien auf dem Boden landete. Arisa war auf dem Rückweg von der Schule und nicht all zu gut gelaunt, als ihr Handy klingelte. Sie zog es aus der Schultasche und ging ran. „Hallo“, murmelte sie genervt. „Hey, Uotani-san, ich bin’s, Jounouchi!“, klang die raue Stimme des Jungen aus dem Lautsprecher. Arisas Miene hellte sich sofort auf. „Woher hast du meine Nummer?“ „Ich hab deine Freundin, diese Tooru, für Yuugi um deine Nummer gegeten, und sie noch auf dem Handy, aber das ist jetzt nicht so wichtig... du musst mir helfen!“ „Wieso, was ist los?“, „Weißt du, ich wollte das nicht, aber nur weil ich n paar schlechte Sachen über Yuugi gesagt hab, schickt mein Kumpel Hirutani gleich seine Schläger los, um ihm ne ‚Lektion zu erteilen’. Die schlagen ihn zusammen, die sind zu viert, und ich hab Sauschiss! Bitte, ich weiß, dass du früher mal in so’ner Straßengang warst, das hat mir Tooru auch noch erzählt, und ...“ Arisas Mine hatte sich immer mehr verfinstert, während sie zuhörte. Aber sie entschied sich dagegen, jetzt mit Jounouchi zu diskutieren, da die Situation wirklich ernst zu sein schien. „Ich komme“, sagte sie grimmig. „Wo bist du?“ „In der Hauptstraße, neben dem ‚Mainichi Store’.“ Arisa legte auf und rannte los, während sie ihr Handy in das Seitenfach ihrer Schultasche schob. Zum Glück waren es bis zu dem von Jounouchi beschriebenen Ort nur zwei Straßen, und als sie um die Zweite Kurve raste, sah sie die Gruppe von Schülern in ihren Schwarzen Jacken, die den kleinen mit der Sternfrisur umringten und höhnisch lachend auf ihn eintraten. Die Passanten ignorierten die Szene einfach. Arisa rannte wie eine Furie heran und stieß zwei der Typen grob gegen die Wand, packte Yuugi am Handgelenk und riss ihn hinter sich her die Straße entlang. „Schnappt sie euch!“, schrie der Blonde. Bevor Arisa und Yuugi die Abzweigung in die Seitenstraße erreicht hatten, hatten die Jungs sie eingeholt und ihnen den Weg versperrt. „Weglaufen gilt nicht, Kleiner“, sagte einer von ihnen mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht. Arisa funkelte ihn an. „Ich an deiner Stelle würde meine Hackfresse hier nicht so zur Schau stellen, das weckt in mit nämlich das Verlangen, dir deine restlichen gammeligen Zähne auch noch rauszuhauen!“, zischte sie und machte ihre Drohung sofort wahr. Der Junge stolperte einen Schritt rückwärts, doch dann verwandelte sich sein Gesicht in eine Zornesmaske. Mit einem Faustschlag in Arisas Magen ließ er sie sich vor Schmerz zusammenkrümmen. „Nicht mal vor Frauen macht ihr Halt...“, keuchte sie. „Halt die Klappe, wenn du solche Sprüche reißt, musst du halt mit sowas rechnen“, brüllte er und trat sie mit voller Wucht gegen das Schienbein, sodass sie in die Knie ging. „Und du hast wohl auch noch nicht genug“, sagte der mit der blauen Mütze und verpasste Yuugi einen Tritt in die Seite. Er wurde gegen Arisas Rücken geschleudert, wo er regungslos liegen blieb. Arisa kam wieder auf die Beine, doch sofort traf sie ein Faustschlag an der Wange und sie wurde an den Haaren zurückgerissen. „Schlampe“, zischte ihr jemand ins Ohr, dann spürte sie einen betäubenden Schmerz an ihrem Wangenknochen und Blut sickerte in ihren Mund. Sie versuchte, zu treten, doch einer der anderen fing den Tritt mit seinem Bein ab. „Sofort aufhören!“ Arisa sah auf. Hinter den beiden Jungs, die sie festhielten, stand ein grob aussehender Kerl mit derselben Schuluniform wie Yuugi und Jounouchi mit finsterem Gesicht. Er packte die Köpfe der beiden und schlug sie so fest zusammen, dass sie sofort zusammenbrachen. Er kickte sie zur Seite. „Na los, räumt den Müll weg!“, sagte er zu den erschrocken schauenden anderen beiden, die sofort wie geheißen taten, indem sie ihre Kampfgefährten über ihre Schultern zogen und die Straße entlang flohen. Er warf ihnen noch einen verächtlichen Blick über die Schulter zu und wandte sich dann zu Arisa und Yuugi. „Hey, Yuugi-kun, alles klar?“, fragte er. Yuugi fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht. Seine Wangen brannten, sein Kopf schmerzte und sein linkes Auge war ganz und gar zugeschwollen, aber kein Wort des Schmerzes kam über seine Lippen, was Arisa irgendwie beeindruckte. „Danke, Honda“, sagte er schwach. „Was ist mit dir?“, fragte Honda. Arisa nickte mit zusammengebissenen Zähnen. „Nicht schlimmer als manches andere, das ich schon erlebt habe.“ Honda half den beiden hoch. Yuugis Beine zitterten so sehr, dass er sich an Hondas Arm klammern musste, um nicht zu fallen. „Ich bin Honda“, stellte sich der Junge dann Arisa vor, „und du bist...?“ „Uotani Arisa.“ „Was wollten diese Typen von euch?“, fragte er. „Von mir...“, murmelte Yuugi. Beide drehten sich zu ihm. „Der eine hat gesagt, dass Jounouchi...“ „Was, Jounouchi?“, fragte Honda. „Der hat mich eben angerufen“, sagte Arisa verächtlich. „Hat gesagt, dass er das nicht wollte und Schiss hat, und dass ich Yuugi helfen soll. Wenn ihr mich fragt, wollte er nur sichergehen, dass ich mich in Zukunft von ihm fernhalte und auch fertiggemacht werde.“ „Was, Jounouchi? Das kann ich mir nicht vorstellen“, sagte Honda erschrocken. „Ich sag’s dir, der sitzt hier irgendwo in der Ecke und guckt zu. Als er mich angerufen hat klang er ziemlich so, als würde er Yuugi sehen.“ Honda starrte sie an, dann rannte er in eine Richtung davon, um kurz darauf mit einem bettelnden Jounouchi im Schlepptau wieder aufzutauchen. „Was soll das!?“, schrie Honda ihn an. „Seit wann paktierst du mit Hirutani, und dann auch noch, um Yuugi verprügeln zu lassen?“ Jounouchi zog den Kopf ein. „Ich hab Scheiße gebaut“, sagte er leise. „Los, entschuldige dich!“, rief Honda und stieß ihn vor Yuugi und Arisa. Yuugi sah seinen Freund aus großen, traurigen Augen an und fragte: „Was hab ich getan, dass ich das verdiene, Jounouchi-kun?“ Der Blonde blickte ihn gequält an. „Ich musste tun, was ein Mann tun muss“, sagte er mit einem starren Blick zu Boden. Im nächsten Moment taumelte er rückwärts, getroffen von Arisas Ohrfeige. „Du bist echt das Letzte! Feigling!“, schrie sie ihn an. Nur das, dann machte sie auf dem Absatz kehrt und verschwand die Straße hinunter. Sobald sie um die nächste Ecke verschwunden war, drehte sich Jounouchi zu Yuugi herum. „Yuugi“, rief er in einem flehenden Ton und fiel vor ihm auf die Knie. Sowohl der Angesprochene als auch Honda starrten ihn vollkommen entgeistert an. „Yuugi, es tut mir leid!“, rief Jounouchi und sah seinen Freund flehend an. „Ich wollte das alles nicht, ich meine, zumindest nicht so!“ „Ich verstehe kein Wort von dem was du da sagst“, stellte Honda mit verschränkten Armen fest. Jounouchi seufzte und stand wieder auf. „Das ist eine ganz schön lange Geschichte, aber ich erzähl sie euch. Nur nicht hier. Können wir zu dir, Yuugi-kun?“ Yuugi nickte verwirrt. Es war wärmer geworden in den letzten Tagen. Hin und wieder konnte man schon Leute sehen, die im T-Shirt umherliefen, doch Yuugi trug wie immer seine Schuluniform, was in diesem Fall auch nicht weiter verwunderlich war, weil er direkt aus der Schule kam. Er ging die Hauptstraße entlang und bog dann nach links ab, während er sich mit den Händen an seinen Rucksackträgern festklammerte und sich in Gedanken dazu aufforderte, stark zu sein. Er rief sich noch einmal ins Gedächtnis, was Jounouchi am letzten Mittwoch gesagt hatte, nachdem sie sich in Yuugis Zimmer gesetzt hatten. “Yuugi, es tut mir wirklich leid. Ich wollte dir helfen, aber ich glaube, das habe ich falsch angepackt. Hast du neulich beim Karaoke gemerkt, wie Uotani-san mich die ganze Zeit angestarrt hat beim Singen? Die ganze Zeit. Deshalb bin ich auch so überstürzt abgehauen, weil ich gemerkt hab, das sie was von mir wollte. Vielleicht hätte ich mit dir darüber reden sollen... Ich wollte, dass sie mich für ein richtiges Arschloch hält, deshalb hab ich mich Hirutani angeschlossen und sie angerufen, dass ich zu feige bin. Jetzt hasst sie mich wirklich, aber du bestimmt auch, oder?“ Yuugi hatte den Kopf geschüttelt und seinem Freund erklärt, dass er ihm sehr dankbar war, dass er diesen Versuch gestartet hatte. Jetzt war er auf dem Weg zur Shinagawa-Highschool. Er hatte beschlossen, Arisa eindeutig seine Liebe zu gestehen. Denn, so dachte er, im Grunde war es seine Schuld gewesen. Hätte er Arisa allein um ein Date gebeten oder ihr seine Liebe gestanden, dann wäre es gar nicht erst zu einer Begegnung zwischen ihr und Jounouchi gekommen. Wenn er ihr die ganze Sache erklären würde, würde sie Jounouchi vielleicht verzeihen. Yuugi hatte Glück, denn als er ans Schultor kam, kam Arisa gerade in Begleitung von zwei Mädchen hinaus, die leise miteinander lachten. „Also, bis dann, ich muss zur Arbeit“, sagte eine braunhaarige mit zwei dünnen geflochtenen Zöpfen. „Bis morgen“, riefen ihr die beiden anderen nach. Dann bemerkte die mit dem langen schwarzen Haar Yuugi. Sie tippte Arisa an und deutete auf ihn, und sie drehte sich erstaunt um. „Yuugi-kun!“, rief sie und eilte zu ihm. Er errötete, als sie ihn an der Wange berührte und besorgt fragte: „Wie geht’s dir?“ „Ich... ich bin... in Ordnung, vollkommen in Ordnung...“, stammelte er. Sie richtete sich wieder auf und drehte sich zu ihrer Freundin um. „Das ist Hanajima-san, eine Freundin von mir. Hana-chan, das ist Mutou-kun, du weißt schon.“ Die Schwarzhaarige nickte und verbeugte sich dann. „Sehr erfreut“, sagte sie. „Ganz meinerseits“, erwiderte Yuugi. „Du trägst eine große Kraft in dir“, sagte Hanasaki. Yuugi schaute sie etwas perplex an. „Das sind ihre Wellen“, erklärte Arisa. „Sie kann die Wellen von anderen Menschen wahrnehmen.“ „Oh... toll“, stammelte Yuugi. „Warum bist du hergekommen? Wieder Ärger mit diesen Brutalos?“, fragte Arisa. Yuugi schüttelte vehement den Kopf. „Ich ... ich muss mit dir reden!“, stieß er aus. Hanajima lächelte Yuugi kurz an und sagte dann: „Ich werde mich dann wohl mal auf den Weg machen. Viel Glück, Mutou-san.“ Sie eilte davon. „Wieso Glück?“, fragte Arisa stirnrunzelnd. Yuugi war heiß geworden, und das lag nicht an der Außentemperatur. Konnte diese Hanajima Gedanken lesen? „Ja, und, was hast du mir zu sagen?“, fragte Arisa. „Entschuldigung, aber mach’s kurz, sonst komme ich zu spät zum Laden.“ Yuugi nickte. „Also...“ Er verkrampfte seine Hände, die er irgendwo in seinen Hosentaschen vergraben hatte, und versuchte all seinen Willen aufzubringen. „Also... was ich sagen wollte ist... ich ... Ich liebe dich!“ Arisa starrte ihn erstaunt an. Yuugi kniff die Augen zu und wartete verzweifelt auf eine Antwort. Sein ganzer Körper bebte und das Blut pochte in seinem Kopf. Dann spürte er auf einmal ihre Hand an seiner Wange und sah auf. „Yuugi-kun, das war gerade sehr mutig von dir“, sagte sie freundlich. „Nur leider... muss ich dich enttäuschen. Ich kann deine Gefühle nicht erwidern.“ Als sie Yuugis enttäuschtes Gesicht sah, fügte sie hinzu: „Ich finde dich wirklich süß, glaub mir. Aber es gibt da jemanden, den ich kennengelernt habe, und der...“ „Meinst du Jounouchi?“, unterbrach Yuugi sie mit zitternder Stimme. Sie trat ein Stück zurück. „Nein, den doch nicht. Ich weiß nicht, wie er heißt, aber er ist... ganz anders als Jounouchi, das ganz sicher.“ Sie senkte die Augenlider und sagte noch einmal: „Tut mir leid.“ Yuugi schüttelte den Kopf und sah sie tapfer an. „Ich bin froh, dass ich es gesagt habe. Es war schön mit dir. Tut mir leid.“ Arisa hob die Hand, doch Yuugi hatte sich schon herumgedreht und rannte davon. Sie blieb stehen und seufzte. Yuugi konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten, sobald er ihr den Rücken zugewandt hatte. Sie flossen in Strömen über sein Gesicht und wurden vom Gegenwind aus seinen Augen geweht. Ein paar der Tropfen glitzerten in der Sonne. Hinter dem Schultor standen die Kirschbäume, rein grün, nun wo die Kirschblütenzeit vorbei war. Aber im nächsten Jahr würden die Knospen wieder zu sprießen beginnen und ihr Antlitz von einem rosa Schleier verhüllt sein, die Vögel würden singen und die Menschen lachen. Kapitel 22: Mousse und Taranee - Eine kleine dicke Ente ------------------------------------------------------- Von Bei diesem Pärchen gab es die Bedingung, dass beide Charaktere eine Brille haben mussten. Da Jitsch kein Anime-Mädchen mit Brille eingefallen ist, hat sie einfach Taranee aus W.i.t.c.h. genommen. Und ich hab mich für Mousse aus Ranma ½ entschieden. Die erste Schwierigkeit war, dass Taranee in Amerika wohnt und Mousse in Japan(obwohl er eigentlich Chinese ist). Aber natürlich haben wir auch dafür eine Lösung gefunden^-^ Inzwischen habe ich das Gefühl, der Titel Chiisana LOVE-STORIES passt nicht mehr. Die Geschichten sind immer so lang, da sind es keine kleinen Liebesgeschichten mehr. Ich hoffe, ihr habt trotzdem Spaß beim Lesen von: Eine kleine dicke Ente Die Wintersonne strahlte vom fast wolkenlosen Himmel auf die Kleinstadt Heatherfield herab und schmolz erbarmungslos den letzten Schnee des Vortages, der sich noch in ein paar Ritzen versteckt hatte. Es war später Nachmittag und die Glocke des Sheffield-Institutes, der städtischen Higschool, zeigte mit einer kurzen Melodie das Ende dieses Schultages an. Sofort sprangen die Schüler in den Klassen auf, schnappten sich ihre schon längst fertig gepackten Taschen und verließen so schnell wie möglich erst ihre Klassenräume und dann das Schulgebäude. Draußen atmeten viele von ihnen erst einmal die frische Luft ein, die trotz der vielen Abgase erheblich frischer war als die stickige Luft im Gebäude. Nur Taranee Cook, Schülerin der achten Klasse, hatte es überhaupt nicht eilig. Nachdem sie endlich all ihre Sachen in ihre Tasche gepackt und dann – von ihrem Mathelehrer, der den Raum abschließen wollte, gedrängt – die Klasse verlassen hatte, schlurfte sie langsam durch die Schule. Sie wollte zum Krankenzimmer, das am anderen Ende des Traktes lag. Dort wartete nämlich ihre Freundin und Klassenkameradin Hay-Lin auf sie, die in der vorletzten Unterrichtsstunde so starke Bauchschmerzen gehabt hatte, dass sie sich freiwillig in das kleine muffige Krankenzimmer begeben hatte. Ihre Lehrerin hatte ihr geraten, sich von ihren Eltern abholen zu lassen, aber da diese ein Restaurant führten und somit sehr viel zu tun hatten, hatte Hay-Lin sich entschieden, sie nicht mit so etwas Belanglosem zu belästigen. Hoffentlich geht es ihr inzwischen besser, dachte Taranee gerade, als die Tür einer der Klassenräume zu ihrer Linken aufsprang und ein Schwarm Schüler herausgestürmt kam. Einer von ihnen rempelte Taranee an, wobei die Tasche, die sie sich nur locker über die Schulter gehängt hatte, zu Boden fiel. „Sorry, das -“, begann der dunkelblonde Junge, doch als er Taranees geschocktes Gesicht sah, schwieg er und schaute zu Boden. „Hallo, Taranee“, murmelte er so leise, dass die Angesprochene es zwischen dem Getrampel und Gerede der anderen Schüler kaum hörte. „Hallo, Nigel“, begrüßte sie mit kühler, verachtender Stimme ihren Freund. Nigel bückte sich und hob ihre runtergefallene Tasche auf, die sie ihm wortlos aus der Hand riss und sich wieder über die Schulter warf. Er schwieg. Sie sah ihn abwartend an und fragte dann: „Willst du mir noch irgendwas Wichtiges sagen oder kann ich jetzt gehen?“ Er schluckte, riss dann aber seinen Kopf hoch und sah ihr direkt ins Gesicht. „Taranee, ich ... es tut mir leid, was Freitag geschehen ist! Ich würde alles geben, um es rückgängig machen zu können, ehrlich!“ „Ach ja? Du kannst es aber nicht rückgängig machen, egal was du tust! Also lass mich am besten gleich in Ruhe!“, schnauzte sie ihn an und ging schnell an ihm vorbei. An der Klassentür, aus der Nigel und die anderen vorhin gekommen waren, stand jetzt gerade ihr Biolehrer (der wie fast immer seinen selbstgestrickten grün-rot gestreiften Pullover trug) und schloss die Tür ab. Anscheinend hatte er ihr Gespräch verfolgt, denn er sah der Schülerin erstaunt hinterher und fragte: „Nanu?“ Sie ignorierte ihn schlichtweg und betrat dann schnell das Krankenzimmer, das sich glücklicherweise nur zwei Türen weiter befand, bevor die Tränen sich den Weg aus ihren Augen gebahnt hatten. „Taranee!“, rief Hay-Lin erschrocken und sprang von der Liege, auf der sie bis zum Zeitpunkt von Taranees Eintreten noch gesessen und gelangweilt aus dem Fenster gesehen hatte. Taranee sackte auf einem Stuhl zusammen und ließ ihre Tasche auf den Boden gleiten. Ihre Freundin hockte sich neben sie und fragte: „Was ist denn los?“ Die Angesprochene sah zur Seite und murmelte: „Ich hab gerade Nigel getroffen...“ „Na und? Hast du dich etwa mit ihm gestritten? Warst du darum heute so abwesend?“ Jetzt war es an Taranee, erstaunt zu sein. „Du hast es gemerkt?“ Hay-Lin lächelte. „Natürlich. Wir sind doch Freunde, ich merk doch, wenn du was auf dem Herzen hast.“ Nun lächelte auch Taranee. „Danke, du bist wirklich eine gute Freundin“, schniefte sie. Nachdem sie sich kurz die Nase geputzt hatte, erzählte sie Hay-Lin, was am Freitag geschehen war. Sie war mit Nigel zum Kino verabredet gewesen, doch da er selbst nach einer halben Stunde noch nicht gekommen war, war sie wieder nach Hause gegangen. Am nächsten Tag erfuhr sie von ihrer Mutter, die Richtern war, dass Nigel sich mit einem ehemaligen Freund Uriah getroffen hatte. Sie hatten ziemlich viel getrunken und dann in einer Bar in der Innenstadt randaliert. Hay-Lin war erst ziemlich geschockt, dann wurde sie wütend. „Oh Mann, ich frag mich, womit Uriah Nigel erpresst hat, dass er sowas mit ihm gemacht hat!“ „Bist du sicher, dass er ihn erpresst hat? Vielleicht hat er ja auch freiwillig -“ „Du glaubst ernsthaft, dass Nigel sowas freiwillig machen würde?“ Taranee zuckte nur die Achseln und sah zu Boden. „Mh, vielleicht solltest du erstmal ein bisschen Abstand von ihm halten, bis du dir darüber im Klaren bist, oder?“ „Muss ich sowieso. Meine Mutter verbietet mir den Umgang mit ihm.“ „Okay, dann wär das ja geklärt, oder?“ „Ja, dann kann ich ja jetzt nach Hause gehen. Meine Mutter hasst Unpünktlichkeit.“ „In Ordnung.“ Die beiden standen auf, schnappten sich ihre Taschen und verließen das Krankenzimmer. Dann machten sie sich auf den Weg zu den Fahrradständern hinter dem Schulgebäude. „Moment mal!“, rief Taranee plötzlich, als sie gerade das Schloss von ihrem Fahrrad öffnen wollte. „Was denn?“, fragte Hay-Lin erstaunt. „Am Mittwoch ist doch diese Valentinstagsparty bei Matt. Ich habe Nigel fest versprochen, mit ihm dahin zu gehen.“ Eine Weile schwieg Hay-Lin, dann begann sie übers ganze Gesicht zu grinsen. „Was ist daran so lustig?“, fragte Taranee. „Nun, du hast es ihm zwar versprochen, aber was ist, wenn deine beste Freundin morgen nach China fliegt, um mit ihren Verwandten das Neujahrsfest zu feiern, und dich dazu gedrängt hat mitzukommen, weil sie sonst vor Langeweile stirbt?“ „Ich soll ihn anlügen?“ „Davon war nie die Rede!“ Erst starrte Taranee ihre Freundin verständnislos an, doch als sie merkte, was diese beabsichtigte, sagte sie: „Das geht doch nicht!“ „Ach was, ich werd meine Eltern schon rumkriegen. Und deiner Mutter wird das bestimmt auch lieber sein als eine Party mit Nigel.“ Jetzt fiel Taranee ihrer Freundin um den Hals. „Danke, Hay-Lin, das ist total lieb von dir!“ Mit dem Argument, dass sie dann ein paar Tage vor Nigel sicher war, überzeugte Taranee ihre Eltern nach einer längeren Diskussion schließlich davon, dass sie mit Hay-Lin nach China fliegen und vier Tage „aufgrund ihrer schlechten psychischen Verfassung“ die Schule schwänzen durfte. Auch Hay-Lins Eltern stimmten dem Plan der Mädchen zu. Es gelang ihnen sogar, in dem Privatjet ihres chinesischen Freundes, der viele seiner Landsleute aus dieser Gegend für einen Freundschaftspreis von New York nach Peking und zurück brachte, noch einen Platz für Taranee zu bekommen. Nun stand der Reise nichts mehr im Wege. Also holten die Lins Taranee am nächsten Morgen um kurz nach halb neun von zu Hause ab und machten sich mit ihr auf den Weg zum Flughafen von New York, wo der Jet starten würde. Hay-Lins Vater, der am Steuer saß, beschwerte sich über den schleichenden Verkehr auf der Autobahn, da er befürchtete, sie könnten zu spät kommen. Seine Frau beruhigte ihn damit, dass sie ja extra so früh losgefahren waren, damit sie den Flug um zwölf auch ganz sicher nicht verpassten, schließlich waren es bei freier Fahrt nur knappe anderthalb Stunden von Heatherfield bis nach New York. Nachdem sie gegen elf Uhr endlich einen Parkplatz im obersten Deck des Parkhauses gefunden hatten, gingen sie mit ihrem Gepäck, das, da sie nur eine Woche unterwegs sein würden, nicht allzu umfangreich war, in die riesige Eingangshalle des Flughafens und Herr Lin ging gleich zu einem Informationsschalter, an dem ihm mitgeteilt wurde, wo ihre Maschine starten würde. Die vier ließen ihre Taschen kontrollieren und machten sich dann auf den Weg zu dem sonst nur selten genutzten Terminal H, das etwas weiter von den Hauptterminals entfernt lag. Dort sahen sie schon von weitem die vielen chinesischen Familien, die ungeduldig darauf warteten, endlich ihr Gepäck abgeben und in das Flugzeug einsteigen zu können. Schon kurz darauf wurde das Terminal geöffnet und jeder, der eine Karte hatte, entledigte sich seiner Taschen und begab sich in den Warteraum, um sich einer Handgepäck- und Körperkontrolle zu unterziehen. Um viertel vor zwölf – die Lins und Taranee saßen schon längst im Warteraum – kam endlich die Durchsage, dass das Flugzeug angekommen war und sie nun einsteigen konnten. Sofort sprangen sie alle erleichtert auf, schnappten sich ihr Handgepäck und betraten das Flugzeug. Nach etwas mehr als zwei Stunden Flug bereute Taranee es sehr, dass sie sich nur ein dünnes Buch eingepackt hatte, denn das hatte sie jetzt durchgelesen und laut Herrn Lin würden sie erst weitere fünf Stunden später in Peking ankommen. Sie hätte sich gerne mit Hay-Lin unterhalten, aber die war schon kurz nach dem Start friedlich eingeschlafen. Also starrte Taranee abwesend aus dem Fenster und dachte über alles nach, was ihr gerade in den Sinn kam. Durch die sanften Bewegungen der Schäfchenwolken am Himmel gelang es ihr dann nach einiger Zeit doch noch, den Weg in einen tiefen Schlaf zu finden. Als sie um sieben Uhr abends amerikanischer Zeit endlich auf dem hell beleuchteten Flugplatz in Peking ankamen, ging dort gerade die Sonne auf. Im ersten Moment war Taranee über diese Tatsache erstaunt, doch dann fiel ihr wieder ein, dass die Zeitverschiebung zwischen New York und Peking nicht unerheblich war. Sie fragte Hay-Lin, die ihr erklärte, dass es hier ganze dreizehn Stunden später war als in ihrer Heimatstadt. Hier war der neue Tag also schon längst angebrochen. Die Lins und Taranee standen auf, nahmen sich ihr Handgepäck und machten sich zwischen den munter plaudernden Chinesen auf den Weg zum Ausgang des Flugzeugs. Taranee fühlte sich etwas verloren als einzige Passagierin ohne chinesische Abstammung. Deshalb war sie auch sehr froh als Hay-Lin zugab: „Ich bin so aufgeregt! Ich war schon sehr lange nicht mehr mit so vielen Chinesen zusammen.“ Taranee beruhigte sie: „Ich warnoch nie mit so vielen Chinesen zusammen.“ Hay-Lin grinste. „Ja, du hast recht. Aber wir werden uns schon irgendwie zurechtfinden, nicht wahr?“ Taranee nickte. Nachdem sie ihre Pässe vorgezeigt und ihr Gepäck abgeholt hatten, begaben sie sich zu einem kleinen Café am Eingang des Flughafens, wo sie mit Hay-Lins Großvater verabredet waren. Taranee sah zwar kaum einen Unterschied zwischen den ganzen Chinesen, die dort saßen, aber Hay-Lin entdeckte ihn sofort an einem Tisch nahe dem Eingang. Sie lief auf ihn zu und begrüßte ihn freudig auf Chinesisch. Auch ihre Eltern gingen dorthin und Taranee folgte ihnen schüchtern. Als Herr Lin senior sie sah, sagte er sofort: „Hallo, Talanii.“ Sie war froh, dass er sie nicht auf Chinesisch ansprach und grüßte zurück. Anscheinend hatten Hay-Lins Eltern ihn darüber informiert, dass sie mitkommen würde. Die fünf tranken noch jeder eine Tasse Tee und machten sich dann auf dem Weg zum oberen Deck des Parkhauses, wo das Auto der Lins wartete. Nachdem sie das Gepäck in dem kleinen Kofferraum verstaut hatten, setzten sich die Männer nach vorne und Frau Lin und die Kinder nach hinten in den Wagen. Dann machten sie sich auf den Weg durch die belebte Innenstadt von Peking. Man sah kaum den Himmel vor lauter Hochhäusern, wie in New York, doch auf eine merkwürdige Art und Weise war es doch völlig anders. Und dieser Unterschied war nicht nur durch die Chinesischen Werbeplakate und Schilder bedingt; Peking hatte eine völlig andere Ausstrahlung als New York. Deswegen sah Taranee die ganze fast einstündige Fahrt über aus dem Fenster und starrte alles fasziniert an, woran sie vorbei kamen. Als Herr Lin dann vor einem sechsstöckigen Hochhaus parkte, hatte Taranee sich noch längst nicht sattgesehen und sie war sehr froh darüber, dass sie in den nächsten Tagen noch Zeit haben würde, sich umzusehen und – was noch wichtiger war – alles zu fotografieren. Noch während sie die Taschen aus dem Kofferraum nahmen, kam eine dickliche Frau mit kurzem schwarzen Haar – Hay-Lins Großmutter, wie Taranee vermutete – aus der Haustür und begrüßte sie auf Englisch. Hay-Lin lief sofort zu ihr und umarmte sie, ihre Eltern und Taranee erwiderten nur den Gruß. Mit den Taschen in der Hand gingen sie die Treppen hinauf in den dritten Stock – einen Fahrstuhl gab es nicht. Frau Lin senior öffnete die Tür zu dem Appartement und sie traten ein. Taranee war sehr erstaunt über die Wohnung, denn sie war ziemlich klein. Der große Hauptraum schien höchstens eine Fläche von fünfundzwanzig Quadratmetern zu haben; die drei Nischen, die nur durch Vorhänge davon abgetrennt waren kamen jeweils höchstens auf fünf. In der Mitte des Raumes stand ein niedriger, runder Klapptisch und am anderen Ende, unter einem kleinen Fenster, durch das Sonnenlicht ins Zimmer drang, eine hölzerne Kommode, auf der ein zusammengeklapptes Notebook lag. Taranee fand es unglaublich, wie jemand nur auf so kleinem Raum leben konnte. In ihrem Haus war fast jedes Zimmer so groß wie dieses ganze Appartement. Und Hay-Lin hatte ihr im Flugzeug auch noch erzählt, dass am Samstag, also am Tag vor dem Beginn des neuen Jahres, auch noch weitere Verwandte kommen würden. Wie sollten die bloß alle in diese Wohnung passen? Um halb elf hatten sie sich alle ein wenig frisch gemacht und da sie sonst nichts zu tun hatten, bot Frau Lin senior ihrer Enkelin und deren Freundin eine kleine Tour durch Peking an. Die beiden stimmten sofort zu. Also schnappte Taranee sich ihren Fotoapparat und sie machten sich auf den Weg. Es gab wirklich eine Menge zu sehen: neuste Architektur direkt neben traditionellen Gebäuden, Menschen, die ihn chinesischer Kleidung durch die Straßen gingen, Werbeplakate für CDs angesagter chinesischer Künstler und vieles mehr. Und da Taranee natürlich alles fotografieren musste, war ihr Film schon nach kurzer Zeit voll und sie bereute es, die Ersatzfilme in ihrem Rucksack gelassen zu haben. Doch sie mochte es auch sehr gerne, sich die Sachen einfach nur anzusehen und in ihrem Gedächtnis zu speichern, da sie sich sicher war, dass sie diese Eindrücke niemals vergessen würde, auch wenn sie sie nicht auf einem Foto festhielt. Frau Lin erzählte auch ein wenig zu den wichtigsten Gebäuden und zu Taranees Freude sagte sie dies alles auf Englisch, wenn auch mit einer miserablen Aussprache und der Benutzung sehr simpler Wörter. Nach mehr als zwei Stunden kehrten sie dann mit müden Beinen und leerem Magen, aber voller neuer Erfahrungen zur Wohnung der Lins zurück. Dort wechselte Taranee sofort den Film ihrer Kamera und steckte sich einen zweiten in die Jackentasche, und die beiden Frauen machten sich daran, ein schon nach wenigen Minuten in der ganzen Wohnung riechendes Essen vorzubereiten. Da sie alle ziemlich geschafft waren, wollten sie schon früh ins Bett gehen. Also holten sie vier Futons aus einer der Nischen, stellten den zusammengeklappten Tisch in die Küche und machten es sich so gemütlich wie möglich. Taranee, die es gewohnt war, auf einem weichen Bett zu schlafen, brauchte ziemlich lange um einzuschlafen, An den nächsten zwei Tagen verbrachten sie einen großen Teil der Zeit damit, alles für Samstag vorzubereiten. Besonders für das Festessen brauchten sie viele verschiedene Dinge. Das Huhn und der Fisch, die es traditionell an Neujahr gab, stellten ein Problem dar. Frau Lin senior weigerte sich, für so ein wichtiges Fest Sachen aus dem Supermarkt zu kaufen und deshalb mussten sie zu ihrem Lieblingslebensmittelhändler am anderen Ende der Stadt fahren um dann festzustellen, dass er weder Huhn noch Fisch da hatte, weil alle bei ihm für das Neujahrsfest einkauften. Also waren die drei Stunden Fahrt umsonst gewesen und als sie wieder zu Hause waren teilte Herr Lin senior, der keine Lust gehabt hatte, mitzufahren, ihnen mit, seine Tochter habe gerade angerufen und ihm mitgeteilt, dass sie Huhn und Fisch mitbringen würde. Am Samstagmorgen wurde Taranee von den Gesprächen der anderen geweckt, auch wenn sie aus Rücksicht sehr leise sprachen. Alle außer ihr waren anscheinend schon auf den Beinen und hektisch dabei, alles vorzubereiten, was sie in den letzten Tagen nicht geschafft hatten, was bei fünf Leuten in so einer kleinen Wohnung manchmal etwas kompliziert war. Hay-Lin lief durch das Zimmer, stolperte über Taranee und stieß gegen ihren Vater, der gerade mit einer Teekanne in der Hand aus der Küche kam. Vor Schreck ließ er die Teekanne fallen, die dann zum Glück auf Taranees Futon landete und heil blieb. Hay-Lin entschuldigte sich kurz, huschte dann aber in die Küche, wo sie wiederum fast über den Klapptisch gestolpert wäre, den ihr Großvater eigentlich woanders hatte hinstellen wollen, aber es war nirgendwo Platz dafür gewesen. Die Frauen im Haus standen vor dem Herd und diskutierten über etwas, wobei sie heftig gestikulierten und eine von ihnen Hay-Lin auf die Nase schlug, woraufhin diese zu bluten begann. Alle liefen durcheinander, um irgendwas dagegen zu tun, bis Taranee ihr schließlich ein Taschentuch reichte. Damit sie nicht noch weiter im Weg rumstand, rollte sie ihren Futon zusammen, wickelte die Decke darum und legte ihn zu den anderen in die Schlafnische. Dann zog sie sich in das Bad zurück, um sich umzuziehen. Als sie fertig war, fragte sie Hay-Lin, ob sie irgendwas helfen könne, doch die sagte nur: „Du bist doch unser Gast!“ und wuselte dann in die Küche, wo sie ihre Mutter darauf aufmerksam machte, dass das Gericht im Ofen schon ziemlich dunkel war, woraufhin diese schnell die Klappe des Ofens öffnete und sich fast die Finger am Blech verbrannte. Tarannee seufzte und setzte sich in eine Ecke des Raumes, wo sie niemanden stören konnte. Es war jetzt gerade erst zehn und die Gäste würden erst gegen drei Uhr kommen. Taranee holte ihren Fotoapparat heraus und knipste lustlos etwas herum, aber das Appartement hatte nicht viel zu bieten, deshalb hatte sie schon bald alles fotografiert, was es zu sehen gab. Also bat sie Herrn Lin junior, ein wenig nach draußen gehen zu dürfen. Er willigte ein, nachdem seine Mutter ihr einen Stadtplan überreicht hatte. Taranee versprach, um halb drei zurück zu sein, zog ihre Jacke an und machte sich dann mit ihrem Fotoapparat auf den Weg. Da sie die eine Richtung schon mit Hay-Lins Oma erkundet hatte, ging sie jetzt in die andere Richtung und fotografierte alles, was sie interessant fand – also praktisch alles. Sie hatte zwar auf der ersten Tour auch schon einiges gesehen, aber die Stadt zog sie ein zweites Mal in ihren Bann und Taranee wünschte sich, noch viel länger dort bleiben zu dürfen. Um drei bemerkte sie dann, dass sie zurückmusste und rannte so schnell sie konnte durch die Straßen von Peking. Und so schaffte sie es tatsächlich, wieder bei Lins zu sein, bevor die Gäste eintrafen. „Wer kommt eigentlich noch alles?“, fragte sie Hay-Lin. „Also ... mein Onkel und meine Tante, meine zwei Cousinen und mein kleiner Cousin“, erklärte sie ihrer Freundin grinsend. „Dann sind wir ja zu ... elft!“, schloss Taranee erstaunt. „Stimmt!“ Um kurz vor drei klingelte es an der Tür und sofort liefen Hay-Lin und ihre Eltern und Großeltern zum Eingang, um den Knopf zum Öffnen der Tür unten zu betätigen. Dann liefen sie ihnen aufgeregt die Treppe hinunter entgegen. Schon wenig später kamen die zehn, sich munter auf Chinesisch unterhaltend, in die Wohnung. Eine Frau, wahrscheinlich Hay-Lins Tante, hatte eine große Schachtel in der Hand, die sie sogleich Frau Lin senior überreichte, die sie in der Küchennische ablegte. Als die fünf Neuankömmlinge Taranee bemerkten, kamen sie sofort zu ihr und begrüßten sie herzlich auf Englisch, mit Ausnahme des kleinen Jungen, der sich gar nicht traute, irgendwas zu sagen. Die drei Frauen gingen dann gleich in die Küche, um das Huhn und den Fisch zuzubereiten. Hay-Lin und Taranee saßen derweil mit dem kleinen Cousin in einer Ecke und er erzählte etwas auf Chinesisch, wovon Taranee natürlich kein Wort verstand. Gegen sechs Uhr waren dann alle Vorbereitungen getroffen und sie konnten endlich mit dem Essen beginnen. Herr Lin senior hatte elf Sitzkissen aus der Schlafnische geholt und um den Tisch verteilt. Seine Frau ging in die Küche und kam dann mit einer großen Platte, auf der ein Hühnchen und ein großer Fisch lagen, wieder. Alle ließen sich nieder und Hay-Lin gab jedem eine kleine Schüssel mit Reis und eine größere für das Fleisch. Ihr Vater schnitt mit einem großen Messer Streifen vom saftigen Brustfleisch des Huhns ab und verteilte sie an die Gäste. Dann wünschten sie sich einen guten Appetit (das glaubte Taranee zumindest, sie sprachen ja immer noch Chinesisch) und begannen, sich über das Essen herzumachen. Taranee, die mit dem Essen mit Stäbchen trotz häufiger Besuche im China-Restaurant von Hay-Lins Eltern nicht sehr vertraut war, aß langsamer als die anderen, was sie aber auch nicht störte, da sie sich bei den Gesprächen sowieso nicht beteiligen konnte. Und die anderen redeten eigentlich auch mehr, als dass sie aßen, dadurch zog sich das Ganze ziemlich in die Länge. Nachdem Taranee aufgegessen hatte, versuchte sie irgendwie, den Gesprächen der anderen zu folgen, was ihr allerdings nicht gelang. Zwischendurch versuchte sie einmal, ein Gespräch mit Hay-Lin anzufangen, doch diese wandte sich schon bald wieder ihrem kleinen Cousin zu, der mit glänzenden Augen und wild gestikulierend etwas erzählte. Taranee seufzte nur und sah ihm zu, konnte aber aus seinen Gesten nur schließen, dass er etwas wahnsinnig Spannendes erlebt haben musste. Später sah Taranee auf ihre Uhr und stellte fest, dass es erst acht Uhr war. Das Essen würde wohl noch eine Weile dauern, deshalb fragte sie Hay-Lin, ob sie nicht ein wenig an die frische Luft gehen wollten. Hay-Lin hatte nicht so große Lust darauf, also beschloss Taranee alleine zu gehen. Sie zog ihre Jacke an, steckte den Stadtplan, den Frau Lin ihr am Vormittag gegeben hatte, in die Tasche und verließ dann die Wohnung. Die kalte Luft draußen tat Taranee gut und sie atmete erst einmal tief ein. Da es etwas abgekühlt war, zog sie den Reißverschluss ihrer Jacke höher und steckte die Hände in die Jackentaschen, dann schlenderte sie langsam los. Die Straßen schienen wie leer gefegt, nur ein paar Katzen streunten durch die Straßen und miauten laut. Die Leute schienen alle in ihren gemütlichen Wohnungen zu sitzen und mit ihren Familien das Neujahrsfest zu feiern. Und ich laufe allein hier in der Kälte rum, kam es Taranee in den Sinn, doch dann dachte sie daran, dass es sowieso nicht ihr Fest war und dass sie die Lins nicht beim Feiern stören sollte. Also ging sie immer weiter. Es wurde immer kälter und Taranee spürte ihre Zehen trotz ihrer dicken Winterstiefel kaum noch, außerdem war es schon fast zehn Uhr, also beschloss Taranee, heimzukehren. Sie drehte um und ging zu der letzten Straßenkreuzung zurück. Doch wo war sie hergekommen? Im ersten Moment hatte sie Angst, den Weg nicht mehr zu finden, dann fiel ihr die Karte wieder ein. Sie steckte die Hand in ihre Jackentasche um danach zu greifen – doch dort war nichts! Sie tastete die ganze Tasche nach einem eventuellen Loch ab, aber auch das fand sie nicht. Panisch blickte sie sich um. Dann sah sie auf die Straßenschilder und war sich schließlich ziemlich sicher, dass sie aus der rechten Gasse gekommen war. Sie bog ein und ging weiter. Immer wieder blickte sie sich zu beiden Seiten um, ob ihr irgendetwas bekannt vorkam, aber es war sehr dunkel geworden und diese kleine Straße war nur spärlich beleuchtet. An der nächsten Kreuzung blieb sie erneut stehen. Der Grünstreifen an der linken Gasse kam ihr zwar bekannt war, aber war sie an diesem mit Graffiti besprühten Gebäude nicht auch schon vorbeigekommen? Ihr Herzschlag wurde schneller und langsam stieg Panik in ihr auf. Was, wenn sie nicht wieder zurückfand? Sie sprach kein Wort Chinesisch, und war somit in dieser Millionenstadt so gut wie verloren. In dem Moment hörte sie hinter sich langsame Schritte. Sie wirbelte herum. Einige Meter entfernt, vor dem Eingang eines mehrstöckigen grauen Gebäudes stand ein Mann. Langsam kam er auf Taranee zu, wobei sein weißes, traditionell Chinesisch aussehendes Gewand sich bei jedem Schritt ein wenig bewegte. Kurz vor ihr blieb er stehen und fragte etwas auf Chinesisch. Taranee erwiderte zögernd auf Englisch: „Sprechen Sie Englisch?“ „Ja“, sagte er, was Taranee nicht wirklich überzeugte. Er fügte hinzu: „Helfen ... dir?“ Sie sah ihn einen Moment an. Von seinem Gesicht konnte man kaum etwas erkennen, da seine Stirn von einem dichten schwarzen Pony verdeckt war und durch die außergewöhnlich großen runden Brillengläser seine Augen kaum zu sehen waren. Dennoch war Taranee sich sicher, dass sie ihm vertrauen konnte. „Ja“, sagte sie und lächelte dankbar. „Wohin?“, fragte er mit fürchterlichem Akzent. „Äh...“ Taranee zögerte. Wie sollte sie ihm erklären, wo sie wohnte? Da fiel ihr ein, dass in der Nähe des Hauses der Lins ein Restaurant namens „Golden Moon“ stand. Von dort würde sie sicher zurückfinden. Also nannte sie ihm den Namen, und glücklicherweise schien er ihm etwas zu sagen, denn er sagte „Komm“ und machte sich dann auf den Weg. Nach einiger Zeit fragte er vorsichtig: „Dein Name?“ „Taranee“, antwortete sie lächelnd. Irgendwie fand sie es niedlich, wie dieser Mann sich so bemühte. „Mousse“, sagte er und zeigte verlegen lächelnd auf sich. Seinen Namen fand Taranee etwas merkwürdig, er klang ein wenig französisch, aber da sie nicht so viel Ahnung von chinesischen Namen hatte, fragte sie ihn nicht danach. Taranee wollte ein Gespräch mit ihm anfangen, aber da sie nicht wusste, worüber sie mit ihm reden konnte, ließ sie es lieber. Also gingen die beiden einfach schweigend nebeneinander her. Nach einer Weile hörten sie in der Ferne eine Uhr elf schlagen. Und auf einmal leuchtete und knallte es überall: hunderte von Raketen wurden in den schwarzen Nachthimmel geschossen, zeichneten Blumen und Sterne daran und erloschen, um gleich darauf von weiteren roten, gelben und grünen Gebilden abgelöst zu werden. „Wunderschön!“, hauchte Taranee und starrte hinauf, das Licht des Feuerwerks spiegelte sich in ihren Augen. Mousse nickte nur lächelnd. Einige Minuten standen sie nur dort und betrachteten den Himmel, dann fragte Mousse: „Weiter?“ Taranee nickte nur. Die anderen würden sich bestimmt Sorgen machen, schließlich war sie schon drei Stunden weg gewesen. Als sie wenig später vor der Tür des „Golden Moon“ ankamen, bedankte Taranee sich herzlich bei Mousse, auf dessen Gesicht ein deutlicher roter Schimmer zu erkennen war. Taranee wollte sich bei ihm noch erkenntlicher zeigen – vielleicht wollte sie ihn auch einfach wiedertreffen, das wusste sie selbst nicht so genau – also machte sie ihm klar, dass sie sich in zwei Tagen – denn am Neujahrstag würde zu viel los sein – mit ihm im Restaurant, vor dem sie standen, zum Dank treffen wollte. Als er endlich ihr Anliegen verstanden hatte, stimmte er begeistert zu und verschwand dann nach einem kurzen Abschied im Schatten außerhalb des Lichtfeldes der nächsten Straßenlaterne. Die Lins und ihre Verwandten hatten sich tatsächlich schon große Sorgen gemacht. Als Taranee in die Straße einbog, wurde sie gleich von Hay-Lins Cousin entdeckt, der augenblicklich losschrie. Sofort tauchten all die anderen auf und liefen auf sie zu und fragten sie, wo sie gewesen war. Taranee erzählte es auf Englisch und Hay-Lin übersetzte es gleich für die anderen. Als alle wieder in die Wohnung kamen, kramten die Erwachsenen kleine rote Papiertütchen heraus und gaben jedem der Kinder eins davon. Am Ende kamen sie sogar zu Taranee. Hay-Lins Onkel überreichte ihr das Tütchen und sagte auf Englisch: „Bitte sehl.“ Taranee bedankte sich erstaunt. „Diese kleinen Geschenke bekommen alle unverheirateten Familienmitglieder und – wie du siehst – auch ihre Gäste“, erklärte Hay-Lin ihr wenig später. „Hier in China gibt es wirklich eine Menge Traditionen!“, staunte Taranee. Nachdem die kleinen Geschenke verteilt waren, setzten sich wieder alle auf ihre Sitzkissen und erzählten munter weiter. Taranee bestellte bei Frau Lin senior eine heiße Tasse Tee, weil es im Haus auch nicht viel wärmer war als draußen, da das Fenster weit geöffnet worden war um das Glück des neuen Jahres hereinzulassen, wie Hay-Lin ihr erklärt hatte. Um kurz nach ein Uhr tranken alle die letzten Schlucke ihres Tees aus und gingen dann ins Bett; Hay-Lins Onkel und Tante, die Cousinen und der Cousin würden in ihrem Auto übernachten, denn in der Wohnung war beim besten Willen kein Platz mehr. In dieser Nacht schlief auch Taranee schnell ein, obwohl sie eigentlich ziemlich aufgeregt wegen ihrer Verabredung mit Mousse war, denn sie kannte ihn ja eigentlich kaum und außerdem war sie noch nie mit einem Jungen Essen gewesen – mit Ausnahme einiger McDonald's-Besuche mit Nigel. Der nächste Tag verlief, nachdem sie ihren Besuch verabschiedet hatten, relativ ereignislos, aber Taranee musste die ganze Zeit an den nächsten Tag denken, deshalb ging dieser nur schleichend vorbei. Doch dann kam endlich der Montag und Taranee war am Morgen schon früh auf den Beinen, um von Hay-Lin noch ein paar wichtige chinesische Begriffe zu lernen (die sie vor lauter Aufregung sowieso nicht behielt) und sich für ihre Verabredung zu stylen. Nach langem Überlegen entschied sie sich für eine einfache Jeans und ihren schlichten schwarzen Lieblingspullover. Um zwanzig vor zwölf konnte sie die Spannung wirklich nicht mehr aushalten und machte sich auf den Weg zum „Golden Moon“. Vor dem üppig mit allen möglichen Figuren bemalten Gebäude stand schon der wartende Mousse, der sich nervös umblickte. Taranee beschleunigte ihren Schritt und als er sie entdeckte, kam er auf sie zu. „Hallo, Mousse“, sagte Taranee freundlich, aber ziemlich nervös. „Hallo“, erwiderte er. „Gehen wir rein?“, fragte sie. Er nickte und öffnete ihr die Tür, woraufhin sie eintrat. Der Innenraum des „Golden Moon“ war gewaltig: hohe vergoldete Säulen stützen die Decke, die mit bunten Drachen und anderen mythischen Figuren bemalt war, jeder der edel aussehenden Tische mit der typischen Drehscheibe in der Mitte war durch eine kleine Mauer, auf der kunstvolle Blumentöpfe mit großen Blumen standen, von den anderen Tischen getrennt und die Kellner trugen traditionell chinesische Gewänder. Einer von ihnen, der direkt neben der Tür stand, begrüßte die beiden mit einer tiefen Verbeugung. Nachdem er Mousse etwas gefragt und dieser geantwortet hatte, führte er sie zwischen den Tischen hindurch zum anderen Ende des gut besuchten Restaurants. Dort blieb er bei einem etwas kleineren Tisch stehen und zeigte darauf. Doch Mousse, der interessiert zu einem großen leuchtend roten Drachen an der Decke aufschaute, schien es nicht zu bemerken und lief deshalb prompt gegen den Bediensteten, wobei seine Brille hinunterfiel. Der Kellner machte erschrocken einen Schritt zur Seite und wollte gerade etwas sagen, als Mousse anfing, sich bei der Blume zu entschuldigen, die dort auf der Mauer stand. Er machte einen Schritt nach vorne und ein leises Knirschen verkündete, dass er gerade auf seine Brille getreten war. Taranee seufzte und jetzt begann der Kellner, sich bei Mousse zu entschuldigen. Dieser erhob abwehrend die Hände, wahrscheinlich versucht er ihm klarzumachen, dass es seine eigene Schuld war. Irgendwann nickte der Mann und kehrte zu seinem Posten an der Eingangstür zurück. „Siehst du ohne Brille etwas?“, fragte Taranee Mousse langsam. „Nicht viel“, murmelte er. Zögernd nahm Taranee seine Hand und führte ihn zu einem Stuhl, sie selbst setzte sich ihm gegenüber. „Tut mir leid“, sagte er und starrte mit zusammengekniffenen Augen auf Taranees Schulter. Diese musste lächeln. „Kein Problem.“ Kurze Zeit später kam ein Kellner mit einer Speisekarte in der Hand. Anscheinend hatte er von seinem Kollegen gehört, dass Mousse ohne Brille so gut wie blind war, deshalb las er ihnen alle Gerichte vor. Mousse nannte ihm seinen Wunsch und Taranee bestellte der Einfachheit halber dasselbe, auch wenn sie keine Ahnung hatte, worum es sich dabei handelte. Während sie auf das Essen warteten, waren beide sehr still. Taranee versuchte ein paar Mal, ein Gespräch mit dem anderen anzufangen, aber er verstand sehr wenig von dem, was sie sagte, deshalb verstummte sie schnell wieder. Er hat hübsche Augen, stellte Taranee fest. Nigel hatte zwar ebenfalls braune Augen, aber die von Mousse waren auf eine faszinierende Weise noch tiefsinniger. Es war schade, dass man von diesen Augen durch seine Brille sonst so wenig sah. Überhaupt war er ohne die Brille völlig verändert. Er sah sehr erwachsen aus, nur an seiner Frisur konnte man vielleicht noch ein klein wenig feilen. Taranee stützte den Kopf auf die Hände und lächelte. Sie hätte wirklich nicht gedacht, dass ihr hier so ein freundlicher Typ begegnen würde. Schließlich kam der Kellner, der ihre Bestellungen angenommen hatte, mit einem Tablett in der Hand, auf dem zwei Tassen Tee und zwei Suppenschüsseln standen. Er stellte sie ihnen hin, verbeugte sich kurz und ging dann wieder. Mousse tastete nach seinem Löffel und steckte ihn in die Teetasse. Bevor Taranee ihn warnen konnte, hatte er den Löffel schon im Mund. Er machte einen verwunderten Gesichtsausdruck und sagte dann: „Schmeckt wie Tee!“ Taranee musste lachen und klärte den verwirrten Mousse auf: „Es ist Tee.“ Jetzt musste auch Mousse grinsen. Das Essen schmeckte Taranee besser als in vielen amerikanischen China-Restaurants, in denen sie mit ihren Eltern schon gewesen war. Vielleicht lag dies einfach daran, dass es in Amerika schwierig war, an die richtigen Zutaten zu kommen. Vielleicht lag es aber auch an ihrer amüsanten Begleitung. Taranee hatte das Gefühl, mit Mousse würde es nie langweilig werden. Nach dem Essen winkte Taranee einen Kellner heran, Mousse sagte ihm, dass sie zahlen wollten und er ging kurz weg, um kurze Zeit später die Rechnung auf einem kleinen Silbertablett zu präsentieren. Taranee, der die Lins extra noch ein wenig Geld zugesteckt hatten, zog ihr Portmonee heraus und bezahlte die Summer. Eigentlich wollte sie auch noch Trinkgeld geben, aber zum einen wusste sie nicht, ob das hier üblich war und zum anderen hätte sie es sowieso auf Chinesisch sagen müssen. Als Taranee ihre Jacke anzog, stand Mousse schon mal auf und lief natürlich gleich gegen eine Mauer. Also nahm Taranee seine Hand und führte ihn zum Ausgang. „Danke“, murmelte er verlegen. Vor der Tür blieben sie stehen und eine peinliche Stille entstand. Keiner der beiden wusste so genau, was er sagen sollte. Irgendwann fragte Mousse: „Wann zurück nach Hause?“ „Morgen“, antwortete Taranee. „Wir werden uns nicht .... wieder treffen“, stellte er fest und sah zu Boden. „Nein“, sagte Taranee. „Es wahr sehr nett mit dir.“ Mousse zögerte einen Moment, dann fragte er: „Dich zurückbringen?“ „Okay“, sagte Taranee lächelnd. Damit er nicht wieder mit irgendwem zusammenstieß, nahm sie erneut seine Hand und sie schlenderten los. Als sie fast bei dem Hochhaus, in dem die Lins wohnten, angekommen waren, spürte Taranee einen Wassertropfen auf ihrer Hand. „Es fängt an zu regnen“, sagte sie. „Oh“, war das einzige, was Mousse dazu zu sagen hatte. Vor der Haustür angekommen ließ Taranee Mousses Hand los und drückte auf die Klingel. Sie blickte hoch und sah Hay-Lins grinsendes Gesicht hinter der Scheibe. Taranee warf einen Blick auf ihre Uhr und stellte fest, dass es erst ein Uhr war. „Kommst du noch mit rein?“, fragte sie und drehte ihren Kopf zu Mousse. Doch er war weg! Taranee blickte sich um. Die nächste Gasse, in der er hätte verschwinden können, war mindestens zwanzig Meter entfernt, sie hätte doch seine Schritte hören müssen! „Hey, Taranee!“, begrüßte Hay-Lin sie da. Als Taranee nicht antwortete, fragte sie: „Wo ist denn Mousse hin? War der nicht eben noch da?“ Taranee nickte langsam. „Was ist denn das für ne komische Ente?“, wollte Hay-Lin wissen und zeigte auf den Boden. Taranee sah ebenfalls hinab und entdeckte eine kleine dicke Ente, die auf dem Bürgersteig hockte. „Ist das Mousse?“, fragte Hay-Lin ihre Freundin. Taranee lachte. „Nein! Mousse ist schon gegangen.“ Sie hob die Ente hoch und streichelte sanft über ihre feuchten Federn. „Ist die echt?“, wollte Hay-Lin jetzt wissen. Taranee schüttelte den Kopf und sagte: „Ich glaube nicht. Aber jetzt lass und reingehen, sonst werden wir noch nass.“ Hay-Lin nickte und die beiden betraten das Haus. In der Wohnung angekommen suchte Taranee ihr Handtuch aus ihrer Tasche und trocknete die Ente damit ab. Danach streichelte sie sie erneut. Ihre Federn fühlten sich sehr echt an... Aber eine echte Ente würde sich wohl kaum einfach von jemandem mitnehmen lassen. Oder war sie vielleicht tot...? Nein, warum sollte eine tote Ente auf der Straße liegen? Bestimmt hatte ein Kind einfach seine Kuschelente verloren oder so... Obwohl Taranee selbst nicht wirklich überzeugt davon war, zwang sie sich, nicht weiter darüber nachzudenken. An diesem Tag unternahmen sie nichts besonderes mehr. Sie unterhielten sich ein wenig, aßen und tranken etwas und packten ihre Sachen für den Abflug am nächsten Tag zusammen. Taranee fand es ziemlich schade, dass die Reise nur so kurz gewesen war, aber sie hatte ihr sehr viel Spaß gemacht. Und, was das wichtigste war, sie hatte sie tatsächlich von der Angelegenheit mit Nigel abgelenkt, auch wenn sie sich vorher nicht so sicher gewesen war, ob das möglich war. Am nächsten Morgen standen sie schon um sieben Uhr auf, zogen sich schnell an, packten die letzten Sachen ein und verabschiedeten sich dann herzlich von Frau Lin senior, bevor ihr Mann sie zum Flughafen brachte. Gegen neun kamen sie dann dort an, ließen ihr Gepäck kontrollieren und begaben sich dann zu Terminal F, wo schon viele Chinesen warteten. Sie stellten sich dazu. Irgendwann konnten sie dann ihr Gepäck abgeben und, nachdem sie sich von Herrn Lin verabschiedet hatten, es sich im Warteraum gemütlich machen. Taranee, die von der ganzen Reise ziemlich ermüdet war, fielen schon bald die Augen zu. Doch eine Viertelstunde später begann plötzlich ihr Handy in ihrer Tasche zu vibrieren. Schnell zog sie es heraus. Auf dem Display blinkte ein kleines Briefchen. Sie wählte es an. Als sie sah, dass die SMS von Nigel war, wollte sie sie erst wieder schließen, doch dann siegte doch ihre Neugier. Hey Tara! Ich freu mich schon auf deine Rückkehr. Wegen Freitag: Uriah hatte mich erpresst, ich konnte nichts dafür. Ich komm nochmal vorbei. Taranee lächelte. Sie glaubte Nigel. Es war einfach zu unwahrscheinlich, dass er wieder auf die schiefe Bahn geraten war. Um halb elf wurden sie endlich ins Flugzeug gelassen. Dort verstauten sie ihr Handgepäck und setzten sich dann auf ihre Plätze, wo sie alle ziemlich schnell einschliefen. Nach langen sieben Stunden Flug landeten sie endlich auf dem hell erleuchteten Flughafen New Yorks. Hier war es erst vier Uhr morgens des Tages, an dem sie um zehn Uhr losgeflogen waren. Taranee empfand diese Vorstellung als sehr verwirrend. Die vier verließen das Flugzeug, ließen ihre Ausweise kontrollieren, bekamen ihr Gepäck wieder und kamen dann schließlich in die große Eingangshalle des Gebäudes. Sie gingen zum Parkhaus und machten sich, nachdem sie ihr Auto wiedergefunden hatten, gleich auf den Weg zurück nach Heatherfield. Diesmal war im Gegensatz zur Hinfahrt am Montag nur sehr wenig Verkehr, deshalb kamen sie schon um zwanzig nach fünf beim Hause der Cooks an. Dort verabschiedete Taranee sich von den anderen, bedankte sich noch einmal, dass sie mitfahren durfte und schleifte schließlich ihre Taschen zum Hauseingang. Nachdem sie ihren Schlüssel hervorgekramt hatte öffnete sie die Tür und betrat das Haus. Auf der Treppe, die zu den Schlafzimmern führte, stand schon ihre Mutter im hellblauen Morgenmantel und begrüßte sie kurz. Nachdem Taranee ihr fröhlich einen guten Morgen gewünscht hatte, schlurfte sie mürrisch in ihr Zimmer zurück. Sie schien ziemlich müde zu sein. Taranee hingegen war topfit. Sie brachte ihre Sachen in ihr Zimmer und setzte sich dann dort an ihren Computer. Sie beantwortete ein paar E-Mails, trieb sich in diversen Chatrooms herum und schaute sich interessante Artikel auf ihrer Lieblings-Mathematikwebsite an, doch irgendwie konnte sie sich auf nichts wirklich konzentrieren. Sie musste die ganze Zeit an Nigel denken. Er hatte geschrieben, er würde vorbeikommen, aber wie oder wann wollte er das machen? Ihre Eltern würden ihr bestimmt nicht erlauben, ihn zu treffen. Doch ihr Gedankengang wurde unterbrochen, als etwas gegen die Fensterscheibe schlug. Sie sprang auf, lief zum Fenster und sah hinaus. Unten im dunklen Garten stand grinsend Nigel mit ein paar kleinen Steinen in der Hand. Schnell riss Taranee das Fenster auf. „Darf ich hochkommen?“, fragte er. Sie nickte nur verwirrt. Er kletterte geschickt die Hausfassade herauf und schlüpfte in ihr Zimmer. „Was machst du hier?“, fragte Taranee endlich, nachdem sie das Fenster geschlossen hatte. „Ich hab dich vermisst“, erklärte er. „Und ich glaube, ich muss dir noch was erklären.“ „Ja, ich glaube auch“, sagte sie. „Weißt du ... Uriah hat mich erpresst. Er hat gesagt, er würde dir etwas antun, wenn ich nicht mitkäme. Und da hatte ich natürlich keine Wahl.“ Taranee fiel ihm um den Hals. „Ist schon in Ordnung, Nigel. Ich verzeihe dir.“ „Danke, Taranee“, sagte er und fuhr durch ihr Haar. Die beiden setzten sich auf das Bett, auf das Taranee schon die dicke Ente gelegt hatte, die sie gefunden hatte. „Wo hast du die denn her?“, fragte er und nahm sie in die Hand. „Hab ich gefunden“, erklärte sie. „Sie fühlt sich ziemlich echt an, oder nicht?“ „Jaah, du hast recht. Aber wenn sie echt wäre, würde sie sich doch bewegen, oder?“ „Stimmt“ Nigel legte die Ente zurück und stellte die Tasche auf den Boden, die er dabei hatte. „Was ist da drin?“, fragte Taranee neugierig. Nigel zog eine kleine Thermoskanne und zwei Tassen heraus, die er auf den Boden stellte. „Tee“, verkündete er strahlend. „Ich dachte mir, dann musst du dich nicht so umgewöhnen.“ Taranee grinste. „Ich war doch nur ne Woche weg!“ Während er die Thermoskanne aufschraubte und in beide Tassen etwas von dem Tee goss, sagte er: „Ja eben. Viel zu lange.“ „Nigel, das ist so lieb von dir!“, stieß sie aus und küsste ihn ohne zu überlegen auf den Mund, wobei sie die Ente vom Bett stieß. Unglücklicherweise landete sie mit dem Hinterteil direkt in einer der beiden Tassen. Urplötzlich war die Ente verschwunden und Mousse rollte in seinem langen weißen Gewand über den Boden, wobei er sich mit beiden Händen an seinen Hintern fasste. Nigel und Taranee stießen gleichzeitig einen kurzen Laut aus, doch dann fiel ihnen ein, dass Taranees Eltern sie nicht hören durften und verstummten. „Die ... die Ente hat sich doch nicht etwa gerade in diesen Typen verwandelt, oder?“, fragte Nigel, der stark an seinem Verstand zu zweifeln schien. „Doch“, sagte Taranee und fasste sich mit der Hand an den Kopf. „Ich glaube schon.“ Kapitel 23: Takao und Doremi - Kannst du mein BitBeast heilen? -------------------------------------------------------------- Von Dieses Pairing basiert auf einem Vorschlag unserer Leserin DatRandy-chan. Sie hatte uns mehrere Vorschläge geschickt, von denen wir denjenigen ausgewählt haben, der uns am meisten gefiel und der eine interessante Story versprach. Wenn man sich die Story so anguckt, müsste Doremi hier noch sehr jung sein (8 Jahre), da sie im Magic-Shop arbeitet, das passt dann vielleicht nicht ganz so zu Takao der etwa 13 sein dürfte, aber es geht doch, oder? ... Wundert euch übrigens nicht über Aikos komische Art zu reden, da sie im Original den Osaka-Dialekt spricht habe ich ihr in meiner Fanfic auch einen leichten (schwäbischen?) Akzent verpasst. Mit Rika ist Majorka gemeint, die meines Wissens nach im Japanischen so heißt (genauer gesagt: Majo Rika, aber Majo bedeutet nichts weiter als „Hexe“). Nun ja, lasst euch von den Namen nicht stören und genießt diese Love-Story, die irgendwie mehr zu einem Freundschaftsdrama um die drei Hexenschülerinnen geworden ist ^^` Haut mich nicht, die Storyline kommt von Ditsch! (lahme Ausrede...) Okay, genug gelabert, bildet euch einfach selbst ein Urteil und lest: Kannst du mein BitBeast heilen? „Voll fad heute, wa?“, sagte Aiko gelangweilt und knetete mit der linken Hand ziellos in ihrer blassblauen Magic-Knete herum. Hazuki meinte leise: „So schlimm ist es doch gar nicht...“ „Hört auf zu labern und macht eure Arbeit!“, fauchte Majo Rika, der kleine grüne Hexenfrosch, sie giftig an. „Ich hab auch keine Lust!“, jammerte Doremi und klatschte einen unförmigen Kloß ihrer Knete auf die Unterlage. „Könne wa nicht Fernseh schaue oder so?“, fragte Aiko, mit dem Kopf gelangweilt auf die rechte Hand gestützt. „Wir haben keinen Fernseher hier“, erinnerte Hazuki sie ruhig und formte aus ihrer orangenen Knete eine Kugel. „Was wird das?“, fragte Doremi neugierig und beugte sich zu ihr herüber. Ihre eigene Knete ließ sie unbeachtet liegen. „Ein Eichhörnchen...“, sagte Hazuki ohne den Blick zu heben und drückte mit dem Daumen die Kugel etwas zurecht. „Aber ich weiß nicht so genau... was für Ohren haben Eichhörnchen nochmal?“ „Gut, dann zauber ich halt eenen“, beschloss Aiko auf einmal und erhob sich. „Mach keinen Unsinn“, warnte Rika sie mit heruntergezogenen Augenbrauen. „Wa, ich doch nicht“, erwiderte sie grinsend und zog ihr Hexentap aus der Brusttasche ihrer blauen Latzhose. Sie drückte vier der acht bunten Knöpfe darauf und bei jedem ertönte ein kurzer Ton, dann sprang ihr das Schmuckstück aus der Hand und um es herum erschien das himmelblaue Hexendress Aikos. Sie zog es sich über den Kopf und stülpte sich den spitzen Hut über, woraufhin auch sofort ihre Handschuhe und Stiefel erschienen. Mit dem Druck auf vier andere Knöpfe des Taps schoss ihr Krakordeon mit den magischen Kugeln, Magic Balls darin hervor. Sie packte es und sagte schnell ihren Zauberspruch auf: „Pamekilak, Lalori, Palou! Fernseher erscheine!“ In einem Wirbel von Nebel plumpste ein einfacher schwarzer Fernseher mitten auf den Arbeitstisch der drei Hexenschülerinnen und begrub Aikos Knetmasse unter sich. „Jaah, Fernsehen!“, rief Doremi begeistert und rannte um den halben Tisch, um sich auf einen Stuhl direkt vor dem Bildschirm fallen zu lassen. Sie schnappte sich die Fernbedienung, die direkt neben dem Gerät gelandet war und schaltete an, während Aiko sich erwartungsvoll neben sie setzte und Hazuki hinter dem Schirm etwas verzweifelt aufseufzte, während sie nach einem Holzspachtel griff um besser an ihrem Eichhörnchen modellieren zu können. Der Bildschirm blitzte auf und dann erschien das Bild eines jungen Mädchens, das inmitten von Schnee am Boden lag und leise wimmerte: „Es tut so weh, es tut so weh! Ich bin doch erst 14...“. „Das ist nichts für Kinder wie euch!“, sagte Rika sofort und machte einen Satz auf die Fernbedienung zu. Doremi wich geschickt aus, so dass der kleine grüne Klops über das Geländer der Galerie flog und mit lautem Poltern irgendwo unten im Magic Shop verschwand. Lala, die winzige Elfe flog ihr sofort besorgt hinterher. „Schalt weeter“, sagte Aiko nun, „des ist fad.“ „Hast recht.“ Doremi schaltete um und der wirbelnde Schnee würde zu einer weiten Wüste, durch das eine junge Frau torkelte. „Wo... ist... mein... Zimmer...?“, fragte sie verzweifelt. „Werbung“, kommentierte Aiko gelangweilt und Doremi schaltete weiter. „Pikachu, Donnerschockattacke, los!“, brüllte ein junger Mann mit Käppi und riss seinen Zeigefinger demonstrativ nach vorne. „Och nee, Kleinkinderkram...“, sagte Aiko, schnappte sich die Fernbedienung von Doremi und schaltete weiter. „Warte, das wollte ich gerne...“, begann Doremi, doch dann verstummte sie jäh. Auf dem Bildschirm war ein Junge erschienen, vielleicht 14 oder 15 Jahre alt, schwarze wuschelige Haare die er zu einem Zopf zusammengebunden hatte und die ihm vorne in die Stirn hingen, eine rot-blaue Schirmmütze und ein breites Lächeln auf den Lippen. „Hier haben wir den neuen Weltmeister im Beybladen: Kinomiya Takao!“, brüllte die Stimme eines Ansagers aus den Lautsprechern des kleinen Fernsehgeräts. Die Kamera schwenkte einmal weit über eine Arena, die aussah wie ein großer Vulkankrater, und kehrte dann zurück zu dem Jungen, der auf einer reichlich dekorierten Bühne den rechten Arm in mit dem Siegeszeichen in die Höhe streckte und breit grinste. „Ist der süß!!“, schrien Aiko und Doremi nach einem Augenblick der Stille vollkommen synchron. „Was, wer?“, fragte Hazuki, ließ den noch nicht sehr weit gediegenen Eichhörnchenkopf beiseite und kam zu ihnen gelaufen. Die Kamera zoomte gerade noch näher an den Jungen, und ein Reporter hielt ihm ein Mikrofon unter die Nase. „Was, den findet ihr süß?“, fragte Hazuki ungläubig. Doremi funkelte sie kurz böse an. „Natürlich! Leidest du unter Geschmacksverirrung?“ Dann drehte sie sich sofort wieder zum Fernseher, um ja nichts zu verpassen. „Was denkst du über deinen Sieg hier?“, fragte der Reporter. Takao kratzte sich kurz an der Nase und verkündete dann großspurig: „Ich konnte nicht verlieren, ich bin einfach der Beste!“ „Waah, wie cool!“, kreischten Doremi und Aiko im Gleichklang. „Wie überheblich“, murmelte Hazuki zu sich selbst und machte sich wieder auf den Weg zu ihrem Arbeitsplatz. Der Reporter stellte sogleich seine nächste Frage: „Gibt es irgendwen, dem du jetzt in diesem Augenblick danken möchtest?“ Bevor Takao die Gelegenheit hatte zu antworten, löste sich der Fernseher mit einem hohlen Ploppen in Luft auf. „Was ist jetzt los?“, fragte Doremi und starrte auf die Stelle wo jetzt nur noch die ziemlich plattgedrückte Knete von Aiko zu sehen war. „Während der Arbeit wird nicht ferngesehen!“, schimpfte Rika, die die Treppe wieder heraufgehüpft kam und eine kleine Beule am Kopf aufwies. „Los, macht gefälligst weiter!“ „Jaa“, sagten die beiden Mädchen widerwillig. Am nächsten Tag waren Hazuki und Doremi allein im Magic Shop, da Aikos Vater überraschend einen Tag freibekommen und sie nach der Schule direkt zum Essen mitgenommen hatte. So saßen die beiden nur zu zweit an dem kleinen Tisch auf der Galerie und formten Talismane aus der Magic-Knete. Doremi starrte versonnen auf das, was in ihrer Hand nur zögerlich Gestalt annehmen wollte und momentan aussah wie ein plattgedrücktes Osterei, während Hazuki neben ihrer Arbeitsplatte schon vier kleine Figuren kreiert hatte. „Was machst du da?“, fragte Hazuki und legte ihre gerade fertig gewordene Katze zu den anderen Tieren, unter denen sich auch das Eichhörnchen vom Vortag befand. Doremi drehte die Scheibe in ihrer Hand und blickte dann mit halbgeschlossenen Augen aus dem kleinen runden Holzfenster, das nur einen knappen Blick auf den Himmel gewährte. „Das soll ein Herz werden, aber ich bekomme es einfach nicht hin...“, murmelte sie mit einem traurigen Unterton. Hazuki runzelte die Stirn und zog eine neue Portion Knete aus ihrem Vorrat, um ein weiteres Tier anzufangen. „Für wen soll das Herz sein?“, fragte sie nüchtern. „Für wen wohl! Ich habe heute Nacht nur von ihm geträumt...“, seufzte Doremi. „Du meinst...“, begann Hazuki, sprang dann jedoch auf als die Türglocke ertönte und stürzte ans Geländer. „Ist hier jemand?“, fragte der neue Kunde, der Stimme nach ein Junge. Doremi sprang geschäftstüchtig auf und rannte die Treppe hinunter, während Hazuki am Geländer etwas erschrocken wirkte und sich keinen Millimeter bewegte. „Herzlich willkommen!“, rief Doremi noch im Rennen und hob dann den Kopf, um sofort einen Schritt zurückzuweichen. Ihr Herz begann wie wild Blut in ihren Körper zu pumpen, als sie erkannte, wer da gerade hereingekommen war. Denn der Junge, der sich gerade über den Ausstellungstisch in der Mitte des Raumes gebeugt hatte und interessiert ein paar von Hazuki angefertigte Talismane in den Formen verschiedener Blumen betrachtete, war niemand anderes als Kinomiya Takao. „Oh, Entschuldigung“, sagte er und hob den Kopf, „arbeitest du hier?“ „J- ja, ei- eigentlich schon. Ich... eh... ich... was kann ich... für dich tun?“ Sie verbeugte sich tief und länger als nötig, um ihren rasenden Herzschlag und die tiefe Röte in ihrem Gesicht wieder einigermaßen unter Kontrolle zu bekommen, dann kam sie zögernd zu ihm. „Du... bist doch... Kinomiya Takao, oder? Ich hab dich gestern im Fernsehen gesehen!“, sagte sie und vergrub ihre Finger im Saum ihres violetten T-Shirts. „Echt? Wie fandest du mich?“, fragte er sofort wissbegierig. „Einfach klasse“, erwiderte Doremi mit einem roten Schimmer auf den Wangen. „Waah, cool! Danke! Ich wusste gar nicht, dass Mädchen wie du sich für Beybladen interessieren!“, grinste er breit und klopfte ihr auf die Schulter. „Doch, ich find das ganz toll!“, beeilte sich Doremi mit gesenktem Kopf zu sagen.“ Sie machte einen Schritt zurück und atmete tief ein. Was sollte sie jetzt tun? „Können wir dir irgendwie helfen?“, fragte da Hazuki vom Fuß der Treppe aus und verbeugte sich mit einem freundlichen Lächeln. Doremi zuckte zusammen als ihr einfiel, dass nicht nur ihre Freundin sondern auch noch Rika und Lala sich oben befanden und vermutlich die ganze Szene mit angesehen hatten. „Na ja, eigentlich wollte ich fragen, ob ihr hier was für meinen Dragoon tun könnt“, sagte Takao sofort auf Hazukis Anfrage und griff in eine kleine blau-rote Tasche die an seinem Gürtel befestigt war. „Was ist ein Dragoon?“, fragte Doremi verwirrt und mit leicht roten Wangen, um sich wieder etwas ins Gespräch einzumischen. Takao hielt ihr entgegen, was er gerade aus der Tasche genommen hatte; es war ein ziemlich futuristisch aussehender Kreisel, der dem Aussehen nach aus Metall bestand und aus mehreren Lagen übereinandergebauter Ringe bestand, von denen jeder eine etwas andere Form hatte. Direkt in der Mitte prangte auf einer runden Metallplatte das Bild eines blauen Drachen. Doremi machte große Augen, während Hazuki neben sie wuselte und das Ding durch ihre Brillengläser hindurch eingehend betrachtete. „Das ist ein Dragoon?“, fragte Doremi. Takao zog den Kreisel wieder zurück und schüttelte leicht den Kopf. „Nein, das ist ein Beyblade, ich dachte du interessierst dich für Beybladen!“ „Na ja, ein bisschen... also was ist nun ein Dragoon?“ „Dragoon ist das hier, mein BitBeast“, erklärte er und deutete auf die Metallplatte mit dem Drachen darauf. „Was genau ist ein BitBeast?“, fragte Hazuki. Takao betrachtete den Kreisel einen Moment ratlos und sagte dann: „Na ja, ein BitBeast ist.. ein BitBeast halt. Ein starkes Monster, das dir im Kampf hilft. Aber irgendwas stimmt nicht mit Dragoon. Seit ich gestern gegen Tala gewonnen habe, kommt er nicht mehr raus, wenn ich ihn rufe. Er kann nicht weg sein, aber ich kann mir das einfach nicht erklären... Und da das hier ein Magic Shop ist, dacht ich, ihr kennt euch mit sowas vielleicht aus...“ „Klar tun wir das!“, sagte Doremi wie aus der Pistole geschossen und schnappte ihm den Kreisel aus der Hand. „Ich kümmere mich darum! Bin gleich wieder da!“, rief sie und verschwand in den hinteren Teil des Shops. „Krieg ihr das wirklich hin?“, fragte Takao mit etwas beängstigt klingender Stimme. „Keine Sorge, wir schaffen das schon“, sagte Hazuki, auch wenn sie selbst nicht wirklich überzeugt klang. Doremi schloss die Tür sofort hinter sich und zog dann ihr Tap aus der Hosentasche. Wenige Augenblicke später war sie in ihr quietschrosa Hexendress geschlüpft und hatte das Krakordeon erscheinen lassen. Sie legte den Kreisel auf die oberste Kiste eines Stapels von unförmigen Pappschachteln in denen sich wer-weiß-was verbergen mochte, und trat einen Schritt zurück. Dann hob sie ihr Krakordeon und sagte deutlich: „Pirikala Paporina Pekelatou Pepelatou! Dragoon, was ist mit dir los?“ Aus ihrem Krakordeon schoss ein glitzernder Zauber und legte sich um den Kreisel, im nächsten Augenblick erhob sich aus dessen Mitte die durchscheinende Gestalt eines langen blauen Drachen mit grauem Bauch und stechendem Blick. „Wer bist du und was willst du?“, fragte er mit tiefer, im Raum wiederhallender Stimme. Doremi schluckte ehrfürchtig und sagte dann: „Ich soll für Takao-kun herausfinden, warum du nicht mehr rauskommst, wenn er dich ruft. Er macht sich Sorgen.“ Der Drache schwieg einen Augenblick, und Doremi wich ängstlich ein Stück gegen einen der ziemlich alten Schränke hier im Lager zurück und klammerte sich an ihr Krakordeon. „Er braucht sich keine Sorgen zu machen. Mit mir ist alles in Ordnung“, erklärte Dragoon schließlich. „A- aber warum...“, stammelte Doremi verwirrt. Dragoon stieß ein kurzes Lachen aus und erklärte dann: „Takao-kun sollte nicht so naiv sein. Natürlich bin ich nach so einem harten Kampf erschöpft und muss mich ein wenig ausruhen.“ „Wie... wie lange denn?“, fragte Doremi und fasste etwas Mut angesichts des großen Drachen. Er schien ihr nichts tun zu wollen, also war es eigentlich unhöflich, sich so ängstlich zu zeigen. Sie trat einen Schritt nach vorn und sah ihn aufmerksam an. „Nun, vielleicht drei Tage“, sagte Dragoon, „Wenn du ihm das ausrichten würdest...“ Doremi nickte heftig und ihre beiden großen Haartollen wippten hin und her. „Natürlich, ich sage es ihm! Aber ich weiß etwas Besseres, ich werde dir gleich deine ganze Kraft zu--“ Sie wollte ihr Krakordeon heben, hielt jedoch erschrocken inne. Der Zauber, den sie ausgeführt hatte um mit Dragoon sprechen zu können, hatte sie ihre letzten Magic Balls gekostet, ohne die sie nicht zaubern konnte! „Ah, tut mir leid, Dragoon... eh, ich kann dich nicht wieder gesund machen. Aber ich werde Takao-kun sagen, dass du in Ordnung bist, ja?“ „Danke“, sagte Dragoon und im nächsten Moment war die Erscheinung wieder in den Kreisel verschwunden. Doremi starrte ihn einen Augenblick etwas misstrauisch an, dann nickte sie und berührte ihr Tap, so dass sie sofort wieder ihre normale Kleidung trug. Mit dem Kreisel in der Hand kehrte sie zurück zu Takao und Hazuki, die neben dem Tisch mit den Talismanen standen. Hazuki erklärte Takao offenbar etwas, doch der Junge schien nicht richtig zuzuhören und hob ziemlich offensichtlich begeistert den Kopf, als Doremi wieder hereinkam. „Und? Hast du etwas herausgefunden?“, fragte er. Doremi hielt ihm schüchtern den Kreisel hin. Takao nahm ihn ihr aus der Hand. Ihre Finger berührten sich einen Augenblick, doch Doremi zog ihre sofort wieder zurück und schob sie hinter ihren Rücken. Ihr Herz klopfte und ließ ihre Wangen rot werden. „Also... ja, ich hab was rausgefunden. Dragoon hat gesagt... ich meine... also, ich habe herausgefunden, dass er ... dass Dragoon einfach von dem Kampf gestern erschöpft ist. In drei Tagen wird er sich wieder erholt haben.“ Takao musterte erst Doremi und dann seinen Kreisel, doch dann hellte sich seine Miene auf. „Das ist cool, danke! Ehm... ich weiß nicht einmal deinen Namen...“ „Doremi“, erklärte das Mädchen mit einem glücklichen Lächeln. „Freut mich, dass ich dir helfen konnte!“ „Ja... ehm... nur... also...“ Takao steckte den Kreisel wieder in die Tasche an seinem Gürtel und kratzte sich verlegen am Kinn. „Nun, um ehrlich zu sein... habe ich überhaupt kein Geld, um euch dafür zu bezahlen oder so... Ehm, na ja, du warst halt so schnell weg, da...“ Doremi senkte den Kopf und wippte mit ihrem rechten Fuß auf und ab, meinte dann aber: „Das ist schon okay... Du bist schließlich Weltmeister im... Bai... ehm... nein, wie ...“ „Beybladen“, half Takao ihr irritiert weiter, „das meinst du doch. Hast du nicht vorhin gesagt, dass du das toll findest?“ „Na ja“ Doremis Gesicht nahm eine ähnliche Färbung wie ihre Haare an und ihr Fuß wippte etwas schneller. „Nun, also, eigentlich habe ich keine Ahnung von... Bey- Bey—Beybleiden...“ „Beybladen“, sagte er und als sie, irritiert durch seinen aufmunternden Ton aufsah, grinste er. „Wenn du möchtest, kann ich es dir beibringen. Auch als Anerkennung für deine Dienste an Dragoon...“ Doremi schnappte nach Luft. „Ja, ja, gerne, wirklich!“, stammelte sie und musste sich mit aller Kraft zurückhalten, um nicht wie wild durch den Raum zu hüpfen. Stattdessen hibbelte sie im Stand auf und ab und sah ihn erwartungsvoll an. „Ja, dann, wie wäre es mit Sonntag? Wir könnten uns im Nakanishi-Park treffen. Ist zwei Uhr okay?“ „Ja, vollkommen!“ Takao ballte kurz seine Hand zur Faust und drehte sich dann zur Tür. „Das ist cool. Bis dann!“, rief er und verschwand. Die schwere Eichenholztür knallte hinter ihm ins Schloss und ließ eine überglückliche Doremi, eine etwas skeptisch dreinschauende Hazuki und eine über den Gratisdienst stinksaure Rika zurück. Als Hazuki am nächsten Morgen zur Schule kam, lehnte Aiko schon am halb offenen Fenster und schaute versonnen auf den Schulhof, wo immer mehr Jungen und Mädchen mit ihren roten und blauen Turnistern ankamen und auf den Eingang zustrebten. Nachdem Hazuki ihren roten Rucksack an einen Haken an ihrem Tisch gehängt hatte, näherte sie sich der Blauhaarigen. Aikos Blick wirkte verschwommen und sie selbst vollkommen in Gedanken versunken. Hazuki hob die Hand und wedelte ihr etwas vor der Nase herum, wodurch sie aufschreckte und sie ansah. „ Oh, Hazuki-chan, Morgen! Ich hab dich gar net bemerkt!“ „Du scheinst über irgendwas nachzudenken. Ist irgendwas passiert?“, fragte Hazuki besorgt, doch Aiko schüttelte sofort heftig den Kopf. „Nee, nee, alles in Ordnung. Ich hab nur grad an den süßen Kerl von vorgestern gedacht. Weest noch? Der Kinomiya...“ „Ja, ich erinnere mich. Der war gestern bei uns im Laden“, sagte Hazuki mit einem Lächeln. „Wa? Der war bei uns? Warum?“ „Sein BitBeast hatte einen Fehler oder so, deshalb hat er uns gebeten, es anzugucken.“ „Des ist alles?“ „Nein, nicht ganz. Er hat sich als Dankeschön mit Doremi verabredet.“ Aiko schwieg ein paar Sekunden um das Gesagte aufzunehmen, dann stieß sie auf einmal einen Schrei aus, der einen Vogel auf dem Baum neben dem Fenster erschrocken aufflattern ließ. „Sag des doch gleech!!“, fauchte sie ihre Freundin an, nachdem sie sich wieder etwas beruhigt hatte. Minori, die gerade die Klasse betreten hatte, warf ihr einen erschrockenen Blick zu und floh dann schnell wieder aus dem Raum, während Hazuki einen Schritt zurückwich und sich fragte, ob sie gerade einen Fehler gemacht hatte. „Wo? Wann? Wie? Sag mir alles, Hazuki-chan! Mist, und ich war nicht da gestern! So’n Dreck!“ „Also...“, murmelte Hazuki und legte ihrer Freundin eine Hand auf den Arm um sie zu beruhigen. „Bitte reg dich ab. Er will ihr nur diesen komischen Sport beibringen, in dem er Weltmeister geworden ist. Beybladen. Sie treffen sich am Sonntag um zwei im Nakanishi-Park.“ Aikos Augen blitzten. „Da werde ich auch komme!“, verkündete sie. „Eh, ich weiß nicht...“, murmelte Hazuki mit einem Blick zur Tür, wo jeden Augenblick jemand aus ihrer Klasse auftauchen konnte, zum Beispiel Doremi. Aber die Tür blieb zu und so fuhr sie fort: „Doremi-chan freut sich so darauf, mit ihm allein zu sein. Gönnst du ihr das etwa nicht?“ Aiko verzog eine Miene, verschränkte die Arme und signalisierte Hazuki so, dass sie nicht weiter darüber reden wollte. Die Braunhaarige gab auf und ging an ihren Platz zurück. Als Doremi kurz vor dem Stundenklingeln in die mittlerweile gut gefüllte Klasse kam, bemerkte sie sofort, dass Aiko sich ungewöhnlich benahm. Nachdem sie ihren Ranzen abgelegt hatte, fragte sie Hazuki nach einem schnell ausgetauschten Morgengruß: „Sag mal, was ist mit Aiko-chan los? Sie sieht wütend aus.“ „Na ja, sie macht dieses Gesicht, seit ich ihr erzählt habes dass du dich am Wochenende mit diesem Kinomiya triffst...“ Doremi machte einen buchstäblichen Satz nach hinten. „Du hast es ihr erzählt!?“, kreischte sie. Sämtliche Klassenkameraden drehten sich erschrocken zu ihr um, nur Aiko blieb seelenruhig und ohne sichtbare Reaktion neben dem Fenster stehen. „Mo- mo- moment“, stammelte Doremi leise und näherte sich Hazuki. Die meisten Schüler wendeten sich wieder ihren Privatgesprächen zu. „Bist du wahnsinnig? Du hast doch mitgekriegt, dass sie ihn auch mag! Damit versaust du mir noch mein schönes Date!“ „Aber sie hat ein Recht, die Wahrheit zu wissen“, erwiderte Hazuki und senkte dabei den Kopf in einem Winkel, der ihre Brillengläser komplett reflektieren ließ. „Das hättest du ihr auch nachher erzählen können! Wirklich, ich dachte wir sind Freunde!“, schnaubte Doremi. Hazuki schwieg. „Ich dachte, wir alle drei sind Freunde, die keine Geheimnisse voreinander haben“, sagte sie schließlich leise. Einen Augenblick standen sich die beiden Mädchen schweigend gegenüber, dann drehte sich Doremi abrupt um und marschierte zu ihrem Platz. Hazuki sah erst zu ihr und warf dann einen Blick zu Aiko, die Doremis Bewegungen mit einem gehässigen Blick folgte. Die Braunhaarige stieß ein leichtes Seufzen aus und ließ sich resignierend auf ihren Stuhl fallen. Eine Freundschaft zwischen drei Mädchen war schon nicht einfach! Der Nakanishi-Park lag knapp neben der Hauptstraße und war etwas höher gelegen als diese. Sonntagnachmittags kamen viele Familien hierher, um Fußball zu spielen, ihre Hund auszuführen oder sich in der Sandkiste zu vergnügen. Da es auf Sommer zuging, war die Luft warm und angenehm, vom nahen Meer kam eine sanfte Brise und wehte durch die Bäume, die an den Rändern der Gehwege gepflanzt waren. Kurz nach Mittag war noch nicht all zu viel los, nur auf der großen Wiese kickten drei Jungen einen Ball hin und her und eine alte, gebeugt gehende Frau schlurfte ihrem Dackel nach. Doremi kam die Treppe, die von der Hauptstraße in den Park hinaufführte, hinaufgehüpft und summte dabei leise eine lustige Melodie vor sich hin. Was gab es Schöneres an einem sonnigen Sonntagnachmittag im April nach einem langen, ungestörten Schlaf und einem ausführlichen Frühstück losziehen zu können, um die Liebe seines Lebens zu treffen? Sobald sie mit einem Sprung die letzten Beiden Treppenstufen überwunden hatte und dabei fast umgeknickt wäre, sah sich Doremi neugierig um. Im Moment schien Takao noch nicht da zu sein. Die große Uhr am Rand der Grasfläche zeigte auch erst zehn vor zwei, also beschloss Doremi ein wenig herumzuschlendern. Die Jungs mit ihrem Fußball waren gerade dazu übergegangen, sich gegenseitig den Ball so zuzuwerfen, dass sie Kopfbälle machen konnten und schrien herum, wenn einer nicht getroffen hatte. Doremi schnupperte in der von Frühling erfüllten warmen Luft und blieb einen Augenblick mit geschlossenen Augen stehen. „He, du da, Achtung!“ Doremi wusste nicht, wer mit ‚He, du da’ gemeint war, aber sie hob den Kopf und blickte in die Richtung aus der der Schrei gekommen war. Im nächsten Augenblick wurde sie von einer schwarzen Wand erschlagen. „Ich hab dich gewarnt!“, rief eine Stimme. Etwas plumpste vor Doremis Füße. Sie blinzelte und merkte, dass alles irgendwie verschwommen war, aber sie konnte einen Fußball vor sich ausmachen. Ihr ganzes Gesicht fühlte sich merkwürdig taub an. Sie taumelte ein paar Schritte nach hinten. „He, alles klar?“, rief jemand und sie hörte das Geräusch von mindestens zwei paar Füßen sich nähern. Jemand berührte sie an der Schulter und fragte noch einmal: „Alles klar?“ Doremi wollte nicken, doch in dem Augenblick verschwand die Taubheit und ein höllischer Schmerz breitete sich über ihr ganzes Gesicht aus. „Aaah!“ Sie schrie auf und Tränen schossen ihr in die Augen. Unter den entgeisterten Blicken der drei Jungen knapp über dem Kindergartenalter begann sie schrecklich zu heulen und zu jammern. „Auauauauauauauauauau, es tut so weeeeeh, es tut so weeeeh, auaaaaa!“ Mit den Händen auf ihr schmerzendes Gesicht gepresst hockte Doremi mehrere Minuten einfach nur so da und jammerte zum Steinerweichen. Außer den drei ratlos stehenden Jungs, von denen einer den für ihn bestimmten Ball aus einem ungünstigen Winkel erwischt und ihn genau Doremi ins Gesicht geköpft hatte, war niemand mehr im Park, der ihnen helfen könnte. „Mensch, jetzt heul doch nicht, das war doch nur ein Ball!“, sagte der älteste der drei und stemmte die Arme in die Hüften. „Du hast doch keine Ahnung wie weh das tut!“, fauchte Doremi unter Schmerzen. „Klar hab ich das. Was meinst du, wie oft ich schonmal einen Ball in die Fresse gekriegt hab. Aber ihr Mädchen macht da immer so ein Theater draus“, sagte der Junge angeberisch. Doremi wollte etwas erwidern, doch ein beißender Schmerz der sich von ihrer Nase her ausbreitete, ließ sie zusammenzucken. Vorsichtig befühlte sie ihr Riechorgan. Die Berührungen der Finger spürte sie nur seltsam undeutlich, wie durch Watte, aber immerhin schien der Knochen noch ganz zu sein. „He, was ist denn hier los?“, fragte jetzt doch jemand, der gerade in den Park gekommen war. Der Junge mit dem grünen T-Shirt sah auf und erklärte: „Sie hat Hiro-kuns Kopfball gegen das Gesicht gekriegt und jammert jetzt schon eine halbe Ewigkeit!“ Doremi merkte, wie jemand neben ihr in die Hocke ging. „He, alles klar, Doremi-san?“ Verwirrt und mit Tränen in den Augen sah sie zur Seite und genau in das Gesicht von Takao Kinomiya. Mit einem panischen Kreischen sprang sie auf, drei Schritte rückwärts, und drehte sich eilig von ihm weg. Nein! Nein! Neinneinneinneinnein! Warum musste ausgerechnet er sie in diesem Zustand sehen! Ihr ganzes Gesicht fühlte sich mittlerweile komplett geschwollen an und in ihren Augen standen Tränen. „Geht ihr mal wieder Fußball spielen, ich mach das schon“, hörte sie Takao zu den Jungen sagen und dann näherte er sich ihr von hinten. „He, bist du in Ordnung? Sag was. Irgendwas gebrochen?“ „Ne- nein, ich glaube nicht, es tut nur weh“, stammelte Doremi. Sie hatte das Gefühl, dass es zu viel für sie war. Erst dieser Schock, einen Fußball mit voller Wucht gegen den Kopf zu bekommen, und dann musste Takao auch noch im denkbar ungünstigsten Moment auftauchen! Warum hatte er sich nicht verspäten können!? „Du solltest dich erstmal irgendwo hinsetzen“, sagte Takao, legte ihr einen Arm um die Schulter und dirigierte sie zu einer Holzbank, auf die sie sich setzte. Dann schlug sie die Hände vor ihr Gesicht und jammerte leise. Takao setzte sich neben sie. „Das fängt ja gut an. Aber dadurch kann es nur noch besser werden, stimmt's?“ Doremi nickte verhalten und tastete noch einmal über ihre Wangen. Dem nach zu urteilen, was ihr ihr Tastsinn sagte, war ihr Gesicht wie immer, doch die Haut prickelte und fühlte sich immer noch doppelt so dick an wir normal. Eine ganze Weile saßen sie einfach nur stumm da, Takao starrte mit abwesendem Blick auf die Jungen, die sich jetzt offenbar nicht mehr trauten, nochmal mit Kopfbällen anzufangen und den Ball in einer Art „Schweinchen-in-der-Mitte“ Spiel hin- und herkickten. Langsam kamen auch mehr Leute in den Park, eine junge Frau mit drei Hunden an einer Leine, die alle in verschiedene Richtungen zogen, ein Familienvater mit seinen zwei Kindern, die eine Art Badminton-Spiel begannen und ein junges Pärchen, das einen blauen Kinderwagen vor sich herschob.. Bis Doremi schließlich sagte: „Ich glaube, es geht wieder“, waren gut zehn Minuten vergangen. Takao drehte sich zu ihr um. Doremi versuchte ein schwaches Lächeln. Ihr Gesicht war um die Nase herum immer noch leicht gerötet, aber sie sah schon fast wieder normal aus und die Tränen hatte sie auch weggewischt. „Bringst du mir jetzt Baibleiden bei?“ Takao grinste prompt und sprang von der Bank. „Beybladen heißt das. Aber klar! Komm mit!“ Er zeigte ihr etwas abseits von den gekiesten Wegen eine kleine Ecke, die an den meisten Stellen von Sträuchern umgeben war. Eine Holzbank ohne Lehne rottete hier vor sich hin und daneben ruhte eine halb in den Boden eingelassene Wanne aus einem undefinierbaren Material, wahrscheinlich Kunststoff. „Das ist ein Bey-Stadium“, erklärte Takao stolz. „Hier werden die Beyblades drin gestartet.“ „Aha...“, murmelte Doremi und bemühte sich ein Gesicht zu machen, als habe sie das gerade verstanden. „Warte, ich zeig’s dir einfach“, beschloss Takao, der offenbar gemerkt hatte, dass Worte nicht viel helfen würden, und zog aus der Tasche an seinem Gürtel drei Geräte hervor. Eines war der Beyblade mit dem Dragoon, den Doremi schon kannte, und dann hatte er noch ein Gerät aus Plastik, das am ehesten wie der Griff von irgendwas aussah und eine an einer Seite mit Zacken versehene Plastikleine mit einer Öse am Ende. „Das ist ein Beyblade“, sagte Takao und hielt ihr den Kreisel hin. Doremi wollte ihn gerade etwas genauer betrachten, als Takao den Kopf hob. „Was war das?“ „Was war was?“ „Da hat irgendwas ‚klick’ gemacht.“ „Ich hab nichts gehört.“ Takao sah sich misstrauisch um, schüttelte dann aber den Kopf und wendete sich wieder der Erklärung zu. „Das hier ist ein Starter“, sagte er und zeigte Doremi den Griff. „Man spannt den Blade hier ein, siehst du?“ Er steckte den Kreisel auf zwei offenbar dafür vorgesehene Halter, die aus der Spitze des Griffes ragten und aussahen, als könne man sie drehen. „Und das hier ist...“, begann Takao, als er wieder den Kopf hob. Diesmal hatte Doremi es auch gehört: irgendwo in unmittelbarer Nähe war ein Klicken ertönt, wie man es aus Filmen vom Entsichern einer Pistole kannte. Oder aber... „Fotografiert uns da etwa jemand?“, fragte Takao. Doremi runzelte die Stirn. „Wer sollte sowas tun?“, fragte sie vorsichtig. Er sah sich noch einmal aufmerksam um, aber da er nichts entdeckte und keine erneuten Geräusche zu hören waren, wendete er sich wieder Doremi zu und zeigte ihr das dritte Instrument, die Plastikleine. „Das ist die Rip-Leine. Wenn man sie in den Starter steckt, etwa so“, er fädelte die Leine durch ein dafür vorgesehenes Loch ein, „kann man den Blade damit bewegen.“ Er zog ein wenig an der Leine und tatsächlich drehte sich der Kreisel ein bisschen. Doremi betrachtete die Einrichtung fasziniert. „Cool“, murmelte sie. In dem Moment ertönte wieder dieses Klicken. Doremi hob den Kopf und sah sich erschrocken um, doch Takao beachtete es diesmal gar nicht sondern trat an den Rand der Wanne. „Okay, jetzt zeige ich dir, wie man einen Beyblade benutzt!“, rief er. Doremi nickte begeistert und eilte sofort ganz dicht neben ihn, um ja nichts zu verpassen. „Du solltest nicht zu nah ran gehen, das könnte gefährlich werden“, warte er vor, also machte sie enttäuscht wieder einen Schritt zurück. Takao streckte den Arm mit dem Starter so weit nach vorne, dass der Kreisel über der Wanne hing und packte die Öse am Ende der Reißleine. Dann begann er den Countdown. „3-2-1- Let it rip!“ Mit voller Wucht riss er die Leine los und der Kreisel landete, sich in einem irrwitzigen Tempo drehend, in der Wanne. „Los, Dragoon!“, rief Takao. Doremi schrie auf, als der Kreisel über den Rand der Wanne hinwegschoss und im Gebüsch landete. Gleichzeitig ertönte ein weiteres Kreischen von genau jener Stelle her. Takao hob den Arm und der Kreisel schoss zwischen den Blättern hervor zurück in seine Hand, wo er zum sofortigen Stillstand kam. „Wusste ich doch, dass da jemand ist! Los, komm raus!“, rief Takao. Die Zweige bewegten sich zögernd und dann streckte jemand seinen mit Blättern und Zweigen versehenen Kopf hinaus. „Aiko-chan!“, rief Doremi erschrocken. Takao wechselte einen Blick zwischen den beiden Mädchen, dann sprang Aiko panisch auf und rannte ohne eine Erklärung davon. Die Kamera baumelte an einem Band in ihrer rechten Hand. Takao und Doremi blieben einen Augenblick wie gefroren stehen, dann meinte Takao so plötzlich, dass Doremi mehrere Schritte zurückwich und dabei gegen die Bank stolperte, auf die sie dabei zum Sitzen kam: „So ist das also!“ „Wa- was?“, fragte sie erschrocken. „Ihr steckt unter einer Decke, hab ich recht?“, sagte er hart, während er seine Beybladesachen wieder in der kleinen Tasche an seinem Gürtel verstaute. „Was meinst du?“ „Du hast ihr gesagt, dass du mit mir verabredet bist, damit sie Fotos von uns machen kann. Klar, Fotos von mir kann man bestimmt teuer verkaufen!“, sagte er und lachte bitter auf. Doremi hob hilflos die Hände. „Nein, das...“ „Und ich Idiot hab gedacht du freust dich so, weil du mich cool findest oder sowas, dabei hast du nur gedacht, dass du irgendwie davon profitieren musst, dass eine Berühmtheit in deinen komischen Laden kommt, stimmt’s?“ „Nein, das stimmt nicht! Das ist ganz anders! Aiko und ich haben...“, setzte Doremi verzweifelt an, doch Takao warf ihr einen so finsteren Blick zu, dass sie abrupt verstummte. „Viel Spaß mit den Fotos, aber erwarte nicht, dass ich mich nochmal zu sowas überreden lasse!“, sagte er und bevor Doremi noch irgendwas sagen konnte, war er aus dem Gebüsch gestürmt und ließ sie zurück. Schon zum zweiten mal innerhalb einer halben Stunde begann sie verzweifelt zu schluchzen. Doremi hatte sich, nachdem sie am Sonntag wieder nach Hause gekommen war, erst einmal in ihr Zimmer verkrochen und den ganzen Nachmittag geheult. Ihre Mutter hatte das schon ziemlich beunruhigt, schließlich war es nicht so ganz die Art ihrer Tochter, sich stundenlang über eine Sache Gedanken zu machen. Immerhin hatte sie sie mit Steak zum Abendessen etwas aufmuntern können und Doremi dazu bewegt, sich zumindest am Telefon mit ihrer Freundin Hazuki auszusprechen, aber sie hatte es am Montag trotzdem nicht geschafft, sie dazu zu bringen, in die Schule zu gehen. „Ich will die dumme Aiko nie wieder sehen! Ich gehe nicht zur Schule bis sie abhaut!“, hatte Doremi geschrien und sich strikt geweigert. Schließlich hatte Frau Harukaze ihr erlaubt, zumindest einen Tag Pause zu machen, in der Hoffnung, dass sie danach wieder auf ihre normale emotionale Höhe kommen würde. Den ganzen Montagvormittag hatte Doremi geschlafen, war dann mittags heruntergekommen um sich ein einfaches Frühstück zu holen und hatte sich dann vor den hauseigenen Fernseher gehockt und ziellos eine Stunde lang die Kanäle durchgezappt, bis ihre Mutter ihr die Fernbedienung aus der Hand gerissen und sie gefragt hatte, was los sei. Doremi war nicht willens gewesen, eine vernünftige Erklärung abzugeben und wieder nach oben gegangen, wo sie sich in ihre Bettdecke gewickelt und einfach nur geschwiegen hatte. Doremi hatte zu gar nichts mehr Lust. Sie wollte nicht zur Schule gehen und auch nicht in den Magic Shop. Sie wollte einfach nur, dass Takao nochmal wiederkam und sie ihm die ganze Sache erklären konnte. Es war alles nur Aikos Schuld! Sollte die doch einfach wieder nach Osaka verschwinden, wo sie herkam! Ein Klopfen riss sie aus diesen gehässigen Gedanken. Sie fuhr aus der rosa Decke hoch und entdeckte nach kurzem Umsehen, dass vor ihrem Zimmerfenster im ersten Stock Aiko auf ihrem Besen saß und mit der Hand gegen die Scheibe klopfte. „Doremi-chan, ich muss mit dir rede! Mach des Fenster auf!“, rief sie. Doremi überlegte kurz, schob dann aber wortlos das Fenster auf, ließ Aiko auf ihrem Besen hereinkommen und auf dem Teppich landen. „He, alles in Ordnung mit dir? Du schaust nicht grade munter aus“, bemerkte Aiko besorgt. „Was willst du hier?“, fragte Doremi anstelle einer Antwort und sah sie einfach nur ausdruckslos an. Aiko wich ihrem Blick aus und brauchte eine Weile, bis sie schließlich mit großer Mühe sagte: „Es tut mir leid, Doremi-chan.“ Doremi sah sie aus großen Augen an und Aiko fasste das als eine Aufforderung auf, weiter zu erklären: „Hazu-chan hat mir alles erzählt. Ich wollte doch nicht, dass der denkt, du willst ihn ausnutze! Mensch, des tut mir so leid! Dass du deshalb sogar net zur Schule kommst...“ „Ist schon okay. Du konntest ja nicht wissen, dass er gleich sowas denkt“, meinte Doremi sofort. „Wa? Doremi-chan, heißt des, du bist mir net mehr bös?“ Doremi lächelte sofort breit. „Wir sind doch Freundinnen!“, sagte sie und hielt Aiko die Hand hin. Das Mädchen im Hexendress nahm sie und schüttelte sie freudig. „Ja, des denk ich auch“, sagte sie. „Nur traurig, dass Takao-kun nichts mehr von mir wissen will. Er war so cool!“, seufzte Doremi, nachdem sie sich wieder losgelassen hatten und etwas orientierungslos voreinander standen. „Ja, des war er tatsächlich“, sagte Aiko abwesend. Sie sahen sich kurz an, aber keiner wusste so recht, wie es nun weitergehen sollte. Aiko brach schließlich das Schweigen: „Lass uns irgendwas mache, ja? Wir könne auf den Rummel gehe oder sowas, des haben wa lang nicht mehr gemacht, oder?“ Doremi sah sie erstaunt an, doch dann nickte sie sofort begeistert. „Au ja! Das ist wirklich schon lange her! Warte kurz draußen, dann ziehe ich mir schnell was Passendes an und komme runter!“ Aiko grinste breit. „Gebongt!“ Sie sprang wieder auf ihren Besen und verschwand mit einem Jauchzen durch das offene Fenster. „Doremi-chan, Aiko-chan!“ Die beiden Mädchen drehten sich freudig um, als sie die Stimme ihrer Freundin Hazuki von der Tür her vernahmen. Als sie den Gesichtsausdruck der Braunhaarigen sahen, blickten sie sich jedoch sofort alarmiert an. „Guten Morgen, Hazuki-chan. Was ziehst denn du heute für een Gesicht?“, meinte Aiko. „Schön, dass du fragst“, sagte Hazuki seelenruhig und ging einfach an ihr vorbei an ihren Platz. Doremi und Aiko wechselten einen erstaunten Blick. Gerade hatten sie sich wieder vertragen und gestern so viel Spaß gehabt, und jetzt machte Hazuki einen auf beleidigt, ohne dass eine von ihnen einen Grund dafür entdecken konnte. „Weißt du, was los ist?“, fragte Doremi. „Nee, nicht so ganz“, erwiderte Aiko, „Wirklich wunderlich...!“ Doch da die Stundenklingel gerade ertönte und zeitgleich damit Frau Seki die Klasse betrat, huschte Aiko lieber zurück an ihren Platz, um keine Ermahnung zu bekommen. Eine Gelegenheit mit Hazuki zu sprechen bot sich erst in der Mittagspause nachdem die meisten aufgegessen hatten und Frau Seki ihnen erlaubt hatte, rauszugehen und sich frei zu beschäftigen. Aiko packte sofort Doremi am Handgelenk und zerrte sie mit vor Hazukis Tisch. „Hazuki-chan, was ist heute mit dir los? Du bist so miesepetrig!“, rief sie entschlossen und starrte das Mädchen mit der Brille ziemlich verständnislos an. „Ich habe ja auch allen Grund dazu“, sagte Hazuki ohne aufzusehen. Aiko blickte zu Doremi, die nur hilflos mit den Achseln zuckte, dann fragte sie: „Kannst du uns zween auch sage, was des für een Grund ist? Ich hab keenen Schimmer.“ Hazuki schwieg, aber Aiko fuchtelte ihr wütend mit der Hand vor dem Gesicht herum und sah sie finster an. „Spuck’s aus! Oder soll ich eenen Zauber benutze?“ „Das darfst du gar nicht“, entgegnete Hazuki und verschränkte ihre beiden Hände ineinander. „Hazuki-chan...“, bat nun auch Doremi mit flehendem Blick. Hazuki seufzte: „Ihr habt es nichtmal bemerkt, was? Dass ihr mich gestern vollkommen allein gelassen habt?“ Aiko schoss wie vom Blitz getroffen zurück während Doremi regelrecht erstarrte. „Ich meine, schön und gut, wenn ihr euch wieder vertragt, aber ihr wart die ganze Zeit nicht mehr im Laden. Sind wir nicht alle drei Freundinnen? Und wisst ihr eigentlich, dass montags meine Geigenstunde ist?“ Die Blauhaarige und die Rothaarige starrten sich schuldbewusst an und dachten in dem Augenblick genau dasselbe. Sie hatten sich gestern zu zweit im Freizeitpark amüsiert, während Hazuki sich im Laden abgeschuftet hatte. Das mit der Geigenstunde war eigentlich nur eine Nebensache, aber sie hatten Hazuki unbewusst außen vorgelassen, obwohl sie ihre Freundin war. Fast gleichzeitig, vielleicht war Doremi ein Stück schneller, warfen sich beide Mädchen vor Hazukis Tisch auf den Fußboden und riefen: „Es tut uns leid!“ Hazuki reagierte kaum und blickte sie nur undefinierbar durch ihre dicken Brillengläser an. „Bitte, Hazuki-chan, verzeih uns! Wir... ich... ich war so froh, dass Aiko sich entschuldigt hat, dass ich ganz vergessen habe...“, stammelte Doremi. Beim Sprechen wurde ihr klar, dass es wirklich keine Entschuldigung gab. Freude hin oder her, sie hatte ihre beste Freundin einfach im Stich gelassen. „Hazuki-chan, ich kann nicht sage, wie leid mir des alles tut. Ich wünschte, ich könnte es rückgängig mache. Bitte, wir mache heute alle Arbeit im Shop und du kannst dich ausruhe und deine Geigenstunde nachhole!“ „Mein Geigenlehrer hat nur montags Zeit...“, sagte Hazuki leise, aber sie klang nicht mehr so wütend wie vorher. „Dann kannst du heute im Shop selber Geige üben, oder wir zaubern dir einen Geigenlehrer her, wie wäre das?“, fragte Doremi. „Könne wa sowas?“, zweifelte Aiko. „Na ja, also, vielleicht...“, stammelte Doremi und sah zu Boden. „Bitte, Hazuki-chan...“ „Also gut“, sagte die Braunhaarige ruhig. „Ich kann es euch ja irgendwie nachvollziehen.“ „Echt? Hazuki-chan, es tut mir wirklich leid!“, sagte Doremi und hatte Tränen in den Augen. Hazuki lächelte schwach. „Ist ja gut!“, sagte sie. Doremi fiel ihr um den Hals, gerade in dem Augenblick als die Glocke das Ende der Pause signalisierte. Mit einem breiten Grinsen hüpfte Doremi zu ihrem Platz zurück und auch Hazuki konnte es sich nicht verkneifen, leise zu kichern. Aiko sprang zu ihrem Tisch und lächelte breit, als sie sich auf den Stuhl fallen ließ. Dann war ja alles wieder in Ordnung. Das hatte sie zumindest gedacht, aber als sie alle drei in den Magic Shop kamen, mussten sie bald feststellen, dass es da immer noch ein paar Probleme gab. Davon war jedoch noch nichts zu merken, als sie sich wie üblich an dem kleinen Tisch auf der Galerie niederließen und begannen, aus Magic Knete Talismane zu formen. „He, Hazu-chan, ich hab doch gesagt, du musst heute net arbeite!“, sagte Aiko sofort, als Hazuki nach ihrer Knete griff. „Ja, schon“, murmelte Hazuki mit einem Schulterzucken, „ aber meine Geige habe ich nicht dabei und was soll ich sonst machen?“ „Außerdem sind die Talismane von Hazuki-san die, die sich am besten verkaufen“, mischte sich Rika vom Geländer der Galerie her ein, wo sie auf ihrer Kehrschaufel hockte um die Arbeit der drei Hexenschülerinnen zu überwachen. „Ja, verstanden!“, seufzte Doremi und begann, ihre Knete zwischen den Handflächen zu einem Ball zu rollen. Aiko starrte noch auf ihren Klumpen und schien zu überlegen, was sie daraus machen sollte, als von Doremis Seite her ein lautes Seufzen ertönte. „Ich wünschte, Takao-kun würde nochmal hier vorbeikommen“, sagte sie wehmütig und rollte die Knete zu einer Wurst, die sie in Herzform auf ihrer Knetunterlage drapierte. „Ja, des wär schön...“, stimmte Aiko zu. „Meint ihr diesen Pimpf mit der Schirmmütze und der unmöglichen Frisur?“, mischte sich Rika etwas ungehalten über die entstandene Arbeitspause ein. „Ja, genau der...“, seufzte Doremi ungeachtet Rikas negativer Beschreibung und ihr Blick schweifte in die Ferne. „Der war doch gestern hier“, sagte Rika gelangweilt. Doremi wurde aus ihrer Schwärmerei gerissen und starrte sie an. Dann wechselte sie einen kurzen Blick mit Aiko bevor beide schrien: „Waaaaaaas!?“ Rika zog die Augenbrauen nach unten. „Er hat sogar nach dir gefragt, Doremi. Ich dachte, Hazuki hätte dir das schon erzählt.“ Sofort richteten alle ihre Blicke auf Hazuki, die den Kopf gesenkt hielt und gar nichts mehr machte. Doremi sprang donnernd auf, dass ihr Stuhl auf den Boden knallte. „Sag mal, bist du bescheuert!? Wir haben uns doch vertragen! Warum verschweigst du mir das trotzdem noch? Hazuki-chan! Das hättest du mir wirklich früher sagen können“, rief sie. „Hee, immer langsam. Ich wette, des hatte eenen guten Grund“, sagte Aiko und hielt Doremi mit sichtlicher Anstrengung davon zurück, sich vor Wut auf die Braunhaarige zu stürzen. „Was denkst du dir dabei!? Du doofe Kuh! Du Lügnerin! Du ...“, zeterte Doremi weiter. „Halt die Klappe“, fuhr Rika sie verärgert an. Doremi schwieg, sah Hazuki aber immer noch böse an. „Also, was hast du dazu zu sagen?“, fragte sie schließlich doch noch einmal. Hazuki sah sie vorsichtig an. „Doremi-chan, bitte sei mir nicht böse. Ich hatte es einfach total verdrängt“, sagte sie. In Aikos Griff erschlaffte Doremi merklich und wusste einen Augenblick gar nicht was sie sagen sollte. „Vergesse?“, fragte schließlich Aiko. Da es ihr nun gefahrlos erschien, ließ sie Doremi los, die sich dennoch keinen Millimeter bewegte. „Entschuldige. Ich war gestern so angefressen, dass ich beschlossen habe, dir auf keinen Fall zu erzählen dass er da war, und dann hab ich mich den ganzen Abend nur noch über euch geärgert und nicht mehr dran gedacht.“ Aiko schwieg, aber Doremi hüpfte sofort zu Hazuki und lächelte sie breit an. „Dann ist ja alles gut! Ich dachte schon, du wärest mir immer noch böse!“ Hazuki gelang es, wenn auch nicht ganz so strahlend, zurückzulächeln, und meinte leise: „Ist schon gut...“ Doremi nickte freudig, zog einen Stuhl zu sich heran und hockte sich vor Hazuki. „So, und jetzt erzähl mal, was er so gesagt hat“, forderte sie sie auf. „Hmmh, ja...“ Hazuki legte den Finger ans Kinn und überlegte kurz, bevor sie zögernd zu erzählen begann. „Also, er kam hier rein und wollte wissen, ob du da bist. Warst du nicht, also habe ich ihm das gesagt. Dann wollte er von mir wissen, wie ich das aus der Sicht eines unparteiischen Beobachters sehen würde, weil er sich nicht sicher war, ob du wirklich nur an seiner Berühmtheit interessiert warst, nachdem du so enttäuscht geguckt hast. Du hast mir ja vorgestern am Telefon alles erzählt, also konnte ich es ihm weitersagen. Als er das gehört hat, wollte er sich sofort entschuldigen und hat mich nach deiner Adresse gefragt, und die hab ich ihm dann auch gegeben. Er wollte am nächsten Tag, also heute, um sieben zu dir kommen, und sich bei dir...“ Der Rest des Satzes ging in einem panischen Aufschrei von Aiko unter. Alle drehten sich zu der Blauhaarigen um, die mit zitterndem Finger auf die Uhr über dem Schrank unten im Laden deutete. Im nächsten Augenblick hatte auch Hazuki verstanden, nur Doremi schaute noch eine Sekunde länger verwundert drein, bis ihr Gesicht einen vollkommen geschockten Ausdruck annahm; es war ziemlich genau zwei Minuten vor sieben. Die drei Hexenschülerinnen wechselten einen verzweifelten Blick untereinander. Vom Laden bis zu Doremis Haus würde man normalwerweise zu Fuß doch mehr als 10 Minuten brauchen, und selbst auf dem Besen sah es ziemlich knapp aus. „Was mache wa jetzt?“, fragte Aiko schließlich zögernd. „Geht wieder an die Arbeit und lasst den Kerl in Ruhe“, riet Rika, aber das kam für keine der Drei in Frage. „Hört mal, wir könnten einen Zauber benutzen“, schlug Hazuki vor. Doremi nickte, fügte dann aber betreten hinzu: „Ich habe keine Magic Balls mehr, den letzten hat mich Dragoon gekostet.“ „Dann hexe wa für dich!“, rief Aiko sofort. Sie zog ohne weiteres Zögern das magische Tap hervor und schlüpfte in ihr Hexendress. Als Hazuki das auch getan hatte, war der lange gekrümmte Minutenzeiger der Uhr schon ein Stück weitergerückt. Hazuki und Aiko sahen sich an, hoben dann ihre Krakordeons wie auf Befehl und riefen gleichzeitig: „Pilli Pilli, Popalora, Popalou!“ und „Pamekilak, Lalilori, Palou!“ und dann: „Bringe Doremi in die Nähe von ihrem Haus!“ Der Zauber löste sich und im nächsten Augenblick war Doremi verschwunden. Aiko und Hazuki wechselten einen schnellen Blick. „Lass uns mit dem Besen hinterherfliege. Ich bin zu gespannt, was der jetzt zu ihr sage wird!“, sagte Aiko. „Auf keinen Fall“, mischte sich Rika ein, „Es reicht schon, wenn eine von euch einfach abhaut!“ Aiko und Hazuki sahen kurz auf den kleinen grünen Hexenfrosch, begannen dann breit zu grinsen und rannten dann ungeachtet aller Proteste nach draußen vor den Laden wo sie sich auf ihre Besen schwangen und davonsausten. Rika blieb mit vor Zorn dunkelgrünem Gesicht zurück. Doremi konnte sich gerade noch vor einem Sturz bewahren, als sie landete. Sie hob sofort den Kopf und erkannte, dass sie in der Nebenstraße ihres Hauses war. Nur um die nächste Ecke und sie konnte es schon sehen. Jene Ecke war zum Glück nicht all zu weit entfernt, genau genommen nur zwei Schritte. Als sie um die Ecke bog und ihr Blick zum Eingang des kleinen zweistöckigen Hauses wanderte, machte ihr Herz einen Satz. Takao hatte gerade die Tür hinter sich geschlossen und machte sich mit gesenktem Kopf in ihre Richtung davon. Offenbar hatte er gerade von ihrer Mutter gesagt bekommen, dass sie nicht da sei. „Takao-kun!“, rief Doremi aus. Er erkannte sie sofort als er den Kopf hob und machte sofort ein erleichtertes Gesicht. „Doremi-san!“ Sie kam auf ihn zugelaufen und konnte nicht anders, als dabei bis über alle Ohren zu grinsen und sich zu fühlen, als schwebe sie über einen Boden aus Federn hinweg anstatt des langweiligen Asphaltes. „Takao-kun, tut mir leid, meine Freundin hatte total vergessen, dass du gekommen warst und...“, setzte sie an, aber Takao unterbrach sie mit einem freundlichen: „Schon gut, du bist ja da.“ Sie kamen sich gegenüber zum Stehen und blickten sich eine ganze Weile an ohne so recht zu wissen, was sie sagen sollten. Doremis Herz klopfte bis über alle Hochsprungrekorde hinaus, dennoch brachte sie nach einigem Schweigen schließlich ein paar vernünftige Worte heraus: „Wollen wir nicht in mein Zimmer gehen?“ Takao stimmte ihr mit einem freundlichen Nicken zu. Als sie an der Türschwelle aus ihren Schuhen schlüpften, steckte Frau Harukaze den Kopf aus der Küchentür. „Doremi, da bist du ja. Eben war da so ein...“, begann sie, bemerkte dann aber Takao hinter ihr und meinte nur noch: „Oh, wie ich sehe habt ihr euch noch getroffen“. Dann verschwand sie mit einem verschmitzten Grinsen zurück zum Herd. Takao sah sich im Zimmer erstmal neugierig um. „Ihr habt so europäische Einrichtung...“ staunte er. „Wohnst du in einem japanischen Haus?“, fragte sie. Er nickte. „Nur mit meinem Großvater zusammen. Aber dein Zimmer ist nett. Es passt irgendwie zu dir.“ Doremi drehte sich ein bisschen weg, damit er nicht sehen konnte, wie ihr Gesicht sich ihrer Haarfarbe anpasste. Takao redete weiter: „Hör mal, Doremi-san...“ „Doremi ist in Ordnung! Einfach nur Doremi“, rief sie und drehte sich fröhlich um, weil ihr ihr rotes Gesicht mittlerweile auch fast egal war. Auf den Wangen des Jungen zeichnete sich ein roter Schimmer ab. „Also gut... Doremi. Nun ich, ich wollte mich entschuldigen, weil, weil, weil ich ... weil das Mist war, was ich dir da an Anschuldigungen an den Kopf geworfen habe. Das merke ich jetzt erst so richtig. So ein Mensch wie du würde bestimmt nicht sowas tun wie sich mit einem Star treffen, nur um ein paar Fotos von ihm zu kriegen. Ich bin nur in letzter Zeit manchmal etwas von Fotografen belagert, das musst du verstehen....“ „Ja klar verstehe ich das“, sagte sie mit einem Lächeln. Sie hatte ihm doch längst verziehen! So wie sie Aiko verziehen hatte, und Hazuki. Irgendwie schien dies sowieso eine Geschichte voller Versöhnungen zu sein... „Wirklich?“, fragte er und konnte eine gewisse Erleichterung nicht verbergen. Doremi grinste. „Ich hab allen verziehen, dir auch! Es ist ja nicht deine Schuld, dass Aiko das gemacht hat!“ In dem Moment hätte sie schwören können, dass von irgendwo in der Nähe ein Husten erklang, aber irgendwie war ihr das auch egal. Sie wollte nur noch Takao ansehen. „Ja, dann... hast du noch Interesse daran, dass ich dir Beybladen beibringe? Also, nur wenn du willst...“, murmelte er und kratzte sich verlegen im Nacken. „Aber klar!“, rief Doremi begeistert und strahlte ihn heller an als je zuvor. „Das würde ich wirklich liebend gerne!“, fügte sie noch hinzu, nur für den Fall dass das vorher noch nicht genug Einwilligung ausgedrückt hatte. Takaos Wangen färbten sich dunkelrot, als er mit einem leichten Grinsen in Richtung Wand meinte: „Gut, dann treffen wir uns doch dieses Wochenende Sonntag im Nakanishi-Park, wie wir es vorher auch wollten. Wieder um zwei?“ „Ja, das ist toll!“, rief Doremi sofort begeistert. „Okay, dann... kann ich jetzt ja gehen“, murmelte Takao und stapfte zur Tür. „Wa- warte! Du musst schon wieder weg?“, rief Doremi. Er blieb vor der Tür stehen und meinte: „Als Weltmeister im Beybladen muss man leider viel trainieren. Aber keine Sorge, wir sehen uns ja schon Sonntag wieder. Gib bis dahin auf dich Acht, vor allem auf herumfliegende Kopfbälle.“ Bei letzterem musste er grinsen und drehte sich nochmal zu der Rothaarigen um. „Wir sehen uns“, sagte er und so schnell, dass es genau so gut Einbildung gewesen sein könnte, drückte er ihr einen Kuss auf die Wange und schlug dann die Zimmertür zu, dass das kleine Schild mit Doremis Namen drauf noch ein paarmal gegen das Holz schlug. Doremi zuckte zusammen, als sie gedämpftes Händeklatschen vernahm. Es kam von draußen vor dem Fenster, und als sie es aufmachte, flogen ihre beiden Mithexenschülerinnen herein und landeten auf dem Teppich. „Wir habe alles gesehe!“, verkündete Aiko grinsend. Hazuki wirkte leicht betreten, so ein intimes Gespräch belauscht zu haben und wischte nur mit ihren behandschuhten Fingern über ihre Brillengläser. „Dann viel Glück am Sonntag würd ich sage!“, meinte Aiko. Doremi konnte nicht anderes als die beiden vor Glück gleichzeitig heftig zu umarmen, so dass Hazuki ihre Brille aus der Hand rutschte und sie in einem hohen Bogen auf das Bett von Doremi geschleudert wurde. „Ihr seid echt die besten Freundinnen, die man sich nur wünschen kann!“ Kapitel 24: Hyouga und Minako - Double Date ² --------------------------------------------- Von Jetzt kommt endlich mal wieder was Neues^-^ Aber wir haben jetzt beschlossen, dass es ab jetzt jeden Monat ein neues Kapitel geben wird. Allerdings wird die erste Unregelmäßigkeit schon bei der nächsten Geschichte auftreten, da wir vom 30. Juli bis zum 18. August oder so in Urlaub sind (in Japan *freu* ). Jitsch hat zwar gesagt, sie will ihr nächstes Kapitel bis dahin fertigkriegen, aber ob wir es bis dahin auch gebetat kriegen, weiß ich nicht so genau ^^“ Aber bis zum 31. August kommt ganz sicher ein neues Kapitel, entweder Taichi (Digimon) und Pan (Dragonball GT) oder Sasuke (Naruto) und Vivi (One Piece). Freut euch drauf! Die Idee zu diesem Pairing stammt übrigens von Zoisite. Die Story ist von Jitsch. Ich kannte Saint Seiya ja vorher gar nicht und hab mich dann erstmal ein wenig informiert ^^“ Aber seid mir trotzdem nicht böse, wenn die Charaktere nicht so gut getroffen sind. Ich hab mir erst zwei Folgen davon im Internet angeguckt und daraus kann man auch nicht viele Rückschlüsse über die verschiedenen Charaktere ziehen... Jo, und jetzt viel Spaß mit: Double Date² „Was machst du denn schon wieder hier, Minako-san?“, fragte der hochgewachsene Kellner. Das blonde Mädchen, das an einem kleinen Tisch nahe des Eingangs des Café Elk saß, grinste zu ihm hinauf. „Dasselbe wie gestern und vorgestern auch“, antwortete sie keck. Der Kellner hob eine Augenbraue und fragte: „Glaubst du ernsthaft, dass es etwas bringt, jeden Nachmittag in diesem Café zu verbringen und darauf zu warten, dass irgendwann mal der Mann deiner Träume auftaucht?“ „Natürlich!“, erwiderte Minako begeistert nickend. Der Kellner seufzte nur und fragte dann: „Wieder dasselbe wie die letzten Tage?“ „Nein, heute nehm ich mal was anderes. Vielleicht finden die Typen es ja uncool, wenn ich hier mit meinem Erdbeermilkshake sitze.“ Der Blonde sah sie zweifelnd an. „Also kommen deiner Meinung nach supertolle Typen her, sehen durchs Fenster deinen Erdbeermilchshake und kehren dann schnell wieder um?“ Minako errötete leicht und sagte nur: „Kann doch sein, man weiß ja nie...“ „Und was nimmst du jetzt?“ „Schlag du was vor!“ Der Kellner sah sie mit erhobenen Augenbrauen an, als zweifle er daran, dass sein Bewusstsein, was die Coolness von Eisspeisen anging, besser sein sollte als ihres. Dennoch machte er schließlich grinsend den Vorschlag: „Wie wär's mit 'nem Pinocchio-Becher?“ Minako versah ihn mit einem strafenden Blick und fuhr ihn an: „Dann nehm ich halt 'nen Eiskaffee, wenn du mich nicht ernst nehmen willst!“ Der Kellner schien froh zu sein, dass sie nun doch alleine eine Entscheidung getroffen hatte, denn nachdem er sich die Bestellung notiert hatte, kehrte er schnellen Schrittes zur Theke zurück. Gelangweilt sah Minako sich im Café um. Außer dem süßen Kellner, der unglücklicherweise mit einer ihrer Freundinnen zusammen und somit tabu für sie war, befand sich im ganzen Café kein einziger gut aussehender Typ, obwohl fast alle Tische des geräumigen Ladens besetzt waren. Auch die letzten Tage hatte sie kein Glück gehabt, doch das stachelte sie nur noch mehr an. Sie war wild entschlossen, in diesen Sommerferien noch einen Freund zu finden, ganz egal, was sie dafür tun musste. Einige Zeit später kam der Kellner mit Minakos Eiskaffee auf einem kleinen Tablett wieder. Er stellte ihn vor ihr ab und sagte höflich: „Bitte sehr.“ Sie murmelte nur: „Wehe das ist nicht cool genug! Dann bist du Schuld, weil du mir nicht helfen wolltest!“ Der Kellner schüttelte darüber nur den Kopf, doch das nahm das Mädchen gar nicht wahr, denn gerade sah sie eine Gruppe von fünf Jungen das Café betreten. Sofort blieb ihr Blick an einem großen Blonden hängen, obwohl alle von ihnen außergewöhnlich gut aussahen. Es konnte nicht an seiner Haarfarbe liegen, immerhin war Minako selbst blond und außerdem war dies nichts gegen das struppige grüne Haar eines kleineren Mitglieds der Truppe. Auch seine Größe – er brachte es bestimmt auf einen Meter siebzig – war nicht auffällig, denn die zwei Jungen, die neben ihm standen, waren mindestens genauso groß. Und der muskulöse Körper schien sowieso das Merkmal zu sein, dass die Fünf verband. Dennoch starrte Minako diesen Jungen an wie er, die Hände in den Taschen seiner Jeans vergraben, seine eisblauen Augen umherwandern ließ. Der Kellner, der Minako gerade ihren Eiskaffee gebracht hatte, eilte sofort zu der Gruppe, hieß sie im Café willkommen und führte sie dann zum letzten freien Tisch in der hinteren Ecke des Raumes. Die Blonde starrte ihnen gedankenverloren hinterher. Endlich hatte sie ihn gefunden, den Mann ihrer Träume. Jetzt musste sie ihn nur noch davon überzeugen, dass sie auch die Frau seiner Träume war. Doch das schien eine Leichtigkeit im Gegensatz zum ewigen fruchtlosen Warten. Zehn Minuten später hatte Minako jedoch immer noch keinen Entschluss gefasst, wie sie ihn zu einem Date überreden konnte. Sie beschloss, erst einmal zur Toilette zu gehen, da sie auf dem Weg dorthin am Tisch der fünf Jungen vorbeikommen würde. Als sie langsam den Tisch passierte, bemerkte sie einen etwas kleineren Jungen mit braunem Haar, der sie mit seinen kastanienbraunen Augen musterte. Sie grinste ihm zu, woraufhin er errötete und schnell in eine andere Richtung sah. Ihn konnte sie bestimmt viel leichter zu einem Date überreden und über ihn würde sie dann auch an den Blonden rankommen. Ein perfekter Plan!, dachte sie bei sich und ihr Grinsen wurde breiter. Die Türen zur Mädchen- und Jungentoilette zweigten vom selben Flur ab, also wartete Minako, nachdem sie kurz ihr Aussehen im Spiegel überprüft hatte, hinter der einen Spaltbreit geöffneten Tür darauf, dass vielleicht einer der fünf Jungen hineinkam. Sie wurde nicht enttäuscht. Tatsächlich betrat kaum fünf Minuten später der Braunhaarige den Flur. Bevor er die Tür zu den Jungentoiletten öffnen konnte, kam Minako aus ihrem Versteck und sprach ihn an: „Hey, du!“ Erschrocken drehte er sich um und sah sie an. Sie musterte ihn ebenfalls. Er trug schlabbrige, ausgewaschene Jeans und ein weißes T-Shirt mit der Aufschrift STRONG. Sein wuscheliges Haar verdeckte einen großen Teil seiner Stirn. Da der Junge nichts zu sagen scheinen wollte, fragte Minako neugierig: „Wie heißt du?“ „Seiya“, antwortete er und grinste schüchtern. „Ich bin Minako“, stellte sie sich vor. Wieder schwiegen sie, keiner schien genau zu wissen, was er sagen sollte, bis Minako sich für den einfachsten Weg entschied: „Hast du morgen schon was vor?“ „Ähm...“, murmelte er und sah sie erstaunt an. Erneut musterte er sie. Sie sah ihn erwartungsvoll an. War sie vielleicht doch zu voreilig gewesen? Doch Seiya schien für sich entschieden zu haben, dass sie in Ordnung war und sagte: „Nee, hab ich nicht.“ Minako grinste und fragte: „Wollen wir dann nicht zusammen was unternehmen? Ich find dich total niedlich!“ Bei diesen Worten errötete er leicht, sagte aber: „Warum nicht? Ist sowieso langweilig, den ganzen Tag mit den anderen zu verbringen.“ Minako war sich ziemlich sicher, dass er von den vier Jungs sprach, die noch im Café saßen. Obwohl sie nicht wusste, wie ein Tag mit solchen gut aussehenden Typen je langweilig sein konnte, sagte sie: „Cool! Wollen wir ins Kino gehen?“ „Au ja!“, rief Seiya. „Ich war schon ewig nicht mehr im Kino!“ „Dann morgen um halb drei vorm Cinekan, okay?“ „Okay!“, stimmte Seiya zu. „Bis dann, Minako-chan!“ Dann verschwand er auf die Toilette. „Strike!“, rief Minako leise aus und stieß breit grinsend die Faust in die Luft. Eine halbe Stunde später hatten die fünf Jungen alle ihr Eis aufgegessen – Seiya war schon mit seinem zweiten fertig – und winkten den Kellner herbei, um zu bezahlen. Dieser brachte ihnen die Rechnung und sie kramten das Geld hervor. Nach und nach standen sie alle auf und verließen schlendernd das Café. Nur der Blonde saß noch am Tisch und kramte in seinem Portemonnaie nach dem richtigen Geld, als sei er diese Währung nicht gewohnt. Bestimmt ist er Ausländer!, dachte Minako entzückt und betrachtete ihn. Wenn er gleich bezahlt hatte, würde er ganz alleine an ihrem Tisch vorbeikommen. Diese einmalige Chance musste sie nutzen! „Halloo!“, flötete Minako mit einem Lächeln auf den Lippen, als der Junge gerade die Tür nach draußen öffnen wollte. Er versah sie mit einem zweifelndem Blick. Sie stand auf, umrundete den Tisch und sah zu dem Größeren auf. „Bist du öfter hier? Ich hab dich hier noch nie gesehen!“, begann sie, auch wenn ihr mit Beendigung des Satzes auffiel, wie lahm er klang. Der Blonde schien zwar immer noch nicht genau zu wissen, was er von ihr halten sollte, dennoch erwiderte er: „Wir sind auf der Durchreise.“ Seine Stimme war kühl, genau wie seine Augen. Trotzdem war Minako ihr bei der ersten Silbe verfallen. Doch sie musste jetzt auf jeden Fall einen klaren Kopf bewahren, sonst würde sie nie ein Date mit diesem Märchenprinzen ergattern können. „Wie lange bleibt ihr noch hier?“, wollte sie wissen, wobei sie so gut wie möglich versuchte, die Aufregung in ihrer Stimme zu verbergen. Der Blonde zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, kommt ganz drauf an, wann unsere Auftraggeberin wieder nach uns verlangt.“ Minako sah ihn mit großen Augen an. Auftraggeberin? War er vielleicht so etwas wie ein Geheimagent? Eine Art James Bond? Dieser Typ war ja noch aufregender als sie gedacht hatte! Aber sie hatte eben einen guten Riecher was Männer anbelangte. Ihr Herz klopfte schnell in ihrer Brust, als sie fragte: „Wir stehen hier so zwischen Tür und Angel. Wollen wir uns nicht so mal treffen?“ Von diesem Vorstoß schien der Blonde nur milde überrascht. Vielleicht war ihm von Anfang an klar gewesen, worauf sie hinauswollte. Minako starrte ihn an und wartete auf eine Antwort. Es kam ihr vor wie Stunden, bis er endlich sagte: „Ja klar, kein Problem. Wie wäre es mit morgen um halb vier?“ Minakos Herz setzte einen Schlag aus und sie nickte begeistert. „Was wollen wir machen?“, fragte sie. Nach seiner Zusage fiel es ihr viel leichter, die richtigen Worte zu finden. „Wie wäre es mit Eislaufen?“, schlug er vor. „Au ja!“, rief Minako. Der Vorschlag gefiel ihr wirklich ziemlich gut. Er würde bestimmt begeistert sein von ihrer Eislaufkunst. „Am besten im Ice Stadium, das ist die beste Eislaufhalle hier in der Stadt“, fügte sie noch hinzu. „Findest du da hin?“ „Ich werd's schon finden“, erwiderte er lächelnd. Eine Weile verging, in der keiner der beiden so genau wusste, was er sagen sollte. Schließlich brach Hyouga das Schweigen: „Na ja, ich muss jetzt gehen, die anderen warten bestimmt schon.“ Dabei sah er Minako entschuldigend an. „Okay...“, erwiderte Minako lahm. Er wandte sich zur Tür und öffnete sie, dann drehte er sich noch einmal um und fragte: „Wie heißt du eigentlich?“ „Minako!“, antwortete sie freudig. „Minako Aino!“ Er lächelte und sagte: „Ich bin Hyouga.“ Dann verließ er das Café. Minako blieb stehen und sah ihm hinterher. Hyouga, der Gletscher... Ein kühler Name und kühle Augen. Und dennoch war das Lächeln, das er ihr gerade geschenkt hatte, alles andere als kalt gewesen. Ihr Herz jedenfalls hatte es erwärmt, wie es noch nie zuvor jemandem gelungen war. Als sie sich langsam auf ihren Platz zurückbewegte, fiel ihr mit Erleichterung auf, dass das Cinekan nur ein paar Straßen von der Eislaufhalle entfernt lag. Am nächsten Morgen sah Minako sich allerdings mit einem ganz anderen Problem konfrontiert: ihrem Aussehen. Zwar war sie sich sicher, dass sie auch gut aussah, ohne großartig etwas daran zu verändern, dennoch wollte sie ganz sicher gehen, dass sowohl Seiya als auch Hyouga von ihr begeistert sein würden. Schließlich wollte sie auf jeden Fall den Kontakt mit ihnen halten und dazu würde ein einprägsames Äußeres bestimmt einen großen Teil beitragen. Doch alleine konnte Minako sich weder für eine Frisur noch für das richtige Outfit entscheiden. Also beschloss sie, eine ihrer Freundinnen zu kontaktieren. Sie entschied sich für Makoto, da diese die Reifste und Erfahrenste aus ihrer Clique war. Nach einer detailreichen Schilderung der Erlebnisse des Vortages fragte Minako: „Und? Was meinst du? Was soll ich anziehen?“ „Ist das deine einzige Sorge?“, war die Antwort ihrer Freundin. „Was denn sonst?“, fragte Minako. „Du bist doch bestimmt auch nicht in Schuluniformen zu deinen Dates gegangen, oder?“ „Na ja, manchmal schon...“, murmelte Makoto und überlegte kurz. Anscheinend kam sie zu dem Schluss, dass Minako erst dann Ruhe geben würde, wenn sie ein komplettes Outfit vor Augen hatte. Deshalb begann sie: „Weißt du, es gibt ne Menge Männer, die gerade auf die Schuluniform anspringen.“ „Ehrlich?“, fragte Minako erstaunt. Makoto bejahte. „Wie alt sind denn die Typen ungefähr?“, wollte sie dann wissen. Minako zögerte, dann antwortete sie: „Seiya wird etwas jünger sein als ich, und Hyouga ist bestimmt schon fünfzehn oder sechzehn.“ „Dann gehen sie ja vielleicht selber noch zur Schule...“, grübelte Makoto. „Ich glaube nicht, Hyouga sagte etwas von einer Auftraggeberin. Ich glaube, er ist eine Art Geheimagent!“ „Ach so“, sagte Makoto trocken, anscheinend war sie von dieser Theorie nicht so überzeugt. „Also vielleicht doch nicht die Schuluniform?“, fragte Minako. „Mh, ich weiß nicht, eigentlich würde ich dir empfehlen, sie bei Hyouga zu tragen, bei Seiya aber nicht.“ Minako seufzte: „Ich glaube nicht, dass ich mich auch noch umziehen kann, während ich zwischen Eislaufhalle und Kino hin- und herlaufe...“ „Dann nimm lieber nicht die Schuluniform. Ich würde dir ja einen Minirock empfehlen, aber das ist zum Eislaufen bestimmt ziemlich unpraktisch.“ Minako seufzte. „Gibt es überhaupt etwas, auf das Seiya und Hyouga anspringen?“ „Bestimmt!“, sprach Makoto ihr Mut zu. „Ich würde einfach etwas aussuchen, das zum Eislaufen praktisch ist, also nicht zu kühl, und trotzdem irgendwie Aufmerksamkeit erregend.“ Minako öffnete ihren Kleiderschrank und wühlte ein wenig darin herum. „Ich habs!“, rief sie dann endlich aus und zog einen weißen Minirock mit Falten hervor. „Ich zieh einfach 'ne Leggins unter den Rock!“ „Gute Idee!“, lobte Makoto. „Kommst du dann alleine klar?“ „Jaah, ich denke schon. Danke nochmal für deine Hilfe, du bist echt die Beste!“ „Schon gut“, murmelte Makoto verlegen. Dann verabschiedeten die Freundinnen sich voneinander und Minako legte auf. Die restliche Klamottenwahl dauerte nicht besonders lange, da Minako nur etwas finden musste, dass zu Rock und Leggins passte. Das nächste Problem war die Frisur. Doch da sie nun schon eine ungefähre Vorstellung von ihrem Outfit hatte, fiel ihr dazu recht schnell etwas ein. Sie duschte kurz und flocht sich dann einige kleine Zöpfchen aus ihrem langen Haar, damit dieses sich wenigstens ein wenig lockte. Als sie alles vorbereitet hatte, war es jedoch erst halb eins, also macht Minako es sich auf der Couch im Wohnzimmer gemütlich und schaute noch ein wenig fern. Doch gegen halb zwei konnte sie es absolut nicht mehr aushalten, so faul herumzusitzen, deshalb zog sie die Kleider an, die sie sich rausgesucht hatte und verzog sich dann ins Bad, um sich um ihre Frisur zu kümmern. Dann begutachtete sie sich in dem großen Spiegel an der Innenseite ihres Kleiderschrankes. Sie hatte ihren Pony mit einer silbernen Spange nach oben geklemmt, der Rest des immerhin welligen Haares fiel locker herab. Als Oberteil hatte sie ein enges dunkeltürkises Shirt mit weitem V-Ausschnitt ausgewählt, über dem sie eine helle Jeansjacke, die knapp über ihre Brust hinausging, trug. Über dem weißen Rock trug sie einen breiten roten Gürtel. Die dünne Leggins, für die sie sich entschieden hatte, war einfach schwarz und reichte bis zur Hälfte ihrer Unterschenkel. An den Füßen trug Minako Ballerinas in der Farbe ihres Gürtels. Minako grinste ihr Spiegelbild zufrieden an. Etwas Schminke im Gesicht, ein wenig Schmuck, und die beiden Jungen würden ihr nicht mehr widerstehen können! Gegen fünf vor halb drei stand Minako vor dem Eingang des dreistöckigen Kinogebäudes. Nervös nestelte sie mit ihren langen Fingernägeln am Verschluss ihrer Handtasche herum und sah sich immer wieder nach Seiya um. Zwar hatten sie sich für halb drei verabredete, aber sie war sich plötzlich nicht mehr sicher, ob er wirklich kommen würde. Vielleicht hatte er ihr Date ja vergessen oder sie von Anfang an nicht ernst genommen. Doch als die Blonde gerade zum zwanzigsten Mal in den letzten fünf Minuten ihr Handy aus der Tasche zog, um nach der Uhrzeit zu gucken, hörte sie von links ihren Namen gerufen. Schnell steckte sie das Handy weg und sah in die Richtung, aus der die Stimme kam. Seiya kam schnellen Schrittes auf sie zugelaufen und winkte freudig. Erleichtert winkte sie zurück. Der Braunhaarige trug dieselben Klamotten wie am Vortag, was Minako misstrauisch beäugte. War ihm sein Aussehen einfach nicht so wichtig oder befand er dieses Treffen für so unwichtig, dass es noch nicht einmal einen Satz frische Klamotten wert war? „Welchen Film gucken wir eigentlich?“, fragte Seiya freudestrahlend und unterbrach so ihre Gedanken. „Ähm...“ Minako warf einen kurzen Blick auf die Filmplakate, die in Schaukästen an der Wand des Gebäudes angebracht waren. „Wie wär's mit Fluch der Karibik drei?“, schlug sie vor. „Ja, gerne! Worum geht’s denn da?“, fragte Seiya neugierig. Minako zögerte einen Moment bis sie verlegen antwortete: „Das weiß ich selbst nicht so genau, irgendwas mit Piraten...“ Sie sahen sich an und begannen dann gleichzeitig zu lachen. Einige Minuten später fragte Minako, immer noch kichernd: „Wollen wir nicht einfach reingehen und fragen, was jetzt läuft?“ Seiya stimmte grinsend zu. Um zehn vor drei saßen sie dann in einer der hinteren Reihen des großen Kinosaals und Seiya futterte eifrig Popcorn aus einem großen Eimer in sich hinein. Sie würden sich jetzt tatsächlich Fluch der Karibik ansehen, nachdem der Mann am Verkauf ihnen kurz erklärt hatte, worum es darin ging. „Willfu auff Popcorn?“, fragte Seiya mit vollem Mund und hielt Minako den Eimer hin. Sie unterdrückte ein Grinsen und nahm sich eine Handvoll. Dieser Kerl war wirklich in Ordnung und inzwischen war Minako sich sehr sicher, dass er einfach noch nie ein Date gehabt hatte und deshalb nicht wusste, wie er sich anständig verhalten sollte. Als dann die Vorstellung begann – und Seiyas Popcorneimer schon zur Hälfte geleert war – sah Minako erneut auf die Uhr ihres Handys. Es war schon kurz nach drei und sie wollte auf keinen Fall zu spät zu ihrem Date mit Hyouga kommen. Also drängte sie sich dann, unter dem Vorwand sie müsse auf die Toilette, an den anderen Gästen vorbei zum Ausgang. Zuerst ging sie wirklich auf die Toilette, doch nur, um ihre Schminke auszubessern und sich die Haare mit ihrer roten Haarschleife zu einem Zopf zusammenzubinden. Danach verließ sie das Gebäude und hastete die Straßen entlang zur Eislaufhalle. Dort angekommen zog sie erneut ihr Handy hervor und stellte erleichtert fest, dass es erst Viertel nach drei war. Sie hätte also ruhig noch ein paar Minuten länger bei Seiya bleiben können. Doch halb vier kam und ging, und Hyouga war immer noch nirgendwo zu entdecken. Minako stand, ein flaues Gefühl im Magen, an die Wand gelehnt und sah sich immer wieder um. Was war, wenn Hyouga von Seiyas Date mit ihr Wind bekommen hatte? Die fünf Jungen schienen eine Art Clique zu sein, also wäre es doch nur verständlich, wenn sie sich so etwas erzählten. Minako schlug sich mit der Hand an die Stirn. Sie war so naiv gewesen. Sie hätte einfach ein bisschen mehr nachdenken sollen, dann wäre alles anders gekommen. „Minako-san“, drang eine kühle Stimme an ihr Ohr. Sie sah auf. Ein paar Meter vor ihr stand Hyouga, völlig außer Atem, und lächelte sie an. „Tut mir leid, dass ich zu spät bin“, entschuldigte er sich, wobei er sich nicht traute, ihr direkt in die Augen zu sehen. Minako grinste breit und sagte: „Kein Problem, immerhin bist du überhaupt da!“ Hyouga, der ziemlich erleichtert darüber zu sein schien, dass sie ihm das so einfach verzieh, musterte sie kurz und erklärte dann: „Du siehst wunderbar aus!“ Sie lächelte verlegen und bedankte sich für das Kompliment. Dann sah sie ebenfalls an ihm herab. Er hatte sich augenscheinlich – im Gegensatz zu Seiya – ziemliche Mühe gegeben, eine gute Figur abzugeben. Er trug ein weißes Hemd und eine dunkle Jeans, auch das Styling seiner Haare schien ihn einiges an Aufwand gekostet zu haben. Einen großen Beutel, in dem sich nach seiner Ausbeulung zu schließen ein Paar Schlittschuhe befand, trug er mit der Hand über der Schulter. „Du siehst auch geil aus“, sagte Minako geradeheraus und grinste ihr Gegenüber herausfordernd an. Hyouga wurde ziemlich rot im Gesicht und kratzte sich verlegen am Kopf. „Das Hemd hat Shun mir geliehen“, murmelte er. Es interessierte Minako brennend, wer dieser Shun war und vor allem, wie viel er mit Seiya zu tun hatte, aber sie wusste, dass diese Frage ziemlich auffällig gewesen wäre. „Ist das auch einer aus deiner Clique?“, fragte sie deshalb beiläufig. „Clique? Na ja, ich würde uns nicht unbedingt als Clique bezeichnen. Wir nennen uns Bronze Saints.“ „Wow!“, rief Minako begeistert aus. Bestimmt war das eine Gruppe von Geheimagenten. Vielleicht waren sie ja auch Detektive. Oder Auftragskiller. Minako warf einen Blick auf den Blonden und stellte mit einem Kichern fest, dass er – kühl wie er war – für diesen Beruf bestimmt geeignet war. Hyouga sah sie verblüfft an, sagte aber nichts. Nach einer Weile fragte er dann: „Gehen wir rein?“ Minako bejahte. Drinnen bezahlten sie Eintritt, Minako lieh sich ein Paar Schlittschuhe aus und sie setzten sich auf eine Bank neben der Eisfläche, um sich die Schuhe anzuziehen. „Magst du Eislaufen?“, fragte Hyouga interessiert. Er hatte seine futuristisch aussehenden Schlittschuhe binnen weniger Sekunden – so schien es Minako – angezogen gekriegt, während sie noch immer an der Schnürung des ersten Schuhs herumnestelte. „Jaa, ich liebe es! Früher bin ich immer mit meinen Freundinnen zusammen Eislaufen gegangen!“, erzählte sie mit leuchtenden Augen. Dies war nur die halbe Wahrheit, aber sie wollt ihm nicht unbedingt etwas von ihrem Dasein als Beschützerin des Mondkönigreichs vor Hunderten von Jahren erzählen. Hyouga lächelte. „Und du?“, fragte sie. „Ich bin häufig auf russischen Seen gelaufen, wenn sie zugefroren waren“, erklärte er. „Kommst du aus Russland?“, fragte Minako interessiert. Hyouga bejahte dies. Als er sah, dass sie immer noch mit der Schnürung ihres Schlittschuhs beschäftigt war, fragte er lächelnd: „Soll ich dir helfen?“ Sie nickte. Er kniete sich vor ihr auf den Boden und schnürte geschickt ihre Schlittschuhe zu, während er zu ihr hinaufsah und fragte: „Kommst du auch aus dem Ausland?“ „Nein, ich bin Japanerin“, antwortete sie verblüfft. „Wie kommst du darauf?“ „Wegen deiner Haare. Bei Japanern ist blond ja nun nicht so eine häufige Haarfarbe.“ Er lächelte. „Jaa, ich weiß eigentlich auch nicht so genau, woher das kommt“, erklärte sie lachend. Hyouga nickte nur. Wenig später standen sie auf und gingen zu einem der kleinen Tore in der niedrigen Wand um die Eisfläche. Im ersten Moment war Minako etwas unsicher, doch schon nach wenigen Schritten hatte sie sich wieder an den glatten Untergrund gewöhnt und beschleunigte ihren Schritt. Hyouga fuhr neben ihr her, die Hände in den Hosentaschen vergraben. Und schon wenige Minuten später kurvten sie mit halsbrecherischer Geschwindigkeit zwischen den anderen Läufern hindurch, die darüber nur empört den Kopf schüttelten. Minakos Gehirn schien von einem Schwarm Glückshormone betäubt, weswegen sie auch nicht den leisesten Gedanken an Seiya verschwendete, der noch immer alleine im Kino saß. „Du läufst wirklich gut!“, rief Hyouga ihr über die Schulter zu, da er ein paar Meter voraus war. Minako holte auf, wobei sie fast einen kleinen Jungen angerempelt hätte, und erklärte grinsend: „Das ist doch noch gar nichts!“ „Ach ja?“, fragte er herausfordernd. Mit den Worten „Ich hab noch viel mehr drauf“ lief sie eilends in die etwas weniger benutze Mitte der Eislaufbahn und drehte dort eine kunstvolle Pirouette. Hyouga grinste und zeigte ihr seinen hochgereckten Daumen. Das spornte sie nur noch mehr an. Sie beschleunigte und fuhr direkt auf die eine Seite der Halle zu; kurz bevor sie in den Strom der anderen Besucher hineinfuhr, drehte sie aber scharf um. Allerdings verrechnete sie sich dabei bei der Verlagerung ihres Gewichtes und knallte prompt zu Boden. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihren linken Knöchel. Ein leises Wimmern entfuhr ihr. Die Kälte des Eises drang durch ihre dünne Kleidung und der Schmerz schien immer schlimmer zu werden. „Kannst du aufstehen?“, hörte sie da Hyougas besorgte Stimme über sich. Sie schaute auf und sah, dass er sich über sie gebeugt hatte und ihr seine Hand hinhielt. „Ich versuch es“, sagte sie tapfer und versuchte das Wimmern in ihrer Stimme zu unterdrücken. Sie wollte nicht vor diesem Typen anfangen zu weinen, er würde sie bestimmt für eine Heulsuse halten. Minako nahm Hyougas Hand, von der eine angenehme Wärme in ihren ganzen Körper ströhmte, und ließ sich hochziehen. Doch als sie vorsichtig den linken Fuß aufsetzte, durchzuckte ein Schmerz ihren ganzen Körper und sie wäre wieder in sich zusammengesunken, wenn Hyouga sie nicht unter dem Arm gepackt hätte. „Dein Knöchel?“, fragte Hyouga mitfühlend. Sie nickte und sah zu Boden. Da verabredete sie sich mal mit einem solch einem tollen Typen und machte ihm dann nichts als Schwierigkeiten... Hyouga zögerte keinen Moment, sondern hob die überraschte Minako einfach hoch und fuhr auf den Ausgang der Eisfläche zu, durch den sie zu Beginn gekommen waren. Die Wärme seines Körpers durchströmte Minako und der Schmerz in ihrem Knöchel schien nachzulassen, also schmiegte sie sich noch etwas enger an seine starke Brust. „Danke“, murmelte sie. Hyouga lächelte nur. Als sie bei ihren Taschen ankamen, setzte er sie sanft auf der Bank ab, kniete sich dann vor ihr auf den Boden und hob vorsichtig ihr linkes Bein hoch. „Tut es sehr weh?“, fragte er. „Es geht schon wieder“, murmelte Minako verlegen, obwohl dies nicht ganz der Wahrheit entsprach. Hyouga sah mit durchdringendem Blick in ihr bleiches Gesicht. „Bist du dir sicher?“ „Na ja...“, gab Minako zu. Hyouga löste die Schnürung ihres Schlittschuhs und zog ihn dann vorsichtig von ihrem Fuß, wobei sie vor Schmerz das Gesicht verzog. „Tut mir leid“, sagte er und in seiner Stimme schwang Besorgnis. „Schon in Ordnung“, erwiderte sie mit einem schwachen Lächeln. Sie spürte Hyougas Wärme durch den Fuß in ihren ganzen Körper dringen, den Schmerz dagegen kaum noch. Mit einem prüfenden Blick sah Hyouga auf den roten, geschwollenen Knöchel hinab. Dann fasste er sich kurzerhand mit einer Hand an die Schulter und riss den Ärmel von seinem Hemd ab. „Was tust du da?“, fragte Minako verblüfft. Er lächelte. „Ich brauche irgendwas, das ich um deinen Fuß wickeln kann, um ihn zu stützen.“ Ohne weitere Worte begann er, ihren Knöchel mit dem Ärmel zu umwickeln. Minako wurde ganz heiß, sie wusste nicht was sie sagen sollte, denn ihr ganzer Kopf schien erfüllt zu sein von dem Gedanken daran, wie selbstlos und freundlich Hyouga trotz seines kühlen Äußeren doch war. Hyouga zog den provisorischen Verband fest und fragte: „Geht es so?“ Minako konnte nur nicken, ihr Verstand war immer noch völlig vernebelt von der zarten Berührung seiner Hände. Hyouga stand auf und erklärte: „Ich werde einen Krankenwagen rufen. Bleib du hier.“ „Das ist doch nicht -“, widersprach Minako wenig überzeugend. Hyouga strich ihr sanft mit der Hand über den Kopf. „Jetzt spiel nicht die Starke. Ich seh dir doch an, dass es wehtut. Bleib einfach hier, ich kümmere mich schon um alles.“ Bevor Minako darauf reagieren konnte, hatte er sich schon weggedreht und bewegte sich in Richtung des Eingangs. „Hyouga-kun!“ Er blickte über seine Schulter zu ihr zurück, als sie seinen Namen rief. „Danke“, flüsterte sie und lächelte. Er grinste. Als er fort war, kam ihr plötzlich wieder Seiya in den Sinn. Von Panik ergriffen blickte sie zu einer großen Uhr, die auf der anderen Seite der Halle an der Wand hing: es war bereits halb fünf. Seiya war bestimmt schon äußerst misstrauisch, immerhin war sie schon seit mehr als anderthalb Stunden fort. Lohnte es sich überhaupt noch, zurückzukehren? Vielleicht war es ja auch besser, wenn sie sich ihm nicht mehr zeigte, schließlich wusste sie nicht, wie nachtragend er war. Aber wenn sie nun wiederkam und ihm erzählte, dass jemand sie wegen eines Notfalls angerufen hatte? Sie erinnerte sich an den naiven Ausdruck des Kleinen und war sich sicher, dass er sie nicht als Lügnerin bezeichnen würde. Doch als sie gerade aufstand, um sich durch den Hinterausgang aus der Eislaufhalle zu schleichen, kam eilenden Schrittes Hyouga auf sie zu und rief besorgt: „Bleib doch sitzen, Minako-chan!“ Bei dieser vertrauten Anrede fiel Minako verblüfft auf die Bank zurück. Sie war sich sicher, dass er sie vorhin noch mit dem höflicheren -san angeredet hatte. Sie grinste beim Gedanken daran, dass sie Erfolg zu haben schien. Hyouga kam zu ihr geeilt und fragte: „Wo wolltest du denn hin?“ „Auf Toilette“, antwortete sie prompt und ihr fiel auf, dass dies dieselbe Ausrede wie bei Seiya war. Einen Moment sah Hyouga sie verlegen an; anscheinend überlegte er, ob es besonders unschicklich war, sie dorthin zu begleiten, da sie ohne ihn wohl kaum einen Schritt schaffen würde. Nach einiger Zeit sagte er: „Bald kommt der Krankenwagen, ich glaube das Krankenhaus ist nicht sehr weit weg. Und ich möchte nicht auch noch daran Schuld sein, dass deine Verletzung sich verschlimmert, wenn du deinen Fuß jetzt belastest.“ Minako schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln und sagte: „Ja, in Ordnung. Das ist wirklich lieb von dir. Aber warum sagst du 'auch noch'? Woran bist du denn noch Schuld?“ Hyouga blickte zu Boden und murmelte so leise, dass Minako seine kühle Stimme kaum vernehmen konnte: „Wenn ich dich nicht so herausgefordert hätte, solche artistischen Einlagen vorzuführen, wäre das Ganze nie passiert.“ Einen Moment lang sah Minako ihr Gegenüber verblüfft an. Dann nahm sie seine Hand in ihre und sagte: „Hey, das ist doch nicht deine Schuld! Du konntest ja nicht wissen, dass ich fallen würde.“ Hyouga sah sie an und öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch Minako unterbrach ihn mit gespielter Wut in der Stimme: „Du wirst doch jetzt nicht widersprechen! Wenn ich als Opfer dich nicht als schuldig bezeichne, warum solltest du es dann sein?“ Einen Moment sah es so aus, als wollte Hyouga dennoch Widerworte wagen, doch dann schlich sich ein Lächeln in sein Gesicht und er sagte: „Du hast recht, Minako-chan.“ Daraufhin zog sie seine Hand etwas nähe heran und bedeutete ihn, sich neben sie zu setzen. Er ließ sich auf der Bank nieder, seine Schulter dicht an ihrer. Wenig später hatten sie die Hände in Minakos Schoß zusammengelegt, ihr Kopf war auf seine starke Schulter gesunken und er hatte einen Arm um ihre geschlungen. Sie schloss die Augen und genoss diesen Augenblick, saugte alles in sich hinein: Seinen Geruch, seinen muskulösen Körper unter ihrem Kopf, das sanfte Auf und Ab seines Körpers, die Wärme seines Armes an ihrer Schulter... Doch dieser glückliche Moment, in dem sie wie auf Wolke Sieben schwebte, wurde schon – wie ihr schien – nach dem Bruchteil einer Sekunde durch einen hysterischen Aufschrei beendet. Minako riss die Augen auf und hob den Kopf. Suchend blickte sie sich um, bis sie einige Meter entfernt eine hübsche blonde Frau mit beneidenswerten Kurven sah, und neben ihr – Minakos Herz setzte für einen kurzen Moment aus – Seiya. Die Blicke der beiden waren auf sie und Hyouga gerichtet, es bestand kein Zweifel daran, dass sie sie entdeckt hatten. Die Frau sah die beiden geschockt an und schrie dann: „Hyouga, du untreues Schwein!“, wobei Hyouga erschrocken zusammenzuckte. Seiya hingegen sah nur mit schwer enttäuschtem Blick zu ihnen herüber. Beschämt sah Minako zu Boden. Vielleicht hätte sie wirklich etwas mehr darüber nachdenken sollen, mit wem sie sich wann verabredete. Aber was sie im Moment viel brennender interessierte, war die Frage, wer diese Frau war und was sie mit Hyouga zu tun hatte. Sie hatte ihn untreu genannt, also war sie vielleicht seine Freundin... Minako schalt sich selbst eine Idiotin, weil sie nie einen Gedanken daran verschwendet hatte, ob dieser Traummann vergeben war. Hyouga erhob abwehrend die Hände, als die Frau wütend auf sie zugestapft kam. „Eri-chan, du verstehst das alles falsch!“, beteuerte er, was sie allerdings nicht sonderlich zu interessieren schien. Als sie dann vor ihm stand, verpasste sie ihm erst einmal eine klatschende Backpfeife. Minako wurde von ihr mit einem hasserfüllten Blick versehen, der sie unwillkürlich zusammenzucken ließ. „Wie hast du mich gefunden?“, fragte Hyouga. Anscheinend schien die Backpfeife ihm kaum etwas ausgemacht zu haben, er klang schon wieder neugierig und überhaupt nicht eingeschüchtert. Eri deutete mit dem Kopf auf Seiya, der aussah, als wolle er sofort ihm Boden versinken. „Shun hat mir von deinem Date mit Minako-san erzählt...“, murmelte er kleinlaut. „Ja und?“, fragte Hyouga erstaunt. „Darf ich mich nicht mal mehr verabreden?“ Mitleidig sah Minako zu Seiya auf, dessen Blick inzwischen wieder auf den Fußboden gerichtet war. „Er war auch mit mir verabredet“, erklärte sie Hyouga. Dieser sah einen Moment zwischen ihr, Seiya und Eri hin und her, dann brach er plötzlich in lautes Gelächter aus. „DAS – IST – NICHT – LUSTIG!!!“, brüllte Eri, sodass das Echo in der ganzen Halle zu hören war und viele Köpfe sich in ihre Richtung wandten. Hyouga grinste entschuldigend, sah aber nicht aus, als würde es ihm wirklich leid tun. Da entdeckte Minako am Eingang des Gebäudes zwei weiß gekleidete Männer mit eine Trage, die sich suchend umblickten. „Der Krankenwagen ist da“, sagte Minako erleichtert zu Hyouga, denn sie fürchtete sich im Gegensatz zu ihm ein wenig vor der aufbrausenden Eri. „Oh ja“, bemerkte Hyouga und seine Miene hellte sich auf. „Wir besprechen das dann wann anders weiter, Eri-chan!“ Er zog in Windeseile seine Schlittschuhe aus und stopfte sie in seinen Beutel. Während er Minako ihren zweiten Schuh auszog, schienen die Männer sie entdeckt zu haben und kamen schnell auf sie zu. Anscheinend hatte jemand am Eingang ihnen Hyougas auffälliges Äußeres beschrieben. Als sie ankamen, hob Hyouga Minako auf die Trage und bedeutete den Männern, sich schnell zum Ausgang zu begeben. Er schnappte sich Minakos Handtasche und seinen Beutel und warf Eri einen spöttischen Handkuss zu. „Das wird Folgen haben, Cygnus Hyouga!!!“, kreischte Eri ihm hinterher, als er schnellen Schrittes den anderen folgte. Er tat dies mit einer Handbewegung ab. Nachdem Hyouga die geliehenen Schlittschuhe zurückgebracht hatte, verfrachteten die Männer Minako in den Laderaum des Krankenwagens, wo Hyouga und einer der beiden Sanitäter sich ebenfalls niederließen. Der andere stieg in die Fahrerkabine ein und startete den Wagen. Nachdem der Sanitäter sich über den Zustand ihres Fußes erkundigt und Hyougas Hemdärmel gegen einen professionellen Verband getauscht hatte, schwiegen sie eine Weile. Schließlich hielt Minako es nicht mehr aus und fragte: „Wer war das gerade, diese Eri?“ Hyouga überlegte einen Moment, was er sagen sollte, dann erklärte er: „Wir sind alte Bekannte. Und ich hatte mich für heute mit ihr verabredet. Deshalb war ich auch so spät. Eigentlich wollte ich ja zwischendurch nochmal zu ihr, aber es hat solchen Spaß gemacht mit dir, da hab ich gar nicht mehr dran gedacht.“ Er grinste. Minako starrte ihn einen Moment mit großen Augen an, dann begann sie zu lachen. „Ehrlich?“, fragte sie. Hyouga nickte und stimmte in ihr Lachen mit ein. „Und du scheinst anscheinend genau dasselbe geplant zu haben“, stellte er fest. Sie nickte nur. „Gehst du nochmal mit mir aus, wenn dein Knöchel wieder in Ordnung ist?“, fragte Hyouga nach einer Weile. „Liebend gerne“, erwiderte Minako und schmiegte sich an ihn. „Und diesmal keine Tricks, versprochen.“ An einem sonnigen Juli-Wochenende zwei Wochen später saßen Hyouga und Minako gemeinsam im Eiscafé und löffelten Eis aus einem gigantischen Eisbecher in der Mitte des Tisches. Unauffällig sah Minako auf die Uhr. Es war bereits halb vier. „Du, Hyouga, mir ist gerade etwas eingefallen!“, erklärte sie verlegen lächelnd. „Ich glaube, ich hab vergessen, die Haustür abzuschließen...“ Hyouga sah sie mit einem prüfenden Blick an und zögerte einen Moment, bevor er antwortete. „Na dann beeil dich mal.“ „Mach ich, ich bin gleich wieder da!“, sagte sie, sprang auf und machte sich auf den Weg. Kouji wartete schon seit einer halben Stunde im Park, sie musste sich wirklich beeilen, wenn sie ihn noch erwischen wollte... Kapitel 25: Taichi und Pan - Ausflug in die Vergangenheit --------------------------------------------------------- Von Da sind wir wieder. Irgendwie brauchen wir immer länger von Kapitel zu Kapitel... Dieses Pairing haben wir mal wieder nach Zufallsprinzip ausgesucht, allerdings per E-Mail, nach dem Prinzip dass einer einen Namen schrieb und der andere sich den erst angucken durfte, wenn er sich selber einen ausgedacht hatte. Wir haben uns hier entschieden, die Welt von Dragonball in die Zukunft zu verfrachten, aber seht einfach selbst, wie sich die zwei begegnen. ^^ Ich hoffe, die Geschichte gefällt euch. Ausflug in die Vergangenheit Pan hatte schlechte Laune. Nicht nur das, sie war richtig sauer. Mit einem wütenden Schnauben durch ihre Nasenlöcher machte sie diesen Gefühlen Luft, doch es war niemand da, der es beachten konnte. Es war zum Aus-Der-Haut-Fahren. Bra hatte ihr doch versprochen, dass sie zusammen einen Ausflug machen würden und nun... Mit blitzenden Augen starrte sie auf das große, runde Haus das sich vor ihr aufbaute, aber das machte die Sache auch nicht anders. Es war niemand zu Hause. Alle Vögel waren ausgeflogen. Ausgeflogen wahrscheinlich im wahrsten Sinne des Wortes... Obwohl sich niemand die Mühe gemacht hatte Pan gegenüber irgendwie zu erwähnen, dass offenbar die ganze Familie Briefs, inklusive Vegeta, einen Ausflug geplant hatte. „Bra, du dumme Kuh!“, schrie sie wütend. Sie hätte fast ihre Kontrolle verloren und das gesamte Gebäude kurz und klein gehauen, aber sie erinnerte sich noch an die Warnung ihres Vaters. „Egal, wie wütend du bist, pass auf, dass du kein Aufsehen erregst.“ Pan ballte die Fäuste und beschloss, wieder zu gehen. Da keiner da war, half es ja sowieso nichts, noch rumzuschreien oder Radau zumachen, zumal sich, was sie allerdings nicht bemerkt hatte, nach ihrem ersten Schrei schon ein paar Leute am Zaun des Geländes versammelt hatten und neugierig durch die Gitter des Tores lugten. Sie hatte gerade den Entschluss gefasst, wieder nach Hause zu fliegen und unterwegs irgendeinen großen Felsen zu zertrümmern, als ihr Blick auf etwas fiel, das ihr unbekannt war. Und das war schon etwas Besonderes, schließlich verbrachte sie fast jeden zweiten Tag im Hause der Familie Briefs, ja, es war praktisch ihr zweites Zuhause. Trotzdem hatte sie diesen kleinen Kasten neben dem Schwerkraftraum am Ostende des Geländes noch nie gesehen. Woraus sie schloss, dass er vorher nicht dagewesen war, weil sonst hätte sie ihn ja vorher bemerkt, zum Beispiel beim Verstecken spielen mit Trunks und Goten. Sie kam an dem seltsamen Kasten an; er war aus hellem Kunststoff gebaut und von außen vollkommen langweilig. Das einzige, was zu sehen war, war ein schwarzer Griff an der Tür und eine Aufschrift über dieser, die sie einfach ignorierte, als sie hineinschlüpfte. Drinnen war es auch nicht sehr viel interessanter. Zwei kahle Wände rechts und links... aber was sich jetzt vor ihrer Nase befand sah schon irgendwie so aus, als könne man was damit anfangen. Hier befanden sich ein schwarzer, leerer Bildschirm und darunter eine Tastatur, wie sie sie auf dem Computer ihres Vaters gesehen hatte. Mit schiefgelegtem Kopf betrachtete sie erst die Mattscheibe und dann die vielen kleinen mit Zahlen und Buchstaben versehenen eckigen Knöpfe. Dann drückte sie neugierig auf einen von ihnen. Nichts passierte. Sie drückte einen anderen, aber immer noch nichts geschah. Enttäuscht wollte sie sich wieder wegdrehen, als ihr ein großer, grüner Hebel neben dem Bildschirm auffiel. Er sah so aus wie ein Anschaltknopf. Als sie ihn umlegte, flimmerte der Bildschirm dunkelgrün auf, dann erschienen lange Zeilen an kryptischen Kombinationen von vielen Zahlen und wenigen Buchstaben auf dem Bildschirm, die sich langsam nach unten bewegten. Pan rückte näher an den Bildschirm und betrachtete eine Weile den Fluss der Buchstaben, bis der Bildschirm ganz grün aufleuchtete. Nur in der Mitte erschien ein kleines Viereck mit einem blinkenden Strich darin. Pan drückte auf einen Buchstaben, doch nichts passierte. Seltsam. Also versuchte sie es mit einer zwei. Die Zahl erschien sofort in dem Viereck. Pan sah sie an und drückte dann noch drei andere Zahlen, danach war das Viereck voll. „Bitte bestätigen“, erschien auf dem Bildschirm. Pan ließ ihren Blick über die Tastatur gleiten. Wenn sie jetzt die Eingabe-Taste drückte, was würde wohl passieren? Sie war zu neugierig, um einfach aufzuhören, auch wenn ihr Vater ihr schon mehrmals gesagt hatte, dass man nicht mit den Geräten anderer Leute herumspielte, schon gar nicht, wenn man nicht wusste, was es war. Das vergaß sie jedoch einfach mal und drückte die Taste, so schlimm würde es wohl nicht sein. „Eingabe bestätigt“, erschien auf dem Bildschirm, „Bitte geben sie auf sich Acht“. Dann erlosch der Bildschirm und wurde tief schwarz. Einen Augenblick dachte sie, es wäre schon alles vorbei, da wurde der Schirm auf einmal so hell, dass sie geblendet die Augen zukneifen musste und bis zur Tür zurücktaumelte. Sterne tanzten vor ihren Augen und sie fühlte sich auf einmal wackelig auf den Beinen, was sie sich überhaupt nicht erklären konnte – sie war doch eine Saiyajin und hatte schon mit vier Jahren die Erde schneller im Flug umrundet als ein Düsenjet! Dass es vorbei war merkte sie daran, dass das Licht wieder verschwand. Sie wagte trotzdem erst nach ein paar Minuten, die Augen wieder zu öffnen. Obwohl sie die ganze Zeit nur gestanden hatte, kam es ihr vor als hätte sie soeben bis aufs Letzte gekämpft. Ihr war leicht schwindelig, ihre Knie fühlten sich weicher an als der Bauch des Dämonen Boo und sie musste schnell atmen, um wieder Luft in ihre Lunge zu bekommen. Als sie schließlich doch blinzelte, war der Bildschirm wieder pechschwarz. Sie tapste darauf zu, entschied sich dann aber anders. Was auch immer dieses Ding war, es gefiel ihr nicht sonderlich. Sie fragte sich, ob sie jetzt überhaupt noch die Kraft hatte, den weiten Weg nach Hause zu fliegen, aber sie müsste es wohl versuchen. Sie wollte gerade die Tür aufreißen, als diese von außen geöffnet wurde. Sonnenlicht fiel herein und sie war einen Augenblick so geblendet, dass sie überhaupt nichts mehr sah. „He, du, alles in Ordnung?“, fragte eine Jungenstimme. Pan machte die Augen zu und überlegte, was sie jetzt machen sollte. Sie kannte die Stimme nicht, das hieß, wer auch immer da war, war unerlaubt in das Gelände der Briefs eingedrungen. Allerdings hatte sie im Moment nicht mal die Kraft, ihren Arm normal zu heben, geschweige denn ihn rauszuwerfen. „Wer bist du?“, fragte sie misstrauisch und blinzelte langsam. Vor ihr schälte sich die Silhouette eines Junge aus dem Licht, der etwas kleiner war als Goten. Beim näheren Hinblicken erkannte sie, dass er braunes, wuscheliges Haar hatte, das er sich mit einem blauen Stirnband größtenteils aus den Augen hielt, und braune Augen. Er trug ein blaues T-Shirt mit einem gelben Stern in der Mitte und eine schlammfarbene Hose, die ihm bis knapp über die Knie ging. Seine Waden waren dünn und seine Füße steckten in etwas abgewetzten weißen Turnschuhen. Als Pan damit fertig war, ihn von oben bis unten zu betrachten, blieb ihr Blick an seinem Gesicht hängen. Es war ein flaches, dunkles Gesicht mit einer kaum hervorstehenden Nase und diesen geheimnisvollen dunkelbraunen, fast schwarzen Augen. „He, alles in Ordnung?“, fragte er nochmal. Pan nickte verlegen. Irgendwie war sie ihm sogar dankbar, dass er die Tür aufgemacht hatte. Wer wusste, ob sie das in ihrem Zustand selber hinbekommen hätte? „Ja, mir geht’s gut. Ich bin nur gerade etwas erschöpft.“, sagte sie. „Soll ich dir helfen?“, fragte er und hielt ihr seine dunkle Hand hin. Um das Handgelenk war ein dunkelblaues Schweißband mit hellen Streifen befestigt. Sie nahm ohne zu fragen die Hand und ließ sich von ihm aus dem schrecklichen Kasten ziehen. Er machte die Tür wieder zu und warf einen Blick daran hoch. „Seltsames Ding...“, murmelte er und blickte dann wieder zu ihr. Pan dagegen war schon mit etwas ganz anderem beschäftigt, und das war die wundersame Tatsache, dass sie sich nicht mehr auf dem Gelände der Briefs befand. Sie war nichtmal überhaupt irgendwo, wo sie sich erinnern konnte, schonmal gewesen zu sein. Hinter einem Gebäude, vor dem so viele Menschen standen, dass sie kaum dessen Wände sehen konnte, thronte ein anderes, großes Gebäude. Es war lang und schmal und sah fast aus wie aus lauter Türmen bestehend, die alle ein blaues, spitzes Dach hatten. Manche hatten auch ein goldenes Dach, und überall waren kleine Fenster zu sehen. So etwas Wunderliches hatte sie noch nie gesehen. Aber nicht nur das verwirrte sie. Als sie sich umblickte, sah sie überall Menschen. Nichts als Menschen, und alle irgendwie seltsam gekleidet, obwohl sie nicht genau sagen konnte, was mit den Klamotten nicht in Ordnung war. Auf jeden Fall war sie nicht mehr in der Gegend um Bezirk 29. Lachen drang an ihr Ohr und aus weiter Ferne panische Schreie. Seltsame Düfte drangen in ihre Nase. Sie drehte sich zu dem Jungen um, der geduldig gewartet hatte, bis sie sich umgesehen hatte. „Wo bin ich hier?“, fragte sie neugierig. Er lachte auf. „Mach keine Scherze. Das hier ist Disney Land, ist doch klar!“ Pan sah ihn an und für diese offensichtliche Erklärung ihrer Blödheit – denn es war überhaupt nicht klar und von einem Dissnie-Land hatte sie noch nie gehört – hätte sie ihm am liebsten eine reingehauen. Sie schluckte den Ärger aber runter, weil ihre Hand immer noch ein bisschen zittrig war. Außerdem sah er ziemlich nett aus und sie verspürte nicht wirklich den Drang ihm eine reinzuhauen, was etwas ungewöhnlich war, aber in diesem Dissnie-Land war sowieso alles ganz anders. „Bist du ganz alleine hier?“, fragte er und ließ langsam ihre Hand los. Sie hätte lieber nicht losgelassen, aber dafür schimpfte sie sich im Kopf einen Idioten. Sie war zwar nicht Vegeta, aber ein bisschen Ehrgefühl als Saiyajin hatte sie ja schon. „Ja, ich bin alleine. Die doofe Bra ist einfach mit ihrer Familie irgendwo hingefahren. Und Papa ist in einer von seinen langweiligen Vorlesungen. Was Mama macht, weiß ich nicht, aber es ist sicher was gaaanz wichtiges und sie würde nicht wollen, dass ich sie nerve.“ „Oh. Und wie alt bist du?“, lächelte er. „Zehn.“ „Und deine Eltern lassen dich ganz alleine irgendwo hingehen?“, fragte er sichtlich erstaunt. „Ich kann auf mich selber aufpassen!“, sagte sie sofort angefressen. „Okay. Und wie heißt du?“ Pan freute sich irgendwie, dass er ihr so viele Fragen stellte. Er hätte schließlich auch einfach weggehen und sie alleine lassen können. „Ich heiße Pan.“ [Anm.: Pan ist das japanische Wort für Brot] Er starrte sie einen Augenblick an und prustete dann aus vollem Halse los. Er lachte so laut, dass sich ein paar von den vielen Leuten zu ihm umdrehten, aber das merkte er gar nicht. Er hielt sich sogar den Bauch. Pan hatte keine Ahnung, was er so komisch fand und starrte ihn böse an, aber sie sagte nichts. Als der Junge langsam wieder Luft holte und nur noch leise lachte, meinte er vorsichtig: „Entschuldige, ich find’ den Namen irgendwie zum Schießen. Heißt du echt so?“ Sie starrte ihn böse an. „Ein Saiyajin lügt nicht“, erklärte sie etwas beleidigt. „Okay, ...haha... sorry... Pan. Nur Pan oder hast du auch einen Nachnamen?“ „Son Pan, aber so nennt mich gar keiner. Pan reicht.“ „In Ordnung, Pan-chan.“ Er grinste und wuschelte ihr durch die schwarzen Haare. „Ich bin Taichi Yagami. Wenn du möchtest, kannst du mich Taichi nennen.“ „Okay, Taichi“, sagte sie strahlend. Irgendwie gefiel ihr dieser Name, denn er klang stark und ganz anders als die Namen der Leute, die sie sonst kannte. „Ja, was machen wir jetzt mit dir...“, murmelte er und stemmte die Arme in die Hüfte. Sie hätte ihn auch einfach so stehen lassen können, schließlich war sie eine Saiyajin und hatte selbst Goten schonmal in einem ernsthaften Kampf besiegt, Hilfe brauchte sie ganz sicher nicht. Aber sie wollte sich genauso wenig von ihm trennen, wie sie ihm eine reinhauen wollte. Das war schon irgendwie seltsam. Sie wartete, aber Taichi kratzte sich nur am Kinn und starrte nach oben. Er schien keine gute Idee zu haben. Pan betrachtete sein Gesicht. Irgendwie hatte sie für seine ganze Erscheinung nur eine Beschreibung – er sah gut aus. Sie verlor sich so in der Betrachtung seiner coolen Frisur, dass sie nicht merkte, wie jemand von hinten auf ihn zukam und ihm eine Hand auf die Schulter legte. Tai stieß einen kurzen Schrei aus, was Pan so sehr erschreckte, dass sie auch schrie. „He, ganz ruhig, wir sind’s nur, Taichi“, sagte der Junge. Er hatte knallrotes Haar und trug ein langweiliges gelbes Hemd. Hinter ihm standen ein paar weitere Jugendliche in seinem Alter. „Mensch, du hast es aber auch drauf andere zu erschrecken, Koushirou“, sagte Tai und gab dem Rothaarigen einen Klaps auf die Schulter. „Wer hätte das gedacht, dass man dich mal erschrecken kann? Sonst bist du doch eher aufgeweckt wie ein Luchs“, scherzte ein blonder Junge, der einen Arm um das rothaarige Mädchen neben ihm gelegt hatte. Taichi blaffte zurück: „Ich war gerade ziemlich am Nachdenken. Abgesehen davon wollte ich euch beiden gesagt haben, dass das hier keine Pärchenstunde ist, sondern unser Jahrestag, also turtelt hier nicht so rum.“ Der Blonde verdrehte die Augen und sagte seelenruhig: „Du bist doch nur neidisch, gib es zu.“ Taichi schnaubte kurz und überblickte dann die Gruppe, die er vor sich hatte. Es waren insgesamt zehn Leute, die alle etwas verschieden alt waren und Tai aufmerksam zuhörten. „He, wer ist das da eigentlich? Hast du einen Ersatz für Hikari-chan aufgetrieben?“, fragte der Blonde dann und deutete auf Pan. „Ich bin kein Ersatz!“, blaffte sie sofort zurück. „Oho...“, meinte der Junge, „okay, dann nicht.“ Er blickte Taichi fragend an, der mit den Schultern zuckte und dann zu einer Erklärung ansetzte: „Also, das ist ... ehm, nicht lachen... das ist Pan-chan. Ich hab sie gerade hier getroffen, und da sie ganz alleine hier ist und ein bisschen orientierungslos aussah...“ „Du willst sie doch nicht etwa mitschleppen?“, fragte der Blonde mit angehobener Augenbraue. „Warum denn nicht?“, fragte die Rothaarige. „Sora-chan...“, setzte der Blonde an, doch einer der jünger aussehenden Jungs drängte sich an ihm vorbei. „Ich hab nichts dagegen“, sagte er. Pan betrachtete ihn neugierig. Er hatte magentafarbene Haare in einer Igelfrisur und sein Grinsen sah ein bisschen aus wie das von Taichi. „Ja, dann ist das doch beschlossene Sache, oder? Wenn Daisuke-kun es sagt?“, meinte ein Mädchen. „Ja“, sagte Taichi, „ist es.“ Er drehte sich zu Pan um. „Es sei denn, du möchtest gar nicht mit uns mitkommen. Also, um erstmal alle vorzustellen. Das hier ist Yamato.“ Er deutete auf den Blonden, der Pan nur recht skeptisch ansah und ihrem Blick dann wieder auswich. Taichi stellte auch die anderen vor, aber Pan konnte sich wirklich nicht alle Namen merken, außer dass die Rothaarige Sora hieß. Als endlich alle vorgestellt waren, stemmte Taichi die Arme in die Hüften und fragte: „So, was machen wir jetzt als nächstes?“ „Tomorrowland haben wir jetzt ganz durch“, sagte der Rothaarige und faltete ein buntes Blatt Papier auf. „Als nächstes können wir ins Fantasyland, oder? Da gibt’s ein paar interessante Sachen.“ „Da ist doch auch die Geisterbahn, oder?“, fragte der Magentahaarige. „Richtig, Haunted Mansion. Wollen wir da rein?“ „Warum nicht?“, fragte Taichi sofort. „Okay, da lang.“ Der Rothaarige drehte sich in die entgegengesetzte Richtung aller anderen und winkte ihnen, ihm zu folgen. Der Magentahaarige war sofort neben ihm. Taichi sah Pan an. „Los geht’s, Pan-chan,“ sagte er freundlich. Sie nickte und lief ihm hinterher. Während sie zwischen seltsamen Gebäuden hindurch und an riesigen Menschenmassen vorbeiliefen, begriff Pan langsam, dass sie in einem Freizeitpark gelandet war. Ihr Vater hatte ihr mal erklärt, dass das ein Ort war, an dem Menschen, die keine besonderen Kräfte hatten, spannende Szenen anguckten und so taten, als ob sie selber in Gefahr wären. Er hatte ihr auch erklärt, dass es dort immer eine Achterbahn gab, wo man in einen Gleiter stieg und ganz schnell hoch und runter fuhr, aber sie hatte das nicht sehr interessant gefunden, fliegen war doch viel lustiger. Offenbar konnten die ganzen Leute, mit denen sie jetzt unterwegs war, nicht fliegen, aber das war nicht ungewöhnlich, schließlich konnte das nicht mal Bra. „Geht das mit der Geisterbahn in Ordnung oder hast du Angst vor Gespenstern?“, fragte Taichi. „Ein Saiyajin hat vor gar nichts Angst!“, rief sie resolut, was ihn aus irgendeinem Grund zum Grinsen brachte. „Okay.“ Als der Rothaarige nach fünf Minuten sagte: „Hier ist es“, stand vor ihnen ein sehr altmodisches Haus mit Backsteinen und Laternen aus Metall davor. „Die Wartezeit ist 40 Minuten“, sagte der Blonde gelangweilt. „Das ist länger als eben beim Space Mountain“, stellte ein Mädchen mit lila Haaren fest. „Aber es lohnt sich! Ich war da letztes Jahr schonmal drin und ich sag euch, das ist richtig cool“, meldete sich der Junge mit den kurzen braunen Haaren, der abgesehen von Pan wohl der Jüngste war. „Aber gruselig, oder? So mit Geistern?“, meinte der größte von ihnen, ein schlaksiger Junge mit blauen Haaren und Brille. „Klar ist das gruselig, sonst würde es ja nicht Geisterbahn heißen. Wenn du Schiss hast, dann steig lieber vorher aus“, triezte der Magentahaarige. „Quatsch, ich ... ich hab vor gar nichts Angst!“, protestierte der Junge. Die Zehn schienen sich alle schon lange zu kennen. Während sie sich in eine Menschenschlange einordneten und nur stockend vorwärtskamen, machten sie Scherze miteinander und lachten eine Menge. Pan fiel auf, dass es eigentlich zwei Gruppen gab; die Jüngeren, also der Magentahaarige, ein blonder Junge mit Mütze, der Jüngste, das Mädchen mit den lila Haaren und ein Junge mit ungewöhnlich langen schwarzen Haaren standen fast die meiste Zeit zusammen, während die anderen auch eine Gruppe zu bilden schienen. Taichi und der Blonde, Yamato, triezten sich gegenseitig eine ganze Menge und schlossen sogar eine Wette ab, dass der jeweils andere schreien würde. Pan hielt sich dicht neben Taichi, aber sie fühlte sich irgendwie ausgeschlossen. Sie wünschte sich, dass Trunks hier wäre, oder Goten, einfach jemand, den sie kannte, und mit dem sie ein bisschen reden konnte. Das schien auch Sora zu bemerken, denn irgendwie sagte sie, „He, Pan-chan. Willst du uns nicht ein bisschen über dich erzählen?“ Sofort drehten sich alle zu ihr um und Pan sah sich im Mittelpunkt des Interesses. Inzwischen waren sie durch eine Tür gekommen, hinter der die Menschen in ewigen Windungen hin- und dann doch wieder zurückgelenkt wurden, um am Ende durch eine weitere Tür zu verschwinden. „Also, ich bin Pan“, sagte Pan, weil ihr auf die Schnelle nichts Besseres einfiel. „Und ich bin zehn.“ „Woher kommst du?“, fragte der Rothaarige. „Also, normal wohne ich zu Hause...“, sagte sie. Ihr fiel beim besten Willen keine bessere Beschreibung des Hauses ein, das irgendwo abseits der Großstädte lag. „Okay... aus welchem Land kommst du? Du siehst gar nicht so japanisch aus“, bemerkte er. „Japanisch? Dann heißt dieses Land Japan?“, fragte sie neugierig. „Nicht, dass einem das jemand erklären müsste“, murmelte Yamato. „Ja, hier ist Japan“, sagte Sora. Pan nickte interessiert. Von einem Land namens Japan hatte sie noch nie gehört, aber so gut kannte sie sich mit der Welt nun auch noch nicht aus. „Also, ich bin ein Saiyajin. Vielmehr ein Viertel-Saiyajin. Mein Papa ist ein halber Saiyajin und meine Mama ein Erdling.“ „Aha“, sagte der Blauhaarige. Die Jugendlichen wechselten einen kurzen Blick, sagten aber nichts. Dann fragte der Schwarzhaarige: „Bist du heute das erste mal in Disneyland?“ Pan nickte. „Eigentlich wollte Bra mit mir einen Ausflug machen, aber die sind einfach alle abgehauen.“ „Ist das eine Freundin von dir?“, fragte Sora. „Ja. Sie ist eine Tochter von Vegeta, aber sie kämpft kaum und interessiert sich mehr für Technik. Trotzdem ist sie ganz nett.“ Das Gespräch ging noch eine Weile so weiter und ihr wurden Fragen nach Lieblingsessen und Lieblingsbeschäftigungen gemacht. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass alle sie etwas seltsam fanden, weil sie sagte, sie trainiere am liebsten mit den Drachen Kampfsport, aber keiner sagte etwas. So verging die Zeit doch recht schnell und auf einmal waren sie schon fast am Eingang und wurden gefragt, wie viele sie waren. Der Magentahaarige sagte erst zehn, korrigierte sich dann aber, weil er Pan vergessen hatte, auf elf. Die Frau am Eingang, die ein seltsames, sehr altmodisches Kleid trug und blaue Haut hatte, erzählte ihnen, dass sie sich in Dreiergruppen aufteilen sollten. Der Magentahaarige, der Schwarzhaarige und der mit der Mütze gruppierten sich, und der Kleine bildete mit der Lilahaarigen und dem Rothaarigen eine Gruppe. Sie stiegen in einen wackelig aussehenden Wagen, der mit Rädern auf Metallstangen fuhr. Nun waren noch Taichi, Yamato, Sora und der Blauhaarige übrig. „Tja, wie machen wir das?“, fragte Taichi. „Wie wäre es mit Auslosen?“, fragte Yamato. „Oder hat jemand einen bestimmten Wunsch mit wem er fahren möchte?“ „Du, ist doch klar“, feixte Taichi. „Los, ab ihr zwei, ich fahre mit Pan-chan und Jou.“ „Hey, danke Kumpel“, sagte Yamato. Eine von den Frauen in den weißen Kleidern leitete Pan und die zwei anderen zu einem der Wagen und sie setzten sich auf die Bank. Pan landete in der Mitte neben Tai. „Was passiert jetzt?“, fragte sie. „Jetzt musst du auf die Gespenster aufpassen“, sagte Taichi grinsend. Bevor Pan weitere Fragen stellen konnte, fuhr der Wagen ruckelnd an und rauschte mit leichtem Klappern auf eine finstere Luke zu. Als sie etwa fünf Minuten später wieder an die frische Luft und in die Menschenmenge stolperten, atmete Pan erleichtert auf. „Und, wie war es?“, fragte Taichi. Die Wahrheit war, dass sie sich fürchterlich gefürchtet hatte, als auf einmal weiße Gestalten aus der Wand gekommen waren und gruselig gelacht und mit Ketten geklappert hatten. Aber sie war eine Saiyajin, deshalb musste sie zumindest so tun, als sei alles in Ordnung. „Ich hatte überhaupt keine Angst“, sagte sie. „Okay, verstehe“, grinste er. „Dann hast du dich also nur aus Spaß immer an meinen Arm geklammert, wenn Geister aufgetaucht sind.“ Pan lief rot an und schüttelte den Kopf. „Okay, ich gebe zu, ich hatte ein kleines bisschen Angst“, meinte sie schüchtern. „Hey, das ist doch okay“, sagte er. Irgendwie machte sie das glücklich. „Hey, kommt ihr?“, fragte der Blauhaarige auf einmal. Die anderen waren schon drauf und dran weiterzugehen, deshalb sah Taichi Pan auffordernd an und sie liefen hinterher. Die Zeit verging wie im Flug, und Pan fand alles toll hier. Sie hatte wunderbar viel Spaß gehabt, als sie nacheinander in verschiedene Fahrgeschäfte eingestiegen waren, und während der langen Wartezeiten hatten sie den anderen zugehört und hin und wieder geantwortet, wenn einer ihr eine Frage gestellt hatte. Jetzt standen sie in einer Schlange zu einem großen Rad, das sich langsam drehte. Pan schaute hinauf und überlegte, ob man von dort oben wohl eine gute Aussicht haben würde. Es war bestimmt nicht so toll wie Fliegen, aber dafür hatte sie ja Taichi dabei. Sie blickte ihn verlegen an. Er war cool. Vor allem sein freches Grinsen fand sie einfach nur anbetungswürdig. Sie erinnerte sich daran, dass die Mädchen aus ihrer Klasse in letzter Zeit auch oft darüber redeten, welche Jungs „süß“ waren, und manche hatten sogar schon einen Freund vorweisen können. Pan hatte das ganze bisher nicht sonderlich interessiert, aber Taichi war wirklich cool. Ob er sie wohl auch mochte? Als es an der Zeit war, in die kleinen wackelig aussehenden Kabinen zu steigen, wurde ihnen gesagt, dass nur vier Leute in eine passten. Also stiegen der Magentahaarige Daisuke, der Schwarzhaarige, die mit den violetten Haaren und der Jüngste in die erste Gondel. „Ich würde ja gerne mit Sora-chan allein...“, bemerkte der Blonde. „Schon klar“, meinte Taichi und schaute stattdessen auf die anderen. „Wir restlichen sind fünf leute. Das heißt, wir teilen uns am Besten in drei und zwei auf. Vorschläge?“ „Ja, ich will mit dir in einer Gondel fahren!“, rief Pan und strahlte Taichi an. Sie wusste nicht genau, was sie da oben für eine Aussicht erwartete, aber wenn der Blonde mit seiner Freundin allein sein wollte, dann wollte sie auch mit Taichi allein sein, hatte sie beschlossen. „Ja, dann bleiben wir wohl übrig“, meinte der mit der Mütze. Dem blauhaarigen Jou und dem Rothaarigen schien das relativ egal zu sein, also stiegen sie in die nächste Gondel ein. Sie drehte sich an dem großen Rad ein bisschen und Sora und ihr Freund gingen hinein. Jetzt waren nur noch Taichi und Pan übrig, aber es dauerte nicht lange, bis auch vor ihnen eine Gondel anhielt. Eine Frau wollte ihnen beim Einsteigen helfen, aber Pan sprang an ihr vorbei hinein und setzte sich auf eine Bank auf der rechten Seite. Taichi wollte sich neben ihr niederlassen, aber Pan erkannte sofort, dass das doof wäre, weil sie ihm dann nicht in die Augen gucken konnte. „Du musst dich mir gegenüber setzen“, sagte sie. „Okay...“, meinte Taichi verwirrt, aber er tat es. Die Kabine bewegte sich langsam zur Seite und hielt dann wieder an. Im Moment konnte man noch nicht viel erkennen, nur den Park, und den Himmel, der schon ziemlich dunkel geworden war. Pan fiel ein, dass sie ihrer Mutter versprochen hatte, wieder zu Hause zu sein, wenn es dunkel wurde, andererseits hatte sie absolut keine Ahnung, wie sie von diesem Land namens Japan wieder nach Hause kommen sollte, und außerdem hatte sie gar keine Lust, von Taichi wegzugehen. Mit langsamen Ruckeln drehte sich die Kabine immer ein kleines Stück weiter, um dann wieder anzuhalten. Pan beobachtete Taichi, der seine dünnen Beine überschlagen und die Arme hinter dem Kopf verschränkt hatte. Er sah gedankenverloren aus dem Fenster. Pan kam bei diesem Anblick wieder der Gedanke, dass er total gut aussah, und sie wollte ihm gerne näher sein. „Darf ich mich neben dich setzen...?“, fragte sie zögernd. „Na klar, ist in Ordnung“, sagte Taichi. Sie sprang sofort direkt neben ihn und rückte ganz dicht an ihn dran. Tai beobachtete das erstaunt und drehte sich dann zum Fenster der Kabine. „Schau mal raus“, sagte er. Pan löste sich etwas von ihm und sprang neben ihm ans Fenster. Sie hatte die ganze Zeit nur ihn angestarrt und deshalb nicht so darauf geachtet, was draußen war, aber jetzt interessierte es sie doch irgendwie. Kaum hatte sie nur einen kleinen Blick hinausgeworfen, stieß sie ein lautes „Wow!!“ aus. Unter ihnen erstreckte sich ein schmaler Meeresarm, und in den Wellen spiegelte sich das Antlitz einer Stadt voller Hochhäuser mit tausenden von bunten Lichtern. „Waah, wie schön!“, rief sie. Sie drehte sich begeistert zu Taichi um, der sie breit angrinste. „Hab ich’s mir doch gedacht“, meinte er. Pan fühlte sich wunderbar. Nachdem sie wieder aus dem Riesenrad waren, machten sie sich auf, den Park zu verlassen. Dabei stießen sie jedoch auf ein Hindernis; Pan musste feststellen, dass alle andren offenbar beim Betreten dieses Freizeitparks eine Karte bekommen hatten, die sie jetzt an eine Maschine verfüttern mussten, aber sie hatte keine. „Was ist los?“, fragte Taichi, als die anderen schon alle draußen waren. „Ich hab keine Karte“, sagte Pan mit gesenktem Kopf. Tai blinzelte sie verständnislos an. „Wie willst du dann reingekommen sein?“ Pan sah ihn hilflos an und schüttelte ratlos den Kopf. Tai runzelte die Stirn. „Das ist schlecht“, sagte er, „Ich hab nämlich auch kein Geld um dir den Eintritt nochmal zu bezahlen oder so. Fällt dir sonst nichts ein? Du musst doch irgendwie hier reingekommen sein. Bist du über den Zaun gesprungen oder was?“ Pan sah ihn einen Augenblick an und hatte dann eine geniale Idee. „Geht schonmal raus, ich komm gleich nach!“, erklärte sie überzeugend und flitzte davon. Sie rannte zu den Toilettenhäuschen neben dem Eingang und wartete. Es war schon ziemlich dunkel und gerade keiner in der Nähe. Dann musste sie nur noch... Pan stieß sich vom Boden ab und hob in die Luft ab. Sie blieb einen Augenblick in der Luft verharrend und warf einen Blick über den hell erleuchteten Park, hinter dessen Grenzen sich dunkel das Meer erstreckte. Dann flog sie über den Zaun, der das Gelände einschloss und landete mit einem leisen Tapsen auf dem Boden. Mit einem zufriedenen Grinsen rannte sie zum Eingang, wo Taichi gerade mit den anderen diskutierte. „Taichi-kuuun!“, rief Pan laut. Er fuhr herum. „Ach, sie ist wirklich gekommen. Und, was machen wir jetzt mit ihr?“, fragte der Blonde misstrauisch, als Pan zu ihnen stieß. „Tja...“, murmelte Taichi und betrachtete Pan nachdenklich. „Sag mal, du solltest jetzt echt langsam nach Hause gehen“, meinte er. Pan starrte ihn geschockt an. „Aber ich weiß nicht, wie ich da hinkomme!“, rief sie weinerlich. Taichi sah die anderen nachdenklich an. „Wir sollten die Polizei rufen“, sagte die Magentahaarige. „Nein, es ist alles in Ordnung!“, rief Pan. „Außerdem sind Polizisten alle Idioten!“ Der Blonde trat mit verschränkten Armen vor sie. „Ist egal ob sie Idioten sind, wir können doch nicht die Verantwortung für dich übernehmen, am Ende gehen wir noch als Entführer durch!“ Sein Ton gefiel Pan nicht. Bevor sie richtig überlegt hatte, haute sie ihm in den Magen. Der Junge wurde zurückgeschleudert und von zwei der anderen Jungs in den Armen abgefangen, wo er stöhnend zusammensank. „Was machst du da!?“, fragte Taichi sofort böse. Pan sah ihn an und Tränen stiegen ihr in die Augen. „Er war doch gemein zu mir!“, platzte sie heraus. „Trotzdem darfst du ihn nicht einfach hauen!“, sagte Taichi streng. „Wir müssen dich nach Hause bringen. Also, wo wohnst du, wie heißen deine Eltern?“ Pan sah ihn hilflos an. „Meine Eltern heißen Son Gohan und Videl Satan...“ Taichi sah sie nachdenklich an. „Wohnen die in Japan?“ Pan sah ihn an. Eigentlich hatte sie damit gerechnet, dass er bei der Erwähnung des Nachnamens ihrer Mutter irgendeine Reaktion zeigen würde, doch nichts. „Du, kennst du meinen Opa? Mister Satan!“ Die Jugendlichen sahen sich an. „Nie gehört“, gab der Junge mit der Brille zu. „Das kann nicht sein! Den kennt jeder! Er hat vor 20 Jahren die Welt vor Cell gerettet!“ „Cell...?“, wiederholte die Rothaarige fragend.“ „Den kennt ihr nicht?“, fragte Pan mit einem Anflug von Verzweiflung, „Das kann nicht sein!“ Auf einmal schossen ihr die Tränen wirklich in die Augen. Sie wusste nicht, wie sie wieder nach Hause kommen sollte, und keiner konnte ihr helfen, wenn sie nicht mal ihren Opa kannten. Sie schluchzte leise. Auf einmal legte sich ihr eine warme Hand auf den Kopf. „Alles gut, Pan-chan.“ Als sie aufsah, blickte Taichi sie aufmunternd an. „Hör zu. Ich nehme dich heute erstmal zu mir mit nach Hause, und morgen früh sehen wir dann, ob wir irgendwie rausfinden können, wie wir dich nach Hause bringen, in Ordnung?“ Sie nickte. Schon kam es ihr wieder schrecklich peinlich vor, dass sie vor seinen Augen geweint hatte und wischte sich die Tränen aus den Augen. Sie war schließlich eine Saiyajin!! Tai drehte sich zu den andren um. „Leute, tut mir leid, dass sowas ausgerechnet an unserem Jahrestag passiert...“ „Ist schon okay“, sagte die Magentahaarige, „Du kannst ja auch nichts dafür.“ Taichi nickte und wendete sich dann dem Blonden zu. „Hey, Yamato. Geht’s?“ Der Blonde stand, aber er presste sich noch immer die Hand auf den Magen. „Die kleine hat nen Wahnsinnsschlag drauf, pass bloß auf“, warnte er. „Das war noch nicht mal halbe Kraft!“, rief Pan. Taich drehte sich um. „Dann bin ich froh, dass du nicht mit aller Kraft zugehauen hast“, sagte er ernst, „aber du solltest dich trotzdem entschuldigen.“ Pan sah ihn kurz an, dann ging sie zu Yamato und hielt ihm die Hand hin. Er nahm sie zögernd. „Entschuldigung“, sagte sie deutlich. „Schon gut“, meinte er und kratzte sich am Kopf. Pan lächelte. Ihr Vater hatte ihr beigebracht, dass man sich entschuldigen muss, wenn man etwas getan hat, was anderen nicht gefällt. Kurz darauf saßen sie alle in einem rumpelnden Zug. Pan hatte sich ans Fenster geklemmt und beobachtete die vorbeiziehenden Lichter der Stadt. Der Anblick war wunderbar. Auch dieses Rumpelnde gefiel ihr, auch wenn sie zuerst skeptisch gewesen war, in ein Gefährt zu steigen, das nicht nur auf Rädern fuhr sondern auch noch Schienen benutzen musste. „Das ist irgendwie toll“, sagte sie zu Taichi, „ganz anders als die Gleiter, die wir sonst immer benutzen!“ „Gleiter...?“, wiederholte Taichi fragend. „Ich bin wieder da!“, rief Tai, als er schließlich die Tür zu einer Wohnung im fünften Stock eines Apartmentblocks aufstieß. Er legte im schmalen Eingangsflur seine Schuhe ab und blieb dann wartend stehen. Pan krebste ihm schüchtern hinterher und zog ebenfalls ihre Schuhe aus, weil sie das Gefühl hatte, dass man das wohl hier so machen musste. „Ah, O-Nii-chan, willkommen zurück! Wie war es?“, fragte eine leicht verschnupft klingende Stimme und ein Mädchen mit kurzem braunen Haar in einem orangenen Schlafanzug zeigte sich am Ende des schmalen Flurs. „Ah, es war super. Echt schade, dass du dir ausgerechnet heute eine Grippe einfangen musstest... Im übrigen habe ich jemanden mitgebracht.“ „Das Mädchen da? Wer ist das?“, fragte sie, als sie Pan erblickte. „Ich bin Pan“, sagte Pan sofort und trat auf das Mädchen zu. „Wie heißt du?“, fragte sie. Die Brünette lächelte sie an. „Ich heiße Hikari, ich bin die kleine Schwester von Taichi.“ Dann sah sie Taich fragend an. „Wir haben sie im Disneyland getroffen und sie weiß nicht genau, wie sie wieder nach Hause kommen soll, deshalb habe ich vorgeschlagen, dass sie bis morgen früh bei uns bleibt. Geht doch, oder?“, sagte er. „Ja, von mir aus schon, aber du müsstest Mama fragen, wenn sie wieder da ist“, meinte Hikari mit Blick auf Pan, die an ihr vorbei in den nächsten Raum lief. Dieser war klein und bestand aus einem Regal, einem Tisch, einer Durchreiche und einer Tür zur linken und zwei Türen auf der anderen Seite. Sie sah sich neugierig um und trat ans Fenster, hinter dem sich an eine Straße gedrängt Hochhäuser aneinanderquetschten. In den meisten Fenstern brannte Licht, aber der Weg selbst war bis auf ein paar Straßenlaternen bereits in tiefe Dunkelheit gesunken. Dann sah sie sich genauer im Raum um, während sie Taichi und Hikari leise reden hörte, und entdeckte sofort an der Wand neben der Durchreiche zur Küche etwas, das ihre Aufmerksamkeit erregte. „Was ist das denn?“, rief sie. Tai, der offenbar gerade sowieso das Gespräch mit Hikari beendet hatte, kam langsam zu ihr. „Was meinst du?“ „Dieser Kalender ist doch uralt!“, sagte Pan und deutete auf einen an der Wand befestigten Kalender, dessen Bild für Juli und August mehrere Kinder zeigte, die in bunten Gewändern um eine Art Turm tanzten. Taichi runzelte die Stirn. „Wie kommst du da drauf? Wir haben den ersten August, also ...“ Pan unterbrach ihn genervt: „Ich meine die Jahreszahl! 2003 ist doch schon ewig her!“ „Ist es nicht“, sagte Taichi verwirrt, „Das ist der von diesem Jahr.“ „Doch klar! Wir sind im Jahr 789, und die 2000-er sind schon fast tausend Jahre her!“ Sie sah ihn entschlossen an und er blickte verwirrt zurück. Dann kratzte er sich am Kinn und murmelte: „Das klingt, als kämest du aus der Zukunft. Auch diese Sache mit den Gleitern die du mir vorhin im Zug erzählt hast, sowas gibt’s bei uns noch gar nicht. Würde auch erklären, warum wir deinen Opa, der die Welt gerettet hat, nicht kennen.“ Pan blinzelte ihn mehrere Momente an, dann stieß sie einen Schrei aus. „Dann war dieses komische Gerät eine Zeitmaschine!“, rief sie aus. „Bra hatte mir noch erzählt dass ihre Mutter gerade mit sowas rumprobiert...!“ „Du meinst der Kasten aus dem du im Disneyland rausgekommen bist, wo ‚Time Machine’ draufstand?“ „Da stand Time Machine drauf!?“ „Ja, ich dachte, dass das irgendeine Attraktion wäre oder so...“ Hikari beobachtete die beiden nur vollkommen verwirrt. Kurz darauf saßen sie alle am Tisch, und Taichi hatte ihnen ein wunderbares Essen namens „Omreis“ gemacht, das Pan zwar nicht kannte, das aber fantastisch schmeckte. Leider war es viel zu wenig, aber sie traute sich nicht, um einen Nachschlag zu bitten, weil sie sich sowieso schon etwas dafür schämte, dass sie hier in einem fremden Haus bleiben musste. „Also müssen wir morgen wohl nochmal ins Disneyland“, sagte Taichi schließlich, „wenn du dir sicher bist, dass die Zeitmaschine noch da ist.“ „Ist sie ganz sicher“, sagte Pan. Taichi drehte sich zu Hikari. „Dann kannst du ja auch mitkommen, wo du schon heute krank warst.“ Hikari nickte lächelnd und sagte: „Sofern das mit dem Geld kein Problem ist...“ „Ich komm auch so rein!“, sagte Pan sofort. Taichi seufzte und meinte: „Ich glaube, Mama und Papa können uns da auch ein bisschen geben, zumindest für dich, Hikari-chan, mir haben sie das ja heute auch ausgegeben. Für eine Person dürfte mein Taschengeld noch reichen.“ Damit war das Thema geklärt und Taichi stand auf, um das Geschirr zu waschen. „Hey, du hast ja noch gar nicht aufgegessen“, stellte Pan mit Blick auf Hikaris Teller fest. „Ich habe heute nicht so einen Appetit. Möchtest du den Rest?“, fragte das Mädchen. Pan willigte sofort begeistert ein. „Guut...“, sagte Taichi schließlich, nachdem er ihre Teller neben der Spüle gestapelt und sich die Hände abgewischt hatte, „dann wollen wir mal das mit den Betten regeln. Ich würde sagen, Pan schläft in meinem Bett bei Hikari und ich nehme das Sofa.“ Pan wusste sofort, dass ihr das nicht gefiel. „Ich will nicht, dass du wegen mir auf dem Sofa schläfst!“, sagte sie. „Aber wir haben nur zwei Betten, da geht das nicht anders“, erwiderte er, „schließlich bist du Gast hier und Hikari hat sich noch nicht auskuriert.“ „Ich will mit dir in einem Zimmer schlafen!“, rief Pan und blickte ihn resolut an. Taichi schien Einwände zu haben und öffnete schon den Mund, dann fing er den Blick seiner Schwester auf und schwieg. Hikari ergriff das Wort und sagte: „Ich glaube, wir haben irgendwo noch einen unbenutzen Futon liegen. Wenn wir den auf dem Boden ausbreiten, wird es zwar eng, wenn nachts einer auf Klo geht, aber...“ Taichi sah Pan an. „Wäre das okay? Ich schlafe auf dem Boden und du in meinem Bett.“ „Ja, das klingt besser“, sagte Pan zufrieden. Wenn sie schon morgen zurückmusste, dann wollte sie wenigstens noch ein bisschen in Taichis Nähe bleiben. Als sie gerade den Futon hingelegt und eine Schutzdecke darüber – beziehungsweise tat Taichi das und Hikari sowie Pan sahen ihm von Hikaris Bett aus zu klackte die Tür und ein zweifaches „Bin wieder da“, ertönte. „Ah, Mama, Papa“, rief Hikari aus und eilte in den Flur, „Wir haben Besuch!“ Nachdem Pan ihnen hallo gesagt hatte, erklärten Taichi und Pan ihnen beim Essen, dass Pan die Cousine einer ihrer Freundinnen sei und ihre Eltern bis zum nächsten Tag eine Geschäftsreise machten, dass ihre Freundin zu Hause keinen Platz hatte und dass diese im Disneyland herumgefragt hatte, wer von den anderen sie aufnehmen könnte und Taichi sich schließlich gemeldet hatte. Pan gefiel es nicht, dass die zwei ihre Eltern anlogen, so etwas hätte sie sich bei ihrem Vater nie getraut, aber Taichi hatte ihr geduldig erklärt, dass seine Eltern die Warhheit nie glauben würden und es so schneller ginge. Sie fühlte sich nicht besonders wohl, aber es war Taichis Idee und deswegen hielt sie still und nickte nur zustimmend, während er erzählte. Die Eltern von Taichi waren unglaublich freundlich und seine Mutter machte ihnen allen einen selbstgepressten Karottensaft, den Pan gierig trank weil sie trotz Hikaris restlichem Essen immer noch Hunger hatte. Bald schickten sie dann aber Taichi und Hikari in ihr Zimmer, und da sie alle drei noch keine Lust hatten einzuschlafen, schlug Hikari das Spiel „Mensch ärgere dich nicht“ vor. Pan hielt es für eine sehr lustige Idee, kleine bunte Figuren auf einem Pappbrett zu bewegen und so zu tun, als sei das man selber. Wenn sie an Spiele dachte, war das so etwas wie Fangen- oder Versteckenspielen, manchmal auch mit Fliegen, oder das sich-gegenseitig-mit-Steinen-bewerfen und dem Ziel, alle Steine mit den Händen abzufangen. Dieses hier gefiel ihr, weil man zwischendrin sehr viel Zeit hatte zu reden, und sie mochte Taichis Stimme. Sie hörte ihm gebannt zu, wie er Hikari von ihrem Ausflug erzählte und nickte an manchen Stellen dazu, während der Würfel reihum ging und sie ihre Figuren bewegten, gegenseitig rausschmissen und auf Sechsen warten mussten. Zumindest war es am Anfang so, aber mit der Zeit merkte sie, dass Taichi und Pan sie überhaupt nicht beachteten. Die zwei begannen, nachdem sie mit dem Thema Disneyland fertig waren, irgendwas zu erzählen von Sommercamp und ganz vielen Mons und komischen Erlebnissen, von denen Pan gar keine Ahnung hatte und lachten gemeinsam, und sie saß daneben und fühlte sich ziemlich ausgeschlossen. Aber das machte Taichi immer wieder gut, wenn er ihr den Würfel mit einem freundlichen Lächeln übergab, wenn sie dran war, weil dieses Lächeln absolut nur für sie war und ihr ganzer Körper kribbelte, wenn er ihre Hand berührte wenn er den Würfel hineinlegte. „O-Nii-chan, du bist dran“, sagte Hikari und gab ihrem Bruder den Würfel. „Oh, danke“, meinte er lächelnd. Er grinste sie an, genau wie er Pan vorher im Riesenrad angegrinst hatte, und würfelte dann schwungvoll. Der kleine rote Würfel rollte über den Futon, auf dem sie sich niedergelassen hatten, und gegen eine Falte im Stoff. „Zählt das jetzt?“, fragte er. „Ich glaub schon“, sagte Hikari. „Okay, dann...“ Taichi ließ seinen Blick zum Spielfeld wandern. „Hey, dann hab ich einen drin!“, rief er und bewegte eilig eine seiner Figuren drei Felder vorwärts, womit sie zu einer anderen an der Zielstelle stieß. „Du bist super, O-Nii-chan“, sagte Hikari mit Blick auf ihre Figuren, von denen noch keine einzige angekommen war. „Ach was“, meinte Taichi und kratzte sich am Kopf, aber er grinste schon wieder dieses breite Lächeln. Dann hob er den Würfel auf und drehte sich zu Pan. Er hielt inne als er sah, dass sie weinte. „Pan-chan?“, fragte er verwirrt. „Ich schlafe auf dem Sofa!“, erklärte Pan. „Was?“, fragte er verwirrt. „Ich sagte, ich schlafe auf dem Sofa. Ich hab auch keine Lust mehr zu spielen, das ist doch langweilig“, sagte Pan, wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln und starrte ihn böse an. Taichi sah zu Hikari, die einen vorsichtigen Blick zwischen den beiden anderen wechselte und dann leise seufzte. „Gut, dann hören wir auf“, sagte er, aber ihm war anzumerken, dass er keine Ahnung hatte, was los war. Er räumte das Spiel zusammen und erklärte Pan: „Du hattest schon drei Figuren drin, also bist du die Gewinnerin.“ „Ist mir doch egal“, erklärte Pan mit zitternder Stimme. Taichi runzelte die Stirn, stand auf und räumte das Spiel in ein Regal, dann meinte er: „Mir fällt gerade ein, dass ich Mimi versprochen hatte, sie anzurufen und ein bisschen von heute zu erzählen. In Amerika müsste es jetzt langsam Morgen sein, also ...“ Er verschwand aus dem Zimmer und machte die Tür hinter sich zu. Pan sah ihm böse nach, aber kaum dass er weg war, strömten ihr wieder Tränen über die Wangen und sie biss sich auf die Unterlippe, um nicht zu schluchzen. Auf einmal merkte sie, dass Hikari neben ihr war und ihr die Hand auf die Schulter legte. „Hey, Pan-chan. Alles in Ordnung?“, fragte sie. „Ja, klar“, rief Pan sofort und drückte ihre Hand weg. „Ich brauche deine Hilfe nicht.“ Sie stand auf und wischte sich die Tränen aus den Augen. Hikari sah sie aufmerksam an und meinte dann: „Du bist in O-Nii-chan verliebt, stimmt’s?“ Pan schluckte mühsam und sah sie an. „Woher weißt du das?“, fragte sie zögernd. Sie fühlte sich immer noch zum Heulen, aber sie ließ sich wieder auf den Futon plumpsen und sah Hikari an. „Das merkt man, so wie du ihn ansiehst. Bist du eifersüchtig, weil er so nett zu mir ist?“ Pan schüttelte sofort den Kopf. „Das ist es nicht“, sagte sie zögernd, „aber ich dachte, dass ich etwas Besonderes bin, wenn er mich so anlächelt und dann behandelt er dich genau so... Ich dachte, er mag mich auch!“ Hikari sah sie seufzend an. „Ich glaube, er mag dich wirklich, sonst hätte er dich nicht hierher gebracht. Aber vielleicht nicht auf die Art, wie du das gerne möchtest“, erklärte sie vorsichtig. „Das ist gemein“, klagte Pan, „nur weil ich noch so jung bin, stimmt’s? Ich wette er mag lieber solche Leute wie diese Mimi, wer auch immer das ist!“ Hikari lächelte. „Mimi ist eine alte Freundin, da musst du dir keine Sorgen machen. O-Nii-chan hat auch im Moment kein Mädchen, mit dem er zusammen ist, aber ich glaube, er sieht dich mehr als eine Art kleine Schwester, du bist ja jünger als ich.“ Pan senkte den Blick. Hikari legte ihr die Hand auf die Schulter, und diesmal wies Pan sie nicht ab. „Da du sowieso nur noch bis morgen da bist, genieß doch die Zeit bei uns, auch wenn er dich vielleicht mehr wie eine Schwester behandelt“, schlug sie vor. Pan blinzelte und lächelte auf einmal. „Danke, Hikari“, sagte sie. Sie fühlte sich schon sehr viel besser, aber irgendwie war sie immer noch ziemlich traurig, vor allem wenn sie daran dachte, dass sie morgen schon wieder gehen musste. Taichi kam kurz darauf wieder zurück ins Zimmer. „Ich hab’s mindestens dreimal probiert, aber sie war nicht da. Na ja, man kann ja auch nicht erwarten dass sie Sonntagmorgen schon um 9 Uhr wach ist...“, murmelte er dabei, dann sah er zu Pan und Hikari. „Ich schlafe doch hier“, sagte Pan sofort. Taichi blinzelte verwirrt, aber er zuckte die Achseln. „Okay, mach das“, sagte er. Hikari grinste ein wenig über die vollkommene Ahnungslosigkeit ihres großen Bruders. „Du kannst wirklich nicht mit?“, fragte Taichi. „Tut mir leid, mein Fieber ist wieder gestiegen, glaube ich. Ich fühle mich ziemlich schlapp“, nuschelte Hikari in ihre Decke. Taichi stemmte die Arme in die Hüften und seufzte. „Gut, aber ich hatte echt gehofft, dass du heute mitkommen kannst“, sagte er enttäuscht. „Tut mir leid“, sagte Hikari noch mal. Pan fing ihren Blick auf, und sah wie sie ihr zuzwinkerte. „Na gut, dann gehen wir mal“, sagte Taichi und verschwand aus dem Raum. „Danke für alles, Hikari“, sagte Pan leise, bevor sie ihm folgte. „Keine Ursache. Macht euch einen schönen Tag, bevor du gehst“, sagte Hikari und winkte ihr kurz hinterher. Taichi hatte sich selbst eine Eintrittskarte gekauft und Pan war wie am Vortag über die Absperrung geflogen. Sie hatten keine Probleme, die Zeitmaschine zu finden. So früh morgens wie sie dran waren, waren auch noch kaum Leute da und Taichi erinnerte sich ziemlich genau an das weiße, telefonzellenähnliche Gerät. Als sie davor standen, stellte Pan fest: „Wenn ich die Aufschrift gelesen hätte, wäre ich auch selber darauf gekommen, dass es eine Zeitmaschine ist.“ Taichi hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben. „Meinst du, deine Eltern machten sich Sorgen?“, fragte er. Pan schüttelte den Kopf. „Ich reise einfach an den Zeitpunkt zurück, an dem ich abgehauen bin, dann merkt keiner was.“ „Nicht schlecht überlegt“, grinste er. Pan sah ihn an und fühlte sich traurig, dass sie dieses Lächeln wohl kaum noch einmal wiedersehen würde. „Gehst du jetzt gleich?“, fragte er. „Nur wenn es sein muss“, sagte sie leise. „Gut. Da wir schon extra im Disneyland sind, können wir noch ein bisschen rumgehen, hab ich gedacht“, meinte er freundlich. „Komm mit!“ Früh morgens waren die Fahrgeschäfte noch fast gar nicht voll. Taichi und Pan fuhren dreimal mit der Achterbahn, aber beim dritten Mal mussten sie schon zwanzig Minuten vorher warten, also zogen sie danach noch ein bisschen beobachtend weiter. Pan war froh, dass sie noch ein wenig bei ihm sein konnte, aber sie wusste auch, dass es ihr noch schwerer fallen würde, wenn sie den ganzen Tag zusammenblieben. „Ich glaube, ich sollte jetzt bald gehen“, sagte sie kleinlaut, als sie zusammen über die kleinen Blumenanpflanzungen vor dem seltsamen Gebäude im Zentrum des Parks entlanggingen. „Ja“, murmelte Taichi, „wäre wohl besser.“ Sie gingen eine Weile schweigend nebeneinander her. Pan senkte den Kopf und bei der Erkenntnis, dass sie ihn vielleicht wirklich nicht mehr wiedersehen würde, setzte sich in ihrer Kehle ein dicker Kloß fest. „Hey, lass mich dir ein Andenken schenken“, sagte er auf einmal. „Was?“, rief Pan und sah ihn erstaunt an und versuchte den Kloß mit einem Schlucken herunterzuspülen. „Na, sonst vergisst du mich doch“, sagte er grinsend und zog in Richtung des Eingangs, wo sich ein paar Geschäfte drängten, die alle möglichen lustigen Sachen verkauften. Pan rannte ihm sofort hinterher, aber sie fühlte sich durch sein Grinsen noch fast noch trauriger. „Wie wäre es damit?“, fragte er und zeigte ihr ein kleines blaues Vieh mit langen Ohren und vielen Zähnen.“ „Was ist das?“, fragte Pan krächzend und drückte das Wesen prüfend in die Hand. Es war aus Stoff. „Das ist Stitch“, sagte Taichi, „ein Alien.“ „Alien?“, fragte sie. „Jemand, der nicht von der Erde kommt.“ Pan drehte sich weg. „Echte Aliens sehen ganz anders aus! Mein Opa hat mir mal von Namekianern erzählt, die sind grün und nett, wie Piccolo. Nicht solche komischen Monster.“ Sie hatte den Kopf gesenkt und hatte das Gefühl, jeden Moment losheulen zu müssen. Sie wollte kein Geschenk, sie wollte am liebsten Taichi mitnehmen, wenn sie gehen musste. Taichi legte Stitch weg und legte ihr die Hand auf die Schulter. „Pan-chan, ich möchte wirklich, dass du etwas hast, um dich zu erinnern. Schau dich um und such dir was aus, bitte“, meinte er fast flehend. Pan sah ihn traurig an und wendete dann den Kopf. Da sah sie etwas, von dem sie sofort wusste, dass es das Richtige war. Sie ging zu dem Regal am Rand des Ladens und deutete darauf. „Das will ich haben!“, erklärte sie. Taichi wechselte einen Blick zwischen ihr und einem Stofftier, das mit roter Hose, großen gelben Schuhen und großen schwarzen Ohren im Regal lag. „Mickey Mouse“, sagte er. „Oder ist das auch ein Eilien?“, fragte Pan. Gerade fiel es ihr wieder leichter, ganz normal zu sprechen. „Nein, das ist Mickey Mouse. Eine Maus, aber sie kann reden und ist sehr schlau“, erklärte Taichi und trat neben das Stofftier, um das Preisschild zu begutachten. Er schluckte mühsam. „Bist du dir sicher?“, fragte er. „Absolut!“, rief Pan. Irgendwie schien es ihre Traurigkeit etwas zu unterdrücken, dass sie jetzt das perfekte Abschiedsgeschenk hatte, denn sie konnte Taichi schon wieder fest in die Augen sehen um ihn zu überzeugen. Taichi nahm das Stofftier ein bisschen hoch. „Ist das nicht ein bisschen groß?“, fragte er. „Ach was, das ist genau richtig!“, sagte Pan entschlossen. Taichi seufzte. „Keine Chance, dass du deine Wahl änderst?“ „Keine!“, rief Pan, und ihre Stimme geriet schon wieder ins Schwanken, „Du hast gesagt, dass du mir was schenken willst, und du hast keine Bedingung gestellt!“ „Ist ja gut“, sagte Taich mit einem traurigen Grinsen und hob den Riesen-Mickey von dem Regal. Draußen drückte er ihn Pan in die Arme. Sie umarmte den Mickey ganz fest, um sich noch einmal Mut zuzureden, aber der Kloß in ihrer Kehle war auf einmal wieder da und dicker als zuvor. „Dankesehr“, war alles was sie hervorbrachte. Er lächelte breit, aber in seinen Augen lag ein Schimmern, das den ganzen Ausdruck irgendwie falsch wirken ließ. Pan blinzelte mehrmals, um die Tränen zurückzuhalten und versteckte ihren Kopf hinter dem von Mickey, damit Taichi das nicht so richtig sehen konnte. „Warte, ich hab ne Idee“, sagte Taichi auf einmal. Pan linste an Mickeys Kopf hervor und beobachtete, wie Taichi sich das blaue Stirnband vom Kopf zog, das er gestern auch schon die ganze Zeit umgehabt hatte. „Das ist mein Markenzeichen“, erklärte er mit einem wehmütigen Lächeln, und band es Mickey um. Es sah ein bisschen komisch aus, weil es die Augen des Stofftiers halb verdeckte, aber Pan hatte sowieso nur Augen für Taichi. „Das schenkst du mir einfach so?“, fragte sie schwach. „Klar. Ich hab doch gesagt, dass du mich nicht vergessen sollst“, erklärte er sanft. Pan betrachtete das Stofftier, das mit den Beinen fast auf dem Boden schleifte wenn sie es trug, und sagte zu ihm: „Auch wenn du eigentlich Mikki heißt, nenne ich dich von jetzt an Taichi.“ Sie drückte das Stofftier noch mal an sich, um ihren letzten Mut zu sammeln und wendete sich dann an Taichi: „Du, ich finde dich echt cool“, sagte sie. Taichi wurde ein kleines bisschen rot um die Nase und erwiderte stark blinzelnd: „Und du bist echt süß.“ Pan starrte ihn ungläubig an, dann ließ sie ihr Stofftier fallen und sprang Taichi in die Arme. „Das werde ich dir nie vergessen!“, rief sie und fühlte ihre Augen feucht werden. Taichi drückte sie kurz und ließ sie dann wieder auf den Boden, aber bevor sie sich von ihm löste, drückte sie ihm einen kleinen Kuss auf die Wange. „Leb wohl, Taichi! Es war so schön“, sagte sie mit zitternder Stimme und hob das Stofftier wieder auf, „Die Zeitmaschine finde ich von hier aus allein!“ Sie lächelte Taichi mit Tränen in den Augenwinkeln an, der ihr ein Lächeln zurückschenkte das alles zuvor verblassen ließ. Pan drehte sich um und rannte davon, das Kuscheltier ganz dicht an sich gedrückt. Taichi blieb wie festgewachsen stehen und ein leichtes Zittern bewegte seine Schultern. Pan war froh, dass er ihre Tränen nicht sehen konnte, wie sie auf einmal über ihre Wangen liefen und nicht aufhören wollten. Sie rannte mit dem riesigen Taichi-Mickey im Arm den Weg entlang und alles um sie herum verschwamm, weil ihre Augen in Tränen schwammen. Sie erreichte die Zeitmaschine und öffnete die Tür. Dann wischte sie sich die Tränen von den Augen und trat hinein, ohne sich noch einmal umzudrehen. Kapitel 26: Sasuke und Vivi - Nach den Regeln der Ninja ------------------------------------------------------- Von Dies ist nun also schon die 26. der Chiisana LOVE-STORIES! Wir sind bald zwei Jahre dabei und haben auch schon einige weitere Geschichten in Planung ;) Danke auch noch für die Pairing-Ideen, die einige von euch uns geschickt haben! Diese Geschichte hier gefällt mir eigentlich sehr gut. Sasuke, der sonst so gefühlskalte Ninja, der der hübschen und freundlichen Vivi begegnet... Das interessante daran ist, dass er sich eben am Anfang seine Gefühle ihr gegenüber nicht eingestehen will, da er eigentlich fest auf das Ziel fixiert ist, irgendwann endlich seinen Bruder Itachi übertreffen zu können. Doch Vivi durchschaut natürlich gleich, dass er in Wahrheit ein total lieber Kerl ist ;) Na ja, lest selbst und schreibt mir dann, was ihr von der Geschichte haltet. Hier kommt: Nach den Regeln der Ninja Eine sengende Hitze herrschte in der Wüste von Alabasta, als sich der schwarzhaarige Ninja mit schweren Schritten durch den heißen Sand schleppte. Schweiß lief über seinen sonnengebräunten und durch das harte Training gestählten Körper. Über ihm kreisten Adler, deren gierige Augen auf der Suche nach Futter über die eintönige Landschaft wanderten. Sasuke gefiel dieser Ort nicht. Doch er war auch nicht auf der Suche nach einem Ferienort gewesen, sondern nach einer Stelle, wo er ungestört trainieren konnte, damit er schließlich genug Stärke aufbringen konnte, um seinen verhassten Bruder zu zerstören. Und dafür schien ihm dieser Ort genau richtig. Einsam war es hier, und wenn er auf Menschen traf, kümmerten sie sich nicht im Geringsten um ihn und seine Absichten. In einer Gegend, in der so schwer an Nahrung zu kommen war wie hier, war sich jeder selbst der Nächste. Seine heutige Trainingseinheit hatte Sasuke schon hinter sich. Er hatte einiges ausprobiert, sein Chakra auf verschiedene Dinge konzentriert, sich aber auch um seine körperliche Fitness gekümmert. Manchmal dachte er dabei auch an seinen alten Meister, der ihm und den beiden anderen Mitgliedern der Gruppe so viel beigebracht hatte, doch meist schob er diese Gedanken schnell beiseite. Er war ein Einzelkämpfer. Er würde es ganz allein schaffen stark zu werden. Er brauchte niemanden. Nach einiger Zeit konnte er in der Ferne ein kleines Gebäude erkennen, was ihn froh aufatmen ließ. Wo ein Haus war, waren auch Menschen. Und wo Menschen waren, musste es eine Oase geben. Sasuke hatte den Durst so weit es ging ignoriert, seit vor zwei Tagen sein letzter Wasservorrat zur Neige gegangen war, doch beim Anblick dieses Hauses wollte ihm das nicht mehr gelingen und er lief los, so schnell es seinem erschöpftem Körper möglich war. Als er dem Haus näher kam stellte er fest, dass das Meer nicht weit war. Nach all den Wochen war es eine willkommene Abwechslung, mal wieder etwas außer der ewigen Sandlandschaft mit ihren Dünen und Tälern zu sehen. Vor dem Haus angekommen blieb Sasuke stehen. Es war kein gewöhnliches Wohnhaus, wie er bei einem Blick auf den Schriftzug Spider's Café über der Tür feststellte. Umso besser, sagte er sich und trat ein. Auf einmal schienen die schlechte Laune und die Wut, die sich bei seinem verbissenen Training angesammelt hatten, verflogen zu sein: hier würde er etwas zu Essen und zu Trinken bekommen und auch das kühle Nass des Meeres war nicht weit. Sasukes Augen brauchten eine Weile, bis sie sich an das gedimmte Licht im Café gewöhnt hatten. Schließlich erkannte er, dass der Schankraum leer war, bis auf eine Frau mit lockigen dunkelblauen Haaren, die hinter dem Tresen stand und ihn interessiert musterte. Sasuke durchquerte den Raum und ließ sich auf einem Barhocker nieder. „Herzlich Willkommen in Spider's Café, Fremder“, erklärte die Frau schließlich lächelnd. Sasuke ignorierte dies und erkundigte sich nach dem Getränkeangebot. Als er wenig später seinen Spezialmix vor sich stehen hatte, hatten sich drei weitere Personen zu der Blauhaarigen gesellt: eine sehr beleibte Frau mit roter Lockenmähne und einer Krawatte in der Form eines Tannenbaumes, ein blonder Mann mit noch größerem Körperumfang und ein kleines Mädchen, das sein langes Haar zu zwei Zöpfe geflochten hatte. Sie alle betrachteten Sasuke, der ein wenig genervt die Augen schloss und sein Getränk durch einen Strohhalm in den Mund saugte. „Du siehst stark aus“, äußerte schließlich das Mädchen, als der Schwarzhaarige sein Glas geleert und die Augen geöffnet hatte. Staunend besah sie seinen durchtrainierten Oberkörper, der durch das leichte Tuch, das ihn vor den Strahlen der Sonne schützen sollte, gut zu erkennen war. „Ich bin stark“, sagte Sasuke. „Ach ja?“, fragte die blauhaarige Frau neckisch. „Ich bin ein Ninja“, erklärte er den vieren. Das schien sie zu überzeugen, denn sie warfen sich verschwörerische Blicke zu. Kurze Zeit später waren sie alle in einem Hinterzimmer verschwunden. Nur ein Hund, dessen Körper merkwürdigerweise einer Pistole sehr ähnlich sah und den Sasuke bisher nicht bemerkt hatte, tapste noch ein wenig verwirrt im Raum umher. Als die vier nach einiger Zeit wieder zum Vorschein kamen, bauten sie sich vor Sasuke auf und sahen ihn ernst an. Er hob verwundert die Augenbrauen und schaute zurück. Es war die Blauhaarige, die schließlich sprach. „Wir haben einen Auftrag für dich, Ninja.“ Sasuke sah sie fragend an. Sie fuhr fort: „Wir wollen, dass du den König und seine Tochter tötest.“ Der Blick des Ninja verfinsterte sich. „So eine einfache Aufgabe? Das könnt ihr selbst machen.“ Damit schien es sich für ihn erledigt zu haben, und er wollte gerade den Mund öffnen, um einen weiteren Drink zu bestellen, als das Mädchen sagte: „Was meinst du, was wir getan haben! Wir haben alles versucht, haben auch schon einige andere starke Männer auf diese verdammte Königsfamilie gehetzt, aber niemandem ist es gelungen, ihnen auch nur einen Kratzer zuzufügen.“ Sasukes Mund verzog sich zu einem Lächeln. Das Mädchen fuhr ihn an: „Er hat zwei Leibwächter, Chaka und Peruh, und die sind übermenschlich stark!“ „Ich übernehm den Job“, sagte Sasuke, „wenn ich noch einen Drink bekomme.“ Die vier anderen seufzten erleichtert auf. Es war Neumond. Sasuke sah hinauf, wo gerade die hohen Türme des Palastes im Schein eines Blitzes aufleuchteten. Diese Nacht war perfekt für seine Mission. Er hatte wirklich Glück, dass gerade jetzt ein Gewitter über der Hauptstadt tobte. Langsam schlich er zur Hintertür in der Palastmauer, von der seine Auftraggeber ihm erzählt hatten, und drückte sie vorsichtig einen Spaltbreit auf. Nichts regte sich. Dennoch hielt Sasuke sein Kunai bereit, als er das dunkle Gelände betrat. Wo waren bloß diese beiden Leibwächter, von denen die Kleine gesprochen hatte? Ohne sie würde diese Aufgabe unglaublich leicht werden. Und eine unglaubliche Zeitverschwendung... Mit schnellen, leisen Schritten bewegte er sich über den vom Regen feuchten Rasen. Nach einigen Metern gelangte er tatsächlich zu einer großen Palme, die sich in Richtung eines Fensters im ersten Stock neigte. Wenn seine Informationen richtig waren, lag dahinter das Zimmer der Prinzessin, Vivi Nefertari. Mit leisen flinken Bewegungen erklomm er die Palme und sprang von ihrer Spitze auf die Fensterbank, von wo er vorsichtig in das Zimmer lugte. Selbst seine trainierten Ninja-Augen konnten in der Finsternis kaum etwas erkennen. Er richtete seinen Blick auf die Stelle, wo er das Bett der Prinzessin vermutete. Dann wartete er, die rechte Hand mit dem Kunai darin erhoben. Ein Blitz erhellte den Raum. Sasuke schlug mit dem Ellbogen die Scheibe ein. Aus derselben Bewegung heraus warf er sein Kunai auf das auf dem Bett sitzende Mädchen. Ein erneuter Blitz. Das Mädchen hob reflexartig den Arm, um den Angriff abzuwehren. Das Messer schrammte an ihrem Handrücken entlang und bohrte sich in den Teppich. Sasuke murmelte einen Fluch in die gerade erneut eingetretene Finsternis, wirbelte auf dem Fensterbrett herum und sprang hinunter auf den Rasen. Dann floh er durch die Tür, durch die er gekommen war. Er hatte es versaut. Bestimmt würde dieses Mädchen jetzt Alarm schlagen. Er musste hier weg, so schnell wie möglich. So schnell seine Beine ihn trugen, jagte er durch die menschenleeren Straßen der Stadt. Er musste irgendeinen Ort finden, wo er sich verstecken konnte. Er brauchte einen neuen Plan; an solch einer simplen Mission konnte er doch wohl nicht scheitern! Schließlich kam er bei dem kleinen Wirtshaus am Rande der Stadt an, in dem er seit einigen Tagen untergekommen war und wo sich auch eine Menge zwielichtiger Gestalten herumtrieb. Hier würde er eine Weile sicher sein. Lange wollte er sowieso nicht bleiben. Er musste doch eigentlich sein Training fortsetzen... Sasuke schreckte hoch. Er hatte geträumt. Fluchend stand er auf und stellte sich ans Fenster. Es war derselbe Traum gewesen, den er schon seit diesem finsteren Abend vor knapp drei Wochen immer träumte. Schon wieder sah er dieses blasse Gesicht vor sich, den langen blauen Haarschopf, die dunklen Augen... Ein Seufzer entfuhr ihm und er schüttelte den Kopf, um dieses Bild zu verscheuchen. Er musste sich auf seine Mission konzentrieren. Aber war nicht gerade sie seine Mission ...? „Sie muss sterben!“, sagte er mit lauter, fester Stimme. Er sah hinaus. Es war schon dunkel draußen, er musste irgendwann eingenickt sein. Obwohl ein Halbmond am Himmel stand, schien diese Nacht fast perfekt für einen erneuten Anschlag auf die Prinzessin. Wolken standen am Himmel und schluckten einen großen Teil des Lichts, das von Mond und Sternen ausging. Er konnte nicht erwarten, eine solch finstere Nacht wie bei seinem ersten Versuch in nächster Zeit noch einmal zu erleben. Es musste heute sein. Nachdem er sich das noch einmal versichert hatte, sprang er aus dem Fenster und machte sich auf den Weg in Richtung des Palastes. In der letzten Zeit hatte er sich häufig nach Truppen umgesehen, die in den Straßen patrouillierten, und einmal hatte er sich sogar zum Palast geschlichen, um nach zusätzlichen Schutzmaßnahmen Ausschau zu halten. Doch allem Anschein nach hatte sich nichts verändert. Es gab zwei Möglichkeiten: Entweder die Prinzessin hatte niemandem von dem Anschlag auf ihr Leben erzählt – was Sasuke allerdings für sehr unwahrscheinlich hielt – oder sie wollten ihn in Sicherheit wiegen und damit in eine Falle locken. Der Ninja war sich zwar sehr sicher, dass seine Mission durch den Fehlschlag um einiges gefährlicher geworden war, doch einerseits gab ihr gerade das einen neuen Reiz und andererseits konnte er nicht einfach aufgeben. Schließlich stand er vor der Hintertür in der Palastmauer, durch die er auch beim letzten Mal eingedrungen war. Ob sie wussten, welchen Weg er genommen hatte? Er musste sehr vorsichtig sein. In der Dunkelheit konnten viele Gegner verborgen liegen... Mit einem Tritt stieß Sasuke die Tür auf, versteckte sich aber hinter der Mauer. „Da bist du ja endlich“, sagte eine Stimme. Sasuke erstarrte. Es war die zierliche, aber bestimmte Stimme eines Mädchens, und Sasuke war sich fast sicher, mit wem er es hier zu tun hatte Was hatte sie hier zu suchen? Er hatte nicht damit gerechnet, jetzt schon auf sie zu treffen. „Ich bin allein, komm ruhig raus“, fuhr sie fort. War sie es wirklich? „Oder traust du dich etwa nicht, dich mir gegenüberzustellen?“, fragte sie spöttisch. Dieser Satz brachte Bewegung in Sasuke. Er trat in den Türrahmen und entdeckte ein paar Meter vor sich die Prinzessin. Ihre dunklen Augen, die Sasuke so oft vor sich gesehen hatte, musterten ihn interessiert von oben. Sie war größer als er, dafür aber viel zierlicher... Er bemerkte auch einen Verband, der um ihre linke Hand gewickelt war. Er verdeckte wohl die Wunde, die sein Kunai verursacht hatte... „Wer bist du?“, fragte sie und sah ihm fest in die Augen. Er richtete seinen Blick auf ihre Schulter und sagte: „Sasuke Uchiha.“ Sie lächelte. „Du verrätst mir deinen Namen? Bist du dir so sicher, dass du mich töten wirst?“ Ein wenig verwirrt sah er in ihr Gesicht. Glaubte sie ernsthaft, sie würde ihm entkommen können? Mit diesem zierlichen Körper würde sie niemals gegen ihn ankommen. Oder war sie doch nicht allein? Sasuke blickte umher, doch er konnte nicht die geringste Bewegung wahrnehmen. „Ich bin allein“, sagte sie mit Nachdruck. „Ich werde gegen dich kämpfen. Auf Leben und Tod.“ Sasuke war verunsichert. Diese Prinzessin schien wirklich davon überzeugt zu sein, dass sie eine Chance gegen ihn hatte. Er wollte seine Kunai hervorziehen und ihrem Leben ein Ende setzen, doch er zögerte. Sein Blick wanderte über ihr hübsches Gesicht. Wie es wohl aussah, wenn sie lachte? Er würde es gerne sehen... Doch dann fiel ihm wieder ein, was er sich vorhin gesagt hatte. Das Mädchen musste sterben. Er musste seine Mission erfüllen. Damit erhob er die rechte Hand mit einem Kunai darin. Vivi war stärker, als Sasuke vermutet hätte; einmal gelang es ihr sogar fast, ihn mit einem Tritt zu treffen, doch er konnte gerade noch ausweichen. Er bewegte sich so schnell, dass sie seine Angriffe nicht kontern konnte und schon bald lag sie am Boden, Spuren des Kampfes am ganzen Körper. Sasuke saß auf ihrem Bauch und drückte ihre Arme mit den Händen auf den Boden. Sie versuchte freizukommen, doch es gelang ihr nicht. Er war viel zu stark. Verzweifelt sah sie zu ihm hinauf und er konnte nicht anders, als in ihr Gesicht zu sehen. Es war vor Wut verzerrt, und ihre dunklen Augen schwammen in Tränen. Er erhob sein Kunai, um es ihr ins Herz zu stoßen. Doch sein Blick war immer noch auf ihr Gesicht gerichtet. Eine glitzernde Träne fand den Weg aus ihrem Auge und hinterließ eine glitzernde Spur auf der zarten Haut der Prinzessin. Das Kunai sauste herab. Vivi stieß einen spitzen Schrei aus. Sasuke fluchte. Das Messer, das er in den weichen Rasen gerammt hatte, neigte sich zur Seite und kippte schließlich um. Einen kurzen Augenblick trafen sich ihre Blicke. Doch Sasuke drehte sich weg, sprang auf und lief davon. So weit weg wie möglich... Vivi lachte ausgelassen und tanzte durch einen großen Saal, ihr langer Rock flatterte auf und ab. Sasuke sah ihr lächelnd zu. Sie war so schön, so anmutig, so zierlich... Doch auf einmal fiel ihr Blick auf ihn, sie stolperte über den Saum ihres Rockes und fiel zu Boden. Sasuke ging langsam auf sie zu und musste beobachten, wie sie in Tränen ausbrach und ihr Gesicht in den Händen verbarg. Er wollte ihren Namen sagen, doch seine Stimme versagte. Auch ihm rollten nun Tränen die Wangen herab. Vivi sah ihn nicht an, sondern drehte sich weg. Mit einem leisen Schluchzen richtete sie sich auf und lief auf das große Eingangstor des Saales zu. Sasuke folgte ihr stumm. Vivi riss die Tür auf und sah in eine abgrundtiefe Finsternis. Ein kurzer, verzweifelter Blick wanderte zu Sasuke, der sich ihr bis auf ein paar Meter genähert hatte. Vivi biss sich auf die Lippe. Und sprang. Sasuke hechtete nach vorne, versuchte, einen ihrer dünnen Arme festzuhalten, doch es war zu spät. Sie war fort. Ein schmerzvoller Schrei drang aus seinem Mund... Sasuke schlug die Augen auf und starrte auf seinen eigenen, gen Decke gestreckten Arm. Er hatte geträumt. Als sich sein Herzschlag langsam beruhigt hatte, stellte er mit Entsetzen fest, dass seine Wangen feucht waren. Er fluchte. Es ist doch genau das passiert, was ich wollte, versuchte er sich zu überzeugen. Die Prinzessin war tot. Doch da kam die Erinnerung an die letzte Nacht zurück. Das Gesicht der Prinzessin, die Träne, die darüber lief...Und das Kunai, das seinen Zweck nicht erfüllt hatte. Der Ninja verstand nicht, warum er sie nicht hatte töten können. Er hatte schon einmal getötet, wo war der Unterschied? Aber eigentlich spielte der Grund keine Rolle. Er konnte seine Mission nicht erfüllen. Wohl oder übel würde er sich einen neuen Trainingsplatz suchen müssen... Grummelnd verzog der Schwarzhaarige sich ins Bad – es sollte bloß keiner sehen, dass er, Sasuke Uchiha, wegen eines blöden Traumes geheult hatte. Dann stapfte er hinunter in den Schankraum des Gasthauses, in dem er untergekommen war. „Ich gehe“, teilte er dem Wirt mit, der hinter dem Tresen stand und ein Bierglas abtrocknete. „Jetzt?“, fragte er ungläubig. „Warum nicht?“, murmelte Sasuke, der nicht besonders erpicht auf ein langes Gespräch war. „Na, heute ist doch der Geburtstag der Prinzessin!“, meinte der Mann, verblüfft über Sasukes Unwissenheit. Etwas verkrampfte sich in den Eingeweiden des Ninja. Schon wieder diese Prinzessin. „Kümmert mich doch nicht“, sagte Sasuke und versuchte dabei, eine möglichst neutrale Stimme zu bewahren. „Aber wir feiern hier 'ne Party zu Ehren des werten Fräuleins.“ Zwinkernd fügte der Wirt hinzu: „Natürlich mit so viel Rum, wie du saufen kannst.“ Sasuke hielt inne. Im Grunde genommen spielte es keine Rolle, ob er nun heute oder morgen aus der Stadt verschwand. Anscheinend hatte Vivi sowieso nicht vorgehabt, irgendwem von den Attentaten zu erzählen... „Ich bin dabei“, sagte er und ließ sich auf einen Barhocker fallen. „Her mit dem Zeug!“ Sasuke trank sehr viel, doch es war ihm egal. Wenn er einfach dort saß und mit den anderen Gästen lachte und Kartenspiele spielte, musste er nicht an Vivi denken. Es war eine Erleichterung, nicht immer ihre tränenfeuchten Augen vor sich sehen zu müssen. Und ganz nebenbei verdiente er sich einiges Geld dazu, da niemand seine Spielstrategien durchschauen vermochte. Ninjas waren es eben gewohnt, im Verborgenen zu wirken... Am Abend wurde die Straße vor dem Gasthaus langsam belebter, immer mehr Leute begaben sich in Richtung des Palastes. „Was isn da los?“, fragte Sasuke, als sie gerade ein weiteres Spiel beendet hatten. „Die Prinsessin häl' 'ne Ansprache, wusses du das nich'?“, erwiderte einer seiner Mitspieler lallend, ein breiter Mann mit Glatze, Stoppelbart und einem großen Tattoo auf dem muskulösen Oberarm. „Nee“, sagte Sasuke. „Lass ma hingeh'n“, schlug ein anderer vor. „Gibts da was zu Saufen?“, fragte eine Piratenbraut am Nebentisch, die ihr Gespräch wohl mitgehört hatte. „Bestimmt“, versicherte ein hagerer Blonder. Der Glatzkopf erhob sich. „Na denn, auf geht's!“, rief er. Sasuke war sich erst nicht sicher, ob er mitgehen sollte. Etwas in seinem Kopf meldete Alarm, wenn es um eine Feier mit der Prinzessin beim Palast ging. Doch da er vom Nachdenken zu Schmerzen begann, stand Sasuke ebenfalls auf und folgte seinen Trinkkameraden. Auf dem Vorhof des Palastes hatte sich schon eine große Menschenmenge vor einem Balkon des Palastes versammelt, auf dem Vivi, von zwei Leibwächtern flankiert, und ein älterer Mann, der wohl Vivis Vater war, standen. Sasuke drängelte sich durch die Menge, um die Prinzessin aus der Nähe betrachten zu können. Sie trug heute ein langes, weißes Kleid, das ihre Figur noch zierlicher wirken ließ. Ein silbernes Kettchen glitzerte in ihrem Ausschnitt und ihr langes blaues Haar hing in einem geflochteten Zopf über ihrer Schulter. Sasuke verlor sich in ihrer Schönheit und bekam kaum etwas von der Rede mit, die sie anlässlich ihres Geburtstages vorbereitet hatte. Doch bei einem Satz erwachte er plötzlich aus seiner Trance. „Außerdem möchte ich etwas Weiteres bekannt geben: Vor wenigen Tagen habe ich mich mit Corsa verlobt“, verkündete Vivi mit einem breiten Lächeln. Ohrenbetäubender Applaus brandete auf, während ein großer, blonder Mann aus dem Palast heraus an die Brüstung trat und dem Volk zuwinkte. Sasuke betrachtete ihn missbilligend. Was fand die Prinzessin nur an solch einem völlig normalen Dorftrottel? Er sah überhaupt nicht aus, als hätte er etwas mit solch einer anmutigen Person zu tun... Der Mann legte seine Hand auf Vivis, die auf der Brüstung lag. Sasuke starrte darauf. Die blauhaarige lächelte ihren neuen Verlobten an. Dieses Lächeln löste etwas in dem Ninja aus. Blitzschnell zog er ein Kunai hervor und schleuderte es direkt auf das Herz des Mannes, das nur für Vivi zu schlagen schien. Es traf punktgenau, bevor irgendwer auch nur darauf reagieren konnte. Diese Leibwächter waren vielleicht stark, aber schnell waren sie anscheinend nicht. Während der Körper des Blonden leblos zu Boden sackte, war es still auf dem Platz. Doch dann brachen alle in Panik aus. Diejenigen, die um Sasuke herumstanden, hatten seine Aktion natürlich verfolgt und schmissen sich nun auf ihn. Es gelang ihm gerade noch, ihnen auszuweichen, bevor sie ihn unter ihren Körpern begraben konnten. Schnell bahnte er sich den Weg durch die Masse, und die Leute, an denen er vorbeiraste, realisierten seine Gegenwart erst, als er schon wieder einige Meter weiter war. Sasuke arbeitete sich schnell auf die Palme neben dem Balkon zu, die ihm schon von seinem vorletzten Besuch hier bekannt war. Vivi hatte ihren Blick direkt auf ihn gerichtet. Er wusste, dass sie ihn erkannt hatte. Wenn sie jemandem sagte, dass er schon zweimal versucht hatte, sie zu töten, würde er bestimmt wirklich gelyncht werden. Doch aus irgendeinem unerfindlichen Grund war er sich sicher, dass sie es nicht verraten würde. Was er auch nicht wusste war, was er da eigentlich gerade tat. Er hatte gerade den Verlobten der Prinzessin ermordet, eigentlich müsste er sich so schnell wie möglich aus dem Staub machen. Aber sein Verstand schien wie ausgeschaltet, er wurde wie magisch angezogen von der hübschen Gestalt Vivis. „Ergreift ihn!“, donnerte der König über den ganzen Platz, als Sasuke einige Meter vor der Palme angekommen war. Einer der beiden Leibwächter sprang sofort los, dem Schwarzhaarigen entgegen. Doch letzterer wich ihm aus und versetzte ihm einen gut gezielten Tritt, der ihn zu Boden gehen ließ. Auch der zweite Beschützer war in Windeseile besiegt. Der König wich beim Anblick des furchtlosen Ninjas einen Schritt zurück und erbleichte, doch Vivi bewegte sich keinen Millimeter, während sie in die dunklen Augen ihres Gegenübers sah, das inzwischen von der Palme auf die Brüstung des Balkons gesprungen war. „Ich habe keine Angst vor dir“, sagte sie mit fester Stimme. Sasukes Mund verzog sich zu einem Lächeln. „Gut so“, rief er und packte sie. Ihre Vater schrie auf, bewegte sich jedoch nicht. Sasuke sah ihn verächtlich an, verfrachtete Vivi auf seine Arme und machte sich endlich zu seiner Flucht auf. Überall griffen Hände nach ihm, lächerliche Versuche, ihn aufzuhalten. Er würde sich von niemandem aufhalten lassen. Sasukes Kopf fühlte er sich an, als würde er jeden Moment in tausend Teile zerbersten. Er fühlte ein flaues Gefühl in der Magengegend, und als er versuchte, sich zu bewegen, schmerzte ihm der ganze Körper. So furchtbar hatte er sich in seinem ganzen Leben noch nicht gefühlt. Was war geschehen? Langsam öffnete er die Augen, selbst das fiel ihm unendlich schwer. Er sah Vivi neben sich hocken, die besorgten braunen Augen auf ihn gerichtet, das Haar durcheinander. „Was -“, war das einzige, was er mit krächzender Stimme herausbrachte. Sie lächelte ihm zu. Ein freundliches, erleichtertes Lächeln. Sasuke richtete sich so gut es ging auf. Er wollte vor einer Frau nicht schwach erscheinen. Ein Ninja durfte keine Empfindungen zeigen. Bei dem Anblick Vivis, die in ihrem langen, inzwischen vom Staub bräunlich gefärbten Kleid im Sand saß, kam Sasukes Erinnerung langsam zurück. Die Feier auf dem Schlosshof. Vivis Verlobter. Ihr wunderschönes Antlitz... Doch wie waren sie hierhergekommen? Weit und breit war außer der kleinen Oase, neben der sie lagerten, nichts als die weite Wüste zu erkennen. Verschwommene Bilder, wie Sasuke die Stadt verließ und in die weite Landschaft hinauslief, schwappten in seinem Kopf umher. Doch an diese Oase konnte er sich beim besten Willen nicht erinnern. Außerdem musste er gerade aus einem tiefen Schlaf erwacht sein, zumindest schien es ihm so, als wären all die Geschehnisse schon lange her. Und weshalb war Vivi noch bei ihm? Warum hatte sie nicht die Gelegenheit genutzt und ihn getötet? Oder zumindest in der Wüste zurückgelassen? War sie alleine so hilflos? Oder ... ein weiterer, völlig absurder Gedanke schoss Sasuke in den Kopf, doch er traute sich gar nicht, ihn zu Ende zu denken. Das war völlig unmöglich... „Möchtest du einen Schluck Wasser?“, fragte Vivi zaghaft und hielt ihm eine Flasche hin, die er sofort als diejenige erkannte, die bis kurz zuvor noch in seinem Besitz gewesen war. „Gib her“, forderte er sie auf und schnappte ihr die Flasche aus der Hand, als sie nicht sofort reagierte. Während er gierig seine ausgetrocknete Kehle mit Flüssigkeit benetzte, sagte Vivi ein wenig beleidigt: „Glaub nicht, dass du immer so mit mir umspringen kannst. Was glaubst du eigentlich, wer die das Leben gerettet hat?“ Sasuke verschluckte sich an seinem Wasser und begann zu husten. „Was?“, fragte er entgeistert. Die Prinzessin sah betont nicht in seine Richtung, als sie erwiderte: „Du bis irgendwo mitten in der Wüste zusammengebrochen. Wenn ich nicht gewesen wäre, wärst du jetzt tot.“ „Du hast mir – das Leben gerettet?“, fragte er ungläubig. Sie lächelte amüsiert. „Ja, wie oft soll ich es noch sagen?“ Sasuke ignorierte sie und fragte: „Warum? Ich hab grad deinen Verlobten gekillt und dich hätt ich auch fast erwischt.“ Ihr Lächeln wurde sanfter, der Ninja hatte das unangenehme Gefühl, sie könne direkt in seine Seele sehen. „Fast“, sagte sie. „Das ist es eben.“ Sasukes Augen verengten sich. Es hätte ihn nicht gestört, nicht noch einmal daran erinnert zu werden. „Sasuke Uchiha“, flüsterte sie. Eine Gänsehaut breitete sich über seinen ganzen Körper aus. Noch nie hatte jemand seinen Namen so sanft ausgesprochen... „Ich sehe doch, dass du einsam bist. Du bist leicht zu durchschauen. Es gibt bestimmt irgendein Ziel, wovon du dir einredest, dass du es erreichen musst. Aber du musst das nicht! Das ist nicht das, was du wirklich willst, was dein Herz dir sagt. Finde deinen eigenen Weg, richte dich nicht immer nach den Regeln der anderen.“ Sasuke starrte sie an und schüttelte ungläubig den Kopf. „Und so redest du nach dem, was passiert ist? Du könntest tot sein.“ „Ich bin es aber nicht“, sagte sie. Er sah schnell in eine andere Richtung, konnte er doch ihrem vollkommen gutmütigen Blick nicht standhalten. „Ich verzeihe dir, was du getan hast. Du warst eine Marionette deiner eigenen Vorstellungen von Perfektion.“ Sasuke sah sie entgeistert an. Er hatte nicht alles von dem verstanden, was sie gesagt hatte. Doch etwas hatte er verstanden: sie hasste ihn nicht dafür, dass er sie fast getötet hatte, sie verzieh ihm seine Taten. „Ich muss hier weg“, brachte er nach einer Weile hervor und stand auf, auch wenn ihn jede einzelne Bewegung schmerzte. Vivi richtete ihren Blick zu Boden, fuhr mit der Hand durch den Sand und ließ ihn dann zwischen ihren Fingern hindurchrieseln. „Ich weiß“, sagte sie schließlich. „Mein Vater würde dich niemals laufen lassen.“ Langsam erhob auch sie sich. Ihr Blick, der vorher abwesend in die Leere gestarrt hatte, wurde jetzt wieder fester. „Wenn mich meine Geographiekenntnisse nicht trügen, müssten wir in wenigen Tagen Ausläufer der Hafenstadt Nanohana erreichen.“ Sasuke blickte sie überrascht an. „Wir?“, fragte er. „Willst du nicht zum Palast zurück?“ Sie lächelte ihm zu. „Ohne mich bist du hier hoffnungslos verloren. Wenn ich mir sicher bin, dass du weit weg bist, kann ich immer noch zurückkehren.“ Sasuke konnte in ihren Augen Traurigkeit entdecken, doch er wusste sie nicht zu deuten. Diese Prinzessin tat sowieso vieles, das er nicht verstand... Sie brauchten drei Tage, bis sie endlich wieder Zeichen der Zivilisation entdeckten. Doch Sasuke kam es noch viel kürzer vor. Es waren nur drei Abende, an denen er mit Vivi zusammen an einem Lagerfeuer sitzen konnte und sich mit ihr unterhalten; drei Nächte, in denen er ihr schlafendes Antlitz beobachten konnte; drei Morgen, an denen er sanft an ihren zarten Schultern rütteln konnte, bis sie ihre freundlichen dunklen Augen öffnete und ihn ansah. Doch nun waren sie eben dort und er konnte nichts dagegen tun. Die Stadt wurde schnell durchquert, ohne dass sie Zeit hatten, sich dort genauer umzusehen. Vielleicht wussten die Menschen hier auch schon von der Entführung der Prinzessin durch einen kleinen dunkelhaarigen Ninja... Vivi verhüllte ihre Gestalt mit einer langen braunen Kutte, für die Sasuke kurzerhand in eine Schneiderei eingebrochen war. Er selbst trug ein schwarzes Gewand. Als sie den Hafen erreichten, war die Sonne bereits untergegangen, von den Schiffen waren nur noch schwarze Silhouetten zu sehen. Gedämmte Musik drang aus den zwielichtigen Spelunken entlang des Weges. Gerade wollte Sasuke eine solche betreten, um sich nach Mitfahrgelegenheiten zu erkundigen, da entdeckte Vivi einen Anleger weiter ein mittelgroßes Schiff, auf dem viel los zu sein schien. „Bestimmt fahren sie gleich los!“, flüsterte sie Sasuke zu. Er nickte, und die beiden rannten in Richtung des Schiffes. „Haltet ein!“, rief Vivi, als ein grob aussehender Mann mit muskulösen Armen gerade das letzte Tau des Schiffes lösen wollte. Er sah sie verständnislos an. Sie kam ein paar Schritte näher und fragte: „Wohin fahrt ihr?“ „Weit weg, Püppchen“, erwiderte er mit einem Grinsen. Ein paar Leute, die um ihn herumstanden, sahen Vivi erstaunt an. Sie senkte ihren Kopf ein wenig, damit die Kapuze ihre Augen verdeckte und sagte: „Bitte, nehmt meinen Freund mit auf eure Fahrt.“ „Warum sollten wir?“, fragte der Mann und musterte Sasuke. „Er ist stark und mutig, er wird euch gute Dienste leisten.“ Sie warf ihrem Begleiter einen fragenden Seitenblick zu, den er mit einem Nicken erwiderte. „Ach ja?“ Er überlegte einen Moment, dann erklärte er lachend: „Wenn das nicht stimmt, können wir ihn ja immer noch über Bord werfen.“ Vivi schaute verunsichert, doch Sasuke trat einen Schritt vorwärts. „Ich bin dabei.“, sagte er bestimmt. Ein kurzes Schniefen veranlasste ihn dazu, sich umzudrehen. Tränen liefen Vivis Wangen herab. Sie schniefte erneut und sagte dann: „Viel Glück, Sasuke Uchiha.“ Er versuchte sich an einem aufmunterndem Lächeln, was jedoch nicht so recht gelingen wollte. Das „Danke“ brachte er auch gerade noch heraus. Einen Moment sah er einfach nur in ihr schönes Gesicht, die schönen Augen, die er schon einmal so tränenerfüllt gesehen hatte. Auf einmal kam ihm der Traum wieder in den Sinn, den er vor ein paar Tagen gehabt hatte. Er hatte sie nicht halten können, als sie in die unendliche Finsternis gestürzt war. Gerade in dem Moment, in dem er eine Entscheidung fasste, kam ein Wind auf und wehte Vivi die Kapuze vom Kopf. „Ist das nicht -?“, fragte jemand. Sasuke kümmerte sich nicht darum, sondern packte Vivi um die Hüfte und sprang mit ihr aufs Deck des Schiffes, wo ein paar Männer gerade damit beschäftigt waren, die letzten Vorbereitungen für die Fahrt zu treffen. „Prinzessin Vivi!“, rief einer der Menschen am Steg. „Er hat sie entführt!“, rief ein anderer. Der muskulöse Mann grinste und warf einem Crewmitglied, das auf dem Deck stand, das Tau zu. Langsam setzte das Schiff sich in Bewegung. Vivi befreite sich aus Sasukes Griff und fragte wütend: „Was sollte das denn jetzt? Bist du völlig bescheuert? Ich bin die Prinzessin dieses Landes, du kannst mich nicht so einfach mitnehmen, nur weil es dir so passt!“ Sie wollte ihm eine Ohrfeige geben, doch Sasuke stoppte sie mit Leichtigkeit. Sanft schloss er die Finger um ihre Hand und sagte: „Es gibt eine Regel unter Ninjas. Wenn man sein Opfer nicht tötet, muss man dafür sorgen, dass es über einen schweigt. Also müsste man es entweder doch noch töten oder für immer bei ihm bleiben.“ Vivis Arm sackte hinab. Sie sah Sasuke in die Augen und fragte mit schwacher Stimme: „Und warum tötest du mich nicht?“ Sasukes Mund verzog sich zu einem Lächeln. „Das ist doch wohl offensichtlich...“, flüsterte er in ihr Ohr und schloss sie fest in seine Arme. Kapitel 27: Rei und Meiling - Nur Mitleid?! ------------------------------------------- Von Soo, ich bin schon wieder dran ^.~ Diese Geschichte haben Jitsch und ich uns wieder zusammen überlegt, da sie jetzt nicht mehr am anderen Ende der Welt ist^-^ Die Idee zum Pärchen stammt von . Vielen Dank dafür! Ich hoffe, die Geschichte gefällt dir! Diese Story ist ziemlich kurz, wie ich beim Schreiben festgestellt habe. Ging wirklich erstaunlich schnell! So eine kurze Geschichte hatten wir glaub ich seit mehr als zehn Kapiteln nicht mehr! Aber ich finde sie gerade deshalb, weil es nicht so viel Drumherum gibt, sehr niedlich, muss ich sagen ^.^ Vielleicht geht es euch ja genauso. hat übrigens im Zuge unseres Wettbewerbs auch ein Fanart zu diesem Kapitel gezeichnet: http://animexx.onlinewelten.com/fanarts/output/?fa=1033676&sort=wb&sort_manuell=1033676-1423516-1461665-1482511-1484323-1486573-1487385 Jetzt aber genug geredet. Hier kommt: Nur Mitleid?! Die Hochhäuser warfen lange Schatten auf die menschenleeren Straßen der Stadt und dem Vollmond gelang es kaum, seinen Schein in die engen Gassen zu werfen. Auch der Junge, der sich mit schnellen Schritten dort bewegte, wurde nicht in sein Licht getaucht. Doch sein Gesicht wurde von einem anderen, weißlichen Schimmer erhellt. Er schien direkt aus dem Körper des großen weißen Tigers zu kommen, der einige Meter vor dem ihm lief. Jede Zelle seines Körpers schien zu strahlen, denn seine Helligkeit war so überwältigend, dass sein Verfolger die Augen weit zusammenkneifen musste, um überhaupt irgendetwas erkennen zu können. „Bleib stehen, Clow Card!“, rief der Junge. Sein Name war Shaolan und er war, wie so oft, auf der Jagd nach den mysteriösen Karten. Diese Verfolgung dauerte an, und er wünschte sich, wenigstens eine Verschnaufpause machen zu können, doch der Tiger zeigte bisher nicht das geringste Anzeichen von Erschöpfung. Doch nun zeichnete sich vor ihnen eine solide Mauer im Schein des leuchtendes Tieres ab. Shaolan lächelte erleichtert. Das Wesen saß in der Falle. Es versuchte, an der Wand hochzuspringen, doch als dies ihm unmöglich erschien, wandte es sich zu seinem Verfolger um, der nach Luft schnappend vor ihm stand. Das war der Moment, auf den er gewartet hatte. Mit nach dieser langen Verfolgung erstaunlicher Geschwindigkeit zog er das lange Schwert aus der Scheide auf seinem Rücken und stieß es in die Luft. „Herrscher des Donners! Erhöre meinen Ruf!“, rief er auf Chinesisch. Sein Schwert glühte auf und ließ den Tiger erschrocken zusammenzucken. Auf einmal schob sich eine Wolkenwand vor den Mond und tauchte die Nacht in eine noch tiefere Finsternis. Mit einem siegessicheren Lächeln im Gesicht sah Shaolan hinauf, als ein Blitz die Dunkelheit durchbrach und genau dort einschlug, wo das leuchtende Wesen stand. Doch sein Lächeln erstarb schnell. Der Tiger war zu Boden gesunken und hatte sich langsam in Nichts aufgelöst. Ein lauter Fluch entfuhr dem Jungen. Über ihm ertönte ein zweiter Fluch, fast wie ein Echo. Shaolan sah auf und wurde sogleich von einem gut platzierten Schlag ins Gesicht getroffen. Überrascht taumelte er ein paar Schritte zurück. Vor ihm stand ein Junge – zumindest traute Shaolan einem Mädchen solch einen brutalen Angriff nicht zu – der kaum größer zu sein schien als er selbst. Mehr konnte er selbst bei bestem Willen in dieser Finsternis nicht erkennen. „Was sollte das?“, fragte eine harsche Stimme. Eindeutig eine Jungenstimme. „Was?“, fragte Shaolan kühn und hielt dem anderen sein Schwert vor die Nase. „Du hast gerade mein BitBeast angegriffen, falls dir das nicht bewusst ist“, erklärte der andere jedoch etwas weniger aggressiv als zuvor. Das Schwert schien seinen Zweck zu erfüllen. „Dein was?“, fragte Shaolan verdutzt. Hatte er es etwa nicht mit einer Clow Card zu tun gehabt? Der andere seufzte. Als er sprach, zitterte seine Stimme vor unterdrückter Wut: „Du greifst einfach mal an, auch wenn du keine Ahnung hast, worum es sich handelt?“ „Ich dachte, es wäre eine Clow Card“, verteidigte Shaolan sich beleidigt, ließ aber dennoch das Schwert sinken. „Es war nur ein Missverständnis?“, fragte der Junge. Langsam schien er sich zu beruhigen. „Ja“, sagte Shaolan. Dann fügte er hinzu: „Tut mir leid wegem deinem Bit-Dings.“ „BitBeast“, berichtigte der andere und lachte. Shaolan steckte sein Schwert zurück. „Ich heiße übrigens Rei“, sagte der andere, während er sich bückte, einen kleinen Gegenstand vom Boden aufhob und ihn in seine Tasche steckte. Shaolan öffnete gerade den Mund, um sich ebenfalls vorzustellen, als er ein Mädchen nach ihm rufen hörte. Er machte sich kurz bemerkbar und wenig später stand Sakura in dem weißen Kleidchen, das ihre Freundin für sie genäht hatte, vor ihm. „Was tust du hier?“, fragte sie erstaunt und sah erst zu dem noch immer im Schatten stehenden Rei, dann zu Shaolan. „Ich bin Rei auf der Jagd nach Snowy begegnet“, erklärte er mit einem kurzen Nicken in dessen Richtung. „Guten Abend“, sagte Rei höflich. Sakura erwiderte seinen Gruß. „Und du hast schon aufgegeben, oder warum bist du hier?“, fragte Shaolan das Mädchen missmutig. Sie zog eine Spielkarte hervor, die Shaolan selbst im Dunkeln als Clow Card identifizieren konnte, und erwiderte: „Nein, ich habe Snowy schon gefangen. Dann hab ich mich gleich auf die Suche nach dir gemacht, damit du nicht umsonst durch die Stadt läufst.“ „Wie überaus freundlich von dir“, presste Shaolan zwischen den Zähnen hervor. Es war Sakura also schon wieder gelungen, die Clow Card vor ihm zu finden und zu fangen. „Aber ich muss jetzt auch langsam zurück, bevor Papa und Touya bemerken, dass ich weg bin“, sagte sie, ohne zu bemerken, in was für eine schlechte Laune sie Shaolan versetzt hatte. „Bis morgen, Shaolan!“, rief sie fröhlich, drehte sich um und machte sich mit federnden Schritten auf den Weg. Shaolan starrte ihr wütend hinterher. Warum konnte er nicht wenigstens einmal die Karte vor ihr fangen? „Alles in Ordnung?“, fragte Rei vorsichtig. Shaolan zuckte unwillkürlich zusammen; er hatte die Anwesenheit des anderen völlig vergessen. „Immer ist sie schneller als ich...“, murmelte er so leise, dass er überrascht war, eine Erwiderung von Rei zu erhalten: „Ich weiß zwar nicht genau, worum es geht, aber vielleicht solltest du ihr einfach den Vortritt lassen.“ Shaolan bedachte ihm mit einem zweifelnden Blick. „Und meinen Stolz einfach vergessen? Nie im Leben!“ Einen Moment lang schwiegen beide, dann sagte Rei: „Ich hab schon lange keinen Chinesen mehr getroffen. Wollen wir uns vielleicht mal bei einer Tasse Tee unterhalten?“ Shaolan ging nicht auf die Frage ein, sondern fragte barsch: „Woher willst du wissen, dass ich ein Chinese bin?“ „Erstens hast du vorhin einen chinesischen Zauberspruch – oder was immer es war – benutzt, und zweitens klingt dein Name mir sehr chinesisch“, erklärte Rei geduldig. „Scheinst dich ja gut auszukennen“, murmelte Shaolan. „Kein Wunder, schließlich bin ich selbst Chinese“, gab Rei amüsiert zu. Shaolan sah ihn verblüfft an. „Ehrlich? An deinem Namen merkt man's nicht so.“ „Nein, eher nicht“, meinte Rei. Dann fragte er: „Und was ist mit meinem Angebot? Hättest du nicht auch Lust, mal ein bisschen Chinesisch zu sprechen?“ „Ja, wär ganz nett, mich mal mit wem anderen als meiner Cousine zu unterhalten“, sagte er. Sie verabredeten Zeit und Ort, dann verabschiedeten sie sich voneinander und machten sich auf den Heimweg. „Mit wem triffst du dich denn nun?“ Shaolan drehte sich sichtlich genervt zu dem schwarzhaarigen Mädchen um, das neben ihm die Straße entlang ging, und sah sie finster an. Sie hielt seinem Blick jedoch stand und verschränkte noch trotzig die Arme. „Ist doch deine Schuld, wenn du es mir nicht sagst! Bestimmt ist es irgendein Mädchen!“, vermutete sie aufgebracht. Shaolan atmete tief ein und sagte: „Nein, es ist kein Mädchen, Meiling! Wir oft soll ich dir das noch sagen?“ „Bis ich mich vom Gegenteil überzeugt habe!“, erwiderte sie lautstark. Shaolan seufzte. „Ich kann dich ja doch nicht davon abhalten“, murmelte er. Wenige Minuten später erreichten sie den Haupteingang des Bahnhofes. Shaolan warf einen Blick auf die Uhr, die im Eingangsbereich hing: laut ihr war es schon zwölf. „Bestimmt hast du sie angerufen und gesagt, dass sie nicht kommen soll, weil ich kein anderes Mädchen an dich ranlasse!“ Shaolan warf ihr einen genervten Blick zu, sagte aber nichts. Es würde sowieso keinen Unterschied machen. Allerdings fragte er sich ein wenig nervös, ob Rei wirklich kommen würde. Er hatte sich doch wohl nicht über ihn lustig machen wollen, indem er ihn hierherkommen ließ? Doch Shaolans Befürchtungen wurden schon bald zerschlagen, als Rei mit einer freudigen Begrüßung aus dem Bahnhofsgebäude heraus auf ihn zukam. Er hätte ihn beinahe nicht erkannt, schließlich war es bei ihrer ersten Begegnung sehr viel dunkler gewesen. „Es ist ja wirklich kein Mädchen“, stellte Meiling ein wenig enttäuscht fest. Shaolan ignorierte sie und begrüßte Rei ebenfalls. Dieser sah Meiling interessiert an. Bevor ihr Cousin sich zu Wort melden konnte, hatte sie schon begonnen sich vorzustellen: „Ich heiße Meiling Li. Ich bin mit Shaolan zusammen aus unserer Heimat hierhergekommen.“ Rei lächelte. „Guten Tag, Meiling. Ich bin Rei Kon, erfreut dich kennenzulernen.“ Lächelnd machte er eine kleine Verbeugung. „Wo gehen wir jetzt hin?“, fragte Shaolan, da es ihm ein wenig auf die Nerven ging, dass Meiling sich immer in den Vordergrund drängen musste. Rei wandte sich wieder ihm zu und sagte: „Zugegebenermaßen bin ich noch nicht so lange hier. Vielleicht kannst du ja ein Café hier in der Nähe empfehlen?“ Shaolan wandte seinen fragenden Blick Meiling zu, die sofort antwortete: „In der Einkaufsstraße gibt es ein süßes chinesisches Café. Ich war einmal mit den Mädchen aus meiner Klasse dort.“ Rei sah Shaolan fragend an, der zustimmend nickte. Er selbst hatte auch nicht viel Ahnung von den Restaurants und Cafés dieser Gegend, da er meistens nur abends oder nachts zur Jagd der Clow Cards das Haus verließ. Während die drei unterwegs waren, betrachtete Shaolan Rei. Er hatte dunkelviolettes bis schwarzes Haar, das widerspenstig von seinem Kopf abstand. Nur zwei Strähnen fielen ihm ins Gesicht und über seinen Rücken hing ein mit weißem Stoff umwickelter Zopf bis zu seinen Knien herab. Seine haselnussbraunen Augen leuchteten voller Lebensfreude. Anscheinend hatte er sich bemüht, heute einen möglichst guten Eindruck zu machen, denn er trug eine marineblaue Schuluniform, die ordnungsgemäß bis oben hin zugeknöpft war. Shaolan fragte sich, wo er wohl zur Schule ging. Wenig später standen die drei vor dem Eingang des Cafés „Shanghai“. Meiling war die Erste, die eintrat, Rei und Shaolan folgten. Das leicht gedimmte Licht und die gemütlich aussehenden Sitzbänke an den ovalen Tischen erzeugten eine freundliche Atmosphäre. Sofort kam eine Kellnerin auf sie zu, fragte, wie viele sie seien und führte sie an den bereits besetzen Tischen im vorderen Bereich vorbei zu einem am hinteren Ende des Cafés. Rei setzte sich auf einen Stuhl an der Gangseite, Meiling auf die Bank. Shaolan zögerte einen Moment, dann ließ er sich neben Rei nieder. „Willst du dich nicht neben deine Freundin setzen?“, fragte dieser lächelnd. Shaolan widersprach sofort: „Sie ist nicht meine Freundin!“ „Ich bin seine Verlobte!“, erklärte Meiling und starrte ihn böse an. Er erwiderte nur: „Red nicht so einen Blödsinn. Du bist nur meine Cousine.“ „Na und?“, sagte sie. „Du bist trotzdem mein Verlobter! Und das weißt du ganz genau! Dafür brauchst du dich doch nicht zu schämen!“ „Ich schäme mich nicht!“, meinte er aufgebracht. „Aber erstens bin ich wirklich nicht dein Verlobter und zweitens wäre das ein ernsthafter Grund, um sich zu schämen!“ „Du bist fies, Shaolan!“, rief sie – was die Aufmerksamkeit einiger anderer Gäste auf sich lenkte -, sprang auf und verschwand in dem Gang, der zu den Toiletten führte. Shaolan seufzte. „Dass sie sich immer gleich so aufregen muss, echt furchtbar.“ Rei sagte: „Du gehst aber auch nicht gerade zimperlich mit ihr um.“ Shaolan warf ihm einen bösen Blick zu. „Sie nervt mich eben! Was soll ich denn da anderes machen? Vielleicht lässt sie mich ja irgendwann in Ruhe, wenn ich sie so behandele...“ Rei hob überrascht die Augenbrauen. „Ist es wirklich so schlimm?“, fragte er ungläubig. „Allerdings“, seufzte Shaolan. Einen Moment schwiegen die beiden Jungen und hingen ihren Gedanken nach. „Hättest du was dagegen, wenn ich sie einlade?“, fragte Rei auf einmal. Shaolan sah ihn überrascht an. „Du willst Meiling einladen?“ „Warum nicht? Ich finde sie sehr süß“, gab er zu. „Du musst das nicht tun“, sagte Shaolan mit einem Anflug schlechten Gewissens. „Ich werde schon irgendwie mit ihr klarkommen.“ Rei lächelte breit. „Ach was, ich mache das gerne. Wirklich, sie gefällt mir. Ich treffe viel zu selten chinesische Mädchen...“ Als sich einige Zeit später eine schmollende Meiling mit verschränkten Armen zurück an ihren Tisch setzte, standen schon die drei Tassen des speziellen chinesischen Tees auf dem Tisch, den sie bestellt hatten. Meiling griff nach ihrer Tasse und nahm einen Schluck. Die beiden Jungen taten es ihr gleich, da sie nicht so recht wussten, was sie sagen sollten. „Hast du morgen vielleicht ein wenig Freizeit?“, fragte Rei vorsichtig. Meiling sah überrascht zu ihm auf. „Ich?“, fragte sie überrascht. Er nickte lächelnd. „Ja“, sagte sie. „Warum?“ „Hättest du vielleicht Lust, dich mit mir zu treffen? Wir könnten ...“ Er überlegte kurz. „... ein wenig spazieren gehen. Du könntest mir die Stadt zeigen ... Oder so ...“, fügte er unter ihrem skeptischen Blick unsicher hinzu. „Warum nicht?“, sagte Shaolan und tat so, als hätte er noch nichts von dieser Idee gewusst. „Das wäre doch echt nett, schließlich kennt Rei sich hier noch nicht so gut aus und so“ Meiling sah erst Rei an, dann Shaolan, dann wieder Rei. „In Ordnung“, sagte sie. Rei lächelte. „Danke, Meiling.“ Am nächsten Tag strahlte die Herbstsonne vom Himmel und spiegelte genau Reis Gefühle wieder, als er pfeifend den Stadtpark durchquerte, auf dem Weg zu seiner Verabredung mit Meiling. Diese strahlte jedoch ganz und gar nicht, wie er feststellen musste, als er sie vor sich erblickte. An ihrem düsteren Gesichtsausdruck änderte sich auch nicht viel, als sie ihn erkannte. Langsam erhob sie sich vom Rand des Springbrunnens, auf dem sie gesessen hatte, und begrüßte Rei. Dieser fragte besorgt: „Ist irgendetwas passiert? Du guckst so böse.“ „Kannst du dir das nicht selber denken?“, fragte sie genervt und starrte ihn wütend an. Er zuckte leicht zusammen, als er diesen Ausdruck auf ihrem sonst so hübschen Gesicht sah. „Nein, ehrlich gesagt nicht“, gab er zu. „Du triffst dich doch sowieso nur aus Mitleid mit mir! Weil du denkst, Shaolan würde immer so gemein zu mir sein wie gestern im Café. Das stimmt aber nicht! Er ist meistens echt nett!“, sprudelte es aus ihr heraus. Rei hob überrascht die Augenbrauen. „Das habe ich auch nicht bezweifelt“, versuchte er sich zu verteidigen. „Ich habe mich nur eingeladen, weil ich ... dich so süß fand.“ Sie sah ihn überrascht an, verfiel dann aber schnell wieder in ihren bösen Blick. „Shaolan hasst mich. Er will mich doch sowieso immer nur loswerden. Bestimmt hat er dich dazu angestiftet, mit mir auszugehen!“ Zum Ende hin wurde ihre Stimme immer lauter und überzeugter. Anscheinend hatte sie diese Theorie gerade erst entwickelt. „Das ist nicht wahr!“, widersprach Rei mit ernstem Blick. „Er hat nichts damit zu tun.“ „Ach ja?“, fragte sie, sichtlich nicht überzeugt. Er wollte gerade etwas erwidern, als er ein Kreischen hinter sich vernahm. Schnell drehte er sich um und sah einige Meter weiter ein blondiertes Mädchen stehen, dass fasziniert zu ihm herüberblickte. „Du bist Rei Kon!“, rief sie fasziniert und kam auf ihn zugelaufen. „Wie bitte?“, fragte er auf Chinesisch. „Nun tu doch nicht so, ich erkenn dich doch! Ich weiß ganz genau, dass du der supercoole Beyblader aus dem Fernsehen bist und dass du auch Japanisch sprichst!“ „Kennen wir uns?“, fragte er, noch immer in seiner Muttersprache. „Du kommst mir irgendwie gar nicht bekannt vor. Warst du vielleicht einmal mit mir in einer Klasse? Nein, du siehst nicht sehr Chinesisch aus. Vielleicht hat dir ja meine Mutter mal ein Foto von mir gezeigt, sie kommt ja viel in der Welt rum. Das wird es sein, nicht wahr?“ Nun sah das Mädchen ihn sichtlich verwirrt an, da er in einer Sprache auf sie einredete, die sie nicht zu verstehen schien. Betont langsam fragte sie: „Sprichst du Japanisch?“ „Tut mir leid, ich verstehe dich nicht. Aber ... wenn ich dich mal etwas genauer betrachte, sieht du fast wie das amerikanische Dienstmädchen aus, das eine Zeit lang bei uns war. Obwohl ich mir fast sicher bin, dass sie blaue Augen hatte. Oder war es vielleicht doch braun? Ich bin mir wirklich nicht sicher! Aber trotzdem, danke, dass du mich angesprochen hast. Vielleicht bin ich auf dem Weg, endlich mehr Beachtung in dieser Welt zu bekommen.“ Das Mädchen verbeugte sich, entschuldigte sich murmelnd, obwohl er sie sowieso nicht zu verstehen schien und ging dann schnellen Schrittes wieder davon. Als sie einige Meter entfernt war, ertönte ein Prusten hinter Reis Rücken. Er wandte sich erneut um und sah Meiling, die sich vor Lachen auf dem Boden kringelte. Einen Moment lang wusste er dies nicht einzuordnen, doch dann fiel ihm ein, dass sie als Chinesin alles verstanden hatte, was er gerade an Blödsinn von sich gegeben hatte. Überglücklich, dass es ihm gelungen war ihre schlechte Laune zu bekämpfen, stimmte er in ihr Lachen ein. „Shaolaaaan!“, schallte der Schrei durch das große Haus. Dieser verdrehte die Augen, trottete aber dennoch langsam die Treppe hinauf und betrat im ersten Stock das Zimmer, das Meiling bewohnte. Es war das fünfte Mal an diesem Abend, dass sie ihn zu sich rief. Bei dem Anblick des Mädchens, das nun vor ihm stand, blieb er wie versteinert stehen. Sie war kaum wiederzuerkennen. Ihr langes schwarzes Haar war zu einem Zopf geflochten, der über ihre Schulter hing. Dazu trug sie ein langes, chinesisch anmutendes Kostüm in einem sanften hellblau mit goldenen Mustern daraufgestickt. Shaolan hatte seine Cousine noch nie so gesehen und war unwillkürlich überwältigt davon, wie schön dieses Mädchen aussehen konnte. Meiling deutete seine Reaktion jedoch komplett falsch. „Sehe ich so schlimm aus?“, fragte sie verzweifelt. Die braunen Augen in ihrem dezent geschminkten Gesicht leuchteten von Feuchtigkeit. „Ganz und gar nicht!“, sagte Shaolan und riss sich von ihrem Anblick los. „Du siehst fantastisch aus!“ Sie lächelte geschmeichelt. „Glaubst du, es wird ihm gefallen?“ Shaolan streckte seinen Daumen in die Höhe. „Auf jeden Fall!“, meinte er voller Überzeugung. Seit Meilings erstem Treffen mit Rei waren inzwischen zwei Wochen vergangen. Zwei Wochen, in denen sie von kaum etwas anderem als diesem Date gesprochen hatte. Zwei Wochen, in denen sie sich kein einziges Mal an Shaolan geklammert hatte. Als Meiling eine Viertelstunde später endlich an der Haustür stand und in ihre Schuhe schlüpfte, sah sie Shaolan zweifelnd an. „Bist du dir sicher, dass mein Aussehen in Ordnung ist?“, fragte sie unsicher. Er seufzte, dann erwiderte er: „Selbst falls das nicht der Fall sein sollte, Rei ist doch nicht der Typ, der andere nach ihrem Aussehen beurteilt, oder?“ Sie murmelte etwas von „unterbewusstem Eindruck“, zog sich dann aber trotzdem ihre Jacke über und verließ das Haus. Shaolan blieb einen Moment auf der Schwelle stehen. Meiling hatte schon so lange von diesem Date geredet und ihn damit fast verrückt gemacht. Und er war sich sicher, dass sie, wenn sie zurück kam, kein Wort darüber erzählen würde, was zwischen ihr und Rei geschehen war. Shaolan musste heute noch ein paar Einkäufe erledigen und immerhin wusste er, dass die beiden ins Kino gehen wollten... Oder war es unfair gegenüber Meiling, sie heimlich zu beobachten? Wenn sie wollte, dass er über alles Bescheid wusste, würde sie es ihm auch erzählen. Und sonst musste er eben in Unwissenheit bleiben. Aber schließlich siegte doch seine Neugier. Er steckte sich den Einkaufszettel in die Tasche, zog seine Schuhe an und verließ dann das Haus. Es dauerte nicht lange, bis Shaolan alles besorgt hatte, was er brauchte. Zum Zeitvertreib schlenderte er noch ein wenig durch die Stadt, was er schon so lange nicht mehr getan hatte. Es war eigentlich wirklich schön hier in Tomoeda. Wenn Meiling nicht immer so an ihm geklebt hätte, wäre er bestimmt schon oft hier langgegangen... Er war wirklich froh, dass sie nun endlich jemanden für sich gefunden hatte. Endlich waren fast zwei Stunden verstrichen, seit er sich von Meiling verabschiedet hatte, und er machte sich auf den Weg zum Kino, sehr froh, dass es hier nur eins gab, in dem sie sein konnten. Dort angekommen versteckte er sich hinter einem Stapel Kartons in einer Gasse neben dem Gebäude. Doch wie er so im Schatten stand und vorsichtig in Richtung des Eingangs linste, kam er sich auf einmal wieder ziemlich schäbig vor Er würde es bestimmt auch nicht mögen, bei einem Date von irgendjemandem heimlich beobachtet zu werden. Er wollte gerade sein Versteck verlassen, um sich auf den Heimweg zu machen, als die Tür des Kinos sich öffnete und eine Schar von Leuten herauskam, unter ihnen auch Meiling und Rei. Shaolan zog sich noch etwas weiter in den Schatten des Hauses zurück. Wenn er jetzt entdeckt würde, würde Meiling ihm das auf ewig übelnehmen. Unglücklicherweise blieben die Objekte Shaolans Beobachtung direkt vor dem Eingang zur Seitengasse stehen. Sie strich sich verlegen eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht, er sah sie einfach an. „Meiling.“ Shaolan erschauderte, als Rei sanft den Namen des Mädchens aussprach. Sie erstarrte in ihrer Bewegung und sah zu ihm hinauf. „Rei“, flüsterte sie so leise, dass Shaolan es nur erahnen konnte. Der Dunkelhaarige lächelte. Langsam griff seine Hand nach ihrer und er kam ein wenig auf sie zu. Sie zögerte kurz, dann erwiderte sie sein Lächeln. Dies schien irgendetwas in ihm auszulösen, denn er beugte sich kurzerhand zu ihr hinunter und küsste sie. Ihre Augen weiteten sich überrascht, dann trafen sie seine und schlossen sich schließlich. Er erhob seine andere Hand und berührte sanft ihre Wange. Als sich ihre Lippen wieder trennten, sahen die beiden sich in die Augen, braun in braun. „Ich vermisse dich jetzt schon, Meiling“, flüsterte Rei und schloss sie fest in seine Arme. „Ich dich auch“, erwiderte sie mit einem Lächeln. Auch Shaolan lächelte nun. Kapitel 28: Yui und Mai - Einsame Herzen ---------------------------------------- Von Bei diesem Pairing war unsere Bedingung, dass beide Personen aus einer Serie stammen sollten, die noch nie in den Chiisana LOVE-STORIES verwendet worden war. Keine leichte Aufgabe, aber letztendlich habe ich dann Mai Tokiha aus My-HiME genommen, und Ditsch’s Wahl fiel auf Yui Hongo aus Fushigi Yuugi. Dass beide Mädchen sind, lag daran, dass wir keine Geschlechter festgelegt hatten. Ich hoffe aber, dass wir dadurch keine Leser verlieren (sofern wir überhaupt welche haben, woran einen die Kommentarzahlen der letzten Kapitel ja doch irgendwie zweifeln lassen können). Mir hat die Arbeit an dieser Geschichte sehr viel Spaß gemacht, weil sie irgendwie ziemlich viele interessante Elemente enthält. Trotzdem fand ich es teilweise schwer, vor allem Yui ordentlich zu charakterisieren... ich habe Fushigi Yuugi wohl zu lange nicht mehr gelesen. Na ja, ich hoffe doch, es geht trotzdem ;) Es ist auch eine ziemlich lange Geschichte geworden, aber ich denke, sie ist dennoch spannend. Bitte lest sie euch durch *verbeug* Einsame Herzen Es war Sommer, und das bedeutet in Japan nicht nur dauerhaft gutes Wetter sondern auch Temperaturen um die 30 Grad und eine stickige, feuchte Atmosphäre. An solchen Tagen tut man gut daran, sich in klimatisierten Räumen aufzuhalten oder sich anderweitig Abkühlung zu verschaffen. Die Bibliothek der Fuuka Akademie war zwar nicht mit einer Klimaanlage ausgestattet, aber die hoch gelegenen Fenster ließen nur wenig Sonnenlicht durch und auch die gut gedämmten Wände bewahrten den Raum vor all zu großen Temperaturschwankungen. Mai Tokiha war um diese Zeit die einzige, die in der Halle voller Bücher war, und strich etwas gedankenverloren umher. Es waren ja schließlich Sommerferien, eine Zeit, die die meisten Schüler der Akademie nutzten, um ihre Familien zu treffen oder etwas miteinander zu unternehmen. Der schuleigene Pool musste um diese Zeit auch überfüllt sein. Mais Blick glitt oberflächlich über die Buchrücken, doch sie schien sich für keines der Werke sonderlich zu interessieren. Stattdessen wendete sie nun den Kopf und erhaschte einen kleinen Blick aus dem Fenster. Dann seufzte sie fast unhörbar, griff ohne hinzusehen ins Regal und zog einen recht dünnen Band hervor. Damit ließ sie sich in der kleinen Leseecke im hinteren Teil des Gebäudes nieder und rutschte ein wenig auf den ausgelegten Kissen zurecht. Langsam ließ sie den Blick über den Titel schweifen: „Das Reich der Vier Götter“, übersetzt von Einosuke Okuda. Mehr Informationen ließen sich dem einfarbigen Einband nicht entnehmen. Mai blinzelte neugierig und schlug dann die erste Seite auf. Sie nahm gerade noch wahr, dass das Papier vollkommen weiß war, bevor sie von einem strahlenden Licht geblendet wurde. Erschrocken kniff sie die Augen so fest zu wie sie konnte, aber das Licht drang trotzdem stark durch ihre geschlossenen Lieder. Ihr ganzer Körper fühlte sich für Sekunden vollkommen leicht an, bevor sie mit einem Ruck wieder auf den Boden sank. Verwirrt öffnete sie die Augen. Im ersten Moment war sie so geblendet, dass sie sie wieder zukneifen musste, doch eines wusste sie sofort: Sie war nicht mehr in der Bibliothek. Um sie herum nahm sie die Stimmen von Vögeln wahr, ein Rauschen von Wind in Blättern und raue Stimmen um sie herum. „He, was machst du da?“, hörte sie jemanden rufen. Vorsichtig hob sie den Kopf, auch wenn sie nicht so sicher war, ob sie gemeint gewesen war. Vor ihr schälte sich eine dunkle Männergestalt aus dem blendenden Licht. „Woher kommst du!?“, wurde sie sogleich angeblafft. „Ich... komme aus der Fuuka-Akademie...“, sagte Mai und blinzelte heftig, um endlich ihren Gegenüber besser erkennen zu können. „Davon habe ich noch nie gehört! Aus welchem der vier Länder bist du?“ „Vier Länder...?“, fragte Mai verwirrt. Sie konnte langsam erkennen, dass der Mann eine Rüstung trug. Er war mit einem Schwert bewaffnet, das an seinem Gürtel hing, und hatte zudem noch einen Bogen dabei, der um seinen Rücken geschnallt war. Seine Augen standen eng und er wirkte aufgrund von ungewaschen aussehenden Haaren und einem stoppeligen Bart ziemlich unangenehm auf sie. Der Eindruck verstärkte sich drastisch, als er sie am Kragen packte und zu sich hochzerrte. Eine Wolke von unangenehmem Mundgeruch schlug ihr entgegen. „Tu nicht so! Du weißt ja wohl, was die vier Länder sind, wenn du dich in einem davon aufhältst!“ Mai blickte sich über ihre Schulter um und stellte fest, dass sie sich in einer mit großen Steinen gepflasterten Straße mit chinesischen Bauten befanden. Die Menschen, die Karren umherschoben oder mit Werkzeugen die Straße entlang zogen, waren allesamt in einer mittelalterlichen chinesischen Tracht gekleidet. „Ich weiß nicht, wie ich hierher gekommen bin“, beteuerte sie an den Mann in der Rüstung gewandt. „Aber das hier ist bestimmt nicht der Ort, wo ich bis eben war.“ Er starrte sie mit eng zusammengekniffenen Augen eine ganze Weile an, bis er sie wieder auf die Füße ließ und sie vorwärts schubste. „Ich bringe dich zum Kaiser“, brummte er. „Kaiser...?“, fragte Mai. „Der Kaiser von Kutou! Er wird entscheiden, was mit dir zu tun ist.“ Sie wurde unter den neugierigen Blicken sämtlicher Passanten weiter und weiter gestoßen entlang von Straßen, die in einem strikt geometrischen Muster angeordnet waren. Sie war sich mittlerweile fast sicher, dass sie sich in China befinden musste, denn alles was sie sah, wies darauf hin. Dass sie dennoch genau verstehen konnte, was die Menschen um sie herum sagten, war allerdings wunderlich, genauso wunderlich wie der Fakt, dass sie ein Buch aufgeschlagen hatte und sich auf einmal hier befand. Vielleicht war sie auch einfach beim Lesen eingeschlafen und träumte das alles nur? Aber dafür waren der Mundgeruch des Mannes, der sie jetzt widerwillig vor sich herschob, und der Schmerz, wenn er sie in den Rücken stieß, zu real. Also bemühte sie sich, jedes mal schneller zu gehen, bevor er sie stieß, und sah sich neugierig um. Die Häuser hatten ziegelgedeckte Dächer und zum Teil sehr schöne dekorative Ornamente an den Wänden. Die Menschen wirkten allerdings nicht sonderlich einladend, viele warfen ihr böse Blicke zu, und manche wendeten sich gar demonstrativ ab. So musste man sich als Ausländer wohl immer fühlen, aber das war nicht gerade ein guter Trost. Nachdem sie mehrere Straßen weiter waren, kamen sie an einen ungleich breiteren Weg als den, auf dem sie bisher gegangen waren, auf dem sogar von Pferden gezogene Karren entlanggezogen wurden. Stumm deutete der Mann nach links, und Mai hielt den Atem an. Am Ende der Straße befand sich ein prächtiges Tor, das verheißungsvoll in der Sonne glänzte, und dahinter ließ sich ein riesiger Gebäudekomplex erahnen, zu dem eine lange, breite Treppe hinaufführte. Sie hatte keine Zweifel, dass das der Kaiserpalast sein musste und setzte sich in dessen Richtung in Bewegung. An dieser Hauptstraße gab es auch ein paar kleine Stände, an denen Menschen rohes Gemüse, Fleischklöße und dergleichen anboten. Sie konnte auch bereits ein paar Blicke auf vornehmer wirkende Herren in Seidengewändern werfen, die allesamt ihr Haar zu hohen Knoten aufgesteckt hatten. Dann schubste sie der Mann weiter bis zum Tor, das von großen Säulen gehalten wurden, um die sich goldene Drachenverzierungen wanden. „Wer ist das?“, fragte einer der beiden Wächter, die mit langen Speeren bewaffnet das Tor flankierten. „Ein seltsam gekleidetes Mädchen. Sie behauptet, nichts von den Vier Ländern zu wissen“, sagte der Mann. Einer der Wächter, die im Übrigen um einiges gepflegter wirkten, lächelte schmal. „In der Tat sieht sie sehr ungewöhnlich aus“, sagte er und betrachtete Mai von unten bis oben. Sie hatte das Gefühl, dass sein Blick besonders lange auf ihrer Brustpartie verweilte, bevor er ihr Gesicht ansah. „Was soll ich mit ihr tun?“, fragte der Mann, der neben Mai stand, und rieb seine groben Hände aneinander. Die Wächter wechselten einen Blick, dann wendete sich der, der eben schon gesprochen hatte, an Mai. „Woher kommst du?“ „Mein Land heißt Japan, aber ich weiß nicht, ob das hier bekannt ist“, meinte sie. „Eine andere Welt?“, schlug der Wachposten an, der bisher geschwiegen hatte. Im Gegensatz zu seinem Kollegen betrachtete er Mai nur ganz kurz und senkte dann den Blick. „Das könnte man vielleicht so sagen“, meinte Mai verunsichert und verschränkte die Arme. „Wir sollten sie hereinlassen“, sagte der erste Wachposten, „Aber wir müssen vorsichtig sein, sie könnte zu Kounan gehören, dort soll es die Hüterin des Suzaku geben.“ „Davon habe ich noch nie gehört“, sagte Mai sofort, in der Hoffnung, dass man sie dann eher in Ruhe lassen würde. „Wie heißt du?“, verlangte einer der Wächter nun zu wissen. „Ich heiße Mai Tokiha. Ich bin 16 Jahre alt.“ „Tja, Mai...“, sagte der eine mit schief gelegten Brauen. „Was ist hier los?“, fragte da eine Mädchenstimme hinter einem der Wächter. Ein Mädchen erschien im Tor, das noch jünger zu sein schien als Mai. Sie hatte kurzes, helles Haar und trug zu Mais grenzenloser Überraschung eine japanische Schuluniform mit braunem Blazer, Minirock und einer kleinen Schleife am Hemdkragen. „Hüterin!“, riefen die drei Männer gleichzeitig aus. „Ich fragte, was hier los ist“, sagte das Mädchen streng. „Wir haben dieses Mädchen gefunden und beraten, ob wir sie vor den Kaiser führen sollen“, sagte der eine Wachposten mit einer angedeuteten Verbeugung. Das Mädchen sah sie lange und durchdringend an. „Wie heißt du?“ „Mai Tokiha.“ „Woher kommst du?“ „Aus dem Bezirk Niigata, ich gehe an die Fuuka Akademie. Das ist eine Privatschule.“ „Du kommst also aus Japan. Wie bist du hierher gelangt?“ „Ich habe in der Bibliothek ein Buch aufgeschlagen und dann war ich hier.“ „Wie hieß das Buch?“ „... ’Das Reich der Vier Götter’.“ Das Mädchen sah sie kurz weiter an, dann drehte sie sich um. „Komm mit“, sagte sie. „Aber Hüterin...“, setzte einer der Wachposten an. „Es ist in Ordnung, ich übernehme die Verantwortung“, erklärte sie. Dann ging sie davon. Mai folgte ihr, nachdem sie noch einen kurzen Blick auf die etwas verwirrt scheinenden Männer geworfen hatte, und holte zu dem Mädchen auf. „Kommst du auch aus Japan?“, fragte sie. „Ja. Ich heiße Yui Hongo.“ Mai schwieg und sah sich um. Sie gingen zwischen kunstvoll angeordneten Bäumen und Büschen hindurch über einen gepflasterten Weg. Links konnte sie einen kleinen Teich ausmachen, in dessen Mitte ein Pavillon lag. Dann schweifte ihr Blick zu dem Palast selbst, der aus mehreren Gebäuden bestehen zu schien. Da war der Hauptteil, der sich über alles andere erhob und mehr goldene Verzierungen an Dächern und Wänden aufwies als der Rest. Die anderen Gebäude hingen mit dem Palastkomplex zusammen, doch sie waren etwas kleiner. Als sie weitergingen, konnte Mai auch ein paar einzelne Bauten, wahrscheinlich Speicher, ausmachen. „Wohin gehen wir?“, fragte sie. „In meine Gemächer. Dir wird erst einmal nichts geschehen hier.“ Mai nickte verwirrt und folgte der Jüngeren, die in diesem Moment sichtbar besser Bescheid wusste. Yui führte sie in einen kleinen, etwas abgelegenen Gebäudekomplex, wo sie schon am Eingang von einer Dienerin in einem einfachen Gewand begrüßt wurden. „Bereite Mai bitte ein Bad“, sagte Yui zu ihr. Die Frau nickte und eilte davon. Yui wendete sich an Mai und meinte: „Du wirst sicher ein bisschen erschöpft sein.“ Mai zuckte die Achseln. „Es geht, so heiß ist es hier ja gar nicht. Außerdem wurde ich einigermaßen anständig behandelt“. „Egal, ein warmes Bad kann sicher nicht schaden“, meinte Yui. Mai nickte. Dennoch führte Yui sie erst einmal in einen anderen Raum. Es gab nicht viele Einrichtungsgegenstände, doch die vorhandenen waren sehr schön. Ein Bett mit kunstvoll verziertem Gestell aus dunklem Holz, ein Schreibtisch aus demselben Material mit einem dazugehörigen Stuhl und ein Schrank in der Ecke. Yui ließ sich auf dem Bett nieder und fokussierte Mai mit leicht zusammengekniffenen Augen. Diese kratzte sich verlegen am Kinn und schlüpfte, da ihr nichts Besseres einfiel, aus ihren Schuhen und ließ sich in einem japanischen Sitz auf dem Boden nieder. Es gab in dem Raum zwei kleine Fenster ohne Glas, mit kunstvoll geschnitzten Holzbalken vergittert. Mai erhaschte nur einen flüchtigen Eindruck von Blau. „Nun, Tokiha-san“, sagte Yui schließlich. Mai sah auf. Die Blonde hatte ihr Kinn auf die Hand gestützt und sah sie an. „Du bist also durch das Reich der Vier Götter hierhergekommen?“ „Ja, genau.“ Mai wackelte verlegen mit ihren Füßen und drückte die Hände auf ihre Knie. Das Ganze kam ihr vor wie ein Verhör, und mit großer Wahrscheinlichkeit war es das auch. „Hast du schon einmal etwas von Suzaku gehört?“, fragte Yui nun. „Nein. ... Das heißt, doch. Im Unterricht für Japanische Geschichte. Suzaku ist einer der vier Schutzgötter in der chinesischen Mythologie.“ „Sagt dir der Begriff ‚Hüterin’ irgendetwas?“ „Die Wachen haben dich eben so genannt, nicht wahr? Aber ich weiß nicht, warum.“ „Kennst du ein Mädchen namens Miaka Yuuki?“ „Nein.“ „Oder jemanden, der ein chinesisches Schriftzeichen irgendwo auf dem Körper trägt?“ „Nicht, dass ich wüsste...“ Mai fühlte sich immer unwohler. Sie verstand nicht, was Yui von ihr wollte. Warum all diese Fragen? Doch Yui schien noch nicht fertig zu sein. „Wo bist du gelandet?“ „In dieser Stadt. Ich kam zwischen den Häusern zu mir, dann hat mich dieser ekelhafte, unrasierte, stinkende Typ aufgegabelt und hierher geschleppt.“ „Das lässt sich überprüfen“, meinte Yui nachdenklich. „Warum fragst du mich das alles überhaupt?“ Yui, die zum Schreibtisch geblickt hatte, drehte sich wieder zu ihr. „Das werde ich dir vielleicht später erzählen. Geh jetzt erst mal baden.“ Yui nickte mit dem Kopf in Richtung Tür. Mai entdeckte die Dienerin, die dort stand, und kam wieder auf die Füße. „Vielen Dank“, murmelte sie förmlich, schlüpfte in ihre Schuhe und folgte der Frau. Als Mai wieder aus dem Bad kam, fühlte sie sich ein wenig frischer. Sie fand es zwar nicht sonderlich angenehm, hinterher wieder in ihre bereits durchgeschwitzte Schuluniform zu schlüpfen, doch diese aufzugeben und irgendetwas anderes anzuziehen hätte ihr noch weniger gefallen. Sie ließ allerdings die Jacke weg und hängte sie sich über den Arm, als sie der Dienerin folgte. Ihre Haare tropften noch leicht. Yui saß in ihrem Raum auf dem Stuhl, der zum Schreibtisch gehörte und sah ihr misstrauisch entgegen. Mai trat zögernd in den Raum und sah sie fragend an. „Was hast du verborgen?“, fragte Yui scharf. Mai wich zurück. „Was meinst du?“ „Meine Dienerin hat gesehen, dass du ein seltsames Zeichen auf deiner Brust trägst. Was hat es damit auf sich?“ Mai schluckte. „Das... ist eine lange Gesichte...“, sagte sie zögernd. Yui hob die Augenbrauen. „Ich habe Zeit.“ Mai hatte keine Wahl, als alles zu erzählen. Wie sie an die Fuuka-Akademie gekommen und andere Mädchen kennengelernt hatte, die ähnliche Zeichen am Körper trugen. Dass es sich bei denen, die das Mal trugen um sogenannte HiME handelte, und dass jede von ihnen durch die Kräfte einer solchen HiME spezielle Waffen, sogenannte Elemente, beschwören konnten. Sie schilderte ihren Kampf gegen die bösartigen Orphans undwie sie in einem Geröllfeld ihr Child, Kagutsuchi, getroffen hatte und dass sie seitdem weiter gegen die Orphans gekämpft, aber immer gezögert habe, Kagutsuchi zu Hilfe zu rufen. „Im Moment ist es ein bisschen ruhiger geworden und irgendwie haben alle etwas zu tun...“, erklärte sie schließlich. „Ich wollte nur etwas Ruhe und bin in die Bibliothek gegangen...“ Yui nickte knapp. „Gut. Das ist genug. Dir wird ein eigenes Zimmer gezeigt werden, in dem du unterkommen kannst.“ Mai nickte schwach. Sie erhob sich langsam und verließ den Raum. Als sie am nächsten Morgen von selbst die Augen öffnete, hatte sie einen Augenblick die vage Hoffnung, dass alles nur ein Traum gewesen sei. Ein kurzes Wenden ihres Kopfes jedoch zerstörte ihre Hoffnungen sofort. Sie befand sich in einem einfachen Raum mit von bunten Malereien geschmückten Wänden, und in der Mitte von einer Wand hing ein chinesisches Gemälde. Auf dem Bild war ein mit eleganten Pinselstrichen gemalter Drache, der aus der Oberfläche eines Sees hervorstieß. Mai kam auf die Füße und trat zu dem Bild. Der Drache wirkte nicht bösartig, sondern schlicht erhaben. Das Wasser, das um ihn herum spritze, hatte etwas ungeheuer Lebendiges. Mai sah den Drachen noch kurz an, dann wendete sie ihren Blick zum einzigen Fenster im Raum. Draußen war blauer Himmel zu sehen, und als sie näher trat auch noch die dunklen Dächer der umliegenden Gebäude. Vorsichtig suchte sie nun ihre Kleidung zusammen, die sie am Vortag bis auf die Unterwäsche abgelegt hatte. Es behagte ihr nicht, wieder in die alte Schuluniform zu schlüpfen, doch ihr blieb nichts anderes übrig. Dann setzte sie sich auf ihr Bett und seufzte. Wo war sie hier nur hineingeraten? Und wie sollte sie zurück an die Akademie gelangen? Ging das überhaupt? Von allzu langem Nachdenken hielten sie Schritte im Flur ab. Mai erhob sich aufgeregt und blickte dann doch ein wenig ängstlich zur Tür. Es war die Dienerin Yuis, die sie freundlich anlächelte. „Man bittet Euch zum Frühstück“, wurde ihr erklärt. Mai nickte und folgte ihr langsam. Dann beeilte sie sich doch, zu ihr aufzuschließen, denn wenn es eines gab, das ihr unangenehm war, dann die Vorstellung, sich in dem Gebäude zu verlaufen. Die Dienerin führte sie aus dem Wohngebäude hinaus und in ein anderes, größeres, das jedoch noch nicht zum Hauptteil des Palastes gehörte. Mai blickte sich staunend um und betrachtete die mächtigen Säulen, die die Gänge stützten und die farbenfrohen Deckenmalereien. Alles schien so fremd, vollkommen anders als alles, was sie jemals gesehen hatte. Yui schien ja auch aus Japan zu kommen. Ob sie sich einmal so gefühlt hatte wie sie jetzt? Die Frau stoppte neben einer großen Tür und verbeugte sich. Mai linste vorsichtig in den Raum und entdeckte eine reich gedeckte Tafel mit Massen von chinesischen Speisen, an der bereits Yui und ein ihr unbekannter blonder Mann saßen. Ein dritter Platz war noch frei. „Guten Morgen, Mai“, sagte der Blonde. Mai machte ein paar Schritte in den Raum. „Guten Tag“, sagte sie, und verbeugte sich förmlich. Erst, als sie sich wieder aufrichtete, fiel ihr ein, dass diese Geste in diesem Land so wahrscheinlich nicht üblich war. „Setz dich ruhig“, wurde sie beflissen gebeten. Sie deutete ein Nicken an und schob unsicher den Stuhl zurück. Ein kurzer Blick streifte Yui, die jedoch keine Regung erkennen ließ. Dann rückte sie ein wenig näher an den Tisch und warf einen Blick über die Speisen. Meeresfrüchte, Bambussprossen, anderes Gemüse, das sie nicht kannte, und Fleisch. Sie mochte Chinesische Küche im Allgemeinen, doch um dies hier anzurühren, noch dazu am Morgen, würde sie sich überwinden müssen. Zum Glück richtete der Blonde sich sogleich wieder an sie. „Ich sollte mich vorstellen, mein Name ist Nakago. Yui-sama kennst du ja bereits.“ „J.. ja, genau. Ich heiße Mai Tokiha.“ Der Blonde nickte. Er trug ein mit goldenen Fäden und Blau besticktes Gewand mit helleren Ärmeln. Mai konnte nicht umhin, ihn in Gedanken als gut aussehend zu bezeichnen, was auch an seinen hellen Augen, seinem glänzenden Haar und dem fein geschnittenen Gesicht liegen musste. „Wie Yui-sama mir gestern mitteilte, beherrscht du den Kampf.“ Mai schluckte und brachte sich dazu, schwach zu nicken. Zu mehr war sie nicht in der Lage. „Dann möchte ich dich – möchten wir dich um etwas bitten, Mai.“ Sie war nun vollkommen stumm und hoffte nur, dass er so bald wie möglich das Gespräch beenden würde. Sie warf einen unsicheren Blick zu Yui, die jedoch weiterhin schwieg. Dann sah sie wieder zu Nakago. Seine blauen Augen funkelten intensiv und unangenehm, sie jagten ihr einen regelrechten Schauer über den Rücken. „Ich möchte, dass du die Hüterin des Suzaku und ihre getreuen Seishi angreifst.“ Mai sah ihn mehrere Augenblicke lang fassungslos an. „Wer sind diese Hüterin und die Seishi?“, fragte sie dann. Mai hatte erstaunlich viele Speisen entdeckt, die ihr zusagten, Nakagos Bitte tat dies allerdings nicht. Er hatte ihr während des Essens erklärt, dass die Hüterin des Suzaku ein Mädchen aus einer anderen Welt sei – derselben Welt wie von Yui und ihr selbst – sei und dem Kaiser von Kounan diene. Dass diese Hüterin feindliche Ambitionen gegenüber Nakagos Land habe und die Kraft der magisch veranlagten sieben Seishi nicht zu unterschätzen sei. Noch dazu stünden sie kurz davor, mit den versammelten sieben Seishi zusammen den Gott Suzaku zu beschwören. Damit hätte die Hüterin drei Wünsche frei, was ihrem Land erheblich schaden könnte. Er schloss mit den Worten, dass jemand wie Mai sicher in der Lage sein würde, zumindest ein paar der Seishi auszuschalten und somit einen militärischen Vorteil zu erkämpfen, indem sie die Beschwörung verhinderte. Yui hatte während des ganzen Gesprächs nur wenig gegessen und ab und an leicht genickt. Nakago tupfte sich die letzten Reste vom Mund und sah Mai an. „Nun, was meinst du zu unserer Bitte?“ Mai warf einen unruhigen Blick in den Raum. Niemand war da, der ihr helfen könnte. Aber das müsste sie eigentlich auch gewöhnt sein. „Was... was passiert, wenn ich es nicht tue?“, fragte sie herausfordernd. „Das werden wir entscheiden, wenn du deine endgültige Entscheidung getroffen hast. Das musst du nicht jetzt. Ich gebe dir drei Tage.“ Er sah sie auffordernd an. Mai wäre am allerliebsten aufgesprungen, doch sie hielt sich zurück. Nakago wirkte sehr selbstbewusst, um nicht zu sagen mächtig, und hatte sicher eine Position, die es ihm erlauben würde, sie einfach in den Kerker zu werfen oder was auch immer er wollte, wenn sie Widerworte wagte. „Ich werde es mir überlegen“, sagte sie deshalb. Nakago nickte zufrieden und erhob sich. „Gut. Solltest du dich entschieden haben, wende dich bitte an Yui-sama. Es ist dir im Übrigen nicht gestattet, den Palast zu verlassen.“ Damit verließ er den Raum durch eine hintere Tür, und ließ Mai sowie Yui am Tisch zurück. „Ich mag ihn nicht“, gestand Mai, sobald sie das Gefühl hatte, dass er außer Hörweite war. Yui sah sie aufmerksam an. „Warum?“, fragte sie leise. „Er hat so etwas Beherrschendes. Ich höre nicht gern auf andere.“ Yui nickte nachdenklich. „Lass uns zurück in die Gemächer gehen.“ Schon am Nachmittag war es Mai zuviel. Yui saß die meiste Zeit am Schreibtisch und lernte Englischvokabeln. Auch schien sie nicht die geringste Lust auf irgendeine Art von Konversation zu haben. Da Mai den Palast nicht verlassen durfte, ging sie ein bisschen im Garten herum, doch die Wächter und Soldaten die sich dort befanden, warfen ihr unangenehme Blicke zu und sie kehrte in ihr Zimmer zurück. Dass sie Nakagos Bitte nicht nachkommen würde, hatte sie bereits beschlossen. Sie wollte nicht verletzen, egal wen, außerdem war es ihr mehr als alles andere zuwider, sich diesem Nakago einfach unterzuordnen und sich von ihm ausnutzen zu lassen. Als sie kurz nach einem knappen Mittagsmahl von Reis mit Gemüse wieder in ihr Zimmer zurückkehrte, beschloss sie, kaum dass sie die Schwelle übertreten hatte, dass sie hier nicht bleiben würde. Ihr war langweilig, und zudem gab es niemanden, dem sie vertrauen konnte. Sie hatte nicht einmal etwas zu tun. Als sie sich sicher war, dass niemand hinschaute, schlüpfte sie aus dem Gebäude und bis zur Palastmauer. Diese war hoch, doch als sie daran hochsah, erschienen wie von selbst ihre Elemente, goldene Ringe mit eingearbeiteten Smaragden, um ihre Hand- und Fußgelenke. Ein starker Luftstoß brachte sie direkt auf Höhe des Mauersimses. Mai schaute sich noch einmal aufmerksam um, bevor sie auf die andere Seite sprang, wobei sie sich mit dem Luftwiderstand der Elemente abfederte, und machte sich dann auf der anderen Seite im Eilschritt davon. Erst, als sie den Palast nur noch in der Ferne hinter den Dächern der anderen Bauten erahnen konnte, blieb sie stehen. Sie hatte nicht gewagt, langsam zu gehen, sondern war gerannt, als ginge es um ihr Leben. Nun, als sie sich in einen kleinen Durchgang zwischen zwei ärmlichen Häusern drückte, in dem es erbärmlich stank, musste sie tief Luft holen und stellte fest, dass ihr Gesicht schweißnass war. Das ungewohnte Klima setzte ihr mehr zu, als sie im ersten Moment gedacht hatte. Und sie hatte Durst. Nachdem sie ihren Atem beruhigt und die Schuluniformjacke ausgezogen hatte, schaute sie auf die Straße. Sie war in einem verhältnismäßig armen Viertel gelandet, in dem viele Häuser fast ausschließlich aus Holz gebaut waren. Auf der Straße herrschte reger Betrieb, doch die Menschen sahen abgerissen und arm aus. Natürlich, der Reichtum konnte nicht allen gehören. Mai seufzte und fragte sich, was sie tun sollte. Sie war allein, hatte kein Geld und keine Ahnung, wie sie hier weggelangen sollte. Sie könnte natürlich ihre Elemente rufen, doch das würde für Aufregung sorgen und die Männer aus dem Palast nur noch schneller auf ihre Spur bringen, sollten sie sie suchen. Nachdem sie die Straße hinauf und wieder heruntergesehen hatte und überall nichts als dasselbe Geschehen von lauten Händlern und Verkäufern gesehen, machte sie sich wieder auf, allerdings nur im Schritttempo. Der Palast war mittlerweile wohl weit genug weg. Auf den Straßen gab es einiges zu sehen. Händler verkauften Gemüse, lebende Tiere und Schmuck. Es war ein geschäftiges Treiben, ein Hin und Her im Strom von Menschen, die versuchten ihre Ware loszuwerden oder selbst etwas zu kaufen. Ihr Blick war von einem Mann angezogen worden, der auf offener Straße kleine Kunststücke vollführte, und so bemerkte sie auch nicht, dass ihr jemand entgegenkam. Dann waren sie auch schon zusammengestoßen. Sie fiel mit einem Aufschrei rückwärts schaffte es gerade noch, die Hände nach hinten zu reißen und sich damit abzufangen. Beinahe wäre ihr direkt darauf jemand auf die Finger getreten, doch sie hob die Hand und stand sogleich wieder auf um zu sehen, in wen sie da hineingelaufen war. Vor ihr saß ein Mann in einem sehr einfachen, braunen Gewand, dessen Gesicht von rötlichen kleinen Narben übersät war. Seine Augen lagen tief in den Höhlen, seine Nase war lang und dünn, und seine Wangenknochen traten grob hervor. Als er Mai sah, blinzelte er kurz und kam dann selbst auf die Beine. „Entschuldigung“, sagte sie sofort. Er blinkte sie verwirrt an, dann begann er zu grinsen. „Dass mir so was noch mal unterkommt“, murmelte er. Bevor Mai verstanden hatte, was er meinte, packte er sie am Handgelenk und zerrte sie hinter sich her. Sie war viel zu verwirrt, um einen klaren Gedanken zu fassen, bis sie auf einmal in einer unbelebten Straße drei Männern von derselben Sorte gegenüberstand. Sie alle hatten diese ekelhaften Narben im Gesicht, die sie auf den zweiten Blick als Rückstände einer Krankheit einordnete. Und sie grinsten breit. „Was hast du uns denn da mitgebracht?“, fragte der Mittige. „Ist sie nicht hübsch? Noch dazu...“ Der Mann, der Mai angeschleppt hatte, packte sie ohne weitere Vorwarnung einfach an der Brust. „Nicht zu verachten“, murmelte er. Auf seinem Gesicht zeichnete sich ein verzückter Ausdruck an, doch nur, bis Mai ihm einen Schlag mit dem Ellbogen direkt gegen die Brust gab. Er taumelte zurück. „Hey, was soll das denn?“, fragte einer der anderen Männer und schnellte hinter sie, wo er ihre beiden Hände packte und gegen ihren Rücken drückte. „Du bist doch sicher ein liebes Mädchen“, fragte er leise neben ihrem Ohr. „Lasst mich in Ruhe!“, rief Mai. Die beiden Männer ihr gegenüber sowie der, der sie hergebracht hatte und mittlerweile auch wieder aufgestanden war, lachten schallend los. „Das glaubst du doch wohl im Ernst nicht! Erst, wenn wir mit dir fertig sind!“, rief der linke und trat auf sie zu. Dann riss er ihr mit einer einzigen Bewegung die oberen Knöpfe ihres weißen Hemdes auf. „Lass das!“, rief Mai, doch er beachtete sie nicht. Der Griff um ihre Hände war zu stark. „Los, los, komm her“, bat der Mann. Seine dreckigen Hände grapschten sie an die Oberschenkel und fuhren daran hoch. Ihr hätte übel werden können allein davon, doch der Gedanke was er noch mit ihr anstellen würde, schürte einfach nur pure Panik. „Lass das!“, kreischte sie und riss ihr Knie in die Höhe. Er schien darauf vorbereitet gewesen zu sein, denn er wich mit dem Körper aus und packte sie am Knie. Mit der freien Hand fuhr er innen an ihrem Schenkel entlang. „So eine hatte ich lange nicht mehr“, sagte er, und Mai betrachtete mit Ekel, wie sich in seine Augen ein gieriger Glanz schlug und sein Atem schneller wurde. Sie wollte hier weg! Und zwar jetzt sofort. „Lasst mich los!!“, kreischte sie. Der Mann zog seine Hand nur ein wenig zurück und grinste breit. Die beiden hinter ihm lachten. Sie versuchte noch einmal, sich loszureißen, doch sie bekam nicht einmal ihr Bein aus dem stählernen Griff frei. In dem Moment brach der Damm und Tränen begannen ihr einfach so aus den Augen zu fließen, was bei den ekeligen Typen nur noch mehr Gelächter hervorrief. Und dann griff ihr auch noch der, der sie von hinten festhielt, mit einer sicheren Bestimmtheit von hinten an die Brust und leckte über ihren Hals. Ein heiserer Schrei entkam ihrer Kehle. Doch das hielt ihn nicht auf. Der, der vor ihr stand, drückte nun seine Hand direkt gegen ihre Hüfte und schob ihren Rock nach oben. Sie weinte jetzt nur noch, der Schweiß ihrer Peiniger stieg ihr in die Nase. Sie zuckte, versuchte noch einmal, freizukommen. Ein Aufschrei ertönte. Auf einmal war die schwielige Hand an ihrem Bein verschwunden. „Lasst sie los!!“, hörte sie hinter sich eine Stimme. Sie sah die Mienen der beiden zuschauenden Männer gefrieren und in Entsetzen umschlagen. Dann lockerte sich auch der Griff an ihrem Handgelenk. Sie war frei. Als sie sich herumdrehte, sah sie sich Yui gegenüber, und hinter ihr stand Nakago in einer goldenen Rüstung und mit einem blauen Umhang um die Schultern. „Lasst sie nicht entkommen. Hackt diesen Individuen die Köpfe ab“, befahl er brüsk. Hinter ihm stürmten mehrere Soldaten mit Speeren hervor. Die Männer schrien auf und eilten davon. Mai sah ihnen nicht mehr hinterher. Sie taumelte mit Tränen in den Augen auf Yui zu und klammerte sich an sie, und nun konnte sie erst recht nicht mehr anders als zu weinen. Das Badewasser war angenehm warm. Mai, die vorher kurz einen Fuß hineingestreckt hatte, glitt vollends hinein. Sogleich fühlte sie sich besser, um nicht zu sagen erleichtert. Jetzt, wo sie darüber nachdachte, schien es so dämlich. Sie hätte nur ihre Elemente benutzen und damit die vier Vergewaltiger in die Flucht schlagen müssen... Der Gedanke daran veranlasste sie fast wieder zu weinen, aber sie unterdrückte den Reflex. Stattdessen schloss sie die Augen und sog den Duft des Badewassers auf. Er war irgendwie mystisch und schwer, aber er beruhigte sie auch. In dem Dampf über dem heißen Wasser konnte sie kaum etwas erkennen. Immerhin – hier war sie in Sicherheit. Das Geräusch von nackten Füßen auf Fliesen ließ sie aufsehen. Yui erschien mit einem Tuch um den Körper gewickelt am Rand des Beckens und sah zu ihr hinunter. „Wie geht es dir?“, fragte sie leise. „Danke, mittlerweile bin ich wieder in Ordnung“, murmelte Mai. Yui nickte verständnisvoll und glitt dann zu ihr ins Wasser, wobei sie das Handtuch am Boden ablegte. . Sie sahen sich kurz an, dann wendete sich Yui wieder ab und bewegte sich in dem großen Becken ein paar Schwimmzüge weit. „Mir... ist dasselbe passiert“, sagte sie schließlich. „Was meinst du?“, fragte Mai. Sie hob den Kopf und betrachtete Yui. In ihrem Blick lag Einsamkeit, obwohl sie eigentlich sehr hübsch war mit ihrem leicht welligen, dünnen blonden Haar. Im Grunde passte dieser einsame Zug sogar dazu. „Ich bin auch mal solchen Kerlen in die Arme gelaufen. Mir ist allerdings...“ Yui hielt inne und blickte starr irgendwo in den Dampf, der aus dem Wasser stieg. Mai sah sie schweigend an. „Mir ist... niemand zu Hilfe gekommen.“ Entsetztes Schweigen. . . . „Das tut mir leid.“ Yui sah sie erstaunt an und schüttelte dann den Kopf. „Mir sollte es leid tun“, sagte sie mit einem abfälligen Blick. Dann begann sie zu erzählen. „Ich hatte mit meiner Freundin Miaka zusammen das ‚Reich der Vier Götter’ in einer Bibliothek entdeckt und war nur einmal kurz in diese Welt gelangt. Dort haben wir einen Jungen getroffen...“ Ihr Blick glitt davon und auf den Wangen zeigte sich ein roter Schimmer. Dann senkte sie die Brauen und sprach leise und zischend weiter. „Miaka... sie ist irgendwann heimlich in die Bibliothek zurückgekehrt und wieder in dieser Welt gelandet, aber in Gefahr geraten. Ich wollte ihr helfen... Sie konnte tatsächlich in unsere Welt zurückkehren, doch dafür wurde ich in das Buch gesogen. Und bin in diesem Land ähnlichen Leuten begegnet wie du heute. Als Nakago kam um mir zu helfen, war es bereits zu spät. Das werde ich ihr nie verzeihen!“ Nun zeigte sich in ihrem Gesicht nichts als Hass. „Aber... sie kann doch nichts dafür...“, wagte Mai zögernd einzuwenden. „Nein, dafür nicht“, gab Yui zu, „aber das war nicht alles. Miaka kam, um mich zu retten, hierher, in den Palast. Mit ihr der Junge, den wir schon einmal getroffen hatten. Er heißt Tamahome... Er wollte mich befreien, und ich war unendlich froh.“ Sie schien den Moment noch einmal zu erleben. Ihr Gesicht wurde weich, für einen Moment schien sie sogar zu lächeln. Doch dann schlug sich Boshaftigkeit dazu. „Dann habe ich sie gesehen. Ich hatte mich nur einen Moment von ihnen entfernt, und als ich zurückkam, küsste er sie und sagte, wie sehr er sie liebte.“ Ein wehmütiges Lächeln kam auf Yuis Lippen. „Ich hatte drei Monate in dieser Welt auf sie gewartet. Und sie kam zurück und wagte, von Freundschaft zu sprechen. Nach all dem, was ich durchgemacht hatte... Ich habe sogar versucht, mich umzubringen, ich war vollkommen verzweifelt. Und sie... hatte nichts anderes im Sinn als mit ihm zusammenzusein!!!“ Yuis Stimme hatte sich fast zu einem Schreien gesteigert. Dann sprach sie apathisch weiter. „Wenn ich zuerst zurückgekehrt wäre, wäre ich nun die Hüterin des Suzaku, zu der sie geworden ist, und ich wäre es gewesen, in die sich Tamahome verliebt hätte.“ Mai schwieg betroffen. Ihr fiel nichts mehr ein, was sie diesem Mädchen sagen konnte. Kein aufmunterndes Wort schien da zu sein, das das Leiden irgendwie erfassen konnte. „Ich habe ihn aufgegeben...“, sagte Yui dann leise und lehnte sich neben Mai an den Beckenrand. „Wir haben es versucht. Nakago hat dafür gesorgt, dass Tamahome uns ausgeliefert wurde. Ich habe für ihn gesorgt, doch für ihn gab es immer nur Miaka, Miaka, Miaka...“ Mai konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen, doch im wallenden Dampf erschien es ihr, als weine Yui. Ihrer Stimme war allerdings nichts anzumerken. „Selbst als ich ihn manipulierte, damit er sich in mich verliebte, dachte er immer noch an sie... Ihre Liebe war zu stark. Ich kann ihn nicht für mich haben, und deshalb bleibt mir nur noch, sie zu vernichten.“ Mai senkte den Kopf. Sie hatte ihr Schicksal, eine HiME zu sein und gegen Monster kämpfen zu müssen, den Tod ihrer Eltern und die harte Arbeit um die Operation für ihren kranken Bruder bezahlen zu können, tatsächlich für hart gehalten. Aber wenn sie darüber nachdachte, war das gar nichts im Gegensatz zu Yui. „Ich habe Mitleid mit dir“, sagte sie schließlich. Yui blickte sie erstaunt an. Mai lächelte schwach. „Vielleicht sollte ich dir doch helfen.“ „Das wird wirklich gefährlich. Bist du sicher?“, fragte Yui noch einmal. Mai nickte zuversichtlich. Ihre zerrissene Schuluniform hatte sie durch ein einfaches chinesisches Gewand ersetzt, was sowieso viel weniger auffällig war. Dieses hatte sogar eine Kapuze um ihre ungewöhnlich hellen Haare zu verbergen. Sie blickte Yui vorsichtig an, die sie mit gerunzelter Stirn ansah. „Mir gefällt das nicht“, sagte diese, „Du brinst dich nur in Gefahr.“ Mai konnte das nicht abweisen, aber einen Rückzieher zu machen fiel ihr jedenfalls nicht ein. „Du hast mir doch selbst gesagt, wie sehr du Miaka hasst, oder nicht?“, fragte sie. „Ja, schon... aber du bringst dich in Gefahr!“, erwiderte Yui. Am Morgen nach ihrer Begegnung im Bad hatte Mai Nakago mitteilen lassen, dass sie die Seishi angreifen würden. Selbst nach einer durchschlafenen Nacht hatte ihr der Zusammenstoß mit den Vergewaltigern noch Angst gemacht, und wenn sie darüber nachdachte, musste es Yui noch viel schlimmer ergangen sein, von der unerfüllten Liebe zu diesem Tamahome ganz zu schweigen. Sie tat Mai leid, und wenn es ihr half, würde sie eben etwas gegen die Suzaku-Seishi unternehmen. Nakago hatte zugestimmt und ihr die restlichen zwei Tage gegeben, um ihre Technik zu trainieren. So hatte Mai begonnen, mit ihren Elementen zu trainieren, in dem sie gegen den General, als der sich Nakago herausstellte, antrat. Er war ein Seishi des Seiryuu, dem blauen Drachen des Ostens, dessen Hüterin Yui war. Obwohl er im Kampf hauptsächlich sein Schwert benutzte, setzte er auch manchmal sein Ki ein, um Mai hinterrücks anzugreifen. Wenn er sie dann wieder einmal erwischt hatte, lachte er nur und machte sie darauf aufmerksam, dass auch die Suzaku-Seishi nicht gerade zimperlich mit ihr umspringen würden. Mai hatte dann die Zähne zusammengebissen und sich vorgenommen, beim nächsten Mal besser aufzupassen. Doch wenn sie nicht trainierte, hatte sie viel Zeit bei Yui verbracht. Die Blonde hatte offenbar Vertrauen gefasst und ihr noch eine Menge mehr Details erzählt. Mai hatte sie auch gefragt, woher sie gewusst hatten, dass sie angegriffen worden war, und wo. Yui hatte ihr von einer Kristallkugel erzählt, die Nakago besaß und mit der er innerhalb des Landes so gut wie alles überwachen konnte. Sie hatten noch viel anderes geredet, und sich oft nur an die kleinen Dinge im Alltag Japans erinnert. Zwei Tage waren dafür eigentlich viel zu wenig. „Das weiß ich, aber ich habe zugesagt. Ich glaube, mittlerweile bin ich fit genug, um mich zu wehren“, sagte Mai überzeugt. Yui nickte traurig. Mai seufzte tonlos und legte der Jüngeren ihre Hand auf die Schulter. Die Blonde hob vorsichtig den Kopf. „Komm heil wieder“, bat sie. Mai lächelte. „Das ist doch Ehrensache“, meinte sie. Yui lächelte ebenfalls schmal. „Okay. Aber wag es ja nicht wiederzukommen, bevor du den Suzaku-Seishi ihre Pläne durchkreuzt hast!“, erklärte sie entschlossen. Mai grinste. „Darauf kannst du wetten“, sagte sie. Dann trat sie zu dem kleinen Tor in der Palastmauer, durch das sie hinausgelangen sollte. Es würde nur Aufsehen erregen, wenn sie das Haupttor benutzte. Nakago stand wartend neben dem Tor und über seine Lippen lief ein schmales Zucken, das durchaus als Lächeln gedeutet werden konnte. „Du weißt, was du zu tun hast?“, fragte er leise. Mai nickte. „Ich soll die Hüterin des Suzaku töten, dann hätte der Kampf zwischen Kutou und Kounan ein Ende. Wenn ich nicht dazu in der Lage bin, soll ich versuchen, einen der Seishi zu erwischen“, erklärte sie tonlos. Dass sie Yui versprochen hatte, Miaka trotz allem nicht anzurühren, sagte sie nicht. Dann würde die offizielle Version eben lauten, dass sie sie nicht erwischt hatte. „Sollte irgendetwas passieren, werde ich es merken. Dann schicke ich Verstärkung“, sagte Nakago. Mai nickte. Dann drehte sie sich noch einmal zu Yui um, die sie traurig ansah. „Komm bald wieder“, sagte sie leise. Mai drückte ihr kurz die Hand, dann trat sie durch das Tor, das Nakago ihr aufhielt. Ihn würdigte sie keines Blickes, als sie herausschritt und sich dann zwischen die Häuser der Hauptstadt stahl. Nach Kounan zu gelangen, erwies sich als nicht all zu schwierig. Bis zur Grenze konnte sie bei einem Händler mitfahren, der dort seine Familie besuchte. Während des Transports betrachtete sie die weite, grüne Landschaft und dachte über Nakago nach. Wie sehr sie es auch wendete, sie konnte ihn nicht leiden. Er war ein aalglatter Kerl, dem jedes Mittel recht zu sein schien. Dass er sie jetzt gerade für seine Zwecke benutzte, war ihr leider klar. Aber wenigstens stand sie ohne Gewissensbisse hinter ihrer Mission, denn es ging in erster Linie um Yui. Die Wachposten an der Grenze der beiden Länder ließen sie ohne Probleme passieren, nachdem sie ihnen ein goldenes Siegel von Nakago zeigte. Hinter der Grenze war sie gezwungen, ein paar Tage zu Fuß zu gehen und des Nachts in Bauernhäusern zu übernachten, doch sie wurde überall freundlich aufgenommen und gut versorgt. Am dritten Tag stieß sie auf eine Händlerkarawane, die auf dem Weg in die Hauptstadt war und schloss sich dieser an. Über eine der gut ausgebauten Hauptstraßen des Landes war es ein Leichtes, innerhalb von nur drei weiteren Tagen in die Hauptstadt des Landes Kounan zu gelangen. Schon von weitem konnte Mai glänzende Dächer und den großen Palast sehen, der dem von Kutou ziemlich ähnelte. Doch als sie das Stadttor hinter sich hatten, fiel ihr sofort auf, dass in der Stadt weniger der Menschen, die sich als Gesindel bezeichnen ließen, vorhanden waren. Vielleicht war der Kaiser des Landes weiser... Aber es lag nicht in ihrem Ermessen, das zu beurteilen. Die Händler teilten sich Stück für Stück auf, und sie verabschiedete sich von ihnen, um durch die Stadt zu streifen. Sie fand nach kurzem Herumfragen eine kleine Herberge etwas abseits und quartierte sich, da es bereits Abend wurde, dort mit dem Geld ein, das man ihr ebenfalls mitgegeben hatte. Als sich die Finsternis über die Ebene legte, saß sie am Fenster und stellte fest, dass die Situation nicht einmal neu war. Wie sie sich für Takumi jeden Tag im Restaurant abrackerte und für Mikotos Lunchbox eine halbe Stunde eher aufstand, so half sie jetzt Yui. Nur dass sie dafür ihre Kraft als HiME gebrauchen konnte, und dass Yui doch etwas anderes war. Auch wenn sie nicht sicher war, was eigentlich. In der Stille schlug sie ihre Kapuze zurück, wie sie es schon nicht mehr getan hatte, seit sie die Karawane getroffen hatte, und sah in den Sternenhimmel. Er sah genau so aus, wie zu Hause in Japan. Sie vermeinte sogar, neben dem Mond das kleine rote Blinken zu erkennen, den Stern, den nur die HiME sehen können. Dem Schicksal konnte man wohl doch nicht entfliehen. Der nächste Morgen brachte ebenso gutes Wetter wie die vorhergegangenen Tage. Mai entlöhnte die Wirtin für die Unterbringung und zog dann, nun wieder mit übergeschlagener Kapuze, durch die Stadt und kaufte sich an einem kleinen Stand ein mit Fleisch gefülltes Klößchen. Essend streifte sie weiter. Die Menschen handelten bereits eifrig mit Stoffen und Esswaren, Schmuck und Werkzeug. Ein paar Kinder rannten auf den Straßen herum und jagten irgendwo freigekommene Hühner, die mit lautem Gackern davonstoben. Eher als sie erwartet hätte, kam sie an den Palast, der auch hier von einer hohen Mauer umgeben war. Mai blieb stehen und betrachtete neugierig das großartige Gebäude, das mit goldenen Ornamenten und Säulen aus Marmor in der Sonne glänzte. Wachposten standen an den Säulen am oberen Ende der großen Stufen, Beamte liefen geschäftig hin- und her. Alles war vollkommen friedlich. Und sie war gekommen, um zu töten. Unschlüssig schlug Mai einen Seitenweg ein und spazierte zwischen den größeren Häusern der Adeligen hindurch. Sie hätte ahnen müssen, dass es nicht einfach werden würde, sich für so einen Schritt zu entscheiden. Doch sie musste. Vorsichtig blickte sie zurück zur Mauer, die nun schon wieder etwas von ihr weg lag. Nakago hatte ihr geraten, sich auf ihr Gefühl zu verlassen, da selbst er nicht an einen Plan des Palastes gelangen konnte. Die Hüterin würde aber leicht zu finden sein, das hatte er versprochen. Die Frage war nur, wie sie in den gut behüteten Palast ungesehen hereinkommen konnte. Würde sie erwischt, hätte sie keine Zeit, lange zu suchen, und gerade die brauchte sie dringend. Nachdenklich lehnte sie sich gegen eine Mauer, die ein großes Anwesen umrahmte, und sah in den Himmel. Eigentlich wäre es ganz einfach. Sie musste ihre Elemente aktivieren, würde über die Palastmauer hinwegsegeln, die Wachen spielend umgehen, in den Palast eindringen und versuchen, irgendeinen der Seishi aufzutreiben. Es war ihr sogar egal, welchen. Allerdings kannte sie sie nicht, sie wusste nur, dass sie irgendwo auf dem Körper ein chinesisches Zeichen tragen mussten. Fast wie die HiME, nur dass diese allesamt Frauen waren und dasselbe Zeichen trugen. Abwesend zog sie den Dolch aus der Scheide, die an ihrem Handgelenk befestigt war. Nakago hatte ihr geraten, gegen die Hüterin mit Waffengewalt vorzugehen, das sei am wirksamsten. Sie war sich nicht sicher, ob sie den Dolch überhaupt benutzen sollte. Aber es würde sich sowieso ergeben. Wie eine Ninja kam sie sich vor, als sie auf die Mauer zuging. Ninja fast im wahrsten Sinne des Wortes, denn das bedeutet „Der mit dem Wurfstern“. Einen Wurfstern trug sie zwar nicht dabei, aber dafür den Dolch, was fast genau so gut war. Japanische Waffen waren hier eben nicht zu haben. Sie blickte sich schnell um, ohne den Kopf zu drehen. Niemand war hier. Die Adligen, die im Umfeld lebten, mochten sich in ihren Villen befinden oder Handel treiben, doch hier war alles leer. Die Mauer, da drei Meter hoch und für einen normalen Menschen nicht zu überwinden, war unbewacht. Ihre Chance. Mai warf noch einen schnellen Blick über ihre Schulter, dann aktivierte sie die Elemente und schoss getrieben von einer Hitzewelle, die die Ringe an ihren Füßen auslösten, in die Höhe. Die Arme nahm sie nach hinten, um sich nach vorn zu treiben. Hinter der Mauer federte sie mit allen vier Ringen ab, sodass sie sanft am Boden landete, bevor sie hinter einem Strauch in Deckung ging. Das alles in Sekundenbruchteilen. Sollte jemand sie gesehen haben, so bildete er sich sicherlich ein, nur den Schatten eines vorbeifliegenden Vogels gesehen zu haben. Mai machte eine vorsichtige Bewegung vorwärts und linste zwischen den Blättern hindurch. Vor ihr erstreckte sich der Garten im Inneren des Palastes mit ordentlich gekiesten Wegen, akkurat gestutzten Bäumen und kleinen Wasserläufen dazwischen. Direkt in ihrer Nähe befand sich ein kleiner Teich mit einem kunstvollen Pavillon daneben. An dessen Rand, links von Mai, war in einen Felsen die goldene Figur eines Phönix eingelassen, aus dessen Mund Wasser spritzte. Im Strahl stand ein nacktes Mädchen und hielt die Hände hinein. Mai schaute sich um und fand dann zwei Frauen, die in dem Pavillon standen und ein Tuch bereithielten. „Hüterin, beeilt Euch! Ihr sollt nur euren Körper reinigen!“, rief eine von ihnen. Mais Blick glitt wieder zu dem Mädchen. Sie war also die Hüterin des Suzaku. Miaka Yuuki. Sie war fast direkt vor ihr. Das Mädchen, das Yui verraten hatte. Und während diese trübselig in Kutou saß und sich fragte, ob das Leben noch einen Sinn hatte, hatte diese tatsächlich den Nerv, lachend im Wasserstahl zu hüpfen und das Wasser dann genüsslich über ihren Kopf rieseln zu lassen. Mai griff nach dem Dolch. Ein kurzer Gedankenblitz aktivierte die Elemente an ihren Füßen. Sie zischte hervor, den Dolch zum tödlichen Stoß erhoben. „Miaka!“ Ein Aufschrei ertönte. Mai riss den Kopf herum, bremste reflexartig ab. Eine Faust zischte wenige Millimeter vor ihrem Gesicht entlang. Von Miaka ertönte ein spitzer Aufschrei. Mai beförderte sich selbst mithilfe der Elemente direkt in die Mitte des Sees, wo sie schwebend verharrte. Halb vor Miaka stand ein Junge im blauen Gewand im Wasser, dessen gewelltes Haar ihm halb ins Gesicht hing. Er starrte Mai ungnädig an. „Wer bist du?“, fragte er böse. Miaka versteckte sich zitternd hinter ihm. „Das tut nichts zur Sache“, sagte Mai. Egal wer, er musste einer der Seishi sein. Jetzt war ihre Chance. Sie breitete die Arme aus und aktivierte die Ringe um ihre Gelenke, die zu kreisen begann. Flammen schossen hervor. „Verdammt, was ist das!?“, stieß der Mann aus. Mai raste auf ihn zu in der Absicht, ihn mit den gleißenden Ringen zu rammen. Er warf sich mit dem Mädchen im Arm in das seichte Wasser und entkam. Mais Schlag traf den Felsen, die Phönixfigur knickte ab, Wasser spritzte nun direkt aus dem Felsen und traf sie frontal. Gleichzeitig spürte sie eine unglaubliche Kraft, die sie zu Boden zwang. Im nächsten Augenblick fand sie sich mit dem Rücken im Wasser wieder. Ihr Angreifer hatte sich auf ihre Beine geworfen und presste ihre Arme ins Wasser, wo die feurigen Elemente schlicht und ergreifend ihre Kraft verloren. Sie riss ihren Kopf nach oben und versuchte verzweifelt, zumindest durch die Nase Luft zu bekommen. Das Wasser war nicht tief, aber auch nicht so seicht, dass sie liegend darin atmen könnte. Der Mann starrte ihr zornerfüllt ins Gesicht. Auf seiner Stirn erkannte sie das chinesische Zeichen, das „Teufel“ bedeutete. Tamahome also. „Rede! Wer bist du!!“, schrie er. Mai schnappte verzweifelt nach Luft. „Tamahome, du ertränkst sie!“, rief Miaka hinter ihm. Er zuckte zusammen und riss Mai am Kragen aus dem Wasser. Sie hustete. „Wer bist du!?“, schrie er noch einmal. Mai sah ihn finster an. „Das geht dich nichts an!“, fauchte sie. Er stieß ihr wutentbrannt die Faust in den Magen. Mai hustete und wenn er sie nicht weiterhin am Kragen gepackt gehalten hätte, wäre sie vermutlich zusammengesackt. „Tamahome! Lass sie!“, rief Miaka. Mais Blick glitt kurz über sie, ein Mädchen mit mittellangem dunklem Haar und vor Schreck weit aufgerissenen Augen, dann wurde alles um sie herum schwarz. Als sie die Augen aufschlug, wusste sie nicht, wo sie war. Über sich sah sie eine dunkle Decke aus schweren Holzbalken. Die Wände waren weiß und schmucklos. Erst, als sie den Kopf drehte, entdeckte sie eine große, schwere Tür, in der sich ein kleines vergittertes Fenster befand. Dahinter konnte sie einen Flur erkennen, doch viel mehr nicht. Mai setzte sich auf und stellte fest, dass sie auf einem einfachen Holzgestell saß, auf dem eine Decke lag. Sie selbst trug noch das Gewand mit der Kapuze. Als sie ihre Arme beäugte, stellte sie fest, dass sie nicht einmal mehr nass war. Es musste einiges an Zeit vergangen sein, seit Tamahome sie erwischt hatte. Mai stand auf und tapste zur Tür. Der Wachposten, der daneben stand, bemerkte sie. „Wag es ja nicht, irgendetwas zu tun!“, drohte er sofort und hob seinen Speer. Mai schüttelte den Kopf. „Wo bin ich?“, fragte sie stattdessen. „Im Gefängnis des Kaiserpalastes von Kounan“, kam die Antwort prompt. Mai nickte schwach. Dann ging sie zurück zu dem behelfsmäßigen Bett und ließ sich darauf nieder. Sie fühlte sich elend. Nakago hatte ihr noch eingeschärft, auf keinen Fall irgendeine spontane Aktion durchzuführen sondern sich alles zu überlegen und die Chancen vorher abzuwägen. Stattdessen hatte sie sich in einem Impuls von Hass und Rachsucht direkt auf Miaka gestürzt. Ohne zu bedenken, dass das Wasser ihrem Element entgegenwirken könnte. Ohne zu überprüfen, ob da vielleicht noch jemand war, der sie aufhalten könnte. „Na super...“, murmelte sie leise, und ließ den Kopf auf ihre Knie sinken. Was sie jetzt erwartete, wagte sie nicht einmal zu denken. Diesmal würde Nakago wohl nicht zu Hilfe kommen, denn wie sollte er auch wissen, was geschehen war? Die Kristallkugel, von der Yui erzählt hatte, überblickte nur Kutou. Nakago hatte zwar behauptet, dass er Verstärkung holen würde, doch sie rechnete wenig damit. Wieso sollte er auch das Risiko eingehen, in den Palast des Feindeslandes einzudringen? Stunden später wurde die Tür geöffnet und ein schmächtiger Mann trat ein. Er hatte kurzes, blondes Haar, von dem ihm nur eine längere Strähne in den Nacken hing. Sein Gesicht war von einer Maske bedeckt, die sie freundlich anlächelte. Die Stoffbahn, die er sich um eine Schulter geschlungen und um die Hüfte verknotet hatte, ließ wie der goldene Stab in seiner Hand an einen buddhistischen Bettelmönch denken, doch dann hätte er eigentlich eine Glatze tragen müssen. Mai sah müde zu ihm auf. „Meinereiner heißt Chichiri. Ich bin ein Seishi des Suzaku“, erklärte der Mann. Mai nickte schwach und blickte wieder zu Boden. „Meinereiner ist gekommen, um dich etwas zu fragen, jawohl“, meinte er munter. Mai drehte sich weg. Was hatte der denn für eine komische Sprechweise drauf? „Wie heißt du?“, fragte Chichiri. Mai sah auf und funkelte ihn an. „Ich sage nichts“, erklärte sie brüsk. Der Seishi schien verwirrt, doch er ließ sich nicht unterkriegen. „Der Kaiser ist sehr böse, weil du die Hüterin angegriffen hast, jawohl. Er könnte dich töten lassen!“, erklärte er in einem fast besorgt klingenden Tonfall. „Und wenn schon“, meinte Mai. Er schwieg. „Erkläre mir, was es mit deiner Kraft auf sich hat. Du bist doch kein Seishi des Seiryuu, oder?“, fragte er, in einen etwas ernsteren Ton übergehend. Mai zuckte nur abweisend mit den Achseln. „Ist das nicht egal?“ Er seufzte. Dann drehte er sich um und ging unverrichteter Dinge wieder. In den nächsten Tagen tauchte Chichiri immer wieder auf, doch Mai schwieg beharrlich. Sie wollte nichts sagen, denn dann würde man sie sicher für schuldig erklären. Mehrmals spielte sie mit dem Gedanken, auszubrechen, doch dann würde sie alle im Palast versammelten Seishi gegen sich gestellt sehen und hätte keine Chance auf einen Sieg. In den Nächten, wenn sie nicht schlafen konnte auf ihrer harten Unterlage, saß sie mit angezogenen Beinen da und versuchte durch das Fenster einen Blick nach draußen zu erhaschen. Sie dachte an Yui, die jetzt irgendwo in Kutou saß und keine Ahnung hatte, was aus ihr geworden war. Hoffentlich machte sie sich keine allzu großen Sorgen. Mai dagegen musste sich immer mehr eingestehen, dass sie die Blonde vermisste, obwohl sie gerade mal ein paar Tage miteinander verbracht hatten. Vielleicht kam das auch nur, weil sie jetzt sonst niemanden hatte, aber trotzdem wäre sie gern bei Yui gewesen und hätte mit ihr über nichtige Dinge wie das Angebot bei McDonald’s oder die neuesten Soaps geredet. Mehrere Nächte waren vergangen, seit Mai eingesperrt worden war. Nachdem sie ein einfaches Frühstück erhalten hatte, hatte sie vollkommen geistesabwesend dagesessen und nicht einmal über irgendetwas nachgedacht. Die Wächter draußen schienen sich zu unterhalten, und von draußen kam das leise Flötenspiel herein, das Mai in den letzten Tagen schon manchmal gehört hatte. Es beruhigte, und außerdem schien es sie mit Kraft anzufüllen. Sie wusste nicht, von wem es kam. Sie hätte Chichiri fragen können, wenn er bei ihr vorbeischaute, doch das wollte sie nicht. Er hätte nur im Gegenzug verlangt, dass sie seine Fragen beantwortete. Irgendwann in der Mittagshitze hatte sie begonnen leicht zu dösen, als irgendwo in der Nähe ein lauter Aufschrei ertönte. „Stirb!!“, schrie eine Mädchenstimme. Mai kam blitzartig auf die Beine. Lautes Geschrei ertönte. „Yui-chan!!“ Diesmal war es eine andere Mädchenstimme. Mai registrierte den Namen und erkannte sofort das, was gerade wichtig war: Yui befand sich hier, nicht allzu weit entfernt. Ein Gedanke und um ihre Hand- und Fußgelenke erschienen die Elemente. Mai stürzte sich auf die Tür, fand sie jedoch trotz der Unterstützung zu fest. Draußen stießen die Wächter Schreie aus. „Wage es ja nicht, herauszukommen, oder du bist tot!“, klang es herein. Und ein erneuter Schrei ließ sie aufhorchen. Es hörte sich an, als sei es Yui.. Sie sah keine andere Möglichkeit mehr. „Kagutsuchi!!“, stieß sie aus. Aus dem Nichts formierte sich hinter ihr die gigantische Gestalt des drachenähnlichen Wesens mit den feuerrot gleißenden Flügeln. Mit einem gewaltigen Getöse schoss es in die Luft; Holz- und Gesteinsbrocken begannen auf Mai hinabzuhageln. Sie gab ihren Elementen einen gedanklichen Befehl und erhob sich neben ihr Child, um dem zu entkommen. Kagutsuchi schoss noch weiter in die Höhe. Mai dagegen hatte entdeckt, was sie suchte. Nicht weit von ihrem Gefängnis entfernt im Garten des Palastes lag Yui am Boden. Über ihr stand Tamahome, der ein wenig ratlos wirkte, und neben ihm war Miaka. Mai sauste hinab. Hinter sich hörte sie eine laute Explosion, die vermutlich von Kagutsuchi hervorgerufen wurde, doch das interessierte sie jetzt nicht. Sie traf den unvorbereiteten Tamahome mit der Faust in den Rücken, schleuderte ihn mit einem Tritt zur Seite und landete dann bei Yui. „Yui! Alles in Ordnung?“, rief sie. Die Blonde sah auf, und sofort erhellte sich ihr Miene. „Mai! Dir geht es gut!“, stieß sie aus. Mai halft ihr auf die Beine und machte mithilfe der Elemente einen Sprung nach hinten und landete im Palastgarten. Tamahome kam gerade erst wieder hoch und Miaka eilte zu ihm. „Warum bist du hier?“, fragte Mai. „Ich... Nakago sagte, dass Tamahome dich verletzt und gefangen genommen hätte. Ich musste dir helfen!“, sagte Yui. „Du bist allein hier!? Bist du wahnsinnig?“, fragte Mai erschrocken. „Ich musste“, sagte die Blonde und senkte den Blick. Mai sah sie erstaunt an. „Was ist überhaupt passiert?“, hakte Yui nach. Mai hob den Kopf und erwartete, Tamahome auf sie beiden zustürmen zu sehen. Doch auf einmal änderte sich das Bild. Fünf blitzschnelle Schatten zischten geradewegs über die Palastmauer und die beiden hinweg und stellten sich den mittlerweile aus den Weiten des Palastes ankommenden Suzaku-Seishi in den Weg. Mai erkannte auf den ersten Blick Nakago mit seinem blonden Haar. Die anderen konnte sie nicht erkennen, doch es mussten die anderen Seishi sein, denn schon stürzten sich beide Parteien in den Kampf. Also waren sie Yui gefolgt. Mai sah Blitze zucken, Blut spritzen und hörte die Schreie zu sich hindringen. Und über all dem schwebte Kagutsuchi und ließ einen Feuerball nach dem anderen auf den Palast regnen. Er war vollkommen außer Kontrolle. Erst dann wendete Mai sich an Yui, um deren Frage zu beantworten und erklärte ihr kurz und knapp, wie sie angekommen und so leichtsinnig Tamahome angegriffen hatte. „Ich bin selbst Schuld. Aber als ich Miaka so fröhlich gesehen habe, konnte ich nicht anders“, gestand sie. Yui sah sie sanft an und legte ihr die Hand an die Wange. „Wieso tust du das alles nur für mich?“, fragte sie leise. „Und wieso riskierst du so viel, nur um mich hier herauszuholen?“, entgegnete Mai. Sie sahen sich schweigend an. Worte gab es nicht. Auf einmal ein markerschütternder Schrei. Mai riss den Kopf nach oben. Gerade rechtzeitig um zu sehen, wie Kagutsuchi in einen Feuerball gehüllt wurde, der von einem der Suzaku-Seishi auszugehen schien. „Kagutsuchi!!“, schrie sie auf. Yui klammerte sich an sie. Der große Drache schrie auf. Dann auf einmal stürzte sich jemand anderes auf ihn. Eine Gestalt mit langem, schwarzen Haar, die in den Händen ein Schwert trug. „Kagutsuchi! Nein!!“ Ein Streich, und das Wesen bäumte sich noch ein letztes Mal auf, bevor es in die Trümmer des Palastes stürzte, aus denen jetzt in alle Richtungen Menschen flohen. Grüne Flammen loderten für einen Moment in die Höhe, dann war von dem Child nichts mehr zu sehen. Mai starrte ungläubig an die Stelle, wo sich eben noch das Wesen befunden hatte, mit dem sie einst einen Pakt geschlossen hatte. Sie erinnerte sich noch an die Worte des Jungen Nagi. Sie müsse das Wichtigste aufs Spiel setzen in diesem Kampf, das hatte er gesagt. Sie zuckte zusammen, als Yui sie leicht am Gewand zog. Sie wand sich um und stieß einen Schrei aus. Yui selbst starrte sie vollkommen entsetzt an. Sie war dabei, sich aufzulösen. Ihr ganzer Körper verlor an Farbe. Ihre Füße begannen, in grünen Flammen zu verschwinden. „Yui!!“, schrie Mai. Die Seishi, sowohl die des Suzaku als auch die des Seiryuu hatten in ihrem Kampf innegehalten, doch das bemerkte Mai nicht einmal. Sie starrte nur auf Yui, die sie traurig ansah. „Yui!!“, presste Mai noch einmal hervor, und fühlte auf einmal Tränen auf ihren Wangen. Das jüngere Mädchen lächelte schwach. Ihre Lippen formten das Wort „Lebe wohl“. Dann hatten die grünen Flammen ihren Hals erreicht. In einem letzten Flackern löste sich die Gestalt in Luft auf. Mai starrte sie an, dann fiel sie kraftlos zu Boden. „YUI!!!“ Kapitel 29: Narumi und Akane - Erzwungene Liebe ----------------------------------------------- Von Zum neuen Monat gibt’s natürlich auch ein neues Kapitel ;) Wäre ja schon früher gekommen, aber wir waren über Sylvester im Skiurlaub. Da hatte ich dann auch reichlich Zeit zum Schreiben^-^ Außerdem gibt es jetzt auch das Fanart zur fünften Geschichte: Kai und Shinichi. Ist lange her... Na ja, hier der Link: http://animexx.onlinewelten.com/fanarts/output/?fa=1156290&sort=zeichner Nun, die Bedingung für die Charaktere dieser Geschichte war schonmal völlig krank. Wir haben uns zwei Personen ausgedacht, die absolut nicht zusammen passen. Eigentlich keine gute Bedingung für ne Liebesgeschichte^^“ Na ja, jedenfalls haben wir uns für die burschikose und starke Akane und den ein wenig tuntenmäßigen Lehrer mit den bezirzenden Pheromonen Narumi entschieden. Lest selbst, was daraus geworden ist: Erzwungene Liebe Die Hände hinter seinem Kopf verschränkt, balancierte Ranma auf der Absperrung am Rande des kleinen Kanals entlang. „Hey, Ranma“, rief ihm Akane zu. Sie kam gerade um eine Ecke ein paar Meter weiter gebogen und hatte den Jungen erblickt, der sich gelangweilt zu ihr umsah. „Mal wieder Stress mit Verehrern gehabt?“, fragte er, da sie die Schule wie so oft erst nach ihm verlassen hatte. Sie murmelte verärgert: „Sei still, ich werd' die schon noch los.“ Wenn sie allerdings an die vielen hartnäckigen Jungen an ihrer Schule dachte, die sie verehrten und ihr ständig irgendwelche sinnlosen Geschenke machten, die sowieso immer im Müll landeten, war sie sich da nicht ganz so sicher, wie sie vorgab. Ranma lachte. „Soll ich ihnen von unserer Verlobung erzählen?“, fragte er neckisch. Er wollte noch fortfahren, wurde aber von einem eiskalten Blick ihrerseits aufgehalten. „Wenn du das tust...“, begann die Blauhaarige drohend. Ranma sah sie von oben herab an. „Was ist dann?“ Akane schwieg einen Moment, dann erklärte sie mit einem triumphierenden Lächeln: „Dann erzähl' ich Kunō, dass du das Mädchen mit dem Zopfbist!“ Ranma blieb geschockt stehen. Akane grinste. Kunō war einer von Ranmas ärgsten Feinden. Wenn er nun erfuhr, was für eine Verwandlung sich bei Ranma durch die Berührung mit kaltem Wasser vollzog... „Bist du sicher, dass du das tun würdest?“, fragte Ranma nun. „Warum nicht?“, entgegnete Akane herausfordernd. Jetzt erschien auch in Ranmas Gesicht ein Grinsen. „Was glaubst du, bei wem er sich ausheulen würde? Und wem er von da an auf Schritt und Tritt folgen würde?“ Akane musste einsehen, dass dies ein überzeugendes Argument war. Schließlich war sie auf der Liste von Kunōs Angebeteten ebenfalls ganz oben dabei... „Den würde ich schon loswerden, keine Sorge“, erklärte sie, auch wenn sie davon selbst nicht so überzeugt war. „Also würde ich niemandem erzählen, was für einen Blödsinn unsere Väter damals vereinbart haben, sonst wird alle Welt erfahren, dass du dich in ein Mädchen verwandeln kannst!“, schloss sie bestimmt. „Hey, nicht so laut!“, protestierte Ranma und sah sich nervös um. „Am Ende kriegt das noch einer mit...“ In dem Moment ertönte das Scheppern einer umkippenden Mülltonne. Akane machte einen erschrockenen Satz zur Seite, wobei sie gegen Ranma stieß. Dieser verlor das Gleichgewicht und fiel, bevor er sich irgendwo festhalten konnte, in den verdreckten Kanal. Ein ekelerregter Schrei ertönte, dann sprang ein Mädchen, das bis auf ihre rote Haarfarbe Ranma sehr ähnlich sah, herauf und landete geschickt neben Akane auf dem Bürgersteig. „Du dumme Kuh!“, brüllte Ranma und sah sich um, um die Quelle des Geräusches zu entdecken, das Akane erschreckt hatte. „Selber doof!“, schrie sie zurück. „Warum musst du auch auf der Absperrung laufen und gehst nicht wie jeder normale Mensch auf dem Boden?“ „Wenn du mich nicht gestoßen hättest, wäre ich auch nicht in diese eklige Pampe gefallen! Warum erschreckst du dich wegen so einem harmlosen Geräusch?“ „Wenn du nicht gerade davor davon gesprochen hättest, dass uns jemand hören könnte, hätte ich mich auch nicht so erschrocken!“ „Ja, wenn du auch immer alles so rumposaunen musst!“ Akane schnappte empört nach Luft und wollte gerade etwas erwidern, als sie ein leises Räuspern hörte. Überrascht sah sie sich um und entdeckte einen hochgewachsenen Mann mit schwarzem Haar, Brille und Anzug, der hinter ihnen stand. „Guten Tag“, sagte er und verbeugte sich höflich. Akane und Ranma erwiderten diese Geste misstrauisch. „Mein Name ist Tetsuya Mizuta“, fuhr er fort, den höchst interessierten Blick auf Ranma gerichtet, die wiederum Akane anklagend ansah. Als die beiden schwiegen, kam Mizuta einen Schritt auf sie zu und sagte an Ranma gewandt: „Ich wurde von einer besonderen Schule engagiert, neue Schüler zu finden. Da ich zufällig Ihr Gespräch gehört habe -“ Akane schnaubte verächtlich, was er allerdings ignorierte. „... habe ich mitbekommen, dass Sie eine besondere Fähigkeit besitzen, die meines Erachtens nach genau in unsere Akademie passen würde.“ „Es tut mir leid, ich weiß nicht, wovon Sie sprechen“, beteuerte Ranma, bemüht, ihre Stimme ruhig zu halten. Mizuta lächelte verhalten. „Bitte lügen Sie mich nicht an. Ich habe es doch gesehen. Sie können beliebig zwischen den Geschlechtern hin- und herwechseln.“ „Nein!“, widersprach Ranma energisch. Auch Akane wurde langsam nervös. Was für eine „besondere“ Schule war das, von der dieser Typ gesprochen hatte? „So etwas sollten wir vielleicht auch nicht auf offener Straße besprechen“, fing Mizuta wieder an; er schien Ranmas Proteste gar nicht ernst zu nehmen. „Wohnen Sie in der Nähe?“ „Nein“, sagte Ranma sofort. „Dann können wir zu mir gehen.“ Akane sah am Gesichtsausdruck der Rothaarigen, dass ihr dieser Vorschlag noch weniger behagte, als diesen Kerl zu sich nach Hause mitzubringen. „Na ja, so weit ist es auch nicht zu mir“, relativierte sie schnell. Ihr Gegenüber lächelte. „In Ordnung.“ Auf dem Weg zur Kampfschule von Akanes Vater Sōun Tendō, in der auch Ranma mit seinem Vater lebte, schwiegen die beiden Mädchen demonstrativ. Den mysteriösen Mann schien dies allerdings nicht im Geringsten zu stören; er summte vergnügt vor sich hin. Als sie vor dem großen Dōjō stehenblieben, stellte Mizuta interessiert fest: „Ein Kampfkünstler also...“ Ranma und Akane gingen nicht darauf ein, sondern betraten das Gebäude. „Wir sind wieder da“, rief die Rothaarige missmutig, während sie ihre Schuhe abstreifte. Sofort tauchte Kasumi, die älteste Tochter des Hauses Tendō, aus der Küche auf und begrüßte die beiden. Als sie Herrn Mizuta erblickte, verbeugte sie sich tief und hieß ihn herzlich willkommen. Er stellte sich kurz vor und fragte dann: „Sind Sie die Schwester dieses Mädchens?“ Er deutete auf Ranma. Dann lachte er gekünstelt und korrigierte sich: „Vielleicht sollte ich eher Junge sagen?“ Ranma warf ihm einen gehässigen Blick zu. Kasumi hingegen schaute erst Ranma an, dann Mizuta. „Tut mir leid, ich bin nicht ihre Schwester. Mein Name ist Kasumi Tendō.“ Mizutas nächste Frage richtete sich an Ranma: „Was ist mit deinen Eltern?“ Ranma sah ihn genervt an und antwortete knapp: „Mein Vater wohnt auch hier.“ Just in dem Moment stürmte ein großer, dicker Pandabär die Treppe runter, stolperte über seine eigenen Pranken und fiel zu Boden. Bevor jemand etwas sagen konnte, kam ihm auch schon die mittlere Tochter, Nabiki, hinterher und rief: „Gib mir mein Geld wieder, du verlogener alter Sack!“ „Nabiki“, tadelte Kasumi sie, als ihre kleine Schwester gerade mit dem Bein ausholte, um nach dem Bären zu treten. „Wir haben Besuch.“ Sofort richtete die Oberschülerin sich auf und lächelte Herrn Mizuta freundlich zu. „Guten Tag“, begrüßte sie ihn höflich. Er blickte nur stumm zwischen ihr und dem Panda hin und her. „Gehen Sie dort hinein“, bat Ranma ihn mit bemüht ruhiger Stimme und schob ihn sanft, aber bestimmt, in das Wohnzimmer des Hauses. „Mein Vater kommt gleich“, beteuerte sie, schloss lautstark die Schiebetür und sah mitleidlos auf den Panda, der sich langsam aufrichtete. „Dieser Mann will irgendwas von mir, hat was von einer besonderen Schule gesagt“, flüsterte Ranma. „Kümmer dich mal um ihn.“ Daraufhin kam Akane mit einem Kessel heißen Wassers aus der Küche geeilt und schüttete den Inhalt über den Kopf des Pandas. Dann stand auf einmal Ranmas Vater an seiner Stelle. „Du kannst mir vertrauen, mein Sohn“, beteuerte er, was Ranma noch zweifelnder dreinschauen ließ als zuvor. Genma ließ Ranma und Akane alleine und betrat das Wohnzimmer. Die beiden Schülerinnen sahen sich an, in ihren Blicken war das Misstrauen unverkennbar Es dauerte lange, bis sich endlich die Tür zum Wohnzimmer öffnete und die beiden Männer wieder heraustraten. Ranma hatte sich inzwischen mithilfe von warmem Wasser wieder in einen Jungen verwandelt und saß nun mit Akane in seinem Zimmer. Die beiden diskutierten darüber, an welcher Art von besonderen Schule man Schüler brauchte, die das Geschlecht wechseln konnten; auf ein wirklich einleuchtendes Ergebnis waren sie allerdings noch nicht gekommen. Als es an der Tür klopfte, fuhr Akane, die sich auf dem Bett niedergelassen hatte, hoch. Ranma, der neben dem Fenster an der Wand lehnte, blickte sichtlich nervös zur Tür, durch die sein Vater gerade mit wichtiger Miene das Zimmer betrat. Akane betrachtete den Alten voller Erwartung, was er mit diesem schrägen Herrn Mizuta besprochen hatte. Ranmas Vater schloss die Tür hinter sich, dann kam er einen Schritt auf seinen Sohn zu, den Blick fest auf ihn gerichtet. „Was ist nun?“, fragte der Junge genervt. Genma brach in Tränen aus nahm Ranmas Hände in die eigenen. „Ich bin voller Stolz auf dich, mein Sohn! Du bist etwas ganz Besonderes!“, stieß er hervor. Ranma riss sich angeekelt los und fragte: „Was ist denn mit dir los?“ Genma ließ sich nicht abwimmeln, sondern fiel Ranma um den Hals und schluchzte ununterbrochen. „Du wirst – oh, Ranma – du wirst an diese Schule gehen! Du – du bist einzigartig!“ Mit einigem Kraftaufwand gelang es dem Schwarzhaarigen, sich aus dem Griff seines Vaters zu befreien. Schockiert sah er ihn an. „Was?“, war das einzige Wort, das er herausbrachte. Genma wischte sich mit dem Ärmel über die Augen und begann zu erklären: „Herr Mizuta ist der Gesandte einer Schule für Kinder mit besonderen Begabungen. Er war auf der Suche nach neuen Schülern – und stieß auf dich. Er meinte, er habe schon eine Menge unglaubliche Dinge gesehen, doch die Fähigkeit zum Geschlechtswandel sei völlig unbekannt. Daher möchte er, dass du diese Schule besuchst und dort lernst, deine Fähigkeiten zu trainieren.“ Ranma stieß einen wütenden Schrei aus und verpasste seinem Vater einen kräftigen Schlag mit der Faust, der ihn in die Ecke des Zimmers beförderte. „Und du konntest natürlich nicht ablehnen!“, stellte er lautstark fest. „Du weißt doch ganz genau, dass dieser Fluch keine besondere Begabung ist und dass es daran ganz bestimmt nichts zu trainieren gibt! Soll ich ihm erzählen, dass du was viel besseres draufhast? Wer will schon ein Mädchen, wenn er einen großen, knuddeligen Panda haben kann?!“ Genma errötete ein wenig und vermied es, Ranma in die Augen zu sehen. „Wenn ich ehrlich bin...“, begann er. Ranma seufzte und schüttelte den Kopf. „Du hast ihm schon davon erzählt.“ Genma nickte und fügte kleinlaut hinzu: „Er war auch ganz begeistert, aber leider werden an dieser Schule nur Kinder und Jugendliche aufgenommen...“ „Sag ihm sofort, dass ich nicht hingehe!“, forderte Ranma seinen Alten drohend auf. „Nein, bist du verrückt?“, widersprach dieser. „Wir müssten dich nicht mehr durchfüttern, hätten endlich unsere Ruhe und außerdem hättest du vielleicht Gelegenheit, etwas über das Brechen unserer Flüche herauszufinden.“ Ranma schien überhaupt nicht überzeugt, nur das letzte Argument schien ihn davon abzuhalten, seinem Vater sämtliche Knochen zu brechen. „Darüber wissen die doch bestimmt nichts“, grummelte er. „Doch, ganz bestimmt!“, versicherte Genma, sichtlich froh, dass Ranma mit sich reden ließ. „Bitte, Ranma, du musst ja auch nicht so lange bleiben. Finde heraus, ob irgendjemand was darüber weiß, und wenn du was gefunden hast oder du sicher bist, dass es nichts bringt, kannst du zurückkommen.“ Ranma sah ihn böse an, dann blickte er zu Akane herüber, die dem Gespräch interessiert gefolgt war, jedoch nicht gewagt hatte, irgendetwas zu sagen. Überrascht, dass Ranma sich ihrer Gegenwart noch bewusst war, lächelte sie nur und zuckte nichtssagend mit den Achseln. „Okay“, knurrte Ranma. „Aber wehe, ich finde nichts über diese verfluchten Quellen!“ „Du findest bestimmt was“, sagte Genma, wobei seine Stimme um einiges höher zu sein schien als sonst. Akane war sich nicht sicher, ob das eine gute Idee war. Dieser mysteriöse Mizuta machte auf sie keinen besonders guten Eindruck. Wer wusste schon, was er wirklich mit Ranma vorhatte? Doch andererseits war Ranma ein exzellenter Kampfkünstler – das musste sie zugeben – und es war ihm bisher immer gelungen, sich aus gefährlichen Situationen zu befreien. Und außerdem bestand ja tatsächlich die Möglichkeit, dass er ein Gegenmittel für den Fluch fand und nach so langer Zeit endlich wieder ein gewöhnlicher Junge sein konnte. Geistesabwesend starrte Akane auf den leeren Stuhl auf der anderen Seite des Klassenzimmers. Alle anderen ignorierten ihn einfach, während sie den Ausführungen des Lehrers über moderne japanische Literatur folgten. Doch die Blauhaarige schenkte seinen Worten keine Beachtung. Der leere Platz schien ihren Blick magisch anzuziehen, und ihre Gedanken befassten sich schon längst nicht mehr mit irgendwelchen Buchinhalten. Ranma war jetzt schon fast einen Monat fort und hatte sich seit dem Tag seiner Abreise noch kein einziges Mal bei ihnen gemeldet. Auch wenn Akane es sich am Anfang nicht hatte eingestehen wollen: Sie machte sich Sorgen um ihn. Ihre Klassenkameraden hatten vom Verschwinden des Jungen kaum Notiz genommen. Sie waren es gewohnt, dass er manchmal für längere Zeit von der Schule fernblieb, und außerdem waren sie erleichtert, mal ein paar Tage ihre Ruhe zu haben. Selbst die Lehrer schienen sich eher zu freuen als zu ärgern, da Ranma nie ein besonders fleißiger Schüler gewesen war. „Ich werde ihn suchen!“, beschloss Akane und stand auf. Einige ihrer Mitschüler lachten, woraufhin sie sich wieder ihrer Umgebung bewusst wurde. Ihr Lehrer fragte spöttisch: „Wen? Den Autor, von dem wir gerade sprechen?“ Akane ging nicht auf seine Frage ein, sondern bahnte sich ihren Weg durch die Klasse und verließ sie schließlich wortlos. Nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, begann sie zu rennen. Genma hatte ihr erzählt, dass die Schule, zu der Ranma nun ging, „Alice Academy“ hieß, nach der Begabung, die die Schüler dort besaßen. Er hatte von Herrn Mizuta außerdem erfahren, dass die Akademie sich in Tōkyō befand und noch dazu ziemlich groß war. Es konnte also nicht allzu schwer sein, sie zu finden. Als Akane gerade eine kleine Seitenstraße entlanghastete, die sie zur nächsten größeren führen würde, spürte sie auf einmal, wie etwas auf ihrem Kopf landete. Ein lautes Quieken ertönte, das ihr merkwürdig bekannt vorkam. „P-chan!“, stieß sie aus und pflückte das kleine schwarze Schweinchen mit dem gelben Halstuch aus ihren Haaren. Es legte den Kopf schief und quiekte erneut. Lächelnd fragte Akane: „Hast du in letzter Zeit Ranma gesehen?“ Das Schwein schüttelte den Kopf und sah sie fragend an. Daraufhin erklärte sie ihm die gegenwärtige Situationen, während sie die Suche nach der Schule fortsetzte. P-chan hatte während ihrer ganzen Erzählung geschwiegen, doch als sie fertig war, stieß es ein entrüstetes Quieken aus. „Willst du mir helfen?“, fragte Akane. P-chan schien nicht überzeugt. „Das wäre echt lieb von dir“, fügte sie hinzu und schenkte dem Tier ein warmes Lächeln. Das Schwein zögerte einen weiteren Augenblick, dann sprang es von ihrer Schulter, auf der es bis dahin gesessen hatte und lief in eine andere Richtung los. Akane blickte ihm hinterher, nicht sicher, ob es ihr nun half oder nicht. Als sie wieder alleine war, verfiel sie wieder in einen Laufschritt, den Blick über die eintönigen Häuser der Stadt gleitend. Inzwischen war sie sich allerdings nicht mehr so sicher, dass sie fündig werden würde. Immerhin war sie schon mehr als zwei Stunden unterwegs und hatte noch keinen einzigen Hinweis erhalten, wo sich diese Schule befand. Hatte Mizuta vielleicht gelogen und sie war in Wirklichkeit gar nicht in Tōkyō? Oder war sie an irgendeinem Ort versteckt, zu dem sie keinen Zugang hatte? Wo war Ranma? Er stand ein paar Meter vor ihr. Akane hielt in der Laufbewegung inne und starrte ihn an. Sein Gesicht war in die andere Richtung gewandt, daher hatte er sie noch nicht bemerkt. Er setzte sich in Bewegung. „Ranma!!!“, brüllte Akane so laut, dass er zusammenzuckte und sich zu ihr umdrehte. Erstaunt sagte er ihren Namen. Sie rannte auf ihn zu. Er lächelte ihr freundlich zu, doch in ihrem Gesicht war alles andere als Freude. Sobald er sich in Reichweite ihres Armes befand, schlug sie ihn auf den Kopf. „Du – bist – so – ein – Idiot!!“, schrie sie, wobei sie ihm mit jedem Wort einen erneuten Schlag versetzte. Die Hände schützend über dem Kopf fragte er kleinlaut: „Was habe ich dir getan?“ „Du hättest wenigstens mal schreiben können! Oder anrufen! Dein Vater hat sich Sorgen gemacht!“, erklärte sie lautstark, die Hände in die Hüften gestemmt. Er lachte auf, verstummte aber bei Anblick ihres vernichtenden Gesichtsausdrucks gleich wieder. „Tut mir leid. Ich hätte mich ja irgendwie gemeldet, aber die haben mich nicht gelassen! Darum bin ich ja auch auf der Flucht!“, versuchte er sie umzustimmen. „Du bist -“, begann Akane verblüfft, doch sie wurde von einer tadelnden Männerstimme unterbrochen: „Ranma-kun, du wirst doch wohl nicht fliehen wollen, oder?“ „Allerdings!“, rief der Angesprochene zurück, griff nach Akanes Hand und machte einen Schritt in Richtung der Straße. Doch er war kaum einen Meter gelaufen, als ein Peitschen hieb ihn auf den Rücken traf und zu Boden warf. Akane wurde mit ihm runtergerissen. Schnell befreite sie sich aus seinem Griff, sprang auf und stellte sich schützend vor ihn. Endlich konnte sie einen Blick auf ihren Angreifer werfen. Bei dem Anblick stieß sie einen spitzen Schrei aus. Der Mann, der mit triumphierendem Blick auf der Mauer vor ihr stand, hatte schulterlanges, hellblondes Haar und mysteriöse violette Augen. Er trug ein schneeweißes Hemd und eine recht enge schwarze Hose. Der Mann, der für Akane überhaupt nicht wie ein starker Kämpfer aussah, sprang von der Mauer herab, landete genau neben Ranma auf dem Boden und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange, bevor der Junge Gelegenheit dazu hatte, sich zu wehren. Er sank sofort in sich zusammen, anscheinend ohnmächtig. Akane wollte ihn anschreien, doch irgendetwas hinderte sie daran. Das Lächeln, das der Mann ihr nun zuwarf, schien sie zu verzaubern. Noch nie hatte sie sich so stark von einem männlichen Wesen angezogen gefühlt... „Warum bist du hier?“, fragte er mit einer leisen, sanften Stimme, die kaum Ähnlichkeit mit der zu haben schien, die er vorher zu Tage gelegt hatte. „Ich war auf der Suche nach Ranma...“, erwiderte Akane schwach, während sie ihm in die faszinierenden Augen starrte. Der Mann lächelte wissend. „Natürlich.“ Nach kurzem Schweigen fuhr er fort: „Ich habe eben beobachtet, wie du mit Ranma umgesprungen bist.“ Akane sah beschämt zu Boden. „Ich hätte nicht so überreagieren dürfen“, murmelte sie. „Nein, nein!“, wehrte er ab. „Das meinte ich gar nicht! Weißt du, Ranma macht mir ein wenig Kummer in letzter Zeit.“ Das charmante Lächeln, das er dann aufsetzte, ließ Akane erröten. „Möchtest du nicht auch an die Akademie kommen?“, fragte er. Ohne darüber nachzudenken, was sie tat, nickte Akane ergeben. Sie würde noch viel öfter in diese unglaublich magischen Augen sehen können... „Dieser Narumi ist furchtbar!“, fluchte Akane und bekräftigte ihre Worte mit einem Schlag gegen die Wand, der ihre Klassenkameraden erbleichen ließ. Sie hatte innerhalb der Schulgemeinschaft schnell einen hohen Rang erlangt, da sie als einzige Ranma kontrollieren konnte, der als übelgelaunter und brutaler Schüler von allen gemieden wurde. Es waren jetzt schon mehr als zwei Wochen vergangen seit Akane von Narumi, diesem unglaublich gut aussehenden Mann, an die Alice Academy aufgenommen worden war. Inzwischen hatte sie auch erfahren, was sein Alice, also seine besondere Begabung war: er konnte Mitmenschen durch Pheromone bezirzen und kontrollieren. Diese Tatsache hatte dazu geführt, dass Akane bei jeder Gelegenheit allen, ob sie es hören wollten oder nicht, ihren Hass dem Lehrer gegenüber verkündete. Sie hätte auch theoretisch kein Problem damit gehabt, es ihm persönlich zu sagen, doch sie wollte nicht ihren und Ranmas Rauswurf riskieren, solange er noch auf der Suche nach Informationen über den Fluch der Jusenkyō-Quellen war. In dem Moment betrat eben der Lehrer, den Akane so hasste, den Klassenraum. „Guten Morgen!“, wünschte er seinen Schülerinnen und Schülern mit einem strahlenden Lächeln und ließ seinen Blick über sie schweifen. Bei Akanes Anblick hielt er kurz inne und zeigte noch mehr seiner tadellos weißen Zähne. Sie erwiderte diese Geste mit einem bösen Blick in seine Richtung. Das schien ihn allerdings gar nicht zu stören, denn sein Lächeln blieb ungetrübt. Das Schlimme für Akane war, dass jede Stunde mit Narumi so begann. Und da er ihr Klassenlehrer war, hatten sie ihn mindestens einmal am Tag. Doch irgendwie war es heute anders. Narumis Blick wanderte noch häufiger zur genervten Blauhaarigen, ihre Meinung war noch öfter gefragt als sonst und die Schüler in der ersten Reihe schienen überhaupt keine Probleme mit seinen Pheromonen zu haben, da er anscheinend zur Abwechslung mal darauf verzichtete, sie in alle Richtungen zu versprühen. Und da war noch etwas – viel unauffälliger als die anderen Dinge – das einen Unterschied zu sämtlichen vorhergehenden Stunden mit Narumi darstellte. Selbst Akane bemerkte es erst zum Ende der Stunde hin: der Blick, mit dem er sie aus seinen violetten Augen ansah, war weicher geworden. Daher trat Akane auch nur mit Unbehagen an ihn heran, als er sie nach dem Klingeln der Schulglocke zu sich nach vorne bat. Ein kurzer Blick über die Klasse zeigte ihr, dass sie mit ihrem Lehrer alleine war. Selbst Ranma hatte sich schon auf den Weg zu seinem Schlafsaal gemacht. „Worum geht’s?“, fragte Akane und hielt dabei einen gewissen Abstand von Narumi, um nicht unvorbereitet von seinen Pheromonen erwischt zu werden. Er schritt langsam um sein Pult herum, den Blick aus den violetten Augen fest auf ihre braunen gerichtet. Bevor sie zurückweichen konnte, hatte er sie schon sanft an den Schultern gefasst. Er lächelte. „Akane-chan“, sagte er. Sie sah ihn erwartungsvoll an und erneut zogen diese Augen sie in ihren Bann. „Um diese Zeit sieht man unten im Wald große Ansammlungen von Glühwürmchen. Ich hätte Lust, mir dieses wundervolle Spektakel mit dir zusammen anzusehen. Was sagst du dazu?“ „Ich komme mit“, hauchte sie mit schwacher Stimme. Narumi schaffte es immer wieder, ihr den Atem zu rauben. Sein Lächeln wurde breiter und er nahm ihre Hand, woraufhin eine angenehme Wärme ihren ganzen Körper durchströmte. Mit großen Schritten zog er sie hinter sich her durch das Schulgebäude. Gemeinsam überquerten sie den fast menschenleeren Schulhof und kamen schließlich am Nordwald an. Nachdem sie einen Moment die mächtigen Kiefern betrachtet und sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, betraten sie den dunklen Raum zwischen den Bäumen. Eine Weile gingen Narumi und Akane schweigend nebeneinander her, bis er auf einmal stehen blieb und auf den Ast eines nahe gelegenen Baumes deutete. „Sieh nur“, flüsterte er in ihr Ohr. Sein warmer, feuchter Atem ließ ihr einen angenehmen Schauer den Rücken runterlaufen. Das Glühwürmchen, auf das er zeigte, beachtete sie allerdings kaum. So schön es auch sein mochte, Narumis makelloses Gesicht mit den fantastischen Augen, die im durch das Blätterdach fallenden Mondschein noch magischer und mysteriöser wirkten, war um ein Vielfaches schöner. Auch sein Blick hatte sich inzwischen von dem Insekt gelöst und war zu Akane gewandert, die ergeben zu ihm aufsah. „Es gibt etwas, was ich dir sagen muss, Akane-chan“, erklärte er mit sanfter Stimme. Sie wollte ein schwaches „Ja“ hervorstoßen, doch auf einmal spürte sie, wie die Wirkung von Narumis Pheromonen abnahm. Überrascht sah sie ihn an. Tat er das mit Absicht? Narumi öffnete den Mund, als in der Ferne ein lauter Fluch ertönte, den Akane sofort Ranma zuordnen konnte. „Was ist da los?“, fragte Narumi und stellte sich beschützend vor seine Schülerin. „Lassen Sie das!“, beschwerte sie sich und sprang zur Seite. Er warf ihr einen Blick zu, den sie auf die Schnelle nicht deuten konnte, sagte aber nichts. Wenige Sekunden später stürmte Ranma zwischen den Bäumen durch, dicht gefolgt von Ryouga, einem alten Bekannten. Akane hatte keine Zeit sich zu fragen, wie Letzterer an diesen Ort gelangt war, denn als Ranma sie erblickte, brüllte er: „Lauf!“ Weder Akane noch Ranma bewegten sich. „Wovor lauft ihr denn schon wieder weg?“, fragte sie höhnisch. Ehe die beiden Jungen, die inzwischen fast auf Höhe der anderen waren, antworten konnten, entdeckte Akane selbst den Verfolger: einen böse dreinschauenden Plüschbären mit erhobener Axt. Mit einem herblassenden Lächeln im Gesicht preschte sie auf den Bären zu und streckte ihn mit einem gezielten Schlag auf den Hinterkopf zu Boden. „Ihr lauft vor einem Plüschtier davon?“, rief sie Ranma und Ryouga zu. Doch die beiden schienen ganz andere Probleme zu haben. Wie es aussah, hatte Narumi wieder begonnen, mit seinen Pheromonen um sich zu sprühen: Ryouga taumelte ein paar Schritte auf ihn zu, dann fiel er ohnmächtig zu Boden. Ranma bewegte sich ebenfalls auf seinen Lehrer zu, stolperte dabei aber über den reglosen Körper Ryougas und landete direkt in einer Pfütze, wodurch er sich sofort in ein Mädchen verwandelte. Doch sie blieb nicht auf dem Boden liegen, sondern richtete sich wieder auf, den verschleierten Blick auf Narumi gerichtet. Dieser lächelte ihm unsicher zu. Er sah nicht so aus, als wüsste er, welche Wirkung seine Pheromone auf einen Jungen in Mädchengestalt hatten. Ranma zeigte es ihm. Sie drückte ihren Lippen fest auf die ihres überraschten Lehrers. Bevor dieser sich wehren konnte, war Akane auch schon neben den beiden und hatte der Rothaarigen einen Schlag auf den Hinterkopf verpasst, welcher sie zu Boden fallen ließ. Narumi lächelte ihr freundlich zu und stellte fest: „Du bist wirklich unglaublich, Akane-chan!“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah demonstrativ in eine andere Richtung. Narumi tat einen vorsichtigen Schritt nach vorn. Doch als er sah, dass Akane zurückwich, blieb er stehen. „Akane-chan, ich -“, sagte er mit fester Stimme. Doch sie unterbrach ihn schroff: „Sagen Sie, was Sie unbedingt sagen wollen, und lassen Sie mich dann in Ruhe!“ Er sah verletzt aus, dennoch kam er zum Punkt: „Du bist meine absolute Traumfrau. Du bist nicht so mädchenhaft und gewöhnlich wie all die anderen Frauen, die ich kenne. Du bist stark und nicht auf die Hilfe anderer angewiesen. Du hast selbst einen grantigen und selbstsüchtigen Jungen wie Ranma unter Kontrolle. Du -“ Er brach ab, als seine Augen die von Akane trafen. Zweifel waren darin, und Ablehnung. „Wirklich, Akane-chan, ich habe nie zuvor einen so wundervollen Menschen wie dich getroffen!“, beteuerte er und trat auf sie zu. Diesmal wich sie nicht zurück, sondern hielt ihm und dem durchdringenden Blick seiner violetten Augen stand. Wenn er es wirklich ernst meinte, würde er dieses eine Mal seine Pheromone aus dem Spiel lassen. Und er tat es tatsächlich. Das Misstrauen wich aus ihrem Gesicht. „Das mag wohl angehen“, murmelte sie, den Blick auf die Baumkronen über sich gerichtet. „Bitte Akane-chan!“, bettelte er und packte ihre Schultern. Sie sah in sein verzweifeltes Gesicht. „Narumi-sensei... Sie... Sie sind nicht wirklich die Sorte von Mensch, dir mir gefällt...“, gab sie zu. Seine Arme sanken zu Boden. Enttäuschung war in sein Gesicht geschrieben, aber das war unvermeidbar gewesen. „Wissen Sie .... Sie wollen immer jeden mit ihren Pheromonen verzaubern und kümmern sich dabei überhaupt nicht um die Gefühle der anderen“, erklärte sie ihre harten Worte. Er blickte sie noch verzagter an als zuvor. „Aber du warst doch immer so...“, begann er. „Nur wegen der Pheromone“, erklärte sie mit mitleidsloser Stimme und drehte sich von dem Blonden weg. „In Wahrheit kann ich Sie nicht ab.“ „Du bist so herzlos!“, rief er ihr schluchzend hinterher. „Wehe, du und dein durchgeknallter Gestaltenwandler lasst euch hier nochmal blicken!“ Akane schnappte Ranmas und Ryougas Arme und schleifte die Körper der beiden hinter sich her. „Endlich frei!“, jubelte sie. Kapitel 30: Kisshu und Akito - Die schönsten Früchte der Erde ------------------------------------------------------------- Von Die Chiisana Love-Stories gehen mit dieser Geschichte nun schon in die 30. Runde!! Nicht schlecht, oder? Die Jubiläumsgeschichte ist ein Wunschpairing von Erdbeer_Akito. Wir freuen uns immer, wenn wir Pairingwünsche erhalten und werden uns bemühen, sie auch umzusetzen. Wie dem auch sei, es hat uns auf jeden Fall ungewöhnlichen Spaß gemacht, uns die Story auszudenken. Zu Akito muss ich noch eine Sache sagen: Da wir selbst nur bis zum aktuellen Stand von Fruits Basket in Deutschland (Daisuki 02/2008) etwas über Akito wissen, können wir nicht alles berücksichtigen, was in Japan und den Fans vielleicht schon bekannt ist. Wir wollten auch nicht gerne anderen zuvorkommen, die vielleicht selbst noch nicht so weit sind in Fruits Basket. Deshalb wird Kisshu auch nicht ganz viel über Akito erfahren. Ich hoffe aber, dass die Geschichte euch trotzdem gefällt: Die schönsten Früchte der Erde „Wahaha! Ich komme!“ Mit einem lauten Jubeln stürzte sich der grünhaarige Junge mit den langen, abstehenden Ohren vom Dach eines Wolkenkratzers. Menschen auf der Straße unter ihm ließen laute Schreie hören, als sie ihn erblickten und stoben eiligst davon. Ein Kind fiel hin, eine Frau stolperte über ihre Stöckelschuhe. Der Junge jedoch bremste kurz vor dem Boden einfach ab, als sei es das normalste der Welt, und blieb Zentimeter über dem Erdboden schweben. „Habt ihr euch erschreckt?“, fragte er frech in die Runde. Ein paar der Menschen blieben verdutzt stehen, doch niemand sagte etwas. Wortlos wendeten sich die meisten wieder ab und eilten weiter, wohin auch immer sie unterwegs waren an diesem warmen Sommertag. Der Junge seufzte und landete tapsend auf dem Vorplatz des Bahnhofes. Der Menschenstrom normalisierte sich innerhalb von Sekunden wieder und gleich fand er sich im Gedränge zwischen Menschen, die mit Aktentaschen unter dem Arm und einer Hand dabei, ihre Krawatte zurechtzurücken in Richtung Bahnhof eilten und Schülerinnen mit kurzen Röcken, die in einer Hand ihre Schultasche und in der anderen ein mit reichlich Glitzersteinchen besetzten Handys hatten und dabei miteinander schnatterten wie eine Schar Gänse. Kisshu, der Grünhaarige, ließ den Kopf hängen. Offenbar gab es hier niemanden, den er überhaupt interessierte. „Diese dummen Menschen wissen doch gar nicht, was ihnen entgeht“, grummelte er und stapfte in der Menge drauflos. Mit den Händen hinter dem Rücken drängelte er sich an Hausfrauen, Punks, Geschäftsmännern und aufgeregten Familien vorbei, bis er nach dem Abbiegen in eine etwas kleinere Straße kam, die von Geschäften gesäumt war, welche mit gelben oder roten Schildern auf ihre Angebote hinwiesen. Hier trieben sich nur ein paar ältere Männer herum, die gerade Mittagspause hatten. Der kleine Alien wurde von niemandem beachtet, also zog er weiter. So langsam aber waren die Umstände dabei, seinem Enthusiasmus einen gehörigen Dämpfer zu geben. Drei Tage zuvor war die Idee einfach da gewesen. Kisshu hatte selbst kurz danach schon nicht mehr sagen können, wie ihm der Einfall gekommen war, aber auf jeden Fall hatte er zwei Beschlüsse gefasst: Der erste war, seiner unerreichbaren, da fest liierten, großen Liebe Ichigo Momomiya nicht mehr nachzutrauern. Der zweite war die logische Konsequenz: er brauchte eine neue Freundin, und zwar eine, die Ichigo so unähnlich war wie möglich. Denn, darauf hatte ihn sein Freund Pai ungerührt hingewiesen, wenn er sich ein Mädchen suchte, das ihr ähnlich war, würde er sich ständig im Geheimen fragen, ob er sie nur gewählt hatte, weil sie Ichigo ähnlich war. Kisshu hatte ihm recht gegeben, und Tarto hatte ihm sofort begeistert vorgeschlagen, dass er doch auf die Erde zurückkehren solle, um so eine Freundin zu finden. Kisshu war im ersten Augenblick dagegen gewesen, aber da die beiden und auch die anderen Aliens von seinem Planeten ihn überzeugt hatten, dass ein liebeskranker Kisshu genauso eine Hilfe beim Aufbau ihres Zuhauses war wie gar keiner, war er gegangen. Tarto hatte sofort die Gelegenheit genutzt und ihn gebeten, ihm ein paar Bonbons mitzubringen, aber das hatte Kisshu erst einmal in Gedanken weit weg geschoben, denn jetzt ging es nur um eines: Das Finden seiner Traumfrau. Drei Tage in Tokyo hatten nicht unbedingt einen Grund dargestellt, Optimismus zu bewahren. Die meisten Mädchen, die auf den Straßen an ihm vorbeiliefen, hatten entweder einen Freund, trugen eine ähnliche Schuluniform wie Ichigo, hatten dieselbe Frisur, dieselbe Augenfarbe, dasselbe Lachen oder auch nur denselben Handy-Anhänger. Egal, wen er betrachtete, irgendeine Ähnlichkeit gab es auf den zweiten Blick immer. Kisshu war so sehr in solche Gedanken versunken, dass er nicht mehr auf seinen Weg achtete. Seine Füße trugen ihn von selbst die Straße entlang, an der sich ein hohes Gebäude an das nächste reimte, er bog ab und landete schließlich in einem schon gar nicht mehr all zu innenstädtisch wirkenden Gebiet voller Einfamilienhäuser. Aber nicht einmal das bemerkte er, als er überlegte, wie so eine Traumfrau als das Gegenteil von Ichigo überhaupt aussehen müsste. Er war gerade bei der Eigenschaft „lange, schwarze und auf keinen Fall lockige Haare“ angelangt, als er mit jemandem zusammenprallte. Reflexartig riss er die Hand nach vorn und packte zu. Er spürte das Gewicht seines Gegenübers, hielt aber das Gleichgewicht. „Puh, das war knapp“, sagte er. Dann erst blickte er auf die Person, die er gerade vor dem Fallen bewahrt hatte. Sie war mindestens einen Kopf größer als er und starrte ihn aus ausdruckslos schwarzen Augen an. Ein paar Strähnen ihres langen, schwarzen Haares lagen auf dem weißen Stoff der Schuluniform, die sie trug. Ohne ein Wort zu sagen schob sie Kisshu zur Seite und stapfte die Straße hinunter. Kisshu starrte ihr verwirrt hinterher. „Wenigstens Danke hätte sie sagen können. Das hätte Ichigo bestimmt getan!“, grummelte er. Als er noch einmal den Kopf hob, um dem Mädchen hinterher zu schauen, durchzuckte ihn plötzlich ein Gedanke: „Das ist sie! Meine Traumfrau!“ Er machte einen großen Satz und landete mit ein paar Flic-Flacs direkt neben dem Mädchen und passte sein Tempo ihrem an. „Hey, weißt du was?“, fragte er. Sie schwieg und sah nur ausdruckslos geradeaus. „Ich habe gerade beschlossen, dass du meine absolute Traumfrau bist!“, verkündete Kisshu. Schweigen. „Hey, du bist aber nicht gerade gesprächig! Das macht aber nichts, damit bist du nämlich ganz anders als Ichigo. Weißt du, das ist das Mädchen, in das ich mal verliebt war, aber...“ „Verpiss dich.“ Ihre harten Worte zischte sie vollkommen ausdruckslos. Kisshu blieb erstaunt stehen. „Hey, ich hab doch gesagt, du bist meine Traumfrau!“ Er breitete die Arme aus und wollte sie umarmen, allerdings war sie flinker als er gedacht hatte und tauchte unter seinem Griff durch, so dass ihm nur noch ein paar ihrer Haarsträhnen zwischen den Fingern entlang glitten. „Ich sagte, verpiss dich!“, schnauzte sie ihn an und rannte dann ohne ein weiteres Wort davon. Kisshu jagte ihr sofort hinterher, überholte und sprang dann zu ihr gewandt rückwärts weiter. „Hey, du hast ja richtig Mumm! Ichigo hat sich nie so richtig gewehrt, immer nur dieses alberne ‚hör auf’ oder ‚lass das’. Du gefällst mir immer mehr!“ Die Augenbrauen des Mädchens verzogen sich gefährlich nach unten, aber Kisshu interessierte das gar nicht. Sie war seine Traumfrau, also würde er sie jetzt nerven. „Hey, guck nicht so böse“, grinste er, „das steht dir nicht.“ Sie funkelte ihn finster an und versuchte, ihn zu überholen, aber er sprang ihr in den Weg und schlang seine Arme um sie. „Du bist echt fantastisch!“, rief er. „Lass mich los, du perverses Schwein!“, zischte sie. Kisshu grinste und umarmte sie nur noch fester. „Haha, so ein Mädchen wie du gefällt mir!“, lachte er. „Lass die Pfoten von ihr, oder ich schlag dich zu Brei“, mischte sich eine raue Stimme ein. Kisshu zuckte zusammen und ließ gezwungenermaßen los. Vor ihm hatte sich ein Junge aufgebaut, der noch ein wenig größer war als die Schwarzhaarige, weiße Haare hatte und ihn aus braunen Augen regelrecht mordlustig anfunkelte. „Du wagst es, dich an Rin zu vergreifen?“, fragte er drohend. Kisshu, der keine Lust hatte, sich bedrohen zu lassen, nickte. „Sie ist meine Traumfrau.“ Bevor er sich versah, hatte ihm der Typ seine Faust mit voller Wucht in den Magen gerammt. Kisshu krümmte sich zusammen und sank vor Schmerz auf dem Boden. „Hast du genug, oder ist es immer noch nicht bei dir angekommen?“, fragte der Junge. Kisshu biss die Zähne zusammen und richtete sich wieder auf. „Was hast du denn? Wenn ich sie nun einmal mag?“, fragte er. „Sie hat gesagt, dass du sie loslassen sollst, also tu das gefälligst!“, schnauzte ihn der Weißhaarige an. Das Mädchen trat neben ihn und berührte ihn vorsichtig am Arm. „Haru...“, murmelte sie leise. Er starrte weiter Kisshu an und zischte: „Wenn ich dich noch einmal erwische, wie du sie gegen ihren Willen anfasst, bist du tot!“, sagte er mit einer kalten, ausdruckslosen Stimme. Dann drückte er das Mädchen von Kisshu weg und drehte ihm den Rücken zu. „Komm, lass uns einfach weitergehen“, bemerkte er. Das Mädchen nickte. Kisshu sah ihnen verwirrt hinterher. Doch für ihn war es noch viel zu früh, um aufzugeben. Eigentlich musste er nur abwarten, bis der seltsame Weißhaarige mit den aufreißerischen Kettchen im Ausschnitt das Mädchen, das er Rin genannt hatte, allein ließ. Um nicht weiter aufzufallen, stromerte er ihnen hinterher, indem er von Hausdach zu Hausdach sprang und sich dabei jeweils auf der straßenabgewandten Seite des Daches verbarg. Es war für ihn nicht sonderlich interessant, den beiden zuzuschauen. Sie gingen die Straße entlang und redeten, kauften sich an einem kleinen Kiosk jeder ein Eis und schlenderten dann noch etwas durch die Siedlung. Schließlich blieben sie vor einem zweistöckigen Haus stehen und wechselten ein paar Abschiedsworte. Kisshu beobachtete vom gegenüberliegenden Hausdach, wie der Weißhaarige wegging und die Schwarzhaarige das Haus betrat. Kisshu blieb noch eine Weile in seinem Versteck, und er hatte Glück. Nach wenigen Minuten kam die Schwarzhaarige wieder aus dem Haus, sah sich prüfend um und eilte dann die Straße hinunter. Kisshu sprang neugierig hinterher. Sie brauchte höchstens zehn Minuten Fußweg, bis sie schließlich vor der Mauer eines großen Anwesens stehenblieb. Die Mauer allein war schon lang, und dahinter lag, wie Kisshu vom Dach des nächsten dreistöckigen Hauses aus sehen konnte, ein großer Komplex von Gebäuden, allesamt sehr japanisch gebaut und größtenteils ineinander verschachtelt, er konnte jedoch auch ein paar wenige einzeln stehende Gebäudeteile ausmachen. Zwischen den Fenstern und Wänden standen ein paar Bäume und Sträucher, die einen ziemlich gepflegten Eindruck machten. Kisshu konnte sehen, wie Rin die Tür geöffnet bekam und hineinging, ihr schwarzes Haar langsam hinter ihr her wehend. Der junge Alien setzte lässig über die Mauer, die das Gelände einschränkte, hinweg, und landete hinter einem kleinen Busch direkt dahinter. Vorsichtig steckte er den grünen Schopf zwischen den Blättern hervor und sah sich um. Die Tür, hinter der Rin verschwunden war und hinter der der übliche Eingang eines japanischen Hauses mit einer Absatzstufe und ein paar bereitgestellten Pantoffeln lag, wurde gerade mit einem leichten Klacken wieder zugeschoben. Kisshu hüpfte direkt an das Haus und spähte durch eines der Fenster beim Eingang, dahinter konnte er aber nur einen leeren Flur erkennen. Er hüpfte weiter, doch hinter dem nächsten Fenster, durch das er sah, verbarg sich schon ein einzelnes, aber leeres Zimmer. Kisshu seufzte und huschte von Busch zu Busch weiter, in der Hoffnung, irgendeinen Anhaltspunkt über den Aufenthalt von Rin zu finden, obgleich er sich nicht so ganz im Klaren darüber war, warum er sie eigentlich verfolgte. Das Haus selbst war einfach gebaut, folgte simplen architektonischen Regeln und hatte keine versteckten Winkel, allerdings war es auch nicht sonderlich klein. Kisshu war kurz davor, die Sache an den Nagel zu hängen. Noch um eine Ecke wollte er biegen und dahinter schauen, ob er etwas fand. Mit dem Rücken drückte er sich an die Wand hinter der Ecke und spähte herum, doch er sah nichts als eine relativ schmale Grasfläche mit einem einzigen, dicht belaubten Baum, hinter dem das Gelände durch die Mauer begrenzt wurde. Doch auf einmal ließ ihn ein Aufschrei zusammenzucken. Es war eindeutig Rins Stimme. „Ich... Ich war es! Wie kannst du da fragen? Ich habe ihn angestiftet!“ Der grünhaarige Alien glitt um die Ecke und ging mit einem Satz hinter einem Busch direkt neben der Mauer in Deckung. Ein lautes, klatschendes Geräusch ließ ihn zusammenzucken. Er entdeckte im ersten Stock ein offenstehendes Fenster, hinter dem er die Silhouette des Mädchens ausmachte, das sich unter Schmerzen zusammenkrümmte. Vor ihr, und direkt in Kisshus Richtung gewandt, stand mit kaltem Gesichtsausdruck ein Mann mit filigranem, schwarzen Haar. „Ich kann Frauen nicht ausstehen“, sagte dieser, und obwohl er die Stimme nicht einmal erhoben hatte, lag unglaubliche Macht in seinen Worten. „Es war unverschämt, dich an meinem Eigentum zu vergreifen. Oder dachtest du, du könntest gegen mich gewinnen?“ Kisshu versuchte mehr zu erkennen, indem er sich mit einem Satz in die Krone des Baumes begab, der dem Fenster gegenüber stand. Er sah, wie der Mann Rin unsanft am Kragen packte und direkt gegen den Fensterrahmen drückte. Er wusste selbst nicht, was ihn davon abhielt, einzugreifen. Vielleicht das Wissen, dass ihn das nichts anging. Oder der Respekt, den ihm dieser Mann einflößte, der mit seinem hellen Kimono und den feinen, mandelförmigen Augen so japanisch wirkte, wie nur irgend möglich. Kisshu musste feststellen, dass er einen Moment vom Aussehen des Mannes abgelenkt gewesen war und die letzten paar Worte nicht mitbekommen hatte. Aus irgendeinem Grund lachte der Mann jetzt, und sein Mund verzog sich spöttisch nach oben, während sich seine Augen gruselig weiteten. „Du... du bist nutzlos! Selbst an Hatsuharus Seite bist du zu nichts nutze! Mit deiner düsteren Art wirst du ihn nur zerfressen! Du solltest einsehen, wie wertlos du bist! Selbst unter den Zwölf bist du nur ein Lückenbüßer!“ Kisshu verstand nichts, nur, dass der Mann aus irgendeinem Grund böse war auf Rin. Ob mit „Hatsuharu“ der Weißhaarige gemeint war, den das Mädchen vorhin „Haru“ genannt hatte? „Ich werde es dir zeigen!“, rief der Mann. Er packte Rin mit beiden Händen an der Schulter und näherte sich ihr, ein kaltes, böses Glitzern in den Augen. „Dich will niemand haben!“, zischte er ihr ins Gesicht. Im nächsten Moment, viel zu schnell, und vor allem entgegen allem, was Kisshu erwartet hätte, stieß der Mann Rin aus dem geöffneten Fenster. Kisshu konnte sie nur noch fallen sehen, fast wie in Zeitlupe. Das Geräusch von einem Gegenstand, der auf Holz schlägt, ertönte aus dem oberen Stockwerk. Noch bevor Rins Körper mit einem tauben Geräusch auf dem Gras landete, sah Kisshu einen Grundschüler mit wuscheligem, hellbraunem Haar in den Raum zu dem Schwarzhaarigen und direkt ans Fenster stürzen. Der Mann wandte sich ohne jede Gefühlsregung ab. Nachdem er sich endlich vom Schock befreit hatte, sprang Kisshu aus der Baumkrone und beugte sich über das Mädchen. Tränen lagen in ihren Augenwinkeln und sie starrte ausdruckslos an ihm vorbei in den Himmel. Blut befleckte ihre Schuluniform an der Schulter, jedoch schien sie nicht lebensgefährlich verletzt. „Was stehst du da rum?“, brüllte Kisshu den sprachlosen Jungen am Fenster an. „Hol’ einen Arzt!“ Der Kleine verschwand augenblicklich. Kisshu beugte sich wieder über Rin. „Warum tut dieser Kerl so was?“, fragte er sie. Sie schien einen Moment zu brauchen, um in die Realität zurückzufinden. „Das verstehst du nicht...“ Kisshu schwieg. „Ich habe mich verliebt, aber Akito... sama... lässt das nicht zu. Ihm muss alles gehören, sonst wird er böse... und tut so etwas...“ Ihre Stimme wurde leiser, bis sie schließlich die Augen schloss und gar nichts mehr sagte. Kisshu blieb schweigend an ihrer Seite hocken, bis er Schritte hörte. Ein Mann mit kurzem, schwarzen Haar eilte um die Ecke, gefolgt von dem verschüchtert dreinschauenden Jungen. „Isuzu-san?“, rief der Mann besorgt und hockte sich neben das Mädchen. „Sie lebt“, versicherte Kisshu. „Was ist passiert?“, fragte der Mann. Kisshu deutete zu dem Fenster im ersten Stock. Von dem Akito genannten Mann war nichts mehr zu sehen. „Runtergefallen“, sagte er knapp. Der Mann nickte und begann vorsichtig, Rins Schulter zu befühlen. Kisshu stand auf. „Kümmert euch um sie“, sagte er zu dem Schwarzhaarigen, dann machte er einen Satz und landete leichtfüßig auf dem Fensterbrett im ersten Stock. Von dort sprang er ohne einen Blick zurück in den Raum. Der Schwarzhaarige mit dem Kimono, Akito, war verschwunden. Kisshu ging zur Tür und blickte in beide Richtungen den Gang hinunter. Nach rechts führte der Gang weiter, genauso wie links. Kisshu wendete sich, einem simplen Impuls folgend, nach rechts und ging den Gang hinunter. Er bog um eine Ecke und sah sich dann mehreren Türen gegenüber. Eine führte nach rechts, eine nach links und eine geradeaus. Er nahm wieder die rechte und schob sie auf. Vor ihm lag ein ziemlich großes, aber weitestgehend leeres Zimmer. Der Boden war mit Tatamimatten ausgelegt, in der Wand ein Schrank mit hölzernen Türen eingelassen. In einer Ecke des Raumes stand ein kleines Lacktischchen, in einer Nische hing eine Kalligrafie. Gegenüber der Tür lagen zwei kleine Fenster, die durch einen Laden aus einem mit Papier bespannten Holzgitter verdeckt waren. In der Mitte des Raumes stand Akito. Kisshus Hereinkommen ließ ihm herumfahren. Im ersten Moment schien er zu bösen Worten anheben zu wollen, dann stutzte er. Seine Augen weiteten sich. „Wer bist du?“, fragte er. Kisshu sagte kein Wort, ging direkt auf ihn zu und ließ sich dort ohne Kommentar auf den Boden fallen. Er überkreuzte die Beine und sah stur zu dem Mann hoch. Dieser runzelte die Stirn. „Was willst du hier?“, fragte er böse. Kisshu verzog keine Miene. „Du hast das Mädchen, das ich liebe, aus dem Fenster gestoßen“, sagte er. Akito schien einen Moment vollkommen aus dem Konzept, dann trat er einen Schritt von Kisshu zurück und beugte sich leicht hinunter. „Du liebst sie? Dass ich nicht lache! Ein Mädchen wie sie zu lieben, das ist...“ Kisshu funkelte ihn unnachgiebig an. „Wie kommst du auf die Idee, dass sie dir gehört?“, fragte er. Akitos Augen funkelten zurück. „Sie gehört zu mir! Wie sie alle mir gehören! Ich bin der Gott – und sie sind nichts weiter als erbärmliche Tiere! Das ist eine Welt, mit der jemand wie du nichts zu tun hat!“ Kisshu verzog die Lippen. „Ein Gott? Dass ich nicht lache! Ich glaube, du leidest an Größenwahn!“ Die Augen Akitos weiteten sich gefährlich. „Was glaubst du eigentlich, wer du bist?“, fragte er leise. „Wie kannst du es wagen, dich überhaupt in mein Zimmer zu trauen, ganz zu schweigen davon, mich anzusprechen oder mir Vorwürfe zu machen!?“ „Ich sagte ja, Größenwahn.“ „Du bist ein hässlicher, langohriger Mutant! Hau ab!!“ „Und wenn du mich noch mehr beleidigst, ist mir egal. Ich bin übrigens ein Alien.“ „Das – ist – mir – vollkommen – egal!!!“ Akito brachte seine Worte fast unterdrückt leise hervor, klang aber, als würde er jeden Moment losschreien. Kisshu schloss die Augen. „Du kriegst mich hier nicht weg.“ Akito verpasste ihm mit voller Wucht eine Ohrfeige. Der Alien zuckte zusammen, doch es gelang ihm, so sitzenzubleiben wie zuvor. „Ich sage es ja“, bemerkte er. Akito schwieg einen Augenblick, dann brach es aus ihm hervor: „ICH HABE GESAGT, DASS DU VERSCHWINDEN SOLLST! HAU AB, DU HAST HIER NICHTS ...“ Kisshu nahm nur wahr, wie der Redefluss stoppte. Im nächsten Moment ertönte neben ihm ein Plumpsen. Er riss die Augen auf und bemerkte, dass Akito neben ihm lag. Seine Arme lagen neben seinem Körper, er bewegte sich kein Stück. „Hey, wenn das ein Trick sein soll...“, bemerkte Kisshu. Da klopfte es zögernd an der Tür. „Akito-sama, ist alles in Ordnung?“ Kisshu sprang auf, warf noch einen Blick auf den – ob nun wirklich oder nur gespielt – ohnmächtigen Mann und hüpfte dann zu einem der Fenster, das er aufstieß und dann durchkletterte. Er hörte noch, wie die Tür zum Raum aufgeschoben wurde, bevor er geschickt auf der Mauer um das Grundstück landete, die knapp vor dem Fenster verlief, und dann hinter dieser auf dem Boden landete. Er drehte sich nicht mehr um, sondern beeilte sich, wegzukommen. Da es ohnehin schon dunkel wurde, kehrte er schwebend zu seinem Raumschiff hoch über der Stadt zurück. Schlafen konnte er freilich nicht, nachdem er sich in die Regenerationskapsel gelegt hatte. Er starrte durch die dünne Glaskugel hinauf an die eintönige Decke seines Raumes und blinzelte verwirrt. Normalerweise müsste er automatisch schläfrig werden, sobald ihm die Energie zugeführt wurde, doch er fühlte sich alles andere als bereit zum Schlafen. Schließlich seufzte er leise, öffnete die Kapsel wieder und verließ den Raum durch die automatische Schiebetür, um sich zur Ausstiegsluke unter dem Schiff zu begeben. Nachdem er ausgestiegen war, ließ er sich genügsam fallen, wobei er die unter ihm liegende Stadt betrachtete. Die Hochhäuser ragten wie schwarze Riesen heraus und verdeckten alles, was dahinter war. Im Fallen erkannte er die hell erleuchteten Fenster von Eisenbahnen, die auf dem dichten Schienennetz der japanischen Hauptstadt entlangratterten. Auf den Spitzen der höchsten Plätze blinkten kleine, rote Lämpchen, Straßenlaternen und Neonanzeigen in allen Farben mischten sich in das Bild und tauchten die Stadt in ein diffuses Licht, das sich am Horizont wie eine Kuppel wölbte. Kisshu landete auf dem Dach eines Hochhauses, setzte sich auf dessen Kante und betrachtete die Lichter. Wenn er nicht so genau hinsah, schien es ein Meer zu sein, auf dem viele kleine Glanzpunkte schwebten. Ganz anders als auf seinem Heimatplaneten, auf dem selbst am Tag stets ein trübes Dämmerlicht herrschte, hatten die Menschen es tatsächlich geschafft, die Welt der Nacht zu erhellen. Die ganze Geschichte von zuvor verfolgte Kisshu. Da war dieses Mädchen, das in so vielen Aspekten seine Traumfrau zu sein schien – doch sie hatte gesagt, dass sie bereits verliebt war. Und dieser Mann... Er war verwirrend. Zuerst war er ihm sehr gefährlich und gewitzt vorgekommen, dann jedoch nur noch albern, wie er darauf beharrte, etwas Besonderes zu sein, und schließlich war er sogar zusammengebrochen, nur davon, dass er ihn angeschrien hatte. Kisshu starrte gedankenverloren in die Ferne. Wie es ihm wohl geht? Nicht, dass er einen Herzanfall hatte oder so... Im nächsten Moment ruckte er hoch und starrte zweifelnd in die Sterne. Irgendwo da war auch seine Heimat, weit weg. Warum mache ich mir überhaupt Sorgen um den Kerl? Kann mir doch egal sein, wenn er zusammenbricht. Zumal er das Mädchen geschlagen und mich angeschrien hat. Überhaupt war er überhaupt nicht der Typ, sich um Erdenbewohner Sorgen zu machen. Er hatte sie ja damals sogar vernichten wollen, und nicht schützen. Von daher kam es überhaupt nicht in Frage, da irgendwelche Gefühle zu entwickeln. Und was war mit Ichigo? Der junge Alien ließ sich mit dem Rücken auf den Beton des Dachs fallen und starrte in die funkelnden Sterne. Ichigo war ein Mensch gewesen, und eigentlich sogar sein Feind, aber trotzdem hatte er sich damals auf den ersten Blick in sie verliebt. Konnte es dann nicht sein, dass er sich genau so spontan Sorgen um jemanden machte? Bäh, das klingt ja, als hätte ich mich verliebt! Noch dazu in einen egoistischen, besitzergreifenden Typen wie diesen Akito! Nie im Leben! Aber Tatsache war, dass auf einmal das Bild vom ohnmächtigen Akito wieder vor Kisshus innerem Auge aufflammte. „Graaaah!“ Kisshu raufte sich entnervt die Haare. „Okay, okay, ich gehe morgen nachschauen, wie es dem Kerl geht!!“, murmelte er zu sich selbst. Dann sog er noch einmal tief die frische Nachtluft ein und schwebte wieder in die Höhe. Das Anwesen fand Kisshu am nächsten Tag problemlos wieder. Es war auch zu groß, um es inmitten der von kleinen uniformen Familienhäusern bebauten Siedlung nicht leicht wiederzufinden. Kisshu betrachtete kurz das Schild neben dem Tor, allerdings sahen die Schriftzeichen auf dem Namensschild für ihn einfach nur wie eine wahllose Anordnung von schwarzen Strichen aus. Er machte sich daran, um die Mauer herumzuschleichen, bis er meinte, die Fenster von Akitos Zimmer wiederzuerkennen. Dass fast alle Fenster im Haus gleich aussahen, half ihm dabei nicht unbedingt, aber er erinnerte sich zumindest noch an die ungefähre Lage des gesuchten Raumes. Er sprang auf die Mauer und dann auf den Boden, wo er einen Augenblick verharrte und die Lage ausmachte. Dann schwebte er vor den Fenstern hoch und spähte hinein. Zum Glück war immerhin der Fensterladen offen. Allerdings konnte er niemanden erkennen – der Raum war leer. Besorgt landete er wieder auf dem Boden und stapfte dann langsam und vorsichtig um das Haus herum. Heute war gutes Wetter und die Luft warm, aber Kisshu war viel zu besorgt, um das zu bemerken. Seine Ohren zuckten immer wieder. Überall im Haus waren Menschen unterwegs, unterhielten sich oder gingen Alltagsbeschäftigungen wie Kochen oder Zähneputzen nach. Er pirschte weiter und umrundete so drei Ecken eines Gebäudes, folgte einem schmalen Verbindungsflur und huschte weiter, als ihn leise Worte erreichten: „Akito-sama, ich bringe Euch ein wenig Tee.“ „Ja. Geh jetzt wieder.“ „Ganz wie Ihr wünscht, Akito-sama.“ Kisshu wagte einen Blick um die nächste Ecke und entdeckte den schwarzhaarigen Mann. Er lag in einem kleinen Raum, der zur Veranda hin geöffnet war, auf einem weißen Futon und bedeckt von einer Decke. Sein Oberkörper steckte offenbar in einem leichten, weißen Kimono-ähnlichen Oberteil und sein Arm war ausgestreckt und lag neben ihm auf dem Boden, sein fast weißes Gesicht war irgendwo in den Himmel gerichtet. Kisshu hielt unvermittelt inne und sah den Mann an. Er trug einen verlorenen, fast leidenden Gesichtsausdruck zur Schau, der auf seltsame Weise mit dem kurzen schwarzen Haar und dem weißen Kimono harmonierte. Kurzentschlossen stapfte Kisshu hinüber zur Veranda und setzte sich, den entsetzten Blick Akitos ignorierend, auf den schmalen Vorsprung aus Holz. „Hey“, sagte er nur. Akito schwieg sich aus, weshalb Kisshu sofort wieder das Wort ergriff: „Ich hab mich gefragt, ob’s dir gut geht, da bin ich vorbeigekommen. Ich meine, es ist mir eigentlich egal, aber irgendwie hatte ich wohl so was wie ein schlechtes Gewissen. Kennst du das?“ Keine Antwort erfolgte. Kisshu starrte in den Himmel und ließ die Beine baumeln. „Ich dachte bis gestern, ich hätte kein Gewissen. Na, da hab ich mich wohl geirrt. Wie geht es dir eigentlich? Stumm kannst du schon mal nicht sein, du hast ja eben noch geredet. Also willst du nur nicht mit mir reden, was? Würde ich vielleicht auch nicht. Aber du hast doch nichts dagegen, wenn ich mit dir rede? Ich hab nämlich noch ein bisschen Zeit, aber keine Ahnung, wo ich noch suchen soll. Weißt du, ich versuche gerade, meine Traumfrau zu finden...“ Obwohl Akito die ganze Zeit kein Wort von sich gab, redete Kisshu einfach weiter. Das verstand er selbst nicht wirklich, aber sein schlechtes Gewissen hätte ihm ohnehin nicht erlaubt, einfach abzuhauen, nachdem er den Mann schon besuchen gekommen war, zumal dieser ernsthaft etwas angeschlagen und vor allem einsam wirkte. Kisshu erzählte ihm von seinem Plan, wie er bei ihm gelandet war, von seinem Kampf gegen MewMew und dem Schicksal seines Planeten. Und natürlich von Ichigo. „Sie ist total süß, wenn sie sich aufregt, aber sie hat auch richtig Mumm, wenn es sein muss! Außerdem mag ich ihre Katzenohren, wenn sie sich in MewMew verwandelt. Aber was ich vor allem total niedlich finde, ist ihr Name. Ichigo, das bedeutet Erdbeere. Erdbeeren sind echt lecker! Ich finde sogar, sie sind die schönsten Früchte der Erde. Weißt du, wir Aliens müssen eigentlich nichts essen, sondern gewinnen Energie aus der Atmosphäre unseres Planeten, aber Erdbeeren esse ich trotzdem gerne. Wenn sie mich nur nicht so an Ichigo erinnern würden...“ Wenn hin und wieder jemand kam, um Akito zu untersuchen oder ihm Essen und Trinken zu bringen, versteckte sich Kisshu unter dem Holzvorsprung, um dann wieder hervorzukommen und weiterzureden. Akito sagte den ganzen Tag über kein Wort, während Kisshu mit in den Schoß gelegten Händen dasaß und erzählte, aber wenn er ihn beobachtete, schien er durchaus aufmerksam zuzuhören. Kurz vor Anbruch der Dunkelheit tauchte dann einer von Akitos Angestellten auf und schloss die Verandatür, also verabschiedete sich Kisshu leise und verschwand wieder in sein Raumschiff. Doch schon am nächsten Tag kam er wieder und erzählte und erzählte. Sie saßen auf der Veranda, betrachteten den Himmel und die Büsche im Garten, Vögel, die über die Gegend flogen oder schwiegen einfach beide, bis Kisshu wieder irgendetwas einfiel, was er dem Schwarzhaarigen erzählen konnte. Tage verstrichen wie im Flug, und Kisshu freute sich jeden Tag aufs Neue auf ihre Treffen. Ob das auch für Akito galt, vermochte er nicht zu sagen, allerdings schien es ein gutes Zeichen, dass dieser keine Anstalten machte, ihn wegzuschicken. An jenem Tag saßen sie noch auf der Veranda, als die Sonne sich langsam hellorange zu färben begann. Kisshu stand unwillkürlich auf. „Wird ja schon dunkel, da sollte ich wohl mal gehen!“, verkündete er. Doch ein leichtes Zupfen ließ ihn innehalten. Akito hielt eines der Bänder in der Hand, die von Kisshus Rücken hingen und sah sanft zu ihm hoch. „Geh nicht“, sagte er leise. Kisshu raste ein Schauer von den Zehen bis in die Haarspitzen und wieder zurück. Fassungslos ließ er sich zurück auf den Boden plumpsen. Akito lächelte ihn schmal an und deutete dann stumm nach vorn. Kisshu folgte dem ausgestreckten Finger und sah die Sonne, die wenige Meter über den Häusern zu stehen schien und ein flammendes Rot angenommen hatte. Der Himmel war von unten her orange angelaufen und für einen Moment wie in Feuer getaucht. Kisshu war so gefesselt von dem Naturschauspiel, dass er nicht einmal zusammenzuckte, als Akito ihm den Kopf auf die Schulter legte. Schweigend saßen sie da und schauten dem feurigen Ball zu, bis er vollends hinter den monotonen Dächern der Siedlung verschwunden war und der farbige Streifen am Himmel sich zusehends verkleinert hatte. Akito nahm den Kopf hoch. Kisshu seufzte leise und drehte sich zu ihm. Sie wechselten einen langen Blick, bis Schritte im Gang ertönten. Kisshu sprang auf. „Bis morgen!“, rief er fröhlich aus, bevor er sich in die Luft erhob. Bevor er in sein Schiff zurückkehrte, zog es Kisshu in die Stadt. Eine ganze Weile saß er schweigend oben auf dem Aufgang zur Dachgarage eines großen Hochhauses und starrte in die Ferne. Er ließ die Beine baumeln und sog die Nachtluft an, betrachtete die Lichter und lächelte versonnen. Als die Sonne am nächsten Tag über der Stadt aufging, war Kisshu bereits von seinem Regenerationsschlaf zurück und hatte es sich auf der Überleitung einer der Bahnstrecken bequem gemacht, um zu beobachten, wie die Silhouetten der Hochhäuser erst scheinbar von selbst zu erstrahlen begannen und sich dann hinter ihnen die Sonne in den blassrosa gefärbten Himmel erhob. Er stieß ein lautes Jubeln aus, sprang auf und flog dann, so schnell er konnte, los. Der Wind fegte ihm durchs Haar und peitschte ihm munter ins Gesicht. „Guten Morgen!“ Kisshu landete mit einem breiten Grinsen im Garten vor der Veranda. Seinen Gruß hörte freilich niemand; die Verandatür war geschlossen. Kisshu stutzte. „Akito...?“, fragte er vorsichtig. Die Fensterläden vor den Frontfenstern waren geschlossen, dagegen konnte der Alien nichts unternehmen. Er legte sein Ohr an die Scheibe, doch drinnen war selbst für seine Sinne kein Zeichen von Leben wahrzunehmen. Kisshu beschloss, dass Akito wohl noch nicht wach war und setzte sich auf die Veranda. Als jedoch die Sonne schon hoch am Himmel stand und in der ganzen Siedlung Türen klapperten und Autos zu brummen begannen, war Akito noch immer nicht gekommen. Kisshu schaute fast zwanghaft immer wieder auf die verschlossenen Fenster, doch es war niemand dort. Und das, wo er Akito um diese Zeit immer angetroffen hatte... Als nach einiger Zeit immer noch niemand erschienen war, sprang Kisshu auf und ging um das Haus herum. Er suchte das Zimmer von Akito, fand es nach wenigen Minuten, doch auch hier war der Fensterladen zu. Er lauschte kurz. Hier war niemand. Kisshu blieb minutenlang vor dem Fenster schweben, als hoffe er, dass Akito auftauchen und das Fenster öffnen würde, wenn er nur lange genug auf die Scheibe starrte. Dann raste er los. Es war ihm völlig egal, ob ihn jemand sah, während er nun von Fenster zu Fenster hüpfte und in jeden Raum, den er fand, hineinspähte. Eine Frau in der Küche ließ erschrocken eine Schale mit Reis fallen, als sie ihn erblickte. Im Innenhof erschreckte er ein paar Kinder, die mit roten Schulranzen und blauen Uniformen bestückt gerade das Gelände verlassen wollten. Einer der Jungen warf Steine nach ihm. An anderer Stelle lief er, nachdem er durch eine Nebentür Einlass gefunden hatte, einer Frau im Kimono über den Weg, die ihn sekundenlang entgeistert anstarrte und dann, ihn schlichtweg ignorierend, an ihm vorbeistolzierte. Bis es Mittag wurde, hatte Kisshu jeden Winkel des großen Anwesens abgesucht und jeden der Einwohner mindestens einmal getroffen, aber Akito hatte er nicht gefunden. Er hätte eigentlich froh sein müssen, dass ihn niemand herausschmiss, aber das war ihm schlichtweg egal. Am Abend begann es, ungewöhnlich genug im Sommer, zu regnen. Kisshu saß wie ein begossener Pudel auf der Veranda und die Tropfen fielen aus seinem Haar und liefen über seine Wangen. Als am späten Nachmittag der Regen nachließ, rührte sich der Alien noch immer nicht, starrte nur abwesend auf seine Füße. Drei Tage lang kam Kisshu wieder. Drei Tage lang blieb die Terrassentür geschlossen. Und mit jedem Tag ging es ihm sichtlich schlechter. Er ließ den Kopf nur noch hängen, wenn er auf der Veranda saß und wartete, fand keinen Schlaf, wenn er in seiner Regenerationskapsel lag und schwebte meist nur noch apathisch wenige Zentimeter über dem Boden entlang, anstatt in großen Höhen herumzutollen. Mitten in der Nacht schreckte er aus seinem Regenerationsschlaf, ohne so recht zu wissen, warum. Sein Raum war in Finsternis gehüllt, lediglich neben der Tür blinkte das kleine blaue Signallämpchen neben dem Knopf zum Öffnen. Kisshu blinzelte verwirrt und fühlte sich hellwach. Ein einziger Gedanke füllte seinen Kopf. Es hat keinen Sinn mehr. Er hob seine Hände an und starrte in die Dunkelheit, nur vom Gefühl her seine Finger erahnend. Eine ganze Weile saß er so da, dann vergrub er den Kopf in den Handflächen und schluchzte leise. Doch niemand war da, der ihn hören konnte. „Ichigo-chan...“ Die rothaarige Kellnerin zuckte zusammen und schien einem Herzanfall nahe, als sie sich zur Tür des kleinen Cafés umdrehte. Der Anblick des in der Tür stehenden schien ihr einen noch größeren Schrecken einzujagen als die Stimme, denn ihre Augen weiteten sich ungläubig und sie war eine ganze Weile wie zur Salzsäule erstarrt, bevor sie langsam auf den Gast zutrat. Kisshu machte einen erbärmlichen Eindruck. Sein grünes Haar hing platt am Kopf, sein Kinn war gesenkt, die Arme baumelten kraftlos an seiner Seite und als er sie anblinzelte, wirkten seine Augen trüb. „Kisshu?“, fragte sie verwundert. Der Alien starrte sie unverwandt an. „Ichigo-chan...“, murmelte er schwach. „Was ist passiert?“, fragte sie sofort. Der Grünhaarige ließ nur ein Seufzen hören, also schob sie ihn kurz entschlossen vorbei an den neugierig dreinschauenden Gästen des Cafés in die Küche. Dort zog sie einen Plastikstuhl heran und drückte Kisshu auf die Sitzfläche. „Was ist los?“, fragte sie noch einmal. „Ja, was ist los, ne?“, mischte sich die blonde Purin sich ein, die munter in den Raum gehüpft kam. Schweigend deutete Ichigo auf Kisshu. „Kisshu! Du bist wieder da, ne! Ist Tarto auch mitgekommen?“, fragte die Kleine sofort begeistert. Kisshu schüttelte schwach den Kopf. „Was ist denn los? Ist auf eurem Planeten irgendwas passiert?“, wollte Ichigo wissen. Kisshu schüttelte den Kopf. „Mit meinem Planeten ist alles in Ordnung“, murmelte er. Ichigo seufzte, dann drehte sie sich zu Purin um. „Ich kümmere mich um ihn, bedien du so lange die Gäste, ja?“ „Geht klar, ne!“ Purin hüpfte davon. Auch Ichigo eilte kurz zurück ins Café, um dann mit einem Tablett zurückzukommen. Darauf standen zwei Tellerchen mit je einem Stück Erdbeertorte. „Hier. Iss.“ Kisshu blinzelte und nahm wie in Trance das Stück entgegen, das sie ihm reichte. Schweigend begann er zu essen. Erst, als er sein Stück Torte vollständig gegessen hatte, sprach Ichigo ihn wieder an. Sie hatte sich inzwischen selbst einen Hocker besorgt und sich ihm gegenüber darauf niedergelassen. „Hey, was ist los?“, fragte sie noch einmal vorsichtig. „Akito ist weg...“ „Wer ist Akito?“ Kisshu sah sie an und machte ein gequältes Gesicht. „Akito ist... toll. Er... ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, er sieht immer so zerbrechlich aus und traurig. Ich möchte ihm irgendwie helfen. Aber...“ Kisshu brach resignierend ab. Ichigo musterte ihn neugierig. „Das klingt so, als wenn du verliebt wärest.“ Kisshus Kopf sank noch tiefer. „Wohl schon. Aber das ist doch vollkommen egal, solange Akito nicht wiederkommt!“ Die Rothaarige wich unmerklich mit dem Oberkörper zurück, als sie den weinerlichen Ton in seiner Stimme wahrnahm. Dann legte sie ihre Hand auf seine Schulter. „Hey, alles wird gut. Erzähl mir alles von Anfang an. Warum ist er überhaupt weg?“ Kisshu nickte traurig und begann ihr die ganze Geschichte zu erzählen, angefangen mit der Suche nach seiner Traumfrau. Als er dann nach den Worten: „Und seitdem habe ich ihn nicht mehr getroffen“ die Geschichte beendete, musste sie nicht lang überlegen, was sie ihm sagen sollte. „Ich wette, er kommt wieder“, meinte sie zuversichtlich. Kisshu schüttelte traurig den Kopf. „Warum sollte er? Ich wette, er hatte die Nase voll von mir!“ Die Rothaarige sah ihn verständnislos an. „Aber er hat doch gesagt ‚Geh nicht’, oder?“ „Na ja, schon...“ „Dann würde er doch nicht am nächsten Tag einfach abhauen! Es sind doch Sommerferien, vielleicht ist er einfach ein paar Tage weggefahren!“ „Ferien?“ „Kennst du so was nicht? Die Kinder müssen nicht in die Schule und haben Zeit, irgendwo hinzufahren. Vielleicht erholt sich dein Akito irgendwo, wo gute Luft ist. Du hast doch gesagt, dass er gesundheitlich nicht immer ganz fit ist...“ „Ja, aber das hätte er mir doch sagen können!“ Ichigo seufzte. „Du hast gesagt, ihr habt euch erst den Sonnenuntergang angeguckt, und da fängt man nicht auf einmal mit so was an. Und dann bist du schnell abgehauen. Vielleicht wollte er es dir sagen, hatte aber einfach keine Zeit!“ „Er hätte mir eine Nachricht hinterlassen können...“ „Stimmt... Er hätte dir zumindest einen Zettel hinlegen können, wo draufsteht, wo er hinfährt.“ „Nein, doch nicht so eine Nachricht! Ich kann doch gar nicht lesen.“ „Wusste er das denn?“ „Ja doch! Das hab ich ihm zwischendurch mal gesagt, als ich ihn nach seinem Namen gefragt habe. Er hat nicht geantwortet, aber ich hab ihm erklärt, dass diese Schriftzeichen für mich alle gleich aussehen.“ „Und was hätte er dir dann für eine Nachricht hinterlassen sollen?“ „Tja...“ „Siehst du? Er konnte es gar nicht. Also nehme ich an, dass er demnächst wiederkommt.“ Kisshu hob langsam den Kopf und nickte vorsichtig. „Weißt du was...?“, murmelte er. Ein Grinsen bildete sich auf seinem Gesicht. Ichigo blinzelte ihn fragend an. Er umarmte sie ganz kurz und rief laut: „Du bist ein Schatz.“ Dann ließ er sie wieder los und eilte ohne weitere Bemerkungen aus dem Café, freilich nicht, ohne dabei einen der Tische umzuschmeißen. Das interessierte ihn aber gar nicht, denn er war schon draußen und drehte in der Luft einen übermütigen Looping. Am nächsten Morgen traute er sich erst gar nicht, über die Mauer zum Anwesen Akitos zu springen. Schließlich einigte er sich mit sich selbst darauf, vorsichtig an der Mauer hochzuschweben und knapp darüber hinweg zu linsen. Die Fensterläden vor der Terrasse waren geschlossen, doch Stimmen drangen von drinnen zu ihm. „Akito-sama, ich verstehe nicht, wieso Ihr auf einmal so kraftlos seid. Während der Reise schient Ihr mir so gesund! ... Ich bleibe besser bei Euch, bis es Euch besser geht. Ich sollte wirklich das Fenster öffnen.“ Dieses Angebot ließ Kisshu zusammenzucken, doch er war unfähig sich zu regen und viel zu aufgeregt, dass er dann Akito würde sehen können. Ebendieser machte ihm jedoch alles zunichte: „Lass das Fenster zu.“ „Ich verstehe Euch nicht, Akito-sama. Gestern habt Ihr noch verlangt, dass ich es den ganzen Tag offen stehen lassen soll!“ „Das Fenster bleibt zu!“, sagte Akito aufgebracht. „Warum?“ „Weil ich mich nicht mit dem Anblick des Himmels und den dazugehörigen Erinnerungen quälen will! Und nun stell keine Fragen mehr und lass Yuki herkommen!“ „Ja, Akito-sama...“ Kisshu ließ sich hinter der Mauer zurück auf den Boden fallen und stand eine Weile stumm da. Eine Träne formte sich in seinem Augenwinkel, dann ballte er die Hand zur Faust und nickte entschlossen. Ohne zurückzusehen, eilte er davon. „Akito-sama, wie geht es Euch mittlerweile?“ „Lass mich in Ruhe, Hatori.“ Der blasse, schwarzhaarige Mann versah seinen Hausarzt mit einem bösen Blick. Dieser zuckte nur ungerührt die Achseln. „Offenbar nicht besser. Ich würde wirklich vorschlagen, die Terrassentür oder zumindest die Fensterläden zu öffnen. Ihr braucht jetzt vor allem Licht und frische Luft!“ „Untersteh dich! Ich habe dir doch gesagt, dass ich nicht nach draußen sehen will!“ „Akito-sama, ich werde die Fensterläden nur einen Spaltbreit öffnen, damit zumindest ein wenig Luft hereinkommt. Sonst wird es Euch nur noch schlechter gehen.“ „Ein Spalt, aber nicht mehr!“ Der Arzt fuhr sich kurz durch das Haar, unterdrückte dabei ein Seufzen und trat dann an die großen Fenster, die den Raum begrenzten. Nachdem er den Fensterladen um die Hälfte zur Seite geschoben hatte, hielt er inne. „Akito-sama...“ Der Kranke drehte langsam den Kopf zu dem Arzt herum und feuerte einen bitterbösen Blick auf ihn ab. „Was gibt es, Hatori?“ Der Arzt drehte sich stirnrunzelnd zu ihm herum. „Jemand muss dies auf die Veranda gelegt haben...“ Flugs öffnete er das Fenster, schob es auf und langte nach etwas, das Akito erst erkennen konnte, als er sich damit zu ihm umdrehte. Auf Hatoris Hand lagen mehrere dicke, rote Erdbeeren. Akito fuhr aus seinem Krankenlager auf. „Gib sie mir!“, rief er sofort. Der Arzt tat wie geheißen. Akito starrte wie gebannt auf die roten Früchte mit den kleinen gelben Kernen in der Haut. Seine Nackenhaare stellten sich knisternd auf. „Erdbeeren sind echt lecker! Ich finde sogar, sie sind die schönsten Früchte der Erde.“ Um den Mund des Schwarzhaarigen zog sich ein sanftes Lächeln. „Hatori, öffne bitte das Fenster. Ganz.“ Der Arzt sah ihn befremdet an, doch er nickte unterwürfig und schob das Fenster so weit auf, wie es möglich war. „Danke. Lass mich jetzt allein.“ Hatori deutete eine Verbeugung an und verließ den Raum. Akito sah nach draußen. Ein leichter Wind fuhr durch seine Haare und strich säuselnd durch den Raum. Draußen begann soeben der Sonnenuntergang, der den Horizont in einen roten Streifen verwandelte. Und er wusste, am nächsten Tag würde er nicht mehr allein sein, wenn er ihn betrachtete. Kapitel 31: Chopper und Smettbo - Ein Flug über das Meer der Abenteuer ---------------------------------------------------------------------- Von Soo, jetzt gibt es mal wieder die Bedingung, das die Charaktere Monster sein müssen. Auch wenn „Monster” bei diesen zwei niedlichen Geschöpfen eigentlich die falsche Bezeichnung ist >///< Es traf sich sehr gut, dass Chopper Tiersprachen spricht, sonst wär das mit dem ewigen „Smettbo“ ja ein wenig eintönig gewesen XD Na ja, ich hoffe einfach mal, die Geschichte gefällt euch ^_~ Ein Flug über das Meer der Abenteuer „Dort ist es!“ Die Navigatorin hatte vor sich eine Karte ausgebreitet und drückte den Finger auf ein kleines Eiland mitten auf der Grand Line. Es war ziemlich weit von der Insel entfernt, auf der sie zuletzt Halt gemacht hatten, doch nun, nach fast drei Wochen auf hoher See, schienen sie ihr nächstes Ziel bald erreicht zu haben. Dies war auch der Grund weswegen Sanji, der Schiffskoch, erleichtert aufatmete. „Endlich wieder was zu futtern“, sagte er und steckte sich eine Zigarette an. Luffy, der Kapitän der Piratenbande, sprang vor Freude durch den Raum. „Futtern! Futtern! Futtern!“, jubelte er. Usopp wollte einstimmen, doch Zoro – von Luffys Geschrei geweckt – verpasste ihm einen Schlag auf den Hinterkopf, der ihn sofort zu Boden warf. „Schnauze“, knurrte er. „Ich will schlafen.“ „Das tust du doch sowieso den ganzen Tag“, sagte Sanji verächtlich. „Wie wär's, wenn du auch mal was tun würdest?“ Erzürnt sprang der Grünhaarige auf und rief: „So wie unser Kapitän, oder was? Oder wie Robin? Die sitzt doch auch nur den ganzen Tag in ihrem Kabuff und liest irgendwelchen Schund!“ Sanji packte ihn am Kragen. „Nimm das sofort zurück“, zischte er. „Warum? Ist doch wahr“, erklärte Zoro teilnahmslos und stieß den anderen weg. „Robin bildet sich, weil sie nicht so strohdoof sein will wie du!“, rief Sanji und trat nach Zoro, der jedoch spielend auswich. „Hauptsache ich bin stark. Die Sachen, die die liest, interessieren doch sowieso kein Schwein.“ „Du bist doch nur neidisch, weil du davon nichts verstehst!“ „Ach, und du du verstehst natürlich alles!“ „Oh nein, ich maße mir gar nicht an, so ein Genie zu sein wie Robin.“ „Warum kritisierst du mich dann, wenn ich es nicht bin?“ „Weil du sie beleidigst, obwohl du es bist, der beleidigt werden sollte.“ „Ach ja?“ „Oh ja!“ Zoro riss eins seiner Schwerter aus der Scheide und wollte es Sanji an die Kehle halten, doch Nami packte ihn von hinten am Kragen und herrschte ihn an: „Halt doch endlich mal die Schnauze!“ „Sag das der Kringelbraue! Ich hab doch gar nichts -“, begann Zoro sich zu verteidigen, doch ein eisiger Blick der Rothaarigen brachte ihn zum Schweigen. Sanji ließ sich auf einen Stuhl fallen und lächelte Nami zu, die ihn schlichtweg ignorierte. „Also“, begann sie mit bemüht ruhiger Stimme. „Morgen früh werden wir auf dieser Insel ankommen.“ Sie zeigte noch einmal auf den kleinen Fleck auf der Karte. „Sie heißt Smettbo-Insel, nähere Infos konnte mir allerdings selbst Robin nicht darüber geben.“ „Smettbo-Insel?“, fragte Chopper, der kleine Elch und Schiffsarzt mit der blauen Nase, und zog sich an der Tischkante hoch, um die Karte betrachten zu können. Alle sahen ihn überrascht an. „Kennst du sie?“, fragte Nami. „Wenn es die Insel ist, von der ich denke, dass sie es ist“, begann er und seine Miene erhellte sich, „dann gibt es dort riesige Schwärme von Smettbos!“ „Ach nein, wie ist er da nur schon wieder drauf gekommen?!“, fragte Zoro mit vor Sarkasmus triefender Stimme. „Was sind denn Smettbos?“, fragte Luffy ratlos und sah erst Chopper und dann Zoro an. Chopper, der hier sichtlich in seinem Element zu sein schien, spulte sein Wissen ab: „Smettbos sind etwa einen Meter große, schmetterlingsähnliche Wesen. Sie gehören zur Rasse der Käfertiere. Ihre Flügel bestehen aus einem wasserabweisenden Material, das es ihnen ermöglicht, auch bei starkem Regen zu fliegen. Feinde können sie mit dem Giftstaub vertreiben, der sich durch starkes Flattern von ihren Flügeln löst. Aber – und das ist für einen Arzt wie mich das Bedeutendste – ihre Körper sind auch in der Lage dazu, ein starkes Betäubungsmittel herzustellen, welches zur Narkose bei schwierigeren Eingriffen sicherlich hilfreich wäre.“ Strahlend blickte er in die Runde. Doch seine gute Laune hatte anscheinend außer Luffy, der ebenfalls zu grinsen begann, keinen angesteckt. „Findet ihr das nicht auch fantastisch?“, fragte Chopper zögernd. „Ja, wahnsinnig“, erwiderte Zoro mürrisch. „Dann kannst du endlich deine neusten Aufschneidertricks an uns testen, ohne dass wir etwas davon mitbekommen.“ „Nein, nein!“, wehrte Chopper schnell ab. „Traut ihr mir so etwas etwa zu?“ „Wozu brauchst du denn sonst dieses Schlafmittel?“, fragte Sanji mit erhobenen Augenbrauen. „Wann hast du denn schon mal einen schwierigen Eingriff?“ „Ähm ...“, stammelte Chopper verlegen. „Na ja, man weiß ja nie, was noch so passiert...“ „Wir nehmen uns einfach ein paar davon mit“, erklärte Luffy freudig. „Danke“, seufzte Chopper. „Du wirst uns daraus sicher was Superleckeres machen, was Sanji?“, wandte der Kapitän sich an den Blonden. „Du willst sie essen?“, schrie Chopper entsetzt, wobei seine ohnehin schon hohe Stimme sich überschlug. „Das kannst du doch nicht machen!“, heulte er und klammerte sich mit den Hufen an Luffys Weste. „Schon gut, schon gut“, sagte Luffy, noch immer grinsend. „Wir finden da sicher auch was anderes zu futtern!“ „Ja, sicher“, sagte Chopper leise und ließ sich erschöpft auf den Bretterboden fallen. Am nächsten Morgen wurde der kleine Elch von lautem Geschrei auf dem Deck geweckt. Müde rieb er sich die Augen und setzte sich in seiner Hängematte auf. „Was ist denn da schon wieder los?“, murmelte er leise. Als er sich umsah, stellte er fest, dass die anderen Crewmitglieder schon ausgeflogen waren. Wahrscheinlich waren sie es auch, die diesen Höllenlärm verursachten. Das sah ihnen mal wieder ähnlich, sich schon am frühen Morgen zu zoffen. Wahrscheinlich ging es wieder um irgendetwas völlig Belangloses. Seufzend sprang Chopper von seiner Matte, setzte sich seinen großen rosa Hut auf und schlurfte auf die Treppe zu, die zum Deck führte. Als er gerade den Huf auf die erste Stufe setzte, wurde die Tür aufgerissen und ein fremder Mann erschien im Rahmen. Er hielt ein sehr scharf aussehendes Schwert in der Hand und hinter seinem blau-weiß karierten Schal blitzten weiße Zähne zu einem gemeinen Grinsen auf. Beim Anblick dieses überaus gewalttätig aussehenden Mannes erstarrte Chopper zu einer Salzsäule. Wer war das und was tat er auf dem Schiff? Und weshalb war es eigentlich plötzlich so unheimlich still ...? Das Auge des Fremden, das nicht von seinem langen grün-schwarzen Haar verdeckt war, war über den Raum gewandert und ruhte nun auf dem am Fuße der Treppe stehenden Elch, der zu schwitzen begann. Langsam schritt der Mann auf ihn zu. „Was haben wir denn da?“, murmelte er. Chopper fühlte sich beleidigt – er hätte ja wenigstens Wer sagen können! – zwang sich aber, dennoch keine Regung zu zeigen. Die ganze restliche Crew schien von diesem Ungeheuer erledigt worden zu sein und nun war es an ihm, sie alle zu retten – falls sie überhaupt überlebt hatten. Der Mann – ganz offensichtlich ein kaltblütiger Pirat – klopfte mit dem Finger gegen Choppers Hut. Der Elch ließ sich wie ein Brett nach hinten fallen und unterdrückte einen Schmerzenslaut. „Was für eine lächerliche Figur“, brummte der Mann und beachtete ihn nicht weiter, als er den Raum nach wertvollen Besitztümern der Piraten durchsuchte. Erst als der Mann wieder gegangen und sich seine Schritte weit genug entfernt hatten, wagte Chopper es, sich zu bewegen. Langsam und darauf bedacht, kein verdächtiges Geräusch von sich zu geben, stand er auf und schlich die Treppe hinauf. Vorsichtig öffnete er die Tür einen Spaltbreit. Auf dem Deck war niemand zu sehen; nur ein paar zerschlagene Fässer, deren Inhalt in den Holzplanken versickerte, ließen noch erahnen, was sich hier zugetragen hatte. Chopper öffnete die Tür ein weiteres Stück und blickte sich um, die Ohren gespitzt. In keiner der von diesem Standort überblickbaren Ecken war jemand zu entdecken, und das einzige Geräusch war das Schwappen der Wellen gegen die Bordwand und das Flattern des Segels im Wind. Er war offenbar allein an Bord. Nachdem er sich das immer wieder gesagt hatte, trat er schließlich auf das offene Deck. Am ganzen Körper zitternd überquerte er es langsam und blickte immer wieder nervös in alle Richtungen. Er atmete auf, als er mit Sicherheit sagen konnte, dass wirklich niemand anderes auf dem Schiff war. Aber wo konnten sie alle sein? Hatten die anderen Piraten die Mitglieder seiner Crew etwa über Bord geworfen? Ein leiser Schrei in der Ferne ließ ihn zusammenzucken. Schnell warf er sich auf den Boden und robbte zur Reling, um sich vor neugierigen Augen zu schützen. Hatte die Stimme ein wenig Ähnlichkeit mit der von Luffy gehabt oder bildete er sich das jetzt nur ein, weil er nicht glauben wollte, dass sein Kapitän tot war? Die Ungewissheit nagte so sehr an ihm, dass er es schließlich über sich brachte, seinen viel zu auffälligen Hut abzunehmen und einen schnellen Blick über den Rand der Reling zu wagen. Das Schiff lag in der Bucht einer traumhaft schönen Insel. Chopper hatte noch nie so saftig grüne Wiesen, so bunte Blumen und so starke, große Bäume gesehen wie es sie hier gab. Doch das idyllische Bild wurde von einem Stahlkäfig zerstört, der ein Stück vom Schiff entfernt auf einem Felsvorsprung stand. Um ihn herum standen drei Männer – einer von ihnen war der Pirat von vorhin – eine Frau und ein Löwe, der auf leisen Pfoten um den Käfig schlich. In dessen Inneren befanden sich – Choppers Herz macht einen Hüpfer – die sieben Mitglieder der Strohhutbande. Ihr Zustand sah nicht gerade beneidenswert aus, aber immerhin waren sie am Leben. Ich muss ihnen helfen!, beschloss Chopper, auch wenn der Anblick der Piraten, die gerade den Schlüssel zum Vorhängeschloss des Käfigs im Meer versenkten, ihm immer noch Angst einjagte. Grübelnd begab er sich in die Kombüse und ließ sich auf einem Stuhl nieder. Während er darüber nachdachte, wie er seine Crew retten konnte, wanderte sein abwesender Blick über die Karte, die noch immer auf dem Tisch ausgebreitet war. Ein Rumble Ball wäre sicher eine Möglichkeit, den Käfig aufzubrechen und die anderen zu befreien. Aber würde er überhaupt so weit kommen? Diese Piraten waren sicherlich unheimlich stark, wenn es ihnen gelungen war, die ganze Crew lahmzulegen, und dieser Löwe hatte auch ziemlich gefährlich ausgesehen. In den drei Minuten, in denen er vom Rumble Ball verstärkt wäre, würde er sie niemals besiegen können. Aber gab es überhaupt eine Alternative? Auf einmal fiel sein Blick auf die Insel, bei der sie wohl gelandet waren. „Natürlich!“, rief er und sprang von seinem Stuhl. Hastig verließ er den Raum und rannte zum Heck des Schiffes. Es waren höchstens zehn Meter bis zum Ufer, und sein jetziger Standpunkt war von dem der Piraten nicht zu überblicken. Er musste es wagen. Mit geschlossenen Augen ließ er sich ins Wasser fallen, dessen Kälte ihn zusammenzucken ließ. Doch er biss die Zähne zusammen und schwamm tapfer los, bis er den steinigen Grund unter den Hufen spürte. Im Schutz des üppigen Pflanzenbewuchses am Ufer gelangte er in einen Wald, in dem die Bäume so dicht standen, dass nur wenige Sonnenstrahlen durch die Blätter drangen. Erleichtert atmete Chopper auf. Hier würden die Piraten ihn sicherlich nicht finden. Aber er würde bestimmt das finden, was er suchte. Zuversichtlich trabte er durch den Wald, Augen und Ohren geöffnet, damit ihm auch ja nichts Wichtiges entging. Nach einer Weile erreichte Chopper eine kleine Lichtung. Er war erschöpft und entmutigt. Dies war doch die Smettbo-Insel, warum war ihm dann nach über einer Stunde aufmerksamen Suchens noch kein einziges dieser Tiere begegnet? Er hatte immerhin gelesen, dass sie sich am liebsten im Wald aufhielten, also mussten sie hier sein! Er seufzte. Wenn er nicht so schnell wie möglich einen solchen Schmetterling fand, um mit seinem Narkosemittel die Gegner außer Gefecht zu setzen, würde er es wohl oder übel alleine versuchen müssen. Wenn seine Crewmitglieder nicht schon längst den Haien zum Fraß vorgeworfen worden waren... Ein leises Flattern ließ ihn aufhorchen. Doch bevor er von dem Wesen, das auf ihn zuschoss, mehr als einen rosa Schimmer erkennen konnte, fühlte er auch schon eine unnatürlich starke Schläfrigkeit in sich aufkommen. Mit friedlich geschlossenen Augen fiel er auf das weiche Grasbett. Ein grünes Paradies eröffnete sich ihm. Wohin er auch schaute, überall sah er nur frischen, grünen Rasen und bunte Blüten, deren Blätter von einer Brise erfasst und durcheinandergewirbelt wurden. Die ganze Luft war von einem leisen Summen und Flattern erfüllt. Fasziniert blickte Chopper sich um und sah in der Ferne ein Wesen, das ihn besonders anzog. Langsam bewegte er sich in seine Richtung – natürlich darauf bedacht, bloß keine dieser märchenhaften Pflanzen zu zerstören. Der Schmetterling, der fast so groß war wie er selbst und bis eben noch die Nase in eine Blume gesteckt hatte, blickte ihn aus seinen großen roten Augen an und flog misstrauisch um ihn herum. „Du bist rosa“, stellte er überrascht fest, denn in diesem Moment war ihm klar geworden, dass dies ein Smettbo war. Er hatte zwar noch nie eins in natura gesehen, kannte aber viele Bilder dieser Tiere. Doch auf diesen hatten sie immer einen violetten Körper gehabt. Das Smettbo hielt in seiner Bewegung inne und ließ sich auf dem Gras nieder, die Fühler zu Boden gerichtet. Es schien traurig zu sein. „Aber das macht doch nichts!“, beteuerte Chopper. Smettbo sah fragend und mit großen Augen zu ihm auf. Der Elch lächelte ihm aufmunternd zu. „Ich bin doch genauso ungewöhnlich wie du“, erklärte er und zeigte auf seine blaue Nase. Dies schien das Schmetterlingswesen zu überzeugen, denn es erhob sich mit leise flatternden Flügeln soweit, dass es mit ihm auf Augenhöhe war. Chopper wollte einen Huf nach ihm ausstrecken, doch auf einmal schraubte es sich in die Höhe und flog aufgeregt am wolkenlosen Himmel im Kreis. Als es wieder auf ihn zugeschossen kam, war es auf die Größe eines kleinen Bootes angewachsen. Smettbo ließ sich so weit sinken, dass es nur noch wenige Zentimeter über dem Boden schwebte und mit dem Wind seiner Flügelschläge die Grashalme unter sich in Bewegung brachte. Es warf Chopper einen auffordernden Blick zu. Er begriff sofort und stieg vorsichtig auf den Rücken des Smettbos. Als dessen Flügel stärker zu schlagen begannen, schlang er die Arme um seinen Hals. Mit einem leisen Ausruf der Freude erhob das Tier sich in die Höhe und ritt mit ausgebreiteten Flügeln auf dem Wind, der es und den kleinen Elch über die niemals enden wollende Blumenwiese trug. Chopper breitete die Arme aus jauchzte auf. Er spürte die Luftströme in seinem Fell und wünschte sich, dieses wunderbare Abenteuer würde niemals vorbeigehen. Natürlich wurde ihm dieser Wunsch nicht gewährt. Langsam kehrte Chopper aus seinem Traum zurück und öffnete die Augen. Als er Baumkronen sah, die sich in einer sachten Brise wiegten, fragte er sich allerdings, ob er vielleicht doch noch schlief. Die Rückkehr der Erinnerungen an das Geschehene beantwortete ihm diese Frage. Schnell sprang er auf. Er musste seine Freunde retten, und dafür brauchte er ein Smettbo! Er dachte an den rosa Schimmer, den er gesehen hatte, bevor er eingeschlafen war. „Rosa?“, fragte er überrascht und fühlte sich an seinen Traum erinnert. Als hätte es seine Gedanken gelesen, kam auf einmal das rosa Smettbo hinter einem Baumstamm hervorgeflogen. Schüchtern flatterte es auf und ab und blickte Chopper unsicher an. „Geht ... es dir gut?“, fragte es so leise, dass er es kaum verstehen konnte. Seine Stimme war glockenhell. Froh darüber, dass er die Gabe hatte, alle Tiersprachen zu verstehen, erwiderte er: „Ja, mir schon, aber meine Freunde brauchen Hilfe.“ Er war sich sicher, dass er diesem Wesen vertrauen konnte, obwohl dieses Vertrauen eigentlich nur auf seinem Traum beruhte. „Warum?“, fragte Smettbo und kam ein Stück näher. „Böse Piraten haben meine Freunde in einen Käfig gesperrt. Aber ich alleine bin nicht stark genug, um ihnen zu helfen“, erklärte er kurz die Situation. Smettbo blickte ihn besorgt an. Dann kam es noch ein wenig näher und sagte mit zitternder Stimme: „Ich helfe dir. Und ich werde versuchen die anderen zu überzeugen, es ebenso zu tun.“ Chopper fiel ein Stein vom Herzen. „Danke“, sagte er und wollte das Tier umarmen, ließ es dann aber aus Angst um dessen zarte Flügel bleiben. „Folge mir“, sagte es und flatterte schnell davon. Wie süß, sie ist schüchtern, dachte Chopper lächelnd und trabte ihm hinterher, nachdem er in seine wesentlich wendigere Elchform gewechselt hatte. Während sie auf der Suche nach anderen Smettbos durch den Wald streiften, wendete das rosa Wesen seinen Kopf immer wieder zu Chopper um, drehte sich aber gleich wieder weg, wenn er seinen Blick bemerkte. Es schien besonders seine blaue Nase zu betrachten. Irgendwann schien es Mut zu fassen und ließ sich ein Stück zurückfallen, um neben Chopper herzufliegen. Er lächelte ihm zu, was es endlich dazu brachte, das zu fragen, was ihm wohl die ganze Zeit schon auf der Zunge lag. „Bist du ein Ausgestoßener?“ Es sah ihn nicht an, als es diese Frage stellte, sondern blickte umher, um den Schein zu wahren, immer noch nach Artgenossen zu suchen. „Ja“, erwiderte Chopper. „Die Elche haben mich ausgestoßen. Daraufhin aß ich die Mensch-Mensch-Frucht, aber die meisten Menschen sahen in mir ein Monster. Schließlich nahm eine Ärztin mich auf und lehrte mich ihre Kunst. Und jetzt bin ich Mitglied in einer Piratencrew.“ Auf das Letztgesagte reagierte Smettbo nicht so überrascht, wie Chopper erwartet hatte, ganz im Gegenteil, es ließ die Fühler hängen und schwieg. Der Elch wollte etwas sagen, um es aufzumuntern, doch er wusste nicht, was. „Du hast also jemanden gefunden, der dich akzeptiert hat...“, murmelte Smettbo. „Ja“, sagte Chopper. Ihm ging nun auf, was das Smettbo so traurig machte, darum sagte er: „Du findest auch jemanden, da bin ich mir sicher.“ „Wen denn?“, fragte Smettbo verzweifelt und sah ihn an. „Hier gibt es niemanden außer den anderen.“ Das letzte Wort sprach es voller Erbitterung aus. Chopper wusste nicht, was er sagen sollte. Er hatte das Gefühl, es wären alles nur sinnlose Ratschläge gewesen, immerhin hatte er diese einsame Zeit schon längst hinter sich. „Warum willst du sie dann um Hilfe bitten?“, wechselte er daher das Thema. „Du brauchst sie doch“, sagte Smettbo. „Ohne sie können wir deine Freunde nicht retten.“ Das brachte Chopper zum Lächeln. „Es ist wirklich ein Wunder, dass du so alleine bist. So ein freundliches Wesen muss doch jeder mögen!“ Smettbo blickte verlegen zur Seite und das ungleiche Paar setzte seinen Weg schweigend fort. Schließlich begegnete ihnen ein Smettbo, natürlich ein gewöhnliches violettes. Als es seine rosa Artgenossin erblickte, wollte es davonfliegen, doch Chopper rief ihm hinterher: „Bitte warte! Wir müssen mit dir reden!“ Der Schmetterling drehte sich zu ihm um. „Warum sprichst du meine Sprache, Untier?“ Chopper versuchte, nicht beleidigt zu klingen, als er sagte: „Das spielt keine Rolle. Ich benötige die Hilfe von dir und deinen Artgenossen.“ „Warum sollte ich jemandem helfen, der sich mit der da abgibt?“ Er zeigte mit dem Fühler auf Choppers Begleiterin, die sich hinter ihm zu verstecken suchte. „Hör auf, so über sie zu reden. Sie ist ebenso ein Smettbo wie du und alle anderen!“, rief Chopper zornig, da er genau wusste, wie Smettbo sich jetzt fühlen musste. Sein Gegenüber lachte. „Bist du blind? Sie ist rosa! Smettbos haben gefälligst violett zu sein!“ „Wie kann man nur so oberflächlich sein!“ Chopper erhob drohend den Huf. „Bitte beruhige dich“, flüsterte Smettbo und berührte vorsichtig seine Schulter. „Er meint es doch nicht so...“ Chopper atmete tief durch. Smettbo hatte recht. Und das andere würde ihnen bestimmt nicht helfen, wenn er es anschrie. „Tut mir leid“, brachte er heraus, um die feindliche Stimmung zu begraben. Dann erklärte er sachlich: „Menschen sind in euer Gebiet eingedrungen. Wenn ihr mir helft, sie zu vertreiben, werde auch ich diese Insel verlassen und Gerüchte darüber verbreiten, sodass niemand sich mehr hierhin wagt.“ Das Smettbo sah ihn zweifelnd an. „Bitte!“, fügte er hinzu, bemüht, seine Stimme ruhig zu halten. „Wer sagt mir, dass ich dir vertrauen kann?“, fragte das Violette. Chopper schluckte. „Niemand“, sagte er leise. „Ich kann dir nur mein Wort geben.“ „Ich werde mich mit den anderen beraten“, war die Antwort des Smettbos auf seine Bitte, dann flog es davon. „Wir warten am Waldrand auf euch!“, rief Chopper ihm noch hinterher. Als es zwischen den Bäumen verschwunden war, ließ er den Kopf hängen. „Tut mir leid, ich hab's vermasselt“, murmelte er. „Nein, du warst toll“, widersprach Smettbo. „Ich wurde noch nie von jemandem verteidigt.“ Zum Ende hin wurde seine Stimme immer leiser. Chopper blickte es verlegen an und wusste nicht so recht, was er erwidern sollte. „Wollen wir schon zum Waldrand gehen? Die Anderen kommen bestimmt!“, versicherte Smettbo. „In Ordnung“, sagte Chopper, auch wenn er nicht davon überzeugt war. Als die beiden am Waldrand angelangt waren, ließ sich Chopper neben einem Baum nieder und lehnte sich mit dem Rücken gegen den Stamm. Doch er stand schon bald wieder auf und lief auf und ab. Die Spannung in ihm war zu groß, als dass er einfach still sitzen könnte. Smettbo sah ihn besorgt an. Auch es blickte immer wieder in den Wald hinein, um möglichst schnell zu sehen, wenn sich seine Artgenossen näherten. Diese kamen tatsächlich. Als in der Ferne das Flattern einer großen Menge von Flügeln ertönte, schreckte Smettbo zusammen und Chopper seufzte erleichtert. Als der gigantische Smettbo-Schwarm schließlich über der großen Wiese neben dem Wald schwebte, kam eines der Tiere, wahrscheinlich das von vorhin, auf ihn zugeflogen. „Wir werden dir helfen, Untier. Aber glaube bloß nicht, dies geschehe aus Mitleid. Wir wollen bloß unsere Ruhe haben“, erklärte es und drehte sich gleich wieder weg. „Natürlich“, sagte Chopper froh, dann erklärte er seinen Plan. Wenig später stürmte er, erneut in seiner Tierform, die Klippe herauf, auf der, wie er schon festgestellt hatte, immer noch der Käfig mit seinen Freunden stand. Der Smettbo-Schwarm flog hinter ihm her. Die Mitglieder der anderen Piratencrew hatten sie anscheinend bemerkt, denn der Löwe kam von oben auf sie zugerast und auch die vier Piraten, von denen einer aussah wie ein Zirkus-Clown, hatten ihre Waffen erhoben. Chopper hielt sich ein Tuch vor den Mund, woraufhin die Smettbos begannen, ihr Schlafmittel auf die Angreifer zu sprühen, welche sofort strauchelten und nach wenigen Schritten schlafend nach vorne kippten. Chopper beachtete sie gar nicht mehr, sondern lief schnell zu dem Käfig. „Chopper! Ich wusste, dass du uns helfen würdest!“, rief Luffy und winkte ihm fröhlich zu. „Hätt' ich nicht von dir gedacht“, murmelte Zoro, der sich in einer Ecke niedergelassen und dort anscheinend bis zu diesem Moment ein Nickerchen gehalten hatte. „Wartet einen Moment“, bat Chopper und warf sich einen Rumble Ball in den Mund. Knackend zermahlte er ihn mit seinen Zähnen, dann schluckte er ihn runter. Schnell verwandelte er sich in seine menschenähnliche Form, dann spürte er schon bald, wie die Muskeln in seinen Armen sich verstärkten. Die Eisenstangen des Käfigs zerbrach er damit, als bestünden sie aus morschem Holz. „Danke, Chopper!“, rief Luffy begeistert und verließ als erster den Käfig. Die anderen folgten ihm. „Lasst uns schnell von hier verschwinden!“, schlug Usopp vor und blickte nervös zu den anderen Piraten hinüber, die noch immer regungslos nebeneinander lagen. Die anderen stimmten ihm zu. Nur Chopper blieb stumm. Er blickte Smettbo an, das langsam zu ihm herangeflogen kam. Anscheinend hatte es den Beschluss mitgehört, denn seine Fühler waren erneut gesenkt. „Du musst schon gehen?“, fragte es leise. „Ich habe es versprochen“, erwiderte er mit trauriger Stimme. Es tat ihm leid, das einsame, von seinem Schwarm verstoßene Tier hier zurückzulassen. „Kannst du nicht mit uns kommen?“, fragte er, obwohl er sich die Antwort auf diese Frage auch selbst hätte geben können. Er war sich sicher, dass er früher ebenso geantwortet hatte, wie Smettbo es jetzt tat. „Tut mir leid. Ich kann nicht fortgehen. Ich gehöre doch hierhin, auch wenn...“ Es brach ab und blickte zu Boden. „Ja“, murmelte Chopper. Und obwohl sein Verstand ihm sagte, dass es sinnlos war, brachte sein Herz ihn dazu, zu sagen: „Aber du bist doch immer alleine! Bei uns auf dem Schiff würde es dir viel besser ergehen!“ „Ich kann nicht“, flüsterte es verzweifelt. „Bitte ...“ „Natürlich“, sagte Chopper und senkte den Kopf. Smettbo hatte seine Entscheidung getroffen, er konnte es nicht zwingen. In die Stille des Abschieds hinein ertönte plötzlich der helle Aufschrei eines anderen Smettbos. Der Elch riss den Kopf in die Höhe und sah am Fuß der Klippe eine große Gruppe Piraten mit ihren Schwertern nach den Wesen schlagen, die auf schnellstem Wege auf den Wald zuflogen. „Nein!!!“, brüllte Chopper und stürmte den Hang hinab. Fluchend stellte er fest, dass die Wirkung des Rumble Balls bereits nachgelassen hatte. Er konnte nichts tun. Doch auch die anderen Mitglieder seiner Crew hatten inzwischen bemerkt, was sich dort unten zutrug. So schnell sie konnten stürmten sie an Chopper vorbei. Die fremden Piraten, die wahrscheinlich zu den vier anderen gehörten, gingen mit einer Grausamkeit vor, die Chopper erblassen ließ. Ein Smettbo nach dem anderen fiel leblos zu Boden. Einige schienen zu versuchen, die Mörder mit ihrem Schlafmittel oder ihrem Giftstaub zu betäuben, doch diese hatten anscheinend die Betäubung ihrer Kollegen beobachtet; sie hatten sich Tücher vor Nase und Mund gehalten, um das Mittel nicht einzuatmen. Die anderen Smettbos hatten diese Möglichkeit allerdings nicht und wurden deshalb von den Waffen ihrer eigener Artgenossen zu Boden gestreckt, wo sie der sichere Tod erwartete. Selbst die sieben Strohhutpiraten waren nicht schnell genug, um sie zu retten, und so kam es, dass schließlich die ganze Blumenwiese, die vorher ein so idyllisches Bild abgegeben hatte, nach einiger Zeit voller entstellter Smettbokadaver war. Das blutrote Licht der untergehenden Sonne ließ den Ort noch grausamer erscheinen. Auch die Mörder lagen am Boden, doch sie waren noch am Leben. Nur die Bedrohung durch die Waffen der Strohhutpiraten hinderte sie daran, einfach aufzustehen und diesen Ort zu verlassen, wie es die Smettbos nie wieder würden tun können. Neben Chopper ertönte ein dumpfes Geräusch. Er wirbelte herum und sah sein Smettbo im Gras liegen, nicht tot, aber mit tränenüberströmtem Gesicht. Vorsichtig näherte er sich ihm. „Das tut mir leid“, war das einzige, was er sagen konnte. Auch in ihm stieg eine ungeheure Trauer auf, wenn er daran dachte, was gerade geschehen war. Smettbo hatte all die verloren, die es sein Leben lang gekannt hatte, mit denen es sein Leben verbracht hatte, selbst wenn sie es ausgestoßen hatten. Und wenn es schon für ihn ein Schock war, auch wenn er diese Wesen gar nicht gekannt hatte, dann musste es für Smettbo erst recht furchtbar sein, dies miterlebt zu haben. Die anderen kehrten zu den beiden zurück, nachdem sie die Clownsbande fest verschnürt hatten. Sie schienen den Ernst der Lage begriffen zu haben, denn selbst Luffy schwieg und machte ein ernstes Gesicht, wie man es bei ihm nur selten sah. Namis Blick wanderte über das Schlachtfeld. Schließlich war es Smettbo, das das Schweigen brach. „Wir müssen sie beerdigen“, erklärte es mit zitternder, aber entschlossener Stimme. Nachdem Chopper es für die anderen übersetzt hatte, machten sie sich auf den Weg. Als sie schließlich vor einer Reihe sauber aufgeschütteter Gräber standen, die allesamt mit Blumen geschmückt waren, war die Sonne bereits untergegangen und nur der Vollmond, der ab und zu zwischen den Wolken zu sehen war, erhellte die Szene. „Danke“, flüsterte Smettbo den Piraten zu. „Das war doch das Mindeste“, wehrte Chopper ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er versuchte, die Bilder der vor Schreck weit geöffneten Augen der Tiere aus seinen Gedanken zu vertreiben. Smettbos Blick schweifte über die Ruhestätten ihrer Artgenossen, dann wandte es sich ab. Chopper berührte es sanft an der Wange und fragte leise: „Was wirst du nun tun?“ Der Schmetterling blickte ihn an, wobei seine Augen feucht schimmerten. „Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich gerne auf dein Angebot von vorhin zurückkommen.“ „Natürlich macht es mir nichts aus“, beteuerte Chopper lächelnd und drückte es kurz an sich. „Und die anderen werden sich sicher auch über ein neues Crewmitglied freuen.“ Wenig später standen alle neun Strohhutpiraten auf dem Deck ihres Schiffes, welches nun langsam aufs offene Meer hinausfuhr. Smettbo starrte sehnsüchtig auf die Insel zurück, von der inzwischen nur noch ein grober Umriss zu sehen war. Leise sagte es zu Chopper, der dicht neben ihm stand: „Ich werde sie nie vergessen, auch wenn sie mich nicht besonders gut behandelt haben. Aber ich bin mir sicher, dass das Meer der Abenteuer eine Menge schöner Erlebnisse für mich bereithält.“ Damit drehte es sich demonstrativ weg und flog zu Luffy und Usopp herüber, die angeregt darüber diskutierten, was für einen Posten sie Smettbo an Bord verleihen sollten. Das Meer der Abenteuer. Chopper lächelte. Wir werden es gemeinsam überfliegen, doch diesmal wird es kein Traum sein. Diese Blumenwiese ist Realität. Kapitel 32: Ichigo und Ichigo - Trampel, Torte, T-Shirt ------------------------------------------------------- Von Wie wir auf dieses lustige (?) Pairing gekommen sind, ist eine Geschichte, die ich gerne erzählen möchte. Ich hatte von Anfang an Ichigo Kurosaki im Kopf und deshalb habe ich als Bedingung für die Personen rote Haare vorgeschlagen. Ditsch hat zuerst einmal Scarlet Ohara aus Wedding Peach vorgeschlagen, aber um auf die zu kommen, hat sie ganz schön gebraucht. Wir haben angefangen, ein bisschen rumzuüberlegen, welche Anime-Figuren mit roten Haaren es eigentlich noch gibt, und dann ist uns Ichigo Momomiya eingefallen. Irgendwie fanden wir die Idee mit Ichigo und Ichigo so klasse, dass wir sie umgesetzt haben. ^-^ Dass man die Namen im Deutschen nicht unterscheiden kann, ist blöd, aber ich versuche es so zu schreiben, dass man immer weiß, wer gemeint ist. Nochmal zum Vergleich für alle, deren PCs japanische Schriftzeichen anzeigen können: Ichigo Kurosaki schreibt sich 一護 [Beschützer Nummer eins] und Ichigo Momomiya ist im Original イチゴ [Erdbeere]. Viel Spaß mit der Story! Trampel, Torte, T-Shirt Ichigo Kurosaki merkte, dass er eingeschlafen sein musste, als ihm jemand die Handkante gegen die Schulter hieb. „Au!“, war seine erste Reaktion, seine nächste ein misstrauischer Blick auf das Mädchen, das neben ihm auf der Bank saß. Orihime Inoue war ein Mädchen mit hellem, langem Haar, das ihn vergnügt anlächelte. „Wir sind gleich da, Kurosaki-kun!“, erklärte sie. Der Rothaarige räkelte sich aus seinem Sitz und starrte aus dem Fenster des nach einem Zwischenstopp gerade wieder anfahrenden Expresszuges. Irgendwie wollten ihn die riesenhaften Apartmentblöcke, Einkaufszentren und Geschäftstürme nicht so wirklich beeindrucken, also brummte er nur leise vor sich hin und knackte mit den Halswirbeln. Eine Stunde Fahrt war es immerhin von Karakura bis ins Zentrum der japanischen Metropole, genug, um einzuschlafen und sich dabei den Nacken total zu verrenken. „Hast du gut geschlafen?“, fragte Orihime sofort. „Hmm“, brummte er lediglich und warf stattdessen einen Blick auf seinen Schoß, wo der gelbe Plüschlöwe Kon lag. Ichigo zog ihn am Ohr hoch, was ihm von dem Wesen einen versuchten Tritt gegen das Gesicht einbrachte, der allerdings an dessen Beinlänge scheiterte. „Mach keinen Aufstand, wir sind in einem Zug“, grummelte der Rothaarige dem Tier zu und setzte es wieder auf seinen Schoß. „Ich hab mich schon die ganze Zeit nicht bewegt“, nuschelte das Plüschtier. „Kann mich nicht wenigstens Orihime-chan auf den Schoß nehmen?“ Ichigo unterließ einen Kommentar und blickte an Orihime vorbei auf Tatsuki Arisawa, ein schwarzhaariges Mädchen neben ihr, das in einer Jeans und einem einfachen weißen T-Shirt steckte. Sie bemerkte seinen Blick und hob die Augenbrauen. „Mir geht’s gut“, konstatierte sie ungefragt. Ichigo nickte stumm und starrte wieder aus dem Fenster, wo gerade die riesenhafte Reklame einer Handyfirma vorbeirauschte. „Ich war schon lange nicht mehr hier!“, erklärte Orihime. Ichigo drehte sich wieder zu ihr. „Hmm“, brummte er. Orihime lächelte. „In Tokyo gibt es so viele interessante Dinge!“, rief sie begeistert. Ichigo ersparte sich einen Kommentar und packte den Stofflöwen Kon, der unauffällig versucht hatte, auf ihren Schoß zu klettern, am Hinterbein. „Du bleibst hier“, knurrte er, während Orihime ihrer besten Freundin erklärte, was es in Tokyo alles geben müsse. Sie war noch nicht ganz zuende damit, als durch die Lautsprecher die Durchsage „Nächster Halt: Stadthalle! Nächster Halt: Stadthalle!“, dröhnte. „Wir sind da!“, kreischte Orihime und sprang auf. Tatsuki drehte sich zum Fenster und blickte auf die Absperrung zwischen den Bahngleisen und den dahinter liegenden Hochhäusern. „Tatsächlich“, murmelte sie abwesend. Ichigo stand auf und stopfte Kon unachtsam in seinen Rucksack. Der hätte vermutlich protestiert, wäre ihm nicht von der Shinigami Rukia Kuchiki eingeschärft worden, dass er unter Menschen nicht auffallen dürfe. „Lass wenigstens meinen Kopf draußen“, nuschelte er, als Ichigo die Öffnung zuziehen wollte. Der Zug ratterte langsamer werdend in den Bahnhof ein. Der Rothaarige zerrte den flachen Kopf des Tiers an einem der Stoffzacken, die die Mähne darstellten, wieder hervor und riss dann an der Schnürung, so dass das Wesen aufkeuchte. „Du erwürgst mich“, keuchte es. „Blödsinn, ein Stofftier hat nichtmal ne Luftröhre“, gab er zurück und beeilte sich, Orihime und Tatsuki zu folgen, die bereits neben der Tür auf das Halten des Zuges wartete. Orihime lächelte Ichigo zu, bevor sich die Türen öffneten und die drei Jugendlichen sich zusammen mit mehren anderen Passagieren durch die Reihen der wartenden Neuzusteigenden drängten. Immerhin war dies kein all zu großer Bahnhof, noch dazu hielt sich die Betriebsamkeit am frühen Vormittag nach der Morning Rush Hour beträchtlich in Grenzen. Die drei passierten die Ticketschranken und ließen sich von der Rolltreppe direkt vor die Stadthalle bringen. Tatsuki grinste. „Los kommt, ich zeige euch den Weg!“, erklärte sie und übernahm die Führung. „Ob mit ihr alles in Ordnung ist?“, fragte Orihime leise. „Warum sollte es denn nicht sein?“, erwiderte Ichigo. Orihime sah ihn an und zuckte die Achseln. „Du hast recht. Sie hat letztes Jahr schon bei der Japanmeisterschaft im Karate mitgemacht, warum sollte sie aufgeregt sein...?“ Damit war ihnen das Gesprächsthema ausgegangen, so dass die beiden schweigend hinter ihrer Freundin hergingen. Ichigo versuchte, das Gezappel von Kon in seinem Rucksack zu ignorieren. Die Schule, an der die japanischen Jugendmeisterschaften im Karate stattfanden, sah ordentlich und groß aus, die Turnhalle ebenso. Die Fensterreihen glänzten im Licht der warmen Frühlingssonne und im Eingangsbereich stand ein Pflaumenbaum in voller dunkelrosafarbener Blütenpracht, der einen unaufdringlichen Geruch verströmte. Neben dem Eingangstor stand ein aufmerksamer Wachposten, der allerdings keinen der zu dieser strömenden Schüler und Eltern am Durchgang hinderte. Tatsuki blieb neben der Namensplakette der Schule stehen und drehte sich zu ihren beiden Freunden um. „Also, ich würde mich jetzt umziehen und mich warm machen. Die Kämpfe fangen aber erst um eins an, ihr könnt euch also genau so gut noch ein bisschen in der Gegend umsehen“, erklärte sie. „Tja...“, meinte Ichigo. „Dann gehen wir uns in der Stadt umsehen!“, beschloss Orihime sofort und stieß unternehmungsfreudig die rechte Hand in die Luft. „Okay!“, sagte Tatsuki nur, „wir sehen uns später“, und verschwand dann im Laufschritt hinter dem Tor. Ichigo und Orihime wechselten einen erneuten Blick. „Na dann...“, sagte er. „Lass uns gehen!“, rief das Mädchen und stapfte in die Richtung los, aus der sie gerade gekommen waren. Ichigo trottete ihr hinterher. Irgendwann hielt er das Dauerzappeln von Kon in seinem Rucksack nicht mehr aus. „Warte mal“, sagte er zu Orihime, die zwei Meter weiter den Bürgersteig entlangging. Dann packte er den Stofflöwen am Hals und zerrte ihn aus dem Rucksack. „Du nervst, weißt du das?“, fragte er ungehalten. „Ich bin ganz ruhig, wenn Orihime-chan mich trägt...“, erklärte der Löwe. „Hah, du hast sie wohl nicht alle...“, grummelte Ichigo und klemmte sich das Wesen unter den Arm. „He, das kannst du doch nicht machen!“, rief dieser und zappelte mit den Armen. „Vergiss nicht, was Rukia-san dir gesagt hat“, drohte Ichigo. Das half, Kon hielt endlich still. Ichigo schloss wieder zu Orihime auf, allerdings so, dass Kon möglichst weit weg von ihr war. „Irgendwie haben wir noch nichts Interessantes gefunden. Wahrscheinlich sind wir in der falschen Gegend! Aber wir finden schon noch was“, meinte Orihime enthusiastisch. Ichigo wusste nicht so recht, wie das Mädchen mit dem hellen Haar sich für einen Weg entschied. Er hätte auch schon nach ihrem dritten Abbiegen nicht mehr zurück zur Schule gefunden, aber da sie sehr zielstrebig vorausging, machte er keine Anstalten, sie aufzuhalten. „Schau mal!“, rief sie auf einmal. Ichigo schaute in die Richtung, in die sie begeistert deutete und entdeckte ein kleines Gebäude, das ein paar Meter von der Straße zurückgesetzt zwischen den anliegenden Wohnhäusern lag. Es war klein und zierlich, von außen mit kleinen herzförmigen Ornamenten verziert und rosa gestrichen. „Ist das nicht süß?“, fragte Orihime. Ichigo sagte kein Wort, aber er beschloss in dem Moment, das Gebäude nicht zu betreten, da könnte sie machen, was sie wollte. Sie tat aber gar nichts, sondern hüpfte weiter. „Wir finden sicher noch andere lustige Gebäude!“, rief sie. Erleichtert wollte Ichigo ihr gerade folgen, als er von einem harten Zusammenprall gen Boden geschleudert wurde. Sein Reflex reichte aus, um sich vor einem harten Fall zu bewahren, allerdings entglitt Kon dabei seinem Griff und ließ im nächsten Moment ein unterdrücktes Qieken hören, als er unter Ichigos Knie begraben wurde. „Oh nein! Entschuldige, ich habe nicht aufgepasst!“, rief die Stimme eines jungen Mädchens. Ichigo drehte sich halb herum und sah ein Mädchen im Mittelschulalter mit schulterlangem, dunkelrotem Haar, das gerade neben ihm in die Hocke ging. „Tut mir leid!“, rief sie noch einmal und packte Kons Arm. Ichigo wollte gerade sein Knie zur Seite bewegen, da war es auch schon passiert. Ein lautes Ratschen, dann hielt das rothaarige Mädchen den ganzen Arm des Plüschtieres in der Hand. Ichigo setzte sich auf und nahm Kon hoch, der ihn stumm, ja, leidend ansah, doch kein Wort kam aus seinem plüschigen Maul. Ichigo konnte in diesem Moment nicht umhin, ihn für seine Zähigkeit zu bewundern. „Tut mir leeeeeeeeid!“, schrie das Mädchen auch schon. „Jetzt habe ich auch noch das Stofftier kaputt gemacht!“ Sie blickte Ichigo verzweifelt an. Dieser kam auf die Beine und half ihr vom Boden hoch, dann bemerkte er: „So schlimm ist das nun auch wieder nicht.“ Im nächsten Moment spürte er ein verdächtiges Ziepen in seinem linken Arm und stellte fest, dass Kon ihn gebissen hatte und nun trotzig anstarrte. Er wendete sich wieder dem Mädchen zu, das ihn aus großen Augen ansah. „Tut mir wirklich leid. Ich mache es wieder gut!“ Sie verbeugte sich tief und sagte dann: „Bitte, komm doch ins Café Mew Mew.“ Ichigo musterte sie und starrte dann zu dem kleinen rosa Gebäude, das aus seiner jetztigen Perspektive genau hinter ihr lag. Auf einmal ergab auch ihr seltsamer Aufzug mit dem roten Kleidchen und der weißen Schürze in Herzchenform einen Sinn... „Nein, schon gut, mir ist ja nichts passiert.“ Er nahm ihr den Arm von Kon aus der Hand und wollte sich abwenden. „Bitte, ich will es wieder gutmachen!“, rief das Mädchen. „Ja, es ist doch nichts dagegen einzuwenden. Wir haben sowieso noch nicht zu Mittag gegessen“, mischte sich Orihime ein, die den ganzen Zusammenstoß schweigend beobachtet hatte. Sie drückte Ichigo die Hände gegen den Rücken und schob ihn in Richtung des kitschigen Gebäudes. Das rothaarige Mädchen schloss zu ihnen auf und lächelte entschuldigend. „Nächstes Mal passe ich besser auf, okay?“, schlug sie vor. Ichigo versah sie lediglich mit einem schlecht gelaunten Blick. Von Innen sah das Café fast schlimmer aus als von außen. Kleine Holztischchen standen im Raum verteilt, an denen Stühle mit herzförmigen Lehnen standen. Die Wand war rosa gestrichen und auf jedem der Tische standen Zuckerstreuer in Herzform und bunte Blumen in hellrosa Töpfen. Ichigos ganzer Instinkt wehrte sich dagegen, dieses Gebäude zu betreten, doch er hatte keine Wahl, denn Orihimes Kraft war nicht zu unterschätzen. Auch besaß er genug Anstand, um die gut gemeinte Einladung nicht mit einem panischen Fliehen auszuschlagen. Orihime bugsierte ihn zu einem der Stühle und ließ sich ihm gegenüber fallen, dann strich sie sich erst einmal die Haare aus dem Gesicht. Ichigo schloss die Augen. „Also, was kann ich euch bringen?“, fragte das rothaarige Mädchen. „Geht das auf’s Haus?“, fragte Orihime neugierig. „Ja klar, ich hab doch was gutzumachen!“, erwiderte sie. Orihime schwieg, dann fragte sie: „Habt ihr auch irgendetwas mit Anko drin?“ „Tut mir leid, wir führen nur europäische Süßigkeiten...“ „Das ist schade. Aber gut, dann nehme ich eine Erdbeertorte und einen Milchtee!“ „Gerne. Und du?“ Ichigo wagte es nicht, die Augen zu öffnen. Zu groß war die Gefahr, von all dem Kitsch um ihn herum erschlagen zu werden. „'n Kaffee“, brummte er. „Gerne. Sonst noch was?“ „Nein.“ Er hörte, wie sie sich entfernte. „Kurosaki-kun, nun sei doch nicht so unfreundlich! Sie meint es nur gut!“, versuchte Orihime ihm einzureden. „Ja, schon gut, ich bin doch reingekommen, das muss reichen“, kam es zurück. „Darf ich auf Orihime-chans Schoß sitzen?“, mischte sich Kon unvermittelt in das Gespräch ein. Dafür bekam er von Ichigo einen Schlag mit dem eigenen, abgetrennten Arm. „E- entschuldigung, hier ist I- Ihre Be- Be- Bestellung...“, sagte jemand und zwang Ichigo unvermittelt, die Augen zu öffnen. Ein Mädchen mit dunkelgrünem Haar stand mit einem Tablett vor ihm und nahm die Tasse mit Orihimes Milchtee mit der linken Hand herunter und beugte sich zu dieser hinüber. Ichigo wollte sie vorwarnen, da war es auch schon passiert. Das Tablett entglitt ihr aus der rechten; Ichigo stieß einen entsetzten Schrei aus und schon zeichnete sich auf seinem ehemals strahlend weißen T-Shirt ein dunkler Kaffeefleck ab. „Scheiße!“, konnte er sich nicht verkneifen, und riss sich das Kleidungsstück mit der brühend heißen Flüssigkeit vom Oberkörper. Verbrannt hatte er sich allerdings sowieso schon. Die Tasse rollte mit einem Klacken zu Boden. Der Kuchen war immerhin nur auf dem Tisch gelandet und wabbelte dort vor sich hin. „Na toll!“, rief Ichigo. „Tut mir leid!“, rief die Grünhaarige, verbeugte sich tief und verschwand mit hochrotem Kopf in Richtung Küche. Sekunden später kam sie mit einem Tuch wieder, das sie dem immer noch fassungslos dastehenden Ichigo auf die Verbrennung presste. Die Kälte jagte ihm die Tränen in die Augen. „Weg!“, brüllte er und schüchterte sie damit so ein, dass sie zurückfuhr und gegen den Tisch stieß. Orihime packte geistesgegenwärtig das Glas mit dem Milchtee und konnte es gerade noch in Sicherheit bringen. Da kam auch schon die Rothaarige von vorhin angerannt, die das Malheur schnell überblickte, die Grünhaarige zurückschob, ihr den kalten Lappen aus der Hand nahm, sie kurz anwies, sich um den verschütteten Kaffee zu kümmern und dann Ichigo am Handgelenk vor den Blicken der gaffenden anderen Gäste in die Küche rettete. Dort entschuldigte sie sich mehrmals und drückte ihm das Tuch in die Hand, damit er seine Brandwunde, die im Übrigen nicht all zu schlimm aussah, selbst kühlen konnte, und eilte dann davon, um Verbandszeug und ein sauberes Oberteil zu besorgen. Zehn Minuten später war die Wunde mit einer Brandsalbe eingeschmiert und von einem sauberen Verband verdeckt und Ichigo stand in einem einfachen weißen, für ihn nur leider etwas zu kurzen Hemd in der Küche. „Ich würde sagen, es geht“, sagte der schwarzhaarige junge Mann, von dem das Hemd offenbar stammte. „Ich finde, es steht im gut, ne!“, rief eine offenbar sehr muntere Kellnerin in einem hellgelben Aufzug. Die restlichen vier Kellnerinnen schwiegen betreten. „Ich bin doch keine Schaufensterpuppe!“, stieß Ichigo schließlich aus, nachdem ihm ihr Betrachten langsam zu nervenaufreibend wurde. „Darf ich jetzt wieder gehen!?“ „Na klar. Und dein T-Shirt wasche ich dir bis heute Abend. Du kannst es dann wieder abholen“, erklärte die Rothaarige. Ichigo war sich nicht sicher, ob er wirklich noch mal vorbeikommen sollte, aber der Anstand zwang ihm ein „Ich schaue mal, was sich machen lässt“ auf. „Okay“, grinste das Mädchen und ließ ihn dann an sich vorbei zurück in das Café ziehen. Orihime saß an demselben Tisch wie vorher und schlürfte die Reste aus einem Glas. „Ich bin heute vom Pech verfolgt“, sagte er, als er sich zu ihr setzte. Ein Quieken verriet ihm, dass Kon noch auf dem Stuhl gelegen hatte, aber er machte sich nicht die Umstände, wieder aufzustehen, sondern zerrte das Tier nur unsanft an einem Ohr unter sich hervor. Genäht werden musste es sowieso, und sein Klassenkamerad Ishida würde sich über ein paar mehr Stiche mehr oder weniger auch kaum ärgern. Damit nichts verloren ging, verfrachtete er Plüschtier und Arm in seinen Rucksack. Als er wieder aufsah, hatte Orihime aufgehört zu schlürfen und sah stattdessen auf die Uhr an ihrem Handgelenk. „Wir sollten los, sonst verpassen wir Tatsukis Kampf“, erklärte sie. Gegen Abend wurde es etwas kühler, und Ichigo war froh, dass er seine Fleecejacke dabeihatte. In den Straßen der Hauptstadt begann es um diese Zeit nach allen möglichen leckeren Dingen zu duften, Gyouza-Stände, kleinen Okonomi-yaki-Buden und chinesische Schnellrestaurants füllten die Luft mit einem angenehmen Gefühl von Heimeligkeit. Ichigo, Orihime und Tatsuki zogen die mittlerweile künstlich beleuchteten Straßenzüge entlang und schwammen dabei in einem Strom von Menschen, die in dieselbe oder in die Gegenrichtung unterwegs waren. Tatsuki lächelte zufrieden, hatte sie doch auch ihren letzten Vorrundenkampf gut überstanden und ohne große Probleme gewonnen, noch dazu kam sie frisch aus der Dusche und fühlte sich ziemlich munter. Orihime lächelte, weil sie sich für ihre Freundin freute und sie sich auf dem Rückweg vom Café noch Brot und Anko hatte besorgen können, mit denen sie den Nachmittag gut überstanden hatte. Ichigo trottete schlecht gelaunt hinterher, weil die Kämpfe alle langweilig und ziemlich ähnlich gewesen waren, Kon ihn die ganze Zeit angebettelt hatte, auf Orihimes Schoß gelassen zu werden und ihn die Vorstellung, gleich wieder das rosa Café betreten zu müssen, auch nicht gerade erheiterte. Orihime kannte sich offenbar besser aus als Ichigo, denn sie fand den richtigen Weg ohne sich einmal zu irren. Bald standen sie wieder vor dem Café. Das Schild neben dem Eingang, das es als geöffnet auswies, war verschwunden, aber hinter den Fenstern brannte noch Licht und tauchte die umliegenden Gebäude in eine wärmere Atmosphäre als die Straßenlaternen weiter vorne. Ichigo ging vor und klopfte deutlich an der großen Tür. Drinnen waren leise Stimmen zu hören, dann öffnete ihm die Rothaarige vom Vormittag mit einem erstaunten Gesichtsausdruck. „Ach, du bist es... und ich weiß nicht mal, wie du heißt“, bemerkte sie, nachdem sie ihn erkannt hatte. „Kurosaki heiße ich. Wie sieht’s mit meinem T-Shirt aus?“ Sie machte einen Schritt zurück in den Raum um ihn einzulassen und sah ihn dann entschuldigend an. „Tut mir leid, aber heute war im Café so viel los wie schon lange nicht mehr. Das muss am guten Wetter liegen... Also, jedenfalls bin ich noch nicht dazu gekommen, es zu waschen, es blieb einfach keine Zeit. Wenn du morgen noch mal wiederkommst...“ Ichigo war nicht begeistert, aber er rang sich ein nichtssagendes Brummen ab und sagte: „Ich bin morgen wieder hier in der Nähe, das lässt sich machen.“ Sie strahlte. „Das ist super! Es wäre wirklich schade, wenn ich es dir nicht mal wiedergeben kann.“ Ichigo machte einen Schritt zurück, um sein Gehen anzudeuten. „Na, dann bis morgen“, sagte er. Das Mädchen nickte und lächelte ihn offen an. „Du solltest nicht so grimmig dreinschauen“, schlug sie vor. Ichigo verkniff sich einen Kommentar und drehte sich weg. „Ach übrigens, ich heiße Momomiya, Ichigo Momomiya!“, erklärte sie. Er hielt inne, drehte sich noch einmal um und nickte flüchtig. „Wir sehen uns“, sagte er und ging dann endgültig zusammen mit Tatsuki und Orihime zurück zur Straße. Dabei wurde er mit Argusaugen von einem schwarzhaarigen Jungen beobachtet, der neben dem angrenzenden Haus stand und stumm das Gespräch beobachtet hatte. Es handelte sich dabei um Masaya Aoyama, den festen Freund des Mädchens Ichigo Momomiya. Und ihr Lächeln dem fremden, schlaksigen und unfreundlich dreinschauenden rothaarigen Oberschüler gegenüber wollte ihm ganz und gar nicht gefallen. Orihime wollte sich gerade zum Gehen wenden, als Tatsuki die Stimme erhob: „Orihime-chan...“ Sie hielt inne, was Ichigo dazu brachte, genervt zu seufzen. Er hatte sowieso schon keine Lust, noch mal in das Café zurückzukehren, nur um das Hemd zurückzubringen, das er in seinem abgewetzten Rucksack mit sich trug, und jede Verzögerung nervte ihn noch mehr. Orihime dagegen musterte ihre Freundin mit offener Besorgnis. Es war elf Uhr morgens, sie kamen wie schon am Vortag vom Bahnhof und standen in der Frühlingssonne neben einem Kirschbaum, der auf dem Gelände der Schule stand aber seine Zweige bis über die Mauer reckte. Tatsuki räusperte sich und sagte dann ernst: „Ich bin doch ein bisschen nervös. Könnte Kurosaki-kun das Hemd nicht allein wegbringen?“ Orihime sah hilfesuchend zu Ichigo, der genervt schnaubte. „Von mir aus“, sagte er, nur mit dem Ziel, die Gespräche abzuwürgen und das ganze so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. „Also gut...“, meinte Orihime zögernd. „Dann gehe ich jetzt. Wenn ich zu spät komme, schon mal viel Glück, Arisawa.“ Tatsuki nickte entschlossen. Ichigo drehte sich um und stapfte so schnell wie möglich davon. Orihime sah ihm noch kurz nach, dann hakte sie sich bei ihrer besten Freundin ein um das Gelände der Schule zu betreten, wo heute noch viel mehr los war als am Vortag. Bereits jetzt, zwei Stunden vor Turnierbeginn, liefen Fotografen umher, Männer standen mit Zigaretten neben dem Eingang der Halle und diskutierten, Frauen unterhielten sich über ihre Kinder und aus dem kleinen Vorbereitungsraum drangen bereits laute Schreie von Karatekämpfern. Das Café hatte bereits geöffnet, als Ichigo dort ankam. Neben dem Eingang stand eine kleine Tafel mit Holzrahmen, neben der die rothaarige Ichigo Momomiya hockte und mit Kreide das Tagesangebot (Spaghettieis und Latte Macchiato zusammen für nur 360 Yen) darauf schrieb. „Morgen“, begrüßte er sie und kam schnellen Schrittes näher. Sie sprang auf, als sie ihn sah und verbeugte sich freundlich. „Guten Morgen“, erklärte sie mit einem fröhlichen Lächeln, das wohl dem guten Wetter gerecht werden sollte. Er quittierte das mit einer Grimasse und begann sofort in seinem Rucksack zu kramen. „Hier ist das Hemd, das ihr mir gestern geliehen habt“, sagte er ohne Umschweife und drückte ihr das besagte Kleidungsstück in die Hand. „Meine Schwester hat es noch gewaschen“, fügte er hinzu, als Ichigo es neugierig aufschüttelte. „Das ist aber nett“, erklärte sie und sah ihn an. Peinliches Schweigen trat ein. Schließlich hielt er es nicht mehr aus: „Was ist mit meinem T-Shirt?“ „Nun ja... Um ehrlich zu sein... Meine Kollegin hat sich angeboten, es dir zu waschen, weil ich nicht mehr so viel Zeit hatte, aber irgendwie hat sie es hinbekommen... Ach, sieh selbst.“ Sie packte ihn um das Handgelenk und zerrte ihn unter Protest in das Café. Um diese Uhrzeit war es fast leer, aber zwei mit langen Kunstfingernägeln und von Glitzersteinchen protzenden Handys ausgestattete Mädchen an einem der Tische sahen ihm verblüfft hinterher, als er quer durch den Raum gezerrt und in die Küche verfrachtet wurde. Hier waren gerade ein blonder und ein schwarzhaariger junger Mann mit Sahne und Erdbeeren zugange, so dass das Mädchen sie vorsichtig umrunden musste. „Ach, der mit dem T-Shirt?“, fragte der Blonde. „Hm-hm“, nickte sie und tauchte hinter ein Regal. „Da- das tut mir so leid“, meldete sich die Grünhaarige vom Vortag, die schüchtern hinter einem Regal auftauchte. Ichigo verdrehte die Augen und hoffte, so bald wie möglich wieder wegzukommen. „Also?“, fragte er und verschränkte die Arme. Schließlich zerrte das rothaarige Mädchen etwas hervor, das sie ihm aufgespannt und mit einem adäquat ein schlechtes Gewissen ausdrückenden Gesichtsausdruck präsentierte. Er hatte Mühe, sein T-Shirt überhaupt wiederzuerkennen. Den großen, dunklen Kaffeefleck kannte er ja bereits, aber noch dazu hatte es jetzt einen großen Riss rechts über der unteren Saumnaht, der Ausschnitt war zerfetzt und aus dem linken Ärmel hingen ein paar lose Nahtfäden. „Entschuldigung!“, rief die Grünhaarige erneut und verbeugte sich tief, wobei sie einen Stuhl umstieß, der hinter ihr stand. „Ich habe dein T-Shirt mitgenommen, um es zu waschen, aber irgendwie ...“ Ichigo drehte sich um. „Okay, dann kann ich ja gehen“, verkündete er. „Wie?“ Die Rothaaarige sprang ihm hinterher und stieß dabei den Blonden an, der sie böse anstarrte, aber kein Wort sagte. Dann widmete er sich wieder dem Kuchen, den er gerade dekorierte. „Ich bestehe darauf, dein T-Shirt zu ersetzen. Ich werde dir ein neues kaufen!“, erklärte die Rothaarige. „Ich brauche kein neues T-Shirt, ich habe zu Hause noch zig andere“, erklärte Ichigo prompt. Der große schlaksige Junge mit dem kurzen orangeroten Haar wollte einfach an dem Mädchen vorbeigehen, doch sie war schneller und sprang ihm in den Weg, wobei sie die Hände in den Türrahmen legte, um ihn auch ja nicht durchzulassen. Die beiden Jungen machten neugierige Gesichter. „Was wäre das für ein Café, das seinen Kunden die T-Shirts zerschreddert und es ihnen nicht einmal ersetzt?“, fragte sie. Der Schwarzhaarige nickte zustimmend. „Ich will kein neues“, sagte Ichigo genervt und schob sie, da sie sich nicht zur Seite drücken ließ, einfach vor sich her, wobei er sie an den Schultern packte. „Lass mich los!“, rief sie. Er ließ sofort die Hände fallen. „Ich gehe dann mal“, sagte er. „Lass ihn doch einfach, wenn er nicht will“, bemerkte der Blonde genervt. Die Rothaarige schüttelte entschlossen den Kopf. Kurz, bevor der Oberschüler die Eingangstür mit den großen Herzen drauf erreicht hatte, war sie auf einmal neben ihm und packte ihn um den Arm. „Ich hab dir ein neues T-Shirt versprochen, also gehen wir jetzt eines kaufen!“ „Wieso bist du so scharf drauf, mir ein neues zu besorgen?“ „Weil es meine Schuld ist, dass dein altes jetzt nur noch als Wischlappen gebraucht werden kann!“ „Aber ich sagte doch, ich brauche kein neues!“ Sie sah ihn starrsinnig an. „Du magst mich nicht, oder?“, fragte sie. Diese plötzliche Wendung im Gespräch verwirrte ihn sichtlich, denn er bracht keinen Ton hervor. Die beiden einzigen Gäste dagegen steckten neugierig die Köpfe zusammen und versuchten sich augenscheinlich einen Reim auf das Gespräch zu machen. Am Durchgang zur Küche erschienen die vier Kellnerinnen und beobachteten das Gespräch neugierig. „Ich wusste es. Du bist schon die ganze Zeit so unfreundlich, dabei will ich doch nur wieder gutmachen, dass ich erst dein Stofftier kaputt gemacht habe und dir Retasu-chan dann Kaffee auf das T-Shirt geschüttet und es zerrissen hat! Bin ich dir so zuwider oder was ist eigentlich mit dir los, dass du immer so eine grimmige Miene verziehst!?“, fragte die rothaarige Ichigo. Ichigo Kurosaki seufzte. „Also gut, wenn du darauf bestehst, dann können wir auch zusammen ein neues T-Shirt kaufen gehen. Zufrieden?“, schlug er vor. Sie nickte verlegen und drehte sich zu den anderen um, die sich beeilten, so zu tun als seien sie ungeheuer beschäftigt. „Ich gehe dann mal! Ihr kommt ohne mich klar, oder?“ „Natürlich, auf eine ordinäre Person wie dich sind wir nicht angewiesen“, kam es von einem Mädchen, das ihr schwarzes Haar in zwei Dutts trug. Die Rothaarige verdrehte die Augen und folgte Ichigo aus dem Café zur Straße, die ganz im Glanz des Frühlings erstrahlte. „Wie wäre es mit diesem?“ „Nein.“ Das Mädchen machte ein enttäuschtes Gesicht über diese prompte, klare Antwort. „Aber wieso denn?“ „Ich trage kein grün“, erwiderte Ichigo und deutete auf das in einem leuchtenden Hellgrünton strahlende Hemd, das die rothaarige Kellnerin ihm präsentierte. „Du trägst auch kein Blau, kein Violett und kein Rot! Trägst du überhaupt irgendwas?“, fragte sie, während sie geschäftig das Hemd wieder an einem Haken in der Regalreihe hängte. Der Laden, in dem sie standen, lag in einem großen Einkaufszentrum ein Stück weit weg vom Café und hatte einen verhältnismäßig kleinen Verkaufsraum. Es war ein mit viel Dekoration versehener Laden, in dem die Klamotten in an der Wand hängenden Regalen mit viereckigen Fächern oder an aus Holz gefertigten Haken präsentiert wurden. Die Kleidungstücke strahlten nur so in allen denkbaren knallbunten Farben, und gerade das gefiel Ichigo nicht besonders. „Ich trage weiß. So wie das T-Shirt gestern und das, das ich jetzt anhabe.“ „Aber das ist doch langweilig! Du musst mal was anderes tragen, das ändert gleich alles an dir und du wirkst viel freundlicher!“ Ichigo brummelte nur leise vor sich hin, während das Mädchen sich auf einen neuen Ständer voller Oberteile stürzte. Nach einigem Suchen zog sie schließlich unter seinem misstrauischen Blick etwas hervor, das von Ichigo aus gesehen ein weißes T-Shirt sein konnte. Sie grinste breit und drehte es dann herum, so dass er den Aufdruck sehen konnte. „Keep Smiling!“ stand in schwarzen Lettern quer über das Shirt geschrieben, und darunter prangte ein überdimensional großer, gelber, grinsender, fetter Smiley. „Was meinst du?“, fragte das Mädchen. Ichigo war sprachlos. Sie tapste auf ihn zu und hielt ihm das T-Shirt so vor die Brust, dass sie sich den Anblick ungefähr vorstellen konnte. „Fantastisch!“, rief sie. Ichigo verzog keine Miene, aber sie lächelte breit. „Das passt perfekt zu dir! Wenn du schon nicht lächelst, dann wenigstens dein T-Shirt! Ist das nicht eine super Idee?“ Ichigo brummelte nur leise, denn er wusste, dass es zwecklos war. Ichigo Momomiya erachtete dieses T-Shirt als perfekt, also würde sie es ihm auch kaufen. Dass sie so ein Typ war, hatte er mittlerweile begriffen. Nichts begriffen hatte Masaya Aoyama, der knapp neben dem Eingang des kleinen Ladens herumlungerte und die beiden misstrauisch durch die mit Zierpflanzen und afrikanischen Holzschnitzereien fast komplett zugestellten Schaufenster betrachtete. Als er an diesem Tag zum Café Mew Mew gekommen war, um die Rothaarige zu besuchen, hatte er die beiden gerade weggehen sehen und war ihnen gefolgt. Der rothaarige Junge gefiel ihm nicht. Er sah weder besonders gut aus noch schien er seiner Freundin gegenüber irgendwelche Gefühle zu hegen, doch umgekehrt sah es schon anders aus. Sie lächelte ihn breit und freundlich an, sie zerrte ihn nach ihrem Gutdünken durch die Gegend wie eine aufdringliche Freundin, sie suchte ihm sogar seine Garderobe aus! Und wenn sie ihn überreden konnte, mit ihr einzukaufen, dann war seine mies gelaunte Miene vielleicht nur eine Art Maske und in Wahrheit genoss er es, von ihr so umsorgt zu werden. Aoyama drehte sich weg und ballte die Faust. Dieser Hüne konnte gar nicht so stark sein! Der würde was erleben! Als Ichigo Momomiya und Ichigo Kurosaki das Einkaufszentrum ein paar Minuten später wieder verließen, glitt ihnen Aoyama hinterher. Der rothaarige Junge hatte das T-Shirt tief in seinem Rucksack verschwinden lassen. Ichigo hatte ihm zwar das Versprechen abgenommen, dass er es einmal tragen müsse, aber jetzt wollte er nicht unbedingt darin herumlaufen. „Sag mal, wie heißt du eigentlich mit Vornamen?“, fragte sie ihn, während sie durch die noch nicht all zu belebte Straße liefen. „Ichigo“, erklärte er knapp. „Oh, wie lustig! Dann klingt dein Name ja fast wie meiner! Aber ich nehme an, man schreibt ihn anders?“ „Ja, mit ‚eins’ und ‚beschützen’.“ „Das ist ein sehr männlicher Name“, fand sie, „Meinen schreibt man in Katakana-Zeichen. Meine Mutter liebt Erdbeeren, deshalb hat sie mich nach ihnen benannt.“ Ichigo drehte sich wortlos von ihr weg. Sie blickte ihn verblüfft an. „Hab ich was Falsches gesagt?“, fragte sie. „Nee, schon gut.“ Ichigo sah auf seine Armbanduhr. „Das Karateturnier von meiner Freundin fängt bald an...“, bemerkte er. „Tatsächlich? Welche, die Schwarzhaarige, die gestern Abend mit dir da war?“ „Ja, genau.“ „Das passt irgendwie, sie sah auch so kämpferisch aus. Wo findet das Turnier denn statt?“ Ichigo kramte in seinem Gedächtnis und kratzte sich am Kinn. „Ich glaube, das war die erste Städtische Oberschule...“ „Tatsächlich? Dann biegst du am besten da vorne an der Ampel rechts ab, dann bist du schneller dort, als wenn du noch mit zum Café kommst. Einfach da vorn rechts, dann immer geradeaus und bei McDonald’s wieder links, dann kommst du zum Hintereingang der Schule.“ Ichigo nickte. „Danke“, sagte er. „Keine Ursache!“, erwiderte sie lächelnd. Er machte einen großen Schritt. „Wir sehen uns wohl nicht wieder?“, fragte sie. „Weniger“, meinte er abschätzend. Sie nickte und lächelte. „Dann wünsch deiner Freundin viel Glück!“ Er nickte und beeilte sich dann mit Blick auf die Uhr, die Straße entlang zu kommen. Aoyama hatte den Abschied beobachtet und wusste, dass er nun handeln musste. Unauffällig bog er in eine kleine Seitenstraße, in der es trotz des guten Wetters dank der großen Häuser daneben ziemlich dunkel war, und kam im Laufschritt zweihundert Meter vor der von Ichigo erwähnten McDonald’s Filiale wieder auf die Hauptstraße. Er erblickte Ichigo, den großen Oberschüler, der gerade in die Straße links einbog und hechtete ihm, ungeachtet des Verkehrs, einfach über eine rote Ampel hinterher. Zum Glück war es nur ein einziges Auto, das eilig bremsen musste, um ihn durchzulassen, ein Radfahrer trat in die Pedale und konnte mit einem Schlenker um ihn herummanövrieren. In der nächsten Straße war rechts schon der Sportplatz der Schule zu sehen, als er laut: „Bleib stehen!“, brüllte. Ichigo hielt inne und fragte sich einen Moment, ob er gemeint sein konnte. Da niemand sonst auf dem schmalen Weg unterwegs war, in dem auf der rechten Seite die Schule und auf der anderen ein paar Wohnhäuser lagen, entschied er sich dafür, dem Ruf zu folgen und drehte sich um. Vor ihm stand ein Junge im Mittelschulalter, der mindestens zwei Köpfe kleiner war, schwer atmete und ihn böse anstarrte. „Du ... bleib... stehen...“, brachte er hervor. „Ich stehe schon“, bemerkte Ichigo, „Was willst du von mir?“ Der Fremde holte tief Luft und raste dann mit erhobener Faust auf Ichigo zu. Der Größere hob lässig die Hand, fing den Faustschlag ab und tat dasselbe mit der linken, die sein Angreifer im nächsten Moment auf ihn donnern wollte. „Was soll das?“, fragte er. „Das fragst du noch!?“, kam es aufgebracht zurück. Der schwarzhaarige Junge riss seine rechte Faust aus Ichigos Griff und versuchte ihn am Kinn zu treffen. Um dem auszuweichen musste dieser nur schwach den Kopf heben. „Ich prügle mich nicht mit Schwächeren“, erklärte er und drehte sich um. „Du ...!!“, presste der Angreifer hervor und rammte ihm von hinten den Kopf in die Wirbelsäule. Ichigo schnellte herum, packte den Jungen an einem Arm und halb unter der Schulter und beförderte ihn mit einem geübten Karategriff zu Boden. „Lass mich in Ruhe!“, wiederholte er seelenruhig. Der Junge rappelte sich auf, starrte ihn böse an und lief dann ohne weitere Worte davon. Ichigo zuckte die Achseln, drehte sich um und machte sich auf den Weg zum Eingang der Schule, wo er dann erst einmal im Gewusel der zahlreichen Zuschauer Orihime finden musste. „Waah, du hast es geschafft!“, rief Orihime, als sie in die Turnhalle stürmte. Ichigo beobachtete von der Tribüne aus, wie die beiden Mädchen sich freudig umarmten und verdrehte innerlich die Augen. Glückwunsch war gut und recht, schließlich hatte Tatsuki gerade die Japanmeisterschaft ihrer Altersklasse knapp aber verdient gewonnen. Doch dieses mädchenhafte Getue darum herum ging ihm auf den Geist. Er sah zu, wie Tatsuki den Juroren und anderen Leuten, die sie gar nicht kannte, die Hände schüttelte und sich von ihnen zum Sieg gratulieren ließ. Es gab ein Siegerfoto für die Zeitung und jede Menge Leute, die auf einmal mit Tatsuki sprechen wollten, deshalb kam Orihime noch einmal zu ihm auf die Tribüne zurück. „Willst du ihr nicht auch gratulieren?“, fragte sie, als sie sich neben ihm niederließ. „Hinterher“, erwiderte er. Orihime zuckte die Achseln und holte aus ihrem Rucksack eine Tüte mit Anpan-Brot hervor, in das sie herzhaft hineinbiss. Kauend fragte sie: „Ich würde Tatsuki-chan gerne zum Karaoke einladen. Was hältst du davon?“ Ichigo brummte genervt. „Nichts“, sagte er geradeheraus. Orihime seufzte. „Wenn du nicht willst, können wir auch irgendwo Ramen essen gehen“, schlug sie vor. „Lass dir von mir nicht die Laune verderben. Wenn ihr zum Karaoke wollt, geht ruhig. Ich finde schon was, wie ich mich beschäftigen kann.“ Orihime zog eine besorgte Miene. „Das ist schön, aber es gefällt mir nicht. Du kannst dich doch nicht immer von uns loskoppeln...“ „Ich mag nun mal kein Karaoke.“ „Du kannst auch stumm daneben sitzen und zuhören!“ Orihime wischte sich die letzten Brot- und Anko-Krümel von der Wange und sah ihn erwartungsvoll an. „Dann verderbe ich euch den Spaß.“ „Warum bist du nur so schlechter Laune? Nur, weil du mit dem Mädchen ein T-Shirt kaufen musstest?“ „Nein. ... Oder vielleicht doch. Auf jeden Fall solltet ihr allein da hin.“ „Na gut...“, meinte sie besorgt und sah auf ihre Uhr. „Also, dann nehmen wir die Bahn um 19:37 Uhr zurück, ja?“ „Okay, ich treffe euch am Bahnhof:“ Ichigo stand auf und ließ Orihime auf der sich mehr und mehr leerenden Tribüne sitzen. Eigentlich hatte er keine schlechte Laune, dachte er, als er an ordentlich gepflanzten Blumen vorbei zum Schultor stapfte. Gut, es gefiel ihm nicht, dass er Rukia in Karakura allein die Hollows genannten Geisterwesen jagen lassen musste, aber es gab ja auch immer noch den Quincy Ishida, der das genau so gut erledigen konnte. Kon war heute auch nicht da, der ihn nerven konnte. Er bog ohne Nachzudenken neben dem Schultor ab und trottete ungeachtet des blauen Himmels und des Vogelgezwitschers in der Luft weiter. Er hatte einfach nie Lust auf ausgelassenes Feiern, egal wo und wie. So auch heute. Dass Orihime es immer wieder versuchte, war nett, aber zwecklos. Er dachte an den gelben Smiley in seinem Rucksack und an die Worte des Mädchens Ichigo. Sie war genau das Gegenteil von ihm, offenbar sogar gut gelaunt, wenn es überhaupt keinen Grund dazu gab. Auch nett, aber mit so jemandem klarzukommen fiel ihm besonders schwer... Warum er trotzdem zehn Minuten später ausgerechnet wieder vor dem Café Mew Mew stand, war ihm schleierhaft. Eigentlich war er einfach nur so drauf los gelaufen – hatte er gedacht. Vielleicht war es wirklich Zufall, ansonsten müsste er annehmen, dass sein Unterbewusstsein irgendwas an dem Café, oder doch eher an Ichigo, nett fand. Beim Anblick des Gebäudes beschloss er, dass es ihm lieber war, wenn es das Mädchen war. Dieses verließ gerade in dem Moment das Gebäude, und zwar zur Abwechslung in Zivilklamotten. Sie trug ein leichtes, rosa gemustertes Kleid mit gerüschten Rändern, darüber eine helle, kurze Jeansjacke mit langen Ärmeln und dazu eine Dreiviertelhose mit aufgekrempeltem Rand und Sandalen mit breiten Riemen quer über den Fuß. „Ah, Kurosaki-kun!“, rief sie erstaunt, als sie ihn sah. „Hi“, grüßte er lässig zurück. Sie grinste. „Offenbar war das doch nicht die letzte Begegnung. Was machst du hier? Wie ist das Turnier ausgegangen?“ Er erzählte kurz von Tatsukis Sieg und behauptete, rein zufällig vorbeigekommen zu sein. Das kam ihm selbst total lächerlich vor, aber eine andere Erklärung hatte er auch nicht. Sie erzählte, dass sie sich auf den Weg machen wolle, ihren Freund namens Aoyama zu besuchen. „Ich habe ihn seit vorgestern nicht mehr gesehen, das ist schade“, sagte sie. „Ich hab eh nichts zu tun. Soll ich dich begleiten?“, schlug er vor. „Das ist nett“, strahlte sie. Unterwegs erzählte sie ihm von ihrer Arbeit im Café Mew Mew, die nach ihrer Schilderung deshalb total stressig war, weil alle anderen Kellnerinnen entweder ungeschickt waren oder keine Lust zum Arbeiten hatten. Außerdem erzählte sie ihm von Aoyama, der eine Klasse über ihr war. Sie schwärmte von seinen schulischen Leistungen, von seinem sportlichen Geschick, von seinem guten Aussehen, davon, dass er sie liebte und dass er immer so nett zu ihr sei. Ichigo hörte schweigend zu, wirkte jedoch nicht uninteressiert, während sie zwischen kleinen Läden und später größeren Einfamilienhäusern entlang zogen. Sie führte ihn in ein schickes Wohngebiet, in dem in den Gärten Büsche zartrosa blühten und in dem in den Eingangsbereichen der meisten Häuser bunte Blumen standen. Schließlich kamen sie zu einem doppelstöckigen Haus, neben dessen Eingangspforte der Name „Aoyama“ prangte. Das Mädchen hüpfte aufgeregt auf die Klingel zu und schellte. Nichts regte sich in dem Haus. Sie warteten fast fünf Minuten, bis sie es noch einmal versuchte, doch nichts geschah. „Er muss mit seinem Hund spazieren gegangen sein“, sagte sie traurig. „Versuch es morgen noch mal“, schlug er vor. Sie nickte niedergeschlagen. „Schade, dabei wollte ich ihn so gerne sehen“, murmelte sie und schlug die Richtung ein, aus der sie gekommen waren. Er holte auf und sah besorgt zu ihr hinunter. Zusammen verschwanden sie bald um die nächste Kurve. Masaya Aoyama war in Wahrheit zu Hause. Er hatte versucht, sich dadurch abzulenken, dass er seinem Hund Rau ausgiebig das Fell bürstete, als es an der Tür geklingelt hatte. Da er keinen Besuch erwartet hatte und seine Eltern noch lange nicht zurück zu erwarten waren, hatte er erst einmal einen Blick durch das kleine vergitterte Fenster neben der Tür geworfen. Als er Ichigo zusammen mit dem riesigen Oberschüler an seiner Tür gesehen hatte, war er zu Boden gesunken und hatte die Faust geballt. In seinem Kopf hatte Ichigo ihm lächelnd erzählt, dass der fremde Junge von nun an ihr Freund sei, weil sie ihn nun einmal doch nicht liebte. Rau, der seine Verzweiflung bemerkt hatte, war ganz still zu ihm gekommen, hatte ihm mitleidig über das Gesicht geschleckt und ihm den Kopf in den Schoß gelegt. Masaya hatte so auch das zweite Klingeln ignoriert. Schließlich war er aufgestanden, hatte bemerkt, dass Ichigo und der Fremde wieder verschwunden waren und hatte sich Raus Leine geschnappt, um ein bisschen an die frische Luft zu gehen. „Ich fürchte, er liebt mich nicht mehr! Er hat mich in den letzten Tagen nicht einmal besucht und mir auch keine SMS geschrieben...“, klagte Ichigo. Ichigo Kurosaki, der neben ihr auf einer Bank in einem nahen, kleinen Park mit ein wenig Grün und ein paar Spielgeräten saß, sah sie an und erklärte: „Das würde ich nicht behaupten, solange du ihn nicht gefragt hast.“ „Ja schon...“, murmelte sie. „Es sind wahrscheinlich nur Zufälle. Vielleicht ist er ja zum Café gekommen, als du gerade mit mir weg warst...“ „Dann hätten die anderen doch gesagt, dass er da war!“ Ichigo kratzte sich genervt am Kopf. „Aber jetzt ist er sicher mit seinem Hund weg. Mach dir keinen Kopf und frag ihn morgen.“ Sie nickte, dann sah sie Ichigo fragend an. „Wieso kümmerst du dich eigentlich so um mich? Dass du anbietest, mit mir zu Aoyama-kun zu gehen und so...“ Er verschränkte die Arme. „Tja, schwer zu sagen. Ich glaube, du löst bei mir so was wie einen Beschützerinstinkt aus. Ich hab zwei kleine Schwestern, die sind zwar nicht so wie du, aber ...“ Sie grinste. „Ich bin für dich also eine nervige kleine Schwester.“ „So in etwa.“ „Darf ich dich dann ab jetzt ‚großer Bruder’ nennen?“ Um viertel nach sieben standen die beiden dann an dem kleinen Bahnhof, an dem sie auf Orihime und Tatsuki warten sollten. Er trug mittlerweile wieder seine Fleecejacke über dem Hemd und lehnte an einer kleinen Säule neben einem öffentlichen Telefonautomaten, sie stand neben ihm und blickte die Gleise entlang, die wenige Meter weiter in einen Tunnel eintauchten. „Wenn ihr gleich wegfahrt, sehen wir uns gar nicht wieder, oder?“, fragte sie. „Eigentlich nicht“, bestätigte er. „Ich...“ „Kurosaki-kun! Da bist du ja!“, ertönte Orihimes Stimme. Sie kam zusammen mit Tatsuki vom Treppenaufgang, der von der Straße her hoch in das über den Schienen gebaute Bahnhofsgebäude führte. „Hey“, sagte er. „Oh, du hast das Mädchen aus dem Café getroffen?“, fragte Orihime und machte große Augen. Diese lächelte. „Wir sind uns über den Weg gelaufen, und weil ich nichts mehr zu tun habe, habe ich ihm die Stadt gezeigt!“ Tatsuki machte ein misstrauisches Gesicht. „Du läufst also mit kleinen Mädchen durch die Großstadt?“, fragte sie Ichigo. Dieser erwiderte: „Du denkst immer gleich das Schlimmste, oder?“ Das Mädchen Ichigo ging dazwischen: „Ich bin jetzt offiziell seine kleine Schwester!“ „Hä?“, stieß Tatsuki aus. Sie erklärte: „Er meinte, ich bin seinen kleinen Schwestern ähnlich, also habe ich ihm vorgeschlagen, dass wir jetzt Geschwister sind.“ Orihime und Tatsuki sahen sich verblüfft an, dann schaute erstere auf ihre Armbanduhr. „Noch fünf Minuten. Hast du schon ein Ticket, Kurosaki-kun?“ „Ja.“ „Gut, wir müssen uns nämlich noch eben welche holen.“ Die beiden verschwanden zum Schalter, während sich das Mädchen Ichigo an den Oberschüler wandte: „Wenn wir ihn Kontakt bleiben wollen, müssen wir jetzt Handynummern tauschen“, erklärte sie. Er nickte und zog sein Handy hervor. Es war ein relativ altes, viereckiges Modell, das ihm sein Vater mitgegeben hatte, für den Fall, dass er sich in der Innenstadt verlaufen oder sonst irgendwas passieren sollte. Es war schon recht alt und hatte noch kein Farbdisplay, aber es erfüllte seinen Zweck und SMS konnte man damit auch versenden. „Also pass auf...“, begann sie gerade, als ein lauter Aufschrei ertönte. „Jetzt reicht es!“ Die beiden drehten sich um und entdeckten einen Jungen, der mit einem begeistert neben ihm herspringenden Hund an der Leine auf sie zustürmte. „Aoyama-kun!“, rief das Mädchen Ichigo. „Das ist Aoyama-kun?!“, stieß der Junge Ichigo erstaunt aus, der den seltsamen Angreifer von Mittag wiedererkannte. Aoyama kam auf die beiden zu. „Ich kann es nicht mehr mit ansehen! Lass die Finger von meiner Freundin!“, sagte er wütend und schubste den zwei Köpfe größeren Oberschüler zurück. Der Hund an seiner Seite bellte begeistert. „Lass das, Aoyama-kun! Er hat mir doch gar nichts getan!“, rief Ichigo beschwichtigend und hob die Hände. Aoyama fuhr zu ihr herum. „Natürlich nicht! Aber ich will nicht, dass du mit ihm ausgehst. Sag schon, wie habt ihr euch kennengelernt? Seit wann seid ihr zusammen?“ „Laber keinen Blödsinn“, mischte sich der Oberschüler wieder ein. „Wir sind nicht zusammen. Wie kommst du auf die Idee?“ Aoyama wechselte einen verwirrten Blick zwischen den beiden Ichigos und meinte dann verblüfft: „Aber ihr habt doch so viel miteinander geredet. Ihr wart sogar zusammen einkaufen, und ich hab euch im Park gesehen!“ „Du hast uns verfolgt?“, fragte seine Freundin ungläubig. „Kurosaki-kun, komm schon, der Zug kommt gleich!“, rief Orihime von den Ticketschranken. „Geht schon vor, ich komm’ gleich!“, rief Ichigo und drehte sich wieder zu Aoyama. „Du warst also eifersüchtig, ja?“, fragte er mitleidig. Aoyama senkte errötend den Kopf. „Na, dann ist doch alles wunderbar“, sagte er zu dem entrüstet dreinschauenden Mädchen. „Dein Freund liebt dich immer noch, es war alles ein Missverständnis.“ Nachdem die Worte bei ihr angekommen waren, breitete sich über ihren Mund ein Lächeln aus. „Ach, Aoyama-kun! Ich wusste doch nicht, dass du ihn für meinen Freund...“ „Schon gut...“, brachte dieser hervor. Ein lautes Quietschen ließ die drei zusammezucken. Das Mädchen drehte sich zum Fenster. „Großer Bruder, dein Zug!“ „Verdammt, ja!!“ Der Rothaarige wendete sich zu den Ticketschranken. „Warte mal! Ich hab noch nicht deine Nummer!“, rief sie ihm nach. Ohne nachzudenken rief er ihr die Ziffern über das Qietschen des einfahrenden Zuges hinweg zu. Die Ticketschranken zu durchschreiten würde ihn zu viel Zeit kosten. „Ich hab ein Ticket!“, rief er, während er mit einem gekonnten Sprung über die Schranke hinwegsetzte. Der Bahnhofswärter starrte ihm entgeistert hinterher, als er die letzten zwei Ziffern rief und dann die Treppe zum Bahnsteig hinunterstürmte. Ichigo sah ihm hinterher. „Ich habe die Nummer“, sagte sie und drückte bei ihrem Handy auf die Speichertaste. Aoyama drehte sich zu ihr, doch sie hatte die Nase schon gegen das Fenster gedrückt und beobachtete, wie der Zug langsam wieder anfuhr und unter dem Bahnhofsgebäude verschwand. „Ich glaube, er hat es geschafft“, sagte sie fröhlich. Das immer schneller werdende Rattern war schon bald nicht mehr zu hören. „So, und jetzt will ich wissen, was mit dir und dem und dem Einkaufen war! Und wieso nennst du ihn ‚großer Bruder’?“, fragte Aoyama. Ichigo lächelte breit. „Das ist eine lange Geschichte...“ Kapitel 33: Rocko und Lunch - Die Schöne und die Furie ------------------------------------------------------ Von Wieder einmal sind die Chiisana Love-Stories am Start und nun schon in der 33. Runde! Diesmal haben wir uns für das Pairing eine besondere Bedingung ausgedacht: Wir wollten einen „hoffnungslosen Fall“ verkuppeln, also jemanden, der in der Serie, aus der er stammt, wahrscheinlich nie eine Freundin finden wird. Unsere Wahl fiel schließlich auf Rocko, der zwar immer Frauen hinterher läuft, aber nie so richtig Glück mit ihnen hat. Glück hat er mit Lunch eigentlich auch nicht, vor allem nicht, wenn sie niest. Aber vielleicht wird es ja doch was mit den beiden ^-^ Wie ihr sehen werdet, haben wir im Gegensatz zur letzten Story mit Pokémon (das war doch Satoshi und Miyako??) diesmal für Pokémon und Trainer die Namen verwendet, die ihr aus dem deutschen TV kennt, um Verwirrung vorzubeugen ;) Bei den Leuten aus Dragonball sollten keine Unklarheiten auftreten, auch wenn wir, dem Original entsprechend, Yamcha statt Yamchu geschrieben haben. Und nun viel Spaß mit dem neuesten Crossoverpairing! Die Schöne und die Furie „Schau mal, Pikachu, wir sind da!“, rief Ash Ketchum, begleitet von einem bedeutungsvollen In-Die-Luft-Reißen der Arme. „Pika-Pika“, stimmte das kleine gelbe Wesen mit den runden roten Bäckchen zu, das auf seiner Schulter saß und dessen lange, hasenähnliche Ohren im Wind flatterten. Der Zehnjährige drückte sich seine Mütze fest auf den schwarzen, struppigen Schopf, damit der Fahrtwind sie auf keinen Fall wegwehen konnte. Das kleine Boot, auf dessen Bug er stand, wurde jedoch schon ein wenig langsamer, der röhrende Motor sprotzte leise und unregelmäßig. Im Wind war das Klingen von Masten und das dumpfe Geräusch von Booten zu hören, deren Pufferbojen aneinanderschlugen. Hinter dem großen und von Schiffen scheinbar überquellenden Hafen der näherkommenden Insel erstreckte sich eine kleine, von allerhöchstens zweistöckigen Gebäuden bestimmte Stadt, und irgendwo noch weiter hinten ragten schroffe Felsen auf. Ash drehte sich mit einem Grinsen zu Rocko und Misty, seinen beiden Begleitern, um, die etwas gelassener auf der kleinen Holzbank vor der Fahrerkabine saßen. „Hey, wir sind da! Das ist Anemonia City!!“, rief er aufgeregt. „Ja, aber wir müssen ja nicht aufgeregt sein. Du bist schließlich derjenige, der gegen den Arenaleiter antreten wird“, gab Misty, die Wasserpokémontrainerin mit dem orangeroten Haar gedehnt zurück. Auf ihrem Schoß stimmte ihr kleines Pokémon Togepi, das zur Hälfte in einer bunten Eierschale zu stecken schien, ein leises Fiepen an. Rocko, der braungebrannte Pokémonzüchter mit dem dunklen, wuscheligen Haar, verschränkte die Arme und sah gemächlich über die Insel, der sie sich mittlerweile nur noch so langsam näherten, dass sie spielerisch von ein paar laut schreienden Möwen überholt wurden. Ihr Kapitän, ein freundlicher Seemann, der die meiste Zeit in der Hafenstadt Oliviana City verbrachte und hin und wieder seine Verwandten auf der Insel Anemonia City – und ebendieser näherten sie sich ja gerade – besuchte, drehte bei und ließ das in den Wellen leicht schwankende Boot nun auf die Hafeneinfahrt zusteuern. Diese war nur schmal und auf beiden Seiten der Ummauerung standen kleine Türmchen für Leuchtfeuer, die aufgrund des guten Wetters jedoch momentan nicht gebraucht wurden. Neben einem der Türme war noch etwas, und das ließ Rocko urplötzlich alle Ruhe vergessen, von seinem Sitz aufspringen und so schnell zu Ash an den Bug rasen, dass das Boot gefährlich schwankte. Davon ließ er sich jedoch nicht stören, er ging nun sogar so weit, den guten Meter, der noch zwischen Boot und der Hafenmauer klaffte, einfach mit einem Sprung zu überwinden. „Hoppala!“, rief er und landete taumelnd, fing sich aber sofort wieder und richtete sich so gerade auf, als habe er einen Besen in der Wirbelsäule. „Guten Tag, schöne Frau! Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen!“, rief er und griff übermütig nach der Hand einer mit einer Kladde neben dem Leuchtfeuer stehenden Officer Rocky. Die Frau stieß einen erschrockenen Schrei aus und der Klemmhefter landete am Boden, während Rocko einen Schwall von Worten von sich gab, in dem unter anderem auch die Schlüsselworte „Schicksal“, „wunderschön“ und „fasziniert“ vorkamen. Die so überfallene junge Frau blickte nur irritiert und ein wenig hilflos drein. Im nächsten Moment hatte das Schiff weiter verlangsamt und war nah genug an der Schutzmauer, dass auch Misty hinaufklettern und Rocko genervt an einem Ohr zurückziehen konnte. „Du kannst es nicht lassen, oder?“, fragte sie zischend. Er wimmerte nur leise, während die Rocky erleichtert auszuatmen schien. „Na Sie sind mir ja einer“, murmelte die Beamte in Rockos Richtung und sammelte ihre Kladde wieder vom Boden auf. „Nur leider werden Ihnen Komplimente auch nicht weiterhelfen. Sind Sie der Kapitän des Schiffes?“ „Nein, das ist der da“, erklärte Misty ohne Rockos Ohr loszulassen und nickte mit dem Kopf in Richtung der Fahrerkabine. Ash hatte sich mittlerweile auch angeschickt, den Kai zu erklimmen, wobei Pikachu bereits vor ihm hinübergesprungen war und Rocko mitleidig beäugte, der in Mistys Griff sichtlich litt. „Was gibt es denn?“, fragte der Kapitän, der das Gespräch mit angehört hatte, und steckte den Kopf aus der Kabine seines Kutters. Die Rocky trat neben Ash, der inzwischen auch wieder festen Boden unter den Füßen hatte, an die Kaimauer und erklärte förmlich: „Sofern Sie nicht über einen privaten Bootsanlegeplatz innerhalb des Hafengebiets verfügen und dies auch ausreichend belegen können, kann ich Sie leider nicht hereinlassen.“ Der Kapitän kratzte sich am Bart. „Eigentlich wollte ich meine Schwägerin besuchen, wissen Sie, die wohnt hier. Aber so voll wie das hier ist, kann ich auch gleich zurückfahren, ist ja nicht weit. So 'nen Anlegeplatz hab ich nämlich nicht.“ „Das wäre sehr nett“, erklärte die Rocky, erleichtert, dass es zu keiner weiteren Diskussion kam. An diesem Tag hatte sie schon mehreren penetranten Bootsbesitzer klarmachen müssen, dass das Verbot ausnahmslos für alle galt, die keinen Anlegeplatz hatten, und dass auch gegen Bezahlung und freundliches Bitten keine Ausnahmen gemacht wurden. „Was ist denn hier überhaupt los und wie lange dauert das noch?“, fragte der Bärtige. „Das wissen Sie nicht?“, fragte die Beamte erstaunt. Der Kapitän wiegte den Kopf. Rocko (mittlerweile nicht mehr am Ohr gepackt, aber aufgrund der in der Luft stehenden Drohung deutlich sittsamer als zuvor), Misty und Ash, die sich neben dem Boot versammelt hatten, sahen ebenfalls ratlos aus. „Hier findet doch derzeit das Große Kampfsportturnier statt, in dem der ‚Beste Kämpfer auf Erden’ gekürt wird!“ „Ach das, ja, ich erinnere mich. Ich hab gar nicht bemerkt, dass schon wieder sechs Jahre rum sind... wie die Zeit vergeht...“, bemerkte der Kapitän. Die Rocky lächelte irritiert. „Keine sechs Jahre. Nach dem letzten Turnier wurde die Zeitspanne auf drei Jahre verkürzt, deshalb ist es jetzt schon wieder.“ Der Kapitän grinste. „Dann bin ich ja doch noch gar nicht so alt wie ich grad befürchtet habe. Bei welcher Runde sind sie denn jetzt?“ „Heute ist schon das Finale.“ Die Rocky lächelte vorsichtig, als sie das sagte. Dann sah sie die anderen drei an. „Was ist mit euch?“, verlangte sie streng zu wissen. „Wir sind ewige Reisende, doch jetzt hat unsere Odyssee endlich ein Ende gefunden, weil wir dir...“, begann Rocko sofort leidenschaftlich, doch Misty versetzte ihm einen genervten Schlag auf den Hinterkopf, sodass er stöhnend zu Boden sank. „Wir sind Pokémon-Trainer“, erklärte Ash stattdessen. Pikachu gab ein paar zustimmende Laute von sich. „Dann seid ihr sicher hier, um in der Arena anzutreten? Ich muss euch enttäuschen, während des Kampfsportturniers ist sie geschlossen, da der Leiter selbst auch ein begeisterter Zuschauer der Kämpfe ist. Allerdings müsste sie morgen wieder geöffnet sein.“ Rocko kam vom Boden wieder hoch und rieb sich dabei die Beule an seinem Hinterkopf. Ash dagegen strahlte: „Das heißt, wir können uns erst mal einen Tag ausruhen und dann antreten!“ „Du meinst dich, wir treten ja nicht an“, bemerkte Misty und fragte dann die Rocky: „Sagen Sie, wenn hier dieses Turnier stattfindet, ist es doch sicher schwierig, eine Unterkunft zu bekommen...“ „Ja, das stimmt. Aber ihr könnt es im Pokémon-Center versuchen. Dort nehmen sie nur Trainer auf, auch wenn einige Touristen alles Mögliche versuchen, um trotzdem reinzukommen. Soweit ich weiß, dürfte dort noch Platz sein.“ „Sie haben recht! Also dann, auf geht’s, Jungs!“, beschloss Misty und zerrte Rocko eilig an der Rocky vorbei, um jedem Versuch einer erneuten peinlichen Anmache vorzubeugen. So beschränkte sich der Weggeschleifte auf ein freundliches, verliebtes Winken zum Abschied. Ash rief dem freundlichen Kapitän noch ein Dankeschön zu, bevor dieser abdrehte und wieder in die Wellen schipperte, entschuldigte sich bei der Rocky für die Umstände und rannte dann Misty und Rocko hinterher, die bereits fast das richtige Festland erreicht hatten. Das Pokémon-Center war zwar voll, aber die Schwester Joy (von der Misty Rocko fernhielt, indem sie mit ihm vor dem Gebäude wartete und nur Ash hineinschickte) erklärte freundlich, dass bei ihnen noch massenhaft Plätze frei seien, da die meisten Pokémontrainer sich dank der Aussicht auf eine geschlossene Arena in den letzten Tagen von der Insel ferngehalten hatten. Da die Plätze somit gesichert waren, es aber noch lange nicht Abend war, beschlossen die Trainer, sich erst einmal in der Stadt umzusehen und eventuell etwas zum Mittagessen zu besorgen. Der Versorger der Truppe, also Rocko, kochte zwar gut, doch die Aussicht, nach langer Zeit mal wieder außerhalb von Wildnis zu speisen, gefiel ihnen trotzdem. Rocko war auch aus einem anderen Grund besonders guter Dinge, er vermutete nämlich in den Massen von Menschen, die zum Turnier gekommen waren, auch einige Schönheiten, denen er den Hof machen könnte. Die Rocky vom Hafen hatte er bereits wieder aus seinem Gedächtnis gestrichen. Anemonia City musste unter normalen Umständen ein durchaus beschauliches Plätzchen sein, doch momentan war der Teufel los. Entlang der Straßen hatten sich Stände aufgebaut, die abwechselnd Souvenirs, Eis oder chinesisches Essen anboten. Noch war auf den Straßen einiges los, was auch das bestätigte, was die Schwester Joy Ash schon mitgeteilt hatte: das Finale würde erst gegen zwei Uhr Nachmittags beginnen. Das war noch ein wenig hin, und so tummelten sich die Touristen und Kampfsportfans jetzt kurz vorher alle bei den Essständen um sich den Magen vollzuschlagen oder etwas mitzunehmen, bevor der Kampf begann. Alle waren aufgeregt, und wenn man gut hinhörte, konnte man überall Spekulationen vernehmen, wer denn nun das Finale gewinnen würde. Jedoch hörte keiner der drei Trainer diesem richtig zu: Rocko ließ seinen Blick über die Menge schweifen, um hin und wieder aufzujauchzen und dann von Misty, die ihn die ganze Zeit mit Argusaugen beobachtete, vor einem unüberlegten Anmachmanöver bewahrt zu werden Ash und Pikachu sahen sich einfach nur um und staunten, zudem kannten sie die beiden Kontrahenten nicht und so interessierten sie die Vermutungen über Sieg und Niederlage herzlich wenig. „Wollen wir nicht bei dem Turnier zugucken?“, schlug Rocko vor, nachdem sie sich direkt neben die wenig besuchte zehnte Souvenirbude und somit etwas außerhalb des Menschenstromes positioniert hatten. Pikachu beobachtete von Ashs Mütze aus das bunte Treiben, während dieser die Arme verschränkte. „Hmm, weiß nicht.“ „Du glaubst doch nicht, dass du bei den Zuschauern irgendwelche schönen Frauen kennenlernst?“, vermutete Misty. Rocko zuckte ertappt zusammen, stammelte aber: „Ach was, darum geht es doch gar nicht. Kampfgeist, Leute! Ihr seht die besten Kämpfer der Welt! Allein ihnen zuzusehen wird deine Motivation im Kampf morgen verzehnfachen, Ash!!“ Ash und Misty sahen sich mit einem Das-glaubst-du-doch-wohl-selbst-nicht-Blick an und seufzten. „Also, ich weiß nicht“, sagte Ash. „Glaubst du, wir kriegen jetzt noch Plätze?“, fragte auch die Rothaarige kritisch. „Hey, wir können es doch wenigstens versuchen!“, rief Rocko drängend. Es war abzusehen, dass die beiden anderen Trainer ihm nicht zustimmen wollten, doch da kam ihm Pikachu zu Hilfe: „Pika-pika, pika-pikachuuu!“, rief es. „Du willst zugucken?“, fragte Ash ungläubig. Das gelbe Wesen nickte deutlich. „Pika-pika, pika chuu, chuu, pikachu!“ „Du meinst, Rocko hat recht und es wird unseren Kampfgeist stärken?“ „Pika-pika!“ Der junge Trainer mit der Schirmmütze sah Misty an. „Na, ich denke, wenn Pikachu das meint...“ Misty nickte, auch wenn sie nicht ganz überzeugt aussah. „Na ja, schließlich muss es morgen kämpfen, und wenn es ihm hilft...“ „Dann lasst uns gehen!“, rief Rocko sofort. Ihnen blieb keine Wahl, als ihm zu folgen, sobald er in die Menge abtauchte. Den Austragungsort zu finden war nicht schwer. Zum einen strömten mittlerweile doch die meisten der Menschen in deren Richtung und zum anderen waren die Mauern, die das Gelände der Arena umgaben, nicht gerade unauffällig und ein große Pfeiler auf dem Platz vor dem Eingang wies deutlich den Weg. Alle liefen auf den einzigen Durchgang in der Mitte zu, der offenbar ohne Eintrittskarten oder anderweitige Kontrollen durchschritten werden konnte. Ash, Rocko und Misty hatten einige Schwierigkeiten, sich zwischen den drängelnden, ungeduldigen Menschen im Auge zu behalten, aber Pikachu, das sich (auch um nicht in der Menge zerquetscht zu werden) auf Ashs Mütze niedergelassen hatte, war ein guter Blickfang und sorgte dafür, dass die drei schließlich zusammen am Tor ankamen. Der Ring selbst war auch von hinter dem Tor nicht zu sehen, stattdessen überall nur Menschen, nichts als Menschen, die sich auf einer gepflasterten Fläche drängten. Dies sollte offenbar der Zuschauerraum sein, Sitzplätze gab es keine, genauso wenig wie irgendwelche Markierungen. „Hier können wir doch nie was sehen“, murmelte Ash. „Vielleicht ist irgendwo noch Platz?“, fragte Misty zögernd. „Wenn wir wenigstens sehen könnten, wie weit der Ring noch weg ist“, murmelte Rocko und stellte sich auf die Zehenspitzen, wobei er die Hand als Schatten halb über die Augen hielt. „Hey, da ist noch was frei...“, murmelte er auf einmal, „Und noch dazu...“ Misty und Ash waren außerstande ihn aufzuhalten, als er sich auf einmal durch die Menschenmenge zu wühlen begann. Um ihn nicht zu verlieren, hatten sie keine andere Wahl, als ihm vorsichtig nachzueilen und sich möglichst höflich bei den düpiert dreinschauenden aus dem Weg gestoßenen Leuten zu entschuldigen. Dann war da auf einmal Luft: ein gut zwei mal ein Meter großer Bereich direkt neben der niedrigen Mauer, die die Menschenmasse von dem quadratischen Kampfplatz trennte, wurde von der Menge gemieden. Und es war auch nicht schwer zu erkennen, warum: In der Mitte des kleinen Gebiets stand eine recht zierliche blondgelockte Frau, die ein knappes Oberteil und Hotpants trug; in ihren Händen hielt sie eine Maschinenpistole. Ihr eisiger, herausfordernder Blick allein hätte aber vermutlich schon ausgereicht, um die bannkreisartig freigelassene Stelle auf dem eng gedrängten Zuschauerplatz zu erklären. Allein der unübersehliche Kontrast zwischen einem hübschen, zierlichen Mädchen und der Waffe war abstrus. Noch abstruser war jedoch, was sich gerade in dem Moment abspielte, als Ash und Misty sich aus der Mänge gedrängt hatten, denn dieser war auch der Moment, in dem sich Rocko vor der Blondine auf seine Knie fallen ließ und ihr eine rote Rose – wo auch immer er die herhatte – vor die Nase hielt. „Oh schönste aller Schönen! Erlaube mir, vor deinem Anblick niederzusinken und dir diese Rose als Zeichen meiner Ehrfurcht darzubieten!“, rief er theatralisch. Üblicherweise hätte Misty jetzt einen Satz nach vorne gemacht, um die peinliche Aktion zu unterbrechen, doch auf sie hatte die Anwesenheit der Blonden eine ähnliche Wirkung wie auf alle anderen Menschen hier: sie löste den Reflex aus, sich so weit wie möglich zu entfernen, weshalb sie sich auch sofort wieder unter leichten Protesten ein wenig zurückzog. Pikachu sprang auf Ashs Arm und klammerte sich ängstlich an ihn. Die Menschen schienen alle angstvoll einzuatmen, irgendwas lag in der Luft, und auch im Blick der Blonden, die Rocko entgeistert anstarrte. Dieser schien der einzige zu sein, der nichts davon bemerkte und mit verzücktem Blick in irgendwelchen fremden Sphären weilte, während er die Rose weiter nach vorn hielt. Ein Zittern lief durch die Menge, als sich die Augen der Frau zu Schlitzen verengten und sie ihre Waffe schussbereit anhob. Es schien unmöglich, doch irgendwie gelang es den Umstehenden, sich noch einmal ein oder zwei Schritte rückwärts zu drängen. Die Blonde sog die Luft ein. Die Menschen am Rand des freien Raums duckten sich. Rocko schwelgte in Verzückung. Pikachu drückte sich verzweifelt an Ashs Jacke. Togepi trillerte glücklich vor sich hin. Die Blonde nieste. Irgendwie mussten beim Einatmen Staubpartikel von der Rose in ihre Nase geraten sein. Das laute „Hatschi!“ ließ die Menschen beinahe aufschreien, so plötzlich kam es. Rocko holte es aus seiner Traumlandschaft zurück. Er sah an seiner Angebeteten hoch. Und machte einen lauten Schrei, weshalb Pikachu sich panisch die Pfoten vor die Augen schlug. Als es still wurde, wagte Ash einen Blick und fand seine eigenen Empfindungen in Rockos Gesicht wieder, dessen Kinnlade, wäre sie nicht durch Sehnen mit seinem Schädel verbunden gewesen, mittlerweile mindestens den Boden durchschlagen hätte. Die blonde Frau war auf einmal nicht mehr blond, sondern sinnlich dunkelblaue Locken umrahmten ihr hübsches, helles Gesicht. Sie war auch nicht mehr im Mindesten so einschüchternd wie zuvor, sondern sah sich nur verwirrt mit großen, dunkelblauen Augen um, die Maschinenpistole hielt sie gesenkt in der herunterbaumelnden rechten Hand. Rocko erholte sich schneller von dem Schock als alle anderen, da ihre Verwandlung bei ihm einen anderen, stärkeren Reiz auslöste. „Oh, du holde Maid! Lass mich an deiner Seite bleiben!“ Sie schaute ihn mit einem verwirrten Blinzeln an. „Ähm, na gut...“, sagte sie zögernd. Ash konnte es nicht fassen und sah Misty an. Sie schien dasselbe zu denken und schaute zurück. Pikachu machte große Augen. Togepi trillerte leise vor sich hin. Es schien ein Wunder. Eine Frau, die auf solche Weise von Rocko angebaggert wurde und keinen Rückzieher machte? Das hatte es bisher kaum gegeben. Die umgebenden Menschen jedoch realisierten langsam, dass die Bestie verschwunden war und sie nun ungestört den Freiraum an der Absperrung in Beschlag nehmen konnten. Ash und Misty hatten nicht einmal Zeit, sich von dem Schock zu erholen und wurden sofort nach vorne geschoben. „Oh nein, ich habe den anderen doch versprochen, ihnen Plätze freizuhalten...“, murmelte die Blauhaarige besorgt. Ihr Ausspruch ging jedoch im den lauten Rufen unter, die mittlerweile aus den Zuschauerrängen ertönten. Lediglich Rocko hörte, schaltete und reagierte. „Stopp, alle zurück!“, schrie er und stellte sich vor die Frau. Das nützte jedoch nicht viel. Nachdem der Bann gebrochen war, konnte nur noch wenig die Menge aufhalten. Der Pokémontrainer wusste sich jedoch zu helfen und griff an seinen Gürtel. „Onix, erscheine!“ Mit einem Beben landete das Wesen, eine aus groben Felsen bestehende Schlange, auf dem Platz. „Halt die Leute auf!“, rief Rocko. Das Pokémon tat wie geheißen und formte um Rocko und die junge Frau herum einen schützenden Halbkreis. „Betrug!“, kam es aus der Menge. „Wir wollen auch was sehen!“, schrie irgendwer weiter hinten. Ash und Misty blieben vor Onix’ Rücken stehen. „Rocko, lass das lieber. Die Leute haben recht, ihr könnt hier nicht einfach alles versperren“, sagte Misty. „Sie hält den Platz für jemanden frei!“, rief Rocko sofort, laut genug, dass auch die anderen Anwesenden es hören konnten. „Mir hat auch keiner freigehalten!“, schrie jemand in der Menge. „Ja, genau, verschwinde mit deinem Scheißvieh und lass uns durch!“ Bei großen Festivitäten ist oft eine Menge Alkohol im Spiel, und so war es nicht verwunderlich, dass die ersten sogleich versuchten, über Onix hinwegzuklettern. Ash und Misty beeilten sich in den Kreis zu kommen, da nun klar war, dass sie zu Rocko gehörten, aber das bestärkte die anderen nur noch mehr darin, dass die Felsnatter kein wirkliches Hindernis darstellte. Sie kamen jedoch nicht weit, denn noch bevor es der erste über deren Rücken geschafft hatte, wurde er von einem harten Schlag in die Menge zurückgeschleudert. Fast zeitgleich wurden einem anderen die Füße weggerissen, so dass er mit dem Kopf auf den Boden geknallt wäre, wenn ihn nicht die Umstehenden aufgefangen hätten. Auf Onix’ Schwanz erschienen ein kleinwüchsiger Junge mit kahlrasiertem Schädel, der in einem orangeroten Kampfanzug steckte und ein alter Mann im Anzug, der einen weißen Bart hatte, eine Sonnenbrille trug und seinen kahlen Schädel mit einem schwarzen Hut bedeckt hatte. „Zurück!“, donnerte der Alte. Dieser Ausruf hatte fast genau so viel Effekt wie die Anwesenheit der Blonden kurz zuvor. Die meisten wichen zurück, nur ein Mann mit schwarzem Schnurrbart und fettigen Haaren versuchte es weiter. Der Mann im Anzug hob einen an der Spitze mit einem dicken Knubbel ausgestatteten Stab, wirbelte ihn herum und beförderte den Unglücklichen mit einem gezielten Vorstoßen der Stabspitze unter den staunenden Blicken der Anwesenden bis über die äußere Begrenzungsmauer. Es sei gesagt, dass ihm nichts passierte, da die Menschenmenge jenseits der Mauer ihn auffing. In der Menge wurde leises Gemurmel laut. Es fielen der Name Kuririn sowie die Begriffe „Halbfinale“, „Meister“ und „Herr der Schildkröten“, aus denen Ash zwar nicht ganz schlau wurde, in ihm aber den Eindruck erweckten, dass diese beiden Leute ziemlich berühmt sein mussten. „Werdet ihr wohl unsere Freunde in Ruhe lassen!? Die junge Dame steht hier schon seit heute Morgen um sieben, also seid so freundlich und lasst ihr den Platz!“, blaffte der Alte mit gewaltiger Stimme. „Ihr schon, aber was ist mit den anderen da?“, schrie jemand aus der zweiten Reihe hinter Onix. Während der kleine Junge neben ihm in kampfbereiter Position blieb, drehte sich der Alte um und musterte Ash, Rocko und Misty, die ihn entschuldigend ansahen. Ash wollte gerade vorschlagen, dass sie auch wieder verschwinden könnten, da wandte sich der Bärtige wieder den Umstehenden zu. „Die gehören zu uns, für die hat die junge Dame freigehalten. Aber es kommen noch vier, und für die könntet ihr ja wohl auch noch Platz lassen!“ „Spiel dich hier nicht so auf!“, rief jemand auf der Seite. Ash und Misty entdeckten ein wenig weiter weg an der Begrenzungsmauer den Sprecher, einen alten Mann mit schütterem, grauen Haar, der auf dem Kopf eine Mütze trug, aus der der Hals eines Vogels ragte und auf dessen Brust ein großes Emblem mit dem Schrifteichen für „Kranich“ prangte. Neben ihm war ein weißhäutiger Wicht mit runden, roten Wangen und einer schwarzen Mütze, der dieselbe Tracht trug. „Und du tu nicht so als könntest du über den Platz bestimmen“, platzte der Bärtige zurück. „Für ein paar Teilnehmer aus den Finalrunden wird ihr doch wohl noch Platz sein...?“, fragte er aufgebracht. Die Menschen murmelten wieder. „Meinst du uns?“, fragte es da aus der Menge. Ein paar Menschen traten zur Seite und neben Onix erschien ein Mädchen mit hellblauem Bubikopf, das ein rotes T-Shirt und dazu eine Jacke sowie eine helle Jeans trug. Neben ihr humpelte ein schwarzhaariger junger Mann auf Krücken vorwärts, neben dem ein katzenhaftes Wesen in der Luft schwebte, und vor ihnen ging ein in einem Anzug steckendes Schwein. Hinter ihnen kam noch eine ziemlich alt aussehende Schildkröte, die bei den Anwesenden verwirrte Blicke auslöste. „Hey, ihr habt uns ja freigehalten!“, rief das Mädchen und tapste über Onix hinweg und direkt an die Absperrung. Der Mann in Krücken blieb mit der Schildkröte hilflos vor der Felsnatter stehen, während der Schweinejunge einfach darüber hinweg hopste. Die blaugelockte Frau lächelte. „Endlich seid ihr da.“ „Na, dann ist ja alles in Ordnung“, sagte der Bärtige und tippte dem kahlrasierten Jungen auf die Schulter. „Wir gucken von dahinten zu, da sieht man sowieso viel besser“, sagte er und deutete mit dem Daumen über die eigene Schulter auf die andere Seite des Rings. Der Junge nickte. „Ja, Meister“, murmelte der Kleine und sprang ihm nach. Sie eilten neben dem etwas erhöht gebauten Ring entlang bis zu der Mauer, die den Kampfplatz von den dahinter gelagerten Gebäuden für die Vorausscheidung trennte. In der Mauer war eine große Lücke, und hinter der positionierten sich die beiden. Rocko nahm seinen Pokéball wieder in die Hand und ließ Onix zurückkommen. Nachdem der Krückengänger bis zur Absperrung gehumpelt war und die Schildkröte sich an dieser hochgezogen hatte, rückten die Umstehenden ganz ruhig und gelassen noch ein Stück auf, dann schien alles geregelt und Ruhe kehrte ein. Bis das Finale begann, hatten sie noch eine Menge Zeit, weshalb schließlich ein Gespräch einsetzte. Rocko stellte sich der blaugelockten Frau überschwänglich vor, wofür ihn Misty wie üblich ins Ohr kniff. Sie und Ash machten sich ebenfalls bekannt. Anschließend stellten sich die anderen vor. Die Frau hieß Lunch und war, wie sie erklärte, die Haushälterin des Herrn der Schildkröten, eben dem Mann mit Bart und Anzug, der ihnen vorhin geholfen hatte. Die Schildkröte gehörte zu ihm und hatte keinen Namen, konnte aber sprechen. Der Mann mit Krücken stellte sich als Yamcha vor und das Mädchen mit den hellblauen Haaren erklärte, dass er im Achtelfinale gegen den jetzigen Finalisten Tenshinhan ausgeschieden war. Das Mädchen selbst war im Übrigen eine echte Berühmtheit, denn sie stellte sich als Bulma Briefs vor und war niemand Geringeres als die Tochter des Meistererfinders von der Capsule Corporation. Diese legendäre Firma hatte ein mittlerweile überall bekanntes System entwickelt, mit dem man jede Art von (egal wie großen) Gegenständen in eine handliche Kapsel einschließen und durch einen kurzen Knopfdruck wieder daraus erscheinen lassen konnte. Der Junge mit der Glatze, der jetzt hinter der Arena leise mit dem Herrn der Schildkröten sprach, hieß Kuririn, hatte am Turnier teilgenommen und war im Halbfinale gegen seinen Mitschüler Son-Goku rausgeflogen. Der Schweinejunge stellte sich als Oolong vor und schien keine nennenswerten Erfolge aufweisen zu können, das Katzenwesen zuletzt nannte sich Pool. Ash prahlte ein wenig mit seinen Erfolgen als Trainer und den bisher erworbenen vier Orden der Johto-Liga, wobei ihn Misty jedoch meist auf den Boden der Tatsachen zurückholte, bevor er zu sehr übertrieb. Dafür schilderte Bulma, wie der jetztige Finalist Son-Goku ganz allein die sagenhafte Red-Ribbon-Armee ausgeschaltet hatte, wobei Ash und Misty staunend lauschten. Rocko war die ganze Zeit merkwürdig still und blickte nur verzückt Lunch an, die seinem Blick zwar irgendwie auszuweichen versuchte, aber dann doch immer wieder schüchtern zu ihm herüberblickte. Als irgendwann ein blecherner Gongschlag erschallte, wurde es auf einmal ganz still in den Rängen der Zuschauer. Ash drängte sich ein bisschen näher an die Absperrung. Jetzt erschien ein blonder Mann mit ordentlich zurückgekämmtem Haar und einer großen Sonnenbrille, der in einem schwarzen Anzug steckte, in der Mitte des gepflasterten Kampfplatzes. In der Hand hielt er ein Mikrofon. Für einen Augenblick sorgte die Rückkopplung für ein unerträgliches Quietschen, dann hatte offenbar jemand die Anlange geregelt und der Ansager begann zu sprechen: „Meine Damen und Herren! Sie haben sich alle hier versammelt, um einem höchst seltenen Ereignis beizuwohnen! Nur alle drei Jahre wird der Beste Kämpfer auf Erden gekürt, und heute ist es wieder so weit! Begrüßen sie mit mir die beiden Finalisten! Den erst fünfzehnjährigen Son-Goku und den souveränen Kämpfer Tenshinhan!“ Lauter Jubel brach aus, als die Kontrahenten auf den Kampfplatz schritten. Son-Goku war klein, wie es schien sogar kleiner als Kuririn, trug denselben orangeroten Kampfanzug wie dieser und blickte wenig beeindruckt drein. Sein schwarzes Haar stand ihm drahtig in alle Richtungen vom Kopf ab, was ihn ein wenig strolchig wirken ließ. Sein Gegner war ein großer Mann von mindestens einem Meter achtzig an Körpergröße, der mit bloßem Oberkörper auftrat. Er war muskelbepackt und strotze selbst beim Gehen nur so von Kraft. Tenshinhan hatte einen kahlrasierten Schädel und auf seiner Stirn saß ein drittes Auge, das aufgeregt hin- und herhuschte, während er das normale Augenpaar geschlossen hielt. „Son-Goku, zeig’s dem arroganten Sack!“, schrie Bulma begeistert. Oolong stieß ein Quietschen aus, als die Blauhaarige ihn in die Mangel nahm, um ihren Anfeuerungsruf noch durch deutliche Tatkraft zu unterstützen. Yamcha stimmte in ihre Rufe mit ein. Der grauhaarige Mann mit dem Kranich-Zeichen auf dem Oberteil kreischte: „Tenshinhan, zeig’s diesem kleinen Frechdachs und zeig ihnen, wer der beste Meister ist!!“ „Ach, halten Sie die Klappe“, schrie Bulma. Sie drehte sich zu Ash und Misty. „Das ist der Herr der Kraniche, der ewige Konkurrent des Herrn der Schildkröten. Er kämpft ständig mit unfairen Mitteln, und sein Schüler Tenshinhan ist genau so.“ Yamcha nickte wehleidig. „Er hat mir das Bein gebrochen, nachdem er den Kampf sowieso schon gewonnen hatte.“ Ash schnappte nach Luft. „Das ist ziemlich gemein“, sagte Misty. „Pika-pika“, stimmte auch Pikachu zu. Die beiden begannen mit den anderen Anwesenden laut zu jubeln, als Son-Goku und Tenshinhan ein paar Meter voneinander entfernt auf dem Kampfplatz Aufstellung nahmen. Nur Rocko hatte weiterhin nur Augen für Lunch, die ihm mittlerweile hin und wieder schüchterne Blicke zuwarf, während er selig ihre Hände hielt. Der Ansager begab sich an den Rand der Arena. „Ich wiederhole noch einmal die Regeln: Gewonnen hat, wer aufgibt, über zehn Sekunden K.O. ist oder den Boden außerhalb der Arena berührt! Waffen sind nicht erlaubt! Möge der Kampf beginnen!“ Damit hob er theatralisch die Hand. Der große bronzefarbene Gong in der Mauer, die die Gebäude für die Kämpfer von der Arena trennte, wurde geschlagen und der Schall breitete sich über die ganze Insel aus. Atemlose Stille herrschte, als sich die beiden Kontrahenten ansahen. Dann ging es los. Obwohl Ash und Misty sich wenig mit den waffenlosen Kampfkünsten auskannten, war der Kampf von der ersten Minute an auch für sie faszinierend. Die Gegner nahmen sich nichts und überraschten sich immer wieder mit Finten und Tricks, die das Publikum den Atem anhalten ließen. Sie rasten in wahnsinniger Geschwindigkeit auf dem Platz hin und her und sprangen teilweise hoch in die Luft, um dort weiter aufeinander einzuschlagen. Die Kontrahenten zogen alle Register. Mitten im Kampf gab es einen unschönen Zwischenfall mit dem Herrn der Kraniche, der seinen Schüler Chao-Zu dazu angestiftet hatte, Son-Goku seiner Kraft zu berauben. Zum grenzenlosen Erstaunen, vor allem von Yamcha, war es Tenshinhan, der dem ein Ende bereitete und sich von seinem Meister distanzierte, woraufhin dieser in hohem Bogen aus dem Stadion geschmissen wurde. Damit war der Kampf jedoch lange nicht vorbei, Angriff jagte Angriff und keiner der beiden schien einen Vorteil erringen zu können. Tenshinhan war mächtig, doch Son-Goku klein und wendig und noch dazu hatte er einen Affenschwanz, der ihm allerhand überraschende Tricks erlaubte. Die Zuschauer gingen in Deckung, als Tenshinhan schließlich die mächtige Kiku-Kanone zum Einsatz brachte, eine waffenlose Technik, die den gesamten Ring in einen riesigen Krater verwandelte. Daraufhin setzten die beiden Gegner ihren Kampf in der Luft fort. Niemand konnte so richtig erkennen was los war, Unruhe brach aus. Dann schrie jemand: „Tenshinhan ist K.O.! Er fällt!“ Rufe wurden laut, und wenn man genau hinsah, konnte man in der Ferne, mehrere hundert Meter vom Stadion entfernt, eine Gestalt ausmachen, die aus großer Höhe fiel. „Nein, das ist Son-Goku!“, rief jemand anders. „Das kann er nicht sein!“, schrie Bulma feurig. „Es sind beide“, tönte die verstärkte Stimme des Ansagers über den Platz. Tausende von Köpfen drehten sich in seine Richtung. Er stand am Rand des Kraters, der einmal den Ring dargestellt hatte und sah mit einem Fernglas in den Himmel. „Sie scheinen beide ohnmächtig zu sein! Jetzt kommt es darauf an, wer zuerst den Boden berührt! Sie werden irgendwo im hinteren Teil der Insel landen!“ Die Zuschauer rumorten. Dann ging ein Ruf durch die Menge: „Wir wollen den Sieger sehen!“ Die ersten drängten Richtung Tor, und dann war auf einmal der Platz von Fußgetrappel erfüllt und das Tor zum Zuschauerraum viel zu schmal, so dass einige versuchten, stattdessen über die hohen Umzäunungsmauern zu klettern. Selbst Ash hatte es gepackt, und Misty eilte ihm aus Sorge hinterher, Bulma versprach Yamcha, ihm hinterher zu sagen, wer gewonnen hatte und raste mit Pool und Oolong im Schlepptau hinterher. Rocko blieb mit Lunch zurück, bei ihnen nur noch der fußlahme Yamcha, die Schildkröte und der hilflos dastehende Ansager. „Hatschi!“ tat es da. Rocko wollte sich zu Lunch drehen, wurde jedoch stark dadurch irritiert, dass Yamcha auf einmal trotz seiner Krücken einen großen Satz rückwärts machte. Langsam drehte er sich zur Seite. Er hielt immer noch die Hände von Lunch. Doch als er seinen Kopf komplett gedreht hatte, blitzten ihn halb zugekniffene grüne Augen an, sein Gegenüber war eindeutig blond. Sekundenlang war es ganz still. „Was fällt dir ein, meine Hände anzutatschen, du perverser Schürzenjäger!?“ Rocko ließ die Hände lieber schnell los. Die Blonde klaubte ihr Maschinengewehr vom Boden auf, das die Blauhaarige vor gar nicht all zu langer Zeit dort abgelegt hatte. „Rocko, flieh!!“, kreischte Yamcha. Das hatte dieser jedoch bereits selbst begriffen. Dem verliebten Pokémonzüchter blieb gar nichts anders übrig. „Schizophrenie?“, hakte Rocko ein wenig irritiert nach. Er saß im geräumigen Foyer des Krankenhauses von Anemonia City an einer kleinen Tischgruppe aus geflochtenem Bambus. Ihm halb gegenüber saß Bulma, die Ellbogen auf den Tisch gestützt und die Hände ineinander verschlungen, neben ihr hockte Yamcha. Letzterer schien jedoch nicht wirklich zuzuhören und starrte missmutig ins Leere. Missmutig deshalb, weil Son-Goku den Kampf auf die schmächlichste Art und Weise verloren hatte - im Fallen hatte er einen Lastwagen gestreift, was als Bodenberührung außerhalb des Ringes gezählt worden war, und so hatte Tenshinhan, der erst Sekundenbruchteile später auf dem Erdboden aufgeschlagen war, das Turnier für sich entschieden. Dass Son-Goku Tenshinhan so nicht die hinterhältige Attacke auf Yamchas Bein hatte heimzahlen können, gefiel ihm nicht. Noch weniger gefiel ihm, dass dieser sich von seinem Meister, dem Herrn der Kraniche losgesagt hatte, und um dem Ganzen die Krönung aufzusetzen, hatte er den Herrn der Schildkröten und seine Freunde für den nächsten Tag zu einem Mittagessen im besten Restaurant der Insel eingeladen, um alles wieder gut zu machen. Bei Yamcha hatte er sich jedoch mit keinem Wort entschuldigt, und so grummelte dieser nun vor sich hin und dachte darüber nach, wie er das gemeinsame Essen am besten umgehen konnte und kannte wenig Mitgefühl für Rocko. „Ja, oder zumindest so etwas in der Art. Lunch ist normalerweise die Freundlichkeit in Person und könnte keiner Fliege was zuleide tun, aber sobald sie niest, verwandelt sie sich in dieses blonde Machoweib...“ Rocko kratzte sich am Kinn. „Dann kann ich ja froh sein, dass sie vorhin gestolpert und in den Sand gefallen ist und deshalb geniest hat...“, bemerkte er besorgt. Bulma nickte todernst. „Sie hätte dich vermutlich noch tagelang weiter gejagt oder irgendwann erschossen, wenn das nicht passiert wäre.“ Rocko schluckte geräuschvoll. Er musste an Ash und Misty denken, die ihn im Pokémon-Center schon besorgt erwartet hatten, als er sich nach Lunchs zufälliger Zurückverwandlung vollkommen erschöpft von seinem Pokémon Golbat dorthin hatte bringen lassen. Er hatte ihnen den Vorfall erklärt, woraufhin ihm Misty geraten hatte, einfach die Finger von dieser Frau zu lassen. Er hatte jedoch nicht aufgeben wollen und war zu dem Hotel geeilt, zu dem er Lunch noch gebracht hatte. Vor der Tür war er Bulma begegnet, die auf dem Weg zum Krankenhaus gewesen war, und da er sie für die Vernünftigste in der Truppe hielt, hatte er eingewilligt sie zu begleiten und sich alles erklären zu lassen. Mittlerweile war er sich nicht sicher, ob er die Sache nicht einfach hätte fallen lassen sollen. „Sie ist gefährlich“, betonte Bulma noch einmal und beugte sich vor, „Zumal du kaum kontrollieren kannst, wann sie niest. Der Herr der Schildkröten ist ein guter Kämpfer und wird mit ihr fertig, aber du...“ „Ja, das verstehe ich ja“, murmelte Rocko missmutig. „Nimm’s nicht schwer, es gibt noch genügend andere hübsche Frauen“, versuchte Bulma ihn aufzumuntern und klopfte ihm über den Tisch hinweg auf die Schulter. Rocko ließ den Kopf sinken. „Es gibt so viele hübsche Frauen, aber noch nie war eine so nett zu mir wie Lunch heute“, sagte er leise. Bulma sah Yamcha an, der zuerst überhaupt nicht reagierte und als sie ihn anstieß nur nichtssagend mit den Achseln zuckte. „Denk auch dran, dass du ein Pokémontrainer bist, während Lunch ihre Zeit immer auf der Insel verbringt, auf der der Herr der Schildkröten lebt“, versuchte Bulma es auf die rationelle Tour. Rockos Kopf sackte noch tiefer. „Für sie würde ich sogar sesshaft werden“, jammerte er. „Sag so was nicht. Der Herr der Schildkröten würde dich ewig schikanieren und Lunch würde dich abwechselnd zum Teufel jagen und gern haben. Das würdest du doch nie aushalten.“ Rocko stand mit gesenktem Kopf auf und hielt sich die Faust vor das Gesicht. „Du hast ja recht“, krächzte er. „Ich dachte nur...“ Ohne ein weiteres Wort verschwand er aus dem Hotel. „Er tut mir echt leid...“, sagte Bulma besorgt. „Dem wird es leid tun, wenn er sich nicht morgen entschuldigt“, grummelte Yamcha. Bulma sah ihn an und legte den Kopf schief. Offenbar hatten sie von verschiedenen Dingen gesprochen. Ash beugte sich vor und rüttelte vorsichtig an dem älteren Pokémonzüchter mit dem stacheligen Haarschopf, der sich unruhig in seinem Schlafsack hin und herwälzte. „Rocko, es ist Morgen! Wach auf!“, sagte er. „Pika-Pika?“ Ash schüttelte den Kopf und erklärte dann genervt: „Hör mal, entweder du wachst jetzt auf oder ich sage Pikachu, dass es seinen Donnerschock einsetzen soll.“ Der Schlafende reagierte nicht darauf, doch bevor Ash Pikachu etwas sagen konnte, saß er auf einmal kerzengerade und stieß einen lauten Schrei aus. Ash fuhr erschrocken zurück. „Rocko?“, fragte er verwirrt. Der brauchte ein paar Sekunden zur Orientierung und erkannte dann seinen Freund. „Ich bin tot“, brachte er hervor. Ash kniff zweifelnd die Augen zusammen. „Ich habe geträumt, Lunch hätte mich erschossen“, erklärte Rocko weiter. Seine Haare lagen ihm platt am Kopf, unter seinen Augen klafften dunkle Ringe und seine Wangen schienen blasser als sonst. In einem solchen Zustand hatte Ash ihn noch nie erlebt. „Ähm, hör mal, es ist schon fast Mittag, du hast ganz schön lange geschlafen. Deshalb wollte ich eigentlich gleich in die Arena“, setzte Ash an. Rocko nickte fahrig und schälte sich aus seinem grünen Schlafsack. „Geh schon mal vor“, murmelte er. Ash gefiel das nicht, aber er ließ Pikachu auf seine Schulter hüpfen und tat wie geheißen. Die Arena von Anemonia City war fast wie ein Karate-Dôjô aufgebaut, hatte ein japanisches, abgeflachtes Dach aus schwarz lackierten Ziegeln, war aus Holz aufgebaut und das Innere wurde von einer quadratischen, mit Holz ausgelegten Kampffläche bestimmt. Der Arenaleiter Hartwig war ein leicht untersetzter Mann Mitte vierzig mit einem knochigen Gesicht und einem wild wuchernden Bart, der sich sofort zu einem Pokémonkampf bereit erklärte. Der Kampf sollte mit maximal zwei Pokémon pro Trainer ausgetragen werden. Während Ash seine Pokébälle betrachtete, um seine zwei Kämpfer auszuwählen, fragte Misty, die mit Rocko am Rand der Arena stand: „Meinst du, er schafft das?“ „Weiß nicht...“, murmelte Rocko teilnahmslos. Misty musterte ihn verwirrt. „War ist denn mit dir los? Zu wenig geschlafen?“ „Ich bin die ganze Nacht ständig wieder aufgewacht, weil ich Albträume hatte“, gab der Ältere ohne Umschweife zu. „Von dieser Lunch?“ „Hmh-hmh...“ „Ich hab’s dir ja gesagt.“ Rocko knirschte nur hilflos mit den Zähnen. „Und es geht los!“, dröhnte jetzt einer der Schiedsrichter von der Pokémon-Arena. Misty hob den Kopf, Rocko interessierte es jedoch nicht im Geringsten, ob sein Freund den Kampf gewinnen würde oder nicht. Missmutig ließ er sich im Schneidersitz auf dem Boden nieder. Die Rothaarige betrachtete ihn besorgt, da sie jedoch auch nicht wusste, wie sie ihn aufmuntern konnte, drehte sie sich wieder dem Kampf zu. In Rockos Innern war es finster. Er hatte schon viele Frauen getroffen und sie alle hatten in ihm Begeisterung hervorgerufen, doch eine wie Lunch hatte es noch nie gegeben – sie war hübsch, freundlich und ein wenig schüchtern, und sie mochte ihn auch, das hatte er gespürt, als sie während des Kampfes von Son-Goku und Tenshinhan ihre Hände in seine gelegt hatte. Mit Vernunft war es nicht zu begründen, aber er wusste es einfach, sie war die Richtige. Warum musste ausgerechnet so jemand wie sie so eine seltsame Eigenschaft haben, warum sich in eine blonde Furie verwandeln, sobald ihr ein Staubkorn zuviel in die Nase flog? Die Erkenntnis, dass das, was Bulma ihm gesagt hatte, vollkommen vernünftig und richtig war, schmerzte. Nie hatte ihn ein gebrochenes Herz so sehr geschmerzt wie an diesem Tag. Er wusste nicht so recht, warum er aufsah. Es war auf jeden Fall nicht Ash, der Pikachus Namen durch die halbe Arena schrie, als dieses von einem Duplexhieb des gegnerischen Quappo getroffen zu Boden ging. Erst sehr viel später konnte er sagen, dass es wahrscheinlich ein Duft gewesen war. Er hob den Kopf gerade in dem Moment, als sich die Schiebetür der Arena ein paar Meter von ihm entfernt öffnete und niemand geringeres als Lunch, die blaugelockte, liebliche Lunch, die Arena betrat. In der Hand hielt sie ein Holztablett, auf dem ein einfacher, mit Puderzucker bestäubter Gugelhupf stand. Vor Mund und Nase hatte sie sich ein weißes Tuch geknotet. Sie sah einmal in die Runde, wo Ash sein verletztes Pikachu auf den Armen aus dem Kampfbereich der Arena getragen hatte und sich gerade anschickte, sein nächstes Pokémon in den Kampf zu entsenden. Dann entdeckte sie Rocko, ihre Augen weiteten sich in Freude und ihre Wangen färbten sich rosa. „Rocko!“, nuschelte sie in ihren Mundschutz und kam eilig auf ihn zu. Misty sah Rocko verblüfft an, dann grinste sie jedoch und machte der Blauhaarigen Platz. Diese hockte sich vor den staunend zu ihr aufsehenden Pokémonzüchter und hielt ihm den Kuchen hin. „Entschuldigung“, sagte sie gedämpft. Rocko sah ungläubig zwischen ihr und dem Kuchen hin und her. „Lorblatt, Bodyslam!“, rief Ash weiter hinten und Misty jubelte verhalten. Rocko war das egal, stattdessen fragte er: „Hast du den extra für mich gebacken?“ Die Blauhaarige nickte und ihre Wangen wurden noch einen Deut röter. „Oh Mann...“, murmelte der Junge. „Ich habe mir sogar das Tuch umgebunden, damit ich auf keinen Fall niese“, erklärte Lunch leise. Er wäre ihr um den Hals gefallen, wenn er damit nicht den Kuchen akut gefährdet hätte. Es war der schönste Moment im Leben Rockos, als Lunch ihm vorsichtig ein Stück des Kuchens abschnitt und ihn kosten ließ. Es war das Beste, was er je in seinem Leben gegessen hatte. Und noch viel schöner war es, wenn sie ihn ansah und damit sein Herz zum Schlagen brachte. Als Ash gerade seinem Lorblatt befahl, das gegnerische Maschock mit Rasierblatt anzugreifen, öffnete sich die Schiebetür mit einem regelrechten Knall. Ein Schrei ertönte. „Lunch!?“ Die Angesprochene, die neben Rocko gehockt hatte, sprang auf. Eine aufgelöst und panisch wirkende Bulma raste an Misty vorbei zu ihr, packte sie an den Händen und versuchte ihren Atem zurückzugewinnen. „Ein Glück... ich dachte, du wärst...“, brachte sie hervor. Rocko erhob sich langsam und sah sie ernst an. „Was ist passiert?“, fragte er. „Ich habe gewonnen!“, tönte Ash weiter hinten. „Ash, sei still! Irgendwas ist passiert“, sagte Misty ärgerlich und machte eine Kopfbewegung hin zu Bulma, die ihren Atem langsam unter Kontrolle bekommen hatte. „Kuririn ist... Kuririn ist tot“, sagte sie. Stille breitete sich über die Arena aus. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, so ruhig war es. Ash fand zuerst seine Stimme wieder: „Was meinst du damit, tot?“ Bulma trat einen Schritt zurück und holte tief Luft. „Jemand hat ihn getötet, als er den Dragonball von Son-Goku aus dem Nebengebäude der Arena holen wollte... Der Ringrichter ist auch tot... und es fehlen der Dragonball und die Teilnehmerliste vom Turnier... Son-Goku ist aufgebrochen... um den Mörder zu finden...“ „Wer tut denn so etwas?“, fragte Lunch leise. „Am Tatort war das Wappen des Oberteufels Piccolo... Der Herr der Schildkröten hat wohl schon einmal mit ihm gekämpft...“, murmelte Bulma. „Hey, was bedeutet das?“, fragte Rocko. Bulma sah ihn ernst an. „Wie es aussieht, will dieser Oberteufel sich für eine frühere Niederlage rächen und die stärksten Kämpfer der Welt auslöschen. Wir vermuten, dass er die Teilnehmer der Liste nach umbringen will. Der Herr der Schildkröten und Tenshinhan wollen versuchen, die Dragonballs zu finden, um Kuririn wiederzubeleben, und Yamcha muss dringend in Sicherheit gebracht werden, schließlich steht er auch auf der Liste.“ Lunch senkte den Kopf. Ash und der Arenaleiter Hartwig kamen vorsichtig zu der Gruppe dazu und schwiegen betreten. „Was sind denn diese Dragonballs?“, hakte Ash schließlich nach. „Magische Kugeln, die einen Wunsch erfüllen können, wenn man alle sieben von ihnen findet“, führte Bulma knapp aus. Sie sah Lunch an. „Ich sollte dich holen, damit wir so schnell wie möglich zur Schildkröteninsel aufbrechen können.“ Alle drehte sich um, als Schritte ertönten und der Herr der Schildkröten selbst vom Eingang auf sie zugestapft kam. „Wo bleibt ihr, Mädchen? Wir müssen weg“, grummelte er ernst. Bulma nickte und machte einen Schritt auf ihn zu. Lunch wollte ihr zögernd folgen doch da machte Rocko zwei entschiedene Schritte vorwärts und baute sich vor dem alten Kampfsportmeister auf. „Ich werde bei Lunch bleiben“, verkündete er mit deutlicher Stimme. Lunch errötete, doch der Alte zog seine Augenbrauen zusammen. „Du?“, fragte er. „Hör mal, wir haben es hier mit mächtigen Kämpfern zu tun. Für dich ist das eine Nummer zu groß. Vergiss es.“ „Ich will sie beschützen!“, rief Rocko. Misty trat von hinten an ihn heran. „Rocko, sei vernünftig. Mach jetzt keine unüberlegten Sachen!“ Rocko drehte sich um. Sonst die Ruhe in Person wirkte er jetzt sehr entschlossen und ärgerlich. „Ich war mir noch nie über etwas so sicher! Ich kann Lunch nicht einfach ziehen lassen, schon gar nicht, wenn ein verrückter Mörder hier sein Unwesen treibt!“ Nun mischte sich Ash ebenfalls ein: „Gerade deshalb sollten wir schnell hier weg. Wir haben mit dem Turnier nichts zu tun, keiner hat es auf uns abgesehen... Ich habe den Orden, wir nehmen die nächste Fähre und reisen dann von Oliviana City aus weiter!“ Rocko schüttelte sofort den Kopf. „Tut ihr das. Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss!“ „Rocko, das ist zu gefährlich!“, versuchte Misty zu beschwichtigen. Auch Pikachu sah ihn flehend an. Er jedoch drehte sich wieder zum Herrn der Schildkröten und machte eine tiefe Verbeugung. „Nehmen Sie mich mit“, bat er. „Abgelehnt“, gab der Alte zurück. „Das kommt nicht in Frage. Du wärst nur ein Klotz am Bein für alle!“ „Ich kann kochen!“, gab Rocko zurück. „Das kann Lunch auch“, blaffte der Alte, „und außerdem geht es nicht darum!“ Rocko sah hilfesuchend Lunch an, die den Blick traurig erwiderte. In ihren Augen konnte er sehen, das auch sie nicht für eine Trennung war, doch was sollten sie tun, wenn der Herr der Schildkröten selbst dagegen war? Rocko schwieg, und Bulma sagte leise: „Wir sollten uns wirklich beeilen, die anderen warten.“ Rocko scharrte hilflos am Boden und stieß dabei mit der Hacke gegen den Kuchen. Er drehte sich halb um und hob das Backwerk vom Boden auf. „Hey, Rocko, sie gehen“, sagte Misty mitleidig. Er riss den Kopf hoch und sah, dass Bulma, der Herr der Schildkröten und eine sich traurig noch zu ihm umdrehende Lunch schon fast an der Tür waren. „Wartet!“ Rocko eilte auf sie zu. Lunch blieb stehen und folgte verblüfft seiner Hand mit den Augen, als er ihren Mundschutz zur Seite schob. Dann pustete er vorsichtig auf den Kuchen. Puderzucker verteilte sich in der Luft. Der Herr der Schildkröten hielt an der Tür inne und starrte Rocko ungläubig an. Lunch sah Rocko an, der sie über den Kuchen hinweg anlächelte, dann atmete sie kurz ein und aus ihr brach ein Niesen hervor, das die Arena erzittern ließ. Ihr Haar färbte sich in Sekundenschnelle zu einem Platinblond. Die blonde Furie sah Rocko an. „Ich komme mit dir, selbst, wenn es gefährlich ist“, erklärte er ungewöhnlich selbstsicher. Sie grinste. „Du hast ja doch Mumm, gefällt mir!“, erklärte sie und drehte sich zum Herrn der Schildkröten um. Dieser schluckte. „Hey, es ist unvernünftig. So einer wie der will dich beschützen? Noch dazu vor den Attentätern des Oberteufels Piccolo? Er spinnt!“, brachte er hervor, doch er fühlte sich zunehmend unwohl in seiner Haut, wie an dem dünnen Schweißtropfen an seiner Stirn zu erkennen war. Lunch machte einen selbstsicheren Schritt auf ihn zu. Mit einer flinken Handbewegung klaubte sie sich eine der Kapseln, die die perplex dastehende Bulma an ihrem Gürtel trug und drückte darauf. Eine Maschinenpistole erschien in ihren Händen. Schneller als sie alle gucken konnten, hatte sie den alten Kampfsportmeister zu Boden geworfen und hielt ihm den Lauf ihrer Waffe an die Stirn. „Er kommt mit, oder es knallt“, drohte sie. Jeder im Raum wusste, dass sie nicht scherzte. „O- okay, er darf mit...“, murmelte der Herr der Schildkröten, „Wenn wir nur schnell hier wegkommen.“ Die Blonde grinste triumphal und nahm die Knarre weg. Der Alte kam vorsichtig wieder auf die Beine. „Rocko, du willst wirklich...?“, fragte Misty. Er bejahte. „Tut mir leid, Leute, aber ich muss einfach. Ich melde mich beizeiten bei Professor Eich, dann kann er euch was von mir ausrichten, ja?“ Die beiden Pokémontrainer nickten unruhig. Lunch, die blonde Furie, wie er sie selbst noch zuvor in Gedanken bezeichnet hatte, zeigte ein zufriedenes, hartes Lächeln. „Los, komm schon, wir müssen los“, sagte sie. Rocko nickte entschlossen und folgte ihr, Bulma und dem Herrn der Schildkröten aus der Arena. Ash und Misty blieben stumm stehen und sahen auf die Tür, durch die die Sonne viel zu hell hereinschien und einen goldenen Streifen über die Arena zog. „Pika...“, sagte Pikachu leise und schmiegte sich näher in Ashs Arme. Dass es mit seinen Verletzungen noch zum Pokémon-Center gebracht werden musste, hatte der junge Trainer mittlerweile fast verdrängt. Irgendwo in der Ferne hörten sie das Geräusch eines hubschrauberähnlichen Fluggeräts. Sie wussten, dass Rocko darin saß, und dass sie ihn vielleicht nicht wiedersehen würden. Hartwig trat zu ihnen und legte jedem eine seiner groben Hände auf die Schultern. Das Geräusch wurde immer ferner, bis es schließlich vollständig verklang. Es wurde ganz still, bis Togepi leise zu trillern begann, sorglos und fröhlich wie immer. Kapitel 34: Pisard und Isis - Um Leben und Tod ---------------------------------------------- Von TUT MIR LEID, dass das Kapitel jetzt erst kommt. Ende Mai hatte ich eine Menge Stress in der Schule und musste es daher immer wieder aufschieben. Mein kleines Krea-Tief war auch nicht gerade hilfreich... Aber jetzt bin ich endlich fertig und als Entschädigung ist die Geschichte fast doppelt so lang wie meine sonstigen Kapitel ;) Dies Mal gab es eine wirklich sinnvolle Bedingung für das Paar: beide sollten Single sein. So muss man wenigstens keine bereits vorhandenen Bindungen zerstören und die Beziehung hat die Chance auf ein Happy End. Aber diese beiden würden wahrscheinlich auch niemals die Beziehung von irgendwem zerstören, denn beide interessieren sich eigentlich nicht wirklich für Liebe... Ich hoffe, die Geschichte gefällt euch und ist nicht allzu unrealistisch =) Es war wirklich schwer, Pisard freundlich handeln zu lassen! Um Leben und Tod Isis atmete tief ein, während sie durch die geräumigen Hallen des ägyptischen Museums schlenderte, das sie vor wenigen Wochen hier in Domino eröffnet hatte. Trotz der noch recht frühen Tageszeit hatten sich schon einige Besucher eingefunden, die nun interessiert die Exponate der Ausstellung über altägyptische Spiele betrachteten. In diesem Abschnitt wurden die Funde ausgestellt, die auf den Beginn der ägyptischen Hochkultur datiert waren. Diese bestanden im Grunde nur aus Steinen und Knochen, dennoch schienen selbst sie die modernen Menschen auf irgendeine Weise zu faszinieren. Die Museumsdirektorin mit dem langen schwarzen Haar durchschritt eine breite Tür und betrat ihren persönlichen Lieblingsraum. Dieser behandelte ein magisches Spiel, das vor dreitausend Jahren für gewaltige Veränderungen in Ägypten gesorgt hatte: die Grundlage für das heutige Kartenspiel Duel Monsters. Damals waren viele Menschen gestorben, getötet durch die Angriffe der übermächtigen Monster, die schließlich von Priestern in Steintafeln gebannt worden waren, aus denen sie nur noch im Ernstfall befreit werden sollten. Gerade, als Isis eine dieser Tafeln genauer betrachten wollte, die sie mit ihrer Mannschaft in einem Tal nahe des Nils gefunden hatte, wurde eine Tür geöffnet und eine schwatzende Schülergruppe in rotbraunen Uniformen kam hereingeströmt. Isis trat an die Wand zurück, um den Mittelschülerinnen nicht den Blick auf die Ausstellung zu nehmen. Lächelnd betrachtete sie die Mädchen, die aufgeregt um die Glasvitrinen herumstanden. Als sich eine von ihnen nach vorne stellte und sich räusperte, waren sie mit einem Mal ruhig. Anscheinend waren sie alle wirklich am Thema dieser Ausstellung interessiert, denn jede einzelne hing an den Lippen ihrer schwarzhaarigen Mitschülerin, als diese ihr Wissen über das Ausstellungsstück kundtat. Isis war positiv überrascht, wie viel dies war. Zwar waren schon einige Schülergruppen hier gewesen, doch es hatte noch niemanden gegeben, der sich im voraus so detailliert informiert hatte. Nach einer Weile hatten die Mädchen sich alles angeschaut und strömten weiter in den nächsten Raum. Die Tür, die zu diesem führte, wurde von einem jungen Mann flankiert, der in seinem schwarzen Anzug so aussah, als gehöre er zum Personal. Doch Isis kannte jeden einzelnen der Mitarbeiter, und diesen hier hatte sie noch nie gesehen. Mit seinem zu allen Seiten abstehenden, grau-blauen Haar und den sichtbar geschminkten Augen hätte sie ihn wahrscheinlich sowieso nicht eingestellt. „Entschuldigen Sie“, sprach sie ihn daher mit strengem, aber höflichem Ton an. Der Mann, der immerhin fast einen Kopf größer war als sie, sah mit einem überfreundlichen Geschäftslächeln zu ihr herab. „Kann ich Ihnen helfen?“, fragte er und deutete eine Verbeugung an. Isis erwiderte sein Lächeln nicht, sondern sagte: „Das wollte ich Sie auch gerade fragen. Was tun Sie hier?“ Ihr strenger Tonfall tat seinem freundlichen Ausdruck keinen Abbruch. Er erwiderte: „Ich bin Mitarbeiter dieses Museums.“ „Sind Sie nicht.“ Isis sah ihn durchdringend an. „Pisard“, fügte sie noch hinzu, als er nach dem ersten Satz keinerlei Erstaunen zeigte. Dieses stellte sich aber ein, nachdem sie seinen Namen genannt hatte. Sie lächelte wissend und spürte das geheimnisvolle goldene Artefakt, das sie um den Hals trug, noch deutlicher auf ihrer Haut. „Haben sich meine großen Taten etwa schon so herumgesprochen, dass Sie meinen Namen kennen?“, fragte Pisard mit einem lauten, hochmütigen Lachen. „Von großen Taten dürfte in Ihrem Fall wohl kaum die Rede sein“, widersprach Isis mit seelenruhiger Stimme. Mithilfe ihrer Kette hatte sie gerade einen kurzen Einblick in das Leben des Mannes gewonnen. Er lebte in der Finsternis, von seinen Mitbewohnern entweder ignoriert oder gepiesackt, und dennoch hielt er sich für unbesiegbar, auch wenn er bisher keinem der Aufträge seines Herrn hatte gerecht werden können. Pisard verschränkte die Arme und sah sie verärgert an. Sie erwiderte seinen Blick abwartend, doch als er schwieg, begann sie wieder zu sprechen: „Ich würde dennoch gerne ein kleines Gespräch mit Ihnen führen.“ Er stieß ein kurzes, höhnisches Lachen aus. „Warum sollten Sie das wollen? Haben Sie sich etwa mit Pretty Cure verbündet? Sähe den Gören ähnlich, so jemanden für ihre Zwecke zu gewinnen.“ „So jemanden? Wie meinen Sie das?“, fragte Isis spitz. Sie konnte seine Absichten und Gedanken zwar leicht durchschauen, aber da sie begann, diesen Pisard interessant zu finden, verließ sie sich auf die herkömmliche Methode. Pisards Mundwinkel verzogen sich zu einem höhnischen Lachen. „Es kommt mir so vor, als wüssten Sie ganz genau, was ich meine.“ „Ist das so?“, fragte sie. „Allerdings“, bestätigte er. „Wenn Sie das schon bemerkt haben, kann ich Ihnen ja noch etwas sagen: Ich kann auch in die Zukunft sehen.“ Pisard hob die Augenbrauen. „Das wird wohl kaum funktionieren“, äußerte er Zweifel. „Das Gefühl hatte ich bisher nicht“, erklärte Isis mit ruhiger Stimme, die zu signalisieren schien, dass sie ihn nicht ernst nahm. Dies war aber durchaus nicht der Fall, denn sie war sehr interessiert an den mysteriösen Aussagen ihres Gegenübers. „Es gibt keine Vorherbestimmung, wie sollte man also etwas im Voraus sehen können?“, fragte er. Isis lächelte über diese simple Art der Argumentation. Das Gegenteil ließ sich so leicht beweisen. „Sie werden erneut gegen Pretty Cure verlieren“, war das einzige, was sie noch sagte, dann drehte sie sich auf dem Absatz herum und verließ den Saal, ohne auf die empörten Rufe Pisards zu reagieren. Empört war im Grunde viel zu wenig, um die Gefühle des Abkömmlings der Dotsuku-Zone zu beschreiben, als er von einem muskulösen Mann im schwarzen Anzug unsanft am Arm gepackt und aus dem Gebäude gezerrt wurde. Er war zum einen stinkwütend – immerhin hatte diese Frau sich schamlos über ihn lustig gemacht – und außerdem komplett verwirrt. Wie konnte sie – deren Namen er nicht einmal kannte – so viel über ihn wissen? „Von großen Taten dürfte in Ihrem Fall wohl kaum die Rede sein.“ Mit wutverzerrtem Gesicht erinnerte Pisard sich an das, was sie gesagt hatte. Sie hatte ihn so beleidigend und herablassend behandelt, obwohl sie ihm zum ersten Mal begegnet war. Doch hätte sie so etwas überhaupt zu einem Unbekannten sagen können? Und als er Pretty Cure erwähnt hatte, hatte sie nicht das geringste Anzeichen von Erstaunen gezeigt und war auf einen völlig anderen Teil seiner Aussage eingegangen. Woher kannte sie Pretty Cure? War sie tatsächlich mit ihnen verbündet, wie er es während des Gespräches schon vermutet hatte? Egal, wie oft er den Wortwechsel in seinem Kopf Revue passieren ließ, fand er keinen Anhaltspunkt, der ihm irgendeine Verbindung zu Pretty Cure signalisierte. Auch hatte sie ihm nicht so feindlich entgegengestanden wie die beiden Mädchen, mit denen er es seit einiger Zeit zu tun hatte. Was sie tat, war noch schlimmer, auch wenn Pisard noch vor einer Stunde nicht geglaubt hätte, dass es etwas Schlimmeres und Demütigenderes gäbe als von zwei kleinen, dummen Mädchen besiegt zu werden. Doch diese Kettenfrau – wie er sie spontan in Erinnerung an ihr glänzendes Schmuckstück und ihren fesselnden Auftritt nannte – hatte ihn behandelt, als sei er nichts als ein völlig unintelligenter, planloser und fanatischer Bösewicht. „Ich werde Pretty Cure schon noch besiegen, lass dir das gesagt sein!!!“, schrie er in Richtung des Museums und erhob drohend seine Faust. Zu einer Faust verkrampft waren Pisards Finger auch drei Stunden später, als er im Schatten der am Bahnsteig versammelten Menschenmenge die zwei Mädchen beobachtete, die er heute endlich besiegen würde. Sie waren unbeschwert und unachtsam. Es würde ein Leichtes sein, ihnen die Prismasteine abzunehmen, die der Herr der Dotsuku-Zone so dringend benötigte. Pisard lachte leise in sich hinein. Heute würde er endlich die Belohnung für all seine Anstrengung erhalten. Schon bald würde er nicht mehr nur Pisard, sondern die Rechte Hand des großen Jaaku King sein! Die anderen würden ihn nicht mehr verhöhnen, sie würden mit neidischen Blicken zu ihm aufsehen... Mit dieser Vorstellung fest im Kopf verankert, schlüpfte der Weißhaarige gerade noch in die ohnehin überfüllte Bahn, die die Mädchen ebenfalls gerade bestiegen hatten, um nach Hause zu fahren. Sie würden niemals dort ankommen, dessen war Pisard sich gewiss. Mit einem lauten Lachen, das die Umstehenden erschrocken zusammenfahren ließ, verwandelte er sich in seine wahre Form, die ihm tausendmal lieber war als der schwache Menschenkörper. Seine ohnehin unbändigen Haare wuchsen in rasender Geschwindigkeit, bis sie ihm fast bis zu den Knien reichten; seine gewöhnliche Geschäftskleidung verwandelte sich in einen hautengen roten Lederanzug, der seinen gestählten Körperbau betonte, und ein langer Umhang, der in der Enge des Zuges seine wallende Pracht nicht entfalten konnte, schoss aus den mächtigen Armklappen hervor, die sich soeben über seinen Schultern gebildet hatten. „Zakenna!“, rief er so laut, dass selbst die müdesten Geschäftsmänner aus ihrem Schlaf erwachten, und riss bedeutungsvoll den Arm in die Höhe. „Zeig ihnen die alles vernichtende Macht der Dunkelheit und des Bösen!“ Wäre nicht ein Dach über ihm gewesen, hätte er die schwarzen Wolken sehen können, die sich nun am Himmel zusammenzogen. Die Leute, die bis eben noch direkt neben Pisard gestanden hatten, hielten nun einen ehrfurchtsvollen Abstand von ihm, indem sie sich noch enger an die anderen Fahrgäste drängten. Die Pretty Cure-Mädchen am anderen Ende des Waggons sahen sich fragend an. Pisard lachte, als er ihre scheinbar ausweglose Situation analysiert hatte: Sie konnten sich nicht vor all diesen Menschen verwandeln und damit ihre geheime Identität preisgeben. Andererseits mussten sie aber auch die armen, unschuldigen Menschlein retten, die nun Pisards Kraft und der des gerade auftauchenden Monsters unter seiner Kontrolle ungeschützt ausgesetzt waren. „Zakennaaaa!“, dröhnte die tiefe Stimme des Wesens aus allen Richtungen. Die unwissenden Menschen blickten ängstlich umher, konnten jedoch den Ursprung des Lautes nicht ausmachen. Auf einmal erbebte der ganze Zug und alle seine Wände verfärbten sich in ein düsteres lila-schwarz. An der Wand hinter den beiden Pretty Cures öffneten sich gelbe, scheinwerfergroße Augen und die dort befindliche Tür sprang mit einem lauten Knall auf und sog Luft und lose Gegenstände in sein undurchdringlich finsteres Inneres. Sofort drängten die Menschen in die entgegengesetzte Richtung, wobei ein kleiner Junge gegen Pisard geschubst wurde. Dieser stieß ihn brutal zurück und rief: „Berühr’ mich nicht, du niederes Wesen!“ Als er ihm gerade noch einen Tritt verpassen wollte, sprangen Pretty Cure dazwischen und fingen seinen Fuß ab, den er ihrem festen Griff sofort entzog. Anscheinend hatten sie in dem ganzen Durcheinander doch eine Gelegenheit gefunden, sich zu verwandeln. „Ihr besiegt mich nicht!!!“, brüllte Pisard, wobei er an die Kettenfrau denken musste, die ihm das genaue Gegenteil prophezeit hatte. Der Gedanke an sie steigerte seine Wut ins Unermessliche und er befahl Zakenna, die Mädchen ein für alle Mal auszuschalten. Sein Schützling schlug sich gut, er schien trotz seiner Dummheit endlich begriffen zu haben, um was es ging. Ja, worum eigentlich? Worum ging es Pisard bei diesem Kampf? Es war nicht mehr nur der Kampf um die Prismasteine, sondern viel eher der Kampf um sein Selbstbewusstsein und darum, zu beweisen, dass diese Frau Unrecht gehabt hatte. Er würde es beweisen und dann würde er über sie lachen können und ihr damit dieses selbstsichere Lächeln aus dem Gesicht wischen. Das war es, was er wollte, genau das. Und dafür leistete sich auch Zakenna nun einen erbitterten Kampf gegen die Mädchen, gegen die bisher kein Kraut gewachsen gewesen war. Doch – man konnte schon fast „wie immer“ sagen – schließlich gewannen sie neue Kraft, woher auch immer, und besiegten Pisards Monster mit ihrem Marmorstrahl, dessen Helligkeit seine Augen so sehr strapazierte, dass er sie mit dem Arm bedecken musste, während er mit einer schnellen Teleportation den Schauplatz verließ. Es gab nur eine Erklärung für seine erneute Niederlage... „Du hast mich verflucht, du verdammte Hexe!!!“ Isis ließ sich in Seelenruhe auf ihrem Bürostuhl nieder und forderte den erzürnten Mann mit einer Geste auf, ihr gegenüber Platz zu nehmen, was er aber schlichtweg ignorierte. Seine Fäuste zitterten vor Wut, als er in das ausgeglichen lächelnde Gesicht der Kettenfrau blickte. „Wie wäre es mit etwas mehr Höflichkeit?“, fragte sie und lehnte sich entspannt zurück. Obwohl sie damit noch weiter unter seine Augenhöhe sank, tat diese Bewegung ihrem selbstsicheren Auftritt keinen Abbruch. „Sie haben mir noch nicht einmal gesagt, weshalb sie mich ein erneutes Mal aufgesucht haben“, brachte sie zum Ausdruck und sah ihn auffordernd an, auch wenn sie die Antwort schon in dem Moment gesehen hatte, als er mit lautem Gebrüll in ihr Büro gestürmt war. „DU HAST MICH VERFLUCHT!!!“, wiederholte Pisard in so einer enormen Lautstärke, dass der schwere Schreibtisch, der sie voneinander trennte, leicht zu zittern begann. „Das habe ich nicht“, bestritt Isis ruhig. „Wie kommen Sie auf diese Idee?“ „Wenn du nicht gesagt hättest, dass ich verlieren würde, hätte ich GEWONNEN!!!“, schrie er und schlug beim letzten Wort zur Bekräftigung auf den Tisch, der leise knackte. „Hätten Sie nicht. Ich bin keine Hexe, sondern eine Frau, der von einem magischen Gegenstand die Gabe zur Zukunftsvision geschenkt wird. Ich kann sehen, was in der Zukunft passiert, aber beeinflussen kann ich es nicht. Niemand kann das Schicksal verändern.“ „Es gibt kein Schicksal!“, verkündete Pisard erbost seine Meinung. Isis lächelte. „Es gibt Dinge, von denen Sie nicht wissen können oder vielleicht auch nicht wissen müssen, aber dies ist gewiss: das Schicksal existiert und es war das Ihre, an diesem Tag gegen Pretty Cure zu verlieren. Und so wird es auch beim nächsten Mal sein.“ Für einen Moment trafen sich ihre Blicke, doch Pisard konnte es nicht ertragen, in diese tiefblauen Augen zu sehen, die versuchen zu schienen, ihn von dem gerade Gesagten zu überzeugen. Er blickte in eine andere Richtung. „Sie werden sterben, Pisard. Der nächste Kampf wird Ihr letzter sein.“ Diese Aussage brachte den Weißhaarigen aus der Fassung. Für einen Moment starrte er Isis mit offenem Mund an. Doch dann verzogen sich seine Mundwinkel zu einem höhnischen Lachen. „Es wird dir nicht noch einmal gelingen, mich zu manipulieren.“ „Ich manipuliere Sie nicht.“ „Selbst wenn nicht, dieses Mal wird ihre Vorhersage falsch sein.“ „Woher wollen Sie das wissen? Sie kennen das Schicksal nicht so gut, wie ich es tue.“ „Ich brauche nichts so Sinnloses zu kennen. Es genügt mir, meine Kampftaktiken zu kennen. Ich werde nicht sterben.“ „Doch, das werden Sie.“ Pisards Lächeln wurde breiter. „Wetten wir?“ Isis gelang es besser, ihre Überraschung zu verbergen als zuvor Pisard. Langsam erhob sie sich und wandte sich einem Gemälde an der Wand zu, da sie es nun für ungefährlich hielt, dem anderen den Rücken zuzukehren. „Worum wollen Sie wetten?“ Mit einem langen Schritt war er hinter ihr und legte seine Hand seitlich auf ihren Hals und ihre Millenniumskette. Seine kalten, weißen Finger an ihrer Haut ließen Isis leicht zusammenzucken, was er glücklicherweise nicht bemerkte. „Diese Kette ist interessant“, sagte er und Isis spürte einen Hauch seines ungewöhnlich kalten Atems an ihrem Ohr. Die Situation wurde ihr allmählich unangenehm, daher drehte sie sich herum und ließ seine Hand von ihrer unbedeckten Schulter gleiten. „Welch eine Ironie“, stellte sie fest und lachte. „Sie wollen beweisen, dass es kein Schicksal gibt und als Belohnung wünschen Sie sich die Kette, die genau dieses vorhersieht?“ Auch Pisard lachte. „Ich habe ganz einfach eine Vorliebe für alles, was glänzt.“ Isis' Blick fiel auf den länglichen, grünen Kristall, der an einem Lederband baumelnd auf seiner Brust lag. „Das ist offensichtlich.“ „Und? Was hättest du gerne?“, fragte er keck. Sie streckte ihre Hand nach dem magischen Stein aus, um ihn zu berühren, streckte dann aber doch nur den Zeigefinger aus. Bloß keine unnötigen Berührungen. Dieser Mann war ihr nicht geheuer. „Wie willst du ihn dir holen? Pretty Cure sind nicht der richtige Gegner für solch eine zierliche Frau“, äußerte Pisard Zweifel, seinen Mund immer noch zu einem Lächeln verzogen. Isis verschränkte die Arme und sagte geheimnisvoll: „Machen Sie sich keine Sorgen. Ich habe meine Methoden.“ Pisard war von Finsternis umgeben. Normalerweise störte ihn dieses tiefe Schwarz nicht, das seine Heimat ausmachte, doch an diesem Tag schien es ihn förmlich zu erdrücken. Er hatte sich in der Dotsuku-Zone doch immer so wohl gefühlt. Was war geschehen, dass seine Empfindungen sich so plötzlich ins Gegenteil verkehrt hatten? Er wollte es nicht wahrhaben, aber ein Teil von ihm war sich sicher, dass es mit dieser Kettenfrau zu tun hatte, deren Namen er noch immer nicht kannte. Sie hatte etwas in seinem Inneren in Bewegung gebracht, einen Schwall von Gefühlen heraufbeschworen, den er absolut nicht deuten konnte. Sie war geheimnisvoll, daran bestand kein Zweifel, doch seit wann kannte er sich selbst nicht mehr? Wer war diese Frau, dass sie seine makellose Fassade mit ein paar Worten hatte zerstören können? Die Vorhersage seines Todes lastete jetzt noch schwerer auf Pisards Schultern als nach dem Gespräch mit ihr. Sein Herr, Jaaku King, hatte ihm gerade angekündigt, dass sein nächster Angriff auf Pretty Cure seine letzte Chance sei. Pisard hatte sich ihm gegenüber selbstsicher gegeben, wie immer, doch das war nur gespielt gewesen. Was konnte er tun, um Pretty Cure zu besiegen? Sie waren außerordentlich stark und hatten ihn bisher viermal besiegt. Wenn er sich nicht schleunigst etwas überlegte, würde er eine fünfte und endgültige Niederlage einstecken müssen. Und diese würde seinen sofortigen Tod bewirken. Pisard seufzte. Vielleicht hatte die Kettenfrau doch recht gehabt und er würde untergehen. Keine der Ideen, die ihm kamen, schienen gut genug, um endlich einen Sieg verbuchen zu können. „Er wird niemals gewinnen“, hörte er da auf einmal die höhnische Stimme seiner Kollegin durch die dunkle Höhle tönen. Anscheinend lästerte sie mit den anderen über ihn, was nichts Neues war. Niemand hier konnte ihn leiden. Er ging hinter einem aus dem Boden ragenden Fels in Deckung, um weiter zuzuhören. „Natürlich wird er das nicht. Er denkt, mit Kraft allein ließen sich alle Probleme lösen“, äußerte der in einen weißen Überwurf gehüllte Ilkubo seine Meinung. Mit vor Wut zusammengeballten Fäusten blickte Pisard zu den vieren hinüber, die in einiger Entfernung versammelt waren. Jetzt meldete sich auch der schmächtige Junge Kiriya zu Wort: „Wenn er sich vorher eine Strategie überlegen würde, hätte er eventuell sogar eine Chance. Das sind zwar nur zwei Mädchen, aber Pisard reicht ja kräftemäßig nicht mal ansatzweise an uns andere heran.“ Ein leises Knurren entwich der Kehle des Besprochenen, doch er zwang sich, seine Wut zurückzuhalten. Eine Strategie also. Die sollten sie haben. Pisard hatte sich wieder in seine verhasste Menschenform verwandelt, um in der Stadt nicht so sehr aufzufallen. Eine dunkle Sonnenbrille auf der Nase, stützte er sich nun auf das Geländer einer Fußgängerbrücke und beobachtete, wie die beiden Mädchen von Pretty Cure sich voneinander verabschiedeten. Es juckte ihn in den Fingern, sie sofort anzugreifen, doch er hielt sich zurück. Er musste an seinem Plan festhalten. Er scannte die beiden mit einem kurzen Blick. Eine war sportlich gekleidet und hatte eine praktische Kurzhaarfrisur. Die andere hingegen trug ihr langes Haar offen und ein luftiger Rock wehte um ihre dünnen Beine. Selbst wenn es ihm in den letzten Kämpfen nicht aufgefallen war, war er sich plötzlich sicher, dass sie der Schwachpunkt des Duos war. Es würde keine Herausforderung sein, aber immerhin würde er gewinnen. Als das Mädchen sich zu weit von ihrer Freundin entfernt hatte, als dass diese sie noch sehen oder hören könnte, sah Pisard seine Chance. Er sprang von dem Straßenschild, von dem aus er sie beobachtet hatte, direkt in ihren Weg. Sie machte einen erschrockenen Schritt zurück. „Hast du auf einmal Angst vor mir?“, fragte er hämisch. Sie antwortete nicht, sondern drehte sich um und lief in die entgegengesetzte Richtung. Dieser Versuch, ihm zu entfliehen, gelang nicht. Schon nach wenigen Metern stand er wieder vor mir. „Es ist sinnlos“, stellte er lachend fest. Sie bog, erneut ohne eine Erwiderung, in eine Seitenstraße ein und rannte so schnell sie konnte. Doch egal, wo sie auch hinlief, es gelang ihr nicht, Pisards wachsamem Auge auch nur für eine Sekunde zu entfliehen. Diese Verfolgungsjagd endete schließlich auf einer Baustelle, deren einzigen Ausgang Pisard versperrte. Das Mädchen versuchte, über eine der Absperrungen zu klettern, doch es gelang ihr nicht. Er hatte mal wieder Recht gehabt: Gegen sie würde er nicht verlieren können. Der Kampf dauerte tatsächlich nicht lange, denn ohne ihre Partnerin konnte das Mädchen sich nicht verwandeln. Bald hatte Pisard ihr wertvolles Handy in der Hand, ohne das sie machtlos war. Doch als er ihr gerade den Gnadenstoß verpassen wollte, tauchte die andere auf. Pisard sah die beiden an, die ihn wütend aufforderten, ihnen das Handy wiederzugeben. Er war kurz davor, die beiden anzugreifen, als er sich an die Worte der Kettenfrau zurückerinnerte: „Sie werden sterben, Pisard. Der nächste Kampf wird Ihr letzter sein.“ Sie hatte von einem Kampf gesprochen. Wenn er die beiden jetzt einfach vernichtete, würde sie seinen Sieg anerkennen? Als Kampf konnte man das nun kaum bezeichnen. „Ich werde gewinnen!“, rief er und warf dem Mädchen das Handy zu. „Kämpft mit ganzer Kraft, ich werde euch trotzdem besiegen!“ Die beiden ergriffen ihre Chance und verwandelten sich in Pretty Cure. Es sah gut aus für Pisard: jeden ihrer Angriffe konnte er mit Leichtigkeit abwehren und schon bald lagen die beiden am Boden. Bei diesem Anblick brach ein lautes, befreites Lachen aus seiner Kehle hervor. Er würde nicht sterben, die Kettenfrau hatte Unrecht gehabt! Wie lächerlich, dass er so schnell auf sie hereingefallen war. Niemand konnte ihn töten, Pisard, den Gesandten der Finsternis! „Schwarzer Donner!“, ertönte da plötzlich die Stimme eines der Mädchens. Pisard starrte sie an. Pretty Cure waren wieder aufgestanden und hatten nun die Arme erhoben, um ihren stärksten Angriff zu starten. „Weißer Donner!“, rief die Andere, kein Zeichen von Erschöpfung in der Stimme. Pisard sammelte Energie in seinen Händen, um die Attacke abzuwehren. Er schwitzte. Mit dieser Attacke hatten die beiden ihn bisher immer besiegen können. Würde sie dieses Mal sein endgültiges Ende bedeuten...? „Pretty Cure Marmorstrahl!!!“, donnerten die Mädchen einstimmig und eine Spirale aus schwarzer und weißer Energie schoss auf Pisard zu. Er erhob die Hände und schickte ihr einen Energiestrahl entgegen, der sie für einen Moment aufzuhalten schien. Doch er konnte nicht mehr Kraft aufbringen, seine Gegenwehr wurde schwächer, das Licht kam immer näher. Wieder sah er das Gesicht der Kettenfrau vor sich, ein Lächeln des Triumphes auf den Lippen. „Sie werden sterben.“ Nein, ich bin stark genug! „Sie werden sterben.“ Niemals! Das sind nur zwei Rotzgören! „Sie werden sterben.“ Nicht jetzt, bitte! „Sie werden sterben.“ „Sie werden sterben.“ „Sie werden sterben.“ „NEEEEIN!!!“, brüllte er, ihre Worte in seinem Kopf widerhallend, und riss sich im selben Moment die Kette mit dem grünen Stein vom Hals. Er schleuderte sie auf den Boden zu Füßen der Mädchen. „Tötet mich nicht! Lasst mich am Leben, ihr habt doch was ihr wollt!“, flehte er. Sofort verschwand der Strahl, der sich ihm auf weniger Zentimeter genähert hatte und Pisard sackte auf die Erde, seine zitternden Beine nicht mehr stark genug, um sein Gewicht zu tragen. „Wehe, du lässt dich nochmal blicken!“, drohte eine seiner Gegnerinnen und hob den Stein auf. Pisard zwang sich, aufzustehen. Seine Beine gehorchten ihm noch immer nicht wirklich, doch es gelang ihm, sich umzudrehen und langsam davonzuwanken. Als er endlich den scharfen Blicken der Mädchen entkommen war, stützte er sich mit dem Arm an einer Straßenlaterne ab. Mit der anderen Hand wischte er sich über die schweißbedeckte Stirn. So viel Furcht hatte er in seinem ganzen Leben noch nicht verspürt. Er war dem Tod aber auch noch nie so nahe gewesen. Ein merkwürdiger Gedanke schoss ihm durch den Kopf: Hätte er auch einfach aufgegeben, wenn diese Kettenfrau und ihre Wette nicht gewesen wären? Niemals, sagte er sich und lachte harsch auf. Er hätte bis zum bitteren Ende gekämpft, alles gegeben und wäre schließlich bei dem Versuch gestorben, seinem Herrn die Prismasteine zu bringen. Diese mysteriöse Frau hatte ihm mit ihrer Todesprophezeiung das Leben gerettet. Welch eine Ironie des Schicksals. Dieser Gedanke brachte Pisard erneut zum Lachen. Schicksal!, dachte er. So etwas gibt es nicht, habe ich das nicht gerade bewiesen? Noch immer in sich hineinkichernd machte er sich langsam auf den Weg zum Ägyptischen Museum. Sein Körper schien dem Tod näher gewesen zu sein als sein Verstand, der schon wieder einige klare Gedanken fassen konnte. Oder war es andersherum und er war gerade dabei, verrückt zu werden? Doch bevor er komplett durchdrehte, musste er erst einmal seinen Wettgewinn abholen. Er freute sich schon auf die Fassungslosigkeit im bisher immer ausgesprochen ruhigen Gesicht der Kettenfrau. Als es an Isis' Tür klopfte, war ihr gleich klar, wer ihr einen Besuch abstattete. Dennoch gelang es ihr nicht, ihrem Gesicht einen freundlichen Ausdruck zu geben, als er eintrat. „Klarer Sieg für mich“, verkündete er mit einem süffisanten Lächeln. Isis blickte ihn mit ausdruckslosen Augen an. Sie war sich sicher, dass er nicht so fröhlich war, wie er vorgab. „Die Kette gehört dir“, sagte sie und merkte, wie brüchig ihre Stimme auf einmal klang. Als sie keine Anstalten machte sie ihm zu geben, umrundete er den Schreibtisch und hob ihr langes Haar über ihre Schulter, um sich dann mit kalten Fingern daran zu machen, den Verschluss des goldenen Schmuckstücks zu öffnen. Wie schon bei ihrer letzten Begegnung lief ihr ein Schauer über den Rücken, als er sie berührte. Doch diesmal bemerkte er es. „Magst du es nicht, von jemandem wie mir berührt zu werden?“, fragte er höhnisch, doch Isis war sich sicher, dass diese Tatsache ihn verletzte. „Ihre Finger sind sehr kalt“, stellte sie nüchtern fest. „Wirklich?“, fragte er und strich mit dem Zeigefinger den Ansatz ihrer Wirbelsäule herab. „Lassen Sie das!“, fuhr sie ihn an und drehte sich auf ihrem Stuhl herum. Er grinste, die Millenniumskette in der Hand. „Ich sagte doch, du kannst es nicht ab.“ „Es ist nicht wie Sie denken“, bemerkte sie kurz, doch sie spürte, wie die Hitze ihr ins Gesicht schoss. Pisard lachte, trat aber von ihr zurück. „Was wollen Sie noch hier?“, fragte Isis mit vor der Brust verschränkten Armen. Es war ihr unangenehm, ihn noch länger in ihrer Nähe zu haben. „Ein Platz zum Schlafen wäre nicht schlecht“, sagte er mit trockener Stimme und sah auf sie herab. Sie erhob sich, um sich nicht ganz so unterlegen zu fühlen, doch er war noch immer größer als sie. „Wie kommen Sie dazu, solche Forderungen zu stellen?“, fragte sie, erzürnt über seine Dreistigkeit. „Das fragst du noch? Wenn du nicht gewesen wärst, wäre ich jetzt tot!“ „Seien Sie doch froh!“, erwiderte sie verständnislos. „Bin ich aber nicht! Wo soll ich denn jetzt hin? Für die Dotsuku-Zone bin ich ein Hochverräter!“, erklärte er, nun auch wütend. „Ist das mein Problem?“ „Oh ja, das ist es. Das ist alles deine Schuld!“ „Konnte ich wissen, dass du überlebst?“ Isis war nun so zornig, dass sie über alle Formen der Höflichkeit hinwegsah, so wie er es schon die ganze Zeit tat. „Ich dachte, du weißt alles?!“ „Was meinst du, warum nicht ich diese Wette gewonnen habe?“ „Ach, sei doch still!“ „Ich bin sofort still, wenn du aus meinem Büro verschwindest! Einen Moment starrten sie sich an, die Augen zu Schlitzen verengt. Bevor einer von ihnen den Streit erneut anfachen konnte, klopfte es an der Tür. „Jetzt nicht!“, bellte Isis. Pisard lachte. „Verschreck doch deine Mitarbeiter nicht so.“ Isis starrte ihn immer noch böse an und sagte leise: „Lass das mal meine Sorge sein.“ Er sah sie fragend an. „Und? Was ist nun?“ Sie seufzte. „Ich nehme an, du wirst nicht gehen, bis ich dir irgendeinen Schlafplatz angeboten habe?“ Pisard sah sie leicht überrascht an. „So ist es“, bestätigte er. Sie betrachtete ihn einen Moment und seufzte dann erneut. „In Ordnung. Du kannst in meinem Haus übernachten, wenn du versprichst, dich sofort auf die Suche nach einer eigenen Wohnung zu machen.“ „Und womit sollte ich die bezahlen?“ Isis blickte ihn genervt an. „Meine Ausstellung bleibt noch für eine Weile hier in Domino. Eine Sicherheitskraft mehr kann nicht schaden. Aber an deinem Aussehen musst du auch noch was tun!“ Pisard sah an sich herab. „Sehe ich so ungewöhnlich aus?“ Sie musste lachen, auch wenn es ihr widerstrebte. „Ja, das tust du.“ Den Rest des Tages verbrachte Pisard damit, sich in der Ausstellung umzuschauen und sich ein wenig Wissen anzueignen, während Isis ihrer Arbeit als Direktorin nachging. Am Abend, als das Museum geschlossen wurde, kehrte er dann schließlich in ihr Büro zurück, wie sie es ihm zuvor gesagt hatte. „Musst du noch viel erledigen?“, fragte er, als er sie über einen Stapel von Blättern gebeugt an ihrem Schreibtisch sitzen sah. „Nein, nur noch ein wenig“, erwiderte sie ohne aufzusehen. Pisard seufzte und ließ sich auf dem Stuhl ihr gegenüber nieder. Sie blickte kurz zu ihm auf, bemerkte, dass seine Augen auf sie gerichtet waren und wandte sich schnell wieder ihrer Arbeit zu, das errötende Gesicht hinter einem Vorhang von Haaren versteckt. Nachdem sie zum dritten Mal die Stelle auf ihrem Zettel verloren hatte, die sie gerade lesen wollte, blickte sie Pisard erneut an. „Könntest du bitte aufhören, mich die ganze Zeit anzustarren?“, verlangte sie genervt. Sein übliches süffisantes Lächeln kam zum Vorschein. „Mache ich dich nervös?“, fragte er. „Ich kann es einfach nicht ab, wenn man mir beim Arbeiten zusieht“, murmelte sie, nicht in der Lage dazu, ihn anzusehen. Er stand auf und ging zu dem Gemälde an der Wand, das Isis bei ihrer zweiten Begegnung gemustert hatte. Erleichtert, dass er nicht weiter auf ihrer Verlegenheit herumritt, fuhr sie mit der Lektüre fort. Doch bald merkte sie, dass seine Gegenwart sie noch immer ablenkte, selbst wenn er drei Meter von ihr entfernt stand. Mit einem tiefen Seufzer öffnete sie die Schublade ihres Schreibtisches und ließ die Papiere darin verschwinden. „Gehen wir.“ Es sollte beiläufig klingen, doch an Pisards schelmischem Lächeln sah sie, dass ihm die Aufregung in ihrer Stimme nicht verborgen geblieben war. „Natürlich“, war das einzige, was er sagte. Auf dem Nachhauseweg in ihrem Wagen hingen beide ihren eigenen Gedanken nach. Zuerst gelang es Isis, sich von dem heute Geschehenen durch alles Mögliche abzulenken, doch als Pisard die Kette aus seinem Mantel hervorzog und begann, gedankenverloren damit herumzuspielen, konnte sie an nichts Anderes mehr denken. Es gab also kein Schicksal. Nichts war vorherbestimmt, man war selbst für Erfolg und Misserfolg verantwortlich. Eigentlich war es einfach, dies zu verstehen, doch Isis konnte sich nicht an den Gedanken gewöhnen. Die letzten zwanzig Jahre hatte sie keinen einzigen Tag daran gezweifelt, dass es so etwas wie Schicksal gab. Alles, was die Kette ihr gezeigt hatte, war Wirklichkeit geworden. Wie hatte das geschehen können? Wie war es Pisard gelungen, sein Schicksal zu umgehen und einen Weg zu wählen, der ihm nicht vorherbestimmt war? Natürlich könnte sie jetzt einfach darüber hinwegsehen, sich sagen, dass all dies nur Einbildung gewesen war und ihr Leben so weiterführen, wie sie es gewohnt war. Doch erstens war die Millenniumskette nun nicht mehr in ihrem Besitz und zweitens war sie kein Mensch, der über solche offensichtlichen Beweise einfach hinwegsah. Außerdem hatte sie nicht das Gefühl, dass Pisard sie bald in Ruhe lassen würde. Und da war sie auch schon gleich beim nächsten Thema: Pisard. Er hatte sie dazu gebracht, ihn bei sich wohnen zu lassen. Was würde nun geschehen? Immerhin sah er sie als Verantwortliche für sein Schlamassel. Was war, wenn er es ihr übler nahm, als er zeigte? Wenn er nur freundlich tat, aber – sobald er in ihrem Haus war – über sie herfiel und sich an ihr rächte? Ein kalter Schauer lief ihr den Rücken herunter und sie warf ihm einen unauffälligen Seitenblick zu. Sein abwesender Blick beruhigte sie ein wenig. Er machte nicht den Eindruck, als plane er irgendeine Art von Gewalttaten. Als Isis kurz darauf das Auto in der Garage ihres Hauses parkte, machte sich eine gewisse Nervosität allerdings doch wieder bemerkbar. Fast wäre sie über einen dort stehenden Karton gestolpert und das Öffnen der Haustür gelang ihr auch nicht, weil ihre Finger so zitterten. Pisard machte keine Anstalten, ihr zu helfen, sondern stand nur mit verschränkten Armen neben ihr und beobachtete sie. Ein wenig wütend über seine nicht vorhandene Hilfsbereitschaft gelang es ihr schließlich doch, den Schlüssel ins Schloss zu stecken. Nachdem beide eingetreten waren, war es für einen Moment dunkel, da Pisard die Tür gleich hinter sich geschlossen hatte und die Lampe im fensterlosen Flur eine Weile brauchte, um hell zu werden. Die unheimliche Dunkelheit ließ Isis einen verängstigten Schrei ausstoßen. Das Licht ging an und Pisard blickte sie überrascht an. „Was ist los?“, fragte er. Sie errötete, als sie bemerkte, dass sie die Arme schützend vor sich hielt und bis zur Wand zurückgewichen war. „Nichts“, krächzte sie. Pisard hob verwundert die Augenbrauen, kommentierte ihr Verhalten aber mit keinem Wort. „Wo darf ich schlafen?“, fragte er stattdessen. Sie zwang sich, ihn anzusehen. Sein fast schon unterwürfiger Ausdruck versetzte ihr einen Stich. Sie war sich auf einmal sicher, dass sie ihm Unrecht tat, wenn sie ihn für einen Gewalttäter hielt. Dennoch gab sie nicht der Versuchung nach, ihn zu einem Abend in ihrem Wohnzimmer einzuladen, sondern zeigte ihm wortlos den Weg zu ihrem kleinen Gästezimmer im ersten Stock. Zu sprechen fühlte sie sich nicht in der Lage. Ansonsten kam sie sich auch ziemlich ausgelaugt vor und wollte eigentlich nur noch ins Bett, aber ein bisschen von der Angst war doch noch geblieben, daher zog sie sich mit einer Flasche Whisky ins Wohnzimmer zurück und schaltete den Fernseher an. Dort lief gerade eine Reportage über die schönsten Monumente Ägyptens. Es erfüllte Isis mit Schmerz, ihre Heimat, die sie schon länger nicht zu Gesicht bekommen hatte, so direkt vor sich zu sehen. Sie nahm einen großen Schluck aus der Flasche und blickte wehmütig auf die auf dem Bildschirm gezeigten Denkmäler, die sie schon so oft besucht hatte. Auf einmal flammte in ihr der Wunsch auf, ihren Schmerz und ihre Gefühle über all das, was sich ereignet hatte und die Enttäuschung über den Zusammenbruch ihrer Welt mit jemandem zu teilen. Sie nahm einen erneuten Schluck. Pisard saß bestimmt ruhig in seinem Zimmer, möglicherweise schlief er auch schon. Bei dem Gedanken daran, dass sie ihn einfach dorthin geschickt hatte, fühlte Isis ein schlechtes Gewissen in sich aufsteigen. Er hatte es sicherlich nicht verdient, dass sie ihn für einen Verbrecher hielt. Nach einem weiteren Schluck stand Isis daher auf und ging hinauf in den ersten Stock. Vor der Tür zum Gästezimmer zögerte sie einen Moment. Doch sie konnte die erneut aufkommenden Zweifel unterdrücken und klopfte an. „Herein“, ertönte sofort Pisards Stimme. Er hatte anscheinend noch nicht geschlafen. Hatte er sie etwa erwartet? Zögerlich öffnete Isis die Tür und spähte hinein. Ihr Gast saß auf dem Bett, den Rücken gegen die Wand gelehnt und ein Bein angewinkelt. Seinen langen Mantel hatte er abgelegt, er trug jetzt nur noch den weinroten Ganzkörperanzug. „Möchtest du dich noch ein bisschen ... mit mir ins Wohnzimmer setzen?“, fragte Isis und spürte, wie sie unter seinem forschen Blick errötete. „Meinetwegen“, sagte er und erhob sich. Isis hatte ein wenig mehr Begeisterung erwartet, doch sie versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen und führte ihn die Treppe herab. Unten im Wohnzimmer ließen die beiden sich auf dem Sofa nieder. Es war so klein, dass ihre Schultern nur wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. Doch diesmal fühlte sich Isis nicht bedrängt von seiner Nähe, sie fing sogar an, sich wohlzufühlen. Auch der Regen, der gegen die Fensterscheiben prasselte und der sie bisher dazu veranlasst hatte, diese Zeit des Jahres zu verabscheuen, störte sie nicht im Geringsten. Durch ihn erschien es ihr im Haus sogar noch gemütlicher, da es hier wunderbar trocken und angenehm kühl war. Pisard nahm die Flasche, die auf dem Tisch stand, hoch und besah mit hochgezogenen Augenbrauen das Etikett. „Du trinkst?“, fragte er erstaunt. „Manchmal“, gab Isis schulterzuckend zu. Pisard nahm probeweise einen kleinen Schluck, kostete einen Moment und nahm dann einen größeren. Isis sah ihm interessiert zu. Sie fragte sich, wie gut sein außerirdischer Körper Alkohol wohl verarbeiten konnte. „Sieh mal“, sagte sie beiläufig und machte mit dem Kopf eine Geste in Richtung des noch immer laufenden Fernsehers. Über den Bildschirm flimmerte gerade ein Bild der Cheops-Pyramide. Pisard warf kurz einen Blick darauf und sah dann wieder Isis an. „Was ist damit?“, fragte er. „Ich komme aus Ägypten“, begann sie im Plauderton. „Wusstest du, dass die Cheops-Pyramide die größte Pyramide der Welt ist?“ „Nein. Ich weiß ohnehin nicht viel über die Welt der Menschen“, sagte Pisard mit leicht beleidigt klingender Stimme. „Ich kenne auch Ägypten nur aus deiner Ausstellung.“ „Entschuldigung“, rief Isis sofort und schaltete den Fernseher aus. „Ich wollte mich nicht über dein Unwissen lustig machen.“ Er brummelte leise etwas in sich hinein, das Isis trotz ihrer Nähe zu ihm nicht verstehen konnte. Sie legte die Fernbedienung auf den Tisch zurück. „Mich macht es glaube ich ebenso traurig wie dich, es anzuschauen“, stellte sie leise fest. „Ich bekomme Heimweh davon.“ Pisard hob den Arm, anscheinend in der Absicht, ihn tröstend auf ihre Schulter zu legen, doch etwas schien ihn zurückzuhalten und er ließ ihn in seinen Schoß zurücksinken. „Tut mir leid“, flüsterte Isis und blickte ihn entschuldigend an. „Was?“, fragte er verwirrt. „Ich habe dich verletzt. Immer wenn du mich berührt hast ...“ Sie ließ den Satz unvollendet, doch er schien zu wissen, was sie meinte. „Nun ...“, sagte er. Widersprechen konnte er nicht. „Wenn du willst, darfst du ...“ Erneut ließ sie den Satz unvollendet und warf nur einen kurzen Blick auf seine Hand, den er sofort richtig deutete und ihr den Arm um die Schulter legte. Er war ebenso kalt wie zuvor seine Finger, doch auf einmal störte es Isis nicht mehr. Sie schmiegte sich enger an ihn und legte ihm den Kopf auf die Schulter. „Ist es eigentlich ... sehr schlimm für dich ... deine Welt niemals wiedersehen zu können?“, fragte sie nach einer Weile. Pisard schwieg einen Moment, doch Isis spürte, wie sich seine Muskeln verkrampften. Er nahm noch einen Schluck aus der Whiskyflasche, bevor er antwortete. „Ich habe immer dort gelebt, es war ... mein Zuhause“, begann er langsam. Als er nicht weitersprach, fragte Isis: „Hast du dich dort wohlgefühlt?“ Er lachte harsch auf. „Dort würde sich niemand wohlfühlen. Man stellt diesen Anspruch gar nicht erst.“ Sie drehte den Kopf, um in seine starren grünen Augen zu sehen. „Es muss hart sein“, kommentierte sie voller Mitleid. „Man gewöhnt sich daran“, sagte er nur und trank einen Schluck, um nicht noch mehr dazu sagen zu müssen. Isis richtete sich auf, um mit ihm auf einer Augenhöhe zu sein. „Du Armer“, murmelte sie und legte die Hand an seine eiskalte Wange. Bei dem Gedanken an sein hartes Schicksal – oder wie auch immer man es nennen sollte – traten ihr Tränen in die Augen. Das war eine Situation, mit der Pisard absolut nicht gerechnet hatte. Wie hypnotisiert starrte er sie an. „Was – warum weinst du?“ Sein erschrockener Blick ließ sie ihre letzten Hemmungen verlieren und sie begann zu schluchzen. Pisard hingegen bewegte sich nicht mehr und sah nur hilflos auf sie hinab. Das realisierte sie kaum, als sie sich mit den Händen an seine breiten Schultern klammerte und das feuchte Gesicht an seine muskulöse Brust lehnte. Langsam kam auch wieder Bewegung in ihn und er legte seine Arme um ihren vor Schluchzen zitternden Körper. Sie kam ihm vor wie ein kleines Kind, dennoch empfand er nicht dieselbe Abscheu, die er zum Beispiel Pretty Cure entgegengebracht hatte, sondern eher einen Drang, sie vor allem Bösen in der Welt zu beschützen. Isis fühlte sich sehr sicher in seinen Armen und die Verzweiflung in ihrem Inneren flaute schon bald ab, die Tränen hörten auf zu fließen und sie schniefte nur noch ein wenig. Pisard strich über ihr dichtes Haar und fragte leise: „Geht es wieder?“ Sie entfernte ihr Gesicht ein wenig von seiner Brust, um zu ihm aufsehen zu können. Seine grünen Augen sahen voller Sorge auf sie herab. „Pisard“, hauchte sie mit schwacher Stimme. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, überlegte es sich dann aber anders und schloss ihn wieder. „Pisard“, wiederholte sie. „Ich ...“, begann er, brach aber ab, als er sah, wie ihre Augen sich erneut mit Tränen füllten. „Küss mich, Pisard“, bat sie und blickte verzweifelt zu ihm auf. Er zögerte einen Moment und sah sie an, völlig perplex von der überraschenden Bitte. „Willst du mich nicht?“, fragte sie schniefend und drohte, erneut von einem Tränenschwall überwältigt zu werden. „Doch!“, versicherte er schnell, ohne weiter darüber nachzudenken. Bevor er fortfahren konnte, hatte sie schon die Initiative ergriffen und ihm einen schnellen Kuss auf die Lippen gedrückt. Doch der erschrockene Ausdruck Pisards ließ sie sofort zurückfahren. „Tut mir leid“, rief sie aus und schlug sich die Hände vor's Gesicht. Sie handelte doch sonst nicht so unüberlegt, was war nur mit ihr geschehen? Dieselbe Frage stellte Pisard sich auch, als er auf die schluchzende Frau herabsah. Ein Blick auf die inzwischen schon fast komplett geleerte Flasche sagte ihm, dass nicht nur Verzweiflung – worüber auch immer – der Grund für ihre Emotionalität war. Es versetzte ihm einen Stich, sie so weinen zu sehen. „Hey“, sagte er sanft, fasste mit seiner Hand an ihr Kinn und drehte ihr Gesicht zu ihm. Beim Anblick der großen, feuchten, blauen Augen konnte er nicht anders, als sie zu sich heranzuziehen und sie zu küssen, wenn auch zögerlich. Durch Isis' Kopf rauschte eine Welle von Gefühlen, die alle bösen Gedanken davonspülte, die dort eben noch fest verankert gewesen waren. „Es braucht dir nicht leidzutun“, murmelte Pisard verlegen, während er sich einige Zentimeter von ihr entfernte. Ihre Lippen formten das Wort „danke“, ihre Stimme schien vom Glück ebenso überwältigt worden zu sein wie der Rest ihres Körpers. Pisard lächelte und küsste sie erneut, diesmal ein wenig mutiger, leidenschaftlicher. Seine Hand strich über ihre Wange und fuhr durch ihr Haar; die andere fuhr unablässig auf ihrem Rücken auf und ab. Isis hingegen hatte ihre Arme fest um seinen Nacken geschlungen und machte den Eindruck, als wollte sie ihn nie wieder freigeben. Er drückte sie auf das Sofa herab und beugte sich über sie, die Hände auf der Polsterung abgestützt, um Isis nicht mit seinem ganzen Gewicht zu belasten. Sie fuhr fasziniert mit den Fingern über seinen kräftigen Körper, dessen Konturen sich unter seiner Kleidung deutlich abzeichneten. Er ließ sie eine Weile gewähren, dann beugte er sich so weit zu ihr herunter, dass ihre Körper eng aneinander lagen. Mit der Nase fuhr er über ihre Wange, ihren Hals herab und strich schließlich über ihre entblößten Schlüsselbeine, betört von ihrem süßlichen Duft, während Isis von seiner Haarpracht in ihrem Gesicht zum Kichern gebracht wurde. Er sah auf und versiegelte ihren Mund mit einem Kuss, um sie vom Lachen abzuhalten. Seine Hand bahnte sich währenddessen ihren Weg zum oberen Ansatz von Isis' Kleid und begann, langsam den Reißverschluss zu öffnen. „Warte“, bat Isis, als sie seine Absicht erkannte. Pisard hielt mitten in der Bewegung inne und sah sie mit einem Blick an, der zu sagen schien: „Das werde ich nicht.“ Sie versuchte, unter seinem Körper hervorzuschlüpfen, doch er drückte ihn noch enger an ihren, um sie festzunageln und fragte, die Lippen nur wenige Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt: „Was ist los?“ Mit seinem kalten Atem an ihrer Haut und der engen Berührung fiel es ihr schwer, einen vollständigen Satz zu formulieren. „Lass uns – hochgehen“, flüsterte sie so leise, dass er es trotz ihrer Nähe kaum verstand. Pisard gab ihr einen Kuss auf die Stirn und lachte erleichtert. Dann stand er schließlich auf und hob sie in seine starken Arme. „Hey“, protestierte sie lachend. Ein schneller Kuss auf seinen Nacken verriet ihm aber, wie wohl sie sich fühlte. Im Schlafzimmer angekommen, warf Pisard Isis aufs Bett und ließ die Tür ins Schloss fallen. Ein fast schon wahnsinnig anmutendes Grinsen erschien auf seinem Gesicht. „Dafür, dass du mich unterbrochen hast, lasse ich dich nie wieder gehen“, war das letzte, was er sagte, bevor er sich zu ihr gesellte und dort fortfuhr, wo er eben aufgehört hatte. Pisard wurde vom Prasseln des Regens an der Fensterscheibe geweckt. Dieses Geräusch, das er nur selten zu hören bekam, veranlasste ihn dazu, die Augen zu öffnen. Er lag auf einem großen, gemütlichen Bett in einem Zimmer voller Bücherschränke und Souvenirs. Langsam kam die Erinnerung an den gestrigen Tag zurück. Doch vor allem der Gedanke an den Abend und die darauffolgende Nacht stimmte Pisard nachdenklich. Was hatte ihn dazu verleitet, sich mit dieser Menschenfrau einzulassen? Er dachte an die Wette und an die Verzweiflung, die sie nachher beide befallen hatte. Das musste der Grund gewesen sein: der Schmerz, den sie in diesem Moment geteilt hatten. Ächzend richtete Pisard sich auf und blickte neben sich. Die andere war anscheinend schon aufgestanden, ohne dass er es bemerkt hatte. Daher schwang auch er die Beine aus dem Bett. Sein Blick fiel sofort auf einen hellblauen Morgenmantel, der über der Lehne eines im Raum stehenden Stuhls hing und ganz offensichtlich für ihn gedacht war. Einen Moment wog er ab, dann entschied er sich aber doch dazu, wieder in seinen roten Anzug zu schlüpfen. Sich die müden Augen reibend ging er die Treppe herunter und spähte ins Wohnzimmer, das jedoch leer war. Da er keine Lust hatte, jeden Raum nach der Frau zu durchsuchen, rief er laut: „Hey!“ Eine Tür am Ende des Flures öffnete sich und sie trat mit missbilligendem Blick heraus „Wenigstens mit Namen könntest du mich ansprechen, findest du nicht?“, fragte sie. „Ich kenne deinen Namen nicht“, gab Pisard offen zu. Sie sah ihn überrascht an, sagte dann aber: „Ich heiße Isis.“ „Okay“, murmelte er. „Isis...“ Sie errötete und blickte verlegen zu Boden, als er ihren Namen zum ersten Mal aussprach. Doch sie fing sich schnell wieder und fragte mit Blick auf seine Kleidung: „Ich habe dir extra einen Morgenmantel rausgesucht, damit du nicht wieder in diesem Ding herumlaufen musst.“ Ihm fiel erst jetzt auf, dass sie dasselbe Modell in Hellrosa trug und war froh, dass er sich dagegen entschieden hatte. „Ich wusste nicht, dass er für mich war“, log er, da er seine wahren Beweggründe nicht in Worte fassen konnte. Sie sah ihn zweifelnd an, sagte aber nichts. Stattdessen kehrte sie in die Küche zurück und fragte: „Möchtest du auch Frühstück?“ „Nein“, lehnte er sofort ab, folgte ihr aber trotzdem und ließ sich auf einem Stuhl ihr gegenüber nieder. Den Blick auf eine Teekanne auf dem Tisch gerichtet, fragte sie: „Hast du überhaupt Bedarf, Nahrung aufzunehmen?“ „Nein“, antwortete er. „Du bist heute so kurz angebunden“, stellte sie fest, sah einmal kurz zu ihm auf und wandte sich dann schnell wieder der Kanne zu, unter dem Vorwand, sich Tee eingießen zu müssen. „So bin ich eben“, sagte er achselzuckend und beobachtete, wie Isis' Hand ein wenig zu zittern begann, als sie den Mund öffnete, um etwas zu erwidern. „Gestern Abend warst du gesprächiger ...“ Pisard versteifte sich. Musste sie denn gleich auf dieses Thema zu sprechen kommen? „Das war was Anderes“, widersprach er. Isis schwieg einen Moment. Anscheinend war es ihr auch ein wenig peinlich, darüber zu sprechen. Dennoch fuhr sie fort, diesmal mit einer sehr direkten Frage. Endlich sah sie ihm in die Augen. „Bereust du, was gestern Abend geschehen ist?“ Er blickte sie verblüfft an, diese Frage hatte ihn völlig unvorbereitet getroffen. Doch die Zweifel in ihrem Gesicht halfen ihm, schnell eine Antwort zu finden. „Nein. Ich bereue gar nichts.“ Isis beugte sich ein Stück weiter über den Tisch und sah ihn eindringlich an. „Und du bist mir auch nicht böse, weil ich dich dazu angestachelt habe?“ Pisard musste lachen, als er sie das mit einem völlig ernsten Gesicht sagen hörte. „Du hast mich angestachelt?“ Isis blickte ihn ein wenig verstimmt an. „Natürlich. Ich habe dich gedrängt, mich zu küssen. Das hätte ich nicht tun dürfen.“ Pisard schüttelte den Kopf. „Vergiss es. Ich habe mich nicht im Geringsten von dir gedrängt gefühlt. Außerdem hast du mich dann doch trotzdem zuerst geküsst und ich habe es wiederholt, weil es ...“ Er zögerte. Über die generellen Ereignisse zu sprechen, bereitete ihm keinerlei Probleme, doch wenn es um seine eigene Gefühle ging, fühlte er sich unbehaglich. „Weil was?“, hakte Isis nach. „Weil es mir gefallen hat“, gab er schließlich seufzend zu und blickte verlegen zur Seite. Seine Verlegenheit brachte Isis einen Moment zum Schweigen, doch sie fuhr schon bald mit einer weiteren Frage fort, sodass Pisard anfing sich zu fühlen wie bei einem Verhör „Sprichst du nur von meinem Kuss, oder ...?“ Pisard seufzte genervt auf. „Nein“, sagte er. „Habe ich auf dich den Eindruck gemacht, als hätte ich keinen Spaß daran gehabt?“ Jetzt war es an Isis zu erröten. „Natürlich nicht aber ... ich habe keine Vergleichsmöglichkeit.“ Es schien, als wolle sie auf der Stelle im Boden versinken. Ihre Augen waren längst wieder auf ihre Teetasse gerichtet, in der sie langsam mit einem Löffel herumrührte „Ich auch nicht“, sagte Pisard, dem das Ganze nicht halb so peinlich war. „Und nachdem ich dir das jetzt alles offenbart habe ... Wie sieht es überhaupt mit dir aus?“ Sie verschluckte sich an dem Tee, den sie gerade zu trinken begonnen hatte, und begann zu husten. „Wie meinst du das?“, fragte sie und sah ihn mit tränenden Augen an. „Bereust du es? Bist du mir wegen irgendwas böse?“ Pisard stützte den Kopf mit der Hand und blickte sie halb interessiert, halb amüsiert an. „Nein“, sagte sie nur, fügte dann aber nach kurzer Pause hinzu: „Diese Nacht werde ich nie vergessen. Im positiven Sinne.“ Pisard hob erstaunt die Augenbrauen bei dieser ehrlichen Antwort. Eine weitere Frage schoss ihm durch den Kopf und er stellte sie gleich, damit er keine Zweifel bekam, ob es richtig war. „Hast du es nicht nur getan, weil du so verzweifelt warst und niemand Anderes in der Nähe war?“ „Nein!“, widersprach sie sofort. Nach kurzem Nachdenken korrigierte sie sich ein wenig: „Na gut, vielleicht ein bisschen. Aber denk nicht, dass ich jeden genommen hätte! Deine ... Ausstrahlung hat mich beruhigt.“ Pisard wollte etwas sagen, doch sie unterbrach ihn gleich: „Und bevor du das auch noch fragst: der Alkohol hat nur als eine Art Katalysator fungiert. Möglicherweise ... wäre es auch so geschehen.“ „In Ordnung, in Ordnung“, sagte Pisard schnell, um sie am Weiterreden zu hindern. „Ich hab’s verstanden.“ „Okay“, murmelte sie. Ein peinliches Schweigen entstand. Isis nippte an ihrem Tee und Pisard blickte um sich, ohne wirklich auf das zu achten, was er sah. Als er an den Abend zurückdachte, kam ihm plötzlich eine spontane Idee, die er sogleich zur Sprache brachte: „Wollen wir nicht mal zusammen nach Ägypten fliegen?“ Isis schrak zusammen, als er so plötzlich zu sprechen begann. „Warum?“, fragte sie verwirrt. „Du hast mir gestern noch erzählt, du hättest solch ein Heimweh! Und jetzt fragst du, warum ich dieses Angebot mache?“ Pisard wurde wütend bei dem Gedanken, dass sie es vielleicht nur gesagt hatte, um sein Mitleid zu erregen. „Ich dachte nicht ... dass du dich daran erinnerst“, gab sie zu. Pisard stieß verächtlich Luft durch die Nase aus. „So ein schlechtes Gedächtnis habe ich nun auch nicht!“ Isis lächelte. „Ich weiß, ich weiß. Tut mir leid.“ Pisard überging ihre Entschuldigung und fragte: „Und wie sieht es nun damit aus?“ Sie streckte ihre Hand aus und legte sie auf seine, die locker auf dem Tisch lag. „Gut. Ich komme gerne mit, Pisard“, erklärte sie mit einem breiten Lächeln. „Wann soll es losgehen?“ „So bald wie möglich“, antwortete Pisard, hob ihre warme Hand an seinen Mund und drückte seine kalten Lippen darauf. Auch noch Tage später, als sie nebeneinander im Flieger saßen, spürte sie seine sanfte Berührung auf ihrer Haut. Kapitel 35: Frey und Kyôko - Die Prinzessin und das Weichei ----------------------------------------------------------- Von Liebe Freunde der Chiisana Love-Stories! Und schon haben wir hier das 35. Kapitel, um einen halben Monat später als geplant, weil auch schon Kapitel 34 etwas spät kam. (Die kleine Verschiebung kam mir irgendwie schon recht...) Das aktuelle Pairing ist entstanden, weil wir als Bedingung vorgegeben hatten, dass beide Figuren aus einem Manga stammen sollten, zu dem es noch keine Anime-Umsetzung gibt. Bei Time Stranger Kyôko existiert zwar so etwas wie eine 10-Minuten-OVA, aber die zählt nicht, weil es keine richtige Serie ist. Ich hoffe, die ganze Geschichte gefällt euch. Die Prinzessin und das Weichei Sie stach ihm bereits beim ersten, flüchtigen Blick in die Augen. Inmitten der Schüler mit den dunklen Haaren, die rostrote Kleidchen oder blau-weiße Hemd-Hose-Kombinationen trugen und in kleinen Gruppen lachend und sich gegenseitig herumknuffend das Schulgelände verließen, musste sie einfach auffallen. Sie stand allein, dem Schultor zugewandt, einen ernsten Ausdruck im Gesicht. Ihr Haar leuchtete zinnoberrot, ihre Jacke glänzte anthrazitfarben und ihr kurzer Minirock und die hohen Stiefel zeigten deutlich, dass sie an einer öffentlichen Oberschule nichts verloren hatte. In den Händen hielt sie zudem einen auffälligen roten Stab, der neugierige Blicke auf sich zog. Er brauchte nur einen Moment, um all diese Details für sich zu verbuchen und eilte dann so plötzlich los, dass ihm eine Gruppe von kichernden Schülerinnen erschrocken ausweichen musste, um nicht umgerannt zu werden. Die Rothaarige war die einzige, die nicht mit großen Augen verfolgte, wie er mit langen Schritten hersprang und dann direkt neben ihr zum Stehen kam. „Hey, brauchst du Hilfe?“, fragte er und nahm gleichzeitig galant ihre frei hängende linke Hand, auf die er einen zarten Kuss hauchte. Sie stieß einen spitzen Schrei aus, der ihn sofort zurückzucken ließ. „Entschuldige, habe ich dich erschreckt?“, sagte er mit einem entschuldigenden Lächeln. Das Mädchen starrte ihn an und hielt schützend den Stab vor ihren Körper. Er betrachtete seelenruhig ihr Gesicht. Es war ebenmäßig, mit einer kleinen Stupsnase und großen, braunen Augen, die von langen dunklen Wimpern umrahmt wurden. Ihr Haar hatte er aus der Ferne als gefärbt angenommen. Von Nahem wirkte das lebendige Rot jedoch wie eine Naturhaarfarbe, abgesehen davon, dass kein Mensch eine solche Haarfarbe haben konnte. Unterstrichen wurde der Eindruck, keinen normalen Menschen vor sich zu haben, von ihren spitz zulaufenden Ohrmuscheln. „Wer bist du?“, fragte sie mit zusammengekniffenen Augen. Er streckte die Hand aus, doch ein gefährliches Zucken ihrer beiden Hände, in denen fest der stabil wirkende Stab lag, ließ ihn zögern. „Ich heiße Frey Willhazen. Wie lautet dein Name?“, fragte er stattdessen mit einem offenen Lächeln. Sie musterte ihn eine Weile unschlüssig. Dann straffte sie ihren Rücken und blickte ihm ohne Scheu in die Augen. „Mein Name lautet Kyôko Suômi.“ Da sie sonst nichts weiter sagte, wurde es einen Moment still. Ein paar der Schüler, die sie beobachtet hatten, verließen die Szene mit leisem Flüstern. Frey breitete freundlich die Arme aus. „Du sahst ein wenig orientierungslos aus. Kann ich dir irgendwie behilflich sein?“ „Ich bin nicht orientierungslos!“, erklärte Kyôko prompt und drehte sich mit erhobenem Kinn von ihm weg. „Tschüs“, fügte sie noch hinzu, dann schob sie zwei herumstehende Jungen zur Seite und stapfte fest entschlossen die Straße hinunter, die in Richtung Innenstadt führte. Frey wäre ihr nachgelaufen, hätte da nicht hinter ihm jemand seinen Namen gerufen. „Frey, hallo... Du bist ja schon wieder hier!“ Er drehte sich um, als die Schülerin in Uniform gerade seine Höhe erreicht hatte. Es war ein durch und durch japanisches Mädchen mit einer flachen Nase, eng geschnittenen dunklen Augen und fransigem, kurzen schwarzen Haar. „Klar doch, meine Liebste!“, rief er und schlang sie fest in seine Arme. Das war so etwas wie das Zeichen für sämtliche der Mädchen, die ihn noch bis zu diesem Punkt beobachtet hatten, sich endgültig wegzudrehen. „Ich dachte schon, ich sterbe in dieser Hitze“, murmelte Frey und drückte seine Nase an die Wange des Mädchens. Dieses errötete und versuchte recht erfolglos, sich aus seinem Klammergriff freizumachen. „Ist... ist ja gut. Bitte lass mich los...“, stammelte sie. Er tat wie geheißen, wenn auch offenbar enttäuscht. „Lass mich dich bis nach Hause begleiten“, schlug er vor. „Ähm... na ja...“, flüsterte sie mit dem Blick zum Boden. Er legte den Arm um ihre Schulter und drückte sie vorsichtig vorwärts, als er sich in Bewegung setzte. „Deine Eltern werden doch nichts dagegen haben...?“ „Ich glaube, meine Eltern haben momentan andere Sorgen...“, kam es leise zurück. Frey seufzte, wobei er aber gleichzeitig verständnisvoll nickte. „Es ist sicher schwer, auch für sie. Aber keine Sorge, wir finden deine Schwester schon wieder.“ Sie nickte schwach. Als sie an der nächsten Kreuzung an der Ampel stehenblieben, entdeckte Frey zu seinem Erstaunen die Rothaarige wieder. Sie stand auf der gegenüberliegenden Straßenseite, obwohl die Ampel, vor deren Überweg sie stand, Grün zeigte. Ihr Blick war gesenkt und sie klammerte sich mit beiden Händen an den roten Stab. Die Menschen um sie herum beachteten sie nicht einmal. Als die Ampel für Frey und seine Begleiterin umsprang, machte er sich von dieser los und eilte direkt zu Kyôko, die sein Kommen diesmal bemerkte und sich sofort aufraffte. „Du schon wieder“, stellte sie fest. Frey grinste. „Die Welt ist klein... Aber um ehrlich zu sein habe ich eher das Gefühl, dass du doch orientierungslos bist. Wenn du irgendwo bestimmtes hinwillst, kann ich dir bestimmt helfen, den Weg zu finden.“ „Ich habe kein bestimmtes Ziel“, sagte sie mit bemüht gefasster Stimme. Das schwarzhaarige Mädchen gesellte sich zu Frey. „Wer ist das?“, fragte sie leise. „Sie hat sich mir soeben als Kyôko Suômi vorgestellt“, erklärte Frey sofort mit einer ausladenden Handbewegung. „Und dies hier“, Er legte der Schwarzhaarigen eine Hand vertraulich um die Schultern, „ist meine zukünftige Braut, Alice Seno.“ Gemeinte errötete heftig. „Ich bin nicht seine zukünftige Braut“, stammelte sie. Kyôko musterte Frey. „Du siehst anders aus als die meisten Leute hier“, sagte sie. „Ich komme aus Norwegen“, erklärte er sofort. Sie nickte, doch auf ihrem Gesicht zeichnete sich Verwirrung ab. „Hey, wenn du nicht weißt, wo du hin musst, schau doch in dem kleinen Café vorbei, in dem ich arbeite! Dort gibt es leckere Kuchen und Desserts!“, schlug er vor und wechselte damit komplett das Thema. Das schien sie noch mehr zu verwirren, doch gleichzeitig begannen ihre Augen zu glänzen. „Kuchen? Das klingt gut!“, sagte sie. „Echt? Dann zeige ich dir den Weg, allerdings...“ Er sah Alice fragend an. Diese löste sich aus seinem um sie gelegten Arm und erklärte leise: „Ich finde allein nach Hause, Frey-kun. Kümmere dich ruhig um Kyôko-san.“ „Okay, Liebste. Aber denk daran, dass ich dich immer lieben werde!“, rief er und schloss sie noch einmal in die Arme. Nachdem sie sich ärgerlich daraus befreit hatte, verabschiedete sie sich verlegen von den beiden und ging die Straße hinab. „Mach dir nicht zu viele Sorgen. Das mit Mayura wird schon wieder“, rief Frey ihr nach. Es war nicht mehr zu sehen, ob sie darauf reagierte, da sie bereits in der Menge an Fußgängern, die entlang der breiten Straße unterwegs waren, untergetaucht war. Frey wandte sich sofort Kyôko zu. „Los, komm mit, ich bringe dich zum Café!“ Sie nickte und schloss sich ihm an, als er die Ampel überquerte, begleitet von einem hellen Klingeln wie dem eines Glöckchens. Während er sich mit einem Tuch aus seiner Hosentasche über die Stirn tupfte, warf sie noch einen Blick über ihre Schulter. „Was meintest du gerade mit ‚Mayura’?“, fragte sie. „Das ist die Schwester von Alice. Sie ist seit ein paar Tagen verschwunden.“ Kyôko lächelte auf einmal. „Hey, dann könnte ich...“ Sie brach ab. „Was denn?“, erkundigte er sich beiläufig. Sie hob vorsichtig den langen roten Stab in ihrer Hand. „Also, wenn er jetzt noch heile wäre, könnte ich versuchen, in die Vergangenheit zu reisen und das Verschwinden dieser Schwester rückgängig zu machen“, sagte sie. „So was kannst du?“ „Na ja, normalerweise eben. Mit Sticky kann ich auch die Zeit anhalten.“ „Aber er ist kaputt, sagst du?“ „Hm-hm.“ Sie reichte ihm wortlos den roten Stab. Frey hatte jetzt erstmalig die Gelegenheit, ihn genauer zu untersuchen. Der Stab war etwas über einen Meter lang und hatte ein Ende, das wie der Griff eines Gehstocks aussah. Das andere wurde von einem apfelsinengroßen, roten Stein beherrscht, der in einen verschlungenen Rahmen eingefasst war. An dem breiten Reifen, der um den Stein lag, hingen an kleinen Ringen goldene Metallplättchen, die das leise Geräusch ausmachten, das Frey beim Gehen schon wahrgenommen hatte. Erst, als er das zweite Mal mit der Hand darüber strich, bemerkte er den Fehler. Was er zuerst für einen seltsamen Lichtreflex gehalten hatte war in Wirklichkeit ein recht tiefer Riss im zentral gelegenen Stein. „In der Tat, sieht kaputt aus. Und damit kannst du normalerweise durch die Zeit reisen?“ „Ja, ich bin der Time Stranger und beherrsche die Zeit“. Als Frey in eine kleinere Seitenstraße abbog, folgte sie ihm und beobachtete seinen ratlosen Gesichtsausdruck. Es dämmerte bereits und zwischen den Häusern an beiden Seiten der Gasse herrschte ein seltsames Dämmerlicht. Dennoch war es brütend warm. Frey schien gerade etwas fragen zu wollen, doch das laute Knattern einer entgegenkommenden gelben Vespa ließ beide aufsehen. Nachdem diese an ihnen vorbei gefahren und aus ihrem Sichtfeld verschwunden war, fragte Kyôko: „Das ist ein komisches Gefährt. Ist das so was ähnliches wie diese Personenkraftwagen?“ Frey brauchte einen Moment, bis er verstand, was sie meinte. „Ach, du meinst Autos. Ja, das Teil funktioniert so ähnlich. Frag mich aber nicht wie, Technik ist nicht mein Ding.“ „Meins auch nicht“, meinte sie einlenkend. „Schon, aber es ist trotzdem seltsam, dass du nicht mal so etwas kennst.“ Sie waren nur zwei Schritte weiter, als er stehen blieb und sich mit der Faust auf die flache Hand schlug. „Verstehe, du bist gar nicht aus unserer Zeit!“ Sie drehte sich zu ihm um. „Ja. Ich komme aus dem 31. Jahrhundert“, lächelte sie. Er blieb stehen, da sie vor einem zweistöckigen, kastenförmigen Gebäude angelangt waren. „Da wären wir“, sagte Frey. Die der Straße zugewandte Fassade war fensterlos und mit dunklen Ziegeln vertäfelt, abgesehen vom Erdgeschoss, in dem hinter einer breiten Glasfront ein in heimeliges Licht getauchter Innenraum mit Stühlen und Tischen lag. Frey wollte bereits hineingehen, bemerkte dann aber, dass Kyôko ratlos vor dem großen blauen Stoffbanner stehengeblieben war, das den Namen des Cafés trug. Als sie bemerkte, dass er sie ansah, deutete sie darauf. „Diese Zeichen, was bedeuten sie?“ Er trat neben sie. „Rengedou – Halle der Lotosblüte. Solche Zeichen benutzt ihr in der Zukunft wohl nicht mehr?“ Sie folgte ihm kommentarlos in das Café. Drinnen war es angenehm kühl. Eine junge Frau mit dunklem Haar und japanischem Aussehen stand hinter der gläsernen Theke und begrüßte sie, woraufhin Frey sie Kyôko als Maki, die Mitbesitzerin des Cafés vorstellte. Kyôko stellte sich ebenfalls kurz vor, dann bedeutete Frey ihr, sich an einen runden Tisch in der Ecke des kleinen Raumes zu setzen. Da sie sich nicht hatte entscheiden können, hatte sie gut fünf Minuten später vier Stücke Kuchen vor sich stehen. Eine Erdbeer-Biskuitrolle, einen Montblanc, ein Stück Käsekuchen und eine Fruchtschnitte. Außerdem einen Eis-Café-au-Lait. Frey, der sich als Kellner in ein weißes Oberteil und schwarze Hose, kombiniert mit einer bunt gemusterten Schürze, gekleidet hatte, ließ sich mit einem Glas Wasser und einem Töpfchen Marmelade neben ihr nieder und betrachtete, wie sie mit bedächtigen Bewegungen den Kuchen mithilfe ihrer Gabel in kleine Stück teilte und sich diese dann vorsichtig in den Mund schob. Auch ihr Getränk führte sie recht vorsichtig an die Lippen und nippte nur leicht daran. Aus irgendeinem seltsamen Grund wagte er nicht, sie anzusprechen, bis sie alle vier Kuchenstücke gegessen hatte und das leergetrunkene Glas geräuschvoll absetzte. „Hat’s geschmeckt?“, erkundigte er sich freundlich. Sie nickte. „Also, jetzt musst du mir aber alles von vorne erklären“, sagte er dann. „Du bist also aus der Zukunft gekommen, und zwar vermutlich mithilfe von deinem Stab, der jetzt kaputt ist...“ Frey stutzte. „Wo ist der jetzt eigentlich?“ Kyôko tippte sich mit der Hand an den roten, tropfenförmigen Anhänger in ihrem linken Ohr. Mit einem kurzen Lichtblitz löste sich daraus der lange rote Stab. Kyôko reichte ihn sofort an Frey weiter. „Also, damit bist du hierher gekommen?“, fragte er. „Ja. Wir sind mit dem Luftschiff geflogen, als uns die Riesenschlange, das Haustier einer Räuberbande, angegriffen hat. Ich stand zu nah an der Reling und Sticky ist heruntergefallen. Ich bin sofort hinterher gesprungen, aber er war schon kaputt. Also habe ich versucht, nur ein paar Sekunden in die Vergangenheit zu reisen, um sein Kaputtgehen zu verhindern. Stattdessen bin ich in dieser Zeit gelandet, und jetzt spricht Sticky nicht mehr“, erklärte das Mädchen mit einigermaßen gefasster Stimme. Frey legte die Hand auf die Lehne des Stuhls auf dem sie saß, wagte es jedoch nicht, sie tatsächlich zu berühren. Mit der anderen fuhr er über den offensichtlichen Riss im Stein. „Du sagst, er spricht?“, fragte er neugierig. „Ja, oder vielmehr, er schimpft ständig mit mir. Ich glaube, er hat so was wie ein Bewusstsein“, sagte Kyôko nachdenklich. Frey grinste sofort. „Dann könnte ich mal was ausprobieren“, sagte er und zog seine Hand wieder von ihrer Stuhllehne weg um sie über den Edelstein zu halten. „Was hast du vor?“, verlangte sie zu wissen. „Ich beherrsche magische Worte, die bestimmte Wirkungen erzielen können. Allerdings basieren sie darauf, dass das Wort in das Bewusstsein desjenigen dringt, auf den es wirken soll, deshalb dachte ich, es wäre hier nutzlos. Wenn dein Stab aber tatsächlich ein Bewusstsein hat...“, erläuterte er ernst. „Probier es!“, sagte Kyôko sofort. Er nickte. Er schloss die Augen und wölbte die rechte Hand, an deren Gelenk eine Kette mit kleinen funkelnden Perlen hing, über dem großen Edelstein. Er öffnete die Lippen kaum, doch das Wort, das er aussprach, hallte mit unglaublicher Macht im Raum wider: „Jiva.“ Kyôko machte große Augen, als zuerst Freys Hand und dann der Stein zu glimmen begannen. Zuerst war es ein samtig weiches, helles Licht, doch dann setzte auf einmal Sticky selbst ein rötliches Strahlen frei, das sie beide zwang, die Augen zu schließen und mit den Händen zu bedecken. Sie merkten sofort, dass etwas anders war, als das Licht verblasste. Um sie herum waren die Stimmen vieler Menschen und das Klappern von Geschirr zu hören. Von irgendwoher kam leise, chinesische Musik. Kyôko fand zuerst die Fassung wieder und sah sich um. Sie saßen immer noch an demselben Platz wie vorher und es war auch ohne Zweifel dasselbe Café, aber es war voll besetzt mit Gästen und draußen herrschte hellster Sonnenschein. „Ach, Entschuldigen Sie. Hatten Sie schon bestellt?“, wurden sie gefragt. Als sich die beiden umdrehten, stand Maki vor ihnen, doch sie war eindeutig jünger. Ihr Haar war ein wenig kürzer als zuvor und ihr Gesicht wirkte weniger von Sorgen gezeichnet. Sie blinzelte verwirrt. „Warum sehen Sie aus wie einer unserer Kellner? Wer sind sie?“, fragte sie Frey. Dieser erhob sich sofort, wobei er die Schürze eilig aufknotete und dann über seinen Arm schlug. „Das muss reiner Zufall sein, dass mein Outfit genau so aussieht wie Ihres, meine Schöne“, säuselte er und küsste ihre Hand. Bevor sie die Überraschung verarbeitet hatte, waren er und Kyôko bereits außerhalb des Cafés. Draußen stach ihnen sofort die Sonne, die hoch über den Häusern stand, ins Gesicht. Kyôko wand ihre Hand aus Freys Griff, bemerkte aber, dass diese schon fast von selbst auf den Boden sank. Er war in die Knie gegangen, sein Gesicht voller Schweißperlen. „Was ist denn mit dir los?“, fragte sie ungehalten. „Ich hasse Hitze“, sagte er schwach. „Warum bist du dann überhaupt aus dem Café gegangen? Da war es zumindest angenehm kühl.“ „Ja, aber wir wären aufgefallen. Außerdem kann da drin auch keiner deinem Sticky helfen. Oder funktioniert er jetzt wieder?“ Kyôko hob den Stab gegen die Sonne und betrachtete ihn mit einem zugekniffenen Auge. „Der Riss ist irgendwie kleiner, aber immer noch da.“ Frey stöhnte leise. „Sticky, hörst du mich?“, fragte Kyôko. Sie sah den Stab erwartungsvoll an. Zuerst passierte nichts, doch dann bewegten sich auf einmal von selbst die lose aufgehängten Metallplättchen an seinem Rahmen und wippten langsam auf und ab. „Los, sag’ was, Sticky“, rief Kyôko herausfordernd. Die Plättchen zuckten ratlos hin und her. Kyôko drehte sich zu Frey, der sich mit dem Rücken an die Scheibe des Cafés gelehnt hatte. „Sticky bewegt sich von selbst, aber er spricht nicht,“ sagte sie. „Na toll“, jammerte der Blonde. Kyôkos Augenbrauen zogen sich zusammen. „Mach hier nicht einen auf Weichei!“, sagte sie, und dann, an Sticky gewandt: „Kannst du uns in unsere jeweilige Zeit zurückbringen?“ Die Plättchen schwangen langsam nach rechts und links, wobei sie melodisch aneinander schlugen. Das war wohl als ein Kopfschütteln zu verstehen. „Was sollen wir dann machen, Sticky?“ Der Stab war kurz still, dann zuckten die Goldplättchen wieder und zeigten auf einmal alle in dieselbe Richtung, zur Hauptstraße. „Willst du uns etwa irgendwo hinbringen, wo wir Hilfe bekommen?“, fragte Kyôko. Ein Auf- und Abwippen der Plättchen folgte – Sticky nickte. Kyôko drehte sich zu Frey. „Los, komm, Sticky zeigt uns den Weg!“, rief sie. Frey sah sie gequält an. „Geh ohne mich. Ich kann nicht weiter...“, jammerte er. Kyôko verdrehte die Augen. „Ich weiß zwar nicht, wie weit wir in die Vergangenheit gereist sind, aber dass das nicht deine normale Zeit ist, ist klar! Los, steh’ auf, ich als Time Stranger muss schließlich dafür sorgen, dass keiner den Zeitablauf durcheinander bringt!“ Von Sticky kam ein zustimmendes Klingeln. Frey streckte hilflos die Hand aus. Der rothaarige Time Stranger hatte keine Wahl, als sie zu ergreifen und den blonden Norweger vom Boden hochzuziehen. Er taumelte. „Wieso macht dir die Hitze so viel aus? Eben war es doch auch schon heiß!“ „Jaa, aber nicht sooo heiß. Ich hasse Hitze, in Norwegen ist es sogar im Sommer meist nur um die 20 Grad, zumindest da wo ich herkomme. Außerdem sticht die Sonne so, eben war es immerhin noch bewölkt.“ Kyôko stemmte streng die Arme in die Hüfte. „So schlimm kann es gar nicht sein. Jammer nicht und komm mit, oder ich lasse dich hier. Du bist ja echt ein Weichei.“ Sie wartete nicht einmal auf seine Antwort, sondern folgte einfach der Richtung, in die Sticky zeigte und drehte sich nicht noch einmal um. Frey starrte ihr kurz verblüfft nach, dann eilte er ihr doch hinterher. Es war nervenaufreibend, Frey durch die Stadt zu lotsen, in der die mit Feuchtigkeit angefüllte Luft regelrecht stillzustehen schien. Immer wieder jammerte er über die Hitze und zog sich dann an einem der an jeder Ecke stehenden Automaten Dosen mit kühlen Getränken. Kyôko gab er auch mehrmals etwas davon ab, denn obwohl sie sich nicht beschwerte, stand auch ihr der Schweiß auf der Stirn. Sticky lotste sie immer weiter durch die Stadt, vorbei an prunkvollen Hochhäusern voller Werbeplakate, an kleinen Restaurants und breiten Straßen, auf denen die Autos Schlange standen. Als Sticky sie zu einem kleinen Friedhof führte, der voll von Schatten spendenden Bäumen war, machten sie eine kleine Pause und ließen sich auf einer Bank nieder. Von dem Hügel, auf dem sie sich nun befanden, konnte man ziemlich gut sehen, wie sich die Stadt mit ihren unzähligen Häusern bis ans Meer erstreckte. Im Schatten ging es Frey sofort wieder besser. Kyôko wischte sich ein paar schweißverklebte Strähnen aus dem Gesicht. Sticky lag neben ihr auf der Bank. Ihre schwarze Jacke hatte sie ausgezogen, so dass sie nur noch das langärmlige beige Kleid trug, das ihre Oberschenkel lediglich zur Hälfte bedeckte. Frey öffnete die obersten Knöpfe seines weißen Oberteils. Als sie wieder aufbrachen, stand die Sonne zum Glück schon etwas tiefer, sodass sie meist auf einer Straßenseite im Schatten der Hochhäuser gehen konnten. Nachdem sie den Friedhof verlassen hatten, war es auch gar nicht mehr weit, bis sie in einem Gebiet landeten, wo viele zweistöckige Einfamilienhäuser über der Stadt thronten. Sticky führte sie eine relativ schmale Straße entlang, deren Böschung nach rechts mit einer Mauer gesichert war. Auf dieser Straßenseite lagen die Häuser ein paar Meter höher. Neben einer Treppe, die nach oben führte, blieb Kyôko stehen und wartete auf Frey, der sich ihr wankend näherte und sich dann hilfesuchend auf ihre Schulter stützte. Sticky deutete zum oberen Ende der Treppe. Oben lag ein rotes Tor mit zwei Querbalken, dahinter war nicht viel zu erkennen, nur, dass dort ein paar Bäume standen. „Da hoch?“, fragte Frey in einem Anflug von Panik. „Das bisschen Weg schaffst du wohl auch noch!“, sagte Kyôko streng. Er seufzte, nickte aber. Am oberen Ende der Treppe lag ein von einer Mauer umgebenes kleines Areal, auf dem mehrere aus Holz gebaute Gebäude mit kunstvollen Dächern standen. Auch ein Wohnhaus aus Beton war dort zu finden, leicht zurückgesetzt allerdings, und mehrere Bäume, aus denen das schrille Zirpen von Zikaden und hin und wieder Vogelgezwitscher klangen, drängten sich daneben. „Sieht aus wie ein shintoistischer Tempel“, sagte Frey mit verschränkten Armen. „Ein was?“ „Hier beten die Japaner ihre Götter an.“ Kyôko nickte und sah auf Sticky. Er zeigte auf ein kleines, abseits gelegenes Gebäude, das von der Bauart her dem Schrein ähnlich sah. Also tippte sie Frey an und ging zusammen mit ihm darauf zu. Vor den verschlossenen Türen blieben sie stehen. Weiße Papiermanschetten waren an einem geflochtenen Band quer über den oberen Teil der Tür gehängt, die selbst aus Holz bestand. Frey eilte gleich auf die fünfeckige Informationstafel zu, die rechts neben dem Gebäude stand. Es war nicht zu übersehen, dass die langen Schatten der Bäume, die den ganzen Platz anfüllten, ihm guttaten. „Hier steht, dass da drin der sogenannte ‚Knochenfresserbrunnen’ ist. Er wurde vor über 500 Jahren gebaut und verschluckt angeblich alles, was hineingeworfen wird“, verkündete er, nachdem er den Text selbst gelesen hatte. „Wie gruselig“, kommentierte Kyôko sofort. Sie kontrollierte noch einmal Sticky, doch er zeigte weiterhin genau auf die Tür des kleinen Gebäudes. „Entschuldigen Sie, was machen Sie da?“, fragte da eine Stimme. Ein Mädchen mit schulterlangem schwarzen Haar, das eine grüne Schuluniform mit roter Schleife auf der Brust trug und auf ihrem Rücken einen großen gelben Rucksack sitzen hatte, kam mit großen Schritten auf sie zu. Dass sich dabei aus ihrem überfüllten Gepäck ein Plastikbecher mit Instant-Nudeln löste und klappernd auf den Platz fiel, schien sie nicht zu stören, stattdessen blieb sie direkt vor Frey stehen. Sie musterte verwundert seine Kellneruniform und sagte dann: „Tut mir leid, aber der Knochenfresserbrunnen ist nicht für Besucher zugänglich.“ Frey brauchte keine zwei Sekunden, um zu reagieren. Er nahm ihre Hand und gab ihr darauf einen raschen Kuss. „Bitte seien Sie uns nicht böse. Wir sind lediglich auf der Suche, nach jemandem, der uns helfen kann“, sagte er sanft. Das Mädchen errötete leicht, riss ihre Hand aber los. „Falls sie Glücksbringer oder Orakel erwerben wollen, der Verkauf ist dort hinten“, sagte sie und deutete über ihre Schulter zu einem Verkaufsstand neben dem Schrein. „Wir sind nicht in solchen Absichten hier“, sagte Frey und zog Kyôko auf seine Höhe, so dass sie der Schwarzhaarigen nun auch gegenüber stand. „Sie hier hat ein Problem mit ihrem Stab. Er ist kaputt“, erläuterte er. Kyôko hob Sticky mit beiden Händen dem Mädchen entgegen, so dass diese ihn betrachten konnte. „Das ist kein normaler Stab“, sagte sie, kaum, dass sie ihren Blick auf ihn gesenkt hatte. In Ihrer Stimme klang Überraschung mit. Kyôko nickte: „Es ist der Time Scorpion Cane. Normalerweise erlaubt er es mir, die Zeit zu beherrschen“ Die Schwarzhaarige musterte sie vorsichtig, verlor aber keinen Kommentar über ihre ungewöhnliche Haarfarbe und die spitzen Ohren. „Er ist also kaputt?“, hakte sie nach. „Ja, er hat einen Riss. Er zeigt auf dieses Gebäude mit dem Knochenfresserbrunnen, offenbar glaubt er, dass uns dort jemand helfen kann.“ Die Schwarzhaarige blickte noch einmal auf den Stab. „Ja, wahrscheinlich kann Tôtôsai-jii-san tatsächlich etwas für euch tun. Aber ich weiß nicht, ob ihr den Brunnen benutzen könnt.“ Kyôko nahm Sticky wieder fester in die Hand und verschränkte die Arme. „Wie meinst du das?“ „Ich kann in die Vergangenheit reisen, wenn ich in diesen Brunnen springe, und da lebt Tôtôsai, ein ziemlich talentierter Waffenschmied. Aber normalerweise kann sonst kaum einer den Brunnen benutzen.“ Kyôko sah Sticky fragend an. Dieser klimperte aufmunternd. „Ich glaube, Sticky meint, dass es klappt“, sagte Kyôko zu Frey. „Das wäre schön“, erwiderte dieser lächelnd. „Na gut, dann kommt mit.“ Die Schwarzhaarige drängte an den beiden vorbei und öffnete die Schiebetür des Gebäudes. Dahinter führte eine wackelige Holztreppe mit wenigen Stufen zu einem alten, verwitterten Holzbrunnen. Frey und Kyôko folgten, erstere ein wenig entschlossener. Das Mädchen trat an den Rand des Brunnens. „Also gut, ich springe zuerst. Wartet dann kurz, damit ich auf der ‚anderen Seite’ aus dem Schacht klettern kann und springt hinterher. Vielleicht funktioniert es ja“, sagte sie. Bevor weder Frey noch Kyôko etwas weiteres sagen konnten, war sie bereits über den Brunnenrand hinweggesetzt. Kyôko warf einen Blick hinterher in das dunkle Loch. Niemand war zu sehen. Frey trat neben sie. „Es könnte etwas schmerzhaft werden, wenn wir springen und einfach im Schacht landen, oder?“, fragte er unsicher. „Ach was“, sagte Kyôko sofort. „Lass uns trotzdem zusammen springen“, schlug er vor. Sie verdrehte die Augen. „Wer hat hier eigentlich mehr Angst?“, fragte sie pragmatisch. Trotzdem protestierte sie nicht, als er seinen Arm um ihren schlang. Sticky klimperte auffordernd herum. Frey und Kyôko sahen sich kurz an, stiegen dann zusammen auf den Brunnenrand. „Bei drei“, sagte er, „Eins, zwei ...“ Bei Drei sprangen sie. Sie kamen viel sanfter auf dem Boden auf, als erwartet, fast so, als hätten sie lediglich einen großen Schritt gemacht. Kyôko hob sofort den Kopf. Sie befanden sich im Schacht des Brunnens, der von innen mit allerhand Kraut und Schlingpflanzen bewachsen war, aber über der Öffnung zeigte sich der Himmel, der im satten Rot des Sonnenuntergangs erstrahlte. Das schwarzhaarige Mädchen tauchte in der quadratischen Öffnung des Brunnens auf. „Ihr habt es tatsächlich geschafft“, stellte sie verblüfft fest. „Also, hangelt euch am besten an den Pflanzen hoch. Ich...“ sie brach ab, weil sie etwas gehört hatte und ihr Gesicht verschwand von der Öffnung. „Los, du zuerst“, sagte Kyôko zu Frey. „Was? Wieso ich?“ „Weil ich einen Rock trage“, erklärte sie kühl. Er zuckte ertappt zusammen, machte sich dann aber ohne Murren an den Aufstieg. Als sie auch oben ankam, half er ihr über den Rand des Brunnens, der hier inmitten einer weiten grünen Wiese stand, die zu einer Seite leicht in ein Tal abfiel. Von dort näherten sich mehrere Personen, allen voran ein in ein weites, rotes Gewand gekleideter Mann mit schlohweißem, langem Haar. Im Schlepptau hatte er einen kleinen Jungen und weiter hinten näherten sich ein junger Mann und eine etwa gleichaltrige Frau. Der Weißhaarige stoppte direkt vor dem Mädchen in Schuluniform. „Da bist du ja endlich wieder!“, sagte er. Das Mädchen verschränkte sofort die Arme. „Ich habe doch gesagt, dass ich in drei Tagen wiederkomme. Warum machst du eigentlich immer so ein Theater?“ „Kagome-saaaan, du bist wieder daaa!“, schrie da der kleine Junge und warf sich ihr so stürmisch in die Arme, dass sie von dem Gewicht ihres Rucksacks rückwärts gezogen wurde und gegen den Brunnenrand taumelte. „Hey, Shippô, alles klar?“, lächelte sie dennoch freundlich. Frey nahm das nicht einmal wahr. Seine Augen klebten förmlich an der jungen Frau, die sich etwas langsamer näherte. Ihr dunkles, glänzendes Haar fiel offen über ihre Schultern und umrahmte ihr schmales, aber hübsches Gesicht. Sie steckte in einem einfachen Kimono mit hellroten Mustern, und um ihre Hüfte hatte sie einen grün gemusterten Überrock geschlungen. Frey wartete nicht, bis sie ihn erreicht hatte, sondern huschte sofort zu ihr und ging in die Knie. Fast zeitgleich setzte sich der Begleiter der jungen Frau in Bewegung, ein hübscher Mann mit zu einem Zopf gefasstem dunklem Haar, der über seinem schwarzen Kimono ein violettes Tuch geschlungen hatte und einen langen Holzstab mit einem goldenen Kranz an der Spitze mit sich trug. „Es freut mich, Euch kennenzulernen“, rief Frey sofort und nahm die Hand der jungen Frau, „bitte erlaubt mir, mich vorzustellen. Mein Name ist Frey Willhazen.“ Nachdem er ihr eine ehrfürchtigen Handkuss gegeben hatte, richtete er sich wieder auf. „Es wäre mir eine Freude, Euch näher kennenzulernen“, schloss er. Sie blinzelte ihn perplex an, als hinter Frey ein Schrei ertönte, gefolgt von einem dumpfen Klingeln und einem Stöhnen. Kyôko stand zitternd da, Sticky erhoben. Zu ihren Füßen lag der junge Mann, wie es schien, war er von ihr zu Boden geschlagen worden. „Kyôko!“ Frey eilte sofort zu der Rothaarigen. „Was hat er dir angetan, meine Schöne?“ Kyôko starrte auf den am Boden liegenden, der sich bereits den Kopf rieb und auf die Knie kam. „Er wollte, dass ich... die Mutter seiner Kinder werde“, stammelte sie. Der Mann kam auf die Beine und klopfte sich umständlich über das Gewand. „Ich hatte mich nicht vorgestellt, mein Name ist Miroku“, sagte er seelenruhig. „Und diese Frage stellt er jeder Frau“, erklärte die Frau im Kimono, die neben ihn getreten war. „Ach?“, war alles, was Kyôko zustandebrachte. „Das stimmt so nicht.“, erwiderte Miroku protestierend, „Ich frage das nur die schönsten Frauen, so wie diese umwerfende Schönheit!“ Damit deutete er auf Kyôko. „Du hast Recht, sie ist eine Schönheit“, sagte Frey und legte Kyôko eine Hand auf die Schulter. „Eines der schönsten und anmutigsten Wesen, die ich je getroffen habe.“ „Allein dieses seidige, tiefrote Haar...“, setzte Miroku an. Die junge Frau schob Kyôko wortlos von den beiden Männern weg. „Da haben sich wohl zwei gefunden“, kommentierte sie. Kyôko nickte verwirrt. Das Mädchen in der Schuluniform tauchte neben ihnen auf. „Ähm, Sango-chan, ich glaube ich muss das erklären“, sagte sie. „Allerdings“, bemerkte die Frau. Die Schwarzhaarige nickte und deutete verhalten auf Kyôko. „Also, das hier ist ein Mädchen, das durch die Zeit reisen kann, aber ihr Stab, mit dem sie das hinkriegt, ist kaputt und deshalb wollte sie ihn zu Tôtôsai-jii-san bringen. ... Ich bin übrigens Kagome Higurashi“, erklärte sie. „Ich heiße Sango.“, erklärte die Frau, „und Miroku hast du ja bereits kennengelernt.“ Sie seufzte. Kyôko nickte schwach. „Ja, und das hier sind Inuyasha und Shippô“, sagte Kagome und deutete zuerst auf den Weißhaarigen, der trotz seiner Haarfarbe nicht älter als zwanzig zu sein schien, und dann auf den kleinen Jungen, der beim genaueren Hinsehen einen buschigen Schwanz aufwies, der ihm aus der Hose lugte. Kyôko nickte. „Ich bin Kyôko Suômi“, sagte sie. Sango legte ihr freundlich die Hand auf die Schulter. „Heute ist es wohl zu spät, um Tôtôsai noch zu stören. Ihr könnt im Dorf übernachten und euch morgen auf den Weg machen“, schlug sie vor. Kyôko hatte nichts dagegen einzuwenden. Frey sowieso nicht, denn er und Miroku hatten sich nach fünf Minuten des Gesprächs bereits angefreundet und unterhielten sich die ganze Zeit weiter, als sich die Truppe im Sonnenuntergang auf den Weg in die Ebene machte, in der ein Dorf aus ärmlichen Holzhütten lag. Dort wurden sie der Dorfheilerin vorgestellt, einem alten, gebückt gehenden Weib mit dünnem aber noch langem, grauen Haar, das Kaede hieß und nur noch ein Auge hatte. Diese lud sie alle in ihre Hütte ein, wo sie sich um ein kleines Herdfeuer scharten und eine einfache Mahlzeit mit grobem Reis und Gemüse zu sich nahmen. Kyôko zwang sich das Essen regelrecht herunter und war erleichtert, als Kagome das bemerkte und ihr stattdessen eine ihrer Instant-Nudelsuppen anbot. Die meisten streckten sich danach schon recht bald auf dem harten Holzboden der Hütte aus, wo sie sich mit grob gewebten Stoffen zudeckten. Nur Inuyasha, der weißhaarige Halbdämon, hockte sich in die Ecke und schloss die Augen, schien jedoch nicht zu schlafen. Kyôko saß noch eine Weile neben der nur noch schwach glimmenden Asche der Feuerstelle, bis sie irgendwann aufstand und die Hütte mit leisen Schritten verließ. Sie tapste über das vom Tau benetzte Gras und trat schließlich an einen groben Bretterzaun am Rande des kleinen Abhangs, zu dessen Fuß die Reisfelder lagen. An diesen Zaun lehnte sie sich vorsichtig und stützte die Arme auf. Sie bemerkte, dass sich jemand näherte, und fuhr herum. Es war Frey, noch immer in seiner Kellnerkleidung, der sie sanft anlächelte. „Kannst du auch nicht schlafen?“, fragte er mitfühlend. Sie nickte vorsichtig. „Seltsam oder? Wo wir doch schon so lange unterwegs waren heute.“ Er lehnte sich neben sie und sah über die mit Wasser bedeckten Reisfelder, die wie schwarze Löcher unter ihnen lagen. Der Mond war nur eine schmale, Sichel, fast ein Strich, der über den Bergen baumelte. „Gruselig, so ohne jedes elektrisches Licht“, sagte er. Kyôko nickte nur kurz und hing dann wieder ihren Gedanken nach. Frey schwieg ebenfalls. Schließlich sprach sie wieder: „Diese Welt ist so anders. Die Geräusche kenne ich nicht, das ist total unangenehm. Außerdem kenne ich keinen von den Leuten hier, auch wenn sie so nett zu uns sind...“ Frey nickte verständnisvoll. „Wie lange wir wohl hierbleiben müssen...?“, sinnierte sie jetzt und fuhr mit der Hand durch die Nachtluft. „Das kommt drauf an, wie lange dieser Schmied braucht, oder? Aber keine Sorge, ich werde dafür sorgen, dass du bald in deine Zeit zurück kannst.“ Sie verdrehte die Augen. „Du kannst doch überhaupt nichts ändern!“, bemerkte sie schnippisch. Er grinste. „Stimmt, aber das macht nichts. Ich gelobe trotzdem, dass du so bald wie möglich wieder in deiner Zeit sein wirst“, sagte er mit einer ernst gemeinten Verbeugung. Kyôko errötete und drehte sich demonstrativ weg. „Sag’ nicht so was! Du klingst fast schon wie Sakataki!“ „Wer ist das?“ „Mein Leibwächter“ „Du hast sogar einen Leibwächter? Ich hatte mir wegen deines geraden Ganges und deiner Ausdrucksweise schon fast gedacht, dass du kein normales Mädchen bist, aber...“ „Ich bin die Prinzessin der Erdnation“, erklärte sie, „allerdings ist das nicht so toll wie es klingt. Eigentlich würde ich gerne damit aufhören, deshalb suche ich die zwölf Göttersteine.“ „Wie hängt das denn zusammen?“ „Mithilfe der Göttersteine könnte ich meine Zwillingsschwester Ui erwecken, die seit ihrer Geburt im Schlaf liegt. Dann wäre sie die Prinzessin und ich könnte machen, was ich will. Sticky ist der erste der Göttersteine, und ich habe schon zwei weitere der Steine und die dazugehörigen Stranger gefunden. Einer von ihnen ist Sakataki, mein Leibwächter.“ Frey seufzte. „Da er aber nicht hier ist, lass mich doch für die paar Tage dein Leibwächter sein“, schlug er vor. „So cool wie Sakataki wirst du sowieso nie!“, scherzte sie mit einem breiten Grinsen. Er sah sie ernst an. „Was ist er für ein Typ?“, fragte er. Kyoko drehte sich weg, stützte die Arme auf den Zaun und sah in die Dunkelheit. „Er ist kein Weichei, sondern immer stark und handlungsbereit. Er kann sich in einen Drachen verwandeln, er gehört nämlich zum Drachenclan. Und... er hat geschworen, für immer bei mir zu bleiben.“ „Du liebst ihn?“, hakte Frey ernst nach. Kyôko nickte, wenn auch nur ganz leicht, und ließ dann die Schultern sinken. „Irgendwie schon...“ Frey legte ihr von hinten die Hände um die Taille. „Hey!“, protestierte sie sofort. Er legte seinen Kopf auf ihre Schulter, so dass seine Wange sich an ihre schmiegte. „Ich vermisse Alice auch, erinnerst du dich, die kleine Schwarzhaarige vorhin...? Aber ich bin froh, dass ich nicht der einzige bin, der sich ein bisschen allein fühlt.“ Sie lehnte sich zögernd an seine starke Brust. „Ja, da könntest du recht haben...“, murmelte sie. Bald darauf kehrten sie in die Hütte zurück, wo Frey sie in den Arm nahm. Dort schlief sie ein, nur kurz bevor auch ihn der Schlaf übermannte. Am nächsten Morgen erklärte ihnen Sango, dass ihre Truppe die folgende Nacht noch im Dorf verbringen würde und so schlug sie vor, sie und Sticky zu Tôtôsai, dem Schmied, zu begleiten. Da Frey sich zu der Zeit bereits mit Miroku aus dem Staub gemacht hatte, machten sie sich zu zweit auf. Sangos riesenhafte Dämonenkatze, ein Wesen namens Kirara, trug sie mit schnellen Sprüngen über Berge, Täler und Dörfer hinweg durch die Luft bis zu einem von Geröll bedeckten Vulkan. Dort landeten sie vor dem Kopfskelett eines riesigen Tieres, dessen Maul den Eingang zu einer kleinen Werkstatt bildete. Kyôko drückte sich vorsichtig hinein. Der Boden vor dem exzentrischen Quartier war glühend heiß, die Hitze breitete sich über die ganze Vulkanebene aus und ihr lief bereits jetzt der Schweiß über die Stirn. Sie dachte daran, dass Frey hier sowieso zu nichts zu gebrauchen wäre und rief dann vorsichtig den Namen Tôtôsais. „Wer stört mich denn jetzt schon wieder?“ Ein alter Mann mit dünnem Haar kam aus dem hinteren Teil des nach oben hin mit einer Lederplane bedeckten Skeletts, an dessen Wänden unzählige Utensilien aus Eisen hingen, die irgendwie zum Schmieden gut sein mussten. Er trug lediglich einen abgewetzten, einfachen Kimono. Als er Kyôko erblickte, weiteten sich seine Augen. „Wer bist du denn?“ Kyôko sah ihn missbilligend an. „Ich heiße Kyôko Suômi“, erklärte sie streng. „Nie gehört“, sagte der Alte und zupfte sich an den fusseligen Barthaaren, die aus seinem Kinn sprossen. „Ihr seid doch Tôtôsai, der Schmied?“, fragte Kyôko. „Ja, der bin ich. Bist du also wegen eines Auftrags für mich hier?“ „Ja, genau.“ Ohne weitere Erklärung reichte Kyôko ihm den langen Stab, den sie schon die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte. Die Augen des Schmiedes weiteten sich ehrfürchtig. „Es ist einer der Göttersteine! Noch dazu unversiegelt!“, stieß er aus. „Ihr wisst von den Göttersteinen?“, hakte die Rothaarige nach. „Natürlich! Aber ich hatte noch nie die Ehre, einen von ihnen in den Händen zu...“ Der Alte brach ab, weil er beim Betrachten des Stabes den Riss entdeckt hatte. „Was hast du denn mit ihm gemacht!? Mit so etwas Wertvollem muss man ordentlich umgehen, Mädchen!“, schalt er. Kyôko verzog eine Miene. „Ja, Entschuldigung. Ich war unvorsichtig. Aber Ihr könnt ihn doch sicher reparieren?“ Der Alte zögerte. „Ich denke schon“, sagte er, „auch wenn ich mich bisher wie gesagt noch nie an einem Götterstein versucht habe. Na gut, ich werde es wohl tun, allerdings...“ Er hielt wieder in seinem Gedankengang inne, sah Kyôko an und zupfte ihr dann frech ein paar Haare aus. Sie zuckte zusammen. „Was soll das!?“ „Ich brauche einen Katalysator“, erklärte Tôtôsai und drehte die wenigen rötlichen Haare vorsichtig in seinen Fingern. „Das sieht gut aus, du hast offenbar ein bisschen Kraft von den Göttern. Umso besser. Damit kriege ich es bestimmt hin. Du kannst in drei Tagen wiederkommen, dann bin ich auf jeden Fall fertig.“ Wortlos verschwand er im hinteren Teil der Höhle, wobei er leise vor sich hinmurmelte. Kyôko rümpfte die Nase und kehrte zurück nach draußen, wo Sango sichtlich froh war, der glühenden Vulkanhitze wieder entkommen zu können. Drei Tage hatten sie nun also Zeit. Da Kyôko nicht so recht wusste, was sie tun sollte, ließ sie sich überreden, der Heilerin Kaede beim Kräutersammeln zu helfen. Also verbrachte sie die meiste Zeit zusammen mit der Alten zwischen den Feldern und musste sich ständig bücken, um irgendwelches grünes Zeugs auszureißen, von dem diese ihr sagte, dass es gut sei um verstimmte Mägen zu beruhigen, Fleischwunden schneller heilen zu lassen oder dergleichen. Sie mochte es nicht besonders, aber es wäre ihr noch unangenehmer gewesen, den ganzen Tag herumzusitzen. Kagome begleitete sie dabei des Öfteren, schien aber genau so wenig begeistert von der eintönigen Arbeit zu sein wie Kyôko und bot auch nicht wirklich einen interessanten Gesprächspartner, weil sie sich nur ständig über Inuyasha aufregte oder jammerte, dass sie die Aufnahmeprüfungen für die Oberstufe nie bestehen würde. Zum Glück konnte Kyôko in den heißen Mittagsstunden, wenn Kaede gezwungenermaßen eine Pause einlegte, mit Frey reden. Dieser hatte es sich in den Kopf gesetzt, den Mädchen des Dorfes Marmelade zu präsentieren, war allerdings noch auf der Suche nach einer passenden und auch in dieser Gegend erhältlichen Grundzutat und unterhielt Kyôko mit seinen Überlegungen, ob man nicht auch aus Kürbis oder Kaki-Früchten Marmelade kochen könne. Im Nachhinein vergingen die drei Tage viel zu schnell. Die Gruppe um Inuyasha hatte sich entschlossen, noch bis zur Abreise der beiden im Dorf zu verweilen, und so war es jeden Abend vor dem Schlafengehen wieder ein heilloses Durcheinander, weil Kagome ihr Haarspray nicht finden konnte, Miroku versuchte, Sango unsittlich zu berühren, Shippô überall im Weg war und Frey alle anderen mit seiner Suche nach seiner Zutat nervte. Die langen, schwülwarmen Tage zehrten auch an Kyôkos Kräften, so dass sie nach der ersten Nacht jedes Mal sofort einschlief, wenn Frey sie in seine Arme zog. Am Morgen des dritten vollen Tages machten sich dann alle bereit, aufzubrechen. Die Gruppe um Kagome hatte sich in den Kopf gesetzt, etwas über das Verschwinden ihres Feindes Naraku herauszufinden, doch sie willigten ein, dass Kirara noch Kyôko und Frey zu Tôtosai bringen und dann erst zu ihnen stoßen sollte. „Ich wäre ja mitgekommen, aber drei Personen wären einfach zu viel für Kirara. Außerdem weiß sie den Weg auch ohne mich ganz gut“, erklärte Sango und kraulte ihrem Katzendämon das Nackenfell. Frey nickte zustimmend. „Sollte in Ordnung gehen“, bemerkte er und trat zu Kirara. „Los, komm, Kyôko. Ich helfe dir auch hoch“, schlug er vor. „Danke, aber das kann ich auch allein“, erwiderte die Rothaarige und schwang sich ohne Umstände auf den breiten Rücken der Katze. Frey folgte ihrem Beispiel und rückte hinter sie. Zur Sicherheit legte er die Arme um sie herum und krallte sich in die dichte Mähne des Dämonenwesens. „Los geht’s!“, rief Kyôko übermütig. Kirara fauchte zustimmend. Unter den Fesseln der Dämonenkatze entflammte ein Feuer, und mit wenigen Sprüngen war sie bereits in einer luftigen Höhe, wo sie ohne Probleme und wie auf festem Grund mit großen Sätzen losstürmte. Kyôko drehte sich noch einmal um und winkte Inuyasha, Kagome, Sango, Miroku und Shippô, die teilweise zurückwinkten und sich dann zu Fuß in Bewegung setzten. „So schnell geht das“, murmelte Frey und sah auf die unter ihnen vorbeirasende Landschaft. Kyôko lehnte den Kopf zurück, sodass ihr Haar frei wehen konnte und seufzte. „Ein schönes Gefühl!“, rief sie. „Wäre es für mich auch, wenn mir deine Haare nicht ins Gesicht schlagen würden“, bemerkte er. Tôtôsai wartete bereits am Eingang seiner kleinen Werkstatt auf sie, Sticky in den Händen. Dieser löste sich aber sofort daraus, als Kyôko landete und von Kiraras Rücken stieg, und hüpfte ihr von selbst in die Hände. „Sticky! Du bist wieder normal!“, rief Kyôko erleichtert. „Es wäre deine Schuld, wenn nicht“, kommentierte der Stab ungerührt in seiner leicht blechernen Stimme, die er direkt in ihren Kopf zu übertragen schien. „Hey, Entschuldigung! Aber immerhin habe ich dich auch wieder zur Reparatur gebracht“, meinte sie schnippisch und ließ den Stab ohne Weiteres in ihrem Ohrring verschwinden. Sie blickte den alten Schmied an und legte die Hände aneinander. „Wie kann ich Euch danken, Tôtôsai?“, fragte sie. Er zupfte sich am Bart. „Ich arbeite als Schmied, weil ich es liebe, einer Waffe die richtige Form zu geben. Außerdem war es bereits eine große Ehre für mich, den Time Scorpion Cane in den Händen halten und mich mit ihm unterhalten zu dürfen“, sagte er. „Oh, das ist aber nett“, lächelte Kyôko. „Pass nur auf, dass er dir nicht wieder kaputt geht, ein zweites Mal mache ich das nämlich nicht“, sagte der Schmied sofort mit emporgerecktem Zeigefinger. Kyôko grinste. „Okay. Trotzdem danke!“ Sie winkte kurz und kehrte zu Kirara zurück. Frey schien auf dem Rücken der Katze schon fast geschmolzen zu sein, so schwach lag er da. Wie erwartet setzte ihm die Hitze des Vulkans zu. Kyôko stieg vor ihm auf und bat die Katze leise, sie zum Knochenfresserbrunnen zurückzufliegen. Erst dort stiegen sie ab und ließen die Katze ziehen. Frey, der sich mittlerweile genügend erholt hatte, sah Kyôko ernst an. „Willst du noch in meine Zeit mitkommen?“, fragte er zögernd. Die Rothaarige schüttelte den Kopf. „Es ist besser, wir verursachen kein weiteres Chaos.“ „Oha, sie ist vernünftig geworden“, staunte Sticky. Frey musste grinsen. „Du sprichst tatsächlich...“, bemerkte er. „Natürlich spreche ich“, murmelte die Stimme des Stabes eingeschnappt. „Und ich bin froh darüber, dass ich es wieder kann. Es war schon schwer genug, euch ohne verbale Kommunikation zu diesem Brunnen zu lotsen!“ Kyôko setzte sich halb auf den Brunnenrand und schaute über die Berge. „Du wusstest, dass wir hier Tôtôsai finden?“ „Die Zeit ist für mich ein offenes Buch. Aber ich konnte dich nicht einfach irgendwo hinbringen, deshalb musste ich zu diesem Brunnen, in dem immer ein Zeitfenster offen steht.“ Kyôko runzelte die Stirn. „Wenn das immer offen steht, wieso mussten wir dann erst durch die Zeit reisen?“, fragte sie. „Ja, das interessiert mich auch. Nachdem ich dich geheilt hatte, hättest du uns doch eigentlich gleich den Weg zeigen können!“, mischte sich Frey ein. Sticky wedelte genervt mit den Metallplättchen. „Nein, in der Zeit war das Zeitfenster bereits geschlossen. Deshalb habe ich euch ja mehrere Jahre in die Vergangenheit geschickt.“ Kyôko nickte verstehend. „Tja...“, murmelte sie und sah Frey an. „Dann sollte ich dir wohl auch danken, ohne deinen Zauber wäre ich wohl aufgeschmissen gewesen“, sagte sie. „Keine Ursache“, lächelte der Norweger. Er trat auf Kyôko zu und nahm sie vorsichtig in den Arm. „Das ist ein Abschied für immer, oder?“, fragte er leise, dicht an ihrem Ohr. „Ich weiß nicht“, murmelte Kyôko, „Ich könnte dich noch mal besuchen. Aber erst muss ich die zwölf Göttersteine finden, sonst lässt man mich als Prinzessin nie weg.“ Er drückte sie ein wenig fester an sich. „Versprochen?“ Sie kicherte leise. „Versprochen.“ „Du könntest damit ein ganz schönes Chaos anrichten“, bemerkte Sticky streng. Kyôko ließ ihn ungerührt ins Gras fallen und sah auf in Freys grün glitzernde Augen. Sie lächelte schwach, aber ihre Augen schimmerten. „Dir wird es gar nicht so lang vorkommen. Mit Sticky kann ich auch zwei Tage nach dem Tag wieder bei dir landen, an dem wir uns kennengelernt haben“, sagte sie. „Du kannst mich ruhig so lange warten, wie du ohne mich auskommen musst. Wenn du mich nicht sowieso vergisst, du hast schließlich noch deinen Bodyguard.“ „Stimmt, und du hast noch deine Alice.“ Frey senkte die Augenlieder ein wenig. „In dieser Zeit existieren aber beide noch nicht“, bemerkte er anzüglich. Kyôko hob den Kopf und sah ihn aus großen Augen an. Dann hob sie das Kinn ein Stück weiter und drückte ihm einen wunderbaren, aber viel zu kurzen Kuss auf den Mund. Sie lösten sich zu bald wieder voneinander. Kyôko bückte sich und hob Sticky aus dem Gras auf. Sie drückte den Rücken durch und sah Frey selbstsicher an. Die Tränchen in ihren Augenwinkeln waren kaum zu bemerken. Sie hob den Stab, der auf der Stelle rot zu leuchten begann. Ihre machtvolle Stimme durchschnitt die Stille des leise raschelnden Waldes. „Time Stranger Kyôko befiehlt: Kehre zurück in deine Zeit! Time Return Excellent!!“ Frey sah, wie ihre Gestalt im hellen Licht vor seinen Augen verschwand. Ihm war, als würde sie noch sagen: „Ich werde dich vermissen.“ Er wusste, dass er gleich wieder in Tokyo stehen würde, in seiner Zeit. Er wusste auch, dass Kyôko nur Augenblicke später aus dem Waldstück verschwinden würde und in ihre eigene Zeit zurückkehren. Und er wusste, dass sie sich wiedersehen würden... vielleicht. „Ich dich auch“, flüsterte er. Kapitel 36: Ace und Ami - Die Distanz zwischen Feuer und Wasser --------------------------------------------------------------- Von Mal wieder ein Pärchen mit einer Bedingung: die beiden sollten dem jeweiligen Durchschnittsalter ihres Geschlechts entsprechen, das wir aus den bis dahin veröffentlichten Geschichten errechnet hatten. Somit musste sie 14 sein und er 19. Und dabei sind eben Ami und Ace herausgekommen. Es mussten also mal wieder völlig verschiedene Welten irgendwie miteinander verbunden werden. Dadurch entstehen natürlich gleich Schwierigkeiten in der Beziehung, weil sie im Grunde nicht dazu bestimmt sind, zusammen zu bleiben... Die Distanz zwischen Feuer und Wasser „Habt ihr eigentlich heute morgen auch diese Sache mit dem Strudel mitbekommen?“ Ami sah ihre Freundinnen interessiert an, während sie in ihrem Rucksack nach dem aquamarinblauen Badeanzug suchte. Doch die vier erwiderten ihren Blick nur erstaunt. „Strudel?“, fragte Usagi schließlich „Meinst du einen Apfelstrudel? Jaah, da hab ich heute morgen dieses -“ „Usagi!“, wies Rei sie zurecht und hielt sie somit davon ab, sie alle in einer Flut von Belanglosigkeiten zu ertränken. „Glaubst du, Ami würde sich für so etwas Nichtiges wie Apfelstrudel interessieren?“ Usagi streckte ihr die Zunge raus, anscheinend beleidigt, dass keiner sich für das interessierte, was sie hatte sagen wollen. „Um was für einen Strudel geht es?“, fragte Makoto und blickte Ami an, die während der kleinen Meinungsverschiedenheit ihrer Freundinnen verlegen an dem kurzen Rock ihres Sommerkleides herumgezupft hatte. „Um einen Strudel im Meer, hier in der Bucht von Tokyo“, erklärte sie auf die Anfrage der Braunhaarigen hin sofort. „Heute Morgen gab es im Fernsehen eine ausführliche Reportage darüber.“ „Ich hab heute Morgen kein Fernsehen geschaut“, gab Makoto verlegen zu. „Wenn ich mein Bentô zubereite, möchte ich von nichts abgelenkt werden.“ Jetzt meldete sich auch Minako zu Wort: „Wenn sie nicht gerade heute morgen ein Sailor-V-Special gezeigt hätten, hätte ich es sicherlich auch gesehen!“ „Ein Sailor-V-Special?“, fragte Usagi mit glitzernden Augen. „Wann? Wo? Warum hast du mir nichts gesagt?“ Bevor Minako darauf antworten konnte, hatte Rei sie genervt unterbrochen. „Das spielt jetzt überhaupt keine Rolle. Interessiert euch denn gar nicht, was es nun mit diesem Strudel auf sich hat?“ „Doch, doch, natürlich!“, versicherte Usagi schnell und wandte sich, wie die anderen auch, wieder Ami zu. „Schieß los!“ Ami, leicht verlegen von der Aufmerksamkeit, die ihr plötzlich zuteil wurde, begann sachlich zu erzählen: „Laut der Reportage ist heute gegen drei Uhr früh ein mysteriöser Strudel hier in der Bucht von Tokyo aufgetaucht. Bisher konnte noch nicht festgestellt werden, wodurch er verursacht wurde. Merkwürdig ist vor allem, dass das Meer rund um den Strudel herum völlig ruhig ist und es auch keine Strömungen gibt, die ihn irgendwie hätten hervorrufen können.“ „Und der ist hier?“, fragte Minako ungläubig. „Ja, es müsste etwa dort sein“, bestätigte Ami und zeigte mit dem Finger vage in Richtung der Stelle, an der die Bucht ins Meer mündete. Die anderem folgten mit ihren Blicken der unsichtbaren Linie. „Meinst du dort, wo gerade das Schiff aus dem Wasser steigt?“, wollte Usagi wissen und zeigte begeistert auf eine andere Stelle des Meeres, höchstens dreißig Meter vom Strand entfernt. Vier Augenpaare richteten sich darauf und sahen gerade noch, wie sich ein kleines Holzboot senkrecht aus dem schäumenden Strudel erhob, bevor es mit einem lauten Platschen auf dem ruhigen Wasser landete, das ihn umgab, nicht im Geringsten von seiner starken Strömung beeinflusst. Mit großen Augen verfolgte Ami, wie der Wind das mit einem weißen Totenkopf – der durch seinen großen Schnurrbart allerdings alles andere als gefährlich aussah – versehene Segel füllte und das Boot in ihre Richtung trieb. „Hey! Da liegt jemand drin, seht ihr? Ist er tot?“, rief Minako entsetzt aus und hüpfte auf und ab, um einen besseren Blick auf die Person zu erhaschen, die ihre Arme fest um den Mast geschlungen hatte und von oben bis unten durchnässt war. „Wir müssen ihm helfen!“, rief Makoto und sofort waren sie alle im Wasser. Die zwanzig Meter bis zum Boot waren schnell zurückgelegt und schon bald hatten sie es an Land gezogen, während Ami hineingeklettert war, um Erste Hilfe zu leisten. Immer wieder drückte sie auf den unbekleideten Oberkörper des Mannes im Boot, um das Wasser aus seinen Lungen zu pressen, was zu ihrer Erleichterung auch funktionierte. Erstaunlich schnell begann er leise zu husten und öffnete dann die Augen, woraufhin Ami einen Schritt zurückwich und ihren Freundinnen den Vortritt ließ. „Wo bin ich?“, fragte er leicht verwirrt, als er die vier Mädchen um sich herumstehen sah. Er setzte sich auf und lehnte sich mit dem Rücken gegen den Mast. „Du bist in Sicherheit, sei unbesorgt“, versicherte Minako ihm mit ihrem freundlichsten Lächeln. „Er hat die gleiche Frisur wie mein Exfreund“, hauchte Makoto Usagi ins Ohr. Diese Bemerkung brachte auch Ami dazu, ihn zum ersten Mal eingehender zu betrachten. Während die Blicke der anderen Mädchen immer wieder zu seiner vollkommen entblößten, stählernen Brust wanderten, besah sie den Rest seiner spärlichen Kleidung. Er trug eine schwarze Hose, die aufgekrempelt knapp seine Knie bedeckte. Seine großen, schwarzen Schuhe schienen gar nicht zu der ansonsten auf Hitze eingestellten Garnitur zu passen. An seinem Gürtel hing eine reich verzierte Messer- oder Schwertscheide, in der eine Waffe mit breitem Holzgriff steckte. Auf einmal machte er auf Ami einen viel gefährlicheren Eindruck. Auch der mit einem Totenkopf versehene Anhänger, der an einem langen Lederband um seinen Nacken hing, verstärkte dies noch. Doch als Ami schließlich auf sein Gesicht blickte, konnte sie diesen Mann nicht mehr als gefährlich einstufen. Mittellanges schwarzes Haar hing ihm fransig in die Stirn und das verlegene Grinsen, das sich auf seinem mit Sommersprossen bedeckten Gesicht abzeichnete, ließ ihn nicht gerade wie einen gnadenlosen Killer aussehen. „Wer seid ihr?“, fragte er, als niemand Anstalten machte, etwas zu sagen. „Ich“, begann Minako gleich mit lauter Stimme, um die anderen zu übertönen, die ebenfalls gerade den Mund geöffnet hatten, „bin Minako Aino. Offiziell gehe ich noch zur Schule, doch wenn die Nacht hereinbricht, kämpfe ich für Liebe und Gerechtigkeit!“ Sie warf ihm eine Kusshand zu und zwinkerte verführerisch. Der Mann, der einen recht verwirrten Eindruck machte, wollte gerade etwas sagen, als Minako von Makoto zur Seite gestoßen wurde. „Mein Name ist Makoto Kino“, stellte sie sich vor. „Kochen ist meine Leidenschaft. Wenn du jemals Hunger auf etwas Größeres verspüren solltest, bist du bei mir willkommen. Sonst natürlich auch immer“, fügte sie kichernd hinzu. „Ich bin Usagi Tsukino!“, meldete sich auch schon die Nächste zu Wort und machte eine hastige Verbeugung, bei der ihre langen blonden Zöpfe dem Mann fast ins Gesicht schlugen. „Ich bin ein Ass, was Videospiele betrifft. Dort wirst du in mir eine würdige Gegnerin finden.“ „In allem anderen ist sie eine Niete“, seufzte Rei. „Wende dich lieber an mich. Ich bin Rei Hino und bin neben meiner Tätigkeit als Schülerin im Schrein meines Großvaters beschäftigt. In allem, was mit mysteriösen Vorkommnissen zu tun hat, bin ich Expertin.“ „Okay“, murmelte der Mann langsam und blickte zwischen den vieren umher, die alle mit überwältigend freundlichen Mienen auf ihn herabsahen. „Und wer von euch hat mir gerade das Leben gerettet?“, fragte er dann. „Ja, weißt du“, begann Minako. „Ich bin ja so bescheiden, aber -“ „Du hast damit auch nichts zu tun. Das war Ami“, erklärte Rei und blickte Minako böse an. „Ami?“, fragte der Mann und blickte die Mädchen an, als versuche er sich daran zu erinnern, wer von ihnen sich so vorgestellt hatte. „Das bin ich“, sagte Ami leise. Makoto und Usagi, die zwischen ihr und dem Mann standen, traten zur Seite. Er blickte grinsend zu ihr auf. „Danke!“ „K-kein Problem“, stammelte sie und blickte mit hochrotem Gesicht zu Boden. „Du bist Ami?“, fragte er. „Ja“, erwiderte sie hastig. „Ami Mizuno.“ Er lachte. „Und du hast keine geheimen Talente, von denen du mir unbedingt erzählen musst?“ Ihr Gesicht schien zu brennen und sie traute sich nicht, den Blick auf ihn zu richten. Ihr wäre es Recht gewesen, wenn er sich einfach weiter mit den anderen beschäftigt hätte. „Doch, natürlich!“, rief da Usagi. „Sie ist superintelligent!“ „Ah!“, stieß er freudig aus und erhob sich. „Bescheidenheit ist auch was Schönes, nicht?“ Auf einmal lag seine Hand auf Amis Schulter, die nur von dem dünnen Träger ihres Kleides bedeckt war. Sie war so überrascht, dass sie aufsah. Der Mann grinste noch immer. „Ich heiße übrigens Ace“, erklärte er. „Es freut mich, Sie kennen zu lernen“, sagte Ami mit einer kleinen Verbeugung. Er lachte. „Das ,Sie’ kannst du gleich steckenlassen. Seh’ ich aus wie jemand, den man siezt?“ Ami wusste nicht so recht, was sie sagen sollte, doch er durchbrach das kurze Schweigen sofort und fragte: „Weißt du, wie ich hierher gekommen bin?“ Sie wollte ihn nicht weiter ansehen, daher blickte sie in Richtung des Strudels, der langsam an Kraft zu verlieren schien, da das Wasser darin an Geschwindigkeit verlor. „Das Schiff ist aus einem mysteriösen Strudel gekommen.“ „Ein Strudel?“, fragte Ace, der inzwischen auch in diese Richtung sah, und kratzte sich am Kopf. „Ja“, nickte Ami. Sie fühlte sich schon nicht mehr ganz so verlegen, nun, wo die Aufmerksamkeit nicht mehr auf sie gerichtet war. „Er scheint heute Morgen hier aufgetaucht zu sein, mehr weiß ich auch nicht darüber.“ Er schloss die Augen und fasste sich mit der Hand an die Schläfe, als habe er Kopfschmerzen. „Ja, stimmt, ich erinnere mich dunkel, mit meinem Boot von irgendwas erfasst worden zu sein.“ „Wo kommst du denn her?“, fragte Rei. Ace drehte sich um und tat einen Schritt zur Seite, um alle am Gespräch beteiligen zu können. „Ich komme direkt von der Grand Line“, sagte er. Als er die ratlosen Blicke der Mädchen sah, fügte er hinzu: „Falls euch das was sagt.“ Ein verlegenes Lächeln erschien wieder in seinem Gesicht. „Diese Grand Line liegt nicht auf diesem Planeten, zumindest habe ich noch nie davon gehört“, sinnierte Ami und verschränkte die Arme, während sie in Gedanken alle ihr bekannten Fakten miteinander verband. „Es muss sowas wie ein Raum-Zeit-Strudel gewesen sein.“ Ace hob anerkennend eine Augenbraue. „Klingt überzeugend.“ „Äh, ja, total“, lachte Usagi. „Aber was soll das sein?“ Ami hob den Zeigefinger und begann zu erklären: „Wer in einen Raum-Zeit-Strudel gerät, wird, wie man sich vom Namen her vielleicht auch schon denken kann, an einen anderen Ort zu einer anderen Zeit verfrachtet.“ „Und wie kommt man dann wieder zurück?“, fragte Minako. Ami schwieg und zog nachdenklich die Stirn kraus. „Das weiß ich leider auch nicht so genau. Ehrlich gesagt war ich bisher davon ausgegangen, dass es so etwas gar nicht gibt.“ Ace lachte. „Auf der Grand Line muss man mit allem rechnen, glaub mir. Da gibt es nichts, was einen noch wirklich in Erstaunen versetzt.“ „Das mag angehen“, murmelte Ami, „aber hier in unserer Welt ist so etwas eher die Ausnahme. Wir können uns immer auf die Naturgesetze verlassen.“ Sie sah Ace nachdenklich an. „Zumindest fast immer.“ „Und jetzt?“, fragte Makoto ratlos. „Wir müssen einen Weg finden, Ace zurückzubringen“, antwortete Ami sachlich. „Ach was, ich komm schon zurecht“, wehrte Ace grinsend ab. Doch die Mädchen ignorierten ihn schlichtweg und Rei fuhr fort: „Solange wir suchen, kann er bei uns im Schrei wohnen. Großvater wird nichts dagegen haben, solange er sich ein wenig an der Arbeit beteiligt.“ Minako bedachte sie mit einem neidischen Blick, sagte aber nichts, da sie ihr kleines Haus nicht ernsthaft als Alternative anbieten konnte. „Wir müssen sein Schiff irgendwo verstecken, wo wir es wiederholen können, wenn ein Rückweg gefunden ist“, sprach Ami den nächsten Punkt an. „Dort hinten in der Klippe gibt es eine kleine Höhle. Da wird es reinpassen und auch von niemandem bemerkt werden“, brachte Usagi sich ein und zeigte auf eine steile Felswand am Ende des Strandes. Ami nickte zuversichtlich. „Das dürfte erstmal alles sein.“ „Und wie sollen wir einen Rückweg finden?“, fragte Makoto zweifelnd. Alle Blicke richteten sich auf Ami. „Lasst das mal meine Sorge sein. Es gibt sicher ein Buch, in dem die Lösung zu finden ist.“ „Danke, dass ihr euch darum kümmert“, sagte Ace, als endlich alles geklärt war. „Wir helfen doch gerne“, erklärte Minako und zwinkerte ihm zu. „Treffen wir uns dann morgen bei mir, um nochmal alles durchzusprechen?“, schlug Rei vor. Die anderen nickten zustimmend. Daran, dass sie eigentlich hatten baden wollen, dachte inzwischen keiner mehr. Nachdem alles geklärt war, packten sie die wenigen Sachen, die schon im Sand lagen, wieder zusammen und machten sich auf den Weg zum nächstgelegenen Bahnhof, um von dort aus nach Hause zu fahren. Als Ami dann schließlich in dem kleinen, aber luxuriösen Appartement ankam, das sie mit ihrer Mutter bewohnte, setzte sie sofort ihren Computer in Gang. Während er gemächlich hochfuhr, stand sie auf und ließ ihre Finger langsam über die Rücken all der Bücher in ihrem Regal gleiten. Sie war sich zwar recht sicher, dass in keinem von ihnen auch nur im Entferntesten etwas stand, das zur Lösung ihres Problems beitragen konnte, doch sicherheitshalber ging sie noch einmal alle Titel durch. Schließlich musste sie feststellen, dass es tatsächlich nichts in der Richtung gab, doch inzwischen war ihr Computer bereit zur Arbeit und sie machte sich sofort daran, verschiedenste Stichworte zum Thema „Raum-Zeit-Strudel“ in die Suchmaschine einzugeben. Sogleich wurde sie von einer Welle aller möglichen Seiten überflutet, die sie nur kurz scannte, um einen groben Überblick über die erhältlichen Informationen zu bekommen. Das meiste konnte sie gleich aussortieren, da es weder überzeugend wirkte noch in irgendeiner Weise ernst gemeint schien. „Was machst du da?“, fragte aus heiterem Himmel die Stimme ihrer Mutter. Ami zuckte zusammen, da sie sie nicht hatte kommen hören und wirbelte herum. „Mama!“, rief sie überrascht. „Was machst du denn schon hier?“ Die Frau, die sich heruntergebeugt hatte, um die Schrift auf dem Bildschirm besser erkennen zu können, richtete sich mit einem Lächeln auf. „Es ist neun Uhr. Wie du vielleicht weißt, komme ich immer um diese Zeit nach Hause, wenn ich nicht gerade Nachtschicht habe.“ Ami warf einen erschrockenen Blick auf die Zeitanzeige des Computerbildschirms. „Tatsächlich“, murmelte sie. Ihre Mutter legte eine Hand auf ihre Schulter und mutmaßte: „Du scheinst ja ziemlich vertieft in deine Arbeit zu sein, dass du gar nicht mehr auf die Zeit geachtet hast. Ist das für die Schule?“ Ami strich sich verlegen eine Strähne ihres kurzen schwarzen Haares hinter das Ohr. „Nein, ist es nicht. Ich recherchiere nur ein wenig.“ Als die andere zweifelnd die Augenbrauen hob, versicherte Ami ihr: „Keine Sorge, meine Ferienhausaufgaben habe ich schon alle fertig. Und hiermit mache ich auch sofort Schluss.“ „Warum interessierst du dich für Raum-Zeit-Strudel?“, erkundigte ihre Mutter sich. „Ähm... Rei hat mich darum gebeten, weil sie selbst keine Zeit hat“, erfand Ami schnell eine Ausrede. Es behagte ihr nicht, ihre Mutter anzulügen, doch die Geschichte, dass Ace mit seinem Schiff aus einem solchen Strudel aufgetaucht war und in seine Welt zurückmusste, hätte sie ihr unter keinen Umständen abgekauft. „Möchtest du mit mir zu Abend essen? Ich habe eben noch kurz etwas zubereitet.“ „Natürlich“, sagte Ami zu und stand seufzend auf. Es schien ihr nicht besonders sinnvoll jetzt noch weiter zu suchen, denn nichts von dem, was sie bisher gelesen hatte, schien signifikant für das Finden eines Rückweges für Ace. Als Ami am nächsten Morgen erwachte, warf sie einen schnellen Blick auf den kleinen blauen Wecker auf ihrem Nachttisch. Es war erst halb sieben, doch an Schlaf war jetzt nicht mehr zu denken, daher zog sie sich an und suchte sich ein paar Dinge fürs Frühstück zusammen. Sie zwang sich, langsam zu essen, da sie bis zum Treffen mit den anderen noch über zwei Stunden Zeit hatte. Dennoch war sie schon bald fertig und setzte sich in Ermangelung einer anderen Tätigkeit wieder an den Computer, um noch ein wenig zu recherchieren. Allerdings ging es ihr wie am Vortag und sie fand nichts, was ihr wirklich weiterhalf. Schließlich konnte sie damit aber immerhin die Zeit überbrücken und schaltete dann um kurz nach halb neun den Computer aus, um sich auf den Weg zu Rei zu machen. Begleitet vom Zirpen der Zikaden, das bei so vielen Bäumen, auf denen sie sitzen konnten, noch lauter war als in den meisten anderen Teilen der Stadt, betrat Ami, überpünktlich wie immer, das Gelände des Hikawa-Schreins, den Rei mit ihrem Großvater betrieb. Im Hauptzimmer, in dem die Mädchen sich öfter zum Lernen trafen, war außer Rei noch keiner anwesend. Ami grüßte sie und hockte sich zu ihr an den Tisch. „Wo ist Ace?“, fragte sie ihre Freundin. „Er schläft noch“, erwiderte diese mit einem Schulterzucken. „Ich glaube, er ist noch erschöpft von seiner Reise.“ Ami nickte verstehend. „Ja, das kann angehen. Er muss weit gereist sein, seiner merkwürdigen Kleidung nach zu urteilen...“ Das brachte Rei auf ein anderes Thema. „Er hat mir gestern erzählt, dass er Pirat ist!“, berichtete sie aufgeregt. „Pirat?“, fragte Ami mit großen Augen. Dann lächelte sie. „Das hätte man sich eigentlich schon fast denken können. Der Totenkopf auf dem Segel...“ „Dasselbe Symbol hat er ja auch noch einmal auf dem Rücken“, meinte sie. Diese Information erstaunte Ami erneut. „Ehrlich? Das hab ich gestern gar nicht bemerkt.“ Rei klopfte ihr lachend auf die Schulter. „Du schienst ja in Gedanken schon lange dabei zu sein, einen Rückweg für ihn zu finden.“ Ami lächelte verlegen. Als wenig später die anderen eintrudelten, erstaunlicherweise nur wenig nach der verabredeten Zeit, erzählte sie auch von ihren bisher erfolglosen Internetrecherchen. Die vier Mädchen waren positiv überrascht, dass sie schon mit der Suche angefangen hatte und schienen nicht im Geringsten ärgerlich zu sein, dass sie noch keine Ergebnisse vorzuweisen hatte. Nachdem sie sich auch kurz nach Ace erkundigt hatten, fragte Usagi schließlich: „Und was machen wir jetzt?“ „Ich denke, in der Bibliothek werde ich auf jeden Fall etwas Brauchbares finden“, teilte Ami ihr ihre Pläne mit. „Ich komme mit“, versprach Makoto. Minako blickte zu Usagi herüber. „Wollen wir solange Ace ein wenig bei der Arbeit im Schrein helfen?“, fragte sie mit einem unübersehbaren Zwinkern. Usagi sah begeistert aus, doch Rei stoppte den Eifer der beiden sofort. „Glaubt ihr, die paar Talismane können er und Opa nicht alleine verkaufen?“ „Kommt doch einfach alle mit in die Bücherei“, schlug Makoto vor. „Dann geht es sicher viel schneller.“ Seufzend stimmten die beiden dem Vorschlag zu. Rei schloss sich ihnen ebenfalls an. Daher brachen alle außer Ami und Makoto gleich auf, um ihren Eltern von den Plänen mitzuteilen, damit diese nicht in Sorge gerieten. Amis Mutter würde sowieso erst am späten Abend zurückkehren und Makoto lebte alleine. Kurz nachdem die anderen gegangen waren, entschuldigte sich Makoto für einen Moment und verschwand in Richtung Toilette. Während Ami alleine in dem Zimmer saß und auf die anderen wartete, waren ihre Gedanken schnell wieder bei der schwierigen Aufgabe, die es zu lösen galt. Es würde nicht einfach sein, da die Lösung in keinem Lehrbuch stand, doch irgendwie würde sie schon einen Weg finden. Keine Herausforderung war zu schwer für sie, das hatte sie bisher immer wieder bewiesen. „So wie es aussieht, bin ich schon bald wieder zurück in meiner Zeit“, erklang da auf einmal eine Männerstimmte, gefolgt vom Geräusch der Tür, die zugeschoben wurde. Ami drehte sich herum und blickte auf. „Ace-san!“, rief sie erstaunt. Er grinste. „Morgen, Ami.“ Dass er ihren Namen noch wusste, erstaunte sie, da sie nicht das Gefühl hatte, sich am Vortag besonders hervorgehoben zu haben. Die Tatsache, dass er sie so direkt mit dem Vornamen ansprach, schob sie schnell auf seine fremde Herkunft und andere Sitten in seinem Heimatland, bevor ihr Verstand andere Schlüsse daraus ziehen konnte. „Wie- wie meintest du das eben?“, fragte sie, um ihre Gedanken auf andere Dinge zu lenken. Ace, der heute die Kleidung eines Tempeldieners, also blaue Hakama-Hosen und ein weißes Oberteil gekleidet war, ließ sich auf dem dem Sitzkissen neben ihr nieder und stützte sich lässig auf seine Arme. „Es schien mir so, als würdest du die ganze Zeit an nichts anderes denken, als mich zurückzubringen.“ „Na ja- ähm...“, stammelte Ami und blickte verlegen auf ihre Hände, die in ihrem Schoß lagen. Er tätschelte ihr aufmunternd den Kopf. Diese vertrauliche Geste ließ sie zusammenzucken, was er allerdings nicht zu merken schien, da er einfach weitersprach: „Danke schonmal. Aber mach die deswegen bloß keinen Stress. So eilig hab ich es nicht.“ Nach kurzem Schweigen fragte er lachend: „Oder willst du mich einfach loswerden?“ „Nein!“, rief sie schnell und schüttelte heftig den Kopf. Er grinste, was bei ihm fast schon ein Dauerzustand zu sein schien. „Na, dann ist ja gut.“ In dem Moment betrat Rei gefolgt von Makoto den Raum, was Ami fast veranlasst hätte, erleichtert aufzuatmen. Sie fühlte sich unbehaglich, wenn sie mit Ace alleine war, da sie einfach nicht wusste, wie und was sie mit ihm reden sollte. Rei seufzte und ließ sich neben ihm auf die Knie fallen. „Du scheinst keine Ahnung von dieser Art von Kleidung zu haben. Du musst es anders tragen, so herum sieht es aus wie der Kimono eines Toten.“ Makoto kicherte leise. Ami fragte sich, warum ihr das während ihres Gespräches gar nicht aufgefallen war. Peinlich wurde ihr bewusst, dass sie die ganze Zeit nur auf ihre eigenen, verkrampften Hände gestarrt hatte. „Ich habe so etwas tatsächlich noch nie angehabt“, entschuldigte er sich, wobei sein Blick mehr auf Ami gerichtet zu sein schien als auf Rei, die sich vorbeugte, um sein Oberteil richtigherum zu schließen. Erstere sah ihn nun doch an. Die neue Kleidung stand im absoluten Kontrast zu der lässigen und vor allem spärlichen Kleidung, in der am Vortag angekommen war. Seine recht wilde, vom Schlaf durcheinandergebrachte Frisur passte daher auch nicht im Geringsten dazu. Er selbst schien sich darin auch nicht wirklich wohlzufühlen, da er immer wieder mit der Hand daran herumtastete. Ami fragte sich, ob es eine gute Idee gewesen war, ihm diesen Job zu überlassen. Während sie auf die anderen warteten, um mit ihnen zur nahe gelegenen Bücherei zu gehen, nahm Rei die Fernbedienung der Klimaanlage zur Hand und schaltete sie eine Stufe höher, da die Hitze zum Mittag hin immer unterträglicher wurde. Ein Strahl kalter Luft traf auf Amis entblößten Nacken und ließ ihr einen kalten Schauer über den Rücken fahren. Ace hatte dies anscheinend bemerkt, denn er beugte sich ein Stück zu ihr herüber und fragte: „Ist dir kalt?“ Bevor sie antworten konnte, hatte er schon den Zeigefinger wenige Zentimeter vor ihrem Gesicht senkrecht in die Luft gehalten, aus dem urplötzlich eine kleine Flamme zu wachsen schien. Ami machte einen erschrockenen Satz nach hinten. Sofort erlosch die Flamme wieder und Ace lachte verlegen. „Tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe.“ „Du beherrschst ... das Feuer?“, fragte sie misstrauisch und sah auf seinen Finger, den er noch immer hochhielt. „Jaaah“, erwiderte er grinsend. Rei tauschte einen bedeutsamen Blick mit Ami aus. Immerhin beherrschte sie dieses Element als Sailor Mars, die Kriegerin des Feuers, ebenso. „Was ist los?“, fragte Ace, der ihren Blick nicht so leicht deuten konnte. „Woher- hast du diese Kraft?“, fragte Ami und fühlte sich auf einmal wieder an ihren ersten Eindruck von ihm erinnert: er konnte gefährlich sein. „Ich habe eine Feuerfrucht gegessen“, erklärte er achselzuckend, als sei es völlig selbstverständlich. „Eine Feuerfrucht?“, hakte Makoto nach. „Ja“, sagte er mit einem Nicken. „Sie gehört zu den Teufelsfrüchten.“ Als er ihre verwirrten Blicke sah, führte er dies weiter aus: „Diese magischen Früchte gibt es überall in meiner Welt. Jede kann einem eine bestimmte Kraft verleihen. Und mir gibt sie eben die Macht, das Feuer kontrollieren und zu meinen Gunsten einsetzen zu können.“ „Wofür setzt du sie ein?“, war Rei nun an der Reihe zu fragen. Sie musterte den Piraten misstrauisch. „Für dies und das...“, war seine Antwort. Doch die drei Mädchen waren damit noch nicht zufrieden, daher fuhr er fort: „Ich kämpfe damit, verteidige mich... Was sich eben so ergibt.“ „Und- gegen wen kämpfst du?“, fragte Ami nun. „Gegen die, die sich mir in den Weg stellen“, antwortete er schlicht. Ami stand auf, stellte sich neben Rei und verschränkte die Arme. Makoto blieb sitzen, blickte Ace aber unsicher an. Eine Weile herrschte eine unangenehme Stille, in der die Mädchen Ace abschätzende Blicke zuwarfen und er sie ihm Gegenzug überrascht musterte. „Können wir dir vertrauen?“, fragte Rei schließlich. Ace lachte. „Das weiß ich nicht.“ Die Augen der Mädchen verengten sich bei dieser Antwort. Er fügte hinzu: „Aber ich werde euch sicherlich nichts antun, falls ihr das meint. Ich bin im Grunde sehr friedliebend. In dieser Welt wird wohl niemand meine Kräfte zu spüren bekommen.“ Rei sah Ami fragend an. Diese sah Ace noch einmal durchdringend an, dann seufzte sie. „Ich denke, er hat recht“, sagte sie leise. „Er macht auf mich nicht den Eindruck, als wolle er uns Böses.“ Rei schwieg einen Moment und nickte schließlich. „Aber wenn du unser Vertrauen brichst, wirst du schon bald deinen letzten Atemzug getan haben“, drohte sie. Makoto nickte grimmig. Er hob die Augenbrauen, als zweifle er daran, wie fünf Mädchen dies erreichen wollten, nickte aber dennoch als Zeichen, dass er sie verstanden hatte. Wenig später kamen auch schon die anderen wieder. Usagi maulte herum, dass sie den von der Klimaanlage gekühlten Raum gar nicht mehr verlassen wollte, doch die anderen konnten sie überreden, da sie auf dem Weg zur Bücherei auch ruhig noch ein Eis essen konnten und es dort auch sicher angenehm kühl war. Rei brachte Ace schnell zu ihrem Großvater, der ihn in seine Aufgaben einweisen würde, dann konnten die fünf Mädchen sich endlich auf den Weg machen. Ami fragte sich, ob sie heute wenigstens den Ansatz einer Lösung finden würden. Ihre Hoffnungen wurden enttäuscht, da sie nicht einmal genau wussten, wonach sie suchten, und daher fast jedes Buch durchblätterten, um nicht am Ende noch etwas zu übersehen. Doch diese Gründlichkeit verhinderte natürlich, dass sie in der zur Verfügung stehenden Zeit all zu viel schafften. Usagi, Minako und Rei mussten sich als erste verabschieden, da ihre Familien mit dem Abendessen warteten. Makoto ging wenig später nach Hause, da sie auch langsam Hunger bekam, und schon blieb Ami als einzige zurück, die noch Bücher um Bücher wälzte, um wenigstens irgendeinen Hinweis zu finden. Alle Mühe war vergeblich. Als sie schließlich ein ganzes Regal der großen Bücherei durchsucht hatte, gestand sie sich ein, dass sie zu müde war, um noch konzentriert weiterarbeiten zu können. Außerdem würde ihr Mutter bald nach Hause kommen und sie wollte ihr auf keinen Fall Sorgen bereiten, daher steckte sie den noch immer Notizblock, den sie sich für eventuelle Entdeckungen mitgenommen hatte, wieder in ihre Umhängetasche und machte sich auf den Heimweg. Am nächsten Morgen war Ami schon früh auf den Beinen. Schnell zog sie sich an und machte sich nach einem kurzen Frühstück auf den Weg zur Bibliothek. Als sie dort ankam, war sie eine der ersten, da die Türen gerade erst geöffnet worden waren. Sofort setzte sie ihre Arbeit dort fort, wo sie am Vortag aufgehört hatte. Doch auch die nächste Reihe von Büchern bot ihr keinerlei Informationen, die ihr in irgendeiner Weise weitergeholfen hatten. Eine Woche blieb sie von früh bis spät in der Bücherei und arbeitete sich gründlich durch drei Abteilungen, oft auch mit der Hilfe ihrer Freundinnen, die mit ihrer Ferienzeit aber anscheinend noch andere Dinge zu tun wussten. Schließlich verabredeten sie ein zweites Treffen bei Rei, um die Situation noch einmal durchzugehen. Ami sah keinen großen Nutzen darin, da sie bisher noch keine Ergebnisse vorzuweisen hatte und die Zeit außerdem lieber zum Weiterführen der Recherche genutzt hätte. Dennoch machte sie sich an diesem Tag seufzend aus der Bibliothek auf den Weg zum Hikawa-Schrein. Dort waren alle außer Rei schon versammelt, da sie heute wohl doch nicht so viel Arbeit gehabt hatten. Ami wollte fragen, warum sie nicht in der Bücherei vorbeigeschaut hatten, ließ es dann aber doch sein. Sie würden schon ihre Gründe haben. Sie ließ sich auf einem Sitzkissen nieder und sah die anderen erwartungsvoll an. Irgendeinen Grund musste es für dieses Treffen doch geben. Die anderen schienen jedoch auch nichts zu sagen zu haben und blickten gespannt auf die Tür. „Wo ist Rei?“, fragte Ami daher. Bevor jemand antworten konnte, hörten sie plötzlich einen lauten Aufschrei, der eindeutig von Reis Großvater kam und bald von aufgeregtem Gezeter abgelöst wurde. „Rei wollte gerade Ace holen“, murmelte Makoto dann, als für einen kurzen Moment Stille herrschte. Kurze Zeit später wurde dann tatsächlich die Tür, auf die alle ihren Blick gerichtet hatten, ruckartig aufgeschoben und Rei trat mit wütendem Gesicht ins Zimmer, Ace mit einer Schale Reis in der Hand hinter sich herziehend. „Mein Opa hat ihn gerade rausgeschmissen“, verkündete sie mit unterdrücktem Zorn in der Stimme und machte mit dem Kopf eine Bewegung in Richtung von Ace. „Warum das?“, fragte Usagi verwundert. Ace lachte. „Anscheinend bin ich ihm nicht fleißig genug“, erklärte er. „Und ich esse vielleicht ein bisschen zu viel“, fügte er hinzu und hob grinsend seine Reisschale an. „Ein bisschen“, seufzte Rei. „Und jetzt?“, fragte Minako. Ein kurzes Schweigen trat ein, das nur vom leisen Kauen Aces unterbrochen wurde, der in Windeseile seinen Reis herunterschlang. Ami hätte ihm gerne angeboten, bei ihr zu wohnen, doch in ihrem Appartement war kein Zimmer mehr frei. Außerdem hätte ihre Mutter es sowieso von vornherein abgelehnt, selbst wenn sie noch so viele freie Räume im Haus gehabt hätten, da sie einem Mann in seinem Alter in Beziehung zu ihrer vierzehnjährigen Tochter sicherlich vieles Unsittliches zutraute. „Vielleicht“, begann Usagi zögerlich, „kann er bei uns wohnen. Wir haben in unserem Dachzimmer noch ein altes Bett stehen.“ „Das wäre super!“, begrüßte Rei die Idee sofort. Die Erleichterung war ihr anzusehen. „Darf ich kurz zu Hause anrufen?“, fragte Usagi. Rei bejahte und die beiden verließen den Raum. Ace ließ sich auf dem Platz neben Ami nieder, auf dem Usagi bis eben gesessen hatte. „Wie sieht’s aus?“, fragte er, den Ellbogen auf dem Tisch abgestützt und das grinsende Gesicht seiner Sitznachbarin zugewandt. Ami zuckte zusammen, als er sie so plötzlich ansprach. Mit gesenktem Kopf berichtete sie: „Ich habe noch nichts gefunden.“ „Noch gar nichts?“, hakte Ace nach. Niedergeschlagen schüttelte sie den Kopf. Aber Minako begann sofort, sie zu verteidigen: „Sie verbringt aber immer den ganzen Tag in der Bücherei und guckt jedes Buch durch, ob dort nicht vielleicht ein Hinweis zu finden ist. Dass sie noch nichts gefunden hat, liegt bestimmt einfach daran, dass es ein ziemlich schwieriges Thema ist.“ „Und daran, dass sie meistens alleine suchen muss“, fügte Makoto schuldbewusst hinzu. Ace tätschelte ihr den Kopf, wie er es beim letzten Mal auch schon getan hatte. „Keine Sorge, du findest schon noch was“, sprach er ihr aufmunternd zu. Sie seufzte nur. Glücklicherweise erlaubte Herr Tsukino Ace, in seinem Haus zu wohnen, allerdings unter der Voraussetzung, dass er wenigstens ein bisschen dafür bezahlte, da er ein begeisterter Esser war, den durchzufüttern auf die Dauer ziemlich hart sein würde. Ace brauchte also einen Job, da waren sich die Mädchen einig, da keiner von ihnen bereit war, seinen Unterhalt aus eigener Tasche zu bezahlen. Selbst Ami, deren Taschengeld aufgrund des hohen Gehalts ihrer Mutter üppiger ausfiel als das ihrer Freunde, war dagegen. Außerdem war Ace ein dynamischer junger Mann, dem es sicherlich nichts ausmachte, für seinen Unterhalt zu arbeiten. Was die Art des Jobs anging, wusste aber niemand wirklich weiter. Auch Ace war ratlos, da er sich in dieser Welt nicht auskannte. Anscheinend hatte er bisher immer von seinem Dasein als Pirat leben können. „Ich hab’ was gefunden!“, kündigte Rei eines Morgens freudestrahlend an, als sich die Mädchen wieder einmal routinemäßig bei ihr versammelt hatten, und zog eine kleine Zeitungsanzeige aus ihrer Hosentasche hervor. Stolz las sie vor: „Disneyland sucht Aushilfskraft als Pyrotechniker. Vorkenntnisse in diesem Gebiet sind erforderlich. Zahlen angemessenen Lohn. Bei Interesse melden Sie sich per Telefon oder kommen persönlich vorbei, um Näheres zu besprechen.“ Während sie sprach, erhellten sich die Gesichter der vier Zuhörerinnen schlagartig. „Das ist es!“, rief Minako freudig aus, als Rei geendet hatte. Die anderen stimmten ihr zu. Ace, der mit dem Feuer spielen konnte, als sei es ein harmloses Tier, würde bestimmt kein Problem damit haben, seine Gabe zu nutzen, um damit ein wenig Geld verdienen zu können Daran, dass Ace den Job bekommen würde, zweifelte keiner von ihnen, und so war auch niemand überrascht, als er am nächsten Tag grinsend und mit erhobenem Daumen das Büro des Geschäftsführers im Disneyland verließ. Sie alle hatten ihn dorthin begleitet, um seine neue Arbeit mit einem Tag im Freizeitpark zu feiern. Ami hätte die Zeit zwar lieber genutzt, um noch ein paar Bücher zu durchwälzen, war dann aber doch mitgekommen, um ihre Freundinnen nicht zu beunruhigen. Außerdem war sie sich sicher, dass Ace sich in ihrer Welt nun wohl genug fühlte, um dort noch den einen oder anderen Tag länger auszuharren. Der Tag wurde schöner, als sie erwartet hatte und sie alle hatten – trotz der anhaltenden Hitze, die ihnen den Schweiß auf die Stirn trieb – eine Menge Spaß. Besonders Ace, der noch nie in einer Achterbahn gesessen hatte, amüsierte sich prächtig. Insbesondere die Wildwasserbahnen schienen es ihm angetan zu haben, da sie ihn wohl an seine Welt und das Reisen auf dem Meer erinnerten. Ami fragte sich, ob er nicht doch mehr Heimweh hatte, als er nach außen hin zeigte. Als er sie dann auf dem Rückweg fragte, wie weit sie eigentlich schon gekommen sei, nahm sie sich vor, die Suche nach einem Rückweg für ihn noch ernster zu nehmen. So kam es dann auch, dass sie an den nächsten Tagen jeden Morgen schon vor acht Uhr an der Tür der Bibliothek stand und ungeduldig darauf wartete, dass sie jemand aufschloss, und jeden Abend mindestens dreimal von den Angestellten auf die späte Uhrzeit aufmerksam gemacht werden musste, bis sie schließlich ihre Recherchearbeit beendete. Doch so viel sie auch blätterte, las und suchte – inzwischen hatte sie schon über die Hälfte aller Bücher unter die Lupe genommen – sie fand einfach nichts, was ihr in irgendeiner Weise weiterhalf. Das entmutigte sie allerdings nicht im Geringsten, und so wurde ihr Eifer immer mehr angespornt, bis sie schließlich schon in ihren Träumen nichts anderes mehr tat als in Büchern herumzublättern und nach dem einen, entscheidenden Hinweis zu suchen, den sie brauchte, um Ace zurückzuschicken. An einem Tag – Ace war inzwischen schon seit fast zwei Wochen als Pyrotechniker beschäftigt – stand Ami noch ein bisschen früher auf als sonst. Ihre Mutter hatte ihr aufgetragen, ein paar Dinge einzukaufen, die sie dringend brauchte, und sie wollte keine Zeit in der Bibliothek verlieren. Daher verließ sie die Wohnung schon um kurz nach sieben. Die Besorgungen waren schnell erledigt und Ami fragte sich gerade, ob sie es noch schaffen konnte, das Eingekaufte nach Hause zu bringen und trotzdem pünktlich an ihrem Arbeitsplatz zu sein, als sie auf einmal von einer Stimme aus ihren Gedanken gerissen wurde. „Hey, Ami!“ Sie hob den Kopf und sah Ace, der grinsend auf der anderen Seite der Straße stand. Seit er den Job beim Disneyland hatte, trug er wieder seine eigenen Klamotten, die bei dieser Hitze wohl auch bei Weitem praktischer waren als die, die Reis Großvater ihm im Schrein aufgezwungen hatte. Besonders einen Schatten spendenden Hut wie den seinen hätte Ami in diesem Moment auch gerne gehabt. Ace schlang schnell das halbe Reisbällchen herunter, das er bis eben in der Hand gehalten hatte, und überquerte dann die Straße, um kurz vor Ami stehen zu bleiben. „Hallo“, erwiderte sie seinen Gruß ein wenig verspätet. Er schien etwas sagen zu wollen, doch sein Mund schloss sich wieder und er musterte sie streng. Missbilligend fragte er: „Bist du wieder auf dem Weg zur Bücherei?“ Ami nickte verwirrt. Ace seufzte und legte die Außenseite seiner warmen Hand an ihre Wange. „Du siehst gar nicht gut aus, weißt du das?“ Sie errötete unter dem forschen Blick seiner schwarzen Augen und blickte zu Boden. Machte Ace sich tatsächlich Sorgen um sie? „Die Sonne scheint den ganzen Tag und die bist käseweiß. Verbringst du etwa den ganzen Tag in der Bibliothek?“ „Nicht den ganzen“, widersprach sie kleinlaut, war sich aber sicher, dass die zwölf Stunden, die sie meist dort war, für ihn als ganzer Tag zählten. Er schüttelte den Kopf und sagte: „So geht das nicht. Ich will nicht dafür verantwortlich sein, dass du irgendwann vor Erschöpfung zusammenbrichst.“ „Nein, ich -“, rief sie und blickte zu ihm auf. Doch sein durchdringender Blick ließ sie abbrechen. Er würde sie nicht so einfach davonkommen lassen. „Du kommst heute mit mir in den Freizeitpark“, beschloss er kurzerhand, packte ihr Handgelenk und zog sie davon, ohne dass sie Gelegenheit hatte, sich dagegen zu wehren. Aber das wollte sie eigentlich auch nicht, denn das Kribbeln, das sich nun langsam von der Wange, die er berührt hatte, durch ihren ganzen Körper zog, war alles andere als unangenehm und auch der sanfte Griff seiner Hand löste bei ihr ein Gefühl aus, das sie nicht so recht zu deuten wusste. Die Hitze an diesem Tag schien noch unterträglicher als zuvor, dennoch stürmten die Besucher in Scharen durch den Eingangsbereich des Disneyland, mit Hüten und Schirmen gegen die gefährlichen Sonnenstrahlen ausgerüstet. Ami war ziemlich froh, als Ace sie an den Menschenmassen vorbei durch einen Mitarbeitereingang führte. Als sie dann schon bald auf dem großen Gelände des Freizeitparks standen, breitete Ace die Arme aus und fragte grinsend: „Was machen wir zuerst?“ Zögernd warf Ami einen Blick auf die Karte, die er ihr eben in die Hand gedrückt hatte. „Wie wäre es mit dem Jungle Cruise?“, schlug sie vor. Die Aussicht auf Abkühlung in der Wildwasserbahn gefiel ihr gut. Ace stimmte zu und führte sie zu der hinter der nächsten Kurve liegenden Attraktion. Dort setzten sie sich, nachdem sie über eine halbe Stunde im Schatten des Vorbaus gewartet hatten, nebeneinander in das kleine Boot, in dem sie den künstlichen Dschungel durchqueren würden. Die Sitze waren so dicht nebeneinander platziert, dass für einen kurzen Moment ihre Arme aneinander stießen. Ami zog ihren schnell weg, als sie seine von der Sonne erhitzte Haut an ihrer spürte. Ace lachte und sah amüsiert auf sie herab. „Ich frage mich ernsthaft, wie dein Körper bei diesen Temperaturen so kühl bleiben kann. Er ist so kalt wie das Wasser.“ Ami sah ihn nicht an und nickte nur. Sie spürte, wie ihre Wangen rot wurden und wandte sich schnell von Ace ab, damit er es nicht sah. Ihr Element war das Wasser, wenn sie sich in eine Kriegerin verwandelte, wohingegen Ace das Feuer beherrschte. In allem anderen, was sie bisher über ihn in Erfahrung bringen konnte, war er ebenso das genaue Gegenteil von ihr selbst. Als ihr Boot einen kleinen Wasserfall herabgespült wurde und Ace lachend die Arme in die Luft riss, blickte sie ihn traurig an. Er war ganz anders als sie und kam noch dazu aus einer anderen Welt, in die er auch bald zurückkehren würde. Sie sollte sich keine Hoffnungen machen. Im selben Moment, als er ihr sein grinsendes Gesicht zuwandte, wurde ihr bewusst, dass sie das bereits getan hatte. „Gefällt es dir nicht?“, fragte er erstaunt, als er den verbitterten Ausdruck in ihren Augen sah. „Doch, doch, keine Sorge!“, versicherte sie und zwang sich zu einem Lächeln. Er schaute noch immer etwas misstrauisch, fragte aber nicht weiter nach, worüber Ami sehr froh war. Sie wollte ihn nicht anlügen. Und ihm die Wahrheit zu sagen, das würde sie sich niemals trauen. Der Tag verging wie im Flug, und bald war die Sonne hinter den Hochhäusern, die den Park umgaben, verschwunden. Ace musste sich beeilen, noch rechtzeitig zum allabendlichen Feuerwerk an seinem Arbeitsplatz zu sein, brachte Ami aber vorher noch zu einem kleinen See im Herzen des Parks, von dessen Ufer aus man es gut sehen konnte. Die Vorführung war schön, doch allein konnte Ami sie nicht wirklich genießen. All die feurigen Muster, die sich am inzwischen fast schwarzen Himmel abzeichneten, erinnerten sie nur an die warmen Hände Aces, die sie heute so oft auf ihrer Haut gespürt hatte und die sie jetzt schon vermisste, auch wenn er sich erst vor einer knappen viertel Stunde von ihr verabschiedet hatte. Du bist so dumm!, schalt sie sich selbst. Bald wird er in seine Welt verschwinden und du wirst ihn nie wieder sehen. Trotz der noch immer herrschenden Hitze lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken und sie legte die Arme um sich. Sie spürte, wie Feuchtigkeit sich in ihren Augenwinkeln sammelte. Auf einmal schlangen Arme, die zwar ebenso heiß waren wie die Luft, aber tausendmal angenehmer, sich um ihre Schultern, warme Hände bedeckten ihre zitternden Finger und jemand hauchte ihr mit heißem Atem ins Ohr: „Es ist wunderschön, nicht wahr?“ Ami versuchte, ihre Hände unter seinen hervorzuziehen, um die Tränen wegzuwischen, die in ihren Augen brannten, doch Ace hielt sie fest und beugte sich noch ein Stück vor, um ihr Gesicht sehen zu können. „Weinst du?“, fragte er überrascht. „Nein, ich -“, begann sie. Er ließ sie nun doch los und stellte sich neben sie. Verlegen wischte sie sich mit dem Handrücken über die feuchten Augen. „Es ist nur so schön“, log sie und wandte den Blick schnell dem Feuerwerk zu, da seine schwarzen Augen sie zu durchdringen schienen. „Ja“, stimmte er zu, ebenfalls zum Himmel aufschauend. „Wunderschön...“, fügte er gedankenverloren hinzu. Als Ami ihm einen kurzen Blick zuwarf, bemerkte sie, dass er ihr Gesicht betrachtete. Errötend sah sie in eine andere Richtung. Zu gern hätte sie gewusst, woran Ace gerade dachte. An diesem Abend lag Ami noch lange wach, auch wenn sie von all der Anstrengung und der Hitze vollkommen geschafft war. Doch der Gedanke an Ace ließ sie nicht los, immer wieder drehte sie sich in ihrem Bett herum und versuchte, in den Schlaf zu entfliehen, doch es wollte ihr einfach nicht gelingen. Sie hatte mit ihren Recherchen bisher noch nichts erreicht, auch wenn sie so viel Zeit in der Bibliothek verbracht, so viele Bücher gewälzt hatte. Dennoch hatte sie auf einmal das Gefühl, ihrem Ziel so nahe zu sein wie nie zuvor. Bald würde sie einen Rückweg für Ace gefunden haben. Doch auf einmal war sie sich nicht mehr sicher, ob das wirklich das war, was sie wollte. Er muss zurückkehren!, sagte sie sich selbst immer wieder. Es geht nicht anders. Ami zwang sich, ruhig zu bleiben. Sie kannte Ace so wenig, dass sie ihn sicher bald wieder vergessen haben würde. Es war nichts als eine Schwärmerei, das war normal für ihr Alter. Bald würde sie wieder nichts als ihren Traum, Ärztin zu werden, vor sich sehen. Traurig dachte sie an den Tag zurück, der sich nun langsam dem Ende neigte. Ace war so freundlich gewesen, hatte sie zum Lachen gebracht und mit ihr über alles geredet, was ihm einfiel. Freundlich. Freundschaftlich. Sie konnte sich vieles einbilden, aber es wäre einfach naiv, in seinem Verhalten mehr zu sehen oder irgendetwas hinein zu interpretieren, was nichts mit der Realität zu tun hatte. Amis Hände schlossen sich zu Fäusten. Wenn der Tag des Abschieds kam, würde sie das Ganze mit Fassung tragen, egal wie viele Tränen ihr Herz vergießen würde. Am nächsten Morgen wurde Ami abrupt von einem Klingeln geweckt. Im ersten Moment dachte sie, es handele sich um ihren Wecker, doch als sie sich dem blauen Gerät auf ihrem Nachttisch zuwandte, sah sie, dass es schon fast Mittag war und er somit schon vor einigen Stunden geklingelt haben musste. Schläfrig richtete sie sich auf, geblendet vom hellen Licht der Sonne, das durch die Schlitze ihrer Jalousie ins Zimmer drang. Es klingelte erneut. Erst jetzt, wo Ami ein bisschen wacher war, erkannte sie, dass wohl jemand vor der Tür stand. Schnell zog sie sich einen Morgenmantel an, um dem Besucher nicht im Schlafhemd entgegentreten zu müssen, und hastete zur Tür. Dort betätigte sie den Knopf der Lautsprecheranlage und grüßte höflich: „Guten Morgen.“ Ein leises Kichern ertönte, das Ami sofort Usagi zuordnen konnte. Diese begann auch gleich darauf zu sprechen: „Es ist helllichter Tag, du Schlafmütze.“ Verlegen drückte Ami auf den Summer, um Usagi hereinzulassen. Wenige Augenblicke später stand sie auch schon vor der Tür des Apartments, eine kleine, mit Mangafiguren bedruckte Plastiktüte in der Hand. „Komm doch rein“, bat Ami und die beiden ließen sich auf dem marineblauen Ledersofa im Wohnzimmer nieder. „Hast du wirklich bis eben geschlafen?“, fragte Usagi mit einem Blick auf den Morgenmantel. Ami nickte. „Ich habe mich die letzten Tage wohl etwas überanstrengt und dann -“ Doch bevor sie ihren Satz beenden konnte, hatte Usagi sie schon mit ernstem Gesicht unterbrochen. „Ja, ich weiß. Ace hat es mir erzählt. Darum bin ich auch hier.“ Ami blickte erst sie und dann die Tüte in ihrer Hand überrascht an. Usagi grinste. „Hier“, sagte sie und zog einen Manga hervor, den sie Ami überreichte. Diese bedankte sich und fragte dann: „Was soll ich damit?“ „Lesen!“, erwiderte Usagi. „Ace meinte, du brauchst ein bisschen Abwechslung und dann dachte ich mir, dass du ja einfach mal einen Manga lesen könntest! Der ist total cool!“ Ami lächelte. „Danke, Usagi.“ Usagi grinste, stand auf, und klopfte der anderen auf die Schulter. „Kein Problem. Wir sind doch Freundinnen! Wenn du noch mehr brauchst, komm einfach bei mir vorbei.“ Ami nickte glücklich, während Usagi sich schon wieder auf den Rückweg machte. Die Blauhaarige besah das Cover des Taschenbuchs. Zu sehen waren drei Mädchen in langen schwarzen Mänteln, die mit Holzstäben in einem großen Kessel mit einer grünlichen Flüssigkeit darin rührten. Über ihnen prangte in bunten Farben der Titel „Die drei Wetterhexen“. Ami seufzte. Eigentlich hatte sie heute wieder in die Bücherei gehen wollen. Doch erstens wollte sie Usagi nicht enttäuschen, zweitens war der Tag sowieso schon halb vorbei, nachdem sie so lange geschlafen hatte, und drittens war Ace sicher auch damit einverstanden, dass sie sich einen gemütlichen Tag zu Hause machte. Der Manga handelte – wie das Cover auch schon verriet – von drei jungen Hexen, die mithilfe selbst gebrauter Zaubertränke das Wetter beherrschen konnten. Wenn die Leute ein bestimmtes Wetter brauchten, kamen sie zu ihnen und kauften es. Dabei war natürlich Chaos vorprogrammiert, denn wenn einer sich eine Woche Sonne wünschte, um schön braun zu werden, beschwerte sich ein anderer, weil seine Pflanzen kein Wasser mehr hatten. Außerdem brachten die Tränke der Hexen nicht immer unbedingt das, was sie eigentlich bezweckt hatten. Im letzten Kapitel herrschte im ganzen Land eine schreckliche Dürre, obwohl es in diesen Monaten eigentlich von morgens bis abends hätte regnen müssen. Schon bald wurden die Wetterhexen angesprochen und sie machten sich sogleich daran, den Trank zu brauen, den sie schon so oft benutzt hatten, um Regen heraufzubeschwören. Doch die herkömmlichen Rezepte zeigten keine Wirkung. Schließlich war es die jüngste von ihnen, die die richtige Mischung entdeckte. Sie hatte einen gewöhnlichen Regentrank mit einem für Sonnenschein gemischt und dabei eine merkwürdige Substanz erhalten, die mit ihrem glühend grünen Farbton schon gleich den Eindruck machte, als sei sie etwas Besonderes. Die Hexe steckte ihren Stab hinein und rührte kräftig im Uhrzeigersinn. Sofort verstärkte sich die Strahlung der Sonnenstrahlen. Als die beiden anderen protestierten, rührte sie in die andere Richtung, und wie durch ein Wunder bildeten sich Wolken am Himmel, die beständig anwuchsen. Und schließlich fiel der erste Tropfen Regen. Ami starrte auf die Doppelseite, auf der das Kapitel beendet wurde. „In die andere Richtung drehen, um das entgegengesetzte Ergebnis zu erhalten...“, murmelte sie langsam. Und auf einmal hatte sie die Lösung. Es war so einfach. Warum war sie da bloß nicht drauf gekommen? Sie brauchten nur einen Strudel, der sich in die andere Richtung drehen würde und – schwuppdiwupp – schon war Ace zurück in seiner Welt. Ami wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Endlich hatte sie das gefunden, was sie so lange gesucht hatte, doch sie war sich auf einmal nicht mehr sicher, ob sie es wirklich hatte finden wollen. Sie rief sich in Erinnerung, was sie sich am vorigen Abend vorgenommen hatte. Sie würde stark sein und Ace gehen lassen. Sofort sprang sie auf und lief in ihr Zimmer, um den Computer anzuwerfen. Ungeduldig trommelte sie mit den Fingern auf ihrem Schreibtisch herum. Hatte er schon immer so lange gebraucht, um hochzufahren? Es schien Stunden zu dauern, bis sie endlich auf das Internet-Icon auf dem Desktop klicken konnte. Ausgerechnet heute schien die Verbindung besonders schlecht zu sein. Schnell gab sie ein paar Stichworte in die Suchmaschine ein und klickte dann, sobald sie Ergebnisse anzeigte, auf den ersten Link, der sie zu der Homepage eines japanischen Nachrichtensenders führte. Dort, unter den Schlagzeilen von vor fast vier Wochen, fand sie einen Artikel über einen mysteriösen Strudel, der in der Bucht von Tokyo aufgetaucht war und urplötzlich seine Drehrichtung geändert hätte. „Nein!“, rief Ami ungläubig aus. Wenn sie dem, was dort stand, Glauben schenken konnte, hatte der Raum-Zeit-Strudel, direkt nachdem er Ace ausgespuckt hatte, seine Richtung geändert. Sie hätte sich all ihre Recherchearbeit sparen können, wenn sie auch nur ein einziges Mal den Fernseher angeschaltet und die Nachrichten geschaut hätte. Doch die Wut über ihre eigene Dummheit löste sich sofort in Luft auf, als sie an Ace dachte. Wenn sie ihn gleich zurückgeschickt hätten, wäre sie ihm wohl nie näher gekommen. Sie wären nicht zusammen in den Freizeitpark gegangen... Allein für die Erinnerung an diesen wundervollen Tag hatte es sich gelohnt, so viel Zeit in der Bücherei zu verschwenden. Ein kurzer Blick auf die Zeitanzeige der Startleiste sagte ihr, dass es erst früher Nachtmittag war. Ace würde wie immer spät von seiner Arbeit zurückkehren, und vorher konnte sie nichts unternehmen. Es hatte keinen Sinn, zur Bucht von Tokyo zu fahren, um nach dem Strudel zu schauen, denn die Quellen im Internet sagten klar und deutlich, dass er immer noch dort war. Es hatte auch keinen Sinn, bei Usagi anzurufen, um zu fragen, ob Ace zufällig doch schon da war. Dann müsste sie nämlich möglicherweise auch noch erzählen, warum sie so dringend mit ihm sprechen musste. Und das war etwas, das sie auf keinen Fall tun wollte. So leid es ihr auch tat, sie konnte ihre Freundinnen nicht einweihen. Sie würden alle mitkommen wollen, um Ace zu verabschieden. Und dann würde sie, Ami, wieder völlig untergehen und ihm nicht einmal Lebewohl sagen können... Also musste sie wohl oder übel alleine mit ihrer Nervosität klarkommen. Sie versuchte, fernzusehen, doch da ihr Blick dauernd zur Uhr wanderte, konnte sie sich so wenig auf die Sendung konzentrieren, dass sie das Gerät bald wieder ausschaltete. Auch der Versuch, zur Ablenkung etwas zu lesen, scheiterte kläglich. Irgendwann entschied sie dann, dass es spät genug war, um aufzubrechen und machte sich auf den Weg. Es machte im Grunde keinen Unterschied, ob sie in ihrem Zimmer oder vor dem Freizeitpark umherlief, doch sie wollte Ace auf keinen Fall verpassen. Tatsächlich war sie schon vor den Toren Disneylands angekommen, bevor es angefangen hatte zu dämmern. Vor Einbruch der Dunkelheit würde Ace sicher nicht fertig sein. Amis Herz klopfte laut bei dem Gedanken daran, ihn bald wiederzusehen. Sie hoffte, dass sie ihn nicht verpassen würde unter all den herausströmenden Menschen. Zum Glück hatte sie sich direkt vor den Mitarbeitereingang gestellt, den sie ja schon von ihrem letzten Besuch kannte, denn sonst wäre er sicherlich gleich in der Menge untergetaucht, nachdem er seinen Arbeitsplatz verlassen hatte. So bemerkte er sie aber sofort und fragte überrascht: „Was machst du denn hier?“ Sein Grinsen verriet aber, dass es eine positive Überraschung war. „Komm mit“, murmelte Ami verlegen und zog ihn hinter sich her. Sie traute sich nicht, ihm in die Augen zu sehen, da sie befürchtete, ihre Gefühle könnten dann aus ihr hervorbrechen und alles zerstören, was sie sich vorgenommen hatte. „Was ist los?“, fragte er alarmiert. „Du wirst es sehen“, war Amis einzige Antwort. Er schien zu merken, dass er keine weiteren Informationen aus ihr herausbekommen konnte, denn den Rest des Weges schwieg er. Als sie schließlich am Strand ankamen – an dem Strand, an dem sie sich kennengelernt hatten – schien er endlich zu wissen, worauf sie hinaus wollte. „Du hast einen Weg gefunden, mich zurückzubringen?“, fragte er strahlend. Sie nickte, wobei sich ein schmales Lächeln über seine kindliche Freude auf ihr Gesicht schlich. „Wir müssen nur dein Boot holen, dann kannst du durch den Strudel dort hinten zurückkehren“, erklärte sie und zeigte an den Ort, an dem er sich noch immer drehte, als sei nichts geschehen. „Danke, Ami!“, rief er und umarmte sie. „Wirklich, dafür kann ich dir gar nicht genug danken.“ Sie lief rot an, als sie seinen heißen Körper – möglicherweise zum letzten Mal – an ihrem spürte. „Kein Problem“, murmelte sie und lief, als er sie losließ, mit schnellen Schritten auf die Höhle zu, in der sie sein kleines Boot versteckt hatten. Wenn es nun nicht mehr da ist..., schoss es ihr durch den Kopf und eine Welle der Hoffnung flutete durch ihren ganzen Körper, obwohl sie versuchte, sie aufzuhalten. Natürlich traf der Gedanke nicht zu; Aces Piratenschiff schwamm noch immer an dem Platz, an dem sie es zurückgelassen hatten. Ami unterdrückte einen Seufzer und half Ace, sein Eigentum loszubinden und auf den Strand zu ziehen. Eine peinliche Stille folgte, in der sie beide genau wussten, dass die Zeit des Abschieds gekommen war. Schließlich war es Ace, der sie brach. „Nochmal danke für alles, Ami. Es hat mir Spaß gemacht, diese Welt zu erkunden. Doch jetzt muss ich wohl zurück.“ Noch immer hatte sie ihren Blick auf den Boden gerichtet, um ihn nicht ansehen zu müssen. Sie konnte sich fast ausmalen, wie er sie jetzt ansah. Ein verlegenes Grinsen in seinem unbekümmerten Gesicht... „Ja“, sagte sie nur, aus Angst ihre Stimme könnte sie verlassen. Und auf einmal konnte sie ihre Gefühle nicht mehr zurückhalten, all das, was sie in den vergangenen Tagen gefürchtet hatte, war nun wahr geworden und stürzte auf sie ein. Er würde sie verlassen. In wenigen Augenblicken würde er fort sein, und sie würde ihn niemals wieder sehen. Die Tränen ließen sich nicht mehr zurückhalten und Ami begann zu schluchzen. Niemals war so ein endgültiges Wort... Es gab keinen Ausweg, keine andere Möglichkeit. Etwas berührte ihren Kopf und sie sah auf, während die Tränen über ihre Wangen liefen. Ace grinste, so wie er es schon so oft getan hatte. Sein Arm war in Richtung ihres Kopfes ausgestreckt, doch es war nicht seine Hand, die auf ihrem Haar lag. „Dein – Hut?“, war das einzige, was sie hervorbrachte. Tatsächlich hatte er ihr den orangefarbenen Hut, von dem er sich bisher nie hatte trennen wollen, aufgesetzt. Sie legte ihre Hand auf seine, die noch immer auf dem Hut lag. Ace nickte. „Damit du mich nicht vergisst“, erklärte er. Dann zog er seine Hand unter ihrer hervor, drehte sich um und ging auf sein Boot zu. „Warte“, rief Ami schluchzend. Er drehte ihr den Kopf zu und sah sie fragend an. „Danke.“ Sie schluckte. Wenn sie jetzt nichts sagte, würde sie die letzte Gelegenheit vertan haben. „Danke für alles, Ace! Ich bin so froh, dich getroffen zu haben!“ Sein Grinsen wurde noch breiter, als er sich wieder dem Boot zudrehte, eine Hand mit erhobenem Daumen über seinem Kopf. Er stieg in sein Boot, holte die Ruder unter der Sitzbank hervor, und stieß sich damit vom Strand ab. „Lebe wohl“, flüsterte Ami. Kapitel 37: Pai und Meroko - Erste Gefühle ------------------------------------------ Von Ein neues Pairing, diesmal wieder auf Wunsch, und zwar von Mew-Moonlight. Es ist schon das zweite Pärchen mit Aliens aus Tokyo Mew Mew, das ich schreiben muss. Ich beschwere mich ja nicht, es gibt nur so wenig Infos über die Aliens. Gerade bei Pai... Für alle Fullmoon-Fans noch der inhaltliche Hinweis, dass die Geschichte irgendwann gegen Ende von Band 1, also sehr früh spielt. Es wäre nur umständlich gewesen, wenn Izumi auch noch eine Rolle gespielt hätte... Noch etwas zu den Liedern, die Fullmoon hier singt. Das erste kommt von mir, hab ich mir so ausgedacht... Ich würde ihm den Titel „Vision“ geben. Das Lied ganz am Schluss ist „L’Ange“, der Text, der im deutschen Manga in Englisch vorkommt, nur halt ins Deutsche übersetzt. Ich hoffe, die Geschichte geht einigermaßen... Erste Gefühle Das erste große Konzert des Jungstars Fullmoon war ausverkauft bis auf den letzten Platz. Somit drängten sich in der relativ kleinen Konzerthalle irgendwo abseits des Zentrums von Tokyo die Mädchen auf engstem Raum. Der Raum war erfüllt von Tuscheln, Lachen und Kreischen, von einem nervigen Summen wie in einem Bienenstock, das von innen gegen die Wände zu drücken schien. Meroko Yui hockte auf einem der Stahlträger oben im gewölbten Dach und starrte auf die Menge von Fans, die auseinander- und wieder zusammenwaberte und sich bewegte, wie eine große Alge. Unten auf der Bühne wurden soeben die letzten technischen Vorbereitungen getroffen, ein paar Bühnenarbeiter wuselten noch hin und her, das Licht wurde kurz angetestet. Meroko gähnte unauffällig und wünschte sich, dass es endlich anfangen würde. Der einzige Grund für sie, hier zu sein, war, dass sie die Lieder von Fullmoon schlicht und ergreifend liebte. Die eigentlich zwölfjährige Sängerin sang von Freud und Leid, von starken Gefühlen und von Träumen, und das ohne jede Künstlichkeit. Meroko verstand gut, warum so viele Mädchen Fans von ihr waren. Aber das Warten nervte. Als Fullmoon fünf Minuten später die Bühne betrat, wurde es mit einem Mal ganz still im Saal. Es war fast schon magisch: eine einzige, weißgekleidete Gestalt mit engelsblondem Haar zeigte sich und schon waren die Blicke von etwa tausend Personen auf sie gerichtet und alle Münder geschlossen. Fullmoon lächelte, ein offenes, süßes Lächeln, und begrüßte ihre Fans mit sanfter Stimme. Im Hintergrund bezogen die Musiker die Plätze an ihren Instrumenten und dann begann in die Stille hinein die Musik des ersten Songs. Meroko schloss die Augen. Hast du mich gesehen, als die Sonne noch strahlte? Konntest du mich hören, über das Lachen hinweg? Meroko wurde gestört, kaum, dass diese ersten Worte verhallt waren. Ein leises Klacken neben ihr, sie sah auf. Neben ihr stand ein Mann. Vielleicht kein Mann. Zumindest schien er kein normaler Mensch zu sein, denn seine Ohren, die fast die Länge einer Hand hatten und seitlich vom Kopf abstanden, waren ebenso unmenschlich wie der Fakt, dass er ohne sichtbare Hilfsmittel soeben im mehrere Meter über dem Boden liegenden Stahlgerüst gelandet war. Meroko brachte sicht mit einem Schlag ihrer Flügel in eine aufrechte Position, aber der Fremde bemerkte sie nicht, natürlich nicht. Für ihn mussten Todesengel wie sie genau so unsichtbar sein wie für all die Menschen im Konzertsaal. Fullmoon sang, unbemerkt dieses Vorkommnisses, weiter. Vermutlich war sie zu sehr in ihre Worte vertieft, um es überhaupt zu merken. Damals war alles anders, damals war ich nicht allein, Damals konnte ich dich nur von weitem betrachten Und mir nur heimlich einen Blick von dir wünschen. Meroko musterte den Mann, der mit verschränkten Armen dastand und ohne sichtbare Gefühlsregung die Augen quer über den Saal und die Bühne huschen ließ. Seine Augen waren tiefschwarz, sein Haar hatte einen Stich ins Violette. Links neben seinem Gesicht lag eine mit Textil umwickelte Strähne, der Rest seines Haarschopfs war denkbar kurz. Er trug nur ein bis knapp unter die Brust reichendes schwarzviolettes Oberteil, eine lange Hose, die mit Halbschuhen abgeschlossen war und schwarze Stulpen an den Unterarmen. Wer mochte er sein? Fullmoon wiegte sich im Takt der Musik, sang unbeirrt weiter: Hast du mich gespürt, als ich dir noch fern war? Konntest du mich riechen, über den Schweiß anderer hinweg? Meroko stellte sich direkt neben den Fremden auf den Stahlträger. Er schien versunken in irgendein Gedankenspiel, bis er auf einmal die Hände hob. „Infiltration von Enzym 5“, sagte er leise. Das war der Moment, in dem Meroko beschloss, sich sichtbar zu machen, um zu verhindern, was auch immer er vorhatte. Er brach sofort ab und fuhr zu ihr herum, wobei er vorsichtshalber noch einen Sprung rückwärts machte. Die Höhe des schmalen Stahlträgers schien ihn dabei nicht im Mindesten zu verunsichern. „Wer bist du?“, sagte er sofort. Trotz aller Überraschung, die sie ihm bereitet haben musste, wirkte er seltsam ruhig. Meroko sah ihn mit erhobenem Kopf an. „Dasselbe könnte ich dich fragen, zudem war ich zuerst hier.“ Glückliche Tage sind vorbei, alles hat sich verändert Was ich hatte, versank im Abgrund, im tiefen Meer der Stille Doch da war immer noch ein Licht, das warst du Dem Blick des Langohrigen war kein Gefühl anzusehen, doch er sagte leise: „Du willst vor mir hier gewesen sein?“ „Du hast mich nicht gesehen, aber ich war da. Sag mir, wer du bist.“ „Warum sollte ich?“ „Okay, pass auf. Ich bin ein Todesengel. Wenn ich will, kann ich dir an Ort und Stelle deine Seele nehmen, falls dir das lieber ist!“, erklärt Meroko brüsk. Das war glatt gelogen, denn Todesengel, die Menschen ihre Seele nehmen, denen nicht der Tod bestimmt ist, erwartet eine bestiale Strafe. Den Fremden schien diese Aussage auch so nicht wirklich zu beeindrucken. „Du willst mich töten?“, fragte er gelangweilt. „Ich will wissen, wer du bist“, erwiderte Meroko und verschränkte die Arme. Ihr Gegenüber sah ihr ausdruckslos in die Augen. Sein kalter Blick jagte ihr augenblicklich einen Schauer über den Rücken. „Ich heiße Pai“, sagte er und wandte sich ab. Kannst du mich jetzt sehen, auch wenn ich im Dunkeln sitze? Kannst du mich hören, auch wenn meine Stimme versagt? Meroko verzog den Mundwinkel. „Okay... Pai. Was hast du hier vor?“ „Ich wüsste nicht, was dich das angeht.“ „Wenn du Fullmoon etwas tun willst, kriegst du es mit mir zu tun!“ Seine Augen begannen belustigt zu glitzern, auch wenn sein Mund schmal wie zuvor blieb. „Fullmoon? Du meinst, das Mädchen da vorne?“, fragte er und deutete auf die Sängerin. „Genau die. Wag es ja nicht!“ „Sie könnte problemlos entkommen, wenn du sie warnst.“ „Warnen wovor?“ Pai sah Meroko abschätzend an. Sie stellte sich vor, dass er sie in Gedanken für ihre blöden Fragen verfluchte, aber seiner stählernen Miene war nichts zu entnehmen. Lass mich dir mich zeigen, damit du mich siehst. Lass mich dir ein Lied singen, damit du mich hörst. Lass mich dich berühren, damit du mich spürst Lass mich dich betören, damit du mich riechst. Lass mich bei dir sein. Die Fans begannen begeistert zu kreischen. Meroko stemmte die Arme in die Hüften. „Ich warte.“ „Ich werde den Raum mit Kohlendioxidgasen anfüllen. Dann werden hier alle ersticken.“ Dem Todesengel jagte bei der Gefühlskälte hinter diesen Worten ein Schauer über den Rücken. „Du meinst, sie werden alle sterben?“, hakte Meroko nach. „Das sagte ich doch.“ Meroko sah hinunter zur Bühne, wo Fullmoon gerade der Menge zuwinkte und ihnen eine kurze Ansprache hielt. Hinten, knapp neben dem Gitarristen, entdeckte sie den für die normalsterblichen Zuschauer unsichtbaren Takuto, ihren Todesengelkollegen, der mit verschränkten Armen und zufriedenem Gesichtsausdruck Fullmoon betrachtete. Sie drehte sich wieder zu Pai. „Also gut, tu es ruhig“, sagte sie ernst. „Du hättest mich sowieso nicht aufhalten können“, erklärte er ungerührt. Meroko zog eine Grimasse und verwandelte sich in ihre normale Todesengelgestalt, die für ihn unsichtbar war, zurück. Eilig flatterte sie in Richtung Bühne. Hinter sich hörte sie Pai etwas von „Tödlichkeitsrate 95%“ murmeln. Bevor sie allerdings die Bühne ganz erreicht hatte, wurde ein Ruf aus der Menge laut. „Das lassen wir dir nicht durchgehen!!“ Unruhe kam auf, als sich die Konzertbesucher zur Seite drängten und Platz für fünf junge Mädchen in schillernd bunten Kostümen machen, die bis unter den Querträger eilten, auf dem Pai stand. Um ihn herum schwebten jetzt in der Luft kleine schwarze Wesen, die mit ihren von kleinen Zähnchen starrenden Mäulern heftig schnappten. Meroko landete neben Fullmoon und beobachtete, wie das vorderste von den Mädchen anklagend auf Pai zeigte. „Dich auch noch hier hin zu wagen, ist echt das Letzte! Ich denke, es wird wieder mal Zeit für eine kleine Lektion!“ Umstehende Konzertbesucher zückten ihre Handykameras, um die ungewöhnlich gekleideten Mädchen zu knipsen. „Ihr werdet diesmal nicht gewinnen, Tokyo Mew Mew. Los, meine Luftverpester!“ Pai riss den Arm nach vorn und die kleinen schwarzen Monster um ihn herum stürzten sich auf die fünf Heldinnen. Der Kampf war denkbar kurz und für Pai eine totale Niederlage. Tokyo Mew Mew gelang es innerhalb kürzester Zeit, die Monster mit ihren magischen Waffen auszuschalten und ernteten daraufhin brausenden Jubel. Pai zog keine Miene, sondern verschwand einfach so schnell, wie er gekommen war. „Warte!“ Pai hielt mitten in der Luft über der Konzerthalle inne, wo ihn eine unsichtbare Kraft zu halten schien. Um ihn flatterten die an seinem Gürtel befestigten Bänder im Wind. „Was willst du noch hier?“, fragte er kühl. Meroko, die ihm sofort gefolgt war, ballte die Fäuste. Sie war froh, dass sie ebenfalls fliegen konnte, allerdings war es anstrengend, sich gleichzeitig in der Luft zu halten und für Pai sichtbar zu bleiben. „Landen wir irgendwo. Ich muss mit dir sprechen.“ „Wenn du willst“, antwortete er schlicht. Sie kam auf dem Hubschrauberlandeplatz eines nahen Krankenhauses auf, wo mitten in der Nacht nichts los war. Um sie herum glitzerten die Lichter der Großstadt wie Juwelen in der Dunkelheit. Pai schien jedoch keinen Sinn dafür zu haben, blieb mit verschränkten Armen stehen und musterte Meroko abwartend. Sie ballte die Fäuste in der Luft und versuchte, seinem Blick auszuweichen. „Du... Du kannst doch dafür sorgen, dass Tausende von Menschen sterben, nicht wahr?“ „Wir haben es schon oft versucht. Bisher sind uns Tokyo Mew Mew immer in den Weg gekommen.“ „Aber wenn ich dir helfen würde, könnte es klappen, oder?“ „Wie willst du mir helfen?“ „Ich... du sagst doch, diese Tokyo Mew Mew kommen euch in den Weg! Also werde ich sie ablenken!“ „Wie willst du das erreichen?“ „Ich kann für Menschen jede erdenkliche Gestalt annehmen, das wird mir dabei helfen. Allerdings hast du recht, ich weiß noch zu wenig über sie. Wenn du mir Informationen gibst, kann ich vielleicht etwas ausrichten.“ Pai kratzte sich am Kinn und musterte sie gründlich. „Warum willst du, dass ich Menschen töte?“, fragte er schließlich. Meroko zuckte zusammen. „Das geht dich nichts an. Du solltest damit zufrieden sein, dass ich dir überhaupt helfe, meinst du nicht?“, erklärte sie nach einer kurzen Pause. Er zuckte nichtssagend die Achseln. „Gut, wenn du meinst. Ich werde dir über Mew Mew alles verraten, was wir bisher wissen, also pass gut auf...“ Das Café Mew Mew lag in einem belebten Teil der Innenstadt von Tokyo und war von außen so niedlich, dass Meroko sich bei seinem ersten Anblick gewünscht hatte, mal zu zweit mit Takuto herkommen zu können. Nun aber war sie wegen ihrer Mission hier. Sie schlingerte zum Hintereingang des Cafés, malte geschwind einen Kreis aus Kreide auf die Wand und schlüpfte hindurch. Praktisch war diese Technik immer, auch wenn sie eigentlich dazu gedacht war, dass Todesengel wie sie unbemerkt in die Häuser von Sterbenden eindringen konnten. Hinter dem Eingang lag die Geheimzentrale von Tokyo Mew Mew, ein großer Raum mit Bildschirmen an den Wänden, untereinander vernetzten Computern und unhandlichen technischen Geräten. Ein junger Mann mit blonden Haaren saß vor den Überwachungsbildschirmen und tippte nebenbei abwesend Befehle in den Computer. Er war sichtlich müde, unter seinen Augen zeichneten sich dunkle Ringe. Meroko trat hinter seinen großen Stuhl und grinste. „Ich finde, ich sollte jetzt übernehmen“, sagte sie süßlich und zog ein Seil hervor, das sie zu diesem Zweck mitgenommen hatte. Sie trat um den Stuhl herum, und ehe er sich versah, hatte sie ihm schon das vorbereitete Taschentuch in den Mund gestopft und das Seil um seinen Oberkörper gewunden. Seine vor Schreck weit aufgerissenen Augen fragten „Was geschieht hier?“, denn sehen konnte er sie trotz Allem nicht. Meroko trat einen Schritt zurück, während seine Augen panisch im Raum umherwanderten. Sie grinste, dann machte sie sich gleichzeitig sichtbar und nahm das Aussehen ihres Gegenübers an. Der Schock in seinem Blick war nicht zu übersehen. „Tja, ich bin du“, erklärte Meroko mit seiner Stimme. „Eine Woche habe ich dich beobachtet, das reicht, um dich überzeugend genug zu imitieren. Also sei so lieb und halt dich jetzt ein bisschen zurück.“ Damit nahm sie ihn auf beide Arme, tapste zum Ausgang des Raumes und sperrte den wehrlosen blonden Oberschüler in den gegenüberliegenden Besenschrank. Dann kehrte sie zum Computer zurück. Nun war sie er – Ryô Shirogane, Oberschüler und Begründer des Projekts Mew Mew, das Pai ständig in die Quere kam. Soweit Meroko mitbekommen hatte, war Pai nicht der Einzige seiner Art, allerdings wusste sie von den anderen weder, wer sie waren, noch wie viele. Es spielte auch gar keine Rolle, solange Pai sich ihren Absprachen entsprechend verhielt. „Keiichirô! Wo bist du?! Es ist eine Katastrophe!“ Der Gerufene, der Besitzer des Cafés und der zweite Kopf von Mew Mew erschien nach wenigen Sekunden mit einem Besen in der Hand. Er war ein etwas über zwanzig Jahre alter Mann mit mittellangem, schwarzem Haar in Hemd und Hose. „Was ist los?“, fragte er alarmiert. „Tausende von Aliens sind in Chiba aufgetaucht, ich hab’s gerade erst gesehen! Wir müssen sofort Mew Mew verständigen!“ Meroko deutete auf den Bildschirm hinter sich, wo Bilder von einem Chimärenangriff auf ein Einkaufszentrum abliefen, die sie zuvor aus dem Archiv gekramt hatte. Keiichirô schien nicht zu bemerken, dass es dieselben Bilder waren wie nur drei Tage zuvor. „Ich verständige sofort die Mädchen“, erklärte Meroko. Keiichirô nickte ernst, während Meroko anfing, Befehle in den PC einzugeben, wie sie es den echten Ryô mindestens zweimal hatte tun sehen. Pai hatte in der vergangenen Woche immer wieder Angriffe gestartet, während Meroko die Vorgänge im Café genauestens beobachtet hatte. Wenn die Mädchen von Tokyo Mew Mew, die normalerweise im Café arbeiteten, gerade nicht direkt zu erreichen waren, gab Ryô diese seltsamen Befehle ein (Meroko hatte immerhin das Prinzip verstanden) und irgendwie wussten danach alle Bescheid. So würde es auch diesmal sein. „Die schaffen das schon“, sagte Keiichirô, nachdem Meroko ihren Befehl beendet hatte. Sie nickte. „Ich mache mir trotzdem Sorgen. Behalt du die Vorgänge im Auge, ich fahre auch nach Chiba, nur für den Fall der Fälle.“ Keiichirô nickte. Damit war Meroko auf der sicheren Seite. Der Braunhaarige wusste zwar offenbar einiges über die Gegner von Tokyo Mew Mew, hatte aber keine Ahnung von den Computersystemen und würde einfach das alte Video weiterverfolgen, das den Sieg der Heldinnen über die Aliens zeigen würde. Dass Ryô des Öfteren den Mädchen folgte, hatte sie beobachtet, so dass hier keine Gefahr bestand, dass er Verdacht schöpfte. Und wenn die Mädchen, in Chiba angekommen, bemerken würden, dass etwas nicht stimmte, wäre es schon viel zu spät. Meroko schwang sich, kaum, dass sie das Café verlassen hatte in ihrer normalen Todesengelform in die Luft. Pai konnte loslegen. Sie erreichte innerhalb kürzester Zeit die kleine Vielzweckhalle im Hafengebiet, in der Fullmoon ihr heutiges Promo-Konzert gab. Geladen waren nur 200 Gäste, die die Tickets bei einem Radiogewinnspiel gewonnen hatten. Pai erwartete Meroko über dem Hallendach schwebend. Von ihrem Standpunkt aus konnten sie bereits das Meer in der Bucht von Tokyo rauschen hören. „Es kann losgehen. Tokyo Mew Mew sind auf dem Weg nach Chiba“, erklärte Meroko. Pai verzog wie üblich keine Miene – daran hatte sich der Todesengel mittlerweile gewöhnt – aber seine Augen glitzerten zufrieden. „Diesmal werden wir erfolgreich sein!“, rief er. Meroko nickte. „Ich werde Fullmoon warnen und dir dann Bescheid sagen.“ Damit machte sie sich für ihn wieder unsichtbar und verschwand in der Halle. Das Konzert war bereits in vollem Gange. Fullmoon hatte soeben einen Song beendet und war für den Kostümwechsel von der Bühne verschwunden. Meroko stellte sie in der Umkleidekabine. „Häschen! Wir haben dich die ganze Zeit vermisst!“, rief Fullmoon, als sie den Todesengel entdeckte. Aus irgendeinem Grund konnte die Sängerin sie immer sehen, vermutlich, weil ihr der nahe Tod bestimmt war. „Du sollst mich nicht Häschen nennen“, sagte Meroko streng. Fullmoon lächelte offen. „Tut mir leid“, meinte sie, fast flüsternd, da ihre Bühnenassistentin hereinkam, um ihr in das neue Outfit zu helfen. Meroko blieb stehen und betrachtete, wie die Sängerin von einem weißen Hosenanzug in ein niedliches kurzes Rüschenkleid wechselte. Weiß trug die Sängerin sowieso immer bei ihren Auftritten. „Hör zu, Mitsuki“, sagte Meroko und sprach die Sängerin damit mit ihrem wirklichen Namen an. Diese sah sie nur kurz an, ließ sich aber gegenüber ihrer Assistentin nichts anmerken, während sie sich aus ihrem Anzug schälte. „Es wird gleich einen Angriff auf diese Konzerthalle geben. Flieh, sobald du irgendwas Ungewöhnliches hörst, verstanden?“ Die Augen der Sängerin weiteten sich. „Was redest du da?“ Ihre Assistentin sah sie verblüfft an. „Ich habe doch gar nichts gesagt.“ Fullmoon ignorierte das und sah Meroko auffordernd an. „Diese Konzerthalle wird von Aliens angegriffen werden. Du sollst dich in Sicherheit bringen, wenn das passiert. Mehr nicht.“ „A- aber wieso...?“ „Glaub mir einfach und nutz dein Wissen, um zu fliehen. Ich hätte es dir auch verschweigen können, also beschwer dich nicht.“ Bevor Fullmoon noch irgendwas sagen konnte, zischte Meroko aus dem Raum, wo sie allerdings prompt mit ihrem Kollegen Takuto zusammenstieß. Er fiel hin, rappelte sich aber sofort wieder auf. „Meroko! Du bist ja auch hier“, stellte er verblüfft fest. „Ja, seit gerade eben. Wundert dich das?“ Takuto verschränkte die Arme. „So selten, wie ich dich die letzte Woche gesehen habe, wundert mich, dass du überhaupt noch wiederkommst“, stellte er fest. Meroko schüttelte vehement den Kopf. „Ich würde dich doch nie verlassen, Takuto! Du weißt doch, ich...“ Sie sah ihn flehend an, „Ich liebe dich doch!“ Takutos Gesichtsausdruck wurde zunehmend genervter. „Jetzt hast du es mir schon zum 59. Mal gesagt...“, stellte er fest. Meroko stampfte auf. „Nimm mich ruhig nicht ernst, mir ist es egal! Wenigstens helfe ich dir!“, rief sie. Sie flatterte mit den Flügeln und segelte in die Höhe. „Du wirst die Chance bekommen, endlich ein richtiger Todesengel zu werden, also nutze sie!“, meinte sie noch, bevor sie mit ihrem üblichen Trick durch die Decke schlüpfte, um Pai das Angriffssignal zu geben. Die Konzertbesucher merkten, dass etwas nicht stimmte, als auf einmal ein schwefliger Geruch die Luft erfüllte. Fullmoon war nach ihrem letzten Abgang noch nicht zurück und die Musiker hatten ein paar Interludes gespielt, um die Wartezeit zu überbrücken. Vorne in der ersten Reihe war der Geruch so stark, dass bereits nach wenigen Sekunden das erste Mädchen in Ohnmacht fiel. Panik brach aus. „Du hast was!?“, schrie Takuto. „Das ist die Chance für dich!“, erwiderte Meroko, gerade erst zurück von draußen, um sicherzugehen, dass Fullmoon die Halle tatsächlich verließ. Diese wechselte einen entsetzten Blick zwischen den beiden Todesengeln, die sich drohend gegenüberstanden. Mehr Schreie drangen aus dem Zuschauerraum und das Geräusch von Schritten. Die Zuschauer versuchten, aus dem Saal zu entkommen. „Du arbeitest mit diesem Alien zusammen, damit er die Konzertbesucher umbringt!? Wie tief bist du eigentlich gesunken!?“, rief Takuto mit unverhohlener Wut in der Stimme. „Ich tue das doch nur für dich! Wenn viele Menschen sterben, kannst du ihre Seelen nehmen und dann wirst du endlich ein vollwertiger Todesengel! Nutz diese Chance!“ „Hältst du mich für so niederträchtig?“ Takuto erwartete nicht einmal eine Antwort, sondern flog so schnell er konnte zum Zuschauerraum. Gut die Hälfte der Zuschauer war bereits aus der Halle entkommen. Die Musiker waren neben ihren Instrumenten, geplagt vom ätzenden Geruch der Chimären, in Ohnmacht gefallen. Auch auf dem Boden der Halle lagen mehrere Menschen, die ihr Bewusstsein verloren hatten, während der Rest sich vor den zwei Notausgängen drängte und versuchte, den mysteriösen Gasen zu entkommen, die die Halle langsam anfüllten. Die Chimären hatte Pai in die Dachkonstruktion geschickt, wo sie praktisch nicht auszumachen waren, und von dort strömten sie ihre gefährlichen Dämpfe aus. Immer noch erklangen überall Schreie. Am Bühnenaufgang, dem Publikum durch einen Vorhang verborgen, stand Pai mit verschränkten Armen und beobachtete das Schauspiel mit zufriedener Miene – bis ihn eine Faust grob am Kragen packte und ein junger Mann mit schwarzem, im Nacken zu einem Zopf gebundenen Haar vor ihm auftauchte. „Hör sofort auf damit!“, schrie er. Pai starrte ihn ausdruckslos an, machte aber keine Anstalten, sich zu bewegen. „Wer bist du denn?“, fragte er. „Ich sagte, du sollst aufhören! Die Menschen werden alle ersticken!“ Pai befreite sich unsanft aus dem Griff und stieß den Fremden rückwärts, dass er taumelte. „Du willst wohl, dass ich dich töte“, sagte er gelassen. Takuto machte wieder einen Schritt nach vorn. „Ich will nicht, dass du diese Menschen tötest. Meroko hat es nicht ernst gemeint. Hör auf!“ Pai verzog keine Miene. „Du hast mir nichts zu sagen. Ich weiß nicht, was Meroko beabsichtigt hat, aber sie hat mir bis hier geholfen. Der Angriff steht aber unter meiner Kontrolle. Du kannst mich nicht mehr aufhalten.“ Takuto stürzte sich wortlos auf den Alien. Der Überraschungseffekt ermöglichte es ihm, ihn zu Boden zu reißen, doch dann war Schluss. Pai winkelte die Beine an und verpasste seinem Gegner einen Tritt in den Magen, kam auf die Beine und sprang ihm hinterher. In der Luft verpasste er ihm einen kaltherzigen Handkantenschlag in den Nacken, der Takuto mit voller Wucht auf der Bühne aufschlagen ließ. „Los, holt ihn euch“, forderte er seine Monster seelenruhig auf und deutete auf den Bewusstlosen. Die Bestien zischten gesammelt mit lautem Kreischen zwischen den Strahlträgern des Hallendaches hervor, doch ein lautes Knallen ließ sie zurückschrecken. Vor Takuto hatte sich Meroko aufgebaut, wieder sichtbar für Pai. In der Hand hielt sie eine Peitsche, ihre Todesengelwaffe, die sie durch einen gedanklichen Befehl aus der Luft materialisiert hatte. Ihr Blick war erbarmungslos auf Pai gerichtet. „Wag es ja nicht, Takuto irgendwas anzutun!“, zischte sie. Takuto regte sich, während Pai Meroko abschätzend musterte. „Willst du mich aufhalten?“, fragte er sie. „Verschon Takuto, mehr will ich nicht!“ Pai drehte sich wieder in Richtung Halle. Diese war leer, bis auf ein paar Ohnmächtige direkt vor der Bühne. Direkt an den Ausgängen hatte es wohl genug frische Luft gegeben, als dass die Gase die Menschen dort hätten erwischen können. Pai drehte sich wieder zu Meroko. „Wie es aussieht, sind alle entkommen“, erklärte er. Meroko schluckte. „Ist das jetzt meine Schuld, oder was?“, fauchte sie. „Wenn dein Schwarzhaariger Freund mir nicht in die Quere gekommen wäre, hätte ich sicher Erfolg gehabt.“ Meroko starrte ihn fassungslos an. „Wag es nicht, irgendwas gegen Takuto zu sagen!“, schrie sie und machte einen Sprung auf ihn zu. Er wich aus, doch ihre Peitsche streifte ihn an der Wange und hinterließ eine blutige Spur. „Warum greifst du mich an? Ich habe nur getan, was du wolltest. Warum beschützt du diesen Jungen, der unseren Plan durchkreuzen will?“ „Weil ich ihn liebe, du Idiot! Wenn er nicht von dieser Sache profitiert, hat es keinen Sinn! Also hau ab, es ist zu spät!“ Mit heftigen Armbewegungen versuchte Meroko, ihren Gegner ein weiteres Mal mit der Peitsche zu treffen. Der war mittlerweile darauf eingestellt und konnte ausweichen. Es wurde ihm jedoch bald zu bunt und er machte einen Satz zum hinteren Ende der Halle. „Ich verschwinde“, verkündete er und tat dann wie versprochen, indem er sich durch einen Sprung aus der Tür katapultierte und irgendwo im Dunkeln zwischen den eng stehenden Speichern des Hafens verschwand. Gleichzeitig lösten sich auch die lauernd in der Luft schwebenden Chimären scheinbar in Luft auf. Meroko blickte ihm mit vor Wut flammendem Blick nach und atmete schwer. Sie hatte nicht bemerkt, wie untypisch bissig Pais letzte Worte geklungen hatten. Am Strand war es angenehm, fand Meroko. Das unaufhörliche Rauschen der Wellen und der Blick über den unendlichen Horizont hatten etwas ungemein Beruhigendes, so dass ihr die Strapazen der vergangenen Tage wie ein Witz vorkamen. Sie schwebte über dem Wasser und konnte weit hinten am Strand Takuto und Mitsuki sehen, die sich mit Wasser bespritzten. Mitsuki war hier in ihrer normalen Gestalt, der einer 12-Jährigen, während sie als Fullmoon durch Takutos Zauber das Aussehen einer blonden 16-Jährigen annehmen konnte. Der rosahaarige Todesengel ärgerte sich etwas, dass Takuto einfach so vertraut mit dem Mädchen umging, aber ändern konnte sie es auch nicht. Seit der Sache mit den Aliens war Takuto ziemlich schlecht auf sie zu sprechen. Mitsuki sah sie auch in letzter Zeit immer so vorwurfsvoll an, dass sie es vorzog, sich möglichst von den beiden fernzuhalten. Sie tapste ein wenig mit den Füßen ins Wasser, das sie leicht umspielte und flatterte dann ein bisschen weiter hinaus. Ein paar Möwen schlossen sich ihr an, als sie knapp über dem Wasser langsam in Richtung Strand schwebte. Wenn sie sich wie sie nur darum sorgen müsste, sich etwas zu Essen und einen Nistplatz zu besorgen, hätte sie es sicherlich leichter... Die schwarzweiß gemusterten Vögel mit den langen Schnäbeln trennten sich erst von ihr, als sie den Strand erreichte und machten sich mit lauten Flügelschlägen davon. Verblüfft bemerkte Meroko erst jetzt, dass Mitsuki fort war. Von Takuto war ebenfalls nichts zu sehen. Sie runzelte die Stirn und flog vorsichtig über den Sand hinweg, wo deutlich die Fußspuren von Mitsukis nackten Füßen im Sand zu erkennen waren. Ein paar Stellen waren so plattgetrampelt, dass Meroko nicht einmal mehr die Umrisse erkennen konnte. Etwas ließ sie stutzig werden: Sie konnte zwar deutlich die Spur sehen, die Mitsuki über die kleine Treppe von der Promenade zum Wasser geführt hatte, aber nicht den Rückweg. „Takuto!?“, fragte sie laut. Nichts, nur das Rauschen des Meeres und etwas weiter weg ein Flugzeug, das zum Landen ansetzte. Weit entfernt auch die Geräusche der Großstadt, aber nichts, was auf den Aufenthaltsort Mitsukis hinwies. Meroko rief noch einmal nach ihrem Partner, doch es war nicht er, der antwortete. „Auch wenn ich dich nicht sehe, du bist hier, Meroko!“Die Angesprochene fuhr herum. Über den unruhigen Wellen schwebte in mehreren Metern Entfernung eine Gestalt, die sie sofort erkannte. „Pai!? Was hast du mit Mitsuki vor!?“, stieß Meroko aus. Das schwarzhaarige Mädchen mit den Korkenzieherlocken befand sich fest im Griff des Aliens und schien keine Anstalten zu machen, sich daraus zu befreien. Meroko konnte sie den Mund bewegen sehen, doch ihre dünne Stimme wurde von Wind, Wellen und dem Kreischen der zurückgekehrten Möwen verschluckt. Pai erwiderte etwas. Dann rief er zum Strand herüber: „Ich töte sie. Jetzt.“ Meroko wusste nicht, was sie tun sollte. Sie sah, wie Mitsuki wieder etwas sagte und Pai daraufhin etwas erwiderte, aber sie konnte nicht reagieren. Pai wollte Mitsuki umbringen? Sie konnte sehen wie die Wellen unter Pais Füßen zu schäumen begannen. Schnappende Mäuler zeigten sich in der Gischt. Meroko konnte Mitsukis Gesicht sehen. Sie wirkte seltsam ruhig, hatte sogar die Augen geschlossen. Und sie sagte wieder etwas, das nicht bis zu Meroko vordrang. Der Todesengel wusste nicht, was er tun sollte. Mitsuki retten? Ihr war der Tod bestimmt. Wenn sie stürbe, würde Takuto ihre Seele nehmen können. Aber sie liebte ihre Lieder und sie hatte Mitleid mit dem jungen Mädchen, das diese Welt gegen seinen Willen schon bald würde verlassen müssen, das Mädchen, das so verzweifelt versuchte, sich vor ihrem Tod noch ihren Herzenswusch erfüllen zu können; eine berühmte Sängerin zu werden und so vielleicht berühmt genug zu werden, damit ihr verlorener Kindheitsfreund sie erkennen konnte. Meroko stieß sich kraftvoll vom Boden ab und raste über das Wasser hinweg. Ihr Gedankengang hatte sie nur wenige Sekunden gekostet, es hatte sich nichts verändert. Mitsukis Füße baumelten über dem Wasser, aus dem die Chimären nach ihr schnappten wie gierige Vögel nach einem Wurm. Ein Zischen gesellte sich zu Meroko, und als sie den Blick zur Seite nahm, entdeckte sie Takuto, der neben ihr in dieselbe Richtung schnellte. Sie stieß seinen Namen aus. Er sah sie nur kurz und ernst an, ein Flügelschlag ließ ihn die Führung übernehmen. Pai wusste nicht, wie ihm geschah, als Takutos für ihn unsichtbare Faust sein Kinn traf. Mitsuki entglitt seinem Griff, doch Meroko war bereits da und flatterte ein wenig höher, um das Mädchen vor den Chimären in Sicherheit zu wissen. Unter ihr schlug Pai auf der Wasseroberfläche auf und ließ glitzernde Wassertropfen durch die Luft wirbeln. „Mero-chan!“, rief Mitsuki sichtlich erleichtert. Der rosahaarige Todesengel lächelte sie an. Takuto schwebte, den Blick jedoch aufmerksam auf Pai gerichtet, neben sie. „Takuto, du bist auch da. Ich dachte schon, er würde mich umbringen“, sagte Mitsuki leise. „Wir sind ja da“, erklärte Takuto grimmig. Sein vorwurfsvoller Blick schien Meroko durchbohren zu wollen, doch bevor sie etwas sagen konnte, tauchte Pai wieder aus dem Wasser auf. Er starrte Mitsuki an. „Auch wenn ich dich nicht sehe, du bist hier“, sagte er. Seine Stimme klang nicht so beherrscht und gefühlskalt wie sonst, ein leichtes Holpern hatte sich hineingeschlichen. Meroko warf Takuto einen auffordernden Blick zu und legte Mitsuki vorsichtig in seine Arme. Das Mädchen musterte sie mit großen Augen, doch sie wich dem Blick aus und wandte sich Pai zu. Seine Augen weiteten sich ein wenig, als sie sich für ihn sichtbar machte. Meroko verschränkte die Arme und funkelte den Alien an. „Wer hat dir erlaubt, Mitsuki etwas anzutun?“, fragte sie drohend. Hinter sich hörte sie Takuto Mitsuki etwas zuflüstern, dann seine Flügel schlagen, er entfernte sich. Jetzt waren sie und Pai allein über dem Wasser, das leise vor sich hin gurgelte. „Du hast mich nach Strich und Faden hinters Licht geführt“, sagte er. Wieder klang seine Stimme ein wenig unsicherer als Meroko sie in Erinnerung hatte. „Wie kommst du auf die Idee?“ „Erst hast du mir Hilfe versprochen und dann meinen ganzen Plan versaut. Kisshu und Tarto lachen bereits über mich, weil ich dir überhaupt vertraut habe.“ „Es war nicht meine Absicht, deinen Plan zu durchkreuzen.“ „Ach nein...?“ Stille legte sich über die zwei und erstickte das Geräusch der Wellen mit ihrer undurchdringlichen Decke. Pai näherte sich Meroko. Sie wich nicht zurück, versteifte sich jedoch zusehends. Der Alien machte jedoch kurz vor ihr halt. Zwischen ihnen blieb eine Kluft von weniger als einer Handbreite. „Ist es nicht dein Partner gewesen, der mich abgelenkt hat, während die Zuschauer entkommen sind? Der mich angeschrien hat, dass ich sofort aufhören soll? Und dann kamst du.“ „Ich musste Takuto retten!!“ „Das verstehe ich nicht. Warum musstest du ihn retten? Es bestand kein Grund dazu. So blieb mir nur noch die Gewissheit, dass du es von Anfang an so geplant hattest.“ Meroko fühlte den Drang, Pai anzuschreien, ahnte aber, dass ihn das nur wütender machen würde. Als sie ihn so anstarrte, erkannte sie auf seiner Wange eine noch nicht vollständig verheilte Streifwunde. Er bemerkte ihren Blick scheinbar nicht, sondern sprach seelenruhig weiter. „Dafür, dass du mich an der Nase herumgeführt hast, wollte ich dich bestrafen. Aber wie sollte ich das tun, wo ich dich nicht einmal sehen konnte, wenn du es nicht wolltest? Also habe ich diese Sängerin gesucht. Ich habe beobachtet, dass sie sich verwandelt. Sie ist nicht immer die blonde Sängerin, sondern oft genug ein junges Mädchen, aber ich habe eine Weile gebraucht, um das zu bemerken. Ich wollte sie töten, aber sie hat versucht, mir zu sagen, dass es nicht Recht ist, so etwas zu tun, schon gar nicht aus Rache. Und dass ein Menschenleben viel mehr Wert ist als jeder Stolz.“ Meroko warf einen Blick über ihre Schulter zurück, wo sie am fernen Strand einen jungen Mann sehen konnte, der ein Mädchen in Richtung Promenade trug – Takuto und Mitsuki. Er hatte um das Leben anderer gebettelt, obwohl es das Beste gewesen wäre, den Menschen ihre Seele zu nehmen und ein richtiger Todesengel zu werden. Sie hatte den Wert des Lebens erkannt und hing daran, verzweifelt, weil sie wusste, dass nur noch wenig Zeit blieb. Als Meroko sich wieder zu Pai umdrehte, waren ihre Augen voller Tränen. „Warum...?“, fragte sie leise. Sie sah ihn hilfesuchend an, die Wangen voller Tränen. Ihre Unterlippe zitterte. „Warum?“, fragte sie noch einmal klagend und vergrub den Kopf in ihren Händen. Seine Hände waren heiß wie Feuer, als er sie vorsichtig an der Schulter berührte und brannten regelrecht auf ihrer Haut. Dennoch zog sie sich nicht zurück, sondern drückte ihren Kopf schutzsuchend an seine Brust, die ebenso brannte. Ihr Schluchzen wurde leiser, als würden ihre Tränen einfach verdampft. Als sie sich verlegen wieder von ihm löste, sah er sie mit einem tief verwunderten Blick an. Sie wischte sich die letzten Tränen aus den Wangen. „Ich verstehe nicht, warum du weinst“, sagte er schließlich. Seine Stimme holperte schlimmer als zuvor. Ein trauriges Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus. „Das kannst du nicht verstehen. Du hast ja keine Gefühle.“ Sie wagte es nicht, ihn noch einmal anzusehen, löste die Magie auf, die sie für ihn sichtbar machte und flatterte eilig über das mittlerweile fast ganz geglättete Wasser davon. Es war seltsam, dass sie sich überhaupt nicht dafür schämte, vor ihm geweint zu haben. Takuto hätte sie nie so in seinen Armen gehalten... Und er wäre auch nicht so warm gewesen. Die Tränen blieben in ihren Augen. Die Hitze, die von Pais Körper ausging, hatte sie wieder einmal schmerzlich daran erinnert, dass ihr Leben bereits gelebt war. Dass sie ein Todesengel war – eine Tote, der der ewige Frieden nicht gewährt wurde. Und dass der Grund, dass sie Takuto nachlief, ein höchst egoistischer war. Pai blieb dort, wo er war, über dem Wasser schweben und schien nachzudenken. Takuto hatte Meroko verziehen, nachdem sie Mitsuki gerettet hatte. Sie hatte ihm alles erklärt, und er hatte sie dafür gescholten, sie aber scheinbar auch verstehen können. Darüber war der Todesengel glücklich, aber es entging ihrem Kollegen trotzdem nicht, dass etwas sich an ihr verändert hatte. Es war nicht einmal besonders auffällig, aber Takuto wunderte sich nach zwei Tagen doch, dass Meroko aufgehört hatte, ihm ständig um den Hals zu fallen. Mitsuki dagegen war zu sehr mit den Vorbereitungen für ihren baldigen Auftritt in einem Werbespot beschäftigt, um sich überhaupt Gedanken zu machen. Angesprochen hatte sie aber keiner von beiden bisher, und das war ihr irgendwo ganz recht so. Sie wusste ja selbst nicht einmal, was mit ihr los war. Irgendwie hatte sich in ihr die Erkenntnis breitgemacht, dass es mehr als albern war, was sie bisher veranstaltet hatte. Takuto immer und immer wieder ihre Liebe zu gestehen war, das hatte sie sich ehrlich eingestehen müssen, nichts als ein Vorwand. Ein Vorwand, um sich nicht in jemand anders verlieben zu müssen, um sich nämlich überhaupt nicht verlieben zu müssen. Meroko saß auf dem Dach des Apartmentkomplexes, in dem die Plattenfirma Mitsuki einquartiert hatte, und beobachtete, wie über der Buch von Tokyo die wattegleichen Wolken in einem zarten Orange am fast schon dunklen Himmel ruhten. Den Kopf hatte sie auf die Hand gestützt, ihr Ellbogen ruhte auf ihrem überschlagenen Knie. Sie fragte sich ernsthaft, was mit ihr passiert war. Die offensichtliche Erklärung – dass es etwas mit Pais Anschlag auf Mitsuki und ihrem anschließenden Gespräch zu tun hatte – war ihr nicht wirklich gut genug. Grübelnd drehte sie eine lose Haarsträhne zwischen ihren Fingern. Was war bloß mit ihr los? Sie war gerade zurück in der kleinen Vierzimmerwohnung, wo Mitsuki sich vermutlich in ihrem Zimmer verschanzt hatte, während Takuto offenbar unter der Dusche stand, zumindest kam aus dem kleinen Bad ein charakteristisches Rauschen. Meroko wollte beide nicht stören und schlüpfte in die Küche, wo sie sich auf einen Stuhl fallen ließ. Mit dem Finger malte sie kleine Kreise auf den Küchentisch. Ihre Gedanken wanderten zurück zu dem Tag, als sie Pai das erste Mal getroffen hatte. Es war der Tag des ersten richtigen Konzerts von Fullmoon gewesen, anlässlich der Veröffentlichung ihrer ersten Single. Ja, sie erinnerte sich. Am Morgen jenes Tages hatte sie beschlossen, dass sie etwas tun müsste, dass Takuto der Aufgabe nicht gewachsen war und dass sich ein Profi um die Sache mit Mitsuki kümmern müsste. Dann jedoch hatte sie den ganzen Tag lang so tun müssen, als sei sie Mitsuki, um deren Großmutter in Sicherheit zu wiegen, und anschließend hatte sie so gern das Konzert sehen wollen, dass es keinen Sinn mehr gemacht hätte, noch in Aktion zu treten. Dann war Pai aufgetaucht. Merokos Hand hielt auf einmal inne, denn das Bild des Aliens, das in ihrem Kopf aufgetaucht war, wurde auf einmal von einem anderen verdrängt. Nur kurz, aber es war genug, um sie wieder zu erinnern. Sie hatte damals ihren ehemaligen Partner, Izumi Rio, um Hilfe bitten wollen. Izumi war ihr Partner gewesen, und sie hatte ihn geliebt. Doch er hatte ihre Gefühle nicht erwidert und sie kaltherzig ihrem neuen Partner, Takuto, anvertraut. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, als ihr klar wurde, dass sie in den letzten Tagen nicht einmal an ihn gedacht hatte, obwohl seine Abschiedsworte sie zuvor ständig in ihren Träumen wieder eingeholt hatten. Nicht einmal das war jetzt noch der Fall. Der Gedanke an Pai hatte ihn verdrängt und sich frech vor ihn geschoben... obwohl sie doch eigentlich in Izumi... Weiter kam sie in ihren Gedanken nicht, denn ein Klingeln an der Haustür ließ sie mit einem Kreischen aufspringen. Sie hörte, wie die Tür von Mitsukis Zimmer eilig aufgerissen wurde und die Schritte des Mädchens über den Flur tapsten. Neugierig schob sie sich durch die Küchentür. Mitsuki öffnete die Haustür und stieß in demselben Moment ein lautes Kreischen aus. Meroko hätte es ihr beinahe nachgetan, dann überwog der Handlungsdrang; Sie schoss an dem jungen Mädchen vorbei und stieß den in der Tür stehenden mit voller Wucht zurück. Er stolperte gegen das Geländer des Treppenhauses und schaffte es, sich abzufangen. Meroko machte sich sichtbar. „Was hast du hier verloren, Pai!?“, fragte sie. Das Erstaunen übertraf dabei ihren Ärger bei Weitem. Sie hatte nicht damit gerechnet, den Alien noch einmal wiederzusehen. Er musterte sie durchdringend. „Ich will dich verstehen“, sagte er leise. Aus irgendeinem Grund ließ diese Aussage ihr einen warmen Schauer über den Rücken rieseln. Auf einmal musste sie wieder daran denken, wie warm er gewesen war, als sie sich an ihn gedrückt hatte. Sie hatte sich so wohlgefühlt. „Dann willst du Mitsuki nichts tun...?“, hakte sie unsicher nach. Der Alien nickte ohne Umschweife. Etwas an ihm war anders als vorher. Meroko vermisste die absolute Selbstsicherheit in seinen Bewegungen, als er sich ihr näherte. „Wenn ihr reden wollt, dann lasse ich euch jetzt alleine...“, sagte Mitsuki leise hinter ihnen. Meroko drehte sich zu ihr, dann sah sie Pai fragend an. Er nickte knapp. „Tu das. Musst du nicht noch den Songtext für die Werbung schreiben?“, fragte Meroko. Das Mädchen nickte, verschwand in ihrem Zimmer und ließ Pai und Meroko im Flur zurück. Meroko sah auf ihre Schuhe und drehte sich schließlich zur Wohnung. „Komm mit rein“, sagte sie. Pai folgte ihr und schloss wortlos die Wohnungstür, während sie ihn zur Küche brachte. Dort schloss sie die Tür. Pai lehnte sich mit verschränkten Armen gegen den Kühlschrank. Meroko zog fahrig einen Stuhl zurück und bot ihn mit einer Geste an, doch er schüttelte den Kopf. Also nahm sie Platz, freilich ohne ihn dabei aus den Augen zu lassen. „Ich verstehe immer noch nicht, was genau du von mir willst...“, sagte sie. „Ich sagte bereits: Ich will dich verstehen. Logisch betrachtet ergibt es keinen Sinn, dass du diesen Takuto beschützt hast, denn das bringt dir überhaupt nichts.“ „Deshalb habe ich gesagt, dass du keine Gefühle hast. Warum muss es denn logisch sein? Ich... hänge nun mal an ihm.“ Pais Blick schien sie zu durchbohren. „Wenn ich Kisshu oder Tarto helfe, dann, weil ich weiß, dass wir zu dritt bessere Chancen auf Sieg haben als zu zweit oder allein. Deine Beweggründe verstehe ich nicht. Auch diese ‚Gefühle’ von denen du sprichst. Was ist das ?“ Meroko sah ihn ehrlich besorgt an. Ihr Blick schien ihn zu verunsichern, denn er drehte sich um und blickte aus dem Fenster. „Du weißt nicht, was Gefühle sind...?“, fragte sie langsam. Er nickte. „Ich habe Tarto und Kisshu gefragt. Sie sagen, dass sie sie kennen und dass sie ein Grund sind, jemandem helfen zu wollen, auch wenn es keinen Nutzen hat. Aber sie können es mir nicht erklären, und ich kann es nicht verstehen. Ich habe viele dieser Sendungen gesehen, die im Fernsehen der Menschen laufen. Dort geht es um Dinge wie ‚Liebe’, ‚Schmerz’ oder ‚Vertrauen’. Das verstehe ich auch nicht.“ Meroko stand auf und trat auf ihn zu. Er drehte sich wieder um und sah sie an. Sie stand kurz davor, in Tränen auszubrechen, unterdrückte das aber mit aller Kraft. Sie blinzelte heftig und sagte schließlich mit zitternder Stimme: „Gefühle können grausam sein. Mir haben sie immer nur Schmerzen bereitet. Aber nicht einmal zu wissen, was das ist... Nicht einmal... Gefühle... zu haben... Das stelle ich .... stelle ich mir... noch viel ... viel... schlimmer vor...“ Mit jedem Wort war es schwieriger, das nächste auszusprechen, und mit jedem stiegen ihr die Tränen höher in die Augen. Schließlich flossen sie wieder über ihre Wangen. Sie schämte sich nicht einmal dafür. Pai sah sie an. „Der Grund für deine Tränen... sind das auch ‚Gefühle’?“ Sie nickte schwach und lehnte sich an seine Brust. Sein Körper war so warm, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Kurz blitzte in ihrer Vision das Gesicht von Izumi auf, doch dann verschwamm es. Wie hatte das geschehen können? Wieso hatte sie sich in diesen Alien verliebt? Denn dass sie verliebt war, wusste sie. Sie hatte zu oft an ihn gedacht, war zu froh gewesen ihn wiederzusehen, fühlte sich zu wohl in seiner Nähe, war zu traurig über seine Ratlosigkeit, als dass es hätte anders sein können. „Auch, wenn du es nicht verstehst, Pai... ich mag dich sehr“, sagte sie. Sie drückte sich noch mehr an ihn und wagte es nicht, in sein Gesicht zu sehen. „Warum?“ Sie musste kichern. „Ich weiß es nicht, wirklich nicht. Das sind auch Gefühle, man kann sie sich nicht aussuchen. Wenn jemand, den man kennt, stirbt, dann ist man nun einmal traurig. Wenn man ganz allein ist, fühlt man sich eben einsam. Wenn man ein schönes Lied hört, dann wird man wehmütig. Das ist nun einmal so.“ „Auf unserem Planeten sind fast täglich welche von uns gestorben, es war normal. Auch die Einsamkeit, das gehörte dazu, so wenige, wie wir waren. Und ein Lied... ich habe noch nie ein Lied wirklich gehört.“ Meroko sah jetzt doch zu ihm hoch. Er wirkte fast traurig, als er sie ansah. „Noch nie?“, hakte sie erstaunt nach. Wie durch ein Wunder hatten sich ihre Tränen verflüchtigt. Er nickte. Sie trat einen Schritt zurück. „Dann wird es aber höchste Zeit!“, stellte sie fest. Mitsuki lächelte vorsichtig. Takuto hockte mit missmutigem Gesichtsausdruck in der Ecke. Meroko sah Pai freundlich an. Pai hatte die Augen geschlossen. Es war eine simple Idee, aber Meroko hatte sie so gut gefunden, dass sie fast augenblicklich in Mitsukis Zimmer geplatzt war. Pai sollte ein Lied hören, und zwar eines von Fullmoon. Direkt aus ihrem Mund. Takuto war immer noch misstrauisch dem Alien gegenüber, hatte aber zugestimmt, da Mitsuki auch dafür gewesen war. Und so saßen sie nun alle in Mitsukis Zimmer auf dem Teppich und warteten, dass Mitsuki anfangen würde zu singen. Sie öffnete den Mund, brachte aber kaum die erste Silbe heraus, bevor sie zu Husten anfing. Takuto fragte leise, ob er sie in „Fullmoon“ verwandeln sollte, aber sie schüttelte den Kopf und versuchte es noch einmal. Zuerst klangen die Töne gebrochen, doch dann wurden sie klarer und füllten den ganzen Raum. Wenn ich meinen Schmerz in Worte fasse, kommen mir fast die Tränen Doch du bleibst still Wie der Mond, der auf mich scheint Du bist so rein, dass es fast schmerzt Und ja, du rettetest meine arme Seele Lass mich dich umarmen... Eines Tages wirst du begreifen warum du mit nur einem Flügel geboren wurdest und warum dieses Lied in deinem Innern erklingt... Meroko sah zuerst, wie Pai zu lächeln begann. Schmal und fast unsichtbar, doch er lächelte. Als er sie ansah, musste sie ihn einfach anlächeln und hätte fast schon wieder geweint. Er sprach leise, aber sanft. „Ich habe verstanden, was du meinst.“ Kapitel 38: Kouji und Urara - Der betörende Duft einer Blumenwiese ------------------------------------------------------------------ Von Dieses Pairing ist mal wieder durch Zufall entstanden, trotzdem passen die beiden wunderbar zusammen: Sie sind ungefähr im gleichen Alter und haben auch beide noch keinen festen Partner (da Syrup zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Pretty Cure aufgetaucht ist ^.~). Diesmal gab es auch nicht das große Problem, dass sie aus verschiedenen Welten kommen. Doch natürlich gibt es ganz andere Hürden, die die beiden überwinden müssen... Noch eine kleine Anmerkung: Bei dem Lied, das vorkommt, habe ich an die Melodie des Sailormoon-Songs „Moonlight Densetsu“ gedacht. Und hat übrigens noch ein Fanart dazu gezeichnet: http://animexx.onlinewelten.com/fanarts/output/?fa=1423516&sort=wb&sort_manuell=1033676-1423516-1461665-1482511-1484323-1486573-1487385 Der betörende Duft einer Blumenwiese Wenn es etwas gab, das Kouji absolut nicht ausstehen konnte, dann war es das Kaufen von Geschenken. Sein Problem dabei waren weniger die Kosten als vielmehr die riesige Auswahl an Produkten. Daher war er jedes Mal aufs neue ratlos, wenn er für einen Freund oder Verwandten ein Geschenk kaufen musste. In weniger als einer Woche feierte nun seine Stiefmutter ihren neununddreißigsten Geburtstag und er hatte noch immer keinen blassen Schimmer, was er ihr schenken sollte. Er hätte seinen Vater fragen können, doch er hatte sich diesmal fest vorgenommen, ganz alleine etwas zu finden, das ihr gefiel, denn sonst wäre das Geschenk ja nicht wirklich von ihm. Auf der Suche nach diesem streifte er nun ziellos durch die Straßen der Stadt. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn und mit jedem Schritt fühlte er sich müder und ausgelaugter, was bei den hochsommerlichen Temperaturen und der selbst für japanische Verhältnisse ungewöhnlich hohen Luftfeuchtigkeit auch kein Wunder war. Er zog ein weißes Baumwolltuch aus der Tasche seiner Shorts hervor und wischte sich damit über die Stirn. Er war jetzt schon seit über einer Stunde unterwegs und war an jedem Geschäft schon mindestens zweimal vorbeigekommen, ohne auch nur eine Kleinigkeit gefunden zu haben. Trotzdem wollte er auf keinen Fall nach Hause zurückkehren, bevor er nicht etwas gekauft hatte. Auf einmal bemerkte er auf dem größeren Platz, dem er sich schlendernd näherte, einen Menschenauflauf, der immer größer zu werden schien. Neugierig geworden, beschleunigte er seinen Schritt und erreichte schließlich die Masse, die sich um einen Punkt in der Mitte drängte. Dass alle Menschen hier dem weiblichen Geschlecht angehörten, machte ihn nur noch neugieriger. Wenn all diese Frauen sich um etwas rissen, würde es sicher auch für seine Stiefmutter äußerst interessant sein. Der Zwölfjährige war zwar recht groß für sein Alter, aber eben doch noch ein Kind, weswegen er selbst auf Zehenspitzen nicht entdecken konnte, um was all diese Leute sich drängten. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als sich wagemutig in die Menge zu stürzen. Schon bald war er im Herzen des Tumults angekommen und sah auch gleich, was der Grund für all die Aufregung waren: zwei wohlgestaltete junge Männer – einer blond, der andere brünett – standen dort, ein freundliches Lächeln im Gesicht, und teilten rosa Flugblätter an jeden aus, den es interessierte. Da waren sie hier genau richtig, denn die großen Stapel mit den Blättern, die sie unter den Armen trugen, schrumpften in atemberaubender Geschwindigkeit. Kouji, dem das Ganze ein wenig peinlich war, da er außer den beiden Schönlingen weit und breit kein männliches Wesen entdecken konnte, schnappte sich einen heruntergefallenen Zettel und bahnte sich schnellstens einen Weg aus der Horde begeisterter Frauen. Als er schließlich wieder frei atmen konnte, kam ihm auf einmal der unangenehme Gedanke, es könnte sich hierbei um etwas Unanständiges handeln. Wer wusste schon, was zwei so ungewöhnlich schöne Männer im Schilde führten...? Doch der Anblick zweier Mädchen in seinem Alter, die sich ebenfalls in das Getümmel stürzten, beruhigte ihn etwas und er warf einen Blick auf den Handzettel. Natts House verkündete die Überschrift in großen, bunten Buchstaben. Neben einigen Fotografien farbenfroher Armbänder und kunstvoll gearbeiteter Halsketten hieß es: Schmuck aller Art! Unsere Accessoires lassen das Herz jeder Frau höher schlagen! Diese Beschreibung ließ Kouji lächeln. Über so etwas würde seine Stiefmutter, die in ihrem Schlafzimmer eine große Kiste mit Schmuckstücken aller Art lagerte, sich bestimmt freuen; er hatte einen Glückstreffer gelandet. In der unten Ecke des Zettels fand sich auch eine Adresse samt Umgebungskarte, und er sah, dass er auch, was die Strecke anging, durchaus glücklich war: der Laden befand sich nur einige Straßen weiter. Während Kouji in die angegebene Richtung lostrabte, schien seine Erschöpfung wie weggeblasen. Er war froh, dieses Jahr endlich mal ein Geschenk finden zu können, das der Beschenkten wirklich gefiel. Schon bald stand Kouji vor dem zweistöckigen Gebäude, auf dessen weißer Fassade in roten Buchstaben der Name des Geschäfts prangte. Neugierig warf er einen Blick durch das sommerlich dekorierte Schaufenster. Das Innere machte einen sehr gemütlichen Eindruck, mit großen Holzschränken voller Bücher und anderer Gegenstände und ein paar Tischen aus demselben Material, auf denen etliche Schmuckstücke ausgebreitet waren. Ohne zu zögern öffnete der Blauhaarige die Tür und betrat das Natts House, aus dem ihm angenehm kühle Luft entgegenströmte. Im ersten Moment dachte er, er wäre allein, doch dann bemerkte er ein Mädchen mit zwei langen, strohblonden Zöpfen, das auf einer ins zweite Stockwerk führenden Treppe saß und in diesem Moment von einem Buch in ihrem Schoß aufsah. Als sie ihn entdeckte, legte sie es schnell zur Seite, stand auf und verbeugte sich tief. Mit freundlicher, melodischer Stimme hieß sie ihn herzlich willkommen. „Guten Tag“, brachte Kouji hervor, der von der Höflichkeit, die sie selbst einem Jungen wie ihm wie selbstverständlich entgegenbrachte, ein wenig überrascht war. Das Mädchen richtete sich wieder auf. Erst jetzt bemerkte Kouji, dass sie kaum älter sein konnte als er und fragte sich, wie sie in ihrem Alter schon hier arbeiten konnte. Er betrachtete sie, wobei sein Blick ihr niedliches, mit vielen Rüschen verziertes Outfit, kaum gestreift hatte, als er an ihrem Gesicht hängenblieb. Kurze Ponyfransen hingen ihr in die Stirn, die aber – zum Glück, wie Kouji unwillkürlich feststellte – nicht ihre leuchtenden Augen verdeckten. Diese hatten eine interessante Farbe, die irgendwo zwischen braun und gelb zu liegen schien und die Kouji gerne aus der Nähe betrachtet hätte. Das lebensfrohe Lächeln, das das Mädchen an den Tag legte, schien ebenso zu strahlen wie ihre ganze Erscheinung. Das harmonische Bild von ihr auf einer Wiese voller bunter Blumen, das ihm unwillkürlich in den Sinn kam, versuchte er vergebens zu unterdrücken. „Suchst du etwas Bestimmtes?“, fragte sie und warf ihm ein noch blumigeres Lächeln als zuvor zu. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er sie anstarrte, als wäre sie ein längst ausgestorbenes Tier, und er senkte seinen Blick schnell auf ihren luftigen, knielangen Rock, auf ihre grazilen dünnen Beine, auf ihre in Sandalen steckenden Schuhe... Wie zierlich sie doch ist, dachte er dabei. Wie eine Elfe. Wieder kam ihm das Bild mit der Blumenwiese in den Sinn, doch diesmal schwebte das Mädchen darüber, die kleinen Flügelchen eifrig flatternd... „Ähm... Geht es dir gut?“ Kouji zuckte zusammen, als er ihre Stimme hörte. Sie klang besorgt. Wie lange hatte er dagestanden, ohne etwas zu sagen? „Ja, alles in Ordnung“, murmelte er und fixierte dabei das Holzmuster des Fußbodens, um nicht sofort wieder in seine Fantasiewelt entführt zu werden. „Möchtest du dich nicht etwas umschauen?“, fragte sie jetzt, die Stimme wieder so fröhlich wie bei ihrer Begrüßung. Kouji versuchte, ein Lächeln zu Stande zu bringen, doch er traute sich nicht, die Reaktion des Mädchens zu beobachten, sondern drehte sich stattdessen willkürlich zu einem in der Nähe stehenden Tisch um. „Du suchst sicher ein Geschenk, oder?“, fragte sie neugierig und landete mit einem kleinen Hüpfer neben ihm. Ein frischer Duft erreichte seine Nase und er tat schnell einen unauffälligen Schritt zur Seite, da die Blumenwiesenvision sich wieder einzustellen drohte. „Ja, genau“, sagte er. „Für wen?“, wollte sie wissen. Ihre Finger strichen liebevoll über die Schmuckstücke. „Für meine Stiefmutter“, erklärte Kouji. Es ärgerte ihn, dass er nur so kurze Sätze herausbekam, die fälschlicherweise den Eindruck erweckten, als habe er kein Interesse an einem Gespräch. Dem war nämlich nicht so, da er das Mädchen unbedingt dazu bringen wollte, ihn weiterhin mit ihrer lieblichen Stimme zu verzaubern. Zu gerne hätte er dabei auch ihr Blumenwiesenlächeln gesehen, doch aus Angst, wieder die Realität zu vergessen, traute er sich nicht, ihr noch einmal ins Gesicht zu sehen. „Hat sie Geburtstag?“, hakte sie nach und ließ ein mit Perlen verziertes Armband durch ihre Finger gleiten. Kouji nickte, erleichtert, dass sie sich nicht hatte abschrecken lassen. Er wollte etwas sagen, doch ihm fiel nichts Gescheites ein, wofür er sich innerlich verfluchte. Nach einer Weile, in der sie stumm dagestanden und ihren Blick über die Auswahl hatten schweifen lassen, sagte Urara: „Du solltest nicht so lange über das Geschenk nachgrübeln. Solange es von Herzen kommt, wird deine Stiefmutter sich sicher darüber freuen.“ „Meinst du?“, wollte Kouji wissen. Aus den Augenwinkeln nahm er war, wie sie begeistert nickte. „Auf jeden Fall! Es sollte nur ihren Geschmack nicht total verfehlen, damit sie nicht denkt, du hättest einfach das erstbeste Accessoire gekauft, das dir über den Weg läuft.“ Kouji seufzte. „Das ist es ja eben. Ich weiß nicht, was sie mag.“ „Wie lange kennst du sie denn schon?“ „Anderthalb Jahre.“ „Na, das reicht doch!“, rief sie mit gespielter Empörung aus. Erneut seufzte er. „Ich weiß nicht...“ „Aaalso“, begann sie. „Was ist ihre Lieblingsfarbe?“ Kouji überlegte einen Moment, musste dann aber eingestehen, dass er keine Ahnung hatte. „Welche Farbe trägt sie denn am häufigsten?“ Wieder dachte er einen Moment nach. „Verschieden...“ „Mh...“, machte sie nachdenklich. „Und trägt sie viel Schmuck?“ Kouji zuckte mit den Schultern. „Je nachdem, wie sie gerade drauf ist.“ Urara lachte, unbeschwert und naiv. „Okay, wir finden schon irgendwas Schönes.“ Mit diesen Worten hielt sie Kouji eine Kette mit gelben und orangenen Perlen hin, die sie gerade in der Hand hielt. „Was hältst du davon? Ich habe sie selbst gemacht.“ Kouji nahm sie und betrachtete sie kurz. „Mh“, war das einzige, was er zu sagen wusste. „Oder wie wäre es mit diesem Armband?“, fragte das Mädchen und zeigte ihm ein weiteres Schmückstück, diesmal vor allem in roten Farben gehalten. Wieder konnte er sich nicht entscheiden, und so führte sie ihm immer wieder ein neues Accessoire vor. „Sind deine Eltern eigentlich geschieden? Oder warum hast du eine Stiefmutter?“, fragte sie irgendwann vorsichtig. „Sie sind geschieden“, erklärte Kouji und zwang sich dann, weiterzusprechen: „Mein Vater hat mir immer gesagt, meine Mutter wäre tot. Aber letzten Sommer habe ich meinen Zwillingsbruder getroffen, der bei ihr und unserer Großmutter lebt.“ Bei dem Gedanken an diese Zeit, die nun schon fast ein Jahr her war, musste er unwillkürlich lächeln. Er hatte die digitale Welt erkundet und gerettet, Freunde gefunden und war seinem Zwillingsbruder begegnet, mit dem er sich seitdem häufiger traf. Auch seine Mutter hatte er ein paar Mal wiedergesehen. „Ich wünschte, bei mir wäre es genauso...“, murmelte das Mädchen so leise, dass Kouji sie kaum verstehen konnte. Unwillkürlich sah er auf und bemerkte einen traurigen Ausdruck in ihrem Gesicht. „Warum?“, fragte Kouji, auch wenn er sich nicht sicher war, ob sie darüber reden wollte. Doch auf einmal schien sie wieder ganz die alte zu sein und erklärte lächelnd: „Meine Mutter ist vor vielen Jahren gestorben.“ „Das tut mir leid“, murmelte er. Ihm wurde bewusst, wie sie sich gefühlt haben musste, als er von seiner Mutter erzählt hatte. Ihr Lächeln wurde breiter. „Kein Problem, wirklich. Ich habe ja noch meinen Vater, meinen Großvater und meine Freunde.“ Kouji nickte. „Freunde... können einem wirklich eine Hilfe sein“, sagte er gedankenverloren. Einen Moment schwiegen sie, doch es war kein unangenehmes Schweigen, sondern eher ein solches, in dem die Gefühle der einzelnen sich dem anderen völlig von selbst und ohne jede weitere Erklärung eröffnen „Wir sind wieder dahaaa!“, rief auf einmal eine fröhliche Stimme in den Raum. Kouji und das Mädchen drehten sich gleichzeitig zur Tür, in der nun vier Schülerinnen in ihrem Alter standen. „Hey“, sagte die Blonde und blickte verlegen zu Boden. Kouji tat es ihr gleich, denn es kam ihm vor, als hingen all seine Gefühle noch im Raum und die Ankömmlinge hätten diese gesehen und somit wie in einem offenen Buch in ihm gelesen. „Wir gehen schon hoch“, verkündete das Mädchen mit den knallroten Haaren, das eben auch schon gesprochen hatte. Die Blonde nickte und die vier stiegen hintereinander die Treppe hinauf in den ersten Stock. „Ich nehme das hier“, murmelte Kouji und griff willkürlich nach einem Schmuckstück, das er bei genauerem Hinsehen als jenes erkannte, das das Mädchen ihm zuerst gezeigt hatte. „Okay“, sagte sie ebenso leise und ging mit der Kette zur Kasse. Nachdem Kouji bezahlt und die kleine Schmuckschachtel in seiner Hosentasche verstaut hatte, nuschelte er noch ein „Auf Wiedersehen“ und verließ dann rasch den Laden. Draußen angekommen, erhöhte er sein Tempo noch und rannte schließlich fast, als er am Bahnhof ankam, ohne die Sonne zu beachten, die immer noch erbarmungslos auf ihn herabbrannte. Die folgende Woche verging wie im Flug und so kam Kouji erst am Vorabend des Geburtstags seiner Stiefmutter, als sein Vater ihn auf sein Geschenk ansprach, diese Begegnung wieder in den Sinn. Er durchwühlte die Schublade seines Schreibtisches und fand schließlich, was er suchte: eine kleine, weiße Plastiktüte, auf die das Logo des Natts House gedruckt war. Er zerriss den Tesafilmstreifen, der sie verschloss, und zog andächtig die Kette heraus. Ihre leuchtenden Farben erinnerten ihn an das Mädchen, das sie hergestellt hatte. Bei dem Gedanken an sie schlich sich ein Lächeln auf sein häufig gleichgültig dreinschauendes Gesicht. Er stellte sich vor, wie sie auf ihrer Blumenwiese lag und ihr sonniges Lächeln auf die Perlen übertrug, während sie sie auffädelte, und so ihrem neuen Besitzer ein Leben voller Glück ermöglichte. „Kouji?“, fragte eine Männerstimme und ließ ihn in die Realität zurückkehren. Der Junge drehte sich um und sah seinen Vater, der gerade das Zimmer betrat. Als er die Kette in seiner Hand sah, fragte er überrascht: „Hast du dein Geschenk etwa noch nicht eingepackt?“ „Nein“, antwortete er schlicht. Der Ältere seufzte und streckte die Hand aus. „Gib schon her, ich mach das eben.“ Unwillkürlich schlossen sich Koujis Finger fester um die Perlen. Sein Vater blickte ihn verwundert an. „Willst du sie selbst einpacken?“ Einen Moment lang lag dem Blauhaarigen der Satz „Ich will sie behalten“ auf der Zunge, doch als ihm bewusst wurde, wie lächerlich das klang, schüttelte er den Kopf und reichte seinem Vater das Schmuckstück, auch wenn es ihn schmerzte, es hergeben zu müssen. Ich kann sie jedes Mal sehen, wenn Mutter sie trägt, sagte er sich, um dieses Gefühl loszuwerden. „Dieses Mädchen...“, flüsterte Kouji. Der Blick seiner blauen Augen war auf den Fensehbildschirm gerichtet, auf dem ein blondes Mädchen in Latzhose gerade fröhlich in eine begeistert rufende Menge winkte. Seine Stiefmutter, die neben ihm auf dem Sofa saß, warf ihm einen erstaunten Seitenblick zu. „Ich wusste gar nicht, dass du dich für Musik interessierst!“ Doch der Junge hörte sie gar nicht, sondern starrte weiter auf das Mädchen, das nun fröhlich zu singen begann. Er konnte nicht sagen, ob es ihr Blumenwiesenlächeln oder ihre wundervolle, feengleiche Stimme war, die ihn erneut in die Fantasiewelt eintreten ließ, die er vor wenigen Wochen entdeckt hatte... Er hatte schon den Duft all der wunderbaren Pflanzen, die dort unter ihren zierlichen Füßen sprossen, in der Nase, als die Stimme seiner Mutter ihn unsanft in die Realität zurückholte: „Kouji-kun! Hörst du mich?“ Sie hatte sich über ihn gebeugt, eine Hand auf seiner Stirn, und blickte ihn besorgt an. Als er verwirrt blinzelte, stellte sie fest: „Dein Gesicht ist ganz warm. Hast du Fieber?“ Kouji winkte ab und versuchte etwas zu sagen. Doch die Überraschung darüber, dieses Mädchen so plötzlich wiederzusehen, wenn auch nur auf dem Bildschirm, hatte noch die Überhand über seinen Körper und er bekam kein Wort heraus. Er räusperte sich. „Dieses Mädchen...“, krächzte er schließlich. Seine Mutter sah ihn erstaunt an. Er fuhr fort: „Ich kenne sie. Sie arbeitet in dem Laden, in dem ich die Kette für dich gekauft habe. Sie hat sie selbst gemacht.“ Sie legte ihre Hand auf ihren Ausschnitt, wo das Schmuckstück hing. Dann lächelte sie. „Tatsächlich. Die Kette strahlt genauso wie das Mädchen.“ Kouji nickte, ebenfalls lächelnd, den Blick immer noch auf den Fernseher gerichtet. Gerade beendete das Mädchen ihren Song und verbeugte sich tief. „Vielen Dank, Urara Kasugano!“, rief ein Moderator und kam zu ihr auf die Bühne, um ihr sogleich einen riesigen Strauß bunten Blumen zu überreichen, die sie dankend entgegennahm. Kouji seufzte. Urara Kasugano, klares Licht des Frühlings... Dieser Name traf ihre Persönlichkeit perfekt. Nichts ähnelte ihr mehr als die wärmenden Strahlen der Sonne, die jeden noch so kalten Winter vertreiben konnten... „Sie scheint sehr bekannt zu sein“, staunte seine Mutter derweil und sagte dann etwas, das den Blauhaarigen zusammenzucken ließ: „Hättest du nicht Lust, nochmal zu diesem Laden zu gehen und mir ein Autogramm von ihr zu besorgen?“ Ein fast schon schelmisches Lächeln stahl sich auf ihre Lippen, als sie seine erstarrten Gesichtszüge erblickte. „Wenn du nicht möchtest, ist es auch nicht so wichtig“, fügte sie hinzu. Das ließ Kouji aus seiner Starre erwachen. „Doch!“, rief er ein wenig zu laut aus, und murmelte dann: „Wenn du unbedingt willst...“ Sie lachte. „Wenn du keine Hausaufgaben mehr hast, kannst du ja jetzt hingehen.“ Er nickte und stand auf, wobei er sich Mühe gab, ganz lässig zu erscheinen, während sein Inneres beim Gedanken an Urara vor Glück wie wild durcheinanderwirbelte. Doch als er endlich die Haustür hinter sich geschlossen hatte, konnte ihn nichts mehr halten: So schnell er konnte, flitzte er die Treppe herunter, durch den Haupteingang und im Höchsttempo zum nahe gelegenen Bahnhof. Dort musste er feststellen, dass der nächste Zug in die gewünschte Richtung erst in zehn Minuten kam. Ungeduldig lief er auf dem Gleis hin und her, immer wieder einen Blick auf die Uhr werfend. Acht Minuten... Fünf Minuten... Zwei Minuten... Eine halbe Minute. Er blickte in die Richtung, aus die der Zug kommen sollte und erblickte tatsächlich die Bahn, die sich viel zu langsam auf den Bahnhof zubewegte. Als sich schließlich die Türen öffneten, drängte Kouji sich in den Waggon, den Protest der aussteigenden Fahrgäste ignorierend. Ungeduldig wartete er, bis der Piepton ertönte, der das Schließen der Türen ankündigte, wartete, bis der Zug endlich Fahrt aufgenommen hatte, wartete auf die Ansage der Station. Und nach einer Ewigkeit war er endlich angekommen, hechtete aus dem Wagen und sprintete dem Ausgang entgegen. Dort brauchte er einen Moment der Orientierung, bis er schließlich den Weg wiedererkannte und dem Natts House praktisch entgegenflog. Erst, als er nach Luft schnappend vor der Eingangstür des Ladens stand, wurde ihm bewusst, dass er im Grunde alle Zeit der Welt hatte. Das Geschäft würde erst in ein oder zwei Stunden schließen, und wieder zu Hause sein musste er auch noch lange nicht. Es war kein zeitlicher Druck, der ihn dazu gebracht hatte, all seine Kräfte aufzuwenden, um so schnell wie möglich hier her zu gelangen... Es war einzig und allein der Wunsch, sie wiederzusehen, der seit ihrer Begegnung in seinem Herzen verankert gewesen war, den er jedoch immer unterdrückt hatte. Kouji atmete tief ein, dann wieder aus. Gleich würde er endlich wieder ihr und ihrem Blumenwiesenlächeln gegenüberstehen, das in Realität noch tausendmal bezaubernder war als auf dem Bildschirm... Er öffnete die Tür und richtete seine vor Freude strahlenden Augen auf die Treppe, auf der Urara beim letzten Mal gesessen hatte. Nichts. Er ließ den Blick über den ganzen Laden streifen und spürte eine tiefe Enttäuschung in ihm aufsteigen, die ihm die Kehle zuschnürte. Sie war nicht da. Lediglich ihre Freundin mit den roten Haaren stand hinter dem Verkaufstresen und begrüßte ihn nun mit fröhlicher Stimme. Kouji sah sie an. Er hätte es wissen müssen. Er hätte daran denken müssen, dass Urara nicht den ganzen Tag in diesem Geschäft verbrachte. Er hätte darauf kommen können, dass all die Mädchen, die beim letzten Mal ihre Begegnung so abrupt beendet hatten, ab und zu hier arbeiteten und somit seine Chance, auf Urara zu treffen, höchstens eins zu fünf betrug. Voller Wut auf sich selbst und Enttäuschung, umsonst gekommen zu sein, verzog er das Gesicht und wandte sich der Tür zu, um den Laden zu verlassen. Doch eine Frage der Rothaarigen hielt ihn auf: „Warst du nicht neulich auch schon hier?“ Er drehte sich wieder um und nickte; seine Stimme zu benutzen war ihm in seinem momentanen Gemütszustand zu riskant, er hätte doch nur ein unverständliches Gekrächze herausgebracht. „Wolltest du zu Urara-chan?“, fragte das Mädchen, umrundete den Tresen und kam auf ihn zu. Er starrte sie an und spürte, wie er langsam errötete. Die andere grinste. „Gib mir doch deine Adresse, dann kann sie dich mal besuchen kommen.“ Kouji fühlte sich ziemlich ertappt, daher vermied er es, ihr in die Augen zu sehen, als er murmelte: „Ach was, das will sie bestimmt gar nicht.“ Sie klopfte ihm auf die Schulter. „Doch, bestimmt! Da bin ich mir sicher! Ihr habt euch doch richtig schön unterhalten, oder?“ Koujis Gesicht wurde immer röter. Warum hatte Urara es ihren Freundinnen erzählt? Für ihn war diese Begegnung ein Geheimnis, von dem er nicht einmal seinem Zwillingsbruder erzählt hatte... Aber Mädchen waren in dieser Hinsicht wohl einfach anders gestrickt. Die Rothaarige hielt ihm einen kleinen Notizzettel und einen Kugelschreiber hin. „Nun komm schon“, munterte sie ihn auf. „Sie freut sich bestimmt, von dir zu hören!“ Kouji seufzte, nahm aber trotzdem das Blatt und schrieb in möglichst sauberer Schrift seinen Namen, seine Adresse und seine Telefonnummer darauf. „Bestimmt steht sie gleich morgen vor deiner Tür!“, versicherte das Mädchen, als sie den Zettel entgegennahm. Kouji murmelte etwas Unverständliches, verabschiedete sich von ihr und verließ den Laden. Diese Rothaarige schien ja ziemlich davon überzeugt gewesen zu sein, dass Urara ihn wiedersehen wollte... Aber woher wollte sie das überhaupt wissen? Seine Augen weiteten sich ein wenig, als ihm einfiel, was er noch vor wenigen Minuten gedacht hatte: Mädchen waren einfach anders gestrickt. Und es war auch typisch für Mädchen, seinen Freundinnen von all seinen Gefühlen zu erzählen... Unwillkürlich erschien ein Lächeln auf Koujis Gesicht. Bestimmt hatte sie recht gehabt. Bestimmt stand Urara morgen vor seiner Haustür und schenkte ihm ein Blumenwiesenlächeln der obersten Güte. Und wenn nicht morgen, dann eben übermorgen. Sie würde kommen, dessen war er sicher. Der nächste Tag verging viel zu langsam, während Kouji immer wieder einen Blick aus dem zur Straße ausgerichteten Fenster warf, um Uraras blonden Haarschopf zu entdecken. Doch sie kam nicht, und auch am nächsten Tag wartete er vergebens. Und so vergingen die Wochen und seine sehnsüchtigen Blicke wurden weniger und das fröhliche Lächeln, das er nach seinem zweiten Besuch im Natts House häufig gezeigt hatte, wurde mit jedem verstreichenden Tag mehr und mehr zu einem Ausdruck voller Traurigkeit. Langsam kündigte der Herbst sich an. Die Tage, an denen man das Haus im T-Shirt verlassen konnte, wurden weniger und schließlich begannen auch die Blätter der in der Stadt nur spärlich vorhandenen Bäume, ihr frisches, sommerliches Grün gegen ein tiefes Blutrot auszutauschen. Und mit jedem dieser Blutstropfen, der zu Boden fiel, verließ Kouji mehr und mehr die Hoffnung, sein strahlendes Licht jemals wiederzusehen. „Möchtest du wirklich nicht nochmal hingehen?“ Kouji, der abwesend aus dem Fenster geblickt hatte, schreckte auf und drehte sich zu seiner Mutter um, die gerade den Raum betreten hatte. „Was meinst du?“, fragte er, seine Stimme leise und teilnahmelos. Sie seufzte. „Das weißt du ganz genau.“ Natürlich wusste er, was sie meinte. Seit er wegen ihres Autogramms im Natts House gewesen war, hatte sie ihm diese Frage immer wieder gestellt. Es war wohl mehr als offensichtlich, wie er sich fühlte, doch er hatte auch nicht die Kraft, seine Gefühle vor allen zu verstecken. „Was soll ich noch da?“, fragte Kouji gekränkt. Er hatte Urara seine Adresse hinterlassen, zusammen mit dem ausdrücklichen – oder zumindest absolut offensichtlichen – Wunsch, sie wiederzusehen. Trotzdem hatte sie sich in den nun fast vier Wochen kein einziges Mal bei ihm gemeldet. Dabei war sie bei ihrem ersten Treffen mit ihm so freundlich und offen gewesen, da hätte doch jeder vermutet, dass sie ihn zumindest ein wenig mochte! Oder nicht...? War all das nur ihre Aufgabe als Verkäuferin gewesen? Ihre Pflicht als Mitarbeiterin? Kouji wollte nicht glauben, dass sie all diese Aufmerksamkeit jedem Kunden schenkte, doch ihm blieb nichts anderes übrig. Wenn er ihr irgendwas bedeuten würde, hätte sie ihn wenigstens mal angerufen. Seine Mutter, die noch immer im Zimmer stand, begann auf einmal zu lächeln. „Du könntest dich bei ihr entschuldigen, dass du sie wegen eines einfachen Missverständnisses aufgegeben hast.“ Kouji starrte sie an. „Was -?“, war das einzige, was er herausbrachte. Statt ihm zu antworten, fragte sie: „Darf ich kurz deinen Computer benutzen?“ Der Junge nickte, nun komplett verwirrt. Von was für einem Missverständnis hatte sie gesprochen? Es ging doch nicht etwa um Urara...? Sein Herz begann, vor Aufregung zu klopfen, auch wenn sein Verstand versuchte, die Hoffnung aufzuhalten, die seinen ganzen Körper zu überfluten drohte. Er wollte nicht noch einmal enttäuscht werden. Währenddessen hatte seine Mutter den Internetbrowser geöffnet und den Link eines Videoportals eingegeben. Urara Kasugano tippte sie in die Suchleiste, woraufhin nach kurzer Ladezeit eine kleine Auswahl an Videos angezeigt wurde. Zielstrebig klickte sie auf das erste in der Liste, anscheinend ein Videoclip zu einem Lied namens „Auf der Suche nach dir“. Der Titel ließ ein merkwürdiges Gefühl in Kouji aufsteigen, das er jedoch weder deuten wollte noch konnte. In dem kleinen Videofenster erschien eine erste Szene, die jedoch aufgrund der langsamen Internetverbindung gleich stoppte. Kouji starrte auf den Bildschirm und fragte sich, ob das, was er sah, real war. Urara, die engelsgleichen blonden Haare dieses eine Mal nicht zu Zöpfen gebunden, auf einer traumhaften Blumenwiese, deren betörenden Duft man schon allein beim Anschauen erahnen konnte. Selbst das reine, weiße Kleid, das er immer vor seinem geistigen Auge gesehen hatte, schien Realität geworden zu sein. Nur eins fehlte, um das Bild perfekt zu machen: ihr wunderbares Blumenwiesenlächeln. Stattdessen lag ein trauriger, fast schon melancholischer Ausdruck in ihren Augen. Als das Video endlich fertig geladen hatte, klickte Kouji wie in Trance auf den Play-Button, und Urara setzte sich in Bewegung, ebenso wie eine rasche, aber doch nicht fröhlich wirkende Melodie. Die Blonde schritt langsam durch das Gras und ließ die langen Halme und Blüten sanft über ihre Handflächen streifen. Dann begann sie zu singen, und Kouji lief beim Anblick ihrer unvergleichlich schönen Stimme ein angenehmer Schauer über den Rücken. Die Anwesenheit seiner Mutter hatte er längst vergessen. In meiner eig’nen Welt war ich versunken, keiner konnte mich dort erreichen. Was auch immer meine Freunde taten, irgendwie war ich immer allein. Doch dann kamst du herein durch die Türe mit einer Kraft, die mich heilen konnte. Du sprachst mit mir und schienst mich zu verstehen, das war für mich das erste Mal. Doch nun kann ich dich nicht ein einz’ges Mal noch sehen, dabei wünsch ich’s mir doch so sehr! Durch meiner Freunde Ung’schick ist’s geschehen, dass du jetzt denkst, ich wollte nicht zu dir. Ich würde dich so gerne wiedersehen, doch ich weiß nicht, wo du bist. Ich habe solch Sehnsucht nach dir! Kouji, komm zurück zu mir! „Hast du die letzte Zeile gehört?“, fragte Koujis Mutter ihren Sohn, der noch immer auf den Bildschirm starrte, aufgeregt. Wie in Trance schüttelte er den Kopf. Er hatte sich eingebildet, sie hätte seinen Namen gesungen. Er klickte das Ende der Abspielleiste an, um es noch einmal anzuhören. Obwohl er versuchte, einfach das zu hören, was sie sang, verstand er wieder „Kouji“. „Siehst du?“, fragte seine Mutter lächelnd. „Sie vermisst dich!“ „Ich habe ihr meine Adresse gegeben“, murmelte Kouji, der es immer noch nicht wahrhaben wollte. Sie seufzte. „Hast du nicht hingehört? Ihre Freunde haben sie bestimmt verlegt und jetzt ist sie verzweifelt, weil sie dich nicht erreichen kann!“ Er dachte an das rothaarige Mädchen zurück, das den Zettel entgegengenommen hatte. Was, wenn seine Mutter recht hatte...? Wenn Urara dieses Lied tatsächlich für und über ihn gesungen hatte? Einen Moment zögerte er, doch dann sprang er auf, raste durch die Wohnung, stieß die Haustür auf und flitzte die Treppe herunter. Draußen angekommen bemerkte er den kalten Wind, der seine unbedeckten Arme frösteln ließ. Er konnte noch zurücklaufen, um sich eine Jacke zu holen... Doch diese Idee hielt sich nicht länger als ein paar Sekunden in seinem Kopf. Es würde ihn doch nur aufhalten. Also sprintete er los, und fühlte sich dabei wie vor einigen Wochen, als er Urara hatte wiedersehen wollen. Er erinnerte sich, dass er damals enttäuscht worden war, aber unerklärlicherweise war er sich sicher, dass dies heute nicht der Fall sein würde. Urara würde dort sein und ihn mit offenen Armen empfangen. Der Gedanke an das, was sie ihm durch das Lied mitgeteilt hatte, ließ ihn lächeln, denn es hatte genau das ausgedrückt, was er die ganze Zeit gedacht hatte. Kouji stieß die Tür zum Natts House auf, komplett aus dem Atem. Ein warmer Schwall Luft empfing ihn, begleitet von einem süßlichen, fast frühlingshaften Duft. „Irgendwie war ich immer allein“, sang Urara leise. Kouji entdeckte sie auf der Treppe, auf der sie auch bei ihrer ersten Begegnung gesessen hatte. Bis eben hatte sie den Kopf in die Hände gestützt gehabt, doch nun sah sie auf. Einen Moment lang starrte sie ihn fassungslos an, dann zeichnete sich langsam ein Lächeln auf ihrem Gesicht ab, das langsam immer breiter wurde. Der Anblick, der sich Kouji schließlich bot, war nichtmal mehr mit der schönsten Blumenwiese zu vergleichen. Die Blonde stand auf und ging langsam auf Kouji zu, wobei sie wieder zu singen begann. „Doch nun kommst du herein durch die Türe, mit einer Kraft, die mich wieder aufbaut. Du schaust mich an und scheinst mich zu verstehen, ganz so wie beim ersten Mal.“ Auch er konnte nun nicht anders, als zu lächeln. „Mir geht es genauso“, murmelte er. Einen Moment verharrte Urara in ihrer Bewegung und die beiden sahen sich an. Doch nach ein paar Augenblicken der Stille sprang sie auf ihn zu und fiel ihm um den Hals. „Ich bin so froh, dass du hier bist!“, rief sie mit sich überschlagender Stimme. Kouji erwiderte nichts; ihre plötzliche Nähe und der betörende Duft, der in sein Bewusstsein strömte, schienen seinen Verstand außer Gefecht gesetzt zu haben. Kapitel 39: Sesshōmaru und Michiru - Das Gesicht im Spiegel ----------------------------------------------------------- Von Erstmal: Tut mir leid, dass die Geschichte jetzt erst kommt, ich war mal wieder etwas langsam und dann auch noch ein paar Tage in Urlaub. Nehmt sie trotzdem als Jubiläumsgeschichte - am 30.10. sind die Chiisana Love-Stories 3 Jahre alt geworden! Und hier gibt es mal wieder ein Wunschpairing. Vielen Dank an , mir hat es wirklich sehr gefallen, diese Geschichte zu schreiben. Zum Ende hin wurde es mit der Zeit etwas knapp und ich habe die Hälfte der Geschichte an den letzten zwei oder drei Tagen geschrieben – aber Spaß gemacht hat es mir trotzdem! Allerdings kann es sein, dass die Charaktere nicht unbedingt mit dem Original übereinstimmen. Sailor Moon habe ich so lange nicht gesehen, dass es mir wahnsinnig schwer fiel, etwas über Michiru und Haruka zu schreiben. Und als dann auch noch Setsuna dazu kam, habe ich einfach mal drauf losgeschrieben ^^“ Also entschuldige ich mich jetzt lieber schon mal bei allen Fans, falls ich irgendwas schlimm verbockt habe U.U So, ich hoffe mal, die Geschichte gefällt euch trotzdem einigermaßen! Das Gesicht im Spiegel Seine neue Flamme? Beiläufig fiel Michirus Blick auf diese Schlagzeile, die in großen Buchstaben über das Titelbild einer Illustrierten geschrieben war. Gerade wollte sie sich abwenden, um sich um die Einkäufe zu kümmern, für die sie den kleinen Convenience Store an der Ecke betreten hatte. Doch ihre Augen blieben an dem Foto hängen, das wohl zu der Schlagzeile gehörte. Neben einem peinlich berührt dreinschauenden, überaus muskulösen Mann stand dort ein hochgewachsenes Mädchen mit kurzen, blonden Haaren, das mit leicht überraschtem Blick in die Kamera sah. Das war Michirus Freundin Haruka, daran bestand kein Zweifel, selbst wenn sie ein für ihre Verhältnisse ungewöhnlich weibliches, fast schon niedliches, Outfit trug. Und die Hand dieses Mädchens lag in der des anscheinend ein paar Jahre älteren Mannes; sie standen so dicht aneinander, dass ihre Schultern sich fast berührten. Michiru nahm das Magazin in die Hand und blätterte eilig zu dem Artikel. Wie sie beim Überfliegen des Textes erfuhr, ging es um den berühmten Radsportler Akira Suzuki, und das Bild war von einem Passanten geschossen worden, der die beiden eine Weile beim Flirten beobachtet hatte. Beim Anblick des Wortes Flirten drehte sich der Oberschülerin der Magen um. Selbst wenn der Artikel in der nicht sonderlich seriösen Zeitschrift sicher maßlos übertrieb, war sie sich sicher, dass etwas passiert sein musste. Das Foto log nicht, denn weshalb sollte jemand ausgerechnet ein Bild ihrer Freundin an der Seite dieses Mannes einfügen? Und in solch einem Aufzug war sie ihr auch noch nie begegnet. Trotzdem versuchte die Türkishaarige, sich zu beruhigen. Sie schloss die Augen und atmete tief ein. Selbst wenn Haruka diesen Mann getroffen hatte, musste das nicht gleich das Schlimmste bedeuten. Wenn sie nach Hause kam, würde sie einfach nachfragen, was es damit auf sich hatte und dann würde sich alles klären. Das versuchte Michiru sich zwar einzureden, doch alle Zweifel konnte sie nicht vertreiben. Als sie schließlich, mit einer großen Einkaufstüte beladen, vor der Tür des Appartements stand, das sie mit Haruka bewohnte, zitterten ihre Hände so sehr, dass sie Schwierigkeiten dabei hatte, den Schlüssel ins Schloss zu bekommen. „Ich bin wieder da“, rief sie, nachdem es ihr endlich gelungen war. Doch ihre Stimme war zu leise, als dass Haruka, die es sich wie jeden Abend vor dem Fernseher gemütlich gemacht hatte, sie hätte hören können. Michiru schlüpfte in ihre Hausschuhe, stellte die Einkaufstüte auf dem Küchentisch ab und zog die Zeitschrift hervor, die sie gekauft hatte. Sie warf noch einen kurzen Blick auf das Titelblatt, wobei sich ihr Magen schmerzhaft zusammenzog, bevor sie das Wohnzimmer betrat. „Ich bin wieder da“, sagte sie erneut. Diesmal schien Haruka sie zu bemerken, denn sie legte ihren Kopf in den Nacken, um sie über die Rückenlehne des Sofas hinweg anzusehen. „Hey“, sagte sie. Als sie die Zeitschrift in der verkrampften Hand ihrer Freundin entdeckte, wandte sie sich ganz um und legte die Arme auf die Lehne. „Was ist das?“, fragte sie überrascht, da Michiru sonst nie solche Hefte las. „Schau dir das mal an“, bat die Türkishaarige und zeigte der anderen das Titelblatt. Harukas Augen weiteten sich ein wenig, als sie das Foto sah, doch sie fing sich schnell wieder und riss Michiru die Zeitschrift aus der Hand. „Was hat es damit auf sich?“, fragte diese. „Das ist gar nichts“, erwiderte Haruka achselzuckend, wobei sie das Heft in ihrer Hand zusammenrollte und mit einem gezielten Wurf in den Mülleimer beförderte. „Wer ist das?“ Michiru sah ihre Freundin abwartend an. „Hast du neuerdings das Lesen verlernt?“, erwiderte sie patzig. „Ich habe wohl gelesen, wie er heißt“, erklärte Michiru und versuchte dabei, das wütende Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. „Aber ich will wissen, was du mit ihm zu tun hast.“ „Was geht dich das an?“, rief Haruka aufgeregt und sprang auf. „Ich hab halt ’ne neue Bekanntschaft gemacht!“ Michiru hob zweifelnd die Augenbrauen. „Einfach nur eine Bekanntschaft?“, hakte sie nach. Es war offensichtlich, dass die andere ihr etwas verheimlichte. „Kann dir doch egal sein!“ Mit diesen Worten stampfte Haruka aus dem Raum. Michiru blickte ihr empört hinterher. Doch die Empörung blieb nicht lange, und schon bald musste die Oberschülerin die Lippen aufeinander pressen, um all die Gefühle zurückzuhalten, die in ihrem Inneren umherwirbelten. Sie atmete tief ein und aus, dann ging sie in die Küche, um die Einkäufe in den Kühlschrank einzuräumen. „Wohin gehst du, Haruka?“, fragte Michiru, als diese eines Abends im Flur kniete und ihre Schuhe anzog. Die Blonde drehte sich zu ihrer Freundin um, die im Türrahmen stand und mit verschränkten Armen auf sie herabsah. „Treff mich mit Usagi. Was dagegen?“ Michiru musterte sie, wobei ihr finsterer Blick ihr einen Stich versetzte, sagte dann aber: „Nein, nein. Geh ruhig.“ Sie drehte sich um und murmelte: „Bis nachher.“ „Es könnte später werden“, kündigte Haruka noch an, bevor sie die Wohnung verließ. Das Klacken der Tür ertönte, dann war es still. Michiru fasste sich an den Kopf. Es könnte später werden. Es kam ihr vor, als hätte sie diesen Satz in letzter Zeit viel zu oft gehört. Und Usagi müsste von Harukas ständigen Besuchen während der letzten Woche auch genervt sein. Wenn sie denn wirklich zu ihr gehen würde... Haruka mochte zwar viele Leute täuschen können, aber Michiru konnte sie nichts vormachen. Doch obwohl sie das wusste, tischte sie ihr jeden Tag wieder diese Lüge auf. Vielleicht dachte sie, sie wäre tatsächlich überzeugend, was möglicherweise kein Wunder war, wo Michiru sie doch immer gehen ließ. Sie wusste selbst nicht, warum sie das eigentlich tat, während sich ihre Innereien schmerzhaft zusammenzogen und sie die Tränen kaum zurückhalten konnte. An diesem Abend konnte die Oberschülerin sich nicht einmal mehr dazu durchringen, etwas zu essen, bevor sie sich ins Bett legte. Das dauerhafte Ziehen in ihrem Bauch vertrieb jegliches Hungergefühl, und selbst wenn sie etwas gegessen hätte, wäre es wohl nicht allzu lange in ihrem Magen geblieben... Sie fühlte sich elend. Und mit jedem Abend, den sie allein in ihrem Appartement verbrachte, von nichts als Stille umgeben, wurde ihre Verfassung schlimmer. Michiru drehte sich im Bett herum und wickelte die Decke enger um sich. Trotz der für November noch recht milden Temperaturen fror sie, wie so oft in den letzten Tagen. Doch diese Kälte war wohl eher seelischer Natur, eine warme Decke konnte daran nicht wirklich etwas ändern... Mit zitternder Hand griff Michiru nach dem Handspiegel auf ihrem Nachttisch. Er war ihr wertvollster Besitz – immerhin gehörte er zu den drei Talismanen, mit deren Hilfe sie den Heiligen Gral gerufen hatten. Sein von einem goldenen Rahmen umrandetes Spiegelglas konnte Bilder von anderen Orten, oder auch anderen Welten oder Zeiten zeigen, doch in den letzten Tagen hatte sie daran nichts als ihr eigenes Gesicht sehen können. Die Augenringe, die sich langsam abzeichneten, die geröteten Augen, das unordentliche Haar... Michiru schloss die Augen, da sie diesen Anblick nicht länger ertragen konnte. Sie presste den Spiegel an ihre Brust, als könne er die Leere vertreiben, die sich dort ausgebreitet hatte, seit Haruka ihre Zeit nicht mehr mit ihr verbrachte. Doch es schien nur noch schlimmer zu werden, da er sie daran erinnerte, dass sie, Haruka und ihre Freundin Setsuna bei der Beschwörung des Grals vereinigt gewesen waren. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als wieder mit Haruka vereint zu sein. Alles sollte wieder so sein, wie es noch vor ein paar Tagen gewesen war. Oder hatte ihre Beziehung schon länger auf der Kippe gestanden, selbst wenn sie es nicht bemerkt hatte? Haruka musste ja einen Grund gehabt haben, sich mit diesem Mann zu treffen... Michirus Finger schlossen sich noch fester um den Griff des Spiegels. Sie wollte nicht allein sein. Gab es denn nun, wo ihre Freundin sie im Stich gelassen hatte, niemanden mehr, der an ihrer Seite stehen konnte? Seufzend öffnete Michiru ihre Augen einen Spaltbreit und starrte auf ihren Spiegel, den sie nun mit ausgestreckten Armen über sich hielt - und ein Paar schmaler goldener Augen starrte zurück. Vor Schreck ließ sie den Spiegel fast fallen, bekam ihn dann aber doch noch zu fassen. Sie blinzelte einmal, doch das Gesicht verschwand nicht, auch wenn es sich ein wenig bewegt hatte und da es nicht das erste Mal war, dass ein Bild auf dem Spiegelglas erschien, hielt Michiru es auch nicht weiter für eine Halluzination ihrer müden Augen. Interessiert zog sie den Spiegel näher zu sich heran und betrachtete das Gesicht, das mit gleichgültigem Gesichtsausdruck in ihre Richtung blickte. Obwohl die Augenlider mit roter und die Wimpern mit schwarzer Farbe betuscht worden waren, war Michiru sich sicher, dass es sich hierbei um einen Mann handelte. Doch bevor sie sein auch ansonsten interessant bemaltes Gesicht genauer betrachten konnte, drehte er sich von ihr weg, und alles, was sie sah, war seidiges, silberweißes Haar. Und auf einmal verschwand auch dieses Bild und Michiru sah wieder ihr eigenes Abbild vor sich. Müdigkeit und Erschöpfung, die sich noch vor wenigen Minuten in ihren Gesichtszügen abgezeichnet hatten, wurden von Neugierde verdrängt und die Oberschülerin setzte sich auf. Sie fragte sich, was es mit dem gerade Geschehenen auf sich hatte. Wer war dieser Mann? Und warum hatte der Spiegel ihn ihr gezeigt? Zufall war es wohl kaum gewesen... Michiru schlug die Decke zurück, schwang die Beine aus dem Bett und schlüpfte in ihre Hausschuhe. Ihren Talisman fest in der Hand, verließ sie das Schlafzimmer und lief in den kleinen Flur, wo auf einer kleinen Kommode ihr schnurloses Telefon lag. Bevor sie es in die Hand nahm, um die Nummer ihrer Freundin Setsuna zu wählen, warf sie einen kurzen Blick auf die Wanduhr. Es war erst kurz vor halb zehn, also noch lange nicht zu spät, um jemanden anzurufen. „Hallo, Setsuna!“, begrüßte sie ihre Freundin, nachdem diese sich mit erstaunter Stimme gemeldet hatte. „Ich bin’s, Michiru.“ „Was ist los?“, fragte Setsuna. Anscheinend hatte sie schon am aufgeregten Ton der anderen erkannt, dass etwas nicht stimmte. „Mein Spiegel hat mir eben das Gesicht eines Mannes gezeigt“, kam Michiru gleich auf den Punkt. „Ist das etwas Ungewöhnliches?“ „Das könnte man so sagen, denn das, was er mir zeigt, hat normalerweise einen Grund. Aber mit dieser Person wusste ich absolut nichts anzufangen.“ „Mh...“, murmelte Setsuna in Gedanken versunken. „Was war es für ein Mann?“ Michiru schloss die Augen, um sein Gesicht wieder vor sich zu sehen. „Ich glaube, es war kein menschliches Wesen, er hatte etwas ... dämonisches.“ „Inwiefern?“ „Er hatte spitze Ohren und goldene Augen und auf sein Gesicht waren Formen gemalt... Außerdem hatte er lange, weiße Haare, auch wenn er seinem Gesicht nach noch nicht allzu alt gewesen sein konnte.“ „Interessant, interessant...“, stellte Setsuna fest. Einen Moment schwiegen beide, dann stellte Michiru die Frage, wegen derer sie eigentlich angerufen hatte: „Glaubst du, du kannst ihn ausfindig machen und mich zu ihm bringen?“ „Sicher könnte ich das“, sagte Setsuna sofort. „Aber weshalb möchtest du das?“ Auf diese Frage wusste Michiru nicht gleich eine Antwort zu geben. „Weißt du...“, murmelte sie leise. „Ich möchte einfach wissen, was es mit ihm auf sich hat und außerdem... würde es mir sicher gut tun, für eine Weile von hier zu verschwinden...“ Setsuna gab einen erstaunten Laut von sich. „Ist zwischen dir und Haruka etwas passiert?“ Michiru seufzte. Vor ihrer Freundin konnte niemand etwas verbergen, selbst wenn sie einem nicht einmal persönlich gegenüberstand. Sie merkte auch sofort, dass Michiru keine Antwort geben würde, daher sagte sie: „Du brauchst es mir nicht zu erzählen, keine Sorge.“ Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: „Komm morgen früh zu mir, ich werde schon einen Weg finden, dich zu diesem Mann zu schicken.“ Michiru fiel ein Stein vom Herzen. „Danke, Setsuna“, sagte sie. Dann legte sie auf. Ohne dass sie es verhindern konnte, stahl sich ein fröhliches Lächeln auf ihre Lippen. „Pass gut darauf auf“, mahnte Setsuna ihre Freundin mit strengem Blick, als sie ihr den kleinen goldenen Schlüssel hinhielt. Michiru nahm ihn entgegen und steckte ihn in die kleine Umhängetasche, die sie mitgenommen hatte. „Das werde ich tun“, sagte sie. Setsuna seufzte. „Und pass auch auf dich auf“, sagte sie, dann war sie verschwunden. Am frühen Morgen dieses Tages war Michiru zur Wohnung ihrer Freundin gefahren. Dieser war es mithilfe des magischen Spiegels und dank ihrer Kräfte als Wächterin von Raum und Zeit gelungen, die Welt wiederzufinden, in der der mysteriöse Weißhaarige lebte. Sie hatte Michiru sofort dorthin gebracht und ihr dann den kleinen Zeitschlüssel überreicht, mit dessen Hilfe sie später in ihre Zeit würde zurückkehren können. Nun blickte die Türkishaarige sich zum ersten Mal in der unbekannten Welt um. Sie war neben einem verwitterten, von den verschiedensten Pflanzen überwucherten Brunnen gelandet, der auf der Lichtung eines Waldes lag. Die Sonnenstrahlen, die durch das Blätterdach fielen verliehen allem, worauf sie trafen, einen magischen Glanz, und zeigten ihr, dass der Tag hier schon lange angebrochen war. Michiru atmete die frische Luft des Waldes ein. All die verschiedenen Düfte, die so gar nichts mit ihrer eigenen Welt zu tun hatten, ließen sie fast vergessen, weshalb sie hier war. Doch als eine sanfte Brise ihr Haar erfasste, kam ihr wieder Haruka in den Sinn, die sich ihr gegenüber auch manchmal als leichter Wind gezeigt hatte, obwohl sie sonst immer so stürmisch war. Der Gedanke daran zog Michiru das Herz zusammen, und selbst das Grün des Waldes und die warmen Strahlen der Sonne halfen ihr nicht mehr, sich besser zu fühlen. „Ich muss diesen Mann finden“, rief sie sich ins Gedächtnis. Ihr Spiegel hatte ihn ihr gezeigt, als sie einsam gewesen war, darum war sie sich sicher, dass dieser Mann ihr helfen konnte, Haruka zu vergessen. Also setzte sie sich in Bewegung, denn laut Setsuna war er ganz hier in der Nähe. Und tatsächlich: Sie war gerade mal fünf Minuten gelaufen, als sie eine leise Stimme hörte. Neugierig beschleunigte sie ihren Schritt und dann erblickte sie ihn schließlich. Er lehnte mit dem Rücken an einem Baum und hatte die Augen geschlossen, so als schlafe er. Sein silberweißes Haar, das ihm fast bis zu den Knien ging, und die langen Ärmel seines kimonoartigen Gewandes bewegten sich leicht im Wind. Michiru konnte auch die Muster auf seinem Gesicht erkennen, selbst wenn sie einige Meter entfernt stand: Auf jede seiner Wagen waren zwei spitz zulaufende, violette Striche gezeichnet, die ein wenig an einen Tiger erinnerten, und auf seiner Stirn, hinter dem dichten Ponyhaar kaum zu sehen, prangte ein lila Sichelmond. Auf einmal bewegte sich sein Mund, wenn auch nur minimal. Erst jetzt bemerkte Michiru das kleine, schwarzhaarige Mädchen und den noch kleineren grünen Wicht, die am Boden zu Fuße des Weißhaarigen saßen. Während sie bewegungslos zu ihm herübersah, schnellte plötzlich sein Kopf herum und mit einem Mal wurde sie von einer starken Hand an der Kehle gepackt und gegen einen Baum gedrückt. Völlig überrumpelt blickte sie den Weißhaarigen an, dessen Gesicht nun nur noch wenige Zentimeter von ihrem entfernt war. „Wer bist du?“, fragte er mit knurrender Stimme und schloss die langen, dünnen Finger seiner rechten Hand noch enger um ihren Hals. Michiru versuchte etwas zu sagen, doch es gelang ihr nicht. Ob es am durchdringenden Blick seiner goldenen Augen oder einfach am Luftmangel lag, wusste sie nicht genau. „Sesshōmaru-sama! Du erwürgst sie!“, rief das kleine Mädchen entsetzt. Das grüne Wesen neben ihr lachte mit gehässiger Stimme auf. „Geschieht ihr recht, wenn sie sich so hinterlistig anschleicht!“, rief es. Der Weißhaarige, dessen Name anscheinend Sesshōmaru lautete, lockerte seinen Griff ein wenig. Er hätte seine Hand auch ganz wegnehmen können, denn allein sein Blick reichte aus, um Michiru bewegungsunfähig zu machen. „Wer bist du?“, wiederholte er mit drohender Stimme. „Michiru Kaiō“, flüsterte sie mit heiserer Stimme. „Was willst du hier?“ Zwar war Michiru sich sicher, dass es nicht unbedingt das Beste war, die Wahrheit zu sagen, doch wäre sie angesichts dieses alles durchdringenden Blickes niemals auf die Idee gekommen, eine Lüge zu erzählen. „Ich habe dich gesucht“, flüsterte sie. „Warum?“ „Mein magischer Spiegel hat mir ein Bild von dir gezeigt und ich wollte wissen, wer du bist“ Michiru ärgerte sich darüber, dass sie ihm das alles erzählte, doch wer hätte an ihrer Stelle etwas anderes getan, unter dem wachsamen Blick seiner goldenen Augen, seinem übermenschlichen Gesicht so nahe? „Was für ein Spiegel?“ „Ein Talisman. Er kann mir Bilder aus anderen Welten und Zeiten zeigen.“ „Woher kommst du?“ „Aus einer Welt, die dieser nicht im Geringsten ähnelt.“ Sesshōmaru sah ihr noch ein letztes Mal tief in die Augen, dann ließ er von ihr ab und drehte sich um. „Verschwinde von hier“, befahl er mit leiser, kalter Stimme. „Nein“, sagte Michiru schlicht. Er wandte sich langsam wieder zu ihr um. „Hab ich mich nicht klar ausgedrückt?“, knurrte er und ließ die Knochen seiner Hand bedrohlich knacken. „Ich werde nicht verschwinden“, sagte Michiru. Sie war sich gewiss, dass er, der eine unglaublich starke, dämonische Aura ausstrahlte, im Falle eines Kampfes keine Probleme dabei hätte, sie zu besiegen. Doch etwas in ihr sagte ihr, dass es nicht so weit kommen würde. Ihr Spiegel hatte sie hierher geführt, es musste einen Grund haben... „Was willst du von mir?“ „Das habe ich bereits erklärt.“ Sesshōmaru verengte seine Augen zu Schlitzen. „Du wolltest wissen, wer ich bin. Ich bin Sesshōmaru, Hundedämon, Sohn des Inu no Taishō. Und nun verschwinde.“ Der Stolz, der in jedem seiner Worte mitschwang, ließ Michiru einen kalten Schauer den Rücken herunterlaufen. „Tut mir leid, das ist nicht das, was ich wollte.“ Sie verschränkte die Arme und blickte dem Weißhaarigen direkt in die Augen. „Ich möchte dich begleiten.“ Einen Moment lang ließ sich Überraschung auf seinen Gesichtszügen erkennen, doch diese wurde schnell wieder zu dem kalten, arroganten Ausdruck, den er zuvor gezeigt hatte. „Ich sehe keinen Grund, weswegen ich dich mitnehmen sollte“, erklärte er. Dann drehte er sich wieder von ihr weg. „Rin! Jaken! Wir gehen. Ich habe keine Lust, mich noch länger mit diesem Menschenweib zu befassen.“ Mit diesen Worten verschwand er zwischen den Bäumen. Michiru biss sich auf die Lippe. Er hatte sie tatsächlich nicht angegriffen, doch sie war sich nicht sicher, ob sie diese Lösung bevorzugte. „Kommst du aus derselben Welt wie Kagome-sama?“ Da sie gedacht hatte, allein zu sein, schrak die Türkishaarige zusammen, als sie diese unschuldige Stimme hörte. Sie sah herab und entdeckte das kleine, schwarzhaarige Mädchen, das vorhin neben dem grünen Zwerg gestanden hatte. Es sah neugierig zu ihr auf. „Wer ist Kagome-sama?“, fragte Michiru. „Ein Mädchen aus einer anderen Welt“, erklärte das Mädchen. „Sie trägt auch immer so lustige Kleidung.“ Michiru sah an sich herab. Obwohl sie gewusst hatte, dass es damit in diesem Zeitalter nicht einfach sein würde, hatte sie sich nicht von ihrer Schuluniform trennen können. „Sie trägt auch eine Schuluniform?“ „Vielleicht heißt es so, auf jeden Fall sieht es fast genauso aus!“, rief die Kleine. „Warum begleitest du Sesshōmaru?“, fragte Michiru nach einer kurzen Pause. Diese Frage beschäftigte sie schon seit sie das Mädchen vorhin gesehen hatte. Im Gegensatz zu dem Grünling schien sie durch und durch menschlich zu sein. Dabei hatte der Weißhaarige sie selbst vorhin doch so abweisend als „Menschenweib“ bezeichnet... „Er hat mir das Leben gerettet“, erwiderte das Mädchen strahlend. „Und dann hat er mich mitgenommen!“ Michiru blickte sie verblüfft an. Der Dämon schien ihr nicht wirklich die Art von Person zu sein, die kleinen Mädchen in Not zu Hilfe eilte... Er schien viel eher der zu sein, der sie in eine Notlage brachte. Das Mädchen schien ihre Gedanken zu erraten, denn sie sagte: „Ich weiß nicht, warum, aber irgendwie bin ich für ihn anders als andere Menschen. Er würde keine andere an seiner Seite dulden.“ Dies schien sie sehr glücklich zu machen, denn sie strahlte übers ganze Gesicht. „Ach, so ist das...“, murmelte Michiru. Die Kleine sah sie verwundert an. „Warum willst du überhaupt mit ihm mitkommen?“, fragte sie. „Nur, weil du ihn in einem magischen Spiegel gesehen hast?“ Michiru sah seufzend auf sie herab. „Weißt du...“, begann sie, „dieser Spiegel zeigt mir Orte und Personen, die eine besondere Bedeutung haben. Daher habe ich mich gefragt, was es mit Sesshōmaru auf sich hat.“ „Also reine Neugier?“ Michiru zwang sich zu einem Lächeln, von dem sie sich allerdings sicher war, dass es nicht unbedingt überzeugend war. „So könnte man es vielleicht sagen.“ Eine kleine, warme Hand schloss sich um ihre. „Geht es dir gut? Du siehst müde aus“, stellte das kleine Mädchen besorgt fest. „Vielleicht solltest du lieber nach Hause gehen?“ „Nach Hause...“, murmelte Michiru und ihre Gesichtszüge verzerrten sich, als sie daran dachte, wie Haruka es vielleicht gerade ausnutzte, dass sie weg war. Die Kleine drückte ihre Hand noch fester. „Oder möchtest du ein bisschen Abstand gewinnen?“ Ein schmales Lächeln stahl sich auf Michirus Lippen. Dieses kleine Mädchen verstand sie tatsächlich. „Warte hier!“, rief sie auf einmal und lief in die Richtung, in die Sesshōmaru und der grüne Wicht verschwunden sein mussten. Michiru sah ihr verwundert hinterher. Was hatte sie vor? Kurze Zeit später kam sie wieder, den weißhaarigen Dämon hinter sich herziehend. Das strahlende Lächeln in ihrem Gesicht – das bei ihr anscheinend nicht wirklich selten war – ließ Hoffnung in Michiru aufkeimen. „Er hat zugestimmt! Du darfst mitkommen!“, rief die Kleine ihr glücklich zu. Die Ältere blickte erst sie, dann Sesshōmaru an. Letzterer sah noch immer so finster aus wie zuvor, nickte aber kaum merklich, als er ihren fragenden Blick bemerkte. „Danke“, flüsterte Michiru dem Mädchen, das sich inzwischen als Rin vorgestellt hatte, zu, als sie hinter ihr auf dem Sattel eines zweiköpfigen Drachens saß, der sie in rasendem Tempo durch die Gegend transportierte. Sie warf einen kurzen Blick zur Seite, wo Sesshōmaru, in Form eines großen Hundes mit silberweißem Fell, mit dem grünen Zwerg namens Jaken auf dem Rücken, neben ihnen herrannte. Er hatte sie tatsächlich mitgenommen, was sie wohl vor allem Rins Überredungskunst zu verdanken hatte. Und er ließ sie nicht nur an diesem Tag in seiner Nähe bleiben, nein, auch am nächsten und am übernächsten Tag verlor er kein Wort darüber, dass sie ihn in Ruhe lassen sollte. Genauer gesagt verlor er ihr gegenüber überhaupt kein Wort, wie sie sich am dritten Abend nach ihrer Begegnung eingestehen musste. Sie, Rin und Jaken saßen gemeinsam um ein kleines Lagerfeuer, während Sesshōmaru etwas abseits an einem Baum lehnte, die Augen geschlossen. Michiru betrachtete ihn. Seine unmenschliche Schönheit, die immer wieder ihre Blicke auf sich zog, zog sie wieder einmal in ihren Bann. Man hätte meinen können, ein Mann mit langen, weißen Haaren und mit bunten Zeichnungen im Gesicht sähe einfach nur lächerlich aus, doch niemand hätte es jemals gewagt, Sesshōmaru als lächerlich zu bezeichnen. All die Details seines Äußeren fügten sich zu einem Gesamtbild zusammen, das die Bezeichnung perfekt durchaus verdient hatte, wie Michiru fand. Sie war so sehr in Gedanken versunken, dass sie erst merkte, dass etwas nicht stimmte, als Rin einen spitzen Schrei ausstieß. Ein lautes Summen erfüllte die Luft, ganz als ob ein riesiger Bienenschwarm in der Nähe wäre. Unwillkürlich warf Michiru einen Blick nach oben. Das was sie sah, ließ sie zusammenzucken: Eine ganze Herde gefährlich aussehender Wesen verdunkelte den Himmel. Michiru konnte sie nicht genau erkennen, da sie wild durcheinander flogen, doch die Hörner und scharfen Fängzähne, die sie erblickte, machten ihr nicht gerade Mut. „Sesshōmaru-sama!“, kreischte Rin. Der Angesprochene öffnete seine Augen einen Spaltbreit und blickte die Dämonen an, die scheinbar genau in ihre Richtung flogen. Mit einem genervten Seufzer stand er auf, zog ein langes Schwert aus seiner Scheide und ließ es durch die Luft sausen. Eine Art Druckwelle, die von dieser Bewegung hervorgerufen wurde, raste auf die in der Luft verharrenden Wesen zu, und mit einem Mal sah man an ihrer Stelle nur noch ein paar abgetrennte Gliedmaßen, die zu Boden fielen. Michirus Augen weiteten sich vor Erstaunen, während Sesshōmaru einfach sein Schwert wieder wegsteckte und in seine vorherige Position zurückkehrte, ganz so, als wäre nichts geschehen. „Er ist wirklich stark“, murmelte sie gedankenverloren. Rin stimmte ihr zu und Michiru sah die Kleine an. Es war wirklich merkwürdig. Dieser Mann, oder viel eher Dämon, konnte mit einem einzigen Schlag seines Schwertes eine riesige Herde von Angreifern vernichten, und gleichzeitig hatte er dem kleinen Mädchen das Leben gerettet und auch ihr geholfen, als sie ihn gebraucht hatte. Sie konnte nicht anders, als ihn zu bewundern, auch wenn sie sich wünschte, er würde sie ein wenig mehr beachten. Nach diesem Zwischenfall machte die Gruppe sich schnell wieder auf den Weg. Michiru fragte sich, wohin ihre Reise wohl führte, aber aus unerfindlichen Gründen war sie sich sicher, dass selbst Rin auf diese Frage keine Antwort wusste, auch wenn sie schon länger dabei war. Und Sesshōmaru persönlich anzusprechen, traute sie sich nicht. Zwar war sie wirklich nicht feige, aber die Art, wie er die Dämonen getötet hatte, hatte sie an seine kalte Seite erinnert, die er ihr schon bei ihrer Begegnung gezeigt hatte, und sie fürchtete, er würde sie fortschicken, wenn sie ihn in irgendeiner Weise belästigte. Nun waren sie wieder unterwegs, wie jeden Tag: Rin und Michiru auf dem zweiköpfigen Drachen und Jaken auf dem Rücken Sesshōmarus. Doch auf einmal blieb der große Hund stehen und hob die Schnauze. Seine Nase zuckte leicht, so als wittere er etwas. Er sprang zu Boden – da sie wie immer einige Meter über dem Boden unterwegs gewesen waren – und verwandelte sich in seine Menschenform. Knurrend stieß er hervor: „Naraku“ Michiru wusste nicht, was es damit auf sich hatte, doch Rin zuckte zusammen, als Sesshōmaru diesen Namen nannte. Unruhig blickte sie um sich. „Wo ist er?“, fragte sie. „Er ist in der Nähe“, war die vage Antwort des Dämons. „Diesmal kriege ich ihn!“ „Ich komme mit!“, rief Rin, selbst wenn sie vor Angst zitterte. Sein Kopf schnellte in ihre Richtung. „Nein“, bestimmte er, „du bleibst hier. Ich werde alleine gehen.“ Jaken, der sich gerade wieder aufgerappelt hatte, da er bei Sesshōmarus Verwandlung von dessen Rücken gefallen war, ließ einen Seufzer der Erleichterung vernehmen. Doch diese Erleichterung verschwand gleich, als Sesshōmaru vor ihn trat und mit drohendem Blick auf ihn herabsah. „Wenn jemand ihnen ein Haar krümmt, bist du tot“, drohte er. Dann verwandelte er sich zurück und lief davon. Michiru starrte an die Stelle, an der der Hundedämon eben noch gestanden hatte. Er hatte nicht nur von Rin gesprochen. Wenn ihr etwas passierte, würde Sesshōmaru sich an Jaken rächen, weil er sie nicht beschützt hatte. Eine Wärme stieg in ihr auf, wie sie sie schon seit langem nicht verspürt hatte. Sie war ihm nicht egal, auch wenn er sie immer ignorierte... „Wir sollten uns irgendwo verstecken“, flüsterte Rin. „Warum?“ Michiru, die bis eben völlig in Gedanken versunken gewesen war, blickte das Mädchen verwundert an. „Wenn Naraku hier irgendwo ist, werden seine Abkömmlinge auch nicht weit sein!“, erwiderte sie, und man sah, wie sehr ihr dieser Gedanke Angst einflößte. „Wer ist überhaupt dieser Naraku?“ „Er ist... grausam. Und seine Abkömmlinge sind ebenso grausam wie er.“ Michiru wollte weitere Fragen stellen, doch sie sah, wie unbehaglich Rin sich fühlte und ließ es daher bleiben. „Schnell, wir sollten hier nicht noch länger rumstehen!“, drängte Jaken. „Zu spät“, flötete da auf einmal eine Stimme, die direkt aus dem Himmel zu kommen schien. Die drei sahen hoch und entdeckten eine große weiße Feder, die auf sie zugeflogen kam. Eine junge Frau mit schwarzen Haaren, die einen Kimono trug, sprang von ihr herab und landete auf dem Boden. Sie zückte einen Fächer und ließ ihn durch die Luft sausen. Bevor Michiru wusste, wie ihr geschah, wurde sie von einem Windstoß nach hinten geschleudert. Den beiden anderen erging es ebenso. „Was willst du von uns?“, rief Rin mit zitternder Stimme. Ein grausames Lächeln breitete sich auf dem Gesicht der Frau aus. „Euch töten, was sonst? Ach, was ist es doch für ein wundervoller Zufall, dass Sesshōmaru heute nicht da ist, um euch zu beschützen!“ Sie lachte. Michiru starrte sie an. „Du steckst mit diesem Naraku unter einer Decke!“, rief sie zornig. Kagura sah sie abschätzend an. „Was bleibt mir anderes übrig? Er hat mein Herz in der Hand!“ Damit schwang sie erneut ihren Fächer und Michiru wurde von einem noch stärkeren Windstoß erfasst und gegen einen Baum gedrückt. „L- lass sie in Ruhe!“, stammelte Jaken und erhob den merkwürdigen Stab, den er immer mit sich herumtrug. Auf seiner Spitze befanden sich zwei Köpfe: der einer alten Frau und der eines alten Mannes. In diesem Moment öffnete der alte Mann seinen Mund und spie Feuer. Doch dieser Angriff entlockte seiner Gegnerin nur ein schmales Lächeln; mit einer Bewegung ihres Fächers hatte sie den Feuerstrahl abgewehrt und auf den armen Wicht zurückgelenkt, der vor Schmerzen aufschrie und den Stab fallen ließ. Darauf schien die andere nur gewartet zu haben: sie sprintete los – schnell wie der Wind – und brachte die Waffe in ihren Besitz. „Ihr seid so gut wie tot“, erklärte sie lächelnd. „Gegen die Macht des Windes kommt niemand an!“, rief sie und startete eine erneute Attacke. Diesmal schien Rin, die sich ängstlich an Michiru geklammert hatte, ihr Ziel zu sein. Diese wusste, was sie zu tun hatte. Sie zog ihren Verwandlungsstab aus ihrer Umhängetasche und rief: „Macht der Neptunnebel, mach auf!“ Wenige Sekunden später trug sie nicht mehr ihre Schuluniform, sondern das Kostüm einer Sailorkriegerin. „Angelockt von der neuen Zeit, jetzt in dieser Welt. Sailor Neptun!“, stellte sie sich vor und stellte sich schützend vor Rin. Der Windstoß, den ihre Gegnerin gerade losgeschickt hatte, traf sie frontal, doch sie hielt ihm stand. „Wen haben wir denn da?“, fragte die andere. „Hat Sesshōmaru eine neue Entdeckung gemacht?“ „Verschwinde!“, rief Sailor Neptun. Ein melancholisches Lächeln zeigte sich auf dem Gesicht der Windmagierin. „Wie gerne ich das doch tun würde... Ja, ich wäre zu gerne so frei wie der Wind.“ Sie erhob ihren Fächer. „Doch ich bin es nicht! Und darum müsst ihr sterben!“ Sie ließ ihre Waffe niedersausen. Neptun schleuderte dem Windstoß ihre eigene Attacke entgegen, doch sie konnte ihn nur ein wenig bremsen. Während sie erneut zurückgeschleudert wurde, spürte sie auf einmal einen Schmerz in sich, der nichts mit dem Wind zu tun hatte, der ihr in die Haut schnitt. So frei wie der Wind... Sie musste an Haruka denken, die es ebenso hasste, von anderen eingeschränkt zu werden. „Noch eine Bewegung und du bist tot“, ertönte da auf einmal eine drohende Stimme. Gerade hatte die Windmagierin einen besonders starken Angriff auf Neptun gestartet, doch die Sailorkriegerin spürte nur eine sanfte Brise auf ihrer Haut; Sesshōmaru, der wie aus dem Nichts aufgetaucht war, hatte sich vor sie gestellt und die Attacke mit seinem mächtigen Schwert abgewehrt. Die Schwarzhaarige fluchte, wagte es aber tatsächlich nicht, sich zu bewegen. Die Hand, die ihren Fächer umklammert hielt, zitterte und sie blickte Sesshōmaru abwartend an. Dieser ließ sein Schwert wieder in seiner Scheide verschwinden und knurrte: „Verschwinde und sag deinem Herrn, dass er mich mit solchen billigen Tricks nicht überlisten kann!“ Damit schien die andere nicht gerechnet zu haben, denn einen Moment lang sah sie ihn verwirrt an. Doch als sein Befehl zur ihr durchgedrungen war, schwang sie sich so schnell sie konnte auf ihre Riesenfeder und flog davon. Nun drehte Sesshōmaru sich zu Neptun um. Eine Weile musterte er ihren Körper, der vom Kampf einige Spuren davongetragen hatte. Dann wandte er sich an Jaken, der sich zitternd in Rins Yukata festgekrallt hatte. „Bring sie zu einem Heiler“, befahl er ihm. Doch bevor Jaken irgendwas sagen konnte, hatte Neptun sich zu Wort gemeldet: „Das ist nicht nötig.“ Sie verwandelte sich in ihre Menschenform zurück. Verwundert beobachteten die drei anderen, wie ihre Verletzungen mit einem Mal verschwanden. Sie lächelte. „Danke, dass du mich beschützt hast, Sesshōmaru.“ Es war das erste Mal, dass sie ihn mit seinem Namen ansprach, was er allerdings nur mit einer gehobenen Augenbraue quittierte. Als er nicht auf sie einging, sondern sie nur ansah, fuhr sie leise fort: „Und auch danke, dass ich mit dir kommen darf. Ich – mir gefällt es hier wirklich gut und ich würde gerne hier bleiben und -“ Sesshōmaru unterbrach sie: „Kümmer dich erstmal um die Probleme in deiner eigenen Welt, bevor du dir neue schaffst.“ Michiru sah in sein Gesicht und entdeckte dort den Ansatz eines väterlichen Ausdrucks neben der Kälte, die er eigentlich zeigen wollte. Sie biss sich auf die Lippe, um bei diesem Anblick nicht zu lächeln, da ihn das sicher gestört hätte. „Was meinst du?“, fragte sie, auch wenn sie sich sicher war, dass Rin ihm alles erzählt hatte, was sie ihr bei ihrer Begegnung gesagt hatte. „Du bist doch nur in diese Welt gekommen, um vor irgendwas zu fliehen. Findest du das nicht feige? Und noch dazu scheint es nicht einmal ein übermächtiger Gegner, sondern einfach nur eine Beziehung zu sein, die dir Angst macht.“ Michiru starrte in seine goldenen Augen, die unerbittlich auf sie herabsahen. Im Grunde hatte er recht. Es war feige gewesen, in diese Welt zu kommen. Und besonders Haruka gegenüber war es nicht fair gewesen... Sie hatte ihr wehgetan, aber das war noch lange kein Grund, einfach vor ihr wegzulaufen. Und eins hatte sie vollkommen vergessen, während sie blindlings davongelaufen war: Sie würde Haruka immer lieben, egal was sie tat. Und sie vermisste sie schmerzlich, wie ihr bei dem Kampf eben bewusst geworden war. Ihre Schwärmerei für Sesshōmaru würde niemals die tiefen Gefühle ersetzen können, die sie für Haruka hegte, auch wenn sie sich die letzten Tage eingebildet hatte, es würde funktionieren. Die Türkishaarige blickte erst Jaken an, der neugierig zu ihr aufsah, dann Rin, die eher einen besorgten Ausdruck zeigte, und schließlich sah sie wieder zu Sesshōmaru auf. „Ich werde in meine Welt zurückkehren.“ Sie meinte, den Anflug eines Lächelns auf seinem Gesicht zu sehen, als sie dies verkündete. Rin stieß einen überraschten Schrei aus. „Du willst uns verlassen?“, rief sie. Michiru kniete sich hin, um die Kleine in ihre Arme zu schließen. „Ich muss zurück, tut mir leid.“ „Ich werde dich vermissen“, murmelte Rin mit Tränen in den Augen. Michiru ließ sie los und sah Jaken an. „Mach’s gut“, sagte sie zu ihm. Dann richtete sie sich wieder auf und wandte sich ein letztes Mal Sesshōmaru zu. „Danke ... für alles.“ Sie sah noch einmal in seine goldenen Augen. Dann zog sie den kleinen Schlüssel, den Setsuna ihr gegeben hatte, aus der Tasche und hielt ihn in die Luft. Während die Landschaft um sie herum langsam verschwamm, meinte sie noch ein „Viel Glück“ von Sesshōmaru zu hören, dann stand sie wieder in Setsunas Wohnzimmer, wo ihre Reise begonnen hatte. Dort kam sie anscheinend zu einem ungünstigen Augenblick, denn Haruka und Setsuna, die zusammen auf dem großen Sofa saßen, schienen bis eben eine ernste Unterhaltung geführt zu haben. Nun starrten sie Michiru, die gerade vor ihnen aufgetaucht war, überrascht an. „Ich bin wieder da“, sagte die Türkishaarige, um die entstandene Stille zu überbrücken. „Warst ja auch lange genug weg...“, grummelte Haruka. Michiru blickte ihre Freundin überrascht an, dann breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus und sie fiel ihr um den Hals. „Ich hab dich auch vermisst, Haruka.“ „Es scheint ja doch alles in Ordnung zu sein zwischen euch“, stellte Setsuna schmunzelnd fest. Michiru ließ sich neben Haruka auf dem Sofa nieder. „Was ist mit diesem Radsportler?“, fragte sie leise. „Vergiss es“, war die Antwort der Blonden. Michiru sah sie empört an. Doch bevor sie ihren Gefühlen Luft machen konnte, hatte Haruka eine Erklärung hinzugefügt: „Ich habe mich von ihm getrennt, er war ein Idiot.“ Lachend zog sie ihre Freundin noch enger zu sich heran und flüsterte ihr ins Ohr: „Gegen dich kommt sowieso keiner an.“ Kapitel 40: Ringo und Sakura - Weihnachtsstress und Blitzgewitter ----------------------------------------------------------------- Von Wir melden uns kurz vor Weihnachten mal wieder mit einer neuen Geschichte ^^ Die, der Jahreszeit entsprechend, ebenfalls in der Weihnachtszeit angesiedelt ist. Das diesmalige Pairing besteht aus zwei recht jungen Mädchen, die uns von als Pairing vorgeschlagen worden sind. Obwohl ich erst sehr skeptisch war, ob das so als Liebesgeschichte klappen kann, hat es mir letzten Endes doch Spaß gemacht und ich hoffe, dass es euch genau so Spaß macht, die Geschichte zu lesen. Ich habe während des Schreibens vor allem Ringo als Charakter sehr liebgewonnen. Bei Sakura kann ich nur hoffen, dass sie einigermaßen dem Original entspricht... Die Geschichte spielt übrigens ca. zwei Jahre nachdem Shaolan nach China zurückgekehrt ist, weshalb Sakura ein bisschen einsam ist ^.- Zu diesem Kapitel gab es bei unserem Wettbewerb gleich zwei Einsendungen: Eine von (http://animexx.onlinewelten.com/fanarts/output/?fa=1482511) und eine von (http://animexx.onlinewelten.com/fanarts/output/?fa=1484323), die auch beide platziert wurden^^ Weihnachtsstress und Blitzgewitter Das Einkaufszentrum am Rande von Tomoeda war an diesem Sonntag zwei Wochen vor Weihnachten brechend voll. Es schien, als habe sich die halbe Stadt gerade an diesem Tag entschlossen, ihre letzten Einkäufe zu tätigen. Natürlich bot sich das an, denn draußen regnete es in Strömen, der Asphalt der großen Parkplätze war nass und die Parkanweiser steckten in Regencapes aus durchsichtigem Kunststoff, während sie den in Scharen ankommenden Wagen den Weg zu den letzten freien Parkplätzen zeigten. Ringo Akai war froh, dass sie mit dem Bus gekommen war, denn der brauchte zumindest nicht eine halbe Stunde auf der Auffahrt zum Dachparkdeck warten, bis er endlich halten konnte. Sie fühlte sich dennoch nicht gerade wohl, als sie durch die elektronische Schiebetür das Einkaufsparadies betrat und ihr ein Schwall künstlich angewärmter Luft entgegenblies. Sie hatte bereits eine relativ genaue Vorstellung, wo sie hinwollte, deshalb zog es sie gleich in Richtung der Rolltreppe. Um diese zu erreichen, musste sie jedoch erst einmal vorbei an den Snackständen im ersten Stock, bei deren Anblick ihr das Wasser immer im Mund zusammenlief. Menschen, die es langsamer angingen, kamen ihr in den Weg. Ringo drängelte sich vorsichtig zwischen Familien, Pärchen und Damengruppen hindurch, um ihr Ziel zu erreichen. Die Rolltreppe war nicht viel weniger voll und sie musste sogar ein wenig anstehen, bevor sie drankam. Aus den Lautsprechern um sie herum tönte Musik, vermutlich irgendetwas Aktuelles, das sie nicht kannte. Immer wieder ermahnte eine Lautsprecherstimme die Erwachsenen, ihre Kinder an der Hand festzuhalten. So gelangte die Zwölfjährige bis in den zweiten Stock, wo die von ihr angepeilte Modeabteilung war. Sie huschte an einem Tisch vorbei, der so eng von Frauen umdrängt wurde, dass sie nicht einmal erkennen konnte, was angeboten wurde, schob sich an den Schaufensterpuppen in ihren Röhrenjeans und knallgelben Westen vorbei und gelangte schließlich in die Herrenabteilung, wo zu ihrer Erleichterung das Gedränge ein bisschen abnahm. Auch hier standen mehrere Mannequins, die die neueste Mode – zerfledderte Jeans, gemusterte Hemden über einfarbigen Pullovern, wenig auffällige Accessoires - zeigten. Ringo umging einen Ständer mit Winterjacken ab 3000 Yen und fand entlang der Wand, was sie gesucht hatte. Ein langer Auslegetisch mit T-Shirts, Hemden und Sweatshirts unbekannter Marken, darüber Schilder mit der dicken roten Aufschrift „Alle Teile ab 1000 Yen“. Ein paar junge Männer wühlten sich bereits durch das Angebot. Einer mit langen Haaren und großer Brille bemerkte Ringo und warf ihr einen verwunderten Blick zu, bevor er ein olivgrünes Hemd hochhielt und nach dem Preisschild suchte. Ringo schob sich vorsichtig zwischen zwei andere Einkäufer und warf einen abschätzenden Blick über die Oberteile. Sie hatte bereits eine ungefähre Vorstellung, und so ging sie, nachdem ihr Blick sich auf ein Teil fixiert hatte, um zwei Männer mittleren Alters herum, um es hochzunehmen. Das Shirt hatte Dreiviertelärmel, weiße Säume und war selbst in einem Nachtblau gehalten. Sie schüttelte den Kopf und ließ es wieder sinken. Erneut ließ sie den Blick schweifen. Ein T-Shirt, das soeben von jemandem hochgehoben wurde, sprang ihr besonders ins Auge. Es war hellrot, mit orangefarbenen Streifen auf den Ärmeln und unter den Ärmeln schauten gelbe Streifen hervor. Ringo flitzte los. „Meinst du, das steht ihm?“, fragte ein Mädchen mit hellbraunem Kurzhaarschnitt. Ringo blieb ein paar Schritte neben ihm stehen. Das T-Shirt wurde von einem zweiten Mädchen hochgehalten, dem lackschwarzes Haar voluminös über die Schultern fiel. „Ich weiß nicht, ob Tôya-san solch ein buntes Stück gefallen würde“, stellte sie mit einer melodiösen Stimme fest. Die Braunhaarige seufzte und bemerkte dann Ringo, die das T-Shirt mit ihren großen, orangefarben leuchtenden Augen fixierte. „Ah, gefällt dir das T-Shirt?“, fragte sie. Ihre Stimme war neugierig und angenehm. Ringo riss sich von dem Shirt los und betrachtete das Mädchen, das sie freundlich anlächelte. Ihr fransiges Haar hing größtenteils nur bis ans Kinn, doch zwei niedliche Strähnen ringelten sich bis annähernd auf Schulterhöhe. Ringo nickte. „Ich suche ein Geschenk für meinen Bruder, und das passt ganz gut“, sagte sie verlegen. Die Schwarzhaarige strahlte. „Das ist wirklich amüsant. Sakura-chan sucht nämlich auch etwas für ihren Bruder“, erklärte sie. Die Braunhaarige – Sakura – nickte. Ringo grinste. „Dann hast du auch einen großen Bruder?“ „Oh ja“, seufzte das Mädchen. Die Schwarzhaarige schaltete sich wieder ins Gespräch ein: „Mein Name ist übrigens Tomoyo. Und wie heißt du?“ Sie sah Ringo freundlich an. „Ich heiße Ringo.“ Die beiden anderen Mädchen wechselten einen belustigten Blick. Alltäglich war es sicher nicht, einem Mädchen zu begegnen, das den Vornamen „Apfel“ trug. Sakura fing sich als erste und hielt Ringo das T-Shirt hin. „Wenn du es möchtest, kannst du es für deinen Bruder haben. Meiner trägt lieber unauffällige Farben, glaube ich“, sagte sie. Ringo nahm das Kleidungsstück mit einem gemurmelten „Danke“ entgegen und besah sich erst einmal den Preis, der zum Glück im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten war. „Du magst Rot, nicht wahr?“, fragte die Schwarzhaarige, Tomoyo. Ringo sah auf. „Ja, wieso?“ „Na, du trägst doch selbst so ein schönes rotes T-Shirt. Die Schleife in deinem Haar ist ebenfalls rot. Und du hast dir ein rotes T-Shirt für deinen Bruder ausgesucht.“ Ringo zupfte verlegen an den Enden des Schleifchens herum. „Ich mag Rot eben“, sagte sie. „Die Schleife ist süß“, sagte Sakura. Ringo kicherte unsicher. „Also, wenn du etwas für Tôya-san suchst, dann passt dieses hier doch sicher gut“, sagte Tomoyo in die entstandene Stille zwischen den Mädchen hinein. Wirklich still war es natürlich nicht, immer wieder drangen Durchsagen aus den Lautsprechern und unterbrachen die ständige Musik, das Geräusch von Menschenstimmen und Stöckelschuhen auf Steinboden war überall. Tomoyo förderte ein khakifarbenes Shirt zutage, das lange, etwas ausgestellte Ärmel hatte und vorne mit weißen, durcheinandergewürfelten Buchstaben bedruckt war. „Das sieht cool aus“, stellte Sakura fest. Ringo schaute sich noch einmal ihr T-Shirt an. Ihr Bruder würde sich darüber sicher freuen. Sakura und Tomoyo beschlossen recht schnell, dass das Sweatshirt gut genug war und so gingen die drei zusammen zur Kasse. „Wohnst du in Tomoeda? Du gehst nicht an unsere Schule, oder?“, fragte Sakura. „Ich gehe an eine kleine Grundschule an der Küste“, erklärte Ringo, „ich wohne nämlich mit meinem Bruder auf einer kleinen Insel.“ Die anderen beiden staunten. Die Schlange war lang, obwohl beide Kassen besetzt waren und sich an jeder sogar zwei Angestellte um einen Kunden kümmerten. Ringo, Sakura und Tomoyo stellten sich an. Während sie warteten, stellten sie fest, dass sie alle gleich alt, nämlich 12, waren, und dass Sakura Mathe ebenso wenig mochte wie Ringo. Sie hatten sich auf einmal so viel zu erzählen – wie wenig Spaß Schule machte und wie nervig das Lernen für die Aufnahme an der Mittelschule war – dass sie nur dank Tomoyo, die die meiste Zeit lächelnd zuhörte, mitbekamen, dass sie dran waren. Nachdem sie bezahlt waren, blieben die Mädchen neben der Kasse stehen. „Hast du als nächstes schon eine bestimmte Abteilung im Auge?“, fragte Tomoyo die rothaarige Ringo. Diese lächelte vorsichtig. „Da bin ich mir nicht so sicher. Ich brauche etwas für mein Haustier, aber ich weiß nicht, ob es sowas hier gibt.“ Tomoyo kratzte sich am Kinn. „Das käme natürlich darauf an, um was für ein Haustier es sich handelt“, stellte sie fest. „Yuki-chan ist ein Humboldtpinguin... Ich dachte, ich könnte ihr so was wie Schmuck schenken, aber in der Tierabteilung gibt’s sowas bestimmt nicht.“ „Ein Pinguin? Das ist ja cool!“, rief Sakura. Ringo musste lächeln. „Darum beneiden mich meine Klassenkameraden auch alle. Yuki-chan macht zwar viel Arbeit, aber sie ist so zutraulich und süß“, erklärte sie begeistert. Sakura ließ sich davon anstecken. „Wow, ich würde Yuki-chan gerne mal kennenlernen!“, sagte sie. „Wenn du möchtest, kannst du mich mal besuchen kommen. Mein Bruder freut sich immer, wenn ich Freundinnen mitbringe.“ Sakura nickte begeistert und hielt ihr den kleinen Finger hin. „Ich verspreche, dass ich dich besuchen komme, sobald mein Vater mir das erlaubt“, sagte sie. Ringo hakte sofort ihren Finger ein. „Ja! Versprochen ist versprochen und wird nicht gebrochen!“ Sie schüttelten die Finger kurz und lösten sie dann wieder voneinander. „Du musst mir unbedingt deine Adresse geben“, sagte Sakura. Ringo nickte. „Hast du was zum Schreiben dabei?“ Ringo war unglaublich gut gelaunt, als sie das Haus betrat, das sie zusammen mit ihrem Bruder Mashio und ihrem Pinguin Yuki-chan bewohnte. Dass sie auf dem Weg von der kleinen Bushaltestelle zum Bootsanleger und während der aufgrund der unruhigen See fast zehnminütigen Überfahrt zur Insel so nass geworden war, dass selbst ihre Regenjacke versagt hatte, kümmerte sie überhaupt nicht. „Yuki-chan, stell dir vor, ich hab in der Stadt zwei Mädchen getroffen, die supernett waren“, quietschte sie, als sie ihren Pinguin mit einer Umarmung begrüßte. Yuki krächzte als Reaktion aufgeregt. Ringos Bruder, Mashio, zog hinter sich die Tür zu und entledigte sich seines langen grünen Regenmantels. „Sind deine Einkäufe nass geworden?“, erkundigte er sich. Ringo schüttelte den Kopf.. Sie hatte die Plastiktüte mit dem T-Shirt die ganze Zeit im Regen unter ihrer Jacke verborgen gehabt und war sich sicher, dass kein Tropfen Wasser hineingelangt sein konnte. Und selbst wenn doch, könnte sie es ja immer noch trocken. Mashio lächelte schwach. „Dafür bist du aber ganz nass geworden. Am besten, du gehst gleich baden und ziehst dir was Frisches an“, riet er. Ringo lächelte breit, als sie bejahte und die Treppe in den ersten Stock hochtrappelte, dicht gefolgt von Yuki, die aufgeregt mit den Flügeln flatterte. Mashio vergrub die Hände in den Hosentaschen und grinste. Ringo war zwar oft guter Laune, aber Regenwetter schlug ihr sonst meistens etwas aufs Gemüt. Die Begegnung in Tomoeda musste tatsächlich etwas Besonderes gewesen sein. Ringo versteckte das gekaufte T-Shirt als erstes in ihrem Schrank ganz hinten zwischen ihren eigenen Sachen. Dort fiel es nicht einmal auf, weil sie dutzende rote Oberteile besaß. Nachdem sie sich frische Kleidung rausgesucht hatte, huschte sie ins Bad, ließ ihre durchnässten Klamotten auf den Boden fallen und verschwand zusammen mit Yuki im angebauten Baderaum. Sie wusch sich gewissenhaft, brauste die Pinguindame mit kaltem Wasser ab und stieg dann in die bereits gefüllte Badewanne. Yuki sprang ihr mit einem lauten Platschen hinterher. Tropfen spritzten in die Luft und Ringo hielt sich lachend die Hände vor das Gesicht, um nichts ins Auge zu bekommen. Dann lehnte sie sich mit dem Rücken an den Badewannenrand. „Yuki-chan, wir kriegen bald Besuch“, erklärte sie voller Vorfreude. Der Pinguin legte den Kopf schief, was Ringo kichern ließ. „Sakura-chan, eine von den Mädchen, die ich heute getroffen habe, hat versprochen, dass sie herkommt. Das ist doch nett von ihr, oder? Sie ist sowieso total nett. Und sie kleidet sich so niedlich, da wird man richtig neidisch!...“ Ringo fiel während der guten viertel Stunde, die sie im warmen Wasser verbrachte, noch vieles mehr ein, was sie ihrem Pinguin erzählen konnte, bis dieser schließlich aus der Wanne hüpfte und mit einem Krächzen bedeutete, dass das Bad für ihn >zuende< war. Ringo lächelte und stieg ebenfalls aus dem Wasser, um Yuki noch einmal mit kaltem Wasser zu bespritzen. Der Teil, den sie Yuki verschwiegen hatte war, dass Tomoyo, die Freundin von Sakura, ihr versprochen hatte, ein tolles Weihnachtsgeschenk zu nähen, das zu dem Pinguin passen würde. Und Sakura hatte versprochen, es noch vor Heiligabend vorbeizubringen. Ringo konnte es gar nicht abwarten. Abwarten musste sie dann doch, und zwar länger als gedacht. Sie hatte zwar nicht erwartet, dass Sakura sofort kommen würde, aber nach dem folgenden Wochenende war sie ein wenig enttäuscht, dass es nicht schneller ging. Jeden Morgen quälte sie ihren Bruder mit der Frage, ob Sakura vielleicht an diesem Tag kommen würde, und jedes Mal, wenn er sie am Nachmittag nach der Schule zurück zur Insel brachte, wollte sie wieder wissen, ob Sakura nicht inzwischen vorbeigeschaut habe, was er immer verneinen musste. Der Dezember setzte sich fort mit Temperaturen um die 5 Grad und fast täglich wolkenlosem Himmel. Als Ringo eines Abends mit Yuki und Mashio beim Essen saß, lehnte sie sich im Stuhl zurück. „Ob wir wohl Weiße Weihnachten kriegen?“, fragte sie nachdenklich. Mashio setzte seine Tasse ab, aus der er zuvor getrunken hatte, und sah durchs Fenster. „Wahrscheinlich nicht“, brummte er. „Zumindest gut für die Vögel, die frieren um diese Jahreszeit sonst nur und finden eigenständig kein Fressen mehr.“ Ringo nickte, aber über ihre Miene legte sich ein bisschen Wehmut. „Ich kann mich gar nicht erinnern, dass es an Weihnachten überhaupt mal geschneit hat. Dabei tut es das im Fernsehen immer.“ Mashio seufzte unhörbar. „Im Fernsehen muss es ja auch romantisch sein. Die Klimaerwärmung ist im Grunde genommen Schuld, dass es so wenig schneit. Das bringt auch das Ökosystem durcheinander...“ Ringo nickte nur gedankenverloren und starrte weiterhin nachdenklich aus dem Fenster, wo sich die kahlgeschüttelten Bäume schwarz vor der untergehenden Sonne abhoben. Am Morgen des 24. Dezember hatte Ringo die Hoffnung bereits fast aufgegeben. Sie saß an dem kleinen Tisch vor dem Fernseher und hatte die Füße unter der Heizdecke ausgestreckt, während sie mit halber Aufmerksamkeit eine Sendung über Weihnachten in Deutschland mitverfolgte. Yuki hockte neben ihr und tickte sie immer wieder mit dem Schnabel an, was sie aber mittlerweile nicht einmal mehr registrierte. „Sakura-chan kommt nicht“, murmelte sie zuweilen leise mit dem Kopf auf dem Tisch. Gegen Mittag kam Mashio von draußen und brachte einen Schwall kühler Luft mit sich. Er steckte den Kopf zur Wohnzimmertür rein und ließ einen lauten Seufzer hören. „Ich habe doch gesagt, du sollst den Weihnachtsbaum schon mal ohne mich aufstellen“, sagte er. Ringo machte sich nicht mal die Mühe, sich aufzurichten. „Ich hab keine Lust“, erklärte sie. Er legte seinen Mantel ab und kam zu ihr. „Nur, weil diese Sakura nicht herkommt?“, fragte er besorgt. „Sie hat mir versprochen, dass sie vor Weihnachten noch kommt“, sagte Ringo wehleidig und drehte sich von ihrem Bruder weg. Er lächelte. „Nun, dann wird sie auch kommen. Warum zweifelst du so daran?“ „Ich weiß nicht. Sie hätte doch auch früher kommen können. Bestimmt will sie gar nicht und hat mich schon längst wieder vergessen oder so.“ „So eine Trantüte wie dich vergisst man doch nicht“, grinste der Große. Ringo sah nur zweifelnd zu ihm auf, was ihn überzeugte, dass es ihr wirklich schlecht gehen musste. „Ich mache jetzt Mittagessen. Wenn du möchtest, kannst du mir ja helfen“, bemerkte er und zog sich an den Herd zurück. Ringo starrte zum Fenster hinaus, während er einen Topf aus dem Schrank zog und den Reiskocher anschaltete. „Da kommen dunkle Wolken“, stellte sie irgendwann apathisch fest, als das Gemüse schon in der Pfanne zischte. Er warf einen kurzen Blick zum Wohnzimmerfenster hinaus. „Hast recht. Wenn es kalt genug ist, gibt es vielleicht doch noch Schnee“, sagte er abschätzend. Ringos Miene erhellte sich ein Stück. „Das wäre super!“, sagte sie und ruckelte sich in eine sitzende Position. „Allerdings haben sie gestern im Fernsehen gesagt, dass es zu warm bleibt“, setzte ihr Bruder hinzu. Ringo streckte die verschränkten Arme auf dem Tisch aus und legte das Kinn darauf. „Och, menno.“ Mashio war gerade dabei, den fertig gegarten Gemüsereis auf zwei Teller zu verteilen, als Ringo eine Bewegung am Horizont wahrnahm. Knapp unter der Grenze zwischen dem noch blauen Himmel und den dunklen Wolken flatterte ein Vogel. Ringo konnte zuerst nur die großen Schwingen erkennen. Das Wesen wurde vom Wind, der schon die Wellen um die Insel in eine schäumende Masse verwandelt hatte, immer wieder leicht seitwärts getrieben. Ringo stand auf und trat ans Fenster. „Was ist denn da?“, fragte Mashio, während er die beiden Teller zum Esstisch trug. „Weiß nicht. Sieht aus wie ein Vogel, aber dafür ist es irgendwie zu groß.“ Ringo blieb am Fenster stehen und beobachtete, wie das Wesen näher kam. Es war eindeutig in ihre Richtung unterwegs und musste immer wieder stark mit den Flügeln schlagen, um die Höhe und Richtung zu halten. Ringo kniff die Augen zusammen. „Bruder, kann ich mir dein Fernglas leihen?“, fragte sie. „Ja, klar, aber es gibt jetzt Essen“, kam es zurück. Ringo ignorierte diesen Zusatz und flitzte zum Hauseingang, wo das Fernglas neben einigen anderen Geräten, die Mashio zum Arbeiten im Inselreservat benötigte, an einem Holzbrett hing. Mit ihm in den Händen eilte sie zurück ans Fenster und suchte den Vogel. Dieser hatte sich mittlerweile so genähert, dass sie seine Größe einigermaßen einschätzen konnte. Er musste eine Flügelspannweite von mindestens zwei Metern haben! Schließlich hatte sie den sich bewegenden Fleck ausgemacht. Aufgeregt drehte sie an dem Rädchen oben am Fernglas, um das Bild scharf zu stellen. „Sakura-chan!“, stieß sie aus. Mashio kam zu ihr. „Was meinst du?“, fragte er. „Guck selbst“, murmelte seine kleine Schwester und drückte ihm das Fernglas in die Hand. Er schaute und schnappte erschrocken nach Luft. „Wie geht das denn?“, fragte er. Ringo hatte auch keine Antwort parat, stattdessen stürzte sie an ihm vorbei, um sich die Schuhe anzuziehen. Draußen war es so windig, dass sich Ringos Haarschleife verabschiedete, kaum dass sie die Tür hinter sich zugezogen hatte. Das Mädchen sah dem roten Stoffbändchen nach, wie es sich im Wind drehte und immer wieder wechselnde Formen beschrieb, bevor es hinter dem Haus aus ihrem Sichtfeld verschwand. Dann setzte sie sich in Richtung Bootsanleger in Bewegung. Als sie im peitschenden Wind dort ankam, konnte sie Sakura bereits mit bloßem Auge erkennen. Das Mädchen flog – aus ihrem Rücken wuchsen kräftige, strahlend weiße Flügel. In der Hand hielt Sakura einen langen Stab mit einem großen Stern an der Spitze, ihre Haare wurden vom Wind zerzaust, sie trug einen kurzen Rock, darunter schwarze Leggins, rosa Stiefel mit kleinen Bommeln und eine warm aussehende rosa Jacke mit Pelzkragen. Als sie Ringo bemerkte, winkte sie. Ringo erwiderte die Geste begeistert. Sakura landete nur wenige Augenblicke später galant auf dem Steg und die Flügel verschwanden. Der lange Stab schien sich in Luft aufzulösen. Ringo warf sich dem Mädchen in die Arme und drückte sie fest an sich. „Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr“, jammerte sie. „Aber ich hab es doch versprochen“, lächelte Sakura. Ringo löste sich von ihr und nickte verlegen. Wie hatte sie nur daran zweifeln können, dass sie noch kommen würde? „Wie hast du das mit den Flügeln gemacht?“, fragte sie. Sakura legte einen Finger an die Lippen. „Magie. Aber das darfst du nicht weitererzählen, okay?“ Ringo nickte ohne Vorbehalte. „Nur meinem Bruder, der hat dich eben sowieso schon gesehen. Und Yuki-chan“, strahlte sie. Dann ergriff sie Sakuras Hände und zog sie in Richtung des kleinen, von Bäumen umgebenen Hauses in der Mitte der Insel. „Mein Bruder hat gerade Mittagessen gemacht, er hat bestimmt nichts dagegen, wenn du mitisst“, verkündete sie fröhlich. „Au ja, ich hab schon richtig Hunger.“ Die zwei lachten sich an, während sie auf das Haus zustürmten. „Wann musst du eigentlich wieder nach Hause?“, erkundigte sich Mashio nach dem Essen beiläufig von der Küche aus, wo er das Geschirr spülte. Sakura, die gerade Yuki am Kopf gekrault hatte, sah auf. „Ein bisschen kann ich noch bleiben. Ich hab Papa gesagt, dass ich bei Tomoyo-chan zu Besuch bin und um vier wiederkomme.“ Ringo grinste und packte Yuki unter den Flügeln, um sie vom Wohnzimmertisch zu heben. „Super! Dann kann ich dir noch mein Zimmer zeigen“, verkündete sie. Sakura stimmte freudig zu. Mashio stellte den letzten Teller ins Trockengestell und wischte sich die Hände am Geschirrhandtuch ab, bevor er es an den dafür vorgesehenen Haken neben dem Waschbecken hängte. „Wann musst du denn dann wieder los?“ Sakura sah auf ihre Armbanduhr, ein zierliches Modell mit rosa Armband. „Auf dem Hinweg habe ich fast ne Stunde gebraucht, also um drei.“ Ringo warf einen Blick auf die große Uhr über dem Küchentisch an der Wand und strahlte. „Dann haben wir noch über eine Stunde Zeit!“, jubelte sie. Mashio machte ein betrübtes Gesicht, als er aus dem Fenster schaute. „Ich hoffe, du kommst heil zurück. Es ist jetzt schon so stürmisch.“ Sakura und Ringo folgten seinem Blick. Draußen wurden die Bäume vom stärker werdenden Wind unsanft umhergepeitscht. „Vielleicht wird das Wetter ja noch besser“, murmelte Sakura. Mashio kam aus der Küchenecke zu den beiden Mädchen an den Tisch und seufzte. „Ich fürchte ja, nicht“, sagte er. „So wie es aussieht, wird es im Laufe des Nachmittags eher schlimmer.“ Sakura sah besorgt aus. „Aber ich muss doch zurück...“ „Bei diesem Wind lasse ich dich nicht vor die Tür“, erklärte Mashio streng. Die beiden Mädchen sahen sich betreten an. Mashio verließ den Raum und schlüpfte in seine Jacke, steckte aber noch einmal den Kopf zur Tür rein, bevor er ging. „Ihr könnt ja schon mal den Weihnachtsbaum aufstellen, solange ich weg bin“, schlug er vor, dann hörten die Mädchen die Außentür klappen. „Wo geht er denn hin?“, fragte Sakura. Ringo nahm sie an der Hand und zog sie zur Treppe in den ersten Stock, während sie erklärte: „Diese Insel ist so was wie ein Reservat und mein Bruder kümmert sich darum, dass hier alles in Ordnung bleibt. Er guckt, wie viele Tiere hier leben, dass keiner denen was tut und so was...“ „Wow, interessant!“ Ringos Zimmer war einer von drei kleinen Räumen im Obergeschoss. Die anderen zwei waren, wie sie Sakura unterwegs kurz erklärte, Mashios Schlafzimmer und eine Toilette. Das Zimmer des jungen Mädchens war ziemlich chaotisch. Unter dem Fenster stand ein großes Bett mit Holzrahmen, an dessen Ende jede Menge Plüschtiere verstreut lagen. Eine Wand wurde fast komplett von einem Regal eingenommen, in dem Schulbücher, Zeitschriften und eine beachtliche Sammlung von kleinen Tierfiguren in einem nicht zu durchschauenden System gelagert waren. Links vom Eingang war ein einfacher Schreibtisch, der voller Blöcke, aufgeschlagener Bücher, lose herumfliegender Stifte und anderer Büromaterialien war. Darüber hing eine herzförmige Pinnwand aus Metall, an der mit kleinen Magneten Bilder und Notizen angebracht waren. Der Rest der Wand hing voll mit Postern, die Delfine, Pinguine, oder Robben zeigten. Sakura blieb eine ganze Weile in der Mitte des Zimmers stehen, um sich umzuschauen. Ringo hatte sich aufs Bett fallen gelassen und sah sie neugierig an. „Es ist’n bisschen unordentlich, ich weiß. Ich hätte aufräumen sollen, aber in den Ferien habe ich da nie Lust zu.“ Sie sah kurz aus dem Fenster und fügte hinzu: „Sonst auch nicht.“ Sakura lächelte. „Die Poster sind hübsch. Du magst wohl Wassertiere?“ „Na klar! Die sind alle süß, aber Piguine sind natürlich die Besten.“ „Seit wann hast du Yuki-chan schon?“ „Hm, weiß nicht. Drei oder vier Jahre, glaube ich. Mashio hat sie in einer Zoohandlung gesehen und gemerkt, dass sie sich nicht wohlgefühlt hat, deshalb ist sie jetzt hier. Da fällt mir ein, hast du das Geschenk...?“ „Sicher“, zwinkerte Sakura und förderte aus der Tasche vorn an ihrem Pullover ein ordentlich verpacktes, quaderförmiges Geschenk zutage. Ringo nahm es vorsichtig an. „Wow“, staunte sie, „Das ist echt schön eingepackt. Ich bin gespannt, was drin ist!“ „Das weiß ich auch noch nicht. Tomoyo-chan hat ein richtiges Geheimnis draus gemacht. Hoffentlich gefällt es Yuki-chan.“ „Bestimmt.“ Ringo stand auf und legte das Geschenk neben das T-Shirt für ihren Bruder in den Schrank, der in die vierte Zimmerwand eingebaut war. Daneben lag mittlerweile auch das Geschenk, das sie am vorigen Wochenende für Sakura gekauft hatte. Das würde sie ihr geben, bevor sie sich wieder auf den Weg nach Hause machen musste. Sie schob die Schiebetür wieder zu und drehte sich zu Sakura um. „Hier oben ist es zu kalt. Lass uns ins Wohnzimmer gehen und Tee trinken.“ Zwanzig Minuten später hatten die Mädchen es sich an dem niedrigen Tisch im Wohnzimmer mit der Heizdecke gemütlich gemacht und schlürften ihren Tee. Yuki war nach draußen verschwunden, um im eisigen Wasser nach Fisch zu tauchen und Mashio immer noch nicht zurück. Die beiden hatten sich mit den Schultern aneinandergelehnt und erzählten sich leise kleinere und größere Geschichten aus der Schule. Ringo war ganz begierig zu erfahren, woher Sakura ihre Zauberkräfte hatte, und diese erzählte ihr gerne von den magischen Karten, die ein großer Magier einst erschaffen hatte und deren neue Herrin sie nun war. Sie schilderte gerade, wie sie den besonders schwierig zu fangenden Geist einer Wasser-Karte überlistet hatte, als ein Blitz den Raum für den Fetzen eines Augenblicks erstrahlen ließ. Unmittelbar danach brach der Donner los wie ein Kanonenschuss. Die Mädchen verfielen in erschrockenes Schweigen, während Regen wie Maschinengewehrsalven gegen das Fenster zu schlagen begann. Ein zweiter Blitz schlug ein. Sie konnten ihn ganz in der Nähe zwischen die Bäume rasen sehen. Unwillkürlich schob Ringo ihre Hand über den Tisch und drückte die von Sakura. Diese drängte sich ein bisschen näher an sie, während draußen das laute Tosen von Wind und Regen die Luft erfüllte. Mashio fand die Mädchen zehn Minuten später immer noch dicht aneinandergedrängt am Tisch sitzen. Sie hatten beide Hände ineinander verschlungen und blickten erschrocken auf, als er den Raum betrat. „Wie’s aussieht, kommst du heute nicht mehr nach Hause, Sakura-chan“, bemerkte Mashio. Das Mädchen sah ihn besorgt an. „Meinst du?“ „Der Sturm beruhigt sich heute bestimmt nicht mehr genug, damit du zurückfliegen kannst. Das wäre viel zu gefährlich.“ Sakura sah niedergeschlagen nach unten, aber Ringo drückte aufmunternd ihre Hände. „Keine Sorge, du kannst hier übernachten. Wir haben noch einen Futon über, stimmt’s, Bruder? Das wird sicher lustig!“ Das hellte Sakuras Miene sofort auf. „Okay. Dann rufe ich gleich mal zu Hause an.“ Das Wetter beruhigte sich mit der Zeit wieder ein bisschen, aber es blieb den ganzen Nachmittag stürmisch und düster. Nachdem Sakura zu Hause angerufen hatte, hatten sie alle drei angefangen, den Weihnachtsbaum zu schmücken. Es war nur ein kleines Tännchen, das Mashio schon einen Tag vorher im Wald geschlagen hatte, aber es machte Spaß, es mit kleinen Anhängern und glitzernden Girlanden zu verzieren. Sakura und Ringo war anzusehen, wie viel Spaß sie dabei hatten, was Mashio bei ihrem Anblick immer wieder zu einem wohlwollenden Lächeln hinriss. Abends gab es für alle Mashios Spezialgericht, gebratenen Seelachs mit Rettich, und dann verschwanden Ringo und Sakura für fast eine halbe Stunde kichernd im Bad, bevor sie in Ringos Zimmer den Futon ausbreiteten und sich zum Schlafen bereit machten. Sakura wusste nicht genau, wie lange sie geschlafen hatte, als sie auf einmal aufrecht im Bett saß. Ein Geräusch hatte sie geweckt. Das leise Klacken der sich schließenden Zimmertür. Sakura warf einen Blick zu Ringos Bett. Vor dem Himmel, der jetzt ruhig und sternenklar jenseits des Fensters lag, konnte sie seine Silhouette erkennen. Es war leer. Sakura wollte sich wieder hinlegen und weiterschlafen, da Ringo sicher nur auf Toilette war und gleich wiederkommen würde, als sie ein Knarzen vernahm, das sie schon vorher beim Erklimmen der Treppe in den ersten Stock gehört hatte. Verwirrt blieb sie sitzen und lauschte. Die Fußschritte entfernten sich über die Treppe nach unten. Ringo wollte also doch nicht zum Klo, denn das lag ja direkt gegenüber von ihrem Zimmer. Sakura hielt es nicht unter ihrem Futon, auch wenn sie zu frösteln begann, kaum, dass sie unter der warmen Decke hervorgekrochen war. Mit um den Oberkörper geschlungenen Armen folgte sie Ringo über den kühlen Holzfußboden nach unten ins Erdgeschoss. Diese saß an der Türschwelle und zog sich ihre dicken Winterstiefel über die Füße, als Sakura zu ihr kam. Ringo hatte sich über die Schlafanzughose eine weite Jogginghose gezogen und steckte bereits in einer wärmenden, dunklen Jacke und warmen Socken. „Wo willst du hin?“, fragte Sakura neugierig. Ringo erschrak und sprang auf. Als sie Sakura erkannte, schien sie sich wieder etwas zu beruhigen. „Ach, du bist es“, murmelte sie. Sakura kam auf sie zu. „Wo willst du denn um diese Zeit hin? Es ist mitten in der Nacht“, bemerkte sie. Ringo grinste, was Sakura dank des fehlenden Lichts nur ansatzweise erkennen konnte. „Ich liebe Spaziergänge in sternenklaren Nächten wie dieser“, erklärte sie. Sakura musste lächeln. „Stimmt, es ist bestimmt schön draußen. Darf ich mitkommen?“ Ringo hatte natürlich nichts dagegen, also eilte Sakura schnell ins Zimmer zurück, um den Schlafanzug gegen ihre normale Kleidung zu tauschen. Und dann traten sie beide an die frische Luft, die ihren Atem gleich in weißen Wölkchen erscheinen ließ, und sahen in den Sternenhimmel, wo die Sterne ausgebreitet lagen wie Perlen auf einem dunklen Tuch. Schweigend ging Ringo los und Sakura beeilte sich, sie einzuholen. Sie gingen nebeneinander her über die Insel, ein kleines Reservat voller Pflanzen, das nur von ein paar ausgetretenen Wegen durchbrochen wurde. Von überall drang das Rascheln und Rufen nächtlicher Inselbewohner an ihre Ohren, aber Ringo hatte keine Angst und deshalb war auch Sakura beruhigt. Irgendwann griff Sakura nach Ringos Hand und drückte sie. Einfach nur so, weil es ein schönes Gefühl war. Sie sahen sich nur kurz an und lächelten still in sich hinein, während sie weitergingen. Irgendwann hörten sie ein leises Rumpeln in der Ferne. Als sie zwischen den Bäumen hervortraten, sahen sie über dem Festland die Wolkenfront, die die Sterne verdeckte, und die Blitze, die sich über das Land zogen. Der Horizont schien zu glühen von den Lichtern der Stadt, die unter den mächtigen Gewitterwolken unwirklich klein schien. Sakura drückte sich ein bisschen mehr an Ringo. Über ihnen funkelten noch die Sterne mit ihrem angenehmen, hellen Licht. Der Mond war aber noch immer von den davonziehenden Gewitterwolken verdeckt, zwischen denen es immer wieder gespenstisch aufflackerte, während die ersten Blitze den tintenschwarzen Himmel zur Erde hin durchdrangen und für Sekunden in ihr helles Licht tauchten. Es war wunderschön und beängstigend zugleich. Die beiden Mädchen blieben eine ganze Weile am abschüssigen Ufer der Insel stehen und betrachteten das fantastische Naturschauspiel, das sich mehr und mehr entfernte. Alles schien seltsam unwirklich, bis auf die Wärme ihrer Hände, die fest ineinander lagen, während ihre Atemwolken sich im stürmischen Wind zerstreuten. Als Sakura eine gefühlte Ewigkeit später wieder unter ihren mollig warmen Futon kroch und Ringo gute Nacht gewünscht hatte, beschloss sie, dass sie diese Nacht nie vergessen würde. „Wow, das T-Shirt ist ja cool“, sagte Mashio. Sakura und Ringo lächelten sich zufrieden an. Sie saßen alle drei im Wohnzimmer um den Weihnachtsbaum. „Das ist klasse“, grinste Mashio und tätschelte Ringos Kopf. Seine kleine Schwester kicherte glücklich. Er zog ein Geschenk unter dem Baum hervor und drückte es Ringo in die Hand. „Hier, das ist für dich“, erklärte er. Sie riss eilig das grüne Geschenkpapier auf und legte einen großformatigen Kalender frei, auf dessen Titelbild sich zwei kleine Eisbären im Schnee tummelten. Darunter prangte der Titel „Tierkinder der Arktis und Antarktis“. „Waah, wie süß!“, rief die Rothaarige begeistert. Mashio grinste verschmitzt. „Ich wusste, dass er dir gefallen würde.“ Ringo umarmte ihn überschwänglich. Dann griff sie unter den Baum und zog ein kleines, mit viel zu viel Tesafilm verklebtes Geschenk in zerknittertem rosa Papier hervor und hielt es Sakura hin. „Hier, für dich“, lächelte sie. Sakura war erstaunt, machte sich jedoch sofort ans Auspacken und förderte schließlich eine Kette mit einem Anhänger in Form eines Pinguins zutage. „Wie süß“, lächelte sie. Ringo strahlte: „Soll ich sie dir umbinden?“ „Au ja!“ Sakura ließ sich die Kette umbinden, so dass der Pinguin auf ihrem Schlüsselbein ruhte. Dann überreichte sie Ringo ihr Geschenk: Eine große rosa Karte mit einer weißen Frauengestalt im Kimono darauf. Ringo sah die Karte erstaunt an. „Das ist doch eine von deinen magischen Karten!“, rief sie aus. Sakura zwinkerte ihr zu und stand auf. „Das ist Snowy, die Karte, mit der ich es schneien lassen kann“, erklärte sie. Sie griff nach einem zweiten Anhänger, der um ihren Hals baumelte. „Gib das Siegel frei!“, murmelte Sakura, woraufhin der Anhänger zu dem Stab anwuchs, den Ringo schon zuvor bei ihr gesehen hatte. Sie hob den Stab. „Card Captor Sakura ruft dich! Erscheine, Snowy!“ Ein eiskalter Windhauch fegte durch den Raum und dann fielen die ersten Flocken von der Decke und bedeckten in Sekunden den kleinen Tannenbaum. Ringo jauchzte und versuchte, ein paar der Schneeflocken mit den Händen zu fangen. Yuki, die bis dahin ruhig gewesen war, begann laut zu schnattern und schien sich über die Kälte zu freuen. Auch Mashio war sichtlich beeindruckt. „Es ist so schade, dass wir keine weiße Weihnacht hatten. Auch wenn es nicht viel ist und der Schnee gleich wieder schmilzt, wollte ich dir irgendwas schenken, Ringo-chan“, erklärte Sakura verlegen. Die Rothaarige umarmte sie stürmisch. „Danke! Das ist das schönste Geschenk, dass du mir machen konntest“, rief sie. Sakura errötete. Danach packten sie alle zusammen das Geschenk für Yuki aus: ein rosa Schleifchen mit einem Schmetterling aus Perlen am zentralen Knoten, das sie dem Pinguin vorsichtig umknoteten. Yuki schien es zu gefallen, denn sie schnatterte vergnügt und watschelte mit der Schleife einmal um den Tisch, um sie zu präsentieren. Später fuhr Mashio die beiden Mädchen mit dem Boot über das stille Wasser unter dem strahlenden Himmel des ersten Weihnachtstages hinüber zum Festland, wo Sakuras Vater bereits ungeduldig auf sie wartete. Ringo und Sakura verabschiedeten sich mit einer kurzen Umarmung, versprachen sich aber, sich so bald wie möglich wieder zu besuchen, bevor Sakura ins Auto stieg. Sie winkte noch eine Weile, während die Silhouette von Ringo neben ihrem Bruder und Yuki am Anleger immer kleiner wurde, dann lehnte sie sich in ihrem Sitz zurück und lächelte voller Vorfreude auf das nächste Treffen. Kapitel 41: Momoko und Asuka - Eine verregnete Skifreizeit ---------------------------------------------------------- Von Hier haben wir schon zum dritten Mal in Folge ein Wunschpairing vorliegen. Dieses Paar wurde uns von vorgeschlagen. Dass es sich dabei um Shôjo-Ai handelt, stört euch hoffentlich nicht. Ich betrete mit dieser Geschichte in der Hinsicht auch irgendwo Neuland, weil (wie ihr sehen werdet) diese Story doch etwas expliziter wird als z.B. die rein platonische Beziehung von Mai und Yui (Story 28) oder die eher freundschaftliche Zuneigung von Ringo und Sakura (Story 40). Ich freue mich auf jeden Fall, wenn ihr die Geschichte lest und ein paar Kommentare dalasst. Die Story diesmal stammt übrigens komplett von Ditsch, auch wenn ich ein paar Sachen aus Logikgründen oder weil es anders besser passte wieder geändert habe. Entschuldige, dass ich immer Änderungswünsche hatte… Danke, dass du die Story für mich entwickelt hast und auch Danke für’s Betalesen ^^ So, und jetzt geht’s los mit der Geschichte: Eine verregnete Skifreizeit Die Pension „Igokochi“ war eines der wenigen Häuser in Sanyama. Etwas heruntergekommen sah sie schon aus – die Wände waren einmal weiß gewesen, hatten jetzt aber ein unansehnliches Grau und das hölzerne Schild über dem Eingang, das den Namen des Gasthauses trug, war an den Rändern abgestoßen und dunkel verfärbt. Die Gitter vor den Fenstern von Küche und Bad waren alt und hatten Rost angesetzt, die Treppe zum Eingang war ausgetreten und das Dach schon wiederholte Male mit andersfarbigen Ziegeln ausgebessert worden. Betrat man die Pension, wurde man jedoch positiv überrascht: Die Einrichtung bestand aus hellem, robustem Holz, die Räume waren mit neuen Tatamimatten ausgelegt, das Bad funkelte frisch poliert und der Parkettboden im Eingangsbereich und in den Fluren knarzte nicht und glänzte gesund. Dennoch war Momoko Hanasaki alles andere als zufrieden, als sie die Tür zu dem kleinen Doppelzimmer aufstieß, in dem sie die folgende Woche verbringen sollte. Es war ein einfaches Zimmer, ausgelegt mit vier Tatamimatten. Die linke Wand wurde von einem großen Schrank eingenommen, dessen weiße Tür leicht nach innen eingedrückt war. An den anderen Wänden hatte jemand schlecht eingerahmte Bilder mit kitschigen Schneelandschaften aufgehängt. Von der Decke baumelte eine alte Lampe mit Leuchtstoffröhre. Momoko drehte sich um, als ein weiteres Mädchen den Raum betrat. Asuka Tenjôin hieß sie, eine junge Frau mit langem blonden Haar, die sie freundlich anlächelte. „Auf eine schöne Woche zusammen“, sagte sie und verbeugte sich ansatzweise. Ihr enger, schwarzer Rollkragenpullover betonte ihre hochgewachsene, schlanke Gestalt. Momoko erwiderte die Geste nur widerwillig und warf der Blonden einen misstrauischen Blick zu, als diese ihr den Rücken zuwandte, um den Schrank zu öffnen. „Du heißt Hanasaki, nicht?“, fragte Asuka und förderte ein kleines Handtuch und eine kleine Plastikschüssel mit Haarshampoo, einem Schwamm und Duschgel zutage. „Ja“, sagte Momoko knapp. Asuka drehte sich wieder zu ihr um. „Ich gehe jetzt ins Bad. Wir werden uns sicher nachher beim Essen sehen und Gelegenheit haben, uns näher kennenzulernen“, verkündete sie freundlich. Sie schlüpfte galant in ihre Pantoffeln und verschwand mit selbstsicherem Gang den Flur hinunter zur Treppe ins Erdgeschoss. Momoko schaute ihr nach und kam nicht umhin, sie insgeheim zu bewundern, weil sie nicht nur eine Wahnsinnsfigur hatte, sondern auch noch sehr nett zu sein schien. Ärgerlich schüttelte sie den Kopf, schlüpfte ungeschickt in ihre Hauspantoffeln und eilte zwei Zimmer weiter, wo ihre besten Freundinnen Yuri und Hinagiku gerade ihre Taschen auspackten. „Yuri-chaan! Hina-chaan!“, rief sie weinerlich und stolperte in den Raum. Drei andere Mädchen, die ebenfalls in dem Acht-Tatami-Raum saßen und in einer Ecke des Zimmers mit einem Kartenspiel begonnen hatten, sahen verblüfft auf. Yuri und Hinagiku ließen sich nicht davon abbringen, weiter in ihren Taschen zu wühlen. Yuri war ein hübsches Mädchen mit rötlichem Haar, das ihr auf den Schultern lag, und sehr feinen Gesichtszügen. Hinagikus hellgrüne Strähnen hingen ihr etwas unordentlich ins Gesicht und verdeckten die scharf geschnittenen braunen Augen zur Hälfte, während sie einen Packen Höschen in den Schrank verfrachtete. „Was ist denn los, Momoko-chan?“, fragte Yuri gelangweilt. Die rosahaarige Momoko ließ sich mit den Knien auf den Boden fallen und sah ihre Freundinnen gequält an. „Das ist gemein. Wir wollten doch alle in ein Zimmer!“, jammerte sie. Yuri seufzte leise. Hinagiku legte ihr letztes Paar Socken in den Schrank und klappte dann ihre Reisetasche zu. „Mensch, reg dich doch nicht so auf. Du kannst jederzeit in unser Zimmer kommen, und außerdem sehen wir uns doch sowieso den ganzen Tag auf der Piste!“ Die Mädchen in der Ecke nickten beiläufig und nahmen ihr Spiel wieder auf. „Ihr seid gemein!“, rief Momoko und riss theatralisch die Hände in die Luft. „Nein, du machst nur viel zu viel Theater daraus“, erwiderte Yuri ungerührt. Momoko sprang heftig auf beide Füße und ballte die Fäuste. Ihre beiden Freundinnen sahen sich nur kopfschüttelnd an. „Wisst ihr was? Dann rede ich jetzt gar nicht mehr mit euch!“, rief die Rosahaarige aufgebracht und stampfte so laut wie möglich über den Flur in Richtung Treppe. „Hanasaki! Mach hier nicht so einen Lärm!“, rief ihr die Sportlehrerin aus der geöffneten Tür des Nebenzimmers hinterher. Momoko ignorierte das. Dabei hätte es so schön werden können, dachte sie, als sie ihre große grüne Reisetasche die Treppe in den ersten Stock hochschleppte. Der Skikurs ihrer Schule fuhr für eine Woche in die Berge und sie und ihre beiden besten Freundinnen waren dabei. Sie hievte die Tasche in ihren Raum, schlüpfte aus ihren Pantoffeln und öffnete den Schrank, in dem sie achtlos den gesammelten Inhalt ihres Gepäcks stapelte. Wieso war es eigentlich so gekommen? Zwei Monate zuvor war die Fußballmannschaft ihrer Schule, der Hanazono-Mittelschule, überraschend in die regionalen Meisterschaften eingezogen. Diese würden ausgerechnet am folgenden Wochenende, noch während der Freizeit, stattfinden. Da der Trainer auf verstärkten Trainingseinheiten gerade während der Woche vor der Meisterschaft – der Woche der Skifreizeit – bestanden hatte, waren die einzigen fünf Jungen, die hatten mitkommen wollen, abgesprungen. Die Sportlehrerin hatte sofort zwei Zimmer abbestellt, aber bei ihrer Ankunft hatte sich dann herausgestellt, dass der Sohn des Herbergsvaters es offenbar so verstanden hatte, dass die ganze Gruppe nicht mehr anreisen würde. So waren zu viele Zimmer belegt gewesen, um alle zwölf Mädchen und ihre Lehererin unterzubringen. Selbst, wenn man in jedes der noch freien Zimmer einen zusätzlichen Futon gelegt hätte, wäre eine Person übriggeblieben. Und da war Asuka Tenjôin ins Spiel gekommen. Die Sechzehnjährige war mit einem Freund in einem Doppelzimmer der Herberge untergebracht und hatte, als sie von dem Problem mitbekam, angeboten, dort auch noch einen weiteren Futon auszulegen. Die Lehrerin war natürlich dagegen gewesen, eine ihrer Schülerinnen zusammen mit dem Freund des Mädchens, einem 18-jährigen Jungen, in ein Zimmer zu lassen. Beinahe wären sie also unverrichteter Dinge wieder abgereist, wenn da nicht der Herbergsvater die Idee gehabt hätte, dass sein Sohn (der ja schließlich Schuld an dem Missgeschick war) dem Jungen einen Platz in seinem Privatzimmer freimachen konnte, so dass eine der Schülerinnen ohne Vorbehalte in das Zimmer von Asuka ziehen konnte. Sie hatten – da die ursprüngliche Zimmeraufteilung sowieso nicht mehr hinkam – alle Plätze ausgelost. Zu Momokos grenzenloser Enttäuschung waren zwar Yuri und Hinagiku in einem der beiden Fünferzimmer gelandet, sie selbst hatte aber das Zimmer von Asuka erwischt. Das hieß, dass sie immer in ein anderes laufen musste, um überhaupt mit jemandem zu reden, den sie kannte, und ab 22 Uhr galt Nachtruhe, in der die Zimmer nur noch zum Gang auf die Toilette verlassen werden sollten. Zudem lag das Zimmer ihrer Sportlererin, Frau Manabe, zwischen ihrem und denen der anderen Mädchen, sodass sie kaum hoffen konnte, sich unbemerkt daran vorbeizuschleichen. Schlechter als sie hatte es wahrscheinlich nur noch Sachiko Hamagawa, die sich das Zimmer mit der Lehrerin teilen musste. Aufgebracht ließ sich Momoko auf den Boden fallen und verschränkte die Arme. Das würde ja eine wahnsinnig spannende Woche werden! Am nächsten Tag sah alles schon ein bisschen besser aus, zumindest auf der emotionalen Seite. Während schon am frühen Morgen der Himmel wolkenverhangen war und bereits beim Frühstück die ersten Regentropfen gegen die Scheiben klatschten, war Momoko übermäßig guter Laune. Am Vorabend waren Yuri und Hinagiku zu ihr ins Zimmer gekommen und sie hatten sich wieder vertragen. Asuka war erst nach 22 Uhr dazugekommen und hatte Momoko nur noch eine gute Nacht gewünscht, bevor sie sich beide schlafen gelegt hatten. Beim Frühstück im kleinen Essenssaal im Erdgeschoss waren alle guter Laune und voller Vorfreude auf das Tagesprogramm. Momoko redete die ganze Zeit mit ihren beiden Freundinnen, was Asuka vom Nebentisch amüsiert beobachtete. „Was schaust du die ganze Zeit zu den Mädchen da?“, fragte Ryô Marufuji, ihr 18-jähriger Begleiter, gelangweilt. „Ich bin ein bisschen neidisch“, gab Asuka zu, „ich habe an der Akademie zwar auch Freundinnen, aber die drei sehen mir aus wie welche, die zusammen durch Dick und Dünn gehen.“ „Ich würde nie auf drei gackernde Mittelschülerinnen neidisch sein“, kommentierte Ryô trocken. Als sie schließlich abends zusammen mit den anderen Mädchen ihrer Skigruppe von einer langen Wanderung zurückkehrte, hatte sich Momokos Stimmung dem Wetter angepasst. Es hatte den ganzen Tag über weitergeregnet, und so sah sie auch aus. Sie war von oben bis unten durchnässt, als sie das gemeinsame Zimmer betrat, wo Asuka gerade ihre Haare föhnte. Sie schaltete das laut röhrende Gerät aus, um Momoko anzusprechen: „Willkommen zurück. Du siehst ganz schön nass aus.“ „Ach nee...“, gab Momoko etwas miesepetrig zurück und pellte sich aus ihrer rosa Winterjacke. „Das ist doch gemein! Wir kommen zum Skifahren her und stattdessen müssen wir den ganzen Tag im strömenden Regen durch die Gegend latschen! Das ist so doof!“, beschwerte sich die Rosahaarige. Asuka lächelte vorsichtig und strich sich mit den Fingern durch die blonden Strähnen. „Der Wettervorhersage zufolge wird es über Nacht wieder kalt genug für Schnee. Vielleicht könnt ihr dann endlich Ski laufen“, sagte sie freundlich. Momoko seufzte, während sie sich ihrer Skihose, anschließend auch ihres T-Shirts und BHs entledigte, um sich ihr Schlafanzugoberteil überzustreifen. Asuka musterte sie besorgt. „Willst du gar nicht baden?“, fragte sie. Momoko schüttelte den Kopf. „Ich bin viel zu müde“, murmelte sie und wechselte dann in ihre Schlafanzughose. „Ich hab nicht mal mehr Hunger auf Abendessen“, setzte sie träge hinzu und zerrte dann ihren Futon aus dem Schrank, um sich unter der dicken Decke auszubreiten. „Du wirst noch krank“, mahnte Asuka. Momoko schien schon fast eingeschlafen. „Ach was, ich bin hart im Nehmen...“, murmelte sie leise. Asuka beobachtete, wie sie schon im nächsten Moment ruhig zu atmen begann. Sie schaltete den Föhn wieder an. Zwischendurch überlegte sie noch kurz, ob sie Momokos nasse Haare nicht auch noch anföhnen sollte, aber damit hätte sie sie wahrscheinlich nur wieder aufgeweckt und so gut kannten sie sich auch wieder nicht. Außerdem kam Ryô in den Raum, kaum dass sie mit ihren eigenen Haaren fertig war, um ihr zu sagen, dass es Essen gab. Als sie wiederkam, schlief Momoko tief und fest, sodass sie beschloss, sie nicht weiter zu stören und sich mit Ryô in den Aufenthaltsraum zurückzog. „Momoko-san, steh auf!“ Die Rosahaarige schlug die Augen nur langsam auf, blinzelte und ließ sie dann wieder zufallen. Sie konnte nur einen kurzen Eindruck erhaschen, der ihr sagte, dass Asuka sich über sie gebeugt haben musste. „Will nicht...“, murmelte sie. Sie hatte das Gefühl, dass sie nicht hätte aufstehen können, selbst, wenn sie es versucht hätte. „Momoko-san, es ist schon halb acht! Das Frühstück fängt in fünf Minuten an!“, sagte Asuka eindringlich. „Das... kann dir doch egal sein...“, murmelte Momoko. Sie wollte eigentlich nur wieder einschlafen. „Wenn ich als deine Zimmerkameradin nicht auf dich aufpasse, wer dann? Los, komm schon!“, kam es streng zurück. Momoko schüttelte den Kopf. „Ich will nicht... ich fühl mich so so schwach... und mir ist heiß...“ Asuka schwieg, dann spürte Momoko auf einmal eine eiskalte Hand auf ihrer Stirn. Sie quietschte leise. „Oh mein Gott, du hast schlimmes Fieber!“, stieß Asuka aus. Momoko blinzelte. „Nee, oder?“ Sie hörte, wie Asuka aufstand. „Ich habe doch gesagt, dass du dich erkältest! Also gut, ich sage deiner Lehrerin Bescheid, dann sehen wir, was wir mit dir machen.“ Momoko blieb nichts anderes übrig, als leise ihre Zustimmung zu geben. „Ich sagte, ich passe auf sie auf!“ Momoko schrak aus ihrem seichten Schlaf, als sie Asukas Stimme überlaut auf dem Flur widerhallen hörte. „Das ist doch Blödsinn. Soll sich doch die Lehrerin um sie kümmern. Es reicht schon, dass ich mir das Zimmer mit einem schnarchenden Idioten teilen muss“, erklang die genervte Stimme ihres Begleiters, Ryô. „Komm schon, Ryô. Ob wir nun zusammen ins Dorf gehen oder du alleine macht doch keinen Unterschied.“ Momoko setzte sich vorsichtig im Bett auf und lauschte besorgt. So viel hatte sie mittlerweile verstanden, dass es um sie ging. Sie stand auf und tapste zur Tür, obwohl sich ihre Beine wie Pudding anfühlten. „Also gut, wenn du darauf bestehst, kann ich auch allein ins Dorf gehen. Wenn du den Tag mit Krankenpflege verbringen möchtest, halte ich dich nicht auf“, sagte Ryôs Stimme. Momoko schob die Tür zu ihrem Zimmer auf, als der Junge sich gerade zum Gehen gewandt hatte. Sowohl er als auch Asuka wandten sich erstaunt um. „Momoko-san!“, rief Asuka. Momoko klammerte sich am Türrahmen fest, um mehr Halt zu gewinnen. „Streitet euch doch nicht meinetwegen“, bat sie mit schwacher Stimme. Asuka eilte zu ihr. „Du musst liegen bleiben! Du glühst ja regelrecht!“, rief sie. „Gut, kümmere dich um sie. Ich gehe dann los“, sagte Ryô. „Nein, das geht doch nicht! Asuka-san, geh mit ihm mit! Ich komme schon irgendwie klar!“, bat Momoko. Sie versuchte, sich aus Asukas Griff zu befreien und die Blonde wieder auf den Flur zu schubsen, dabei gaben ihr jedoch die Beine nach und sie sank auf den Boden. Asuka ging vor ihr in die Hocke. „Hey, ich habe deiner Lehrerin gesagt, dass ich auf dich aufpasse, also tue ich das auch“, sagte sie ernst. „Außerdem sind Asuka und ich in der Schule auch immer zusammen. Es ist ja nicht so, dass ich unbedingt mit ihr zusammen bleiben muss“, meinte Ryô kühl. Momoko blinzelte ihn verwirrt an. „Asuka hat recht, eine Kranke sollte man nicht allein lassen. Ich komme wahrscheinlich gegen Mittag wieder und bringe Fieberpflaster und was zu Trinken mit.“ Momoko kam nur ein schwaches „Aber...“ über die Lippen, was jedoch nicht reichte. Ryô drehte sich um und verschwand die Treppe hinunter. „Bis nachher“, rief ihm Asuka noch kurz nach. Dann beugte sie sich sorgenvoll über Momoko. „Und jetzt zu dir. Du musst unbedingt wieder ins Bett, sonst wirst du nie gesund...!“ Nachdem sie Momoko wieder in ihren Futon gesteckt hatte, verschwand Asuka kurz in die Küche der Pension, um bald darauf mit einem kleinen Tablett wiederzukommen. Darauf standen eine Kanne mit dampfendem Tee, eine Flasche Honig, eine Schale Reis, ein Styroporbehälter mit Nattô-Bohnen und ein paar Fischkekse in einer Holzschale. Asuka setzte das Tablett neben Momokos Bett ab und ließ sich auf einem Sitzkissen daneben nieder. „Wie geht es dir jetzt?“, fragte sie. „Besser“, sagte Momoko leise. „Zumindest ein bisschen…“ Sie richtete sich im Bett auf. Asuka goss ihr Tee in eine Tasse und tropfte etwas Honig hinterher. Momoko begann langsam und vorsichtig zu trinken. „So wie du gestern hier ankamst, vermute ich fast, dass du da schon fast krank warst. Wenn du heute viel schläfst und dich ausruhst, bist du morgen wieder fit“, sagte Asuka zuversichtlich. Momoko setzte die Tasse ab und drehte sie zwischen ihren Fingern. „Es ist echt nett, dass du dich um mich kümmerst, obwohl wir uns doch eigentlich gar nicht kennen…“ „Das hat doch damit nichts zu tun.“ Momoko starrte nachdenklich an die Decke. „Na ja, eigentlich nicht, aber ... Nicht viele Leute würden sowas tun. Auch schon, dass ich in deinem Zimmer schlafen darf.“ Asuka bot ihr schweigend einen der Fischkekse an, den Momoko dankbar entgegennahm. „Ich helfe eben gern anderen Leuten. An meiner Schule übertragen mir die Lehrer auch viel Verantwortung und viele kommen zu mir, wenn sie Rat wollen. Ich bin es gewohnt, anderen unter die Arme zu greifen“, erklärte Asuka. „Bist du etwa im Schülerrat oder so?“, fragte Momoko neugierig. „Nein, sowas gibt es an meiner Schule nicht.“ „Was ist das denn für eine Schule?“ „Eine Duellanten-Spezialschule, die die drei Klassenstufen der Oberschule umfasst. Auf der Schule gibt es nur Leute, die das Kartenspiel DuelMonsters absolut lieben!“ „Ein Kartenspiel?“ Momoko setzte ihre mittlerweile leere Teetasse auf dem Tablett ab und griff nach der Schale Reis, die sie im Eiltempo zu leeren begann. „Dass du solchen Appetit hast, ist ein gutes Zeichen“, kommentierte Asuka. Dann begann sie wieder mit ihrer Ausführung: „DuelMonsters ist kein normales Kartenspiel. Es gibt fast unendlich viele Karten, die man sammeln und zusammenstellen kann, um ganz unterschiedliche Strategien zu verfolgen und damit den Gegner zu schlagen. Das Grundprinzip ist, Monster zu beschwören, die man dann gegeneinander kämpfen lässt, aber man kann sie zum Beispiel stärker machen oder versuchen, mit Zauber- und Fallenkarten die Monster des Gegners zu vernichten oder ihnen Nachteile zu verschaffen.“ Momoko setzte die leere Schale ab und wischte sich zwei verirrte Reiskörner von den Lippen. „Klingt interessant. Und das lernt ihr an eurer Schule?“ „Die Grundregeln muss man natürlich schon vorher kennen, aber wir vertiefen an der Akademie unser Wissen und lernen neue Strategien kennen. Außerdem gibt es immer mal wieder Gelegenheiten, Mitschüler herauszufordern und sich im Duell zu messen.“ „Du magst Duellieren, oder?“, fragte Momoko, die beobachtet hatte, wie Asuka beim Sprechen immer breiter lächelte und ihre Augen zu glänzen begannen. Asuka lachte. „Na klar!“ Momoko schloss kurz die Augen. Ihr war ein bisschen schwindelig. Trotzdem wollte sie das Gespräch fortführen. „Dieser Junge, der bei dir ist... mit den dunklen Haaren…“ „Er heißt Ryô Marufuji. Er ist zwei Klassen höher als ich und der beste Duellant der Schule, deshalb wird er von allen Kaiser genannt. Außerdem ist er ein guter Freund meines Bruders.“ „Wow... und warum seid ihr zusammen hier in der Pension? Oder sind hier noch mehr von eurer Schule?“ „Nein, das ist sowas wie die Belohnung für unsere guten Noten. Wir beiden sind die besten Schüler, also hat uns unser Schulleiter diesen einwöchigen Skiurlaub spendiert.“ „Ach so!“ „So, und jetzt legst du dich am besten wieder schlafen“, schlug Asuka vor und drückte Momoko vorsichtig wieder auf die Matratze. Die Rosahaarige ließ das zu, sah Asuka dann aber auffordernd an. „Ich bin gar nicht müde. Wieso erzählst du mir nicht mehr von deiner Schule und diesem Kartenspiel?“ Asuka wechselte aus der knienden Position in den bequemeren Schneidersitz und grinste. „Mach ich gerne. Aber wenn du schlafen willst, sag bloß Bescheid!“ Im Laufe des Vormittags nickte Momoko dann doch wieder ein. Asuka blieb still neben ihr sitzen, betrachtete sie lange und holte dann die Metallbox heraus, in der sie ihre DuelMosters Karten aufbewahrte. Sie ging die Karten durch, sortierte und legte hin und wieder ein paar Karten zum Überblick nebeneinander. Zwischendurch überprüfte sie immer wieder, ob es Momoko gut ging. Das Fieber blieb zwar, aber die 14-Jährige schien keine Schmerzen zu haben und lächelte sogar zeitweise im Schlaf. Gegen elf Uhr wachte sie wieder auf, ging kurz zur Toilette und legte sich dann wieder unter ihre Decke. Asuka sammelte ihre Karten zusammen und legte sie wieder in die Sammelbox. „Sind das diese Karten?“, fragte Momoko neugierig. „Ja, willst du mal sehen?“, fragte Asuka und hielt ihr eine dunkelviolette Karte hin, auf der eine Frau mit blauer Haut und roter, hautenger Kleidung abgebildet war. Momoko erhob sich halb, um die Karte entgegenzunehmen. „‘Cyber Blader‘“, las sie vor, „‘Krieger/Fusion/Effekt. «Etoile Cyber» plus «Blade Skater». Wenn dein Gegner nur ein Monster auf dem Feld hat, wird diese Karte nicht im Kampf zerstört. Wenn dein Gegner nur zwei Monster auf dem Feld hat, verdoppele die ATK dieses Monsters. Wenn dein Gegner nur drei Monster auf dem Feld hat, negiere die Effekte aller Zauber-, Fallen- und Effektmonsterkarten.‘ … Was bedeutet ‚Fusion‘? Und was hat es mit dem ‚Effekt‘ auf sich?“ „Man kann zwei Monster miteinander zu einem neuen verschmelzen. Dazu braucht man diese Karte hier.“ Asuka zückte eine grüne Karte mit dem Bild eines Wirbels aus Orange und Blau. „Die Karte heißt Fusion und kann zwei Monster verschmelzen. Allerdings nur, wenn man die Fusionsmonsterkarte hat, die aus den Monstern entsteht, die man verschmilzt.“ Momoko nickte langsam, wirkte aber nicht so, als habe sie wirklich verstanden, was Asuka soeben erklärt hatte. „Weißt du was? Wir können ja einfach eine Partie spielen, dann verstehst du es leichter. Auch das mit dem Effekt“, schlug Asuka vor. Sie zog einen Stapel Karten aus einer kleinen grauen Tasche, die im Schrank neben ihrer Kleidung gelegen hatte, und drückte Momoko einen weiteren in die Hand. „Das ist mein altes Eis-Deck, du kannst damit spielen.“ Momoko fächerte die Karten neugierig auf und nickte. „Ähm, ich spiele jetzt diese Fallenkarte…“, sagte Momoko und schickte sich an, eine Karte aus ihrer Hand aufs Spielfeld zu legen. „Halt, stopp! So geht das nicht!“, rief Asuka. Momoko zuckte zusammen. „Wie?“ „Du kannst eine Fallenkarte nicht direkt aktivieren. Du musst sie erst verdeckt aufs Feld bringen und kannst sie dann frühestens in meinem nächsten Zug aktivieren.“ Momoko sah sie weinerlich an. „Wieso ist das so kompliziert!?“, fragte sie. Asuka bemühte sich zu einem freundlichen Lächeln. „Das kommt dir jetzt nur so vor, weil du es das erste Mal spielst. Eigentlich ist es gar nicht so schwierig.“ Momoko ging die drei Karten in ihrer Hand durch und sah dann auf ihr Feld, wo keine einzige Monsterkarte lag. Das war schlecht, so viel hatte sie schon mitbekommen. „Wie war das nochmal mit dem Verteidigungsmodus?“ „Du legst die Karte quer aufs Feld, dann ist sie im Verteidigungsmodus. Dann kannst du keine Lebenspunkte verlieren, wenn das Monster angegriffen wird.“ In Asukas Stimme schwang nicht ein Hauch von Ungeduld mit. „Okay. Dann spiele ich Snow Spirit im Verteidigungsmodus.“ Sie legte die Karte mit dem Bild nach oben quer auf das Spielfeld. „Ähm, jetzt ist mein Zug beendet“, erklärte sie. Asuka seufzte. „Es ist nicht schlau, ein Monster mit so wenig Verteidigungspunkten im Verteidigungsmodus zu spielen, erst recht nicht offen“, sagte sie mit Blick auf das Spielfeld. „Wieso denn?“ Asuka zog eine Karte und lächelte. „Weil ich dich jetzt ganz leicht besiegen kann. Du hast keine Zauber- und Fallenkarten auf dem Feld und nur dieses eine Monster. Außerdem weiß ich, wie stark es ist. Wenn du es verdeckt gespielt hättest, wie das mit Verteidigungsmonstern üblich ist, hätte ich es sicherheitshalber mit Cyber Blader angegriffen, weil ich nicht gewusst hätte, wie hoch die Verteidigungspunkte sind. So kann ich dein Verteidigungsmonster einfach mit Cyber Tutu besiegen und dich dann mit Cyber Blader direkt angreifen. Damit sind deine Lebenspunkte auf Null.“ Sie begann, ihre Karten zusammenzusuchen. Momoko saß mit gesenktem Kopf da. „Tut mir leid, dass ich so schlecht bin“, murmelte sie. Asuka sah auf. Momoko hatte Tränen in den Augenwinkeln. „Ich bin so blöd! Ich kann mir nicht mal die einfachsten Regeln merken!“, schniefte Momoko und wischte sich über die Augen. „Das stimmt doch gar nicht!“, protestierte Asuka sofort. Momoko schüttelte sofort heftig den Kopf. „Du hast mir das mit dem Verteidigungsmodus schon dreimal erklärt und ich bin immer noch zu doof dafür. Du bist bestimmt schon total genervt von den blöden Fehlern, die ich die ganze Zeit mache.“ Asuka legte ihr die Hand auf die Schulter. „Jeder macht doch am Anfang Fehler.“ „Ja, aber ich stelle mich bestimmt blöder an als andere…“ Momoko schien gar nicht mehr mit dem Weinen aufhören zu wollen. „Ich habe am Anfang auch viele Fehler gemacht, weißt du? Außerdem macht es mir Spaß, dir DuelMonsters beizubringen. Wer weiß, vielleicht wirst du ja mal ein Vollprofi!“ Momoko schüttelte ungläubig den Kopf und drückte Asukas Hand weg. „Ich glaube, ich schlafe jetzt wieder“, murmelte sie mit noch immer weinerlicher Stimme und wickelte sich wieder in ihre Decke. „Du kannst so lange auch nach unten gehen, wenn du möchtest.“ Asuka nickte und sammelte ihre restlichen Karten zusammen. Als sie damit fertig war, hatte Momoko ihre Tränen an ihrem Kissen abgewischt und war eingeschlafen. Asuka musste bei diesem Anblick unwillkürlich lächeln. Der nächste Tag brachte nicht den erhofften Schnee, aber zumindest wirkte Momoko wieder fit, als sie aufstand und sich für das Frühstück anzog. Asuka begleitete sie in den Speisesaal, wo sie sich dann mit Ryô an einen kleinen Tisch setzte. Momoko ließ sich zwischen Yuri und Hinagiku nieder, die froh waren, dass es ihr wieder besser ging und sich entschuldigten, dass sie am Vortag nicht mehr in ihrem Zimmer vorbeigeschaut hatten, weil sie Momoko hatten schlafen lassen wollen. Die Lehrerin erklärte nach dem Essen, dass sie aufgrund des immer noch ausbleibenden Schnees alle zusammen zu einem nahe gelegenen Heimatmuseum wandern und den Rest des Tages dann mit dort stattfindenden Workshops verbringen würden. Als die Schülerinnen nach und nach aufstanden, kam Frau Manabe zu Momoko an den Tisch, wo außer ihr noch Yuri und Hinagiku saßen. „Wie geht es dir heute?“, fragte sie. Momoko lächelte vorsichtig. „Ich weiß nicht. Eigentlich fühle ich mich ganz gut.“ „Traust du dir denn zu, die zwei Stunden mit uns zu wandern und den ganzen Tag mit uns den Aktivitäten nachzugehen? Wenn du dich nicht ganz fit fühlst, solltest du vielleicht heute auch noch in der Herberge bleiben.“ Am Nebentisch hatte Asuka aufgehorcht. Ryô verdrehte die Augen. „Ich geh kurz hoch ins Zimmer“, teilte er ihr leise mit und stand auf. Asuka trat zu Momoko, Yuri, Hinagiku und Frau Manabe. „Ich weiß nicht, wie fit ich bin. Eigentlich hat sich Asuka-san sehr gut um mich gekümmert“, sagte Momoko und warf der Blonden einen freundlichen Blick zu. Die Lehrerin sah Asuka an. „Vielen Dank, dass Sie sich um meine Schülerin kümmern können. Eigentlich sollte mein Kollege ja dabei sein, aber er muss seine Jungs auf die Meisterschaft vorbereiten und da wir nur Mädchen und nur 12 Leute sind, wurde genehmigt, dass eine Betreuungsperson ausreicht. Das ist in diesem Fall natürlich etwas problematisch“, erklärte sie schnell. „Keine Sorge, mir macht es nichts aus“, lächelte Asuka. „Du solltest hier bleiben“, meinte Hinagiku zu Momoko, „wenn du noch nicht ganz fit bist, holst du dir bei einer langen Wanderung den Tod.“ Yuri nickte zustimmend. „Ja, dann wäre das wohl besser“, stimmte Momoko zu. Sie sah zu Asuka. „Aber ich glaube, es ist auch kein Problem, wenn ich den Tag allein hier verbringe. So krank bin ich ja nicht mehr.“ „Ach was“, wehrte Asuka ab, „ich bleibe einfach hier und vertreibe dir die Zeit, sonst gehst du noch vor Langeweile ein.“ Frau Manabe schien zufrieden. „Gut, dann seht ihr beiden zu, dass ihr euch für die Wanderung fertig macht“, sagte sie zu Yuri und Hinagiku. Die beiden wünschten Momoko noch einen schönen Tag und machten sich dann auf den Weg zu ihrem Zimmer. Frau Manabe folgte, nachdem sie den beiden zurückbleibenden Mädchen ebenfalls einen schönen Tag gewünscht hatte. Momoko blieb noch sitzen. „Sag mal, bleibt Ryô-san dann auch wieder bei uns im Zimmer?“, fragte sie zögerlich. „Ich denke schon, wieso? Hat er dich gestern Nachmittag gestört?“ Momoko senkte den Kopf. „Das nicht, aber er redet immer so… so geschwollen. Manchmal verstehe ich gar nicht, was er sagt, vor allem wenn er von DuelMonsters spricht, und dann komme ich mir so doof vor. Außerdem glaube ich, er hasst mich.“ „Das interpretierst du falsch. Ryô verlangt einfach viel von anderen, genau wie von sich selbst, und ist deshalb sehr streng. Das heißt aber nicht gleich, dass er dich nicht mag. Er kann nur sehr schwer Gefühle zeigen…“ Momoko seufzte. „Trotzdem fühle ich mich unwohl, wenn er im Raum ist.“ „Dann bitte ich ihn, ein bisschen netter zu sein, ja? Ich möchte ihn wirklich nicht gerne vor den Kopf stoßen, indem ich ihn nicht in unser Zimmer lasse… Als mein Senpai kann ich ihm das nicht zumuten.“ „Okay…“ Momoko stand langsam auf und ging zur Treppe. Asuka folgte ihr eilig und hielt mit ihr Schritt, bis sie bei ihrem Zimmer angekommen waren. Ryô lehnte bereits mit dem Rücken an der Wand daneben. Momoko huschte an ihm vorbei ins Zimmer. „Ryô…“, begann Asuka ernst. „Was ist denn?“, fragte er. Ihm war anzusehen, dass er genervt war. „Momoko hat gerade mit mir gesprochen. Sie fühlt sich in deiner Gegenwart nicht wohl, deshalb möchte ich dich bitten, sie nicht vor den Kopf zu stoßen, indem du sie mit Fremdwörtern und Fachsprache verwirrst“, sagte Asuka sehr ernst. Ryôs Augenbraue zuckte. „Du meinst, ich soll mich auf ihr Niveau herablassen, nur weil sie mich nicht versteht?“, fragte er scharf. Asuka senkte den Kopf. Sie wollte sich nicht mit ihrem Mitschüler streiten, aber andererseits konnte sie Momokos Standpunkt gut verstehen und hatte Mitleid. „Sie ist doch krank, da musst du ihr nicht noch offen zeigen, dass du sie nicht leiden kannst.“ „Ich werde mich jedenfalls nicht verstellen und so tun, als würde ich sie mögen“, meinte Ryô fest. „Aber du hast richtig erkannt, dass ich sie nicht leiden kann. Es ist wohl das Beste, wenn ich in den Gemeinschaftsraum gehe und mich da allein beschäftige. Es ist mir auf jeden Fall lieber, als mit diesem Mädchen in einem Raum zu sein“, fügte er in einem unheimlich desinteressierten Tonfall hinzu, der Asuka einen Schauer über den Rücken jagte. Eigentlich verstand sie sich gut mit ihm, aber wenn sie sah, wie er mit anderen Menschen umging, machte es sie immer wieder wütend. Sie ballte die Fäuste und bemühte sich, ruhig zu bleiben. Er ersparte ihr eine Reaktion, indem er sich plötzlich schwungvoll umdrehte und mit langen Schritten zur Treppe ging. Asuka sah ihn um die Ecke verschwinden, dann holte sie tief Luft, schluckte ihren Ärger herunter und betrat Momokos Zimmer mit einem Ausdruck, den sie für einigermaßen zuversichtlich hielt. Momoko war jedoch bereits wieder eingeschlafen. Asuka setzte sich neben ihren Futon, holte wieder ihre Karten raus und lauschte auf den ruhigen Atem der Jüngeren. Gegen Mittag begann es zu schneien, allerdings merkten Asuka und Momoko das erst, als sie gegen halb zwei zusammen in den Essenssaal gingen, um einen kleinen Mittagssnack zu sich zu nehmen. Momoko entdeckte es zuerst durch das kleine Fenster im Gang. „Schau mal, Asuka-san, es schneit!“, rief sie. „Was?“ Asuka drückte sich neben ihr ans Fenster, wo schwere weiße Flocken in gemächlichem Tempo niedergingen. Sie sahen sich an. Momoko strahlte und auch Asuka glitt ein breites Lächeln über die Lippen. „Endlich“, sagte sie. Sie blieben eine Weile vor dem kleinen Fenster stehen und betrachteten, wie sich der vom Himmel segelnde Schnee mit der bereits vorhandenen dünnen weißen Decke vereinte, die sich über Bäume und Häuser gezogen hatte. „Lass uns nach dem Essen einen Spaziergang im Schnee machen, ja?“, schlug Momoko vor. Ihre Wangen waren vor Aufregung gerötet. Asuka kicherte. „Aber gerne“, sagte sie. Damit sich Momoko auch ja nicht wieder erkältete, nötigte Asuka sie, sich mit Skiunterwäsche, Schneeanzug, extra dickem Pullover, Schal und Mütze komplett einzupacken. Asuka selbst trug einen schwarzen Rolli und eine gleichfarbige Leggins unter ihrem hellblauen Skianzug und zog sich eine weiße Mütze über die Haare. So eingepackt begaben sie sich zum Ausgang der Pension. Als sie an der Tür zum Gemeinschaftsraum vorbeikamen, zögerte Asuka kurz, entschied sich dann aber dagegen, Ryô Bescheid zu sagen. Er musste ja nicht alles wissen, noch dazu würden sie und Momoko ja in der Nähe der Pension bleiben und bald zurück sein. Draußen war alles weiß. Momoko blieb direkt vor der Tür stehen und betrachtete das harmonisch verschneite Bergdorf. Ein paar Leute waren schon vor ihren Häusern mit Schneeschippen beschäftigt und die Hauptstraße entlang war die Schneedecke schon von Autoreifen zerstört. Hinter den Häusern jedoch, wo der Schnee dicht über den Bergen lag, breitete sich eine zauberhafte, glitzernde Winterlandschaft unter einem stahlblauen Himmel aus. Momoko sah seitlich zu Asuka, die von der Szenerie ebenso ergriffen schien. Ihr Atem sammelte sich in weißen Wölkchen in der Luft. Als Asuka ihren Blick bemerkte, lächelte sie freundlich. „Na dann, auf zum Winterspaziergang“, sagte sie munter, hakte sich bei Momoko ein und zog sie vorsichtig die Straße in Richtung der Wanderwege, die in die Berge führten, entlang. Die beiden stapften eine ganze Weile schweigend durch den frischen Schnee und verständigten sich an Weggabelungen nur mit knappen Worten, welche Route sie weiter nehmen wollten. Bäume voller glitzernder Schneekristalle ragten um sie herum in die Höhe, und noch immer fielen die dichten Flocken. Sie waren bereits auf dem Rückweg und der Schnee hatte sich in ein dünnes Nieseln verwandelt, als Asuka auffiel, dass Momoko trotz ihrer dicken Wollhandschuhe die Finger immer wieder gegeneinander rieb. „Ist dir kalt?“, fragte sie verblüfft. Momoko zuckte wie ertappt zusammen. „Ich… meine Fingerspitzen sind so kalt, trotz der Handschuhe“, gab sie verlegen zu. Asuka seufzte. „Ist doch kein Grund, sich zu schämen“, sagte sie. Sie zog beide Handschuhe aus und steckte sie sich in die Jackentaschen. Dann hielt sie Momoko ihre Hände hin. „Los, nimm. Es ist am wärmsten, wenn man sich die Hände gibt.“ Momoko trennte sich zögerlich von ihren Handschuhen und legte ihre Hände in die warmen Finger von Asuka, die sich sofort darum schlossen. „Mensch, du hast ja wirklich kalte Hände“, stieß Asuka aus. Schweigend begann sie, zuerst Momokos Rechte und dann ihre Linke zwischen ihren Handflächen warm zu rubbeln. „Ah, das tut gut“, murmelte Momoko. Asuka grinste und knetete ihre beiden Hände noch ein bisschen mit den Daumen weiter, bevor sie losließ. „Besser, oder?“, fragte sie. „Ja…“ Momoko schickte sich an, ihre Handschuhe wieder anzuziehen, doch bevor sie den zweiten über ihre rechte Hand streifen konnte, nahm Asuka diese Hand und zog sie zu sich herüber, sodass sie ihre ineinander verschränkten Hände in Asukas Jacke vergruben. Momoko kicherte und sah Asuka mit geröteten Wangen an. Sie rückten noch ein wenig näher aneinander und stapften dann langsam weiter. Irgendwann wurde Momoko die Stille zu viel. „Du, Asuka-san… Meinst du, Ryô-san ist böse auf mich, weil du mit mir spazieren gehst und nicht mit ihm?“ Asuka sah die Rosahaarige ungläubig an. „Wieso sollte er?“ „Na ja, er ist doch mit dir hier. Da fahrt ihr zusammen weg und ich dränge mich die ganze Zeit dazwischen…“ Momoko blinzelte sie traurig an. „Und das alles nur, weil ich zu blöd bin, um mich vor einer läppischen Erkältung zu schützen…“ Asuka sah sie verständnislos an. „Mach dir doch keine Vorwürfe! Ich kümmere mich um dich, weil ich das möchte!“ „Ja, aber Ryô-san…“ Momoko schniefte. „Lass… lass uns schnell zurück nach Hause, du musst dich mit ihm vertragen! Ich will nicht, dass du dich mit ihm streitest, weil du dich um mich kümmerst und überhaupt, bestimmt ist er nur so gemein zu mir, weil du dich die ganze Zeit um mich kümmerst und er…“ Immer schneller sprudelten die Worte zusammenhanglos aus Momoko heraus, während sie mit den Tränen kämpfte. Asuka versuchte, etwas zu sagen, doch Momoko redete einfach weiter und entschuldigte sich bei ihr und Ryô und sowieso allen. Schließlich seufzte Asuka, legte ihre Hände auf Momokos Schultern und drückte dem weinenden Mädchen einen plötzlichen, warmen Kuss auf die Lippen. Im ersten Moment war Momoko viel zu überrascht, um zu reagieren. Im nächsten schloss sie die Augen und gab dem forschen Kuss Asukas zögerlich nach und öffnete leicht ihren Mund. Ihr Herz begann heftige Sätze zu machen und ihn ihrem ganzen Körper breitete sich eine wohlige Wärme aus, die nichts mit der viel zu dicken Kleidung zu tun hatte. Viel zu bald löste sich Asuka wieder von ihr. „Jetzt hör auf zu weinen“, sagte sie freundlich. „Ich bin viel lieber mit dir zusammen als mit Ryô, also hör auf, dich schuldig zu fühlen.“ Momoko nickte abwesend und mit gerötetem Gesicht. „Wollen wir weitergehen?“, fragte Asuka. „I- ich… lass uns zurück in die Pension. Meine Zehen sind so kalt“, murmelte Momoko. Asuka legte den Kopf schief, nickte aber. „Okay. Auf geht’s.“ Sie hakte sich, wie schon zu Anfang, bei Momoko unter und die beiden setzten sich langsam in Bewegung. Momoko versuchte dabei, Asuka auf keinen Fall anzusehen. Ihr Herz wummerte noch immer zu schnell. Noch dazu wurde ihr soeben klar, dass ihr der Kuss durchaus gefallen hatte – und das durfte einfach nicht sein. Beide schwiegen, bis sie die Pension erreicht hatten. Sie betraten das Gebäude und legten ihre Schuhe ab, ohne sich anzusehen. Als Momoko ihre Füße endlich aus den dicken Winterstiefeln befreit hatte, wieder in ihre Pantoffeln geschlüpft war und sich aufrichtete, stand Ryô mit verschränkten Armen vor ihr und starrte sie finster an. Wortlos tippte sie Asuka an, die noch halb in ihrem Schuh steckte. Diese schien genau so erschrocken über das plötzliche Auftauchen ihres Mitschülers wie Momoko. „Ah, Ryô… Da sind wir wieder“, sagte sie spontan. Der 18-Jährige zeigte keine Regung. „Wo seid ihr gewesen?“, fragte er kühl. Asuka schlüpfte endgültig aus ihrem Schuh und in die Hauspantoffeln, bevor sie antwortete. Momoko schwieg, eingeschüchtert vom durchdringenden Blick des jungen Mannes. „Wir waren spazieren, um ein wenig den Schnee zu genießen.“ „Ihr hättet mir Bescheid sagen können. Ich wusste nicht wo ihr wart, und ihr wart über eine Stunde nicht aufzufinden.“ Asuka stieg die Absatzstufe hoch, die über dem Eingangsbereich lag. Selbst so war sie noch einen Kopf kleiner als Ryô. „Ich bin dir keine Erklärung schuldig“, sagte sie leise und ging ohne ein weiteres Wort zu verlieren quer durch die Lobby zur Treppe in den ersten Stock. Ryô sah ihr nicht nach, sondern fixierte Momoko. Diese schlug die Hände vor den Mund, als könne er ihr am Gesicht ansehen, dass Asuka sie geküsst hatte. „I… ich … es tut mir leid“, stammelte sie und sprang auf. Sie verbeugte sich eilig und stolperte dann Asuka hinterher. Als sie die Treppe hochhetzte, spürte sie Ryôs stechenden Blick noch immer im Nacken. Asuka hatte sich schon in ihrem Zimmer auf den Boden gesetzt und öffnete gerade ihre Kartenbox, als Momoko die Tür aufschob. „Soll ich dir wieder DuelMonsters beibringen?“, fragte Asuka vorsichtig. Momoko musterte sie kurz. Sie schien weder besonders besorgt noch schuldbewusst zu sein, nur ein wenig verärgert. Doch ihr ging es anders. Sie fühlte sich unglaublich schlecht, weil sich Ryô wegen ihr so abweisend gegenüber Asuka verhielt. Und dabei hatte sie es so deutlich in seinem Blick gelesen, als er sie so finster angestarrt hatte. Asuka gehört mir hatte sein Blick gesagt. Wenn du ihr zu nahe kommst, zerstöre ich dich. „Ich bin müde. Ich glaube, ich lege mich besser wieder hin“, sagte sie leise. Schweigend pellte sie sich aus ihren Kleidungsschichten und legte sich dann unter die viel zu warme Decke, die sie sich halb über den Kopf zog. Asuka beobachtete das und fächerte dann ihre Karten auf. Irgendwann, als sie ihr Deck zum fünften Mal durchgegangen war, stand sie seufzend auf und ließ die schlafende Momoko allein, um ins Erdgeschoss zu gehen. Ryô saß im Aufenthaltsraum an einem der Tische und war in ein Buch vertieft, sah aber sofort auf, als er ihre Schritte und das Geräusch der öffnenden Tür hörte. „Asuka“, stellte er ruhig fest. Sie verzog keine Miene. „Mir war nur langweilig“, sagte sie und ließ sich am Tisch ihm gegenüber nieder. Ryô senkte sein Buch und musterte sie kurz. „Was ist mit dieser Momoko?“ „Sie schläft.“ Asuka malte nachdenklich mit dem Finger Kreise auf den Tisch. „Ich wette, morgen ist sie wieder gesund.“ „Ja“, sagte Ryô nur und vertiefte sich wieder in seine Lektüre. Es war ein Band über die antiken Wurzeln des Kartenspiels DuelMonsters, verfasst vom Geschichtslehrer ihrer Akademie. Asuka schwieg eine ganze Weile und ließ ihren Blick über die Holzstühle, die getäfelten Wände und die Kalligrafien daran gleiten, über die nackten Leuchtstoffröhren an der Decke und den Getränkeautomaten in der Ecke. „Bist du sauer, dass ich mit Momoko allein weggegangen bin?“, fragte sie schließlich zögernd. Ryô sah nicht einmal auf. „Wieso sollte ich? Ich nehme an, ihr hattet euren Spaß. Ich hätte sowieso nicht mit euch beiden mitkommen wollen.“ So gleichgültig seine Stimme auch klang, Asuka spürte darin eine Härte, die sie von Ryô nicht kannte. Sie senkte den Blick. „Du… hättest lieber mit mir allein den Spaziergang gemacht, nicht wahr?“, fragte sie leise. Ryô schwieg, das Gesicht halb hinter dem Buch verborgen. Asuka sah Momoko erst beim Abendessen zusammen mit den anderen Mädchen ihrer Schule wieder. Die Rosahaarige ging ihr jedoch sehr offensichtlich aus dem Weg. Sie setzte sich mit ihren beiden Freundinnen an einen Platz, der möglichst weit weg war von dem, an dem sie mit Ryô saß und blickte kein einziges Mal herüber. Als Asuka später nach dem Baden in ihr Zimmer kam, war Momoko nicht da. Sie kehrte erst pünktlich zur Nachtruhe aus einem der anderen Zimmer zurück und legte sich nach einem denkbar knappen Gutenachtgruß wieder unter ihre Decke. Da es nun geschneit hatte, stand der Skifreizeit der Mädchen ab da nichts mehr im Wege. Am nächsten Morgen machten sich alle bereit und stapften bereits direkt nach dem Frühstück hinter ihrer Lehrerin her in Richtung Piste. Asuka und Ryô, die bereits Ski fahren konnten und gleich mit den schwierigeren Abfahrten begannen, sahen die Gruppe hin und wieder aus der Ferne in einer Reihe Grundbewegungen und leichte Skiübungen machen, aber abgesehen davon begegneten sie sich nicht. Wenn sie mit ihren Skiern über den glitzernden Schnee stob und Ryô folgend mit wehendem Haar den Hang hinabsauste, fiel es Asuka auch gar nicht schwer, nicht mehr an Momoko zu denken. So vergingen die Tage wie im Flug, ohne dass sie noch einmal mehr Worte als „Guten Morgen“ und „Gute Nacht“ mit ihr gewechselt hätte, da sie die Abende im Zimmer ihrer Freundinnen Yuri und Hinagiku verbrachte. Ryô schien das besser zu gefallen und zuweilen blickte er sogar sehr zufrieden, wenn er mit Asuka im Gemeinschaftsraum ruhige Gespräche führte, obwohl er sich immer noch jeden Morgen über den schnarchenden Sohn des Herbergsbesitzers aufregte. So kam der Samstagabend, den Asuka damit verbrachte, zusammen mit Ryô im Fernsehen die Liveübertragung eines DuelMonsters-Duelles zwischen zwei Duellanten aus der Profi-Liga zu verfolgen. Als sie gegen elf Uhr in ihr Zimmer kam, noch immer ein wenig elektrisiert von dem spannenden Match, schlief Momoko natürlich schon. Asuka wechselte in ihren Schlafanzug, ohne das Licht anzuschalten, doch als sie noch einmal den Schrank öffnete, stieß sie mit den nackten Füßen gegen etwas, das sie bei genauerem Hinsehen im schummerigen Halbdunkel des Zimmers als Momokos Reisetasche identifizierte. Sie war fertig gepackt. Als sie mit den Händen in den Schrank tastete, waren nur noch Momokos Kulturtasche und ein kleiner Stapel Kleidung darin. Langsam drehte sie sich zu dem schlafenden Mädchen um. Sie würde also abfahren. Asuka setzte sich auf ihren Futon und schloss die Augen. Vielleicht war es zu voreilig gewesen, Momoko zu küssen. Es war mehr ein Impuls gewesen, ein Mittel um sie zum Schweigen zu bringen und ein wenig zu beruhigen. Aber es war trotzdem ein echter Kuss gewesen, und Momoko hatte sich nicht gewehrt. Trotzdem ging sie ihr seit Tagen aus dem Weg… Asuka zog sich die Decke über den Körper und starrte an die Decke. Sie versuchte, ihre Gefühle einzuordnen. Was war es bloß, das sie verband? Momoko war tollpatschig und hilflos, und gerade deshalb hatte sie das Gefühl, ihr unter die Arme greifen zu müssen. War es also nur Mitleid? Sie verschränkte die Arme hinter dem Kopf und betrachtete Momoko, die im Schlaf irgendetwas vor sich hinmurmelte, das wie „Bridal Flash“ klang. Sie sah wieder zur Decke und schloss dann die Augen. Übermannt von der Müdigkeit des anstrengenden Tages war sie bereits wenige Minuten später eingeschlafen. Am nächsten Morgen erwachte Asuka vom Geräusch der sich öffnenden Zimmertür. Sie fuhr senkrecht aus dem Bett. Momoko stand, bereits fertig angezogen, mit ihrer Reisetasche in der Hand an der Tür, hatte Asukas Bewegung aber wahrgenommen und war wie erstarrt stehengeblieben. „Momoko!“ Asuka schob die dicke Decke zur Seite und kam auf die Füße. Die Rosahaarige blieb stehen und sah offenbar ein, dass es keinen Sinn gemacht hätte, jetzt einfach zu gehen. Asuka ballte die Hände hilflos zu Fäusten. „Ihr reist heute ab?“ „Ja“, kam es leise, fast schuldbewusst zurück. „Du… weichst mir schon seit Tagen aus“, stellte Asuka fest. Endlich fand sie ihre Fassung etwas wieder und verschränkte die Arme. „Was soll ich denn sonst tun? Ich will mich wirklich nicht zwischen dich und Ryô drängen.“ Asuka schüttelte aufgebracht den Kopf und packte Momoko am Handgelenk. Das Mädchen ließ ihre Reisetasche fallen und sah sie aus großen Augen an. „Was hast du die ganze Zeit mit Ryô? Er ist mein Mitschüler und begleitet mich auf dieser Freizeit, mehr nicht!“, sagte Asuka. Sie hielt inne, als sie an Ryôs Schweigen dachte. Du hättest lieber mit mir allein den Spaziergang gemacht, nicht wahr? Er hatte nicht nein gesagt. Verzweifelt schüttelte sie den Gedanken daran ab und sah Momoko wieder fest in die Augen. „Ich habe dich jedenfalls nicht einfach so geküsst! Ich finde dich wirklich süß.“ Momokos Wangen färbten sich schlagartig rot und sie senkte den Kopf. „Aber das… das geht einfach nicht“, sagte sie leise. „Ich kann… ich meine… du bist doch auch ein Mädchen und… außerdem sehen wir uns nicht wieder, wenn du wieder an deine Schule zurückgehst!“ Nachdem sie das gesagt hatte, verfiel Momoko in Stille und starrte auf ihre Füße. Asuka schwieg ebenfalls, nicht in der Lage, etwas zu sagen. „Ich… tut mir leid“, sagte sie schließlich. Momoko hob den Kopf. „Hey, wofür entschuldigst du dich denn?“, fragte sie mit gequälter Leichtigkeit. „Ich habe dich verwirrt, oder?“, fragte sie. Momoko sah sie aus großen Augen an. „Ja, sehr. Aber nicht im negativen Sinne.“ Auf einmal lächelte sie. „Es ist mir nicht unangenehm oder so. Du musst nur einsehen, dass das mit uns nicht funktionieren kann.“ Auf einmal traten ihr Tränen in die Augen. Ihr Lächeln verschwand. Asuka hob unwillkürlich die Hand, um sie irgendwie zu trösten, doch dann fiel ihr ein, dass es keinen Trost gab und sie ließ sie wieder sinken. Sie starrte mit abwesendem Blick auf Momoko, die mit zuckenden Schultern vor ihr stand und der die Tränen wie Sturzbäche aus den Augen rannen. Irgendwann fing sich Momoko wieder, kniff die Augen zusammen und wischte sich mit den Händen ungeschickt darüber. „Ich weine auch immer…“, murmelte sie und sah mit geröteten Augen zu Asuka auf. „Ich… ich muss wirklich gehen. Es war nett, dass du dich um mich gekümmert hast. Aber es wäre Ryô-san gegenüber nicht fair, wenn ich dich weiter in Beschlag nehmen würde, deshalb ist es besser, wenn wir uns nicht mehr sehen.“ Asuka wollte etwas sagen, doch Momoko hauchte ihr nur noch einen schnellen Kuss auf die Wange und stürzte dann auf den Flur. Asuka blieb zurück und ließ sich stumm auf den Boden sinken. Kapitel 42: Yuki und Mikan - Eine wertvolle Erinnerung ------------------------------------------------------ Von Tut mir leid, dass die Geschichte jetzt erst kommt! Wie immer hatte ich es bis zum Ende des Monats aufgeschoben und dann bin ich krank geworden, sodass ich erstmal nicht weiterschreiben konnte U.U Dieses Wunschpaar von hat uns zum Grübeln gebracht. Vor allem der Altersunterschied zwischen den beiden und die Tatsache, dass Mikan kaum aus der Akademie raus kann, hätte uns fast dazu bewogen, das Paar abzulehnen. Schließlich ist uns aber doch noch eine Idee gekommen, die sich storytechnisch wunderbar in die beiden Manga einfügen lässt ;) Und noch eine kleine Ankündigung nebenbei (Es steht zwar schon in der Fanfic-Beschreibung, aber da diese zugegeben recht lang ist, hat es wahrscheinlich noch kaum einer gesehen): Jitsch und ich haben beschlossen, noch bis zur 50. Love-Story weiterzuschreiben, da sie dann ihr Studium beginnt und wahrscheinlich kaum noch Zeit zum Weiterführen der Geschichten hätte. Außerdem gehen uns nach so vielen Geschichten so langsam die originellen Storylines aus ^^" Und wenn ihr Gefallen an unseren Fanfics gefunden habt, könnt ihr ja auch einfach mal in unsere anderen Geschichten reinschauen, über Kommentare freuen wir uns immer ^__^ Eine wertvolle Erinnerung „Wow!“, stieß Mikan begeistert aus. Mit beiden Händen und der Nase am kalten Zugfenster starrte sie auf die auf das riesige Häusermeer das sich vor ihr ausbreitete. Traditionell japanische Gebäude standen neben Werken modernster Architektur, kleine Hütten neben himmelhohen Geschäftstürmen. Auch wenn schon einige ihrer Freunde dem neunjährigen Mädchen von der abenteuerlichen Großstadtwelt erzählt hatten, war sie nun doch völlig von diesem Anblick überwältigt. Zwar war sie schon oft mit ihrem Großvater in der Stadt gewesen, die ihrem Dorf am nächsten lag, doch diese war – auch wenn sie ihr immer so groß vorgekommen war – im Gegensatz zu dem, was Mikan nun erblickte, nichts weiter als eine kleine Ansammlung von Häusern. Aufgeregt drehte die Grundschülerin sich zu ihrer Sitznachbarin um, die in eine Modezeitschrift vertieft war. „Haben Sie so was schon mal gesehen?“, fragte sie mit leuchtenden Augen, wobei ihr ausgestreckter Arm fast schon anklagend aus dem Fenster zeigte. Die Angesprochene hob ihren Blick nur minimal und fragte in sarkastischem Ton: „Was, eine Stadt?“ Mikan nickte begeistert. Die junge Frau sah sie zweifelnd an. „Wer hat das nicht?“ Fast, als sei sie stolz darauf, verkündete Mikan strahlend: „Ich! Ich bin zum ersten Mal in der Stadt.“ „Schön“, murmelte die Frau in einem Ton, der genau das Gegenteil zu sagen schien. Mikan bemerkte das Desinteresse ihrer Gesprächspartnerin jedoch gar nicht, ja, schien im Grunde überhaupt nicht auf das zu achten, was diese überhaupt sagte. Schon sprudelte ein erneuter Schwall von Worten aus ihr heraus und ertränkte die arme Frau komplett, die den Anschein hatte, als wolle sie am liebsten einen lauten Schrei ausstoßen. Dann, endlich, wurde angekündigt, dass der Zug bald am Hauptbahnhof von Atsugi angekommen sei. So schnell wie möglich – und viel früher als nötig – steckte die Frau ihre Zeitschrift in ihren Rucksack und eilte davon. Mikan sah ihr traurig hinterher (zu gerne wäre sie auch hier ausgestiegen!) und wandte dann ihren Blick wieder aus dem Fenster. Zwar konnte sie, wenn sie nach oben blickte, erahnen, dass ein Großteil des Bahnhofsgebäudes aus Glas bestand, doch strömten in diesem Moment so viele Menschen über den Bahnsteig, dass sie von ihrem Standpunkt aus die Stadt nicht sehen konnte. Dabei hatte sie sich noch gar nicht sattgesehen an all den Dingen, die es dort draußen zu entdecken gab. All die Formen und Farben, die so anders waren als all das, was es in ihrem Dorf zu sehen gab! Dort waren doch alle Häuser gleich groß, die Wege gleich dreckig, ja, selbst die Leute schienen sich auf irgendeine Weise alle zu ähneln, ganz im Gegensatz zu den bunten Figuren, auf die Mikan hier kurze Blicke erhaschen konnte. Zwar hatte Mikan Angst vor all dem Unbekannten, dennoch spürte sie in diesem Moment einen winzigen Funken Hoffnung in sich, diesen zwei Tagen bei ihrer Tante vielleicht doch noch etwas abgewinnen zu können. Und das war immerhin schon ein Fortschritt: Seit ihr Großvater am Vorabend eröffnet hatte, dass er diese Tage wegen einer Untersuchung im Krankenhaus verbringen müsste, hatte sie nichts Positives an dieser kurzfristigen Reise – noch dazu zu einer Person, die sie erst ein- oder zweimal in ihrem Leben getroffen hatte – finden können. Sie machte sich große Sorgen um ihren Opa. Er war immerhin nicht mehr der Jüngste und hatte schon öfter das ein oder andere kleine Leiden gehabt. Er hatte ihr zwar immer wieder gesagt, dass ihm schon nichts passieren würde und dass es nur eine Routine-Untersuchung war, doch Mikan – die seinen Worten vor lauter Schluchzen und Schniefen sowieso kaum Beachtung geschenkt hatte – war nicht zu überzeugen gewesen. Auch wenn sie inzwischen selbst versuchte, sich einzureden, es sei alles in Ordnung, kam ihr immer wieder der schreckliche Gedanke, dass sie ihren Opa niemals wiedersehen würde und fortan bei ihrer Tante leben müsste... Was, wenn sie so fürchterlich war wie die bösen Stiefmutter, die sie aus so vielen Märchen kannte? Sie selbst hatte keine Kinder, noch nicht einmal einen Mann. Sie würde gar nicht wissen, wie sie mit ihr umgehen sollte! Bestimmt hatte sie ganz schrecklich veraltete Vorstellungen von Kindererziehung, sie würde sie um sechs Uhr ins Bett schicken und ihr statt Süßigkeiten nichts als Gemüse geben. Sie würde so tun, als sei sie ihre Mutter, sie würde - „Nächster Halt: Kurami!“ Mikan schreckte zusammen. Sie war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie gar nicht bemerkt hatte, wie viel Zeit schon verstrichen war, seit die Frau neben ihr ausgestiegen war. „Kurami?“, stieß sie überrascht aus und zog schnell den zerknitterten Zettel aus ihrer Tasche, auf den ihr Großvater den Namen des Bahnhofs, an dem sie aussteigen musste, und die Adresse seiner Tochter geschrieben hatte. Als das kleine Mädchen erkannte, dass dort tatsächlich Kurami stand, schnappte sie wie elektrisiert nach dem dicken Schafrucksack, der zuvor auf ihrem Schoß gelegen hatte, und fuhr in die Höhe. Schnell rannte sie zu der am nächsten gelegenen Tür. Ihr Herz klopfte – ob von ihrer plötzlichen Bewegung oder vor Aufregung konnte sie selbst nicht sagen – als der Zug langsam abbremste und sie durch die schmutzige Scheibe die ersten, menschenleeren Ausläufer des Bahnsteigs sehen konnte. Sobald der Zug still stand, öffneten sich die Türen und Mikan zwängte sich hinaus, bevor sie überhaupt ganz offen waren. Sie drängte durch die Menge der wartenden Menschen, die missbilligende Laute von sich gaben und sich kopfschüttelnd nach ihr umsahen, bis sie sich schließlich bis zu den Ticketschranken auf der anderen Seite des Bahnsteigs durchgekämpft hatte. Schnell zog sie ihr Ticket aus der Jackentasche und ließ es von dem kleinen Schlitz verschlucken. Unter den wenigen Leuten, die auf der anderen Seite neben den Fahrkartenautomaten standen, erkannte Mikan ihre Tante sofort, auch wenn ihre letzte Begegnung mit ihr sehr lange her war. Außerdem hatte ihr Opa hatte ihr gestern noch ein paar alte Fotos von seiner Tochter gezeigt. Zwar war das fortgeschrittene Alter im Gesicht der Frau, auf die Mikan nun freudestrahlend zulief, deutlich zu erkennen, doch das unvoreingenommene, offene Lächeln, das sie zeigte, als sie ihre Nichte erkannte, war unverkennbar dasselbe wie auf den Fotos. „Hallo! Ich bin Mikan!“, rief Mikan, sobald sie vor ihrer Tante stand. Diese lachte. „Hallo, Mikan! Du bist ja ganz schön gewachsen, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.“ Sie lächelte noch breiter, und mit einem Mal waren all die Sorgen und negativen Gedanken, die Mikan noch kurz zuvor durch den Kopf gegangen waren, wie weggeblasen. Schon wieder saß Mikan am Fenster, doch diesmal hatte sie den Kopf gelangweilt in die Hand gestützt. Auch war es jetzt kein Zugfenster mit fantastischem Ausblick, aus dem sie sah, sondern das Küchenfenster ihrer Tante. Zu sehen waren nur die gegenüberliegenden Häuser und die staubige Straße, über die nur selten mal ein Auto gefahren kam. „Tante Ayumi?“, fragte sie leise. „Was ist denn?“, erwiderte diese sanft. Mikan grinste sie an. Sie freute sich wirklich, dass ihre Tante nicht die geringste Ähnlichkeite mit einer bösen Stiefmutter hatte. Sie war viel mehr wie eine der liebenswürdigen Prinzessinnen, von denen Mikan jedes Mal aufs Neue fasziniert war. „Langweilst du dich nicht hier, so ganz alleine?“ Ayumi ließ ein glockenhelles Lachen vernehmen. „Ach was, mach dir da mal keine Sorgen. Wenn ich gerade nicht arbeite, treffe ich mich auch oft mit Freunden oder ich mache mir einen gemütlichen Abend zu Hause.“ „Ich find’s hier ganz schön langweilig“, maulte Mikan und verzog den Mund. Wieder lachte Ayumi. „Ist bei dir zu Hause denn immer was los?“ Mikan nickte begeistert. „Natürlich! Wenn ich mich mal langweile, geh ich einfach zu meinen Freunden und dann spielen wir zusammen!“ Ayumi lächelte und wollte gerade etwas sagen, als Mikan vom dem Hocker, auf dem sie gesessen hatte, aufsprang und mit dem Finger aus dem Fenster zeigte. „Guck mal, Tante Ayumi!“ Draußen auf der Straße liefen vier Jungen in Schuluniformen entlang, alle etwa in ihrem Alter. Einer von ihnen trug einen fußballgroßen, roten Ball über dem Kopf und lief voran, die anderen rannten hinterher. Leises Lachen drang durch das geschlossene Fenster an Mikans Ohr. „Darf ich mit ihnen spielen?“, fragte sie sofort und sah ihre Tante mit großen, hoffnungsvollen Augen an. Diese hatte kaum „Ja“ gesagt, da war Mikan schon dabei, hastig in ihre Schuhe zu schlüpfen. „Geh aber nicht zu weit weg! Und komm zum Abendessen zurück!“, konnte Ayumi ihr gerade noch zurufen, bevor sie die Tür hinter sich zuwarf und den Jungen so schnell sie konnte folgte. „Hey!“, rief das Mädchen ihnen hinterher. „Wartet!“ Die vier blieben überrascht stehen und blickten zu ihr zurück. Mit großen Schritten schloss sie zu ihnen auf. Drei von ihnen hatten kurze, schwarze Haare, wie fast alle Jungen, die Mikan kannte. Doch der andere, der, der den Ball in der Hand hielt, war anders. Sein Haar war seidig grau, sodass Mikan unwillkürlich an die kleine Maus zurückdenken musste, die sie und ihr Opa im vergangenen Herbst auf dem Dachboden gefunden hatten, und seine Haut war so hell, dass sie im Schein der blassen Wintersonne fast schon weiß aussah. Ohne sich dessen bewusst zu sein, starrte Mikan diesen Jungen mit dem ungewöhnlichen Äußeren an. Ihr Opa und einige ihrer Lehrer hatten zwar auch graue Haare, aber dennoch sah diese Haarfarbe bei ihm lebendig aus, nicht wie ein Zeichen für Alter. „Was willst du?“, fragte einer der Jungen und holte sie aus ihren Gedanken zurück. „Darf ich mitspielen?“, fragte sie direkt und starrte den Mausjungen mit großen Augen an. Er grinste und sagte, ohne die Reaktion der anderen abzuwarten: „Klar darfst du!“ „Juhuu!“, freute sich Mikan und machte einen Luftsprung. „Was spielt ihr denn gerade?“ „Komm doch einfach mit“, sagte der Junge und hielt ihr seine Hand entgegen, die sie sofort ergriff. „Wer bist du überhaupt?“, fragte einer der anderen und blickte sie abschätzend an. „Ich bin Mikan Sakura“, stellte sie sich vor. „Und ihr?“ „Yuki Souma“, sagte der Mausjunge mit einem noch breiteren Grinsen als zuvor und machte mit einem sanften Ziehen an ihrem Arm deutlich, dass er nicht noch länger hier herumstehen wollte. Die anderen stellten sich auch noch vor, doch Mikan hörte ihnen gar nicht mehr zu. Irgendetwas hatte dieser Yuki an sich, das es ihr unmöglich machte, ihren Blick von ihm zu nehmen. „Sag mal, warum hast du eigentlich so komische Haare?“, fragte Mikan. Sie saß auf einer Schaukel auf dem kleinen Spielplatz nahe des Hauses ihrer Tante, Yuki schwang neben ihr hin und her, ein unbeschwertes Lachen im Gesicht. Er zuckte mit den Schultern. „Weiß ich auch nicht so genau.“ Dann grinste er. „Du hast aber auch komische Haare. Läufst du immer mit diesen Zöpfen rum?“ „Ja, na und?“, gab Mikan trotzig zurück und rammte ihre Füße in den Boden, um die Bewegung ihrer Schaukel zu stoppen. Auch Yuki hielt an und warf ihr ein besänftigendes Lächeln zu. „Mach dir keine Sorgen, ich finde dich süß.“ Er grinste wieder und sah schnell in eine andere Richtung. Mikan dagegen konnte gerade jetzt nicht wegsehen. „Wirklich?“, fragte sie mit großen Augen. Dann grinste sie. „Ich find dich auch voll süß! Deine Haare erinnern mich an eine Maus!“ Bei dieser Bemerkung zuckte er leicht zusammen, was sie aber gar nicht weiter beachtete. Bis zum Abend, als die Sonne sich langsam über die Hausdächer neigte, spielten die Kinder zusammen fangen, verstecken und was ihnen noch so alles einfiel. Zwar waren Yukis drei Freunde die ganze Zeit dabei, doch kam es Mikan nachher, als sie zum Haus ihrer Tante zurücklief, fast so vor, als wäre sie die ganze Zeit mit ihm allein gewesen, so sehr hatten die beiden aneinander geklebt. Sie wunderte sich ein wenig, dass es so normal war, mit einem Jungen zu spielen. Bei ihr zu Hause wurden die Mädchen vom anderen Geschlecht gemieden, als hätten sie eine ansteckende Krankheit, und andersherum war es praktisch dasselbe. Doch wie es aussah, waren Stadtmenschen einfach anders... Oder Yuki war einfach anders, woran Mikan schon, seit sie ihn und seine mausgrauen Haare zum ersten Mal gesehen hatte, keinen Zweifel hatte. Als Mikan am nächsten Morgen erwachte, wusste sie für einen Moment lang nicht, wo sie war. Die gedämpften Verkehrsgeräusche, die sie vernahm, waren so anders als das stille Dorf, in dem man nur ab und zu mal ein Kind rufen oder ein einzelnes Auto vorbeifahren hören konnte. Im Raum selbst jedoch war es ungewöhnlich ruhig; das leise, gleichmäßige Atmen ihrer Tante hatte mit dem Schnarchen ihres Großvaters nichts gemein. Daher dachte Mikan auch im ersten Augenblick, die unbekannten Geräusche wären es gewesen, die sie aufgeweckt hatten. Doch als sie an ihren Traum zurückdachte, in dem sie zusammen mit einem Jungen mit grauem Haar über riesige Reisfelder gerannt war, kamen auch ihre Erinnerungen an den Vortag zurück. Schnell warf sie einen Blick auf die Leuchtziffern der Digitaluhr ihrer Tante, die auf dem kleinen Nachttisch stand: sechs Uhr dreißig. Mikan atmete erleichtert auf. Sie hatte Yuki sicherlich noch nicht verpasst. Im nächsten Augenblick erinnerte sie sich, dass er heute ja sowieso zur Schule musste und damit erst am späten Nachmittag wieder zu Hause sein konnte. Sie ließ sich wieder tiefer in ihre Kissen sinken und seufzte. Jetzt, wo der Gedanke daran, Yuki bald wiedersehen zu können, so sehr an ihr nagte, würde sie bestimmt nicht mehr einschlafen können. Nach einer Zeitspanne, die ihr selbst wie eine Ewigkeit vorkam, die aber laut der Uhr tatsächlich nur fünf Minuten lang war, stellte sie erneut fest, dass sie überhaupt nicht mehr müde war. Wenn sie schon noch so lange warten musste, bis sie endlich wieder mit Yuki spielen konnte, wollte sie sich so lange wenigstens mit etwas anderem beschäftigen, um sich abzulenken. „Tante Ayumiii?“, fragte sie und setzte sich in ihrem Bett auf. Diese grummelte ungehalten und drehte sich von Mikan weg. Doch das Mädchen wurde mit jeder verstreichenden Sekunde wacher und hatte keine Lust, noch länger in dem dunklen Zimmer zu liegen und die ganze Zeit an Yuki denken zu müssen. Und wenn sie alleine war, würde sie sich bestimmt nicht gut genug ablenken können. Daher stand sie auf und tapste barfuß zum Bett ihrer Tante und rüttelte diese unsanft an den Schultern. „Bitte, Tante Ayumi, lass uns aufstehen.“ „Bist du nicht schon alt genug, um dich alleine zu beschäftigen?“ Mikan verzog den Mund und gab einen ungehaltenen Ton von sich. „Das ist doof“, sagte sie laut und schüttelte ihre Tante noch stärker. Dieser gab schließlich mit einem tiefen Seufzer nach. „Ist ja gut, ich komm ja schon.“ Mikan strahlte über das ganze Gesicht. Doch ihr Strahlen verebbte schon bald, denn der Plan mit der Ablenkung funktionierte irgendwie nicht so gut, wie sie gedacht hatte. Als sie und Ayumi gemeinsam das Frühstück vorbereiteten, fiel ihr Blick andauernd auf die Straße, auf der sie Yuki gestern zum ersten Mal gesehen hatte, und jedes Mal wanderte ihr Blick sofort darauf zur Wanduhr, die sich gegen sie verschworen zu haben schien; jedenfalls bewegte sich der Zeiger mit einer ungeheuren Zähigkeit, die fast an die schleichende Geschwindigkeit der vergehenden Zeit im superlangweiligen Matheunterricht heranreichte. „Och menno“, jammerte Mikan, als ihre Augen ein erneutes Mal den Weg zur Uhr fanden, und sie sah, dass seit ihrem letzten Blick gerade mal zwei Minuten vergangen waren. „Warum bist du eigentlich so ungeduldig?“, fragte Ayumi, deren Laune sich nach dem Frühstück wieder ein bisschen gebessert hatte, und die Mikan jetzt schon wieder ein halbwegs freundliches Lächeln schenkte. Mikan schaukelte mit den Beinen hin und her und antwortete, den Blick schon wieder aus dem Fenster gerichtet: „Wenn es endlich vier ist, kommt Yuki aus der Schule. Aber das dauert noch soooo lange!“ Ayumi blickte sie überrascht an. „Wer ist denn Yuki? Etwa einer der Jungen, mit denen du gestern gespielt hast?“ Mikan nickte. Bei dem Gedanken an ihren neuen Freund schlich sich auch wieder ein vergnügtes Lächeln auf ihre Lippen. „Er ist total nett! Und er sieht ganz komisch aus mit seinen grauen Haaren.“ Sie kicherte. „Aber ich finde das süß.“ Nun wurde der Ausdruck ihrer Tante eher misstrauisch. „Graue Haare, sagst du? Es ist nicht zufällig der kleine Souma, oder?“ Mikan überlegte einen Moment, dann sagte sie grinsend: „Doch, ich glaube, so hieß er. Kennst du ihn? Findest du nicht auch, dass er total nett ist?“ Ayumi seufzte und sah Mikan ernst an. „Ich weiß, du hältst das jetzt sicher für eine dumme Erwachsenenanweisung, aber ich will nicht, dass du dich nochmal mit diesem Souma – Yuki oder wie auch immer er heißt – triffst. Die Soumas sind mir ein wenig... suspekt.“ Mikan sah sie aus großen Augen an. „Was heißt suspekt? Und warum darf ich mich nicht mehr mit ihm treffen? Werd ich dann auch suspekt?“ Angesichts ihrer kindlichen Naivität musste Ayumi unwillkürlich lächeln. „Nein, das nicht. Suspekt heißt, dass sie ein wenig merkwürdig sind. Die meisten von ihnen haben ungewöhnliche Haarfarben, so wie dein Yuki und einige kommen auch nur selten aus dem Haus. Viele von ihnen sehen nicht gerade vertrauenserweckend aus. Du solltest dich wirklich lieber von ihm fernhalten.“ „Nein!“, rief Mikan, die nun langsam verstand, was ihre Tante von ihr wollte, und sprang von ihrem Stuhl. „Ich will mich aber mit Yuki treffen! Ich hab’s ihm doch versprochen! Und ein Versprechen darf man nicht brechen.“ Schmollend und mit verschränkten Armen sah sie ihre Tante an. Diese seufzte. „Ich weiß. Aber in diesem Fall wirst du wohl eine Ausnahme machen müssen. In Notfällen darf man das.“ „Aber er tut mir doch gar nichts!“, versuchte Mikan es weiter. „Und wir haben doch gestern auch zusammen gespielt!“ Ayumi schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, Mikan, aber ich hab deinem Opa versprochen, dass ich auf dich aufpasse.“ Dicke Tränen kullerten auf einmal aus Mikans Augen. „Aber Yuki ist doch so nett!“ „Nein, Mikan.“ Schniefend und sich die Tränen aus dem Gesicht wischend schlurfte Mikan aus der Küche und in das Schlafzimmer, dessen Tür sie verschloss, damit ihre Tante sie nicht noch mehr beeinflussen konnte. Sie wollte einfach nicht glauben, dass Yuki, oder irgendjemand anderes aus seiner Familie, ihr irgendetwas Böses wollen könnte. Er war nett, und wenn er nett war, musste seine Familie auch nett sein. Beleidigt ließ sie sich auf ihren Futon fallen. Ihre Tante würde sie bestimmt nicht dazu kriegen, Yuki zu misstrauen. Außerdem hatte sie ihm ein Versprechen gegeben und sie würde nicht abreisen, bevor sie ihn nicht wenigstens noch einmal gesehen hatte. Als ihr Blick auf das zum Lüften einen Spaltbreit geöffnete Fenster fiel, kam ihr ein Plan in den Sinn. Selbst wenn ihre Tante sie erwischen würde, würde sie Yuki wenigstens noch einmal treffen können, um ihm alles zu erklären. Das würde bestimmt klappen! Nur leider musste sie jetzt noch eine ganze Weile warten. Und, so ganz alleine, hatte sie nicht einmal etwas, womit sie sich von den ständig wiederkehrenden Gedanken an Yuki ablenken konnte... Doch anscheinend musste sie das auch gar nicht, denn als die Schritte ihrer Tante auf dem Flur ertönten und sie kurz darauf zögerlich an die Tür klopfte und Mikans Namen rief, kam dem Mädchen noch eine Idee: Wenn sie sich jetzt wieder mit ihrer Tante vertrug und so tat, als würde sie einsehen, warum sie Yuki nicht mehr sehen durfte, wäre es nachher leichter, sich unbemerkt fortzuschleichen. Der Plan funktionierte besser, als sie vermutet hätte: Ihre Tante war schwer erleichtert, als Mikan sich bei ihr entschuldigte, und schien überhaupt keinen Verdacht zu schöpfen. Ebenso kaufte sie ihrer Nichte viele Stunden später, als es endlich so weit war, dass Yuki von der Schule zurückkommen würde, ohne weiteres Misstrauen die Ausrede ab, dass sie ja schonmal ihre Sachen für die Rückreise zusammensuchen sollte. Da Ayumi selbst gerade mit Staubsaugen beschäftigt war, konnte sie zum Glück auch nicht anbieten, ihr zu helfen. So schnell sie konnte, huschte Mikan ins Schlafzimmer und stellte sich auf den Nachttisch, um das recht weit oben gelegene Schiebefenster öffnen zu können. Sie war ganz froh darüber, dass der Staubsauger ihrer Tante so laut vor sich hin brummte, denn sonst hätte diese das Quietschen des Fensters sicher gehört. Mikan warf noch einen schnellen Blick zurück, dann kletterte sie hinaus und ließ sich auf die kleine, gepflegte Rasenfläche fallen, die das Haus umgab. Gebückt, um auch ja nicht entdeckt zu werden, wenn ihre Tante aus einem der Fenster schaute, umrundete sie das Haus und lief dann an der Straße entlang zum Haupteingang des Hauses der Soumas, das von einem hohen Zaun umgeben war. Als sie merkte, dass sie hier ganz leicht von ihrer Tante erblickt werden konnte, lief sie durch den Durchgang im Zaun und versteckte sich hinter einer Ecke des traditionellen Holzgebäudes. Sie fragte sich, ob Yuki schon zurück war, und wenn ja, ob er ins Haus oder, wie gestern, zum Spielplatz gegangen war. Ihr Herz begann schneller zu klopfen, als sie darüber nachdachte, was wohl passierte, wenn sie hier jemand entdeckte. Wenn sie einfach zur Tür ging und nachfragte, würde das alles viel einfacher machen... Aber die Worte ihrer Tante hatten ihr, ohne dass sie es wollte, doch ein wenig Angst eingeflößt. Wer wusste schon, was das für Leute waren? Natürlich vertraute sie Yuki, aber wenn er nicht da war, wollte sie nicht unbedingt auf seine Familie treffen. Gerade als sie beschlossen hatte, dass sie vielleicht erstmal am Spielplatz nach dem Mausjungen suchen sollte, hörte sie, wie hinter ihr langsam eine Tür aufgeschoben wurde. Ihr Körper wurde steif wie ein Brett und ihre Nackenhaare stellten sich auf. „Wer bist du?“, verlangte eine leise, kühle Stimme zu wissen. Sie klang, als sei sie es gewohnt, Befehle zu geben und anderen Fragen zu stellen. Langsam, das Herz noch lauter pochend als zuvor, drehte Mikan sich um. Vor ihr, auf dem hölzernen Boden des Hauses, saß ein Junge mit seidig schwarzem Haar, das ihm ihn das ungesund bleich wirkende Gesicht fiel. Seine kalten, schwarzen Augen blitzten drohend zu Mikan herüber, was sie zusammenzucken und einen Schritt zurücktreten ließ. „Antworte.“ Seine Stimme war leiser geworden, bedrohlicher als zuvor. So als würde er sie in Stücke reißen – oder besser in Stücke reißen lassen, so schwächlich wie die Arme und Hände aussahen, die aus seinen weiten Kimonoärmeln herausragten – wenn sie ihm nicht gehorchte. „Mi- Mikan Sakura!“, antwortete sie so schnell, dass sie sich fast versprach. „Warum bist du hier, Mikan?“, fragte er. Auf einmal klang seine Stimme fast sanft und sie meinte, den Anflug eines Lächelns in seinem schmalen Gesicht erkennen zu können, doch das machte ihn nicht weniger unheimlich. „Ich wollte mit Yuki spielen! Wir haben gestern auch schon zusammen gespielt. Wir sind Freunde!“ Mit dem letzten Satz sprach sie zwar nur aus ihrer eigenen Sicht, aber da Yuki sich ihr gegenüber wirklich freundlich verhalten hatte, war sie sich ziemlich sicher, dass es auch für ihn galt. Das Lächeln des Jungen wurde noch breiter und diesmal sah es fast so aus, als hätte er tatsächlich Freude an dem, was sie gerade gesagt hatte. „Freunde?“ Auf einmal wurde sein Gesicht wieder hart und er beugte sich ein wenig zu ihr vor. „Yuki will nicht mit dir spielen, das hat er mir selbst gesagt. Verschwinde!“ Mikan taumelte ein paar Schritte zurück und stieß mit dem Rücken gegen den Zaun, wodurch sie fast das Gleichgewicht verlor. „Das ist nicht wahr! Du lügst!“, schrie sie, doch die Tränen, die sich in dem Moment in ihren Augenwinkeln bildeten und in Strömen ihre Wangen herabflossen, verrieten, dass ein Teil von ihr seinen Worten ohne es zu wollen doch Glauben schenkte. Der Junge lächelte erneut sein grausames Lächeln. „Du weißt, dass ich recht habe. Und nun verlass mein Grundstück. Du hast hier nichts zu suchen.“ Auch wenn in Mikan noch ein Fünkchen Widerstand flackerte und sie diesen Jungen am liebsten mitten ins Gesicht geschlagen hätte, drehte sie sich von ihm weg und lief durch den schmalen Durchgang im Zaun auf die Straße und in Richtung des Hauses ihrer Tante. Sie wollte nicht weinen, vor allem nicht vor diesem furchtbaren Jungen, doch die Tränen flossen und flossen, ohne dass sie irgendetwas dagegen tun konnte. „Mikan!“, rief da jemand. Im ersten Augenblick dachte sie, es sei ihre Tante gewesen, die ihre Abwesenheit bemerkt hatte, aber dann fiel ihr auf, dass es eine Jungenstimme gewesen war. Ihr Blick, der zuvor auf den Boden gerichtet gewesen war, hob sich und sie sah Yuki, das mausgraue Haar leicht nach hinten wehend, als er auf sie zulief, gefolgt von den drei Freunden, die gestern auch bei ihm gewesen waren. „Yuki“, sagte sie verblüfft, als sie ihn erkannte. Ihr erstes Gefühl bei seinem Anblick war Freude, doch schon gleich erinnerte sie sich wieder an das, was der unheimliche Junge ihr gerade gesagt hatte: „Yuki will nicht mit dir spielen, das hat er mir selbst gesagt.“ Auch wenn es ihr das Herz zusammenzog, als dieser Satz in ihrem Kopf widerhallte, war sie froh darüber, Yuki noch einmal zu begegnen, damit sie sich wenigstens von ihm verabschieden konnte. Auch wenn er sie vielleicht nicht so sehr mochte wie sie ihn. Kurzerhand fiel sie ihm um den Hals, als er wenige Schritte vor ihr stehen geblieben war. Was in dem Moment geschah, als ihre Arme sich um seinen Nacken schlangen, war jedoch etwas, womit sie in ihren kühnsten Träumen nicht gerechnet hatte – und dennoch glaubte sie einen Moment lang, einfach nur zu träumen, denn mit einem Mal war Yuki verschwunden. Sie stolperte ein paar Schritte weiter, da ihre Bewegung so schwungvoll gewesen war. Während sie noch völlig verdattert auf ihre leeren Hände starrte, schrie einer der Jungen panisch auf und zeigte hinter sie. Sie wirbelte herum und sah eine kleine, graue Maus auf dem Asphalt sitzen. Ihr Fell hatte dieselbe Farbe wie das Haar von Yuki. Auch die anderen begannen jetzt zu schreien, der Schock standen ihnen in die weit aufgerissenen Augen geschrieben. Mikan dagegen blieb ungewöhnlich ruhig. Ihr Blick ruhte auf der Maus, die dort auf wundersame Weise erschienen war. War sie Yuki? Oder war er verschwunden und dieses Tier hatte seine Stelle eingenommen? Und warum war das überhaupt geschehen? Ihr war, als wäre diese Verwandlung – oder was auch immer es war – durch ihre Berührung verursacht worden... Während sie sich all diese Fragen stellte, wurde die kleine Gruppe um die Maus auf einmal von drei oder vier Erwachsenen umringt. Einer von ihnen – eine Frau – stieß einen der Jungen zur Seite und griff nach der Maus, anscheinend, um sie auf ihrem Arm in Sicherheit zu bringen. Mikan fand, dass sie Yuki ein wenig ähnlich sah. Doch sie hatte nicht länger Zeit, sich über die Frau Gedanken zu machen, denn schon packte ein hochgewachsener Mann, dessen schwarzes Haar eins seiner Augen verdeckte, Mikan unsanft am Arm. Der Blick aus seinem unbedeckten Auge war so stechend, dass es ihr kalt den Rücken runterlief. „Komm mit“, sagte er und zog sie in Richtung des Hauses der Soumas, bevor sie überhaupt Gelegenheit dazu hatte, ihre Beine selbst in Bewegung zu setzen. Als sie gerade an dem Zaun angekommen waren, der das Anwesen umgab, berührte eine andere Hand sie am Arm, viel wärmer als die des Mannes. Sie drehte sich um und sah in Yukis von Reue gekennzeichnetes Gesicht. Ein Blick hinüber zu der Frau zeigte ihr, dass die Ratte nirgends mehr zu entdecken war. „Es tut mir so leid, Mikan“, fing er an. Der große Mann versuchte, Mikan weiterzuziehen, aber sie griff schnell nach Yukis Hand und warf ihm einen bösen Blick zu. Doch auch die Frau, die mit zornigem Gesicht auf sie zustapfte, sah nicht so aus, als wolle sie Yuki Zeit zum Reden gewähren. Auch er selbst bemerkte das, daher fuhr er schnell fort: „Es tut mir wirklich leid, dass es so enden muss! Es war so schön gestern, ich habe total gerne mit dir gespielt und wenn es anders gekommen wäre, hätte ich so gerne noch viele Tage mit dir verbracht. Wenn ich könnte, würde ich verhindern, dass sie deine Erinnerung löschen, aber leider habe ich keine Macht darüber.“ Ein gequälter Ausdruck trat in seine Augen und er drückte Mikans Hand ein wenig fester. „Ich will nicht, dass du mich vergisst.“ In dem Moment griffen die langen, weißen Finger der Frau nach seiner Schulter und zerrten ihn in die andere Richtung. Auch Mikan wurde von ihrem Wächter fortgezogen, und ihre Hände lösten sich voneinander. „Ich vergesse dich bestimmt nicht!“, versicherte sie. „Du bist mir so wichtig, da können die mit mir anstellen, was sie wollen. Dich vergesse ich niemals, das verspreche ich!“ Ein trauriges Lächeln zeigte sich auf Yukis Lippen, ganz so, als könne er ihre Zuversicht nicht teilen. „Danke, Mikan“, sagte er leise und ließ sich dann von der Frau wegbringen. Der Griff des Mannes um Mikans Arm wurde fester und er zog sie weiter in Richtung des Hauses. Jemand hatte die Tür geöffnet und so brauchte er sie nur hineinzuzerren. „Du kannst mir gar nichts tun! Ich vergesse Yuki nicht!“, rief Mikan trotzig und versuchte, sich von ihm loszureißen. Doch auf einmal waren noch andere da, die ihre Arme festhielten, sodass alles Zappeln und Ziehen nichts half. Der unheimliche Mann legte seine Zeigefinger an ihre Schläfen und sah ihr lange tief in die Augen. Auf unerklärliche Weise wurde sie auf einmal müde, so müde, dass ihre Lider sich wie von selbst schlossen und sie in die Dunkelheit abdriftete. Ihr Kopf war schwer, als die fortwährende Dunkelheit langsam von orangestichigem Licht durchwirkt wurde. Vorsichtig öffnete sie die Augen und sah, dass sie im Zimmer ihrer Tante auf dem Futon lag, auf dem sie auch schon die letzte Nacht geschlafen hatte. Tageslicht fiel durch die halb geschlossenen Vorhänge und tauchte das Zimmer in ein diffuses Licht. Mikan richtete sich auf. Sie konnte sich nicht mehr erinnern, am letzten Abend ins Bett gegangen zu sein. Sowieso schienen die Erinnerungen an den letzten Tag wie von einem dichten Nebel umgeben zu sein; außer ein paar nichtssagender Schemen konnte sie nichts erkennen. „Es wird wohl nicht so wichtig gewesen sein“, murmelte sie zu sich selbst und stand auf, um sich zu ihrer Tante in die Küche zu gesellen. Nachdem sie ein kurzes Frühstück eingenommen und die letzten Sachen zusammengepackt hatte, zog sie sich ihre Jacke an und schulterte ihrer Rucksack. Ihr Tante steckte ihr noch ein wenig Geld zu, damit sie sich am Bahnhof vielleicht noch eine Kleinigkeit kaufen konnte, und dann verließen die beiden das Haus. Während Ayumi das Garagentor öffnete und die enge Garage betrat, um das Auto herauszufahren, wanderte Mikans Blick ziellos über die Siedlung. Gerade in dem Moment fuhr ein schwarzer Wagen auf der Straße vor dem Haus entlang. Auf dem Beifahrersitz sah sie einen kleinen Jungen sitzen, etwa in ihrem Alter. Sein Haar war grau wie das einer Maus. Mikan wusste nicht, warum es geschah, doch beim Anblick dieses Jungen durchflutete sie ein wohlig warmes Gefühl. Unwillkürlich begann sie zu grinsen und hob sogar die Hand, um dem Jungen zuzuwinken, doch da war das Auto schon vorbei gefahren. Sie meinte, in seinem Gesicht auch den Ansatz eines Lächelns gesehen zu haben. Kapitel 43: Hatori und Orihime - Heimat --------------------------------------- Von Da sind wir wieder mit einer neuen Geschichte. Diesmal ist es zur Abwechslung kein von einem Leser gewünschtes Pairing. Für dieses Paar wollten wir zwei etwas ältere Charaktere, die gut zusammenpassen und so sind wir schließlich zuerst auf Hatori und dann auch auf Orihime gekommen. Ich hoffe, euch gefällt die Story, die wir uns auf der Fahrt nach Hamburg ausgedacht haben. Ein wichtiger Aspekt der Story ist übrigens der Fakt, dass Orihime, nachdem sie aus der Wohnung, in der sie mit ihrem Bruder gelebt hat, herausgeschmissen wurde, in einem Zelt lebt. Ich bin mir mit dieser Info nicht ganz sicher, habe sie auf Wikipedia auch nicht wiedergefunden, also wenn es nicht stimmt, verzeiht uns bitte. Heimat „Los, rein mit dir!“ Tatsuki schob ihre schwach protestierende Freundin Orihime energisch durch die automatisch öffnende Glastür der Apotheke an der Hauptstraße. „Hey, ich muss wirklich ni- haaaatschi!“ Orihimes Worte wurden von einem brutalen Niesen unterbrochen, das sie ziemlich durchschüttelte. Als sie die zugekniffenen Augen wieder öffnete, hielt ihre kurzhaarige Freundin ihr wortlos eine Packung Taschentücher mit dem Werbeaufdruck einer Mobilfunkfirma entgegen. Orihime bediente sich und schnäuzte sich möglichst unauffällig. „Danke“, nuschelte sie. Tatsuki nahm ihre erkältete Freundin am Arm. „Los, komm, wir finden bestimmt was“, sagte sie und zog sie sanft aber bestimmt zu dem Regal mit Hustensäften, Erkältungsbädern und Nasentropfen. Einer der wenigen anderen Kunden, der am anderen Ende der Regalreihe stand, sah nur kurz auf, bevor er zielstrebig nach einer Packung Tabletten griff. Orihime blieb vor dem Regal stehen und seufzte. „Das ist viel zu viel, wie soll ich mich denn da entscheiden?“, sagte sie gequält. Tatsuki drängelte sich neben sie. „Du bist wirklich krank, sonst würdest du nicht so mutlos sein“, erklärte sie mit hochgezogenen Brauen und wendete sich dann wieder in Richtung Regal. „Also, du hast Schnupfen und leichtes Fieber...“, murmelte sie. Orihime nickte und trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Es war ihr unangenehm, dass sie wegen einer leichten Erkältung von ihrer Freundin gleich in die Apotheke geschleppt worden war. „Ich würde sagen, du brauchst Nasentropfen“, sagte Tatsuki und griff ins Regal, um eine Packung herauszuziehen. „Diese hier sind bestimmt ganz gut, nicht zu billig und auch nicht überteuert.“ Orihime schniefte und tupfte sich eilig die Nase ab. „Ich brauche wirklich keine Nasentropfen, ich hab doch Taschentücher“, sagte sie. Tatsuki drehte sich um und fixierte sie böse. „Und was ist, wenn dir Nachts die Nase zuschwillt?“ „Tut sie doch gar nicht...!“, protestierte Orihime schwach. Tatsuki verdrehte die Augen über so viel Widerwillen. „Aber es könnte noch so weit kommen“, stellte sie fest. Trotzdem schob sie die bereits hervorgezogene Packung wieder zurück neben die anderen. „Gegen dein Fieber müssen wir aber auf jeden Fall was machen“, sagte sie. „Gibt es hier keine Medizin gegen Fieber?“ Ein Räuspern ließ die Mädchen aufsehen. Der andere Kunde, ein schwarzhaariger, recht jung aussehender Mann, war neben ihnen aufgetaucht. Orihime machte unwillkürlich einen Schritt zur Seite, da sie glaubte, er wolle an ihnen vorbei. Tatsächlich wendete er sich aber an Tatsuki. „Bei Fieber handelt es sich um eine Abwehrreaktion des Körpers auf die Krankheit. Solange es nur leichtes Fieber ist, sollte eigentlich alles in Ordnung sein“, erklärte er kühl. Er wandte sich nun an Orihime. Sein linkes Auge war von seinem seidigen schwarzen Haar verdeckt, das andere wirkte matt und gebrochen wie das eines alten Mannes, obwohl er höchstens Mitte dreißig zu sein schien. „Sie sollten sich einfach viel hinlegen und ausschlafen, damit das Fieber die Krankheit selbst beseitigen kann. Natürlich sollten Sie dabei viel trinken, um den Flüssigkeitsverlust durch das Schwitzen auszugleichen, zumal sie ja auch Schnupfen haben. Ansonsten kann ich Ihnen nur raten, ein Fieberpflaster zu benutzen, wenn sie sich ansonsten unwohl fühlen.“ Orihime lächelte auf der Stelle. „Das klingt nach einem guten Rat! Dankeschön!“, sagte sie. Der Mann verzog keine Miene. „Das ist eine Selbstverständlichkeit, finde ich“, sagte er ruhig. Tatsuki drängte sich neben ihre Freundin. „Wieso sollen wir Ihnen glauben? Sind sie Arzt oder so?“, fragte sie misstrauisch. „In der Tat habe ich Medizin studiert und bin Hausarzt“, kam die erschreckend nüchterne Antwort. Tatsuki schien das nicht ganz zu überzeugen. „Wenn ich Fieber habe, gibt mir meine Mutter auch immer Medizin“, sagte sie. „Es gibt Ärzte, die noch glauben, Fiebersenkung sei zur Genesung essentiell. Vielleicht handelt es sich aber auch um Medizin gegen die eigentliche Krankheit.“ Tatsuki schien ein bisschen beleidigt. Orihime dagegen strahlte. „Dann muss ich gar keine Medizin kaufen?“, fragte sie. Tatsuki verzog eine Miene bei ihrer sichtlichen Begeisterung, das änderte sich jedoch gleich wieder und sie hakte sich bei ihrer Freundin unter. „Schon gut! Aber er hat gesagt, wenn du dich unwohl fühlst, ist ein Fieberpflaster nicht schlecht. Also kaufen wir jetzt eins“, sagte sie bestimmt. Orihime zuckte die Achseln. Solange sie sich nicht gleich mit Schmerzmitteln zuschütten lassen musste, war ihr eigentlich alles recht. Tatsuki überredete ihre Freundin recht schnell, ein paar mehr der Kühlpflaster zu nehmen, falls sie nicht sofort wieder gesund werden würde, aber in der Zwischenzeit war der Schwarzhaarige zur Kasse gegangen. Er hatte einen etwas größeren Einkauf, weshalb sich das Einlesen und Eintüten der Medikamente ein wenig hinzog. Orihime befühlte ihre erhitzte Stirn. Tatsuki blickte ungeduldig auf ihre Armbanduhr. „Hast du es eilig?“, fragte die Rothaarige verwundert. Ihre dunkelhaarige Freundin nickte widerwillig. „In Zehn Minuten fängt meine Karatestunde an und bis zum Dôjô brauche ich mindestens so lange...“ „Na, dann geh doch“, sagte Orihime langsam und hob müde die Päckchen in ihrer Hand. „Die kann ich auch alleine bezahlen.“ Tatsuki nickte wenig überzeugt. „Versprich mir, dass du dir eine Flasche zu trinken kaufst und dann gleich ins Bett gehst, okay?“, bat sie. „Ja, mach ich“, sagte Orihime sofort. Sie wünschte sich sowieso nichts sehnlicher als das. Tatsuki seufzte, klopfte ihr kurz aufmunternd auf die Schulter und verschwand dann eilig aus dem Laden. „Bitteschön, beehren Sie uns bald wieder“, sagte da gerade die Apothekerin zu dem Mann. Orihime trat unsicher an ihm vorbei und legte ihren bescheidenen Einkauf hin, um ihn zu bezahlen. Während ihr Wechselgeld hervorgekramt wurde, schloss sie die Augen. Die stehende Luft in dem kleinen Laden war schrecklich. Am liebsten hätte sie sich an Ort und Stelle in einen Sessel oder sonst etwas fallengelassen, um einfach nur auszuruhen. „Bitte sehr, Ihr Wechselgeld.“ Sie blinzelte und nahm die Münzen fahrig aus der Plastikschale, in die die Kassiererin sie gelegt hatte, um sie in ihr Portmonee zu stecken. Dabei fielen ihr ein Zehner und ein Fünfziger runter. Als sie sich bückte, um sie aufzuheben, wurde sie von einem plötzlichen Schwindelgefühl gepackt und musste sich mit dem Kopf gegen den Tresen lehnen. „Ihnen scheint es nicht wirklich gut zu gehen“, sagte eine Männerstimme. Sie blinzelte und erkannte den Schwarzhaarigen, der neben ihr hockte. Er drückte ihr die Geldstücke in die Hand und sie schob sie mechanisch zurück in das Portmonee. Sie griff nach der Hand, die er ihr anbot und ließ sich hochziehen. „Alles in Ordnung mit Ihnen?“, fragte die Apothekerin besorgt nach. Orihime nickte fahrig. „Ja, es geht. Ich muss mich nur etwas zusammenreißen“, murmelte sie. Der Mann, der sie noch immer vorsichtig stützte, warf ihr aus seinem einen sichtbaren Auge einen misstrauischen Blick zu. „Sie sollten wirklich schnell nach Hause gehen. Vielleicht sollte ich Sie begleiten“, meinte er ernst. Orihime sagte gar nichts, verstaute ihren Einkauf und ihr Geld wieder in der Schultasche und ließ den Magnetverschluss zuschnappen. Dann ging sie langsam und konzentriert auf die Ausgangstür zu. „Beehren Sie uns bald wieder … und... werden Sie bald gesund“, rief ihr die Apothekerin hinterher. Draußen schlang Orihime fröstelnd die Arme um ihren Oberkörper, was ihr einen erneuten besorgten Blick des Mannes einbrachte. „Sie müssen mich nicht begleiten“, murmelte sie. „Ich... ich muss sowieso noch etwas zu trinken kaufen gehen, ja.“ Sie verschnellerte ihren Schritt in Richtung des kleinen Supermarkts an der Ecke, taumelte jedoch schon nach wenigen Metern. Der Fremde war sofort neben ihr und griff nach ihrem Arm, um sie zu stützen. „Ich werde Sie begleiten“, sagte er mit Nachdruck. Orihime gab sich geschlagen. „Gut... Aber dann möchte ich gerne Ihren Namen erfahren. Ich heiße Orihime Inoue.“ Er nickte. Sein Gesicht zeigte kaum eine Regung, aber das schien bei ihm sowieso der Normalfall zu sein. „Mein Name ist Hatori Sôma.“ Sie brachte ein schwaches Lächeln zustande. „Dann sollten wir jetzt etwas zu trinken kaufen. Sie können mir da sicher einen Tipp geben.“ Als sie den Supermarkt fast zehn Minuten später mit drei großen Flaschen isotonischer Limonade in einer von Hatori getragenen Plastiktüte verließen, sah er sie streng an. „Nun sollten Sie am besten auf schnellstem Wege nach Hause gehen und schlafen“, sagte er auffordernd. Orihime hob den Kopf. Es war vier Uhr Nachmittags und über den Hochhäusern zeigte sich der Himmel stahlblau. In den Straßen war noch relativ wenig los, auch der Supermarkt war wie leergefegt gewesen. Zwischen den wenigen Passanten fiel nur eine Gruppe von mehreren Schulkindern mit roten Schulranzen auf, die dann lärmend um eine Ecke verschwanden. „Ich glaube nicht, dass ich um diese Zeit schlafen könnte“, sagte sie. „Das glaube ich nicht. Sie sehen ziemlich erschöpft aus.“ Orihime senkte den Kopf. „Meine... äh... Wohnstätte ist Nachmittags ziemlich laut... Ich...“ Sie brach ab und sah ihn unsicher an, dann fuhr sie mit gesenktem Kopf fort: „... ich lebe in einem Zelt auf dem Kinderspielplatz in Sugarigaoka.“ Hatori schwieg, doch ein unwillkürliches Zucken lief über seine Mundwinkel und sein sichtbares Auge funkelte belustigt. Es war schwer auszumachen, aber im Gegensatz zu seiner üblichen unberührten Miene konnte sie es dennoch deutlich genug sehen, um sich eingeschnappt wegzudrehen. „Lachen Sie nur. Seit mein Bruder tot ist, habe ich nun mal kein Einkommen mehr, aber ich muss doch zur Schule gehen, damit ich später besser dran bin“, gestand sie leise. Sie wollte ihm die Tüte mit den Getränken aus der Hand nehmen, doch er hielt sie davon ab. „Es war nicht meine Absicht, mich über Sie lustig zu machen“, sagte er ernst. „Es handelt sich nur um einen amüsanten Zufall, dass im letzten Sommer ein Freund von mir eine junge Frau bei sich im Haus aufgenommen hat, die ebenfalls in einem Zelt lebte, wenn auch nur zeitweise.“ Sie sah ihn verblüfft an. „Da ist wirklich ein Zufall“, war das einzige, was ihr einfiel. Er drehte sich weg und sah nachdenklich über die Elektrokabel entlang der Straße. „Dieser Freund hat auch ein recht großes Haus. Da es mir unangenehm wäre, Sie in Ihrem jetzigen Zustand in einem Zelt schlafen zu lassen, würde ich ihn gerne fragen, ob Sie für ein paar Tage bei ihm unterkommen könnten.“ Orihime war sprachlos, was Hatori die Gelegenheit gab, sein Handy aus der Innentasche seines Mantels zu ziehen und seelenruhig eine Nummer zu wählen. „Da wären wir“, sagte Hatori, als sie nach einem längeren Fußmarsch durch den Wald zu einem schmucken großen Haus kamen. Orihime blinzelte. In den letzten zwanzig Minuten hatte sie den Blick kaum von seinem Rücken gewendet, um sich nicht zu sehr auf die Umgebung konzentrieren zu müssen. Sie hatte das Gefühl, sie würde umkippen, sobald sie sich irgendwie ablenken ließe, also starrte sie auf die Mittelnaht des braunen Mantels von Hatori. Er hatte den ganzen Weg über kein Wort gesagt. Unter dem Vordach angekommen, klingelte er, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Sie mussten nicht lange warten, bis im Inneren des Hauses Schritte erklangen und ein Mann in einem japanischen Gewand in der Tür erschien. Viel mehr nahm Orihime von ihm gar nicht wahr, als er zu sprechen begann. „Oh, die ist ja hübscher, als ich dachte. Glück muss der Mensch haben“, erklang seine undeutliche Stimme. „Lass die Scherze. Darf ich sie in Tôrus Zimmer bringen?“, erwiderte Hatori kühl. Orihime kam es so vor, als müsste er ziemlich weit von ihr weg sein, doch da spürte sie schon seine Hand, die sich auf ihren Rücken legte. „Halt noch ein bisschen durch. Wir sind gleich da“, sagte er. Sie nickte schwach und ließ sich von ihm vorwärts ziehen. Sie hörte den anderen Mann in der Nähe murmeln, aber was er sagte, drang nicht mehr zu ihr durch. Dann stieß sie mit dem rechten Fuß gegen den Treppenabsatz. Vielleicht war es der plötzliche Ruck, vielleicht auch der Fakt, dass sie sich schon den ganzen Tag durch ihr Fieber gequält hatte, auf jeden Fall wurde ihr in diesem Moment schwarz vor Augen. Sie spürte nur noch Hatoris starken Arm, der sie hielt, bevor sie in schwummrige Dunkelheit abdriftete. Als sie aufwachte, lag sie unter einer weichen Decke in einem Zimmer mit weißen Wänden. Sie blinzelte und drehte den Kopf, um ihre Umgebung etwas näher zu inspizieren. Sie lag auf einem warmen Futon auf einem Parkettboden. Neben sich erkannte sie ein frisch gemachtes Bett mit einem kleinen Nachtschrank. Neben ihrem Kissen stand ein rundes Tablett mit einem Glas und einer der Flaschen Limonade, die sie zuvor gekauft hatten. Orihime setzte sich vorsichtig auf, wobei das Fieberpflaster von ihrer Stirn in ihren Schoß fiel. Sie hatte schrecklichen Durst. Mit einer Hand griff sie nach der Zweiliterflasche neben sich und versuchte, sie zu öffnen. Der Deckel ruckte nicht einmal. Sie hatte überhaupt keine Kraft in den Armen. Sie versuchte es noch einmal, war jedoch nicht erfolgreicher. Enttäuscht stellte sie die Flasche zurück neben das Glas. Sie überlegte kurz, ob sie aufstehen sollte, doch allein der Gedanke daran, sich trotz des schwachen Gefühls in ihren Beinen aus der warmen Decke zu schälen gefiel ihr so wenig, dass sie ihn gleich wieder verwarf. Sie drehte sich halb herum, um aus dem großen Fenster hinter sich zu sehen. Draußen war der Himmel blau und fast wolkenlos. Einige Vögel flatterten in ihrem Sichtfeld umher. Lange konnte sie der Anblick aber nicht fesseln und sie ließ sich wieder in ihr Kissen fallen. Abwesend betrachtete sie das ordentlich gemachte Bett neben sich, jede kleine Falte und Unebenheit im glattgestrichenen Bettbezug. Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als die Zimmertür geöffnet wurde und Hatori das Zimmer betrat. Augenblicklich richtete sie sich im Bett auf und murmelte ein „Hallo“. Hatori missachtete sie regelrecht, denn das erste, was er tat, war, sich neben ihrer Bettstätte hinzuhocken, die Flasche mit dem unerreichbaren Getränk zu öffnen und ihr ein Glas davon einzuschenken. „Bist du schon lange wach?“, fragte er ruhig. „Ja, ein bisschen...“, murmelte sie und nahm das Glas entgegen, das er ihr entgegenhielt. „Ich sagte doch, du sollst viel trinken“, mahnte er streng. Sie nahm einen tiefen Schluck und fühlte das angenehme Nass ihre ausgedörrte Kehle benetzen. In wenigen Zügen hatte sie das ganze Glas geleert. Erst dann sprach sie wieder. „Ich hab die Flasche nicht aufgekriegt.“ Wenn Hatori seine fälschliche Annahme bereute, dann sah man es ihm zumindest nicht an. „Hast du Hunger?“, fragte er. Sie schüttelte den Kopf. „Nur schrecklichen Durst“, sagte sie. Hatori schenkte ihr wortlos nach und wechselte aus der Hocke in einen bequemeren Schneidersitz. „Ich habe dich gestern untersucht. Es scheint nichts Ernstes zu sein, nur eine leichte Grippe. Wenn du dich ein paar Tage ausruhst, bist du bald wieder fit.“ Orihime nickte zwischen zwei großen Schlucken. „Haben Sie mich umgezogen?“, fragte sie vorsichtig und sah an sich herunter. Sie trug nicht mehr ihre Schuluniform, sondern ein ziemlich lose sitzendes grünes Schlafhemd mit dunkleren Säumen, das ihr an den Ärmeln zu lang war, sich aber über ihrer Brust ziemlich spannte. Sie zog die Beine mit der Decke darüber an und stellte das Glas auf ihren Knien ab. „Nein, das hat Tôru-kun getan. Sie gehört zu den Bewohnern dieses Hauses. Derjenige, der uns gestern begrüßt hat, war Shigure, der Hausherr. Momentan ist er in seinem Arbeitszimmer.“ Orihime nickte, hatte aber noch mehr Fragen: „Wessen Zimmer ist das hier?“ „Auch das von Tôru. Nebenan leben noch zwei Jungen in deinem Alter, Kyô und Yuki. Sie sind alle drei in der dritten Klasse der Oberschule.“ Orihime nickte gedankenverloren und betrachtete ihn. Sein schwarzes Haar hing ihm wie am Vortag so dicht über das linke Auge, dass sie es kaum erkennen konnte. Er trug ein langärmliges Hemd und eine ordentliche schwarze Hose. „Warum tragen Sie die Haare so?“, wollte sie neugierig wissen und nippte ein wenig an ihrem Getränk. Das war offenbar die falsche Frage gewesen, denn Hatori verengte sein sichtbares Auge zu einem Schlitz. „Du bist ganz schön neugierig“, sagte er düster. Orihime schluckte. Offenbar hatte sie da in eine Wunde getroffen. Besser, sie lenkte ihn ein wenig ab. „Wie spät ist es jetzt?“ Er sah nicht einmal auf seine Armbanduhr, um die Frage zu beantworten: „Zehn Minuten nach zehn.“ „Oh, dann hat die Schule ja schon angefangen. Ich hoffe, Tatsuki-chan macht sich keine Sorgen, wenn ich heute nicht komme“, murmelte sie, „... oder Kurosaki-kun. Vielleicht sorgt er sich ja auch gerade jetzt um mich?“ Hatori reagierte nicht darauf, weshalb sie einfach weiterredete: „Wissen Sie, ich hab bisher noch nie in der Schule gefehlt. Nichtmal, als mein Bruder gestorben ist, das ist doch komisch, oder? Aber ich will unbedingt gut in der Schule sein, damit ich mal einen guten Job kriege und nicht so arm ende wie er. Oh, Sie haben bestimmt studiert, wenn sie Arzt sind, nicht wahr?“ „Ja“, antwortete er knapp. Orihime lächelte. „Es stört Sie doch nicht, wenn ich so viel rede, oder? Mir wird sonst einfach langweilig hier“, führte sie aus und leerte ihr Glas. Sie stellte es neben sich ab und sah Hatori freundlich an. Er schien wieder ein wenig entspannter zu sein. „Nein, erzähl' mir ruhig, was du möchtest“, sagte er. Abends lernte Orihime beim Essen auch die jungen Oberschüler kennen, die in dem Haus lebten. Tôru war ein freundliches Mädchen mit nichtssagendem Gesicht, das sich wahnsinnig um sie sorgte und ihr extra eine Schale Reisbrei kochte, da sie sonst keinen Appetit hatte. Beim Essen saß Orihime dann doch recht schweigend da und beobachtete die anderen. Hatori war bereits wieder gegangen. Shigure, der Hausherr, war wieder in sein Arbeitszimmer verschwunden, wo er an einem Roman schrieb, wie Tôru der erstaunten Orihime erzählt hatte. Die beiden Jungen, der rothaarige Kyô und der silberhaarige Yuki waren die ganze Zeit über sehr schweigsam, hatten sich ihr nur kurz vorgestellt und wirkten ziemlich gedankenverloren, wenn auch auf unterschiedliche Art. Kyô wirkte eher mürrisch und stopfte seinen Reis missmutig in sich hinein, bevor er sehr schnell aufstand, sein Geschirr zur Spüle brachte und zur Treppe eilte. Yuki blieb noch ein wenig länger sitzen, sprach aber nur mit Tôru über Kleinigkeiten aus der Schule und ignorierte Orihime vollkommen, bis er sich schließlich auch in den ersten Stock begab. Orihime sah ihm verdutzt hinterher. „Mögen die keine Mädchen oder haben sie persönlich was gegen mich?“, fragte sie Tôru, die offenbar in Gedanken versunken gewesen war und mächtig erschrak, als sie angesprochen wurde. „Ääääh, wie meinst du das?“, kam es verlegen von ihr. „Sie schauen mich nicht an, sie reden nicht mit mir, als wir uns gesetzt haben hatte ich sogar den Eindruck, sie wollen mich nicht einmal berühren“, führte die Rothaarige weiter aus. „Äh, ja, das ist weil... oh.“ Tôru verstummte plötzlich. Orihime legte den Kopf schief. „Weil was...?“ Tôru, die sowieso schon aufgegessen hatte, stand eilig auf und griff nach Orihimes leerer Reisschüssel. „Ich gehe dann mal abwaschen“, sagte sie hastig und verschwand dann in der Küche. Orihime runzelte die Stirn. Am nächsten Tag war sie schon fast eine halbe Stunde wach, als Hatori den Raum betrat. Sie fühlte sich zwar schon fast wieder fit, aber am Vortag hatte er ausdrücklich darauf bestanden, dass sie sich noch einen Tag ausruhen müsste und sie hatte nicht gewagt, nein zu sagen. Erst recht nicht, nachdem sie das Gefühl bekommen hatte, dass die Männer in diesem Haushalt allesamt Geheimnisse zu umgeben schienen. Da war einmal das seltsame Verhalten von Yuki und Kyô, aber auch Hatoris verdecktes Auge hatte ihr am Vorabend so viel Kopfzerbrechen bereitet, dass sie erst spät eingeschlafen war. Schließlich hatte sie einen Plan entwickelt, um die Antwort auf ihre Fragen zu erhalten. Als Hatori nun hereinkam, wusste sie, dass die Zeit gekommen war. Aber sie musste subtil vorgehen... „Guten Morgen“, lächelte sie breit. Die Begrüßung erwiderte er kühl wie üblich. Heute trug er über seinem Hemd eine dunkle Weste und Krawatte. Er hatte eine frische Flasche Limonade dabei, die er neben Orihimes Futon abstellte. Dann hockte er sich neben sie. „Wie geht es dir heute?“, erkundigte er sich. Sie lächelte wieder. „Bestens, dank Ihrer fürsorglichen Pflege. Ich muss Ihnen wirklich dankbar sein, dass sie sich einfach um mich gekümmert haben.“ Er wirkte ein wenig irritiert von ihrem breiten Lächeln. Vielleicht übertrieb sie doch ein wenig, also versuchte sie, es ein wenig natürlicher aussehen zu lassen. „Ich bin Arzt. Es ist gewissermaßen meine Arbeit, mich um Kranke zu kümmern.“ Orihime streckte die Brust raus. Wie ihre Klassenkameradinnen ihr schon öfters gesagt hatten, waren die Waffen einer Frau die stärksten. Sie müsste nur ein wenig mit ihren großen Brüsten wackeln, und schon würde Ichigo ihr zu Füßen liegen. Orihime bezweifelte zwar, dass es bei Ichigo helfen würde, aber bei Hatori konnte sie es ja zumindest einmal versuchen. Im schlimmsten Fall würde er ihr nichts verraten oder sie rausschmeißen. Sie schürzte die Lippen ein wenig und drängte sich mit der Schulter näher an ihn heran. Er zuckte zusammen, doch sie war noch nicht fertig. Sie hob leicht den Kopf, um ihn direkt anzusehen und drückte dabei ihre Brust gegen seine. Er schien zurückweichen zu wollen, doch sie legte die Hände auf seine Schultern, um ihn zurückzuhalten. „Sag, Hatori...“, murmelte sie mit einer Stimme, die sie für erotisch hielt und blickte ihm tief in die Augen. Auf seiner Stirn zeigte sich Schweiß. Offenbar war sie noch nicht weit genug gegangen. „Vielen Dank für alles!“, stieß sie aus und schlang ihre Arme um seinen Nacken. Auf einmal spürte sie ihn gar nicht mehr. Es war, als wäre er von einem Moment auf den nächsten verschwunden. Ihr Schwung ließ sie augenblicklich vornüberkippen. Sie fing sich mit den Händen ab und sah ungläubig zwischen ihre abgestützten Hände. Aus Hatoris zusammengefallenem Hemdkragen schauten ihr die Knopfaugen eines Seepferdchens entgegen. Inmitten der Stofffalten wirkte es einigermaßen verloren. Orihime blinzelte es mit großen Augen an. „Bist du... Hatori?“, fragte sie. Es kam keine Antwort. Das wunderte Orihime eigentlich nicht besonders, schließlich hätte sie einem Seepferdchen ohnehin nicht zugetraut, sich deutlich zu artikulieren. Mit beiden Händen nahm sie das kleine Wesen auf, das sie nur hilflos anstarrte. Es schien sich tatsächlich um ein ganz normales Seepferdchen zu handeln. „Was ist denn bloß passiert?“, fragte sie ratlos. Ihr war nur soviel klar, dass es keine andere Erklärung geben konnte, als dass sich Hatori soeben in ein Seepferdchen verwandelt hatte. Aber warum? Wie konnte das sein? Eine nächste Frage stellte sich ihr in der nächsten Sekunde: Würde das Seepferdchen nicht ersticken? Soweit sie wusste, handelte es sich bei den Wesen mit dem pferdeähnlichen Kopf um eine Fischart, weshalb es gar keinen Sauerstoff würde atmen können. „Wasser...!“, entkam es ihr blitzartig. Erschrocken sprang sie auf, doch das brachte ihren Kreislauf schlagartig so durcheinander, dass ihr Schwarz vor Augen wurde und sie sich auf das Bett von Tôru sinken lassen musste. Verzweifelt presste sie sich die Hand gegen die Stirn. Sie musste das Seepferdchen so schnell wie möglich ins Wasser bringen...! Bevor sich ihr Schwindelgefühl wieder ganz gelegt hatte, hörte sie neben sich ein Rascheln und dann erklang Hatoris Stimme: „Wasser war schon mal eine gute Idee. Ein Glück, dass ich kein echtes Seepferdchen bin.“ Orihime hielt die Augen geschlossen, aus Angst, dass ihr gleich wieder alles schwarz werden würde, und legte die Stirn kraus. Sie hörte, wie Hatori mit seinen Klamotten raschelte. Siedend heiß fiel ihr ein, dass diese ja noch auf dem Boden lagen. Diskret hielt sie sich die Hände vor die Augen, bis sie sich sicher war, dass er wieder angezogen war. Als sie sich schließlich zu ihm drehte, sah er genau so aus wie zuvor, abgesehen davon, dass sein Hemd etwas zerknittert war und er seine Weste noch nicht wieder zugeknöpft hatte. „Wie funktioniert das...?“, fragte sie zögernd und streckte die Hand nach ihm aus. Er ließ sie seine Wange berühren, verzog aber keine Miene. „Das ist eine wirklich lange Geschichte“, sagte er und linste auf seine Armbanduhr. „Es ist bald Mittag. Wenn du dich wieder fit genug fühlst, können wir irgendwo essen gehen und ich erzähle dir alles.“ Als Orihime an diesem Abend schlafen ging, schwirrte ihr noch immer der Kopf von all dem, was Hatori ihr erzählt hatte, während sie sich über ihre Udon-Nudeln hergemacht hatten. Das Geheimnis war ein Familienfluch: Die Familie Sôma, der sowohl Hatori als auch Yuki und Kyô sowie Shigure, der Hausherr, angehörten, war seit Urzeiten dazu verdammt, dass einige ihrer Mitglieder den Geist eines Tieres aus dem chinesischen Tierkreis in sich trugen. Die zwölf Familienmitglieder, die der Fluch getroffen hatte, verwandelten sich in das jeweilige Tier, wenn sie von einem Menschen des anderen Geschlechts umarmt wurden, genau so wie es zuvor passiert war, als sie Hatori um den Hals gefallen war. Sein Tierkreiszeichen war das des Drachen, das sich in seinem Fall allerdings in einem Seepferdchen, das in Japan als Drachenkind galt, manifestierte. Auf dem Rückweg zum Haus hatte er ihr geschildert, wie seine Familie von ihrem Oberhaupt Akito hart geführt und angeleitet wurde. Orihime dachte direkt an ihr Gespräch zurück, das sie auf dem Rückweg vom Restaurant geführt hatten. „Ist dieser Akito wirklich so streng?“, fragte Orihime neugierig. Hatoris Blick wurde hart. „Sehr“, sagte er und wurde augenblicklich langsamer. Er warf Orihime einen leidvollen Blick aus seinem sichtbaren Augen zu, der sie erschaudern ließ. „Du hast mich gestern gefragt, warum ich mein Haar so trage...“, begann er. Orihime blieb neben ihm stehen und musterte ihn nachdenklich, während er, die Hände in den Taschen vergraben, an den umliegenden Gebäuden vorbei in den Himmel starrte. „Vor einigen Jahren gab es eine Frau in meinem Leben. Sie hieß Kana. Wir liebten uns.“ Sein verlorener Tonfall war voller Reue, über seine Augen zog sich ein Schleier von Trauer, als er weitersprach. „Akito fand heraus, dass wir zusammen waren. Er rief mich zu sich. Er verletzte mich am linken Auge. Ich bin seitdem fast blind darauf.“ Orihime schluckte. „Sie... Nein, du... du musst darüber nicht reden, wenn es dich schmerzt“, flüsterte sie betroffen und streckte die Hand aus, um ihm am Arm zu berühren. Obwohl sie sich die ganze Zeit gefragt hatte, was er wohl denken möge, wollte sie jetzt umso mehr, dass er damit aufhörte. Er schüttelte leicht den Kopf. „Nein, ist schon gut. Es ist schon lange her. Ich denke, ich bin darüber hinweg.“ Orihime sah ihn traurig an. Irgendwie hatte sie geahnt, dass es so etwas sein musste, das er verbarg. Er sah ihr freundlich in die Augen. „Du fühlst jetzt schon mit mir, dabei habe ich dir noch gar nicht die ganze Geschichte erzählt. Was danach kam...“ Sie hob die Augenbrauen. „Danach...?“ Er setzte sich langsam wieder in Bewegung und sie folgte ihm eilig. In Richtung Wald fiel die Straße des kleinen Wohngebiets, in dem sie sich mittlerweile befanden, leicht ab. Nirgendwo war ein Geräusch zu hören, nur in der Ferne zwitscherten ein paar Vögel. „Nachdem Akito mich verletzt hatte, hat Kana sich solche Vorwürfe gemacht, dass sie krank wurde. Schließlich war sie psychisch so am Ende, dass es das Beste war, ihr Gedächtnis zu löschen, indem ich sie hypnotisiert habe. Von da an ging es ihr besser. Seit zwei Jahren ist sie verheiratet.“ Selbst, als sie nun daran dachte, fühlte sie sich wieder so unwahrscheinlich traurig wie schon zuvor, als sie die Geschichte das erste mal gehört hatte. Sie wünschte sich, Hatori irgendwie helfen zu können, auch wenn er mehrmals beteuert hatte, dass er Kana nicht mehr nachtrauere. Sie hatte das Gefühl, seinen Schmerz ein wenig verstehen zu können. Es war noch gar nicht so lange her, da hatte sie ihren Bruder, ihren einzigen Verwandten, verloren. Den wichtigsten Menschen in ihrem Leben. Sie hatte sich verabschieden müssen, für immer. Musste es nicht noch trauriger sein, sich von jemandem zu trennen, der zwar noch am Leben war, doch den man einfach nicht treffen durfte, weil es demjenigen unsagbare seelische Schmerzen bereiten könnte? Eine einsame Träne bahnte sich den Weg aus ihrem Augenwinkel. Am nächsten Morgen machte sie sich nach dem Frühstück zusammen mit Tôru, Yuki und Kyô auf den Weg zur Schule, verabschiedete sich jedoch schon ziemlich bald von den drei Jugendlichen, mit denen sie ohnehin nicht viel verband, um sich hüpfend auf den Weg zu Tatsukis Haus zu machen. „Eigentlich müsste ich dir dein Gedächtnis löschen, nachdem du das Geheimnis unserer Familie erfahren hast. Aber solange niemand davon erfährt, dass du es kennst, kann mir auch niemand vorschreiben, dir diesen Fakt aus den Gedanken zu verbannen.“ Sie hatte sich am Vortag in dem Wissen von Hatori verabschiedet, dass sie sich nicht öffentlich treffen durften, wenn kein Verdacht aufkommen sollte. Dass es das Beste wäre, wenn sie es einfach vergessen würde. Dass sie einander zwar auf der Straße begegnen konnten, aber nicht mehr. Als sie vor Tatsukis Haus stehenblieb und die Klingel betätigte, fragte sie sich kurz, ob das wirklich die richtige Entscheidung gewesen war. Vielleicht wäre es besser gewesen, tatsächlich alles zu vergessen. Aber das hatte sie nicht übers Herz gebracht. Wenn schon seine Liebste ihn vergessen hatte, dann war es das Mindeste, was sie tun konnte, seine Geschichte in ihrem Herzen zu bewahren. „Orihime!“ Tatsuki strahlte, sobald sie sie erkannte. „Wo warst du die letzten zwei Tage?“, fragte sie, als sie zum Gartentor stürzte. „Ich habe meine Grippe auskuriert“, erwiderte Orihime und ballte die Fäuste. „Jetzt bin ich wieder topfit! Ich könnte Bäume zerlegen!“ Tatsuki verließ ihr elterliches Grundstück und hakte sich bei ihr unter. „Klingt gut. Auf geht's“, sagte sie unternehmungslustig. Die zwei Mädchen machten sich gut gelaunt auf den Weg zur Schule. Gut gelaunt war sie in den nächsten Tagen immer weniger. Zuerst war alles wie immer, doch nach einigen Tagen ertappte sie sich das erste Mal dabei, dass sie sich fragte, was Hatori wohl gerade machte. Auf dem Rückweg von der Schule nahm sie immer wieder den Weg an der Apotheke vorbei, in der vagen Hoffnung, dort Hatori wiederzusehen. Und jedes Mal, wenn sich diese Hoffnung nicht erfüllte, wurde sie enttäuschter. Tatsuki konnte das natürlich nicht entgehen und fragte sie mehrmals, ob irgendwas besonderes passiert sei. Sie sagte nein. Sie lächelte und erklärte, dass sie lediglich ein wenig ins Nachdenken gekommen sei. Sie tischte ihrer besten Freundin Lügen auf. Aber sie konnte nicht anders. Hatoris Geheimnis war ihr Geheimnis geworden. Als der Frühling die ersten bunten Farbtupfer in die Stadt setzte, fiel Orihime das Lächeln immer schwerer. Je munterer die Vögel, je grüner die Bäume und Büsche um den kleinen Spielplatz herum, je wärmer jeder Tag, umso schmerzhafter wurde es ihr, weiterhin so zu tun, als gehe es ihr gut. Als sie zwei Wochen nach ihrer Übernachtung bei Hatoris Freund das erste Mal eine Tüte Obst vor ihrem Zelt fand, zog sich ihr Inneres zusammen. Sie musste nicht einmal die kleine handschriftliche Notiz lesen, die neben Orangen, Äpfeln und Bananen in der Plastitktüte lag, um zu verstehen, von wem sie war. In der Nacht, in der grüngetünchten Dunkelheit des kleinen Zelts, wurde das Gefühl unerträglich. Die unglaubliche Sehnsucht nach einem warmen, weißgestrichenen Zimmer, dem angenehmen, dicken Futon und Hatoris sanfter Stimme erfüllte sie und Tränen drängten sich unnachgiebig aus ihren Augen, während ihre Erinnerung an Hatori verschwamm und sich mit dem Gesicht ihres Bruders zu einem Strahlenden Etwas vermischte. Es war ein besonders heller und freundlicher Tag, an dem Orihime von den ersten Vogelstimmen geweckt wurde. Auf dem Weg zur Schule kam sie an mindestens drei Menschen vorbei, die sie im ersten Moment für Hatori hielt, weil sie schwarze Haare hatten und einen dunklen Mantel trugen. Jedes Mal übermannte sie die Enttäuschung, wenn sie feststellte, dass er es doch nicht wahr. Tatsukis Laune dagegen war an diesem Tag übermäßig gut. Sie hatte es in die Regionalmeisterschaften im Karate geschafft, was sie schon seit Tagen auf einer Euphoriewelle reiten ließ. Selbst Ichigo, der sonst immer mürrisch und verloren dreinschaute, wirkte an diesem Tag ein wenig fröhlicher als sonst, vielleicht war das aber auch nur Einbildung. Sie bekamen an diesem Tag vier Klausuren zurück: Japanisch, Mathe, Englisch und Biologie. Orihime hatte in allen unter 30 Punkte. Tatsuki schien das nicht einmal zu bemerken, sie war viel zu ausgelassen, dass sie in Englisch, ausgerechnet Englisch, die 60-Punkte-Marke überschritten hatte. Und jeder der Lehrer rief Orihime nach dem Unterricht zu sich, um sie zu fragen, was mit ihr los sei, dass sie so ungewöhlich schlecht abgeschnitten hatte. Ihr Lächeln wurde zu einer verzerrten Maske. „Es ist alles in Ordnung, ich habe nur nicht gut genug gelernt“, sagte sie, wieder und wieder. Als ihre Englischlehrerin, eine wirklich liebe und fürsorgliche Frau, nachhakte, ob sie nicht etwa persönliche Probleme habe, hätte sie fast geweint, aber sie kämpfte es herunter, bestand darauf, dass alles okay war und floh auf die Toilette. Im Handarbeitsclub war an diesem Tag beste Stimmung, da dieser sich wegen der Klausuren seit ein paar Wochen nicht mehr getroffen hatte. Die jüngeren Schülerinnen alberten herum, nur Orihime saß in der Ecke und stach sich beim Nähen immer wieder in den Finger. Schließlich fasste sich Ishida ein Herz, sie zu fragen, was los sei, und ob er ihr irgendwie helfen könnne. Dass selbst der sonst so coole und desinteressierte Ishida merkte, dass etwas mit ihr nicht stimmte, ließ einen großen Kloß in ihrem Hals entstehen. Bevor ihr die Tränen in die Augen schossen, krächzte sie, dass sie noch etwas wichtiges zu erledigen habe und rannte aus dem Raum, das halb zusammengenähte Oberteil ließ sie verwaist zurück. Der Weg durch die Stadt kam ihr unendlich lang vor und verschwamm dennoch zu einem einzigen verworrenen Rausch aus Farben, an denen sie vorbei eilte. Mehrmals lief sie Passanten fast um, entschuldigte sich weinerlich und rannte weiter, bis sie schließlich vollkommen außer Atem den Spielplatz erreichte, der um diese Zeit natürlich voller Grundschüler war. Nicht einmal daran hielt sie sich auf. Ihre Schritte trugen sie an den Kindern, die verwundert in Ball- und Fangenspielen innehielten, vorbei zu ihrem Zelt. Vor dessen dunkler Plane leuchtete die gelbe Tüte eines Supermarkts. Als sie sie aufhob, fiel ein Zettel zu Boden, den sie mit verschleiertem Blick las. In letzter Zeit scheint es dir nicht gut zu gehen. Du solltest mehr Vitamine zu dir nehmen. Das gab ihr den Rest. Dass Hatori sie beobachtete. Dass er sich Sorgen machte. Dass er da war und sie ihn trotzdem nicht treffen konnte. Sie schrie einfach, anders war der überquellende Schmerz einfach nicht mehr auszuhalten. Mit immer heiserer Stimme schleuderte sie ihre Verzweiflung in die fröhlich grünenden Bäume um ihr Zelt. Dass die Grundschüler auf dem Spielplatz sie entgeistert anstarrten und zu murmeln begannen, nahm sie kaum war. Es war ihr auch egal. Sie schrie einfach, einen langgezogenen, unartikulierten Schrei. Und mit dem Laut brachen die Tränen endlich aus ihr hervor und tropften ihr über die Wangen. Sie schrie, bis sie keine Kraft mehr hatte und ihr die Knie nachgaben. Wohltuende Dunkelheit breitete sich über ihr aus wie eine weiche Decke. Ein Rausch aus Farben. Verschwommenes Stimmgewirr. „Sie sieht übel aus.“ Zusammenbruch. Chaos. Alles lag in Trümmern. In einem weißen Kleid wandelte sie über kalte Lava. Ihr Bruder und Hatori, zu einem geworden. Nicht zu erreichen. Ihre Flügel waren gebrochen. „Hatori...! Wo bist du...?“ Rotes Licht, grünes Licht, weißes Licht. Schwindel. Ein Abgrund. Ein Stechen von überall. „Hatori...“ Blumen, überall weiße Blumen. Ihr lächelnder Bruder. „Ich muss gehen. Komm allein zurecht.“ „Nein! Nein! Nein!!“ Ein Monster. Seine wahre Gestalt. Weiße Blumen. Vergessen. Ein langer brauner Mantel. Das halb verdeckte linke Auge. Abgewandt. Fliehend. Fliegend. Und keine Kraft, kein Weg, keine Flügel. Verzweifelter Aufschrei. „Hatori! Geh nicht! Hatori!!“ „Orihime! Ich bin hier!“ Eine warme Hand. Ein verschwommenes Lächeln. Das halb verdeckte linke Auge. „Keine Sorge, ich bin hier. Du musst leben.“ Weiße Blumen wurden zu reinem Licht. Orihime kam langsam zu sich, blinzelte. Noch bevor sie die Augen geöffnet hatte, sagte ihr ein undefinierbarer angenehmer Duft, wo sie war. Sie schlug träge die Augen auf, sah über sich die weiße Decke und die feine Schaltschnur an der Deckenlampe. Neben sich hörte sie leises, regelmäßiges Atmen. Sie wendete den Kopf und war nicht überrascht, Hatori zu erblicken. Er hockte im Schneidersitz neben dem Futon, auf dem sie lag, den Rücken gegen Tôrus Bett gelehnt. Der Kopf war ihm auf die Brust gesunken. Unter seinen Augen lagen dunkle Ringe. Orihime schob die dicke Decke zur Seite, unter der sie gelegen hatte. Ihr Schlafanzug war feucht und klebte ihr am Körper, so dass sie fröstelte, kaum dass sie die schützende Wärme verließ. Sie schob sich ihre langen Haare aus dem Gesicht. Sie waren von Schweiß verklebt. Aber das war ihr egal. Ihr Blick hing an Hatori. Dass er da war, dass er ihre Hand gehalten und sich um sie gekümmert hatte, machte sie so glücklich, dass sie ihm um den Hals fiel, ohne nachzudenken. Erst, als sie die Arme schon um seinen Nacken geschlungen hatte, fiel ihr ein, was für einen Effekt das beim letzten Mal gehabt hatte. Doch da war es sowieso schon zu spät. Erstaunlicherweise geschah nichts. Orihime, die sich bereits mental darauf eingestellt hatte, im nächsten Moment ein Seepferdchen aus Hatoris verschwitztem Hemd fischen zu müssen, blinzelte verwundert die Wand vor sich an. In ihren Armen regte sich Hatori leicht. Sie drückte ihn kurz noch ein bisschen fester an sich. „Was...?“, brachte er hervor. Orihime löste sich von ihm und sah ihn fragend an, doch er schien genau so wenig eine Antwort parat zu haben wie sie und starrte ungläubig auf seine Hände. „Das kann nicht sein...“, sagte er leise. „Der Fluch... er ist gebrochen!“ Er hob den Kopf und sah sie aus seinem gesunden Auge direkt an. „Ein Glück, dir scheint es besser zu gehen“, stellte er fest. „Du hast fast drei Tage im Fieber gelegen. Dein Glück war, dass ich in der Nähe war, als du umgekippt bist.“ Er schwieg kurz, sein Blick glitt zur Seite ab. „Ich habe nicht geahnt, dass es dir solche Probleme bereitet“, sagte er rau. „Dass es dir so schlecht gehen würde... Aber du hast im Fieber viel gesprochen, dadurch ist mir einiges klar geworden. Ich wusste nicht, dass du solche Sehnsucht nach einem Zuhause hattest.“ Und schon wieder stiegen ihr die Tränen in die Augen, aber diesmal hielt sie sie nicht zurück. Wieder umarmte sie ihn, ganz vorsichtig diesmal, doch erneut geschah nichts. „Bitte, verlass mich nicht.“ Er drückte sie vorsichtig an sich. „Bestimmt nicht. Jetzt, wo der Fluch sich gelöst hat, kann mir niemand mehr vorschreiben, was ich zu tun oder zu lassen habe.“ Sein warmer Atem strich über ihren Hals, als er weitersprach. „Ich werde dich nie wieder loslassen.“ Sie lächelte. Die Tränen, die ihr noch immer über die Wangen liefen, waren Freudentränen. Sie weinte ebenfalls, als sie gut zwei Monate später in einem langen weißen Kleid vor Hatori in der Kapelle im bunten Licht der Kirchenfenster stand und die Worte sagte, die sie für immer mit ihm verbinden würden. Sie wusste, dass sich jetzt alles zum Guten wenden würde. Und Hatori würde immer bei ihr sein. Kapitel 44: Sanji und Marron - Liebe geht durch den Magen --------------------------------------------------------- Von Hier gibt es nun mal wieder ein Pairing, das wir selbst ausgewählt haben. Wir hatten die Bedingung festgelegt, dass beide Charaktere kochen können sollten, und so kamen wir auf den Schiffskoch Sanji und das allein lebende Mädchen Marron. Natürlich tat sich dabei wieder das Problem auf, dass sie in völlig verschiedenen Welten leben, aber das haben wir geschickt gelöst, indem wir Figuren aus einer anderen Serie auftauchen ließen, die zwischen verschiedenen Dimensionen hin- und herreisen können ;) Das Schreiben dieser Geschichte hat mir viel Spaß gemacht, auch wenn ich mal wieder viel zu spät angefangen habe, weil ich im März so furchtbar viel Stress hatte U.U Zum Glück hatte ich dann Ferien^^ Liebe geht durch den Magen Marron blickte aus dem Fenster. Es war einer dieser Tage, an denen man sich fragte, warum man überhaupt auf der Welt war. Der ganze Himmel war grau verhangen und die sonst recht hübschen Hochhäuser sahen bedrohlich aus wie hohe Tannen in einem düsteren Wald. Selbst die vielen erleuchteten Fenster konnten an diesem Eindruck nicht viel ändern; ihr Versuch, ein wenig Licht in den dunklen Tag zu bringen, scheiterte kläglich. Seufzend stand Marron auf und ging zu der gläsernen Tür, die zu ihrem Balkon hinausführte. Nach einem weiteren kurzen Blick auf den trostlosen Anblick der Außenwelt zog sie die cremefarbenen Vorhänge zu, um wenigstens irgendetwas gegen die Schwere, die sich über ihren ganzen Körper gelegt hatte, zu tun. Eigentlich wollte sie sich einfach wieder auf das Sitzkissen an ihrem niedrigen Tisch setzen, Löcher in die Luft starren und darauf warten, dass der Tag vorbei ging, doch ihre innere Stimme wies sie darauf hin, dass noch ein ganzer Berg Hausaufgaben auf sie wartete. Das Leben als sechzehnjährige Oberschülerin war eben nicht leicht, besonders nicht, wenn man wie Marron noch nächtlichen Aktivitäten nachgehen musste, die mindestens ebenso wichtig waren wie die Schule. Und wenn sie Pech hatte, würde sie sich sogar diesen Abend wieder auf den Weg machen müssen. Ein Grund mehr, sofort mit der Arbeit anzufangen, die für die kommende Woche zu erledigen war. Wenig motiviert ging sie in ihr Zimmer, wo auf dem Bett ihre Schultasche lag. Einen Moment lang war sie versucht, sie einfach auf den Boden und sich selbst auf die weiche Matratze zu werfen, doch sie widerstand der Versuchung. Sie wollte schließlich gute Leistungen erzielen, damit sie ihren Eltern keine Sorgen bereitete. Obwohl diese, wenn sie sich Sorgen um sie machten, vielleicht mal bei ihr vorbeischauen würden... Schnell vertrieb Marron diese Hoffnung aus ihren Gedanken, schnappte sich ihre Tasche und setzte sich wieder an den Tisch, wo sie gleich eines der Bücher aufschlug und begann, einen Text über die Zusammensetzung der Biomembran zu lesen. Sie war gerade mal mit dem ersten Absatz fertig – von dem sie zugegebenermaßen kaum etwas verstanden hatte – als ein leises Klopfen an der Fensterscheibe sie aufblicken ließ. Die Vorhänge waren zwar zugezogen, aber sie konnte sich schon vorstellen, wer dort auf dem Balkon stand – oder besser besagt, vor ihrer Scheibe schwebte. Ein breites Lächeln schmückte ihr Gesicht, als sie den Stoff zur Seite zog und die Tür ein paar Zentimeter aufschob. „Marroo~n!“, rief der kleine Engel, der nun von draußen hineingeflogen kam, und schmiegte sich an ihre Wange. „Hallo Finn“, begrüßte Marron ihre kleine Begleiterin lachend. „Konntest du den Dämon aufspüren?“ Finn nickte eifrig. „Ja, diesmal war es ganz einfach. Es ist der Chefkoch eines Restaurants in der Innenstadt, und man hörte seinen Wutausbruch bis auf die Straße...“ Marron seufzte. Eigentlich hatte sie gar keine Lust auf diese ganze Dämonen-Austreibung, aber sie war zu gutherzig, um die Menschen, die von Dämonen besessen waren, einfach ihrem Schicksal zu überlassen. Oft mussten ihre Freunde und Bekannten sehr darunter leiden, denn die Besessenen wurden durch die Macht des Teufels böse, hartherzig und egoistisch. Ein weiterer Grund für Marron, immer wieder nachts loszuziehen, war, dass sie so Finn dazu verhelfen konnte, endlich ein richtiger Engel zu werden. Und an den Tagen, an denen selbst dieses Argument sie nicht überzeugen konnte, brauchte sie nur daran zu denken, dass sie die Wiedergeburt der legendären Jeanne d'Arc war. Heute jedoch hatte sie zur Abwechslung mal große Lust, endlich aus ihrer Wohnung herauszukommen und sich in ein neues Abenteuer zu stürzen. Wenigstens etwas Sinnvolles musste sie an diesem grauen Tag ja wohl noch zustande bringen. „Soll es gleich heute Abend losgehen?“, fragte Marron ihre kleine Begleiterin, die es sich inzwischen auf einem kleinen Kissen auf dem Tisch gemütlich gemacht hatte. „Natürlich, was denkst du denn?“, erwiderte diese gespielt streng. „Ich habe schon eine Warnung geschickt, du kannst also bald loslegen.“ Marron nickte und ballte die Hand zur Faust. „Möge das Spiel beginnen!“ ♡♡♡ Sie war eine Göttin. Anders konnte Sanji sich die unglaubliche Schönheit und Anmut dieser Frau nicht erklären. Bis vor wenigen Sekunden waren er, der junge Shaolan und sein magisches Plüschtier Mokona noch dabei gewesen, zu diskutieren, was zu tun war, wenn die Diebin Jeanne auftauchte. Diese hatte dem Chefkoch des Restaurants, in dem Sanji seit neustem arbeitete, nämlich angedroht, an diesem Abend seine Kochmütze zu stehlen, was der junge Mann zu verhindern versprochen hatte. Doch nun stand sie vor ihm, Jeanne, die Diebin, die schon seit einer ganzen Weile ihr Unwesen in der Stadt trieb, und Sanji konnte keinen Finger rühren. Die Befehle, die nun aus allen Richtungen gebrüllt wurden, klangen in seinen Ohren, als kämen sie aus weiter Ferne, so sehr hatte er sich im Anblick dieser Frau verloren. Sie war die Verkörperung von Anmut, gepaart mit einer Schönheit, die nicht von dieser Welt sein konnte. Ihr langes, seidig glänzendes, blondes Haar war mit einer roten Schleife zu einem Zopf gebunden, der bei jedem ihrer Schritte hin und her schwang. Ihr Outfit mit den weiten Ärmeln und dem breiten Gürtel schien an das traditionelle Gewand dieses Landes angelehnt zu sein, nur der kurze rote und weiße Rock fiel aus der Reihe, auch wenn Sanji nichts dagegen einzuwenden hatte. Einen Moment lang musterten die strahlenden violetten Augen, die unter dem langen Ponyhaar hervorblitzten, Sanji, dann verlagerte sich ihr Blick auf den Chefkoch, der sich mit einem gefährlich blitzenden Küchenmesser hinter einer Reihe von Polizisten postiert hatte. „Sie hat die Feder“, flüsterte Mokona, das noch immer neben Sanji auf dem Boden hockte, ihm zu und wedelte dabei aufgeregt mit den langen Ohren. Sanji jedoch, der noch immer völlig in den Anblick Jeannes versunken war, nahm die Worte des Tieres nicht einmal richtig war. Er sah zu, wie eine ganze Riege von Polizisten sich auf Jeanne stürzte oder versuchte, sie mit Netzen einzufangen. Er sah auch zu, wie sie jedem der Angriffe geschickt auswich, ohne dabei an Anmut zu verlieren. Erst, als alle anwesenden Polizisten entweder ohnmächtig oder in ihren eigenen Netzen gefangen am Boden lagen, begann Sanjis Geist langsam in ihn zurückzukehren. Den Blick immer noch auf Jeanne gerichtet, die nun in seine Richtung rannte, um der Mütze des Chefkochs habhaft zu werden, die dieser krampfhaft umklammert hielt, fragte er sich, ob er sein Versprechen halten oder sich lieber auf die Seite der göttlichen Schönheit stellen sollte. Die Entscheidung wurde ihm abgenommen, als der Koch das Messer in die Höhe riss und es auf die ihm entgegenkommende Jeanne schleuderte. Sie hatte gerade mal erschrocken zusammengezuckt, als er schon den Fuß in die Höhe gerissen und die Waffe mit einem gezielten Tritt von ihrer Bahn abgelenkt hatte. So landete sie, mit von der Wucht der Attacke zitterndem Schaft, im hölzernen Fußboden des Restaurants. Jeanne zwinkerte ihm dankbar zu – was erneut all seine Vernunft verpuffen ließ – und schoss wieder auf den Koch zu. Nachdem sie die Polizisten mit einem einfachen Sprung überwunden hatte, stand sie endlich vor ihrem Opfer, das ihr nun nur noch seine bloßen Hände entgegenzusetzen hatte. „Komm nur her“, knurrte er und schüttelte drohend seine Faust. Das schien die Diebin allerdings gar nicht zu beeindrucken, denn sie lächelte nur entschuldigend und warf einen kleinen Gegenstand auf die Kochmütze in seiner Hand, die sich, als sie davon berührt wurde, scheinbar in Luft auflöste. „Schachmatt!“, rief sie triumphierend und trat schnellstens die Flucht an, bevor sie doch noch jemand erwischte. Ohne groß darüber nachzudenken, nahm Sanji die Verfolgung auf. Sie war ziemlich schnell, doch seine langen Beine und die hohe Kondition kamen ihm zugute, sodass er es tatsächlich schaffte, mit ihr Schritt zu halten, ohne dass sie ihn bemerkte. Als sie sich ein paar Straßen von dem Restaurant entfernt unbeobachtet glaubte, blieb sie in einer unbeleuchteten Seitengasse stehen. „Das war ja fast zu einfach heute“, stellte sie fest. Während Sanji, der sich hinter einem Haufen Müllsäcke versteckt hielt, sich noch fragte, mit wem sie da sprach, griff Jeanne nach dem roten Band, das ihre Haare zusammenhielt und zog an einem Ende, sodass die Schleife sich auflöste. Auf einmal war die blonde Schönheit verschwunden und an ihrer Stelle stand ein Mädchen – vielleicht sechzehn Jahre alt – in einem recht kurzen hellgelben und grünen Kleid. Sanji rieb sich die Augen, doch als er wieder hinsah, stand das Mädchen immer noch dort und begann nun leise über die gerade beendete Mission zu sprechen. Es hätte Sanji nicht gewundert, wenn sie von irgendeinem unsichtbaren Wesen begleitet wurde. Das Mädchen murmelte: „Wir sollten langsam nach Hause gehen, es ist schon spät“ und setzte sich dann auch sofort in Bewegung. Ohne groß einen Gedanken daran zu verschwenden, was er da eigentlich tat, folgte Sanji ihr. Er hatte von Anfang an gewusst, dass eine Schönheit wie Jeanne nicht von dieser Welt sein konnte. Aber dass es ein einfaches Mädchen war, dass sich bei Nacht in eine Diebin verwandelte – oder eine Diebin, die sich tagsüber als harmloses Mädchen tarnte? – hätte er dennoch nicht erwartet. Die Kleine war nicht hässlich, zumindest gefiel Sanji das, was er im Dunkeln von ihr erkennen konnte, durchaus. Doch mit Jeannes göttlicher Ausstrahlung konnte sie nicht mithalten – allein schon dieser Name, Jeanne, der einem so leicht von der Zunge ging... Hier waren unglaubliche Mächte im Spiel, daran bestand kein Zweifel. Nach einer Weile betrat das Mädchen eines der vielen hohen Gebäude, die die ganze Stadt auszufüllen schienen. Durch die gläsernen Türen konnte Sanji endlich einen richtigen Blick auf sie erhaschen, da das Innere beleuchtet war. Sie hatte eine perfekte Figur und bewegte sich sehr anmutig, was allerdings die einzige Parallele zwischen ihr und Jeanne zu sein schien. Ihr Haar war kürzer und dunkler und auch ihr Gesicht schien sich allein dadurch, dass ihre Augen nun nicht mehr lila sondern braun waren, deutlich verändert zu haben. Mit einem leisen Seufzer wandte Sanji sich ab, nachdem sie aus seinem Sichtfeld verschwunden war. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er gerade blindlings durch eine Stadt gelaufen war, in der er noch nie zuvor gewesen war, in einer Welt, die ihm völlig fremd war. Er hatte keinen schlechten Orientierungssinn, aber wenn man auf dem Meer unterwegs war, hatte man eben immer seinen Kompass, der einem die Richtung anzeigte, da man sich an etwas anderem sowieso nicht orientieren konnte. Und die Städte, in denen sie immer mal wieder unterwegs waren, waren viel klarer strukturiert und den Weg zurück zum Hafen fand man sowieso immer anhand des salzigen Geruchs des Meeres. Sanji ärgerte sich darüber, dass er sich weder den Namen des Restaurants noch irgendeinen anderen Anhaltspunkt gemerkt hatte. Wie sollte er denn so wieder zu den anderen zurückfinden? Zum Glück kamen kurze Zeit später der Kommissar und seine Tochter vorbei, die Sanji sofort erkannten. Es stellte sich heraus, dass sie ebenfalls in diesem Haus wohnten. Der Gedanke daran, dass sie Tür an Tür mit der Diebin wohnten, die sie schon so lange verfolgten, ließ ihn schmunzeln. Aber er würde sie nicht verraten, dafür war er viel zu erpicht darauf, sie näher kennenzulernen. Und dann war da natürlich auch noch die Sache mit der magischen Feder, die seine neuen Freunde so dringend benötigten. Laut Mokona war sie in Jeannes Besitz, also hatte er einen Grund mehr, sie noch einmal zu treffen. Den nächsten Tag begann Sanji voller Zuversicht. Die Wolken, die am Vortag noch über der Stadt gehangen hatten, hatten sich verzogen und nun strahlte ein blauer Frühlingshimmel auf die Bewohner herab. Sanji streckte sich. Das dünne Futon, auf dem er die Nacht verbracht hatte, war zwar nicht ansatzweise so gemütlich wie die Hängematte, auf der er normalerweise schlief, doch das störte ihn wenig. Er war froh, dass sie überhaupt einen Platz zum Schlafen gefunden hatten. Nachdem der Kommissar ihn zum Restaurant zurückgefahren hatte und er dort seinem neuen Chef – der auf einmal viel freundlicher war als zuvor – erklärt hatte, dass sie kein Geld für ein Hotelzimmer hatten, hatte dieser ihnen kurzerhand angeboten, sie könnten doch in seinem Keller übernachten. Durch ein kleines Fenster fiel Licht von der Straße in den Raum, sodass Sanji erkennen konnte, dass die anderen alle noch schliefen: das weiße Plüschtier mit dem roten Stein auf der Stirn, der junge Shaolan, der blonde Magier Fye, der schwarzhaarige Ninja Kurogane und natürlich die liebreizende Prinzessin Sakura. Sanji seufzte. Ohne letztere wäre er jetzt noch in seiner eigenen Welt, hätte inzwischen sicher diese abartigen Schwuchtel Mr. 2 besiegt und vielleicht seine Freunde wieder getroffen, um mit ihnen die nächsten Schritte für die Vernichtung von Sir Crocodile zu besprechen. Aber sein Herz hatte ihm gesagt, dass er Sakura folgen musste, und nun war er hier. Vielleicht war es Pech gewesen, dass er sich gerade an ein Mädchen hängen musste, das durch die Dimensionen reiste, aber andererseits hätte er sonst wohl nie Jeanne getroffen. Und das war ihm jede Unannehmlichkeit wert. Darauf bedacht, niemanden zu wecken, kroch Sanji zu Sakura hinüber und strich ihr liebevoll eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ich werde deine Erinnerung schon zurückholen, sei unbesorgt.“ Lächelnd sah er auf ihr friedlich schlafendes Antlitz herab, dann drehte er sich um und trabte die Treppe hinauf. Im Licht der warmen Frühlingssonne sah die Stadt viel freundlicher aus als am Vortag. Auch die vielen Hochhäuser hatten jegliche Bedrohlichkeit verloren. Sanji sah sich ein wenig um, umströmt von einer ganzen Masse von Menschen mit dicken Aktentaschen, schwarzen Anzügen und emotionslosen Gesichtern. Nach einer Weile erkannte er tatsächlich die Straße wieder, durch die Jeanne gestern geflohen war. Mit einem zuversichtlichen Lächeln im Gesicht machte er sich auf den Weg. Diesen hatte er sich, als er gestern im Gefährt des Kommissars hier entlanggefahren war, so gut es ging eingeprägt, daher verlief er sich nur einmal, bis er schließlich wieder vor dem Haus stand, in dem das Jeanne-Mädchen gestern verschwunden war. Was sollte er jetzt tun? Wenn er einfach reinmarschierte und ihr erklärte, dass er ihre geheime Identität kannte, würde sie ihm bestimmt nicht glauben, dass er die Feder für einen guten Zweck brauchte. Er konnte sie natürlich erpressen, aber das widersprach seinen Prinzipien. Viel eher sagte ihm der Plan zu, ihr „zufällig“ irgendwo zu begegnen und sie durch seinen überwältigenden Charme dazu zu bringen, ihm die Feder freiwillig zu geben. Und dann hätte er auch schon eine Basis für eine engere Beziehung aufgebaut... Also musste er nur noch warten. Er versteckte sich hinter der Ecke des Hauses, den Eingang ständig im Blick, und hoffte, dass sie überhaupt noch zu Hause war. Wenn sie schon früher ausgegangen war, konnte er wohl lange auf sie warten. Doch er hatte Glück: Weniger als zwanzig Minuten später schwang die Tür auf und ein brünettes Mädchen trat auf die Straße heraus. Hätte sie nicht die selbe Kleidung wie am Abend zuvor getragen, hätte Sanji sie wohl nicht erkannt, denn gestern, bestrahlt vom Licht im Eingangsbereich ihres Hauses, waren ihre Haare ihm eher dunkelblond als braun vorgekommen, und die Farbe ihrer Augen oder die geringe Körpergröße konnte er auch kaum als Erkennungsmerkmal verwenden, da hier jeder mehr oder weniger so aussah. Als das Mädchen an ihm vorbeiging, wäre er am liebsten sofort hervorgesprungen, um sie anzusprechen, doch es gelang ihm, sich zurückzuhalten. Es musste so aussehen, als wäre die Begegnung zufällig, sonst würde sie sicherlich auf die Idee kommen, dass er ihre geheime Identität kannte. Die Verfolgung am helllichten Tag war einfacher als in der Nacht, da seine Schritte aus der allgemeinen Geräuschkulisse nicht herauszuhören waren und er sich außerdem in der Menge verstecken konnte. Ein wenig Achtsamkeit gehörte natürlich trotzdem dazu, denn mit seinen blonden Haaren und der hochgewachsenen Gestalt stach er aus der homogenen Masse doch hervor. Schließlich betrat das Mädchen ein Geschäft in der Straße, in der sich auch das Restaurant, in dem Sanji momentan arbeitete, befand. Er folgte ihr, nachdem er durch einen Blick durch eins der großen Fenster festgestellt hatte, dass es sich um einen Lebensmittelladen handelte. Der Anblick all der Nahrungsmittel, die zerschnitten und in durchsichtige Hüllen gequetscht worden waren, ließ ihm einen kalten Schauer den Rücken herunterlaufen. Mit einem Mal wurde diese Welt ihm ziemlich unsympathisch – was mussten das bloß für Menschen sein, die so mit Lebensmitteln umgingen? Wenn das Mädchen nicht gewesen wäre, hätte er dieses Geschäft so schnell wie möglich wieder verlassen. Dieses ging gerade an einer gekühlten, durchsichtigen Kiste entlang, in der anscheinend alle Arten von Fisch angeboten wurden. Sie nahm eine kleine Portion mit gleichmäßig geschnittenen Scheiben einer unappetitlich aussehenden Masse heraus und betrachtete das kleine Schild, das darauf geklebt war. „Du wirst dich doch wohl nicht vergiften wollen, oder?“, fragte Sanji, der unauffällig neben sie getreten war. Sie hatte ihn anscheinend nicht bemerkt, denn sie zuckte überrascht zusammen, als er sie ansprach. Galant nahm er ihr den Fisch aus der Hand. Dass es sich dabei um den giftigen Kugelfisch Fugu handelte, hatte er auch nur am Etikett erkennen können. Das Mädchen fragte erstaunt: „Wieso vergiften?“ Sanji hob die Augenbrauen. „Das hier ist immerhin Fugu. Nur Meisterköche können ihn so zubereiten, dass er genießbar ist.“ Sie lächelte unsicher. Anscheinend wusste sie nicht so recht, was sie von ihm halten sollte. Er musste also noch einiges an Überzeugungsarbeit leisten, bis sie ihm vertraute. „Dieser hier ist sicher nicht mehr giftig. Sonst würden sie ihn ja nicht in einem Supermarkt verkaufen.“ „Sie bereiten ihn zu und bringen ihn dann in den Laden?“ „Warum nicht?“, fragte Marron verwirrt. Sanji lachte. „Diese Welt ist wirklich merkwürdig.“ Dieser Ausspruch schien sie noch mehr zu verwirren. „Wie meinen Sie das?“ „Das 'Sie' kannst du bleiben lassen. Ich bin auch erst neunzehn.“ „Okay...“, murmelte Marron. „Aber was meintest du mit 'diese Welt'? Kommst du aus einer anderen?“ Sanji seufzte. „Oh ja, ich komme von weit weg.“ „Wie bist du hergekommen?“ „Ich bin dem Ruf meines Herzens gefolgt.“ Das Mädchen sah ihn zweifelnd an. „Und was tust du hier?“ „Ich arbeite in einem Restaurant, gleich nebenan.“ „Du bist Koch?“ „Ja“, sagte er stolz. „Und ein nicht ganz schlechter, möcht ich meinen. Hast du nicht Lust, meine Künste selbst zu sehen und zu schmecken?“ Diese Einladung schien das Mädchen zu überraschen und Sanji fragte sich, ob er nicht zu voreilig gewesen war. Wenn sie jetzt ablehnte, hatte er es vermasselt. Nach kurzem Überlegen erwiderte sie lächelnd: „Vielen Dank, das würde ich sehr gerne.“ Mit seinem charmantesten Lächeln nahm Sanji ihre Hand und hauchte einen Kuss darauf, ohne den Blickkontakt zu ihr zu brechen. Sie errötete, ließ ihn aber gewähren, was er als gutes Zeichen auffasste. „Folge mir, Prinzessin“, forderte er sie auf und führte sie aus dem Geschäft heraus zu seinem Arbeitsplatz. „Wie heißt du eigentlich?“, fragte sie, als er gerade die Tür zum Restaurant öffnete, um ihr Einlass zu gewähren. „Sanji. Und du?“ „Marron“ Er lächelte. „Ein sehr hübscher Name, er passt zu einer Schönheit wie dir.“ Das zauberte wieder einen rötlichen Schimmer auf ihre Wangen, der sie noch bezaubernder aussehen ließ als zuvor. Auf dem Weg zur Küche begegnete den beiden der Chef des Restaurants, der Marron sogleich überschwänglich begrüßte. Als er hörte, dass sie sich fürs Kochen interessierte, wies er Sanji freudestrahlend an, ihr alles zu zeigen, damit aus ihr vielleicht eines Tages eine gute Köchin werde. Das versprach er natürlich sofort. Er führte ihr alles vor, was für die Arbeit als Koch wichtig war: Die verschiedenen Messer, die vielen anderen Geräte, die Techniken, die er zum Schneiden bestimmter Lebensmittel benutzte und alles andere, wofür sie sich interessierte. Während sie sich über alles mögliche unterhielten – teilweise kamen sie auch weit vom Thema Kochen ab – bemerkte Sanji, wie Mokona und Shaolan im Schutz einer geöffneten Schranktür nach irgendetwas unsichtbarem griffen und, nachdem sie eine Weile darauf eingeredet hatten, die Feder in den Händen hielten, die sie eigentlich bei Marron vermutet hatten. Er fragte sich, was es damit auf sich hatte und beschloss, sie nachher danach zu fragen. Daran, dass sie nun in die nächste Dimension weiterreisen mussten, um eine weitere Feder für Sakura zu finden, wollte er lieber noch keinen Gedanken verschwenden. Das war zum Glück nicht so schwer, denn sein ganzer Körper schien erfüllt zu sein von der Zuneigung zu Marron, die mit jedem Wort, das er mit ihr wechselte, zu wachsen schien. Er hätte das Gespräch ewig fortsetzen können, doch es kam zu einem jähen Ende, als ihr Magen laut zu knurren begann. Sie blickte ihn entschuldigend an und murmelte: „Ich hatte noch kein Mittagessen.“ Erschrocken warf Sanji einen Blick auf die Uhr und stellte fest, dass es jetzt immerhin schon kurz nach eins war. Kein Wunder, dass sie Hunger hatte. „Tut mir leid, daran habe ich gar nicht gedacht. Wir haben sicher noch einen schönen Platz für dich frei. Ich bringe dir gleich das beste Mahl, das auf unserer Karte steht.“ Er zwinkerte ihr zu. „Natürlich alles auf meine Kosten.“ „Bist du sicher?“, fragte sie. „Selbstverständlich“, versicherte er und schob sie sanft in Richtung des Speiseraums. Sanji hätte gerne mal bei ihr vorbeigeschaut um zu sehen, ob sein Essen ihr schmeckte, doch er hatte alle Hände voll zu tun. Es war kein Wunder, dass er den Posten hier am Vortag ohne große Probleme bekommen hatte, denn mit nur drei Angestellten war es so gut wie unmöglich, diesem Ansturm standzuhalten. Zum Glück kam Marron noch einmal kurz in die Küche, als sie fertig gegessen hatte. Sie betonte, wie gut es ihr geschmeckt hatte und bedankte sich noch einmal herzlich für die Einladung. Froh darüber, dass sie ihm nun tatsächlich zu vertrauen schien, fragte er: „Wollen wir nicht mal zusammen was kochen?“ „Ja, gerne“, antwortete sie strahlend. „Wie wäre es mit morgen Abend, wenn meine Schicht hier vorbei ist?“, schlug er vor. Sie hatte ebenfalls Zeit, also war das beschlossene Sache. Sie verabredeten schnell, wann genau und wo sie sich treffen wollten, verabschiedeten sich voneinander und dann war Marron auch schon verschwunden. Als Sanji ihr seufzend hinterhersah, klopfte ihm jemand auf die Schulter. Er drehte sich um und sah, dass es sein Chef war, der ebenfalls zur Tür sah, durch die Marron gerade verschwunden war. Anscheinend hatte er ihr Gespräch mitgehört, denn er sagte: „Ja ja, Liebe geht eben durch den Magen.“ Die gute Stimmung, die sich während des Treffens mit Marron bei ihm eingestellt hatte, verging am Abend ganz schnell wieder, als er nach der Arbeit das kleine Zimmer betrat, in dem er mit seinen Gefährten untergebracht war. Sie alle waren unten versammelt und blickten ihn ernst an. „Ihr habt die Feder, oder?“, fragte er, von ihren Blicken ein wenig verunsichert. Mokona nickte. „Ja, wir haben sie. Sie war nicht bei Jeanne, sondern bei einem kleinen Engel, der ständig an ihrer Seite rumflog. Aber den konnte anscheinend außer mir keiner sehen.“ „Ein Engel?“, fragte Sanji überrascht. Das passte zu einer göttlichen Gestalt wie Jeanne... „Ja“, sagte Shaolan. „Mokona hat ihr alles erklärt und dann hat sie uns die Feder gegeben.“ „Ein Teil meiner Erinnerung ist zurückgekehrt“, sagte Sakura und lächelte ihm dankbar zu. „Ohne dich hätten wir das bestimmt nicht so schnell geschafft.“ Shaolan sah ein wenig beleidigt aus, widersprach ihr aber nicht. „Und was ist jetzt?“, stellte Sanji die Frage, auf die wohl alle gewartet hatten. „Du kannst mitkommen.“ Nun hatte Fye das Wort ergriffen. „Wir könnten gemeinsam nach einem Weg suchen, dich in deine Dimension zurückzuschicken.“ Sanji sah ihn nachdenklich an. Sollte es ihm etwa nicht vergönnt sein, noch länger bei Marron zu bleiben? Fye schien sein Schweigen richtig interpretiert zu haben, denn er fuhr fort: „Wenn du willst, kannst du natürlich auch hier bleiben. Aber ich befürchte, in dieser Welt sind die Magier nicht besonders stark vertreten. Es dürfte schwierig werden, von hier aus einen Rückweg zu finden.“ Er musste sich also entscheiden: entweder blieb er bei Marron – oder er kehrte in seine Welt zurück, zu seiner Crew, in sein Leben... „Du magst dieses Mädchen, oder?“, fragte Shaolan. Sanji nickte. „Wenn sie dir wirklich etwas bedeutet, solltest du sie nicht alleine lassen. Ich jedenfalls würde für das Mädchen, das ich liebe, alles riskieren.“ Sein trauriger Blick wanderte zu Sakura herüber. Diese sagte: „Ein Mädchen, das von einem Engel begleitet wird, muss etwas Besonderes sein, meinst du nicht auch?“ Eine Weile blickte Sanji sie schweigend an, dann ließ er seinen Blick über den Rest der Gruppe schweifen. „Ihr habt recht“, sagte er schließlich und schloss Sakura fest in die Arme. „Viel Glück auf eurer weiteren Reise.“ Sie verabschiedeten sich schnell voneinander. Dann begann auch schon der rote Stein auf Mokonas Stirn zu leuchten und mit einem Mal waren sie alle verschwunden. Sanjis einzige Chance, in seine Welt zurückzukommen... „Ach, das wird schon“, sagte er zu sich selbst, optimistisch wie immer. „Solange Marron da ist, wird es mir hier so gut gehen wie nie.“ Tatsächlich waren die Wochen, die auf das erste Treffen folgten, die schönsten seines Lebens. So oft sein und Marrons Zeitplan es zuließ, trafen sie sich, um gemeinsam zu kochen oder häufig auch einfach nur, um zu reden. Schon bald wusste er fast alles über sie: dass ihr Eltern sie alleine gelassen hatten, als sie gerade mal acht war; dass das einzige, was sie von ihnen bekam, das allmonatliche Geld war, das sie zum Leben brauchte und dass sie das ohne ihre beste Freundin Miyako – die Polizistentochter, die gleich nebenan wohnte – wahrscheinlich niemals durchstehen könnte. Wenn sie so vor ihm saß und mit leiser Stimme erzählte, wie sehr sie ihre Eltern vermisste, hätte er sie am liebsten in den Arm genommen. Bei jedem anderen Mädchen hätte er sich auch nicht gescheut, das zu tun, doch irgendetwas war bei ihr anders. Er hatte Angst, ihr wehzutun, ihr zu nahe zu treten, sie irgendwie zu verletzen... Oft, wenn er abends im Bett lagt, fragte er sich, was genau es wohl war, das sie von den anderen Mädchen unterschied. Auf der einen Seite fielen ihm tausend Sachen ein, die sie einzigartig machten: ihre großen, lieben, braunen Augen, ihr Geschick am Herd, ihre anmutigen Bewegungen, ihre geheime Identität... Aber zugleich dachte er an die vielen anderen außergewöhnlichen Mädchen, denen er auf seinen Reisen schon begegnet war, die ihm aber nie so wichtig gewesen waren wie Marron. „Hast du heute Abend wieder zu tun, Süße?“, fragte er, als sie sich ein erneutes Mal an ihrem niedrigen Tisch gegenübersaßen und das Kartoffelgratin verspeisten, das sie zuvor gemeinsam zubereitet hatten. Wie jedes Mal, wenn er sie so ansprach, errötete sie ein wenig und brauchte eine Weile, bis sie antwortete. Der Anblick ihres unschuldigen Gesichts ließ ihn verträumt lächeln. „Ja, tut mir leid. Ich habe eine wichtige Verabredung...“ Er hatte ihr nie erzählt, dass er ihr Geheimnis kannte, aber manchmal hatte er das Gefühl, dass sie es längst wusste. Dennoch sprach sie ihn nie darauf an und war stets bemüht, ihre nächtlichen Ausflüge so gut es ging zu vertuschen. Sanji seufzte. „Ja, ich weiß...“ Er sah ihr die Augen, in die er geradezu vernarrt war. Sie waren so schön, so lieb, so unschuldig... Zu gerne hätte er gewusst, was es mit Jeanne auf sich hatte, warum sie von einem Engel begleitet wurde und warum sie diese ganzen Dinge stahl. Aber er traute sich nicht, sie darauf anzusprechen. Dabei war er doch eigentlich ein furchtloser Pirat, der selbst beim Anblick einer ganzen Flotte von Marineschiffen nicht den Schwanz einzog. „Die Liebe kann einen Menschen verändern...“ „Was hast du gesagt?“, fragte Marron und blickte ihn neugierig an. Überrascht schreckte er aus seinen Gedanken hoch. Er hatte gar nicht gemerkt, dass er den Gedanken laut ausgesprochen hatte. „Ich habe gesagt, dass die Liebe die Menschen verändert“, wiederholte er lächelnd und legte seine Hand auf ihre, die abwartend auf der Tischplatte ruhte. „Wie... wie meinst du das?“, stammelte sie, das Gesicht rot wie eine Tomate. Sein Lächeln wurde breiter und er versenkte seinen Blick wieder in ihren weit geöffneten Augen, die ihn überrumpelt ansahen. „Früher war ich ein furchtloser Pirat und nun... bin ich ein Feigling, der sich nicht einmal traut, das Mädchen, das er liebt, zu umarmen, aus Angst, es zu verletzen...“ Marron blickte ihn wie versteinert an. Kein Wort verließ ihre Lippen. Einen Moment lang bewunderte Sanji sich selbst für seinen Mut, ihr endlich seine Gefühle zu gestehen, doch schon im nächsten Augenblick befürchtete er, alles falsch gemacht zu haben. Er blieb ganz still sitzen, blickte Marron an und wartete auf ihre Reaktion. Mit jeder Sekunde, die verging, schien sein Herz schneller zu schlagen. Er hatte schon Angst, es würde in tausend Teile zerspringen oder vor lauter Aufregung einfach aufhören zu schlagen, als Marron endlich den Mund öffnete. „Du... liebst mich?“, fragte sie langsam und mit zitternder Stimme. Er wusste, dass es zu spät war, um einen Rückzieher zu machen, also nickte er. „Mehr als alles andere auf der Welt.“ Der Anflug eines Lächelns zeigte sich auf ihrem Gesicht. Es löschte alle Zweifel, alle Gedanken aus, die die ganze Zeit durch Sanjis Gehirn gejagt waren, und ließ nur seine Gefühle übrig, von denen er mit einem Mal überwältigt wurde. Ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, hatte er sich schon über den Tisch gebeugt, ihren Kopf zu sich herangezogen und sie geküsst. ♡♡♡ Nach dem Kuss war Sanji recht schnell aus Marrons Wohnung verschwunden. Sie war sich sicher, dass es ihre Schuld war, schließlich hatte sie überhaupt nicht reagiert und ihn nur erschrocken angesehen. Jetzt nahm er sicher an, sie würde überhaupt nichts für ihn empfinden. Dabei war das gar nicht der Fall... Marron seufzte. Sie war doch einfach nur so überrascht gewesen, weil es ihr erster Kuss war, abgesehen von dem, den sie einmal von diesem Trottel Sindbad bekommen hatte. Aber der hatte ja im Grunde nur Jeanne gegolten... Erneut seufzend ließ Marron sich nach hinten fallen und starrte, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, aus dem Fenster. Der Himmel zwischen den Hochhäusern war erfüllt von der blutroten Farbe der untergehenden Sonne. Was war, wenn dieser Abend auch das Ende ihrer Beziehung zu Sanji bedeutete? Er hatte ihr gezeigt, wie stark seine Gefühle waren, und sie hatte kein einziges Wort gesagt und ihm in keinster Weise deutlich gemacht, dass es ihr doch ganz genauso ging. Sie hoffte mit ganzem Herzen, dass er wiederkommen würde. Sie wollte wieder mit ihm kochen. Er wusste so vieles, konnte ihr so vieles beibringen. Aber vor allem wollte sie mit ihm sprechen und ihm erklären, was in ihr vorging. Wenn er erstmal wieder vor ihrer Haustür stünde, würde alles in Ordnung kommen, dessen war sie sich gewiss. „Marron?“, fragte ein dünnes Stimmchen und sie hörte das leise Flattern von Finns Flügeln auf sie zukommen. Anscheinend war der kleine Engel gerade von seiner Erkundungstour zurückgekommen. Marron war froh, dass sie während ihres Abends mit Sanji nicht da gewesen war. Sicher hätte sie alles nur noch schlimmer gemacht, sie war immer so furchtbar eifersüchtig. Bevor Sanji das nächste Mal kam, musste sie ihr wohl einschärfen, wie wichtig er ihr war... „Was ist los, Marron?“, fragte Finn, die nun über Marrons Gesicht schwebte und sie besorgt ansah. Marron zwang sich zu einem Lächeln. „Es ist nichts, mach dir keine Sorgen.“ „Dann können wir ja loslegen, ich habe alles vorbereitet.“ Marron nickte entschlossen, dann stand sie auf und machte sich auf den Weg zu ihrer nächsten Mission. Den folgenden Tag begann Marron mit einem flauen Gefühl im Magen. Sie aß kaum etwas zum Frühstück und war den ganzen Schulweg über in Gedanken, obwohl Miyako versuchte, mit ihr über irgendwelche Belanglosigkeiten zu reden. Sie erzählte, dass sie Jeanne in der Nacht fast geschnappt hätte, was Marron daran erinnerte, dass sie seit dem Kuss gestern Abend ein wenig verwirrt war. Ihr ganzer Verstand konzentrierte sich auf die Hoffnung, dass Sanji wieder bei ihr auftauchen würde, aber der Teil, der ihr einreden wollte, dass er bestimmt nicht wiederkommen würde, wuchs beständig. „Was ist mit dir los?“, fragte ihr Nachbar Chiaki sie in der Pause nach der ersten Stunde. Anscheinend hatte Miyako ihm erzählt, dass sie auch auf dem Weg zur Schule schon so schweigsam gewesen war. Marron lächelte ihm freundlich zu. „Gar nichts, ich denke nur ein wenig nach.“ „Hat es irgendwas mit diesem Typen zu tun, der ständig zu dir kommt?“, hakte er nach. Sein düsterer Ton ließ deutlich erkennen, wie wenig er von Sanji hielt. „Ach was“, wehrte Marron ab und fand sich dabei recht überzeugend. Sie war schon immer gut darin gewesen, ihre Sorgen vor anderen zu verstecken. „Was macht ihr eigentlich die ganze Zeit?“, wollte Chiaki nun wissen und blickte sie mit verschränkten Armen an. „Wir kochen zusammen“, erwiderte Marron kurz angebunden, konnte aber nicht verhindern, dass sie ein wenig rot wurde. Chiaki musterte sie einen Moment lang, dann sagte er: „Wenn es nicht mehr ist, dann kannst du dich ja auch mal wieder mit mir treffen. Lass uns heute Nachmittag zusammen in die Stadt gehen.“ „Vielleicht“, sagte Marron nur. Chiaki seufzte und ließ sie allein. Als Marron nach der Schule nach Hause kam, wärmte sie sich schnell etwas Essen vom Vortag auf – es war nicht alle geworden, da Sanji gegangen war, als er noch bei seiner ersten Portion war – und stellte sich dann damit auf ihren Balkon. Von dort hatte man einen wunderbaren Blick auf die Straße und den Eingang des Hauses. Wenn Sanji kam, würde sie ihn sofort sehen. Sie stand dort eine ganze Weile und hatte schon fast die Hoffnung aufgegeben, doch auf einmal sah sie seinen blonden Haarschopf um die Ecke biegen. Erleichtert seufzte sie auf. Jetzt konnte sie ihm alles erklären und ihm ihre Liebe gestehen. Vielleicht würde er sie nochmal küssen! Bei dem Gedanken daran begann ihr Herz schneller zu schlagen und sie lief schnell aus ihrem Apartment heraus und die Treppen herunter, um ihn zu empfangen. „Hallo, Süße“, hörte sie seine Stimme sagen, als sie gerade um die letzte Biegung im Treppenhaus biegen wollte. Sie erstarrte. Er konnte sie noch nicht gesehen haben... Er mochte zwar etwas Besonderes sein, aber durch Wände sehen konnte er deshalb noch lange nicht. Vorsichtig blickte Marron um die Ecke. Ihre Augen weiteten sich, als sie Sanji dort ihrer besten Freundin Miyako gegenüberstehen sah. Anscheinend wollte sie gerade den Müll rausbringen, denn sie hatte eine große, schwarze Plastiktüte in der Hand. Sanji grinste sie an und nahm ihr galant den Sack aus der Hand. „So eine Arbeit sollte man nicht einer Prinzessin wie dir überlassen.“ „Danke“, hauchte Miyako überrascht. „Das ist doch nicht nötig...“ Daraufhin zwinkerte Sanji ihr verschwörerisch zu. „Für eine Schönheit wie dich würde ich alles tun.“ Damit war er auch schon aus der Tür, um den Müllsack an die Straße zu stellen. Marron warf ihrer Freundin noch einen letzten ungläubigen Blick zu, dann drehte sie sich auf dem Absatz herum und rannte die Treppen hoch. Ihre Gedanken waren ein einziges Durcheinander. Seit wann war Sanji so ein Frauenheld? Bei ihr war er immer so freundlich und zurückhaltend gewesen. Sie hatte gedacht, er meinte es ernst, wenn er sie „Süße“ nannte oder ihr Komplimente über ihr Aussehen machte. Aber anscheinend war das nichts Besonderes. Er hatte ihr zwar gesagt, dass er sie liebte, aber selbst das schienen ihr auf einmal nur leere Worte zu sein. Sie konnte sich gut vorstellen, wie er so etwas auch zu Miyako sagte, auch wenn er sie gar nicht kannte. Und für solch einen Casanova war ein einziger Kuss ja wohl auch noch lange kein Liebesbeweis. Wie hatte sie nur auf ihn reinfallen können? Als sie Chiakis Namen auf dem kleinen Schild neben der Tür zur Nachbarwohnung sah, hielt sie inne. Hatte er ihr nicht heute morgen angeboten, mit ihr auszugehen? Und soweit sie sich erinnerte, hatte sie nicht einmal direkt abgelehnt. Also klopfte sie an seine Tür und wartete ungeduldig darauf, dass er sie öffnete. „Marron!“, rief er strahlend aus, als er ihr Antlitz erblickte. „Du wolltest doch mit mir in die Stadt gehen“, sagte sie. „Gehen wir?“ Er schien ein wenig überrascht zu sein, nickte aber sofort. Er beeilte sich, seine Schuhe anzuziehen und zog die Tür hinter sich zu. Bevor er irgendetwas sagen konnte, hatte Marron sich schon bei ihm untergehakt und ihn in Richtung der Treppe gezogen. „Wie kommt es, dass du auf einmal deine Meinung geändert hast?“, fragte Chiaki mit erhobenen Augenbrauen. Marron zuckte mit den Schultern. „Ich hatte eben Lust dazu.“ Als sie gerade im dritten Stock angekommen waren, kamen ihnen Miyako und Sanji entgegen. Letzterer blickte Marron überrascht an. Sie hätte ihm am liebsten irgendetwas Freches an den Kopf geworfen oder ihn angeschrien, aber ihr fiel nichts Gescheites ein, daher beschleunigte sie einfach ihren Schritt und rauschte mit stur nach vorn gerichtetem Blick an ihm vorbei. ♡♡♡ Es war nicht das erste Mal, dass Sanji eine seiner Freundinnen mit einem anderen Mann sah. Es war auch nicht das erste Mal, dass eine Frau etwas tat, das er nicht verstand. Aber das Gefühl, als ob sein Herz mit eisig kalten, spitzen Nadeln gespickt würde, war ihm neu. Er war diesem Jungen mit den blauen Haaren, mit dem Marron gerade um die Ecke verschwunden war, schon ein paar Mal im Treppenhaus begegnet und hatte auch gesehen, wie dieser sich mit Marron unterhalten hatte. Ihm hatte er immer böse Blicke zugeworfen. Ob es so etwas wie ihr Freund war? Bei diesem Gedanken zog sich Sanjis Herz noch stärker zusammen. Weder er noch Marron hatten es je so gesagt, aber bis heute hatte er gedacht, er wäre ihr Freund. Auch wenn er sich da seit dem gestrigen Abend nicht mehr so sicher war, sie hatte so geschockt geguckt, als er sie geküsst hatte... Sanji stieß einen tiefen Seufzer aus. Wahrscheinlich war er für sie nur irgendein Bekannter gewesen. Oder sie hatte ihn nur ausgenutzt, weil er so gut kochen konnte! Am Ende hatte sie all die Tipps, die er ihr gegeben hatte, genutzt, um diesem Blauhaarigen Idioten ein Mahl zuzubereiten und ihn damit zu verzaubern... „Ähm... Sanji?“, fragte Marrons Freundin, die immer noch neben ihm stand, zögernd. „Wer war dieser Kerl?“ Er blickte sie finster an. „Ähm, das ist Chiaki. Er ist Marrons Nachbar.“ Sanji hob die Augenbrauen. „Nicht ihr Freund?“ „Nicht, dass ich wüsste“, erwiderte Miyako. „Sag mal, möchtest du nicht mit mir...“ „Ich gehe“, unterbrach er sie. „Auf Wiedersehen.“ Damit drehte er sich um und verließ schnellen Schrittes das Gebäude. Noch immer kreisten die Gedanken in seinem Kopf umher wie aufdringliche Fliegen. Er ärgerte sich darüber, Marron einfach geküsst zu haben und gleichzeitig fragte er sich, wie es wohl weitergegangen wäre, wenn er es nicht getan hätte. Sie wären zwar Freunde geblieben, aber er hatte nicht das Gefühl, das von ihr jemals etwas gekommen wäre. Er wäre doch nur verbittert, wenn er so viel mit ihr unternommen hätte, ohne ihr seine Gefühle gestehen zu können. Mit dem Gedanken, dass dieses Ende möglicherweise das beste war, konnte und wollte er sich allerdings nicht abfinden, egal wie sehr seine Vernunft versuchte, es ihm einzureden. Er liebte Marron nunmal und es konnte einfach nicht sein, dass es so zu Ende ging. Ihm kam sogar die Idee, dass es einfach nur ein Missverständnis gewesen sein könnte. Möglicherweise war Marron am Vorabend viel zu überwältigt von ihren Gefühlen gewesen, um auf ihn zu reagieren. Vielleicht hatte sie ihn darum heute ignoriert, weil sie darüber wütend war, dass er ohne ein weiteres Wort verschwunden war. Eventuell war das Treffen mit diesem Blauhaarigen gar kein Date, sondern ein obligatorischer Termin; er konnte mit Jeannes Diebeszügen zu tun haben. Oder – wenn er ganz viel Glück hatte – war Marron einfach zu schüchtern, um ihm zu gestehen, dass sie ebenfalls bis über beide Ohren in ihn verliebt war. In diesem Moment verfluchte Sanji seinen natürlichen Optimismus, denn er war sich ziemlich sicher, dass er, wenn er sich zu viele Hoffnungen machte, nur enttäuscht werden würde. Aber wenn man in solch einer Situation war – ganz allein in einer fremden Welt und von der Person, für die man alles aufgegeben hatte, verlassen – dann klammerte man sich eben an jeden Strohhalm, der einem angeboten wurde. Und genau das tat Sanji. Also stand er am nächsten Abend nach seiner Schicht wieder vor der Tür ihres Apartments. Marron musste zu Hause sein. Dienstags und Donnerstags hatte sie nach der Schule Rhythmische Sportgymnastik und kam erst später, aber Montags hatte sie bisher immer Zeit für ihn gefunden. Zuversichtlich, dass sich jetzt alles klären würde, drückte er auf den Klingelknopf, auf dem in einer sauberen Handschrift Marrons Name stand. Als sich nach fünf Minuten noch nichts getan hatte, begann sein Mut langsam zu schwinden. Da er aber noch nicht aufgeben wollte, klingelte er erneut und rief laut ihren Namen. Während er wartete, trat er nervös von einem Fuß auf den anderen. Hätte er eine gehabt, hätte er sich jetzt sicherlich eine Zigarette angezündet, doch seit er sein Geld auf ehrliche Weise verdiente, fiel es ihm nicht mehr so leicht, es für Kippen auszugeben, außerdem hatten sowohl sein Chef als auch Marron ihn wiederholt darauf hingewiesen, dass es ungesund sei. „Macht sie nicht auf?“, hörte er auf einmal eine Mädchenstimme sagen. Er drehte sich herum und sah Marrons Freundin Miyako auf sich zukommen. Er hatte sie gar nicht kommen hören, was ihn aber nicht verwunderte, da er in Gedanken versunken gewesen war. „Nein“, sagte er. „Ist sie denn zu Hause?“ Miyako blickte verwundert auf die verschlossene Tür. „Ja, das müsste sie eigentlich. Sie hat jedenfalls nichts davon gesagt, dass sie noch weg müsste oder so.“ Das gab Sanji nun wirklich zu denken. „Weißt du vielleicht, was mit ihr los ist?“, fragte er. Miyako zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Zu mir war sie heute irgendwie auch so kalt.“ Einen Moment schwiegen sie sich an, dann begann Miyako: „Aber wenn du willst, kannst du ja zu mir...“ „Ich werde sie in der Stadt suchen gehen. Vielleicht musste sie ja noch was einkaufen.“ Den enttäuschten Blick, den das Mädchen ihm daraufhin zuwarf, bemerkte er nur aus dem Augenwinkel, und er war ihm in diesem Moment auch völlig egal. Nachdem er aus der Tür war und auf der um diese Zeit recht belebten Straße stand, begann er zu laufen. Zuerst kam er zu dem kleinen Supermarkt, in dem sie sich das erste Mal unterhalten hatten. Fehlanzeige. Auch in dem übersichtlichen Kleidungsgeschäft nebenan und allen anderen Läden der Einkaufsstraße war keine Spur von Marron. Am Ende der Straße blieb er stehen und fuhr sich durch die Haare. Sein ganzer Körper fühlte sich schwer an. Es war keine große Sache gewesen, von einem Laden zum nächsten zu rennen und nach Marron Ausschau zu halten, so viele gab es hier schließlich nicht. Körperlich war das für ihn ein Klacks, aber sein Kopf hielt den Gedanken kaum aus, dass sie anscheinend zu Hause war, ihm aber nicht einmal die Tür öffnen wollte. Er hatte eigentlich immer das Gefühl gehabt, dass sie ihn ganz gern gehabt hatte. Wie konnte sie ihn jetzt so kalt abservieren? Seufzend stellte er fest, dass seine Gedanken im Kreis gingen. Immer wieder stellte er sich die gleichen Fragen und immer wieder musste er sich selbst sagen, dass die einzige, die sie beantworten konnte, Marron war. Und diese schien nicht daran interessiert zu sein, ihm überhaupt noch einmal zu begegnen. Dennoch kam er am nächsten Tag erneut zu ihrem Haus. Als er die Eingangshalle betrat, sah er gerade noch, wie sich die Türen des Lifts vor Marron und Miyako schlossen. So schnell er konnte, hetzte er die Treppen hinauf, doch als er im siebten Stock angelangt war, wurde gerade hastig die Tür zu Marrons Apartment zugeschlagen. Immerhin wusste er jetzt sicher, dass sie da war. Und sie wusste, dass er es war, der sie sehen wollte, als er bei ihr klingelte. Wieder blieb die Tür geschlossen und am liebsten hätte er sie einfach eingetreten und Marron zur Rede gestellt, doch er wusste, dass Gewalt das letzte war, das Marron dazu bewegen würde, sich mit ihm zu versöhnen – weshalb auch immer sie wütend auf ihn war. „Marron, ich muss mit dir reden!“, rief er. „Bitte mach die Tür auf.“ Als nichts geschah, murmelte er: „Was auch immer ich getan habe, es tut mir leid.“ Dann wandte er sich seufzend ab und schlurfte davon. Wenn die letzten Wochen die schönsten in seinem ganzen Leben gewesen waren, dann waren die, die darauf folgten, die schlimmsten. Er erledigte zwar seine Arbeit so gewissenhaft wie zuvor, machte hin und wieder Frauen, denen er begegnete, Komplimente und unterhielt sich lebhaft mit seinen Kollegen, aber es wollte ihm einfach keinen Spaß mehr machen. Manchmal, wenn er alleine in der Küche stand, starrte er nur auf die Zutaten und konnte sich nicht dazu durchringen, irgendetwas zu tun. Natürlich hatte er in seinem Leben schon eine ganze Menge schlimmer Dinge erleiden müssen, doch noch nie hatte irgendetwas oder irgendjemand es geschafft, ihm die Freude am Kochen zu nehmen. So lange er denken konnte, hatte er all die Gerüche, die das frisch zubereitete Essen verströmte, geliebt und all seine Kräfte darauf verwandt, ein guter Koch zu werden. Kochen war sein Leben. Aber erst jetzt, wo er allein war, merkte er, dass Marron sich in sein Herz geschlichen und seine Leidenschaft zur Seite gedrängt hatte. Nun befand sich dort nur noch ein schwarzes Loch, das all seine positiven Gefühle aufzusaugen schien und er fragte sich, ob es jemals gesättigt sein und ihn wieder glücklich sein lassen würde. Sanji zog an seiner Zigarette, ließ den Rauch an seinem Gaumen kitzeln und seine Lungen füllen. Sein Chef, der sich nach Feierabend ebenfalls an die frische Luft gesetzt hatte, warf ihm einen missbilligenden Blick zu, schwieg aber. Er hatte ihm schon oft genug gesagt, dass es ihm nicht gefiel, aber Sanji hörte nicht mehr auf ihn. Manchmal schien der Rauch das Loch zu füllen, das in seinem Inneren entstanden war... Seufzend starrte Sanji in den Himmel hinauf. Die Sonne war schon vor über einer Stunde untergegangen und auch die Wolken hatten sich verzogen, aber Sterne waren trotzdem nur vereinzelt zu sehen. Das lag an der Stadt, hatte man ihm erklärt. Durch all die Abgase konnte man den Sternenhimmel nicht richtig sehen. In seiner Welt war er nachts oft aufgestanden, um all diese blinkenden und funkelnden Lichter dort oben am Himmelszelt zu betrachten, doch hier lohnte es sich kaum, überhaupt den Kopf zu heben. Er musste zugeben, dass er seine Welt vermisste. Seit er sich nicht mehr mit Marron traf, waren ihm immer mehr Dinge aufgefallen, die ihm hier nicht gefielen: die Hektik der Menschen, all die geheuchelte Freundlichkeit, die engen Straßen, die hohen Häuser, der viele Lärm, der häufig bis tief in die Nacht anhielt... Aber noch mehr als die Lebensumstände vermisste er seine Crew, die Strohhutpiraten. Seit er Jeff und das schwimmende Restaurant verlassen hatte, waren sie für ihn wie eine Familie geworden. Und er hatte sie einfach im Stich gelassen, für ein Mädchen, das nun nicht einmal mehr etwas von ihm wissen wollte. Was sie jetzt wohl taten? Möglicherweise hatten sie sich auf die Suche nach ihm begeben, nachdem sie in Alabasta alles geklärt hatten. Er war ja schließlich einfach so verschwunden, ohne dass jemand wusste, wo er hin war. Selbst Mr. 2, der Agent, gegen den er zuletzt gekämpft hatte, war gerade ohnmächtig gewesen, als er sich Sakura und den anderen angeschlossen hatte. Bestimmt machten sie sich riesige Sorgen um ihn. Er konnte sich bildlich vorstellen, wie Zorro und die anderen versuchten, Ruffy auf das Schiff zu zerren, der das Land nicht verlassen wollte, bevor er nicht seinen Schiffskoch wiedergefunden hatte. Da konnte er wohl lange warten. Sanji hatte sich schon ein wenig umgehört, ob es hier nicht so etwas wie einen Zauberer gab, der ihm vielleicht helfen konnte, in seine eigenen Welt zurückzufinden. Er war sogar schon in die nächstgrößere Stadt gefahren, doch auch dort war er nicht fündig geworden. Fye hatte wohl recht gehabt, als er gesagt hatte, dass es in dieser Welt kaum Magier gab. Und Sanjis Möglichkeiten der Suche waren eingeschränkt, schließlich hatte er gerade mal sein zweites Monatsgehalt bekommen, und er musste ja auch noch für die Miete des winzigen Apartments, in das er inzwischen eingezogen war, und die Kosten für Nahrungsmittel aufkommen. Letzteres konnte er auch ab und zu aus der Küche mitnehmen, wenn das Haltbarkeitsdatum überschritten war oder es aus irgendwelchen anderen Gründen nicht mehr für die Gäste geeignet war, aber ohne jegliche Geldreserven konnte er es sich trotzdem nicht leisten, ständig wegzufahren, um einen Zauberer aufzuspüren. „Sag mal, Sanji...“, riss sein Chef ihn aus den Gedanken. Sanji sah ihn fragend an. „Was ist eigentlich mit dir los?“ Seine Stimme klang sehr ernst und man sah ihm an, dass er sich schon länger Gedanken darüber gemacht hatte. Sanji zuckte mit den Schultern und nahm lässig die Zigarette aus seinem Mundwinkel. „Nichts“, sagte er. „Mir geht’s gut.“ Der Ältere schüttelte den Kopf. „Ich sehe doch, dass irgendwas mit dir ist. Am Anfang warst du so fröhlich und man hat dir angesehen, wie viel Spaß dir deine Arbeit machte, aber jetzt...“ Er seufzte. Als Sanji, dessen Gesicht sich verhärtet hatte, nicht auf ihn einging, fragte er: „Es ist dieses Mädchen, oder? Wie war noch gleich ihr Name, Marron? Sie war es doch, mit der du dich nach Feierabend immer getroffen hast, oder?“ Sanji nickte mechanisch, schwieg aber weiterhin. „In letzter Zeit sehe ich dich abends öfter ziellos durch die Stadt streifen. Und mit dem Rauchen hast du auch wieder angefangen.“ Noch immer sagte Sanji nichts dazu. Er hatte das Gefühl, dass sein Chef sowieso schon alles wusste. Anscheinend hatte er ihn genauer beobachtet, als er gedacht hatte. „Sie hat dich verlassen, oder? Was auch immer passiert ist, du vermisst sie. Aber weißt du... irgendwann wirst du darüber hinwegkommen müssen. Es hilft nichts, wenn du deinen Kummer in dich hinein frisst.“ Wieder zuckte Sanji mit den Schultern. Er hatte ja versucht, in seine Welt zurückzukommen, aber wenn das nicht ging, konnte er eben nichts tun. Und daran, dass ihn alles in dieser Welt an Marron erinnerte, konnte er eben auch nichts ändern, weil sie die Person war, wegen der er sich überhaupt dazu entschieden hatte, hier zu bleiben. „Nimm dir einfach ein paar Tage frei. Wenn du den ganzen Tag arbeitest, ist es kein Wunder, dass du keine Zeit für dich findest. Ich kann dir ein wenig Geld vorschießen, dann kannst du irgendwo hinfahren und... dich ein wenig mit dir und deinen Gefühlen auseinandersetzen. Du weißt schon, was ich meine.“ Das kam für Sanji ein wenig unerwartet. Er hatte zwar gewusst, dass sein Chef ein netter Kerl war, aber dass er sich so für das Wohlergehen seiner Mitarbeiter einsetzte... „Danke“, sagte er überrascht. Also verließ er am nächsten Morgen schon früh seine Wohnung und machte sich auf den Weg zum nahe gelegenen Meer. Obwohl er schon so lange in der Stadt war, war er noch kein einziges Mal dort gewesen. Im Grunde genommen hatte er bis vor kurzem nicht einmal gewusst, dass es so nah war. Ihm war klar, dass es sein Heimweh noch verstärken würde, wieder den salzigen Geruch des Meeres in der Nase zu haben und bis zum Horizont nur den Ozean sehen zu können, aber er konnte einfach nicht anders. Er hatte so lange Zeit auf einem Schiff gelebt, dass er sich wunderte, wie er nunmehr sieben Wochen ohne den Anblick des Meeres überlebt hatte. Außerdem würde es ihm sicher gut tun, einmal aus der Stadt herauszukommen, in der ihn jeder einzelne Stein an Marron erinnerte, da er schon so oft mit ihr durch diese Straßen geschlendert war. Doch das Meer hatte nicht die erhoffte, beruhigende Wirkung auf ihn. Vielmehr ließ der Anblick der fast gänzlich unbewegten Wasseroberfläche und das leise Plätschern des an die Kaimauer schwappenden Wellen eine geistige Unruhe in ihm aufkommen. Zum erneuten Mal fragte er sich, was seine Freunde wohl gerade taten und ob sie sich inzwischen damit abgefunden hatten, dass er nicht mehr da war. Der salzige Geruch erinnerte ihn an die zahlreichen Fische, die er schon gefangen und zubereitet hatte und an seinen Traum, eines Tages den All Blue zu finden, in dem alle Fische der Welt schwammen. Wie hatte er das alles nur aufgeben können? Während er wie auf heißen Kohlen hin- und herlief, hörte er auf einmal in einiger Entfernung ein leises Schluchzen. Wie elektrisiert blieb er stehen. „Marron?“, fragte er leise. Er hatte sie nie wirklich weinen gehört, aber auf einmal war er sich sicher, dass es bei ihr so klingen würde, so zurückhaltend und unschuldig und einsam. Langsam drehte er sich herum und erblickte schließlich die Gestalt, von der das Geräusch gekommen war. Dort saß ein Mädchen auf einer Bank, sie schien etwa in seinem Alter zu sein. Sie hatte das Gesicht in den Händen vergraben und ihre Schultern zuckten bei jedem Schluchzer. Einen Moment lang vermeinte er tatsächlich, Marron in ihr zu erkennen, doch schon beim zweiten Blick erkannte er, dass sie es nicht sein konnte. Ihre Haare waren zu dunkel, zu lang, zu glanzlos. Sie war größer und ihr Körper nicht so zierlich wie der von Marron. Und sie war nicht ansatzweise so schön wie Marron, auch wenn Sanji nicht viel von ihr erkennen konnte. Dennoch ging er auf sie zu, reichte ihr ein Taschentuch und sprach mit leiser, tröstender Stimme auf sie ein, bis sie schließlich zu weinen aufhörte. Teils überrascht und teils dankbar blickte sie ihn an. „Warum hast du mir geholfen?“, fragte sie leise. Er lächelte. „Ich kann doch kein Mädchen weinen lassen.“ Auch sie lächelte nun zaghaft und die Erkenntnis traf ihn wie ein Blitz: Er konnte kein Mädchen weinen lassen. Auch Marron nicht. Besonders Marron nicht. Selbst wenn sie ihn nicht liebte, wollte er bei ihr sein, damit sie immer eine Schulter hatte, an der sie sich ausweinen konnte. Wie hatte er ein Mädchen, das so einsam war wie sie, einfach alleine lassen können? Mit einem Satz war er auf den Beinen und rannte in Richtung der Innenstadt. Er war ein Mann, ein Pirat, ein Kämpfer... Warum zur Hölle hatte er sich von einer geschlossenen Tür davon abhalten lassen, mit Marron zu sprechen? Wenn sie ihn nicht reinließ, musste er sich eben selbst reinlassen! Am liebsten hätte er sich dafür geschlagen, nie zuvor auf diese Idee gekommen zu sein. Auf einmal schien es, als würden in seinem Kopf, der ihm die vergangenen Wochen wie eine trostlose Wüste vorgekommen war, tausende junge Pflanzen sprießen, tausende von Ideen, die nur darauf warteten, in die Tat umgesetzt zu werden... ♡♡♡ Innerlich fluchend warf Jeanne eine Rauchbombe auf die Polizisten, die sich gerade an dem Netz zu schaffen machten, in dem sie gefangen war. Sie war unachtsam gewesen und hatte Miyakos Falle übersehen. Dabei konnte sie diese doch sonst immer so geschickt umgehen... „Verdammt“, murmelte sie. „Ha! Jeanne, jetzt hab ich dich!“, rief Miyako mit triumphierender Stimme und kam auf sie zugelaufen. Jeanne kniff die Augen zusammen und wandte ihr Gesicht ab, als könnte sie damit dem entkommen, was sie nun erwartete. „Lasst sie in Ruhe!“, rief da auf einmal jemand. Alle sahen auf und entdeckten Sindbad, Jeannes Widersacher, im Türrahmen. Er schleuderte etwas in Richtung des Netzes, das zerriss, sodass Jeanne zu Boden fiel. Während sie sich wieder aufrappelte, hatte er schon das Selbstporträt an der Wand – das heutige Zielobjekt – verschwinden lassen. „Glaub bloß nicht, dass ich dir dankbar bin!“, schrie sie ihm wütend zu und ergriff die Flucht. Es gefiel ihr gar nicht, dass er sie schon wieder gerettet hatte. Sie war ihm – oder genau genommen Chiaki – doch in letzter Zeit so viel schuldig geworden... Immer wieder hatte er versucht, sie aufzuheitern, aber ihr Interesse für ihn war auf einmal verschwunden, beziehungsweise hatte es sich auf einen anderen Mann übertragen, auch wenn sie an diesen gar nicht mehr denken wollte... Bestimmt war er sowieso schon längst in seine Welt zurückgekehrt oder hatte sich irgendeine andere Freundin gesucht. Nachdem sie den Suchscheinwerfern der Polizei über die Dächer der Stadt entkommen war, stand sie bald – natürlich wieder in der Gestalt von Marron – in der Eingangshalle des Hauses, in dem sie wohnte. Der Fahrstuhl schien eine Weile zu brauchen, deshalb entschied sie sich, die Treppe zu nehmen. Es war schon recht spät, und am nächsten Morgen würde sie wieder früh aufstehen müssen. Und ihr Chemie-Lehrer hatte auch noch einen Test angekündigt, für den sie noch nicht gelernt hatte. Wie sollte sie das denn jetzt noch dafür lernen, ohne am nächsten Morgen auf dem Schulweg einzuschlafen? Mit düsterem Blick schlurfte sie die Treppe hinauf, bis sie schließlich im siebten Stock angelangt war. Eigentlich war sie jetzt schon todmüde, denn am Nachmittag hatte die Lehrerin sie im Sportunterricht besonders hart drangenommen und dann auch noch diese Hetzjagd mit der Polizei... Doch als sie sah, dass unter der Tür zu ihrem Apartment Licht hervorfiel, war sie mit einem Mal hellwach. Wer konnte das sein? Dass sie selbst das Licht angelassen hatte, bezweifelte sie stark. Hatten sich etwas Diebe eingeschlichen....? Aber was gab es bei ihr schon zu holen? Oder war die Polizei ihr irgendwie auf die Schliche gekommen und wartete nun auf sie? Aber weder Diebe noch die Polizei würden so dumm sein, das Licht anzuschalten, wenn sie sich heimlich in der Wohnung aufhielten, oder? Andererseits... wer konnte es schon sonst sein? „Marron, hast du das auch gesehen?“, fragte der kleine Engel Finn an ihrer Seite im Flüsteron. Sie nickte. „Soll ich nachschauen, wer es ist? Er könnte gefährlich sein?“ Dankbar stimmte Marron ihr zu. Also flog Finn durch ein geöffnetes Fenster hinaus, wahrscheinlich, um durch die Balkontür einen Blick auf den Eindringling erhaschen zu können. Während sie weg war, blieb Marron mit klopfendem Herzen im Flur stehen. Schon bald kam Finn wieder. Ihr Gesicht verriet nichts, sie schien selbst nicht so ganz zu wissen, was sie denken sollte. „Wer ist es?“, drängte Marron sie. „Es ist dieser Sanji“, sagte Finn. „Er... hat anscheinend für dich gekocht. Und jetzt sitzt er am Tisch und... wartet.“ Marron schlug sich die Hand vor den Mund, um einen überraschten Schrei zu unterdrücken. Sanji? „Was sollen wir jetzt machen?“, fragte Finn und schwebte nervös auf und ab. „Ich gehe rein“, erklärte Marron. „Und du lässt ihn in Ruhe, okay?“ Nachdem Finn es versprochen hatte, zog Marron ihren Haustürschlüssel hervor und steckte ihn mit klopfendem Herzen ins Schloss. Dann öffnete sie die Tür. „Hallo, Marron!“, rief Sanji ihr freudestrahlend zu und stand von seinem Sitzkissen auf. Marron starrte ihn an. Er war es also tatsächlich. Er war zurückgekommen... „Was tust du hier?“, fragte sie leise. Sie hatte Angst, er würde das Zittern in ihrer Stimme hören, wenn sie lauter sprach. Er kam ein paar Schritte auf sie und erwiderte grinsend: „Ich koche dir was. Ich dachte mir, du hast sicher Hunger, wenn du nach Hause kommst. Miyakos Mutter hat mich netterweise reingelassen.“ Ohne dass sie es gemerkt hatte, waren Marron beim Anblick des Blonden Tränen in die Augen gestiegen, die nun ihre Wangen herunterkullerten und auf den Fußboden tropften. Schnell wandte sie sich von ihm ab, schloss die Tür und wischte sich hastig mit dem Handrücken über das Gesicht. „Warum bist du wiedergekommen?“, fragte sie. Sanji kam noch ein wenig näher und öffnete den Mund. Doch anscheinend fehlten ihm die Worte, denn er schloss ihn wieder, ohne etwas gesagt zu haben. „Ich dachte... du hättest mich längst vergessen“, murmelte sie. „Wie könnte ich!“, rief er. „Habe ich dir nicht gesagt, dass ich dich liebe? Wie könnte ich dich dann einfach so vergessen?“ Marron zuckte die Schultern. Sie spürte, wie ihre Augen schon wieder feucht wurden, deshalb wandte sie ihren Blick von Sanji ab. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Natürlich hatte er gesagt, dass er sie liebte... Aber das hatte er doch nicht ernst gemeint, oder?“ „Du... bist doch nur ein Frauenheld“, brachte sie schließlich in anklagendem Ton hervor. „Wer weiß, wie vielen Frauen du noch deine Liebe gestanden hast. Miyako hast du doch auch Süße genannt, auch wenn du sie kaum kanntest.“ Sanji sah sie leidend an. „Letzteres ist wahr“, gestand er. „Aber das heißt doch nichts. Es... ist eben meine Natur, dass ich Frauen Komplimente mache, so war das schon immer. Aber bei dir...“ Sein Blick wurde sanft, als er sie ansah. „Bei dir ist alles anders. Nie zuvor habe ich einer Frau so starke Gefühle entgegengebracht. Wenn ich dir sage, dass ich dich liebe, dann ist das auch so. Ich bin kein Lügner, falls du das von mir denkst.“ Marrons Augen weiteten sich. „Wirklich?“, fragte sie mit halb erstickter Stimme. Er nickte. Unwillkürlich musste sie lächeln. Sie war so dumm gewesen, ihn einfach abzuweisen, ohne ihm die Gelegenheit zu geben, sich zu rechtfertigen. „Ich...“, stieß sie hervor und sah ihm endlich wieder in die Augen. Es kümmerte sie nicht, dass die Tränen ihr jetzt wie Sturzbäche über die Wangen liefen. „Du bedeutest mir auch sehr viel, Sanji, ich habe dich die ganze Zeit vermisst, aber ich dachte, ich wäre nichts Besonderes für dich.“ Wie auf ein unhörbares Kommando hin, gingen die beiden aufeinander zu, bis schließlich nur noch wenige Zentimeter sie trennten. „Was ist mit deiner Welt?“, fragte sie zögernd. „Willst du nicht zurück?“ Sanji lachte und fuhr ihr mit der Hand durch die Haare. „Ach was, die anderen werden sich ’nen anderen Koch suchen müssen. Ich lasse dich nicht nochmal allein.“ An diesem Abend war es Marron, die die Kontrolle über sich verlor. Sie warf sich Sanji um den Hals und küsste ihn. Für ihn kam es so plötzlich, dass er fast nach hinten übergekippt wäre. „Nicht so stürmisch, Prinzessin!“, ermahnte er sie lachend. „Wir haben alle Zeit der Welt.“ Kapitel 45: Johan und Hikari - Der perfekte Partner --------------------------------------------------- Von Hier mal wieder eine Wunschgeschichte von uns. Youko-chan hatte sich das Pairing gewünscht, und obwohl ich als überzeugter Spiritshipping-Fan eigentlich der Meinung bin, dass niemand besser zu Johan passt als Jûdai, haben wir schließlich zugestimmt. Die Gelegenheit, eine Geschichte mit Johan zu schreiben, wollte ich mir einfach nicht entgehen lassen. Letzten Endes ist keine richtige Liebesgeschichte daraus geworden, aber ich mag die Story trotzdem. Eine Voranmerkung noch zum Thema Namen: Da ich Johan einfach nicht Jesse nennen wollte (noch dazu hätte das mit Jessie von Team Rocket für Verwirrung gesorgt, auch wenn das ganz lustig hätte werden können), heißen die Figuren alle so wie im japanischen Original, also Ash = Satoshi, Rocko = Takeshi und Lucia = Hikari. Um die Verwirrung aber nicht all zu groß werden zu lassen, habe ich es bei den Pokémon und Johans Monstern bei den deutschen Bezeichnungen belassen. Ich hoffe, das wirkt nicht zu durcheinander und ihr kommt einigermaßen damit klar. Der perfekte Partner „Leg los, Regenbogendrache! Over the Rainbow!!“ Ein gleißendes Licht fegte wie ein brausender Sturm über die Wüste unter den drei Sonnen hinweg und riss Sandkörner und Gesteinsbrocken mit sich in die Luft. Johan Andersen warf einen eiligen Blick über seine Schulter und lächelte beruhigt, als er sah, dass O'Brien mit Jûdai und Martin die Sicherheit der Akademie trotz des herrschenden Chaos bereits fast erreicht hatte. Das weitere Zusammenbrechen der Arena zu seinen Füßen zwang ihn jetzt allerdings, seine Aufmerksamkeit darauf zu richten, das Gleichgewicht zu halten. Lautes Krachen und aufwallender Staub nahmen ihm innerhalb der nächsten Sekunden ohnehin die Sicht. Dann siegte das Licht und alles um ihn herum verschwand im hellen Strahlen. Alles bis auf Yubel. Die teuflische Frauengestalt mit dem zweifarbigen Haar und den grauenhaft leuchtenden Augen starrte hasserfüllt an ihm vorbei zum Eingang der Akademie. „Verflucht seist du... Jûdai!“, zischte sie. Im nächsten Moment verschwamm sie vor seinen Augen und alles, was er noch hörte, war das Hoffnung bringende Kreischen des Regenbogendrachen über ihm. Erleichtert breitete Johan die Arme weit aus. Er fühlte sich leicht an, als würde er schweben. Wie von selbst lächelte er breit. „Regenbogendrache, flieg höher...“, rief er. Er legte den Kopf in den Nacken, schloss die Augen und gab sich ganz dem Gefühl des Sieges hin. „Werde die Brücke für alle“, flüsterte er leise. Dann schlugen die Wellen des Lichts über ihm zusammen und löschten alles aus. Es war, als wäre er nach einem langen Fall unsanft auf dem harten Erdboden aufgeschlagen, als er zu sich kam. Das ruhige, helle und freundliche Nichts wurde verdrängt von einem Schwall an Sinneseindrücken, die ihn regelrecht zu erschlagen schienen. Stimmen von Vögeln, die er noch nie gehört hatte, Rascheln im Gebüsch, Wasserrauschen und das Säuseln von Wind in hohen Baumwipfeln drangen an sein Ohr. Um ihn herum duftete es nach feuchtem Moos und unter seinen Händen spürte er weiches Gras. Durch seine geschlossenen Augenlider nahm er die wechselnden Schatten von Blättern wahr. Dann schob sich eine dunkle Silhouette vor sein Blickfeld. Johan blinzelte. Vor ihm gewann die Gestalt eines jungen Mädchens an Schärfe, das ihn aus großen, dunkelblauen Augen ansah. Sie trug eine helle Mütze mit rosa Muster und dunkelblaue Strähnen hingen ihr über die Schulter. „Alles okey?“, fragte sie. Johan nickte leicht, obwohl er sich nicht sicher war, ob diese Zustimmung der Wahrheit entsprach. Immerhin – als er versuchte, seinen Oberkörper aufzurichten, gelang ihm das ohne Probleme. Auch Schmerzen hatte er keine. Neben ihm meldete sich mit leisem Fiepsen sein Duellgeist Rubinkarfunkel zu Wort. Johan war nur milde erstaunt, zu sehen, dass er immer noch eine feste Gestalt besaß, genau wie in der Welt, aus der er gekommen war. Das Mädchen war neben ihm in die Hocke gegangen und sah aufmerksam zu, wie er sich aufsetzte und seinen Blick forschend über die Umgebung gleiten ließ, während sein kleiner Begleiter ihm über den Ärmel auf die Schulter kletterte. Sie befanden sich auf einer kleinen Lichtung, neben der ein schmales Bächlein entlang gluckerte. Die Bäume um sie herum waren nicht gerade groß und standen in sattem Grün. Ganz in der Nähe kniete ein junger, braungebrannter Mann mit wirrem, dunkelbraunem Haar neben einem Lagerfeuer, über dem ein eiserner Kessel hing. Aus diesem stieg ein unwiderstehlicher Duft auf und erfüllte die Lichtung. Der Mann drehte sich zu Johan um und lächelte freundlich. „Ich bin Takeshi“, sagte er. Ein zweiter, jünger aussehender Junge, dessen schwarzes Haar struppig unter seiner schwarz-roten Basecap hervorschaute, hob grüßend die Hand und stellte sich als Satoshi vor. Auf seiner Schulter hockte ein Wesen, das etwa die Größe einer Katze hatte, aber mit knallgelbem Pelz bedeckt war und spitz zulaufende Ohren sowie einen gezackten, flachen Schwanz aufwies. „Pika-pi!“, sagte es und schenkte Johan einen freundlichen Gesichtsausdruck. Johan hob verwirrt die Hand, um zurückzugrüßen. „Ich heiße übrigens Hikari“, sagte das Mädchen und hielt ihm die Hand hin. Johan schüttelte sie abwesend, während er zusah, wie das gelbe Wesen ihm entgegenhoppelte. Rubin löste sich von seiner Schulter und kam ihm entgegen. „Pika!“, rief das Wesen freundlich. Rubin hob neugierig den Kopf und stupste es mit der Nase gegen den Bauch. Das gelbe Wesen stupste freundlich zurück. „Plinfa! Plinfa-plinfa!“, meldete sich daraufhin eine quietschige Stimme hinter Hikari und ein weiteres Wesen, das Johan an einen sehr rund geformten, blauen Pinguin erinnerte, schaute hinter Hikaris Bein hervor. Langsam watschelte es auf die anderen beiden Monster zu, blieb aber ein paar Meter von ihnen stehen und musterte Rubinkarfunkel hochmütig. Johan sah Hikari fragend an. „Was sind das für Wesen?“, fragte er neugierig. Sie sah ihn verblüfft an. „Das sind Pokémon, was sonst“, erwiderte sie. Johan kratzte sich am Kopf „Pokémon...?“, wiederholte er ratlos. Der Junge mit den schwarzen Haaren – Satoshi – stand vom Feuer auf und kam zu ihnen. „Du weißt echt nicht, was ein Pokémon ist?“, fragte er verblüfft. Das gelbe Wesen sah zu ihm und sprang geschickt an ihm hoch, wo es sich auf seiner Mütze niederließ. „Pika-pika. Chuu!“, rief es. Satoshi schien genau zu verstehen, was es ihm sagen wollte. „Ja, das haben wir auch schon festgestellt“, sagte er und hockte sich hin, um Rubinkarfunkel vorsichtig zu streicheln. Das azurblaue Katzenwesen ließ das ohne Protest geschehen und miaute leise. „Das hier ist auch kein Pokémon“, sagte er. Johan nickte. „Und das da“, er deutete nacheinander auf das gelbe Wesen auf Satoshis Kopf und den quietschenden Pinguin, der jetzt wieder zu Hikari gerannt war, „das sind Pokémon, nehme ich an?“ „Genau. Das hier ist mein Pikachu“, sagte er und strich dem gelben Tierchen liebevoll über den Kopf. „Pika-pi“, sagte es zufrieden. „Genau, und das hier ist Plinfa“, stellte Hikari ihren Pinguin vor. „Plinfa, Plinfa!“, quietschte das kleine Wesen und wackelte aufgeregt mit den Ärmchen. Johan lächelte. „Ich schätze, diese Wesen sind meinem Rubinkarfunkel gar nicht so unähnlich“, stellte er fest und ließ Genanntes auf seinen Schoß springen, wo es sich gegen seinen Bauch drückte. „Es heißt also Rubinkarfunkel?“, fragte Hikari neugierig und sah das Wesen mit schief gelegtem Kopf an, sodass ihr ihre blauen Haarsträhnen ein bisschen ins Gesicht fielen. Rubin hob den Kopf und tapste von Johan zu ihr hinüber, um sich streicheln zu lassen. „Es ist wirklich süß“, sagte Hikari freudig. Johan grinste. „Ich glaube, er mag dich“, sagte er, als er den wedelnden Schwanz seines Kristallungeheuers beobachtete. „Rubi~“, trillerte das Monster. Satoshi erhob sich aus der Hocke und hob einen länglichen Gegenstand auf, der kurz neben dem Feuer gelegen hatte. „Wir haben das bei dir gefunden“, sagte er zu Johan. Dieser nahm das hellblaue Gerät dankbar entgegen. „Meine DuelDisc! Danke“, sagte er und überprüfte das Gerät sofort. In der Halterung befand sich noch sein Kartendeck, auch auf den dafür vorgesehenen Flächen lagen die Karten genau so, wie zum Ende des Duells. Johan sammelte die Karten vorsichtig zusammen und strich zuletzt dankbar mit den Fingern über die Regenbogendrachen-Karte, bevor er alle zusammenschob und in der Tasche an seinem Gürtel verschwinden ließ. Mit einem Knopfdruck sorgte er dafür, dass sich die Dueldisc auf eine handlichere Größe zusammenschob, auch wenn sie immer noch fast so lang war wie sein Unterarm. Hikari hatte neugierig dabei zugesehen. „Was ist das für ein Ding?“, fragte sie jetzt. „Eine DuelDisc. Sie gehört zu diesem Kartenspiel, DuelMonsters, und auf ihr kann man seine Karten ausspielen, sodass sie dann als Hologramme auftauchen“, erklärte Johan sofort bereitwillig, „obwohl ich glaube, dass es in dieser Welt eher keine Hologramme, sondern richtige Monster sein werden, so wie bei Rubin.“ „Rubiii“, sagte das Monster. Es hatte es sich schon auf Hikaris Schoß gemütlich gemacht, was dieser offenbar gefiel, denn sie strich ihm lächelnd über das blau schimmernde Fell. „Das klingt kompliziert“, sagte sie. „Essen ist fertig!“, meldete sich Takeshi zu Wort, der bis dahin schweigend weitergekocht hatte. Alle Köpfe schnellten in die Höhe. „Juhu!“, rief Hikari und griff an ihren Gürtel, von wo sie vier etwa nussgroße rot-weiße Bälle zutage förderte, die bei kurzem Druck auf einen zentralen Knopf auf die Größe von Tennisbällen anwuchsen. „Los, es gibt Essen!“, rief sie und schleuderte die Bälle in die Luft. Diese öffneten sich wie von selbst und ließen vier weitere farbenfrohe Wesen erscheinen, von denen Johan annahm, dass sie ebenfalls Pokémon waren. Sie alle erinnerten vage an Tiere aus seiner Welt, hatten jedoch in den meisten Fällen sehr buntes Fell. Satoshi und Takeshi taten es Hikari gleich und ließen noch eine Reihe von Pokémon erscheinen, denen sie dann in Schüsseln ein Trockenfutter hinstellten, über das sich die meisten sofort hermachten. Rubinkarfunkel gesellte sich zu Pikachu und fing ebenfalls an zu essen. Johan stand auf und beobachtete die seltsamen Kreaturen. Von vielen konnte er sich auch vorstellen, dass sie dem Kartenspiel DuelMonsters entspringen könnten, aber in dem gab es auch einen Haufen humanoider Monster, die er hier wohl vergebens suchen würde. Sprechen konnte offenbar auch keins der Pokémon. Hikari trat neben ihn. „Sind sie nicht liebenswert?“, fragte sie lächelnd. Johan lächelte sanft. „Ja, tatsächlich. Das sind alles verschiedene Pokémon?“ „Ja, genau. Das da gehört zum Beispiel mir und ist ein Haspiror“, sagte sie und deutete auf ein Wesen, das aussah wie ein Hase mit großen Fellquasten an den Ohrenspitzen. „Und diese Bälle...“, setzte Johan an. Hikari sah ihn aus ihren großen blauen Augen an und hob die – nun wieder geschrumpften – Bälle zwischen ihren Fingern hoch. „Das sind Pokébälle“, erklärte sie eifrig. „Darin bewahren wir unsere Pokémon auf, wenn wir sie gerade nicht brauchen. Es ist eine faszinierende Technik, nicht wahr?“ „Wozu braucht ihr die Pokémon denn?“, fragte Johan neugierig und beobachtete, wie sich ein langes, wieselartiges Wesen mit orangefarbenem Fell mit einem blauen Pokémon, das am ehesten an einen Frosch erinnerte, um den Rest Essen in einer der Schüsseln stritt. „Ach, das ist ganz verschieden“, erklärte Hikari und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. „Manche Leute nutzen sie im Haushalt, für andere sind sie einfach sowas wie Freunde, es gibt aber auch welche wie Satoshi, die ihre Pokémon gegeneinander kämpfen lassen.“ Johan nickte nachdenklich. „Und zu welcher Kategorie gehörst du?“, fragte er neugierig. „Oh, zu gar keiner von denen. Ich werde Pokémon-Koordinatorin“, sagte Hikari sofort. „Und das ist...?“ „Ich trete mit meinen Pokémon bei Wettbewerben an, bei denen es darum geht, uns als Team zu zeigen und eine schöne Show zu bieten! Meine Mutter hat das auch schon gemacht und ich will unbedingt so werden wie sie“, ereiferte sich das Mädchen sofort. Johan nickte abwesend und betrachtete wieder die bunte Pokémon-Horde. „Hey, wollt ihr nicht essen oder was?“, kam es da von Satoshi. Er und Takeshi saßen bereits am Feuer – Takeshi auf einem kleinen Hocker und Satoshi direkt auf dem Rasen – und hatten jeder eine Schüssel mit Gulasch in der Hand. Es roch wirklich köstlich, und auf einmal musste Johan feststellen, dass er wirklich Hunger hatte. Er konnte sich gar nicht mehr erinnern, wann er zuletzt etwas Ordentliches zwischen die Zähne bekommen hatte in all dem Chaos, das die letzten Tage geherrscht hatte. Daher war er froh, sich jetzt mit einer eigenen Schüssel lecker duftenden Fleischs in einer dicken Bratensoße und mit einer guten Portion Gemüse an das Feuer setzen zu können und die vorausgegangenen Ereignisse ein bisschen zur Seite schieben zu können. Nach dem Essen zog sich Hikari zusammen mit ihrem Plinfa an den nahen Bach zurück, um das Geschirr der kleinen Gruppe zu waschen und Johan blieb mit den Jungen am Feuer sitzen. Diese hatten ihre Pokémon fast alle wieder in den Pokébällen verschwinden lassen. Nur Pikachu saß noch dösend auf Satoshis Schulter. Rubinkarfunkel hatte sich in Johans Schoß zusammengerollt und schlief. „Also, um es nochmal zusammenzufassen“, sagte Takeshi ruhig, „du hast gegen diesen Dämon gekämpft und mit deinem Monster ein Loch in die Dimensionen gerissen, um deine Freunde nach Hause zu bringen. Und als du wieder zu dir gekommen warst, warst du hier.“ Johan nickte. „Ich hoffe, den anderen geht es gut“, sagte er nachdenklich, doch dann lächelte er wieder. „Aber was rede ich da, natürlich geht es ihnen gut, ich habe sie ja selbst zurückgeschickt.“ Satoshi nickte aufmunternd. „Genau, ich bin mir sicher, es geht ihnen gut!“, sagte er entschlossen. Takeshi stocherte mit einem kleinen Stock im Feuer herum. „Was hast du jetzt eigentlich vor?“, fragte er Johan. Der zuckte die Achseln. „Ich weiß nicht“, sagte er lächelnd. „Ich hoffe, dass es irgendeinen Weg für mich gibt, zurück in meine eigene Dimension zu kommen, aber ich wüsste im Moment keinen.“ „Stimmt, du hast gesagt, dass das Dimensionsloch nur zustande kommen konnte, weil du geggen sehr starke Gegner angetreten bist“, resümierte Takeshi. „Du bräuchtest sowas wie ein legendäres Pokémon!“, meldete sich Satoshi übermütig zu Wort. „Sie sind die Herrscher dieser Welt und haben unglaubliche Kräfte! Ein legendäres Pokémon könnte dich bestimmt zurückbringen!“ „Das klingt gut“, sagte Johan begeistert. „Es hat nur einen Haken: Ein legendäres Pokémon trifft man nicht mal einfach so“, entgegnete Takeshi ruhig. Satoshis Miene verzog sich sofort. „Aber wir haben auf unserer Reise schon einige getroffen“, widersprach er. Bevor der etwas dazu sagen konnte, tauchte Hikari wieder auf, gefolgt von Plinfa, das die gewaschenen Schüsseln über seinem kleinen Köpfchen balancierte. „Weißt du was?“, sagte sie zu Johan und reichte ihm eine Plastikflasche, die sie am Fluss mit frischem Wasser gefüllt hatte, „Warum ziehst du nicht einfach mit uns zusammen weiter?“ Johan hob die Augenbrauen und sah sie abwartend an. Offenbar hatte sie das vorhergehende Gespräch zum Teil mitgehört, denn sie fuhr fort: „Wir sind immer unterwegs und bleiben selten länger an einem Ort. Auf diese Weise sehen wir viel von der Welt und die Chance, ein legendäres Pokémon zu finden oder sonst irgendwie einen Weg zurück in deine Welt zu finden, sind dann viel größer!“, erklärte sie aufgeregt. Johan schmunzelte. „Das hört sich vernünftig an“, sagte er. Hikari drehte sich zu Satoshi und Takeshi um. „Ihr habt doch nichts dagegen, oder?“, fragte sie ein wenig lauernd. Takeshi zuckte die Achseln. „Von mir aus kann ich auch für vier kochen, so einen Unterschied macht das nicht“, sagte er. „Er wird uns ja wohl kaum aufhalten“, meinte Satoshi und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. „Pika-pi“, stimmte Pikachu schläfrig zu. Hikari drehte sich sofort wieder zu Johan um. „Dann ist es beschlossene Sache? Du reist mit uns durch die Sinnoh-Region?“ Johan lächelte schief. „Aber gerne“, sagte er. Hikari machte einen aufgeregten Satz in die Luft und hüpfte kichernd umher. Johan sah ihr belustigt dabei zu, bis sie auf einmal innehielt und sich langsam zu ihm umdrehte. „Ach, und, Johan? Dürfte ich dich um noch etwas bitten...?“ „Los, Plinfa! Whirlpool!“ Mit einem beherzten Sprung setzte Plinfa in die Luft und hob die Ärmchen in die Luft, über denen sich prompt ein riesenhafter Diskus aus Wasser bildete. Hikari sah Johan auffordernd an. „Los, lass Rubin auf den Wirbel springen“, sagte sie. Johan nickte. „Los, Rubin, du hast es gehört!“, sagte er. Sein kleiner Begleiter sprang von seiner Schulter auf den Boden, stieß sich kraftvoll ab und raste damit auf den Wasserwirbel zu. Die Aktion ging schief. Rubin wurde beim Auftreffen auf der Wasseroberfläche kurz mitgerissen, quiekte auf und flog dann aus dem sich drehenden Strudel nach außen. „Rubin!“, rief Johan und machte einen Satz nach vorn, um es gerade noch aufzufangen, bevor es gegen einen der Bäume prallen konnte, die die kleine Lichtung umgaben. Von dem Aufprall getroffen stieß er selbst mit dem Rücken gegen das Holz. Hikari war sofort bei ihm. „Alles okey?“, fragte sie besorgt. Plinfa brach die Attacke ab und landete wieder auf dem Boden, um langsam auf die anderen zuzuwatscheln. „Ja, keine Sorge, nichts passiert“, sagte Johan gutmütig. Rubin löste sich zum Beweis aus seinen Armen und landete schwanzwedelnd auf dem Boden. Hikari seufzte. „Schade, ich hatte mir das so schön vorgestellt“, sagte sie. „Ich dachte, dein Rubinkarfunkel könnte irgendwie auf dem Wasser reiten, das hätte bestimmt toll ausgesehen...“ Missmutig ließ sie sich ins Gras fallen und starrte auf die Spitzen ihrer rosa Stiefel. Johan setzte sich neben sie und stupste sie aufmunternd an. „Wir haben doch gerade erst angefangen zu trainieren. Bestimmt klappt das noch“, sagte er zuversichtlich. „Plinfa, plinfa!“, sagte Plinfa und zog damit die Aufmerksamkeit der beiden Menschen auf sich. Der Pinguin hob das Schnäbelchen hochmütig an und deutete anklagend auf Rubin, das verdutzt zurückschaute. „Plinfa, Plinfaplinfa-Plinfa!“, rief es. „Was...?“, fragte Johan und sah Hikari ratsuchend an. Hikari seufzte entnervt. „Plinfa sagt, dass Rubin an allem Schuld ist“, übersetzte sie und sah ihr Pokémon tadelnd an. „Du sollst nicht immer so angeben.“ „Plinfa-plinfa!“, rief Plinfa protestierend. Während Hikari genervt auf ihr stures Pokémon einredete, sah Johan zum Himmel, der sich weit und blau hinter den Baumwipfeln ausbreitete. Die Sonne stand hoch am Himmel, es musste ungefähr Mittag sein, was bedeutete, dass er noch nicht einmal 24 Stunden in dieser Welt verbracht hatte. Aber wie es aussah, würde er noch eine Weile bleiben. Plinfa hatte offenbar keine Lust mehr auf den ergebnislosen Streit mit seiner Trainerin und watschelte mit einem eingeschnappten „Plin-faaa!“davon. „Moment! Warte, Plinfa!“, rief Hikari entsetzt und sprang auf. Sie drehte sich kurz zu Johan um. „Ich versuche, es zur Vernunft zu bringen, ja?“, sagte sie und eilte dem kleinen Pinguin nach, ohne eine Antwort abzuwarten. Johan stützte die Hände ins weiche Gras. Satoshi und Takeshi hatten sie ja vorgewarnt, aber dass sich die ganze Sache so problematisch darstellen würde, hatte Hikari offenbar nicht gedacht, als sie am Vortag Johan dazu überredet hatte, mit ihr an einem ganz speziellen Pokémon-Wettbewerb teilzunehmen, der in drei Tagen in der nicht all zu weit entfernten Stadt Herzhofen stattfinden sollte. Sie hatte mit einer Erklärung begonnen: Bei einem normalen Pokémon-Wettbewerb ging es darum, drei seiner Pokémon besonders schöne Attacken vorführen zu lassen und mit ihnen eine kleine Show einzustudieren. Hikari hatte auch schon mehrmals an solchen Wettbewerben teilgenommen und dadurch zwei Siegesbänder ergattert. Von diesen brauchte sie offenbar vier, um an einem überregionalen Wettbewerb teilzunehmen, der alle paar Jahre stattfand und dessen Sieger großen Ruhm ernten würde. Der Wettbewerb, um den es jetzt ging, hatte allerdings nicht viel damit zu tun und war mehr eine Art Volksfest, zu dem jedes Jahr tausende von Besuchern anreisten, um ihn zu sehen. Die Regeln waren auch leicht verändert: Koordinatoren traten in Zweierteams an, und jeder von beiden durfte nur ein einziges Pokémon einsetzen. Es ging auch nicht um die einzelnen Attacken der Pokémon, sondern rein um eine Gruppenperformance von Menschen und Pokémon. Satoshi und Takeshi, die keine Koordinatoren waren, hatten offenbar abgelehnt, mit Hikari ein Paar zu bilden und so hatte sie, wie sie Johan erklärt hatte, schon die Hoffnung aufgegeben, an dem traditionellen Wettbewerb teilnehmen zu können. Johan hatte geahnt, was als nächstes kommen würde und tatsächlich hatte Hikari ihn gefragt, nein, regelrecht angefleht, mit ihr ein Team zu bilden und eine Performance einzustudieren. Und nun saß er hier auf der Lichtung und wartete, dass Hikari mit Plinfa zurückkam. Sie hatten sowieso schon wenig Zeit, da Herzhofen noch etwa zwei Fußmärsche entfernt war und sie somit nur noch diesen Tag zur vollen Verfügung für ihr Training hatten, weil sie die nächsten zwei Tage unterwegs sein würden. Dass Plinfa sich offenbar zu fein war, mit einem Wesen zusammenzuarbeiten, das nicht einmal ein Pokémon war, machte die Sache nicht leichter. Hikari hatte Johan zwar erklärt, dass Rubinkarfunkel nicht gegen die Regeln verstoßen würde, ein Problem war nur, dass dieses nicht wie ein Pokémon verschiedenartige spezielle Techniken besaß. Dass also der durch Attacken ausgemachte Teil der Show allein von Plinfa abhängen würde, hatte das kleine Pinguin-Pokémon noch eingebildeter gemacht, als es laut Hikari sowieso schon war. Hikari kehrte ein bisschen außer Atem und mit zerzaustem Haar zurück, als Johan gerade begonnen hatte, sich zu fragen, ob ihr etwas passiert sein konnte. Er erhob sich sofort und kam ihr entgegen. „Du siehst etwas mitgenommen aus“, stellte er freundlich fest. Hikari errötete und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. Mit der anderen hielt sie Plinfa fest, das mit entschlossenem Blick in die Gegend starrte. „Äh, ach was, alles okey“; sagte sie verlegen, „Plinfa und ich hatten uns nur ein bisschen verlaufen...“ „Ach, das kann doch mal passieren“, sagte er gelassen und pflückte ihr ein verirrtes Ästchen aus den Haaren, „Wollen wir wieder anfangen zu trainieren oder bist du eher für eine Pause?“ Hikari setzte Plinfa auf den Boden ab und sah Johan entschlossen an. „Wir machen weiter! Ich habe Plinfa gerade dazu gebracht, das Ganze ernst zu nehmen, da wäre eine Pause jetzt genau falsch“, erklärte sie selbstsicher. Johan lächelte. „Das klingt überzeugend.“ Als Satoshi und Takeshi, die den Tag mit Kampftraining beziehungsweise dem Beobachten von Pokémon verbracht hatten, in der Abenddämmerung zur Lichtung kamen, waren Johan und Hikari immer noch dabei. Die beiden Zuschauer sahen sich kurz an und blieben dann am Rand der Lichtung stehen, um die beiden anderen zu beobachten, wie sie soeben ihre Performance von vorne begannen. Plinfa stand ganz vorne und stieß sich mit einem großen Wasserwirbel vom Boden ab, während Hikari und Johan von den Rändern einer imaginären Bühne aus aufeinander zugingen. In der Luft begann das Pinguin-Pokémon Seifenblasen nach oben zu schießen, die langsam und schillernd auf die beiden Koordinatoren regneten. Kurz bevor sie Johan erreicht hatte, stolperte Hikari jedoch. Johan konnte sie auffangen, aber die Vorführung war damit unterbrochen, Plinfa fiel auf den Boden zurück und fing sofort laut an, zu schimpfen, während Rubinkarfunkel ein wenig ratlos mit dem Schwanz wedelte. „Hey, Vorsicht“, lachte Johan freundlich. Hikari sah errötend zu ihm hoch und löste sich eilig wieder aus seinem Griff. „Alles okey“, sagte sie hastig und strich sich eine wirre Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie drehte sich schnell um und ging zurück auf ihre Ausgangsposition. „Tut mir leid, Plinfa, kommt nicht wieder vor“, entschuldigte sie sich bei ihrem Pokémon, das genervt „Plinfaaa!“ rief, sich dann aber ohne weiteren Protest wieder an seinen Startpunkt begab. „Siehst du, was ich sehe?“, fragte Takeshi mit leiser Stimme seinen jüngeren Begleiter. Satoshi, wie auch das auf seiner Schulter sitzende Pikachu, sahen ihn fragend an. „Was meinst du?“ „Na, Hikari. Sie scheint ja bis über beide Ohren verknallt zu sein.“ Satoshi wandte den Kopf ein wenig ungläubig wieder zur Lichtung. Hikari sah ziemlich zerzaust aus, ihre Mütze trug sie gar nicht mehr und einige Haarsträhnen hatten sich unter ihren gelben Haarklemmen gelöst. Ihr Blick war, fast wie hypnotisiert, auf Johan gerichtet und ihre Wangen glänzten im letzten Tageslicht rötlich. „Haa...“, murmelte Satoshi, „Sie sieht tatsächlich anders aus als sonst.“ Takeshi verschränkte die Arme und lehnte sich an einen nahe stehenden Baum. Schweigend beobachteten er und Satoshi, wie die beiden ihre Vorführung wieder aufnahmen. Takeshi begann in die Hände zu klatschen, als Johan und Hikari ihre kleine Vorführung beendet hatten und trat auf die Lichtung. „Das sah schon sehr gut aus“, lobte er. „Oh, findest du wirklich?“, fragte Hikari begeistert. Errötend sah sie Johan an, der breit grinste. „Ich denke, dass es ganz gut geklappt hat, nicht wahr, Rubin?“, fragte er seinen kleinen Begleiter. „Rubi~!“, fiepste das Kätzchen und sprang ihm auf die Schulter. „Plinfa!“, stimmte der Pinguin fröhlich zu. „Wunderbar. Dann könnt ihr doch jetzt sicher eine Pause machen, oder? Das Essen ist fertig“, erklärte Takeshi. „Es ist ja wirklich schon spät“, lachte Johan mit einem Blick auf die Sonne, die sich soeben über die Baumwipfel senkte. „Wir haben die Zeit völlig vergessen!“ Er sah Hikari an, die unter seinem Blick errötete und verlegen zu Boden sah. „Hm, ich hab schon ganz schön Hunger“, gab sie zu. Die kleine Gruppe zog lachend von der Lichtung weg. Am nächsten Tag schulterten die Trainer ihre Rucksäcke und machten sich zu Fuß auf den Weg nach Herzhofen. Sie stapften die ganze Zeit begleitet von den Stimmen fröhlicher Pokémon durch einen dicht belaubten Wald. Hikari hatte ihren Pokédex gezückt, ein handliches rosa Gerät, das mit blecherner Stimme Informationen über die Pokémon, die sie zwischen den Bäumen erblickten, preisgab. Johan hörte neugierig zu und ließ zu, dass Hikari sich irgendwann bei ihm unterhakte und mit geröteten Wangen begeistert auf ihn einredete. Sie nutzte die freie Zeit außerdem, um ihm die wichtigsten Ereignisse ihres jungen Lebens auseinanderzulegen, angefangen mit ihrer Mutter, die zwar eine berühmte Pokémon-Koordinatorin war, ihr aber nie etwas beigebracht hatte, über verrückte Streiche in der Grundschulzeit bis zu dem Beginn ihrer Rundreise zusammen mit Satoshi und Takeshi, die als Trainer schon um einiges mehr in der Welt herumgekommen waren. Diese gingen schweigend voraus und schienen ein wenig genervt von Hikaris Redefluss, aber Johan freute sich über die Aufmerksamkeit, die sie ihm schenkte und er fand es wirklich spannend, so viel wie möglich über diese neue Welt zu erfahren. Außerdem war er ganz froh, dass er auf diese Weise nicht dazu kam, sich Sorgen um seine Freunde zu machen und sich zu fragen, was sie wohl machten, jetzt wo er weg war. Herzhofen, das sie wie geplant zwei Tage später bei wunderbarem Wetter in der Abenddämmerung erreichten, war eine überraschend große Stadt mit breiten Straßen und einer Vielzahl an Einkaufs- und Übernachtungsmöglichkeiten. Bei der Ankunft der kleinen Gruppe waren die Straßen voll, überall zogen Menschen umher, die meisten davon schlenderten gemütlich durch die Straßen. Takeshi lotste sie alle bis zum Pokémon-Center, einem dreistöckigen Gebäude mit mehreren Balkonen, wo sie eigentlich die Nacht verbringen wollten. Die Angestellten erklärten ihnen jedoch, dass bereits alle Gästezimmer ausgebucht seien und verwiesen sie an eine kleine Pension am Stadtrand, die von einem älteren Ehepaar geführt wurde. Diese umfasste zwar nur drei Etagen, hatte aber zwei geräumige Gruppenzimmer, in denen bereits mehrere andere Pokémontrainer und -koordinatoren untergebracht waren. Dort konnten auch Satoshi, Takeshi, Hikari und Johan für eine Nacht unterkommen und nutzten die Gelegenheit gleich, um sich mit ein paar anderen jungen Trainern anzufreunden. Den Vormittag des nächsten Tages nutzten sie, um für Johan ein zu Hikaris rotem Kleid passendes Outfit zu finden, das er in der Vorführung tragen konnte. Hikari ging zielstrebig die Kleidungsstücke in den Boutiquen der Stadt durch, riet Johan zu diesem und zu jenem und sagte ihm bei jedem, das er anprobierte, dass er darin einfach umwerfend aussähe, was schließlich dazu führte, dass Takeshi und Satoshi sich genervt von ihnen absetzten. Hikari und Johan fanden schließlich ein weißes Hemd mit roten Stickereien an den Ärmeln und ein zusammengehöriges Duo aus einer roten Hose und einer roten Weste, die jeweils golden dekoriert waren. Hikari fand, dass er darin einfach göttlich aussah, und auch die Verkäuferin in dem kleinen Laden, die ihnen das Set vorgeschlagen hatte, war sichtlich begeistert. Johan ließ sich den Wirbel, den sie um ihn machten, gefallen und nahm die Komplimente dankend an, auch wenn es ihm ein wenig unangenehm war, dass Hikari ihm die Kleidungsstücke bezahlte. Um elf Uhr begann dann in der regulären Wettbewerbsarena von Herzhofen die Anmeldung. Jedes Team, das aus zwei Menschen über zehn Jahren (was das Mindestalter zum Besitzen von Pokémon war) bestand und zusammen mindestens zwei Bänder von Pokémon-Wettbewerben hatte, durfte prinzipiell teilnehmen, aber es waren doch nur eine Hand voll Trainer, die sich tatsächlich meldeten. Hikari erkannte zwei Mädchen wieder, die in derselben Pension übernachtet hatten und grüßte sie gut gelaunt. Die meisten anderen Trainerpaare bestanden ebenfalls aus Mädchen, aber das war nicht weiter verwunderlich. „Normalerweise sind die meisten Koordinatoren Frauen“, erklärte sie Johan, der nachdenklich nickte. Hikari ließ den Blick über die anwesenden Koordinatoren schweifen, die in Paaren auf den Sitzen in der leeren Wettbewerbshalle saßen und sich leise berieten. Wie es schien, waren sie und Johan das einzige Paar, das aus einem Jungen und einem Mädchen bestand und noch dazu einen so großen Altersunterschied aufwies. „Hey!“, sagte eines der Mädchen, das sie schon vom Vortag kannten und setzte sich mit überschlagenen Beinen neben Hikari. „Wie geht’s?“ Hikari strahlte sie an. „Natsumi, nicht wahr? Ich wusste gar nicht, dass ihr auch hier teilnehmt.“ Natsumis Begleiterin, eine hübsche Schwarzhaarige, setzte sich neben ihre Freundin. „Bei dir wundere ich mich viel mehr“, sagte sie und deutete auf sie und Johan. „Es ist ungewöhnlich, dass sich zwei so verschieden alte Trainer im Team zusammentun. Seid ihr Geschwister oder sowas?“ Hikari schüttelte errötend den Kopf. „Ne... nein, nicht wirklich“, murmelte sie verlegen. Ihre beiden neuen Freundinnen sahen sich an. Johan grinste und legte ihr vertraulich eine Hand auf die Schulter. „Wir sind zwar nicht verwandt und kennen uns erst ein paar Tage, aber eigentlich hab ich schon das Gefühl, dass du sowas wie eine kleine Schwester für mich bist“, sagte er herzlich. Er hatte eigentlich erwartet, dass Hikari sich darüber freuen würde, aber stattdessen versteifte sie sich und rückte ein Stück von ihm weg, sodass seine Hand von ihrer Schulter glitt. Natsumi sah erst Hikari, dann den verblüfften Johan forschend an und stand dann auf. „Hokuto, ich glaube, ich kümmere mich lieber nochmal um meine Frisur, kommst du mit?“ Die Schwarzhaarige nickte und folgte ihrer Freundin die Treppe hinunter zum Vorbereitungsraum hinter der Bühne. Ratlos blickte er zu Plinfa, das jedoch von der Sache gar nichts mitbekommen zu haben schien und mit konzentriertem Blick auf die Bühne starrte. „Hey... Hikari“, sagte er vorsichtig und stupste sie an der Schulter an. Sie drehte sich nicht um. „Ich will nicht mehr“, sagte sie leise. Johan war mehrere Sekunden lang sprachlos. „Wie meinst du das?“, fragte er so freundlich wie möglich. Sie stand auf, was Plinfas Aufmerksamkeit auch endlich auf sich zog. Das Pinguin-Pokémon kam sofort auf die Füße. „Plinfa!“, rief es. Hikari schüttelte den Kopf. „Ich... ich steige aus. Wir lassen das mit dem Wettbewerb. Das kann sowieso nicht klappen“, sagte sie mit belegter Stimme. Johan sprang von der Sitzbank auf. „Hikari...!“, rief er, „das kannst du doch nicht ernst meinen!“ Sie drehte sich sehr langsam zu ihm um, wagte es aber nicht, den Kopf zu heben. Hinter ihr brach Plinfa in eine laute Schimpftirade aus, aber sie schien es nicht mal zu bemerken. Johan legte seine Hände auf ihre Schultern und musterte sie fragend. „Hikari... Ich weiß wirklich nicht, warum du auf einmal sowas sagst“, meinte er besorgt. Sie starrte zu Boden. „Das war ja klar“, sagte sie scharf. Jetzt war er noch verwirrter, versuchte aber, trotzdem ruhig zu bleiben. „Hikari, denk doch daran, was wir alles für diesen Wettbewerb getan haben. Er findet nur einmal im Jahr statt, diese Gelegenheit kannst du dir doch nicht einfach entgehen lassen!“ „Plinfa!“, stimmte ihm das Pokémon zu. Hikari biss sich auf die Unterlippe. Er hatte den Eindruck, dass sie kurz vor den Tränen stand, auch wenn er nicht den blassesten Schimmer hatte, wieso. Er beugte sich ein bisschen zu ihr herunter. „Hikari, guck mich an.“ Sie kam der Aufforderung nur halb nach und hob den Blick so weit, dass sie geradeaus und ihm auf die Brust starrte. Johan beschloss, sie nicht weiter zu drängen und sprach mit sanfter Stimme auf sie ein: „Ich weiß nicht, was los ist, du musst es mir auch nicht erklären, wenn du nicht willst, aber ich finde, was es auch ist, es ist es nicht wert, dass wir dafür auf die Teilnahme verzichten, nachdem wir so viel für diesen Wettbewerb getan haben. Vielleicht haben wir nicht die besten Chancen, aber du hast doch gestern selber noch gesagt, dass es dir vor allem darum geht, einmal dabei zu sein.“ Hikari nickte schwach. Langsam atmete sie ein und festigte ihren Blick, bevor sie endlich den Kopf hob und ihn ansah. „Johan...“, sagte sie leise. Er wartete geduldig ab, bis sie schließlich schwach lächelte. „Du hast recht, wir können doch unser ganzes Training nicht umsonst gewesen sein lassen“, sagte sie. Sie löste sich aus seinem Griff und drehte sich zu Plinfa um, das sehr entschlossen „Plinfa!“, rief und strich ihm über den Kopf. „Also, zeigen wir es ihnen und legen die beste Team-Performance hin, die Herzhofen je gesehen hat?“, fragte Johan. Sie sah ihn entschlossen an. „Ja!“ „Und nun die Startnummer Vier, Hikari und Johan!“ Zögerlicher Applaus wallte in den Zuschauerrängen auf, nur Satoshi und Takeshi klopften lautstark in die Hände. Vor den beiden tanzte Hikaris Haspiror mit rosa Pon-Pons auf und ab und quietschte aufmunternd. Plinfa allen voran betrat die kleine Gruppe die große Freilichtbühne. Anlässlich des Wettbewerbs war im Park von Herzhofen eine große Arena mit breiten Holzrängen aufgebaut worden, auf denen sich selbst in den hinteren Reihen die Zuschauer drängten, um einen Blick auf den beliebten Paarwettbewerb zu erhaschen. Für alle, die keinen Platz in der Arena mehr gefunden hatten, wurde das Bühnengeschehen außerdem auf großen Bildschirmen an zentralen Punkten der Stadt gezeigt, sodass wirklich niemandem der Wettbewerb entgehen konnte. Auch das Wetter spielte mit an diesem warmen Sommertag, denn der Himmel war bis auf ein paar wattige Wölkchen vollkommen blau und es herrschte nur ein leichter Wind, der auf der Bühne aufgrund des Windschutzes durch die hohen Zuschauerränge kaum zu spüren war. Takeshi war so vorausschauend gewesen, sich mit Satoshi gleich nach ihrer Trennung von Hikari und Johan am Vormittag die Plätze zu sichern, sodass sie es immerhin in die siebte Reihe von unten geschafft hatten. Von dort hatten sie einen guten Blick auf die mit einem breiten Logo geschmückte Bühne, hinter der ein scharlachroter Vorhang mit dem Logo des Wettbewerbs die sich vorbereitenden Koordinatoren vor den Blicken der Zuschauer schützten. Durch einen Spalt in dessen Mitte zeigten sich nun Hikari, Johan und ihre Monster, begleitet vom höflichen Klatschen der vier Schiedsrichter. „Wow, die Klamotten hat Hikari aber ziemlich gut ausgesucht“, bestaunte Takeshi die Partneroutfits des Paares auf der Bühne. Satoshi zuckte die Achseln. „Passt wohl“, murmelte er. Plinfa nahm jetzt vorne auf der Bühne Position ein, Rubinkarfunkel hoppelte hinter es und Hikari und Johan stellten sich an den entgegengesetzten Seiten der Bühne auf. „Und los geht’s!“, rief die Moderatorin. Kurz brandete an mehreren Ecken der Arena Applaus auf, der sich aber augenblicklich wieder legte, als die Performance begann. Plinfa stieß sich vom Boden ab und verteilte aus der Luft Seifenblasen über alles. Hikari und Johan gingen langsam, aber bestimmt aufeinander zu. Takeshi stieß Satoshi an. „Irgendwas ist anders, oder?“, fragte er. Satoshi sah ihn skeptisch an. „Wovon redest du?“, fragte er. „Pika?“, machte Pikachu gleichzeitig. Takeshi musterte Hikari, die jetzt im Seifenblasenregen Johan die Hand gab. Er runzelte die Stirn. „Sie ist total konzentriert. Als wir neulich beim Training zugeschaut haben, hat sie Johan die ganze Zeit so verträumt angesehen, aber das ist jetzt irgendwie nicht mehr so.“ „Na, wenn du meinst...“, murmelte Satoshi nur. Hikari stützte sich derweil mit den Füßen auf Johans Oberschenkel ab, um sich weit zur Seite zu lehnen. Währenddessen landete Plinfa direkt neben Rubinkarfunkel, das sich kraftvoll mit den Füßen abstieß und in die Luft setzte, nur knapp gefolgt von dem Pinguin. In der Luft berührte Plinfa mit seinem Schnabel für mehrere Sekunden den roten Stein an der Schwanzspitze Rubins, dann kamen beide gleichzeitig kurz auf dem Boden auf, nur um sich mit einem doppelten Salto rückwärts in Richtung ihrer Partner zu drehen. In dem Moment war es, dass Satoshi und Takeshi unwillkürlich nach Luft schnappten, weil Hikari mit ihren Füßen an dem wohl etwas zu glatten Stoff von Johans Hose den Halt verlor. Johan gelang es jedoch, den Patzer leicht zu überspielen, indem er Hikari noch halb im Abrutschen an der freien Hand ergriff und sie wie im Tanz um sich herumwirbeln ließ. Gerade noch rechtzeitig kam sie neben ihm zum Stehen. Rubin landete mit anmutig durchgestreckten Beinen in Johans Haarschopf, Hikari fing Plinfa mit links auf, es sprang auf ihren Kopf und sprühte von dort aus einen Schauer aus Seifenblasen über die Schlussposition. Hikari und Johan lächelten ins Publikum. Applaus brandete auf, in den Takeshi und Satoshi begeistert mit einstimmten. „Das war aber knapp“, sagte Takeshi und hatte Mühe, das begeisterte Haspiror zu übertönen. „Stimmt, aber sie haben es super hingekriegt!“, rief Satoshi, „Ich glaube, es hat nicht mal einer gemerkt, dass das nicht geplant war!“ „Pika-piii!“, rief Pikachu. Außerhalb der Arena wehte eine sanfte Brise durch den Park von Herzhofen. Nachdem der Wettbewerb zu Ende war, hatte sich der Park geleert, nur wenige Spaziergänger waren noch unterwegs. Ein leises Rauschen erfüllte die Luft. Ansonsten herrschte fast vollkommene Stille. Johan blieb unter einem kleinen Baum stehen und stemmte die Hände in den Rücken. „Aaah, es ist wirklich schön hier!“, sagte er zufrieden. „Plinfa!“, rief Plinfa und hüpfte fröhlich in den Schatten, wo es sich erleichtert an den Stamm lehnte. Rubinkarfunkel sprang ihm nach und rollte sich daneben zusammen. Hikari kicherte. Johan ließ sich der Länge nach ins Gras fallen und beobachtete die Wolken, die hinter den schattigen Blättern vorbeizogen. Hikari setzte sich neben ihn und drehte zwischen ihren Händen den goldenen Pokal mit dem Logo des Wettbewerbs, das im Sonnenschein das Licht reflektierte. „Wir haben es tatsächlich geschafft“, sagte sie gedankenverloren und strich über den verschnörkelten Rand der Siegertrophäe. Johan beobachtete sie dabei mit hinter dem Kopf verschränkten Armen und musste lächeln, weil sie dabei so überglücklich aussah. „Das habe ich nur dir zu verdanken“, sagte sie und drehte sich zu ihm. Johan grinste. „Ach was, du hast doch die meiste Arbeit gemacht“, erwiderte er. Sie errötete ein wenig, schüttelte aber protestierend den Kopf. „Trotzdem wären wir gar nicht erst im Wettbewerb angetreten, wenn du nicht gewesen wärst. Und als ich den Halt verloren hatte, hast du das alles wunderbar wieder wettgemacht!“, sagte sie und legte das Kinn auf ihre Knie. Johan setzte sich auf und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Wir haben das zusammen geschafft“, sagte er. Hikari nickte. „Dass sogar Nozomi da sein würde...“, sagte sie irgendwann nachdenklich. „Die Rothaarige, die dir vorhin gratuliert hat? Woher kennt ihr euch?“ „Sie ist auch eine Koordinatoren und wir sind uns schon öfters über den Weg gelaufen. Viele denken total schlecht über Konkurrenz, aber sie ist total nett und hilft mir auch manchmal.“ Johan nickte. „Das ist gut. Egal, wie sehr man gewinnen will, man muss seinen Konkurrenten gegenüber auch Respekt bewahren“, sagte er mild. Doch über seine Augen legte sich ein düsterer Schleier, als er an seine vergangenen Konkurrenten und Duelle dachte. Hikari sah ihn aus großen Augen an. Schweigend wartete sie ab, bis Johan wieder den Kopf hob und sie mit seinem üblichen freundlichen Lächeln bedachte. „Unsere Konkurrenz heute war ja auch nicht ohne“, sagte er. Hikari nickte. „Natsumi und Hokuto waren toll. Ich hätte mich auch nicht gewundert, wenn sie gewonnen hätten“, sagte sie begeistert. Johan nickte. „Ich kenne mich zwar nicht so aus, aber ich fand ihre Show auch ziemlich gut. Auch, wie ihre Pokémon ihre Attacken kombiniert haben, um Schnee zu erzeugen.“ Hikari nickte. „Aber die meisten anderen waren auch gut. Na ja, bis auf diese Idioten, die gleich nach uns dran waren.“ Johan brach in Gelächter aus. „Ja, das war vielleicht schlecht. Der Anfang war ja noch okay, aber als die Frau dann von den Sporen von diesem Schmetterling eingeschlafen ist, das war irgendwie der Anfang vom Ende.“ Hikari kicherte. „Stimmt, und dann ist ihr Woingenau auch noch mitten in die Vorstellung geplatzt..!“ Bei der bloßen Erinnerung lachten sie wieder zusammen. Johan ließ sich immer noch kichernd zurück ins Gras fallen. „Also, Respekt gegenüber dem Kontrahenten hin oder her, die hätten es wirklich lassen sollen“, murmelte er und wischte sich mit der Hand ein paar Lachtränchen aus den Augenwinkeln. Hikari nickte zustimmend. Beide verfielen wieder in ein zufriedenes Schweigen und betrachteten die Berggipfel, die sich blass hinter den scharfen Konturen der Hochhäuser von Herzhofen erhoben. „Sag mal... warum genau wolltest du nicht beim Buffet für die Teilnehmer dabei sein und hast Satoshi und Takeshi an unserer Stelle gehen lassen?“, fragte Johan schließlich nun doch. Hikari drehte sich eilig weg und senkte den Kopf so sehr, dass ihre Haare ihr Gesicht verdeckten. „Nun, also... ich wollte dir was Wichtiges sagen, Johan...“, murmelte sie. Er richtete sich aufmerksam auf. „Wichtiges kann warten, denn jetzt gibt’s Ärger!“, wurden sie von einer schneidenden Frauenstimme unterbrochen. Ein verzweifeltes Quieken ertönte gleichzeitig hinter ihren Rücken. Johan kam augenblicklich auf die Beine. Am Stamm des kleinen Baumes lehnten, halb vom Schatten verdeckt, ein Mann und eine Frau. Letztere hatte Johans Rubinkarfunkel am Schlafittchen gepackt, wo es verzweifelt mit den Beinen strampelte. Plinfa schien ihnen gerade noch entkommen zu sein und versteckte sich hinter dem Bein von Hikari, die mittlerweile auch aufgestanden war. Der Mann des Duos übernahm nun das Wort: „Wir stehlen euren Schatz, es kommt noch härter!“ „Das Übel, so alt wie die Galaxie...macht euch fertig wie noch nie...“, setzten Frau und Mann fort. Ein katzenartiges Wesen – ein Pokémon – ließ sich in just diesem Moment aus dem Baum über den beiden anderen fallen. „... verspricht euch Mauziii!“, rief es. Bevor Johan irgendwas sagen konnte, ergriff die Frau wieder das Wort: „Liebe und Wahrheit verurteilen wir...“ „... mehr und mehr Macht, das wollen wir!“, setzte der Mann fort. „Musashi“, stellte sich nun die Frau vor, „Kojirou“, sagte der Mann. „Und ich bin Mauzi!“, rief das Katzenpokémon und zog mit seiner Tatze an einer Leine, die aus dem Baumwipfel ragte. Mit einem lauten Knall erschien auf einmal ein großer Heißluftballon, der aussah wie der Kopf des Katzenwesens, aus der Baumkrone. Als er ein wenig höher stieg, ploppte auch die bis dahin zusammengeklappte Gondel an ihren Platz unter dem Gasbrenner. Die beiden Fremden, die, wie Johan jetzt erkennen konnte recht ähnliche, größtenteils weiße Kleidung mit jeweils einem großen „R“ auf der Brust trugen, wurden zusammen mit der Katze und dem immer noch verzweifelt zappelnden Rubinkarfunkel in die Luft gezogen. „Im weiten Universum, wo auch immer... ist Team Rocket... der Bringer!“, verkündeten die drei hintereinander. Eilig verschwanden sie über den Rand des Korbs ihres Ballons, tauchten aber sofort dahinter wieder auf: „... und macht alles nur noch schlimmer!“, riefen sie gemeinsam. „Woingenau!“, tönte es hinter ihnen und ein blaues Wesen tauchte hinter den dreien auf. „Ihr seid das!“, stieß Johan erbost aus. „Hey! Nur, weil ich mich vorhin über euch lustig gemacht habe, ist das kein Grund, Rubinkarfunkel zu entführen!“ Die rothaarige Frau, Musashi, lachte. „So ein seltenes Pokémon hätten wir uns sowieso geschnappt! Verabschiede dich von deinem kleinen Schatz!“ „Woin-Genaaau!“, tönte es hinter ihr. Das Lachen der Frau, in das auch Kojirou und Mauzi mit einstimmten, verhallte langsam in der Ferne, als der Ballon in die Höhe stieg. „Moment, woher kennst du denn Team Rocket?“, fragte Hikari Johan, der bereits nach seinen Karten tastete, die er wie immer in einer Tasche an seinem Gütel trug. Er sah sie verblüfft an. „Na, das waren doch die mit dem Woingenau, die im Wettbewerb so versagt haben. Das ist doch offensichtlich.“ Hikari verfiel in Schweigen, dann griff sie nach den Pokébällen an ihrem Gürtel. „Wir müssen ihnen folgen“, sagte sie, „aber ich habe keine Pokémon, die fliegen können.“ „Plinfa“, sagte Plinfa in einem Tonfall, der nahelegte, dass es sich darüber ärgerte, selbst nicht fliegen zu können. „Okay, dann bin ich wohl dran“, sagte Johan und zückte eine seine Karten: „Los geht’s, Saphirpegasus!“ Augenblicklich zeigte sich die Gestalt eines weißen Pferdes mit weiten, hellen Schwingen und einem langen, dunkelblauen Horn auf der Stirn. „Oh, wie hübsch!“, rief Hikari begeistert. Der Pegasus sah sie an. „Los, steigt auf. Die kriegen wir“, sagte er mit dunkel tönender Stimme. Hikari sah Johan überrascht an. „Es kann sprechen!“, staunte sie. „Natürlich“, sagte Johan, „Rubin ist das einzige meiner Kristallungeheuer, das nicht sprechen kann. Los komm, steig auf.“ Er streckte auffordernd die Hand aus und half ihr ohne große Umstände auf den breiten Rücken des Pegasus, um dann hinter ihr selbst aufzusteigen. „Plinfa, würdest du mir den Gefallen tun und in deinen Pokéball gehen?“, bat Hikari ihr Monster freundlich, „Ich glaube nicht, dass ich dich auch noch festhalten kann.“ „Plinfa“, sagte es ein bisschen aufmüpfig, aber als Hikari ihren Pokéball hervorholte und es darin verschwinden ließ, legte es keinen weiteren Protest ein. „Okay, haltet euch fest“, rief Saphirpegasus, woraufhin Hikari ihre Hände eilig in seine helle Mähne krallte. Johan legte ihr die Hände um die Taille, um sich zu sichern und dann stieß sich das Pferd auch schon vom Boden ab, schlug kräftig mit den Flügeln und erhob sich senkrecht in die Lüfte. Hikari schrie auf und schlang ihre Arme nun doch um seinen Hals, um sich gegen Abrutschen zu sichern. Der Aufstieg dauerte jedoch nicht lange, danach glitt der Pegasus wieder in die Waagerechte und bewegte sich fast so vorwärts, als würde er über festen Boden galoppieren. Hikari wagte es, sich ein bisschen aufzurichten, auch wenn ihr das ziemlich gefährlich vorkam, so wie der Wind an ihren Haaren und ihrem roten Schal zerrte. „Ich wusste gar nicht, dass du noch mehr solche Monster hast“, sagte sie, während unten die Hochhäuser Herzhofens vorbeizogen. Johan lachte leise. „Ich war mir auch nicht sicher, ob ich sie rufen kann“, gab er zu. Hikari sah sich um. „Da hinten sind sie!“, rief sie, als sie kurz vor der Bergkuppe, die sich hinter der Stadt erhob, den auffälligen Ballon entdeckte. „Die kriegen wir“, dröhnte Saphirpegasus und legte den Kopf an, um noch schneller zu fliegen. Hikari krallte sich in seine Mähne. „Team Rocket sind echt das letzte“, erklärte sie, während sie weiterjagten. „Sie versuchen ständig, uns unsere Pokémon zu stehlen und geben einfach nicht auf, egal, wie oft wir sie in die Flucht schlagen“, sagte sie. „Du kennst diese Leute also?“, fragte Johan. Hikari nickte. „Sie haben nicht viel drauf, aber sie sind leider ziemlich hartnäckig“, sagte sie nachdenklich. „Und dieses Katzenwesen, das sprechen konnte, war das auch ein Pokémon?“ „Ja. Ich weiß nicht, wie es das geschafft hat, aber das Mauzi von Team Rocket ist eines der wenigen Pokémon, die sprechen können.“ Johan nickte grimmig. „Das wird ihnen auch nicht weiterhelfen. Die kriegen wir“, verkündete er. Der Ballon kam immer näher, aber Team Rocket hatten sie scheinbar noch nicht bemerkt. Rubinkarfunkel befand sich mittlerweile in den Händen des lilahaarigen Kojirou, wo es sich seinem Schicksal offenbar ergeben hatte. Musashi und Mauzi schienen einigermaßen ausgelassen und bildeten einen Kreis um das Kristallungeheuer, das sie aus seinen großen, roten Augen ängstlich musterte. Hikari griff mit der linken Hand fester in Saphirpegasus' Mähne und holte mit der anderen einen Pokéball hervor. „Okay, auf geht's“, sagte sie. „Los, Plinfa! Hol dir Rubinkarfunkel zurück!“ Kraftvoll schleuderte sie den Ball in Richtung des Heißluftballons, sodass das Pokémon nur knapp davor in der Luft erschien. Mit einem lauten „Plinfaaa!“, wirbelte es in der Luft herum und stürzte sich auf Team Rocket, das gerade noch genug Zeit fand, zur Seite zu springen, bevor Plinfa mitten in der Gondel landete. „Plinfa! Du schaffst es!“, rief Hikari von Saphirpegasus aus. Mauzi bemerkte das Pferd und machte große Augen, doch es kam nicht dazu, etwas zu sagen, weil Plinfa jetzt Kojirou eine saftige Kopfnuss verpasste. Sein Griff um Rubinkarfunkel lockerte sich sofort, es landete neben Plinfa auf dem Rand der Gondel. „Na wartet!“, rief Musashi und wollte die beiden schnappen, doch wie zuvor in ihrer Performance stießen sich beide gleichzeitig ab, wirbelten mit mehreren Salti einmal quer über Team Rockets Köpfe und landeten auf der anderen Seite der Gondel. Plinfa fuhr herum. „Plin-faaaaa!“ Ein dichter Wasserstrahl schoss aus seinem Schnabel, der die Gasflamme unter dem großen Ballon traf und zum Erlöschen brachte. Damit sprangen Plinfa und Rubinkarfunkel in die Tiefe. „Jetzt bist du dran, Kobaltadler!“, rief Johan und zückte eine seiner Karten. Der Adler, der nun auftauchte, hatte eine Flügelspannweite von mehr als einem Meter und segelte mit dem Wind direkt unter die fallenden Plinfa und Rubinkarfunkel, um sie auf seinem Rücken aufzufangen. Saphirpegasus tauchte zu ihnen herab, sodass die beiden Kleinen vom Rücken des Adlers wieder in die Arme ihrer Besitzer springen konnten. „Danke für die Hilfe“, sagte Johan mit einem Zwinkern. „Keine Ursache“, verabschiedete sich Kobaltadler, bevor er wieder verschwand. Saphirpegasus wieherte laut, schlug mit den Flügeln und machte sich auf den Weg zurück in die Stadt. Johan warf noch einen Blick zurück über seine Schulter: Team Rockets Ballon verlor ohne die Brennerflamme langsam aber sicher an Höhe und drohte abzustürzen. „Das geschieht ihnen recht“, murmelte er. Das letzte, was er an diesem Tag von Team Rocket hörte, war ein vom Wind nur schwach in seine Richtung getragenes „Das war mal wieder ein Schuss in den Ofen“. „Sag mal, was wolltest du mir vorhin eigentlich so Wichtiges sagen?“, fragte Johan, als Saphirpegasus sie auf der Wiese absetzte, wo sie zuvor losgeflogen waren. Der Siegespokal, den Hikari notgedrungen dort zurückgelassen hatte, war noch da und sie nahm ihn vorsichtig hoch, bevor sie antwortete. „Das war doch nicht so wichtig“, sagte sie und lächelte ihn an. „Hauptsache, wir haben den Wettbewerb gewonnen und Rubinkarfunkel geht es gut!“ Johan strich seinem Kristallungeheuer über den Kopf und lächelte. „Okay, wenn du meinst. Wollen wir dann zurück zu den anderen?“ Sie nickte und sie machten sich zu zweit auf den Weg. „Ich bin echt froh, dass wir dich getroffen haben“, sagte Hikari irgendwann, und Johan grinste breit. „Stimmt, es hat echt Spaß gemacht. Wenn sich die Gelegenheit ergibt, können wir ja gerne nochmal an einem Wettbewerb teilnehmen.“ „Au ja“, lächelte sie glücklich. Zurück am Wettbewerbsgebäude trafen sie auf Satoshi und Takeshi, die das Buffet ausgiebig genutzt und ihnen sogar noch ein paar Reste mitgebracht hatten. Als Hikari ihnen von ihrem kleinen Abenteuer erzählten, zeigten sie sich erleichtert, dass das ganze so glimpflich ausgegangen war, und dann machten sie sich auf den Weg zu ihrer Herberge, um die Sachen für den nächsten Tag zu packen. Als Pokémon-Trainer war man eben immer unterwegs. Ein paar Wochen vergingen, in denen Johan zusammen mit den anderen dreien jede Menge erlebte. Neue Pokémon, andere Trainer, abenteuerliche Landschaften und immer wieder die störenden Versuche von Team Rocket, ihnen ihre Monster abzuluchsen ließen kaum Zeit, sich über irgendwas Gedanken zu machen. Johan genoss die Zeit einfach und dachte oft gar nicht mehr daran, dass er irgendwann zurückkehren musste. Bis er eines Nachts das erste Mal diesen Alptraum hatte. Es war eine sternenklare Nacht, die sie in Schlafsäcken unter freiem Himmel an einem kleinen Bergsee verbrachten und die Stille war vollkommen, bis Hikari von einem Geräusch aus dem Schlaf gerissen wurde. Verwirrt setzte sie sich auf und blinzelte in die Dunkelheit. Neben sich ertastete sie Plinfa, das ruhig atmete, Satoshis Schnarchen war zu hören, ebenso wie das ruhige Atmen von Pikachu und ein gemurmeltes „Oooh, Sie sind so schön!“ von Takeshi. Einen Moment glaubte sie, sie müsste irgendwas Schlechtes geträumt haben, das sie geweckt hatte, aber dann hörte sie neben sich ein leises Wimmern. „Jûdai... Jûdai... nicht... “ Es war Johan, der sich links neben Hikari in seinem Schlafsack zusammenkrümmte. Im Schlaf lag ein schmerzhafter Ausdruck auf seinem Gesicht, das den ganzen Tag über sorglos und unbeschwert wie immer gewirkt hatte. „Jûdai...!“, flüsterte Johan jetzt, fast flehend. Hikari rutschte herüber und schüttelte ihn an der Schulter. „Johan“, flüsterte sie. Er reagierte erst, als sie es noch einmal versuchte, riss die Augen auf und fuhr so schnell auf, dass er sie fast mit dem Kopf am Kinn getroffen hätte. „Jûdai...?“, fragte er und starrte in die Finsternis ringsumher. „Johan, alles okey?“, fragte Hikari besorgt. Er schien einen Moment zu brauchen, bis er sie erkannte. „Ach, Hikari... Stimmt ja...“ Er entspannte sich ein bisschen, wirkte aber alles andere als beruhigt. „Ich hatte einen Alptraum“, sagte er leise. Hikari sah ihn besorgt an. „Wer ist Jûdai?“, fragte sie vorsichtig. Johan war sich einen Moment nicht sicher, ob er die Frage beantworten sollte, entschied sich dann aber für ja. „Ein gute Freund von mir... Ich hab geträumt, er würde sich furchtbare Vorwürfe machen, dass ich verschwunden bin...“ Sein Blick glitt unruhig zum von keiner Welle getrübten See, in dem sich die Sterne spiegelten. Weit nach Mitternacht war der Mond bereits nicht mehr zu sehen. „Das ist seltsam, oder?“, fragte er und fuhr sich unruhig durch die Haare. „Eigentlich ist Jûdai ein total fröhlicher Mensch... Wieso träume ich so einen Quatsch...?“ Hikari legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Alles okey, wir finden schon einen Weg, wie du in deine Welt zurückkehren kannst“, sagte sie ernst. Johan lächelte, aber es wirkte ein bisschen gezwungen. „Danke, Hikari.“ Rund eine Woche später war die Nacht undurchdringlich: Es war Neumond, noch dazu hatten sich über den Nachmittag die Wolken immer weiter verdichtet, sodass nicht einmal der kleinste Stern am Himmel zu sehen war. Die kleine Villa am Stadtrand von Ewigenau lag einsam und verlassen da, nur in den Fluren brannten kleine Lichter zur Orientierung. Nachdem sie seine seltenen Pokémon vor Team Rocket bewahrt hatten, hatte deren Besitzer Satoshi und die anderen eingeladen, die Nacht bei ihm zu verbringen. Nachdem sie sich am Abend auf Einladung des Gastgebers die Bäuche mit Essen vollgeschlagen hatten, waren sie alle vollkommen erschöpft in ihre Betten gefallen und schliefen den Schlaf der Gerechten. Bis auf Johan. Sein Alptraum, der ihn seitdem er ihn das erste mal gehabt hatte, hartnäckig verfolgt hatte, war wieder da. Und niemand war da, der sein leises, von den dicken Kissen ersticktes Wimmern hörte. „Johan! Johan! Wo bist du? Johan...!“ Jûdai rannte wie von Sinnen über das vertraute Gelände der Duellakademie und riss immer wieder den Kopf umher. „Wo bist du?“ In Jûdais Stimme schwang Verzweiflung mit. War das wirklich er? Jûdai, alles in Ordnung. Mir geht es gut! Hörst du mich? Jûdai, allein in seinem Zimmer auf dem Bett zusammengekrümmt. „Es ist meine Schuld, es ist meine Schuld, es ist meine Schuld“, murmelte er immer wieder. Jûdai, ich bin doch hier...! Eine trostlose, felsige Gegend, die Johan noch nie gesehen hatte. Der Himmel war in ein seltsames Violett getaucht und nur ein mysteriös glühender Komet spendete einen Hauch von Licht. Jûdai kniete allein inmitten einer Art Stadion aus Felsen und starrte auf den Boden. „Was habe ich falsch gemacht? Was...?“ Jûdai, hörst du mich denn nicht? Mach dir keine Sorgen! Mir geht es gut! Jûdai schloss die Augen. Seine Fäuste zitterten. Als er sie wieder öffnete, war er nicht mehr er selbst. Seine Augen waren erfüllt von einem dämonischen goldenen Schimmer und starrten leer geradeaus. Langsam erhob er sich. „Ich bin der Herrscher dieser Welt“, sagte er mit hohler Stimme. Johan wollte aufwachen. Alles in seinem Innern sträubte sich gegen dieses Bild, doch das Gegenteil geschah: Als hätte jemand die „Pause“ Taste gedrückt, sah er Jûdai weiterhin vor sich, mit leerem, ausdruckslosem Blick und diesen stechenden, gelben Augen. Er wollte es nicht sehen. Er wollte alles, nur das nicht. Er wollte aufwachen. Er wünschte sich, Hikari, oder auch Satoshi, egal, Hauptsache irgendwer, würde ihn wie in den letzten Nächten an der Schulter packen und wachrütteln. Nichts geschah. Die anderen lagen in ihren eigenen Zimmern und schliefen seelenruhig. Sie ahnten nicht, was ihm geschah. Willst du, dass es aufhört? Eine schneidende Frauenstimme, die Johan vage bekannt vorkam, drang in seinen Traum ein. Wer bist du? Er wollte sich umdrehen, aber sein Blick konnte sich nicht von Jûdais leeren Augen abwenden. Dann, auf einmal, tauchte hinter Jûdai eine Gestalt aus dem Schatten auf. Schickst du mir diese Träume? Die Gestalt grinste böse. Es sind keine Träume. Das ist die Realität. Der Jûdai, den du kennst, existiert nicht mehr. Er hat sich selbst aufgegeben, weil er jemanden verloren hat, der ihn allein gelassen hat. Während du eine andere Welt erkundet hast, hat ihn sein Schuldbewusstsein in den Wahnsinn getrieben. Johan schüttelte ungläubig den Kopf. Das kann nicht sein. Nicht Jûdai. Die Gestalt löste sich aus dem Schatten. Es war Yubel, der Teufel, der das ganze Übel verursacht hatte, indem er sie alle in die andere Welt gezerrt hatte. Johan wollte etwas tun, aber sein Körper war wie versteinert. Ich kann dich mitnehmen. Ich werde dir zeigen, dass ich recht habe. Das glaube ich nicht. Yubel hob höhnisch den Kopf. Ich werde es dir zeigen. Es sei denn, du willst dich der Wahrheit lieber nicht stellen. Johan zögerte für einen Moment. Da war Yubel auf einmal vor ihm. Hinter sich spürte er noch etwas, einen Wind, der aufkam. Es war der Regenbogendrache, doch als Johan den Kopf hob, um ihn zu betrachten, war er schwarz und funkelte ihn böse an. Johan lief ein Schauer über den Rücken. Sein eigenes Monster, der heilige Regenbogendrache, war schwarz geworden. Es wird Zeit, dass du die Wahrheit erkennst. Die Finsternis in deinem Herzen, die du mit aller Macht vor deinen neuen Freunden zu verschließen suchst, hat eine Gestalt angenommen. Der Ultimative Kristallgott, Dunkler Regenbogendrache. Johans ganzer Körper erbebte. Der Drache riss sein Maul auf und stürzte sich auf ihn. Johan Andersen... Du solltest jetzt schlafen. Überlass alles andere mir, sagte Yubel. Und die Dunkelheit schlug über ihm zusammen. Hikari war am nächsten Morgen diejenige, die Johans Verschwinden bemerkte, als sie ihn wecken ging. Das Bett in seinem Zimmer war ordentlich gemacht, das Fenster geschlossen. Nicht das geringste Indiz deutete darauf hin, dass hier ein junger Mann die Nacht verbracht hatte. Erschrocken schlug sie die Hände vor den Mund und sah Plinfa an, das „Plinfa, Plinfa...“, murmelte. Vielleicht hatte sie sich im Zimmer geirrt? Sie machte kehrt und riss die Tür zum Nebenraum auf. „Hey, kannst du nicht mal anklopfen?“, beschwerte sich Satoshi sofort, der gerade seine Mütze aufgesetzt hatte. Sie starrte ihn erschrocken an und eilte ohne Erklärung zu dem Raum links von Johans. Satoshi kam ihr verwundert hinterher. Als sie klopfte, drang Takeshis Stimme von drinnen. „Du kannst reinkommen, die Tür ist offen!“ Hikari drehte sich wieder zu Satoshi um, der sie fragend anblickte. „Hikari, was ist denn los?“ Eine schreckliche Ahnung überkam sie. Was, wenn sie das alles nur geträumt hatte? Wenn Johan gar nicht wirklich da gewesen war? Sie schoss zurück in ihr eigenes Zimmer. Plinfa kam ihr gar nicht so schnell hinterher. Satoshi und Takeshi kamen ihr nach und blieben in der Tür stehen, während sie in ihrem Rucksack zu wühlen begann und dabei Tränke, ihre Bänder-Box, eine Brotdose mit Knurspen und andere Utensilien wild durcheinander warf. Schließlich stieß sie einen erleichterten Seufzer aus. Satoshi und Takeshi sahen sich an und kamen vorsichtig in den Raum. „Hikari?“, fragte Satoshi. Sie hob in ihren Händen den goldenen Pokal hoch, der in der Morgensonne, die durchs Fenster fiel, munter glänzte. In den Sockel waren die Namen der Gewinner eingraviert: Hikari und Johan. Satoshi und Takeshi blieben wie angewurzelt stehen. Hikari stand auf. „Ich glaube, Johan ist zurückgegangen“, sagte sie leise. „Oh“, murmelte Satoshi. Das Mädchen wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln und lächelte vorsichtig. „Ja, ich bin mir sicher“, sagte sie, „bestimmt geht es ihm gut und er kann endlich seine Freunde wiedersehen.“ „Ja, das stimmt“, murmelte Satoshi und stemmte zuversichtlich die Arme in die Hüften. „Es ist bestimmt besser so für ihn“, sagte Takeshi ruhig. „Pika“, meinte auch Pikachu. Plinfa stimmte leise, aber ein bisschen wehmütig zu. Hikari trat an das große Fenster und öffnete es, um die frische Morgenbrise hereinzulassen. Den Pokal hielt sie noch immer fest umklammert. „Danke für alles, Johan. Du warst wirklich der perfekte Partner.“ --- Nachwort: Ich hoffe, das Ende war jetzt für alle, die die dritte Staffel von Yu-Gi-Oh! GX nicht kennen, nicht all zu verwirrend. Es ist jetzt so, dass Yubel Johans Seele in dem Dunklen Regenbogendrachen versiegelt hat, um die Kontrolle über seinen Körper zu übernehmen und in die andere Welt zu gehen, wo Jûdai ist. Jûdai schafft es danach natürlich, Yubel aus Johans Körper zu vertreiben, sodass Johan dann mit allen anderen in seine normale Welt zurückkehren kann. Dass Johan Team Rocket auf den ersten Blick erkennt, konnte ich mir übrigens einfach nicht verkneifen. Es ist so albern, wie Satoshi und Co. es immer wieder schaffen, nicht zu merken dass dieser Mann, diese Frau und dieses Mauzi in Wahrheit das verkleidete Team Rocket sind. Ich hoffe, euch hat die Fanfic gefallen. Ich freue mich über jede Art von Rückmeldung. Kapitel 46: Zero und Haine - Warmer Sommerregen und kalte Schulter ------------------------------------------------------------------ Von Erstmal: Tut mir leid, dass die Geschichte schon wieder so spät kommt! Na ja, hierbei handelt es sich um das Wunschpairing von . Wir fanden das Pairing ganz gut, weil die beiden ungefähr im selben Alter sind und wir sie uns auch gut zusammen vorstellen konnten^^ Auch das Problem, dass sie in verschiedenen Welten leben, gab es nicht. Aber das heißt natürlich nicht, dass der Beziehung der beiden nichts mehr im Wege steht! Wenn ich irgendwelche Charaktere falsch dargestellt habe, tut es mir leid. Weder Shinshi noch Vampire Knight gehören zu den Mangas, die ich besonders oft gelesen habe... Warmer Sommerregen und kalte Schulter Es war schon dunkel, als die schwarze Limousine vor dem dreistöckigen Gebäude hielt. Ihre Scheinwerfer durchschnitten die Dunkelheit und tauchten den geteerten Parkplatz in ihr künstliches Licht. Bis auf ein paar erleuchtete Rechtecke, hinter denen sich wohl die Zimmer des Gebäudes befanden, war kaum etwas zu erkennen, denn die Wolken verdeckten den sowieso nur sichelförmigen Mond und ließen daher kaum Licht zur Erde durchdringen. „Immerhin hat es aufgehört zu regnen“, stellte Haine, eine der sechs Insassen des Luxusgefährts, bei einem Blick durch die dunkel getönte Scheibe fest. „Das ist sicherlich ein gutes Zeichen!“, betonte Maora, der neben ihr saß, und streckte sich. Die über fünfstündige Autofahrt hatte sie alle geschafft und sie waren froh, ihr Ziel endlich erreicht zu haben. Als der Chauffeur ihnen von außen die Tür öffnete, stiegen sie aus und atmeten die Nachtluft ein. Nachdem es den ganzen Tag geregnet hatte, war sie erfüllt von allen möglichen verschiedenen Düften. „Weiß der Direktor Bescheid, dass wir kommen?“, fragte Maguri, der wie alle anderen ein Mitglied des Schülerrates der Kaiserlichen Privatakademie war. „Ich habe mir erlaubt, Kurosu-san über unsere Ankunft zu unterrichten“, erwiderte der Chauffeur, der gerade den Kofferraum öffnete, um das Gepäck der fünf Jugendlichen auszupacken. Er sprach vom Direktor der Cross Academy, deren Gelände sie gerade erreicht hatten. „Er hat versprochen, Sie hier zu empfangen und Ihnen Ihre Schlafplätze zu zeigen.“ Shizumasa, der Vorsitzende des Schülerrates und Kaiser der Akademie, nickte ihm zu. „Ihr habt ihn gehört“, wandte er sich dann an die anderen. „Kurosu-san wird gleich hier erscheinen, wir sollten also schon unser Gepäck ausladen.“ Dem stimmten die anderen zu, also hievte jeder seinen Koffer heraus – Haine war die einzige, die mit einer kleinen Reisetasche ausgekommen war – und zogen diese in Richtung der kleinen Eingangstür, die sie inzwischen erblickt hatten. „Ziemlich unspektakulär für den Eingang zu so einer großen Schule“, kommentierte Haines beste Freundin Ushio diese. Shizumasa, der anscheinend deutlich besser informiert war als die anderen, erklärte: „Dies hier ist nur der Eingang zum Internatsgebäude. Man kann dieses auch umfahren und gelangt dann über eine Brücke zum Schulgebäude. Ich hielt es für logischer, heute Abend nicht dorthin zu fahren, da wir ja heute Abend ohnehin außer den Zimmern nichts mehr sehen wollen.“ Gähnend stimmte Haine ihm zu. Sie hatte zwar im Auto schon ein wenig gedöst, freute sich aber trotzdem auf ein heißes Bad und ein kuscheliges Bett. Sie wollte dies gerade kundtun, als sich die Tür vor ihnen öffnete und zwei Personen heraustraten, die aufgrund der Tatsache, dass sie nur von hinten durch das Flurlicht beleuchtet wurden, nur als Silhouetten erkennbar waren. „Herzlich willkommen!“, begrüßte die eine, höher gewachsene Gestalt die Ankömmlinge. Da es wie eine Männerstimme klang, nahmen sie an, dass es sich hierbei um den Direktor, Kurosu, handeln musste. „Kommt doch herein, ihr müsst doch nicht draußen in der Dunkelheit stehen.“ Er und die andere Person traten zur Seite, sodass die fünf Schülerratsmitglieder eintreten konnten. Der Chauffeur verabschiedete sich mit einer Verbeugung und stieg wieder in die Limousine. Haine winkte ihm hinterher, als er die Scheinwerfer aufleuchten ließ und davonfuhr. Nachdem Kurosu die Tür geschlossen hatte, wandte er sich strahlend an seine Gäste. Diese musterten erst ihn, einen jugendlich wirkenden Mann mit blonden Haaren, dann das etwa fünfzehnjährige Mädchen neben ihm, interessiert, wobei letzterer besonderes Interesse galt. „Guten Abend“, begrüßte sie die anderen höflich und verbeugte sich. Die anderen taten es ihr gleich und ließen ihren Blick weiter über sie schweifen. Sie hatte dunkelbraunes, etwa schulterlanges Haar, dass ihr über die schwarze Jacke dessen fiel, was wohl die Uniform dieser Schule war. Nachdem die Schüler der Kaiserlichen Privatakademie sich und der Direktor seine Tochter Yûki – das Mädchen an seiner Seite – vorgestellt hatten, machte die Gruppe sich sogleich auf den Weg in den ersten Stock des Gebäudes, in dem man Zimmer für sie hergerichtet hatte. Anscheinend hatte Shizumasa die Aufteilung schon festgelegt und an den Direktor der anderen Schule geschickt, denn an drei der Zimmertüren hingen bunte, mit ihren Namen versehene Schilder. „Wir sind in einem Zimmer, Ushio!!“, freute Haine sich und fiel ihrer Freundin um den Hals. Diese schüttelte nur den Kopf über diese Reaktion, da sie beide immerhin die einzigen Mädchen der Gruppe waren und es daher gar keine andere Möglichkeit gab, als dass sie beide auf das gleiche Zimmer kamen. „Gute Nacht, Shizumasa-sama“, wünschte Haine ihrem Senpai und Schwarm. Dieser erwiderte den Gruß nur murmelnd und betrat dann mit seinem Koffer in der Hand das Zimmer, das für ihn vorgesehen war. Während Haine später ein Bad für sich und Ushio einließ, listete sie in ihrem Kopf noch einmal auf, was für die nächsten drei Tage alles bevorstand: Ihre Schule und die Cross Academy wollten – nach einer Idee Kurosus – ein gemeinsames Schulfest veranstalten. Dieses sollte von den Schülerräten der beiden Schulen geplant und soweit vorbereitet werden, dass die weiteren Informationen an alle anderen Schüler und Schülerinnen weitergeleitet werden konnten. Sie mussten also ein Motto festlegen, Ausgaben berechnen, Veranstaltungen organisieren, Plätze verteilen... Eine ganze Menge für nur drei Tage. Aber andererseits, so dachte Haine, war ja Shizumasa dabei, und mit ihm konnte gar nichts schief gehen. Am nächsten Morgen versammelten sich die beiden Schülerräte schon früh in einem leeren Klassenraum. Alle stellten sich kurz vor, dann stellte Shizumasa, der sich selbst zum Leiter des Projekts ernannt hatte, sich an die Tafel, um dort die wichtigsten Ideen zu notieren. Haine saß am Rand der Delegation der Kaiserlichen Privatakademie, daher saß auf ihrer anderen Seite ein Schüler der Cross Academy. Sein Name war Zero Kiryû und er war Haine schon beim Frühstück aufgefallen, da seine silberweißen Haare aus der Masse der dunkelhaarigen Schüler und Schülerinnen stark hervorstachen. Da er nun neben ihr saß und sie von Natur aus neugierig war, fragte sie sofort: „Sind die Haare gefärbt? Sie sehen so echt aus!“ Er warf ihr nur einen bösen Blick aus seinen wässrig violetten Augen zu, der sie sofort überrascht verstummen ließ. Dieser Typ jagte ihr fast schon ein wenig Angst ein, doch da sie ihm das natürlich nicht zeigen wollte, wandte sie sich einfach nur beleidigt ab. Doch ihr Schweigen ihrem Sitznachbarn gegenüber hielt nicht lange an. Sie alle machten fleißig Vorschläge für das Schulfest, sammelten Ideen und legten ihre persönlichen Ideen dar, um zu einem möglichst guten Ergebnis zu kommen. Sie alle hatte augenscheinlich der Ehrgeiz gepackt, das beste Schulfest der Geschichte zu organisieren – nur einen nicht: Während all der Gespräche saß Zero nur mit verschränkten Armen dort. Allein daran, dass seine Augen sich stets in die Richtung desjenigen bewegten, der gerade sprach, war zu erkennen, dass er seine Umgebung überhaupt wahrnahm. „Sag mal, was soll das eigentlich?!“, schrie Haine ihn irgendwann an, denn es nervte sie ziemlich, dass er nicht mitarbeitete, da sie bei so einer kleinen Gruppe jeden brauchten, um alles organisieren zu können. Er sah sie halb fragend, halb drohend an. Auch die Blicke aller anderen Anwesenden hatten sich auf Haine gerichtet, was sie jedoch in ihrer Rage gar nicht bemerkte. „Warum bist du überhaupt hier? Wir wollen doch alle ein schönes Schulfest vorbereiten, also sollten wir auch alle unsere Ideen einbringen, damit alle Spaß haben können!“ Zero zuckte unbeeindruckt die Schultern. „Mir ist egal, was wir machen“, murmelte er – das erste Mal, dass Haine überhaupt seine Stimme hörte. „Was machst du dann hier? Als Mitglied des Schülerrates hast du auch eine gewisse Verantwortung, der du gerecht werden solltest.“ „Ich bin nur Guardian, kein Schülerrat. War nicht meine Idee, hier mitzumachen.“ „Was zur Hölle ist ein Guardian?“ Nun meldete sich Yûki, die Tochter des Schulleiters, die auf der anderen Seite von Zero saß, zu Wort: „Wir haben an unserer Schule zwei Guardians, Zero und mich, die dafür sorgen müssen, dass die Schüler unserer Schule nicht mit denen der Nachbarschule in Kontakt kommen.“ Haine blickte sie verdutzt an. „Wieso das denn?“ Yûki schien einen Moment lang zu überlegen, dann sagte sie: „Befehl meines Vaters. Die anderen Schüler sollen nicht... belästigt werden.“ Haine verstand zwar noch immer nicht so recht, was das bedeuten sollte, fragte aber nicht weiter nach. Sie ärgerte sich nur noch mehr über Zero, da Yûki sich ja, auch wenn sie anscheinend auch nur ein Guardian war, im Gegensatz zu ihm die ganze Zeit an der Diskussion beteiligt hatte. Eigentlich wollte sie ihn auch noch darauf ansprechen, doch in dem Moment bat Shizumasa um Ruhe, da es einen straffen Zeitplan einzuhalten galt, und Haine wagte es nicht, sich seinem Befehl zu widersetzen. Da Zero jedoch bis zur Mittagspause nichts an seiner Haltung änderte, hielt sie ihn, während die anderen sich auf den Weg zur Mensa machten, am Arm fest und sagte: „Wenn dich das alles hier so wenig interessiert, dann könntest du ja auch einfach ganz normal zum Unterricht gehen, wie deine Mitschüler auch. Ich werde gleich zu Kurosu-san gehen und ihm die Situation erklären.“ Wieder zuckte Zero nur mit den Schultern, was die Wut, die in Haines Innerem brodelte, nur noch verstärkte, und murmelte: „Tu was du nicht lassen kannst. Aber es war seine Idee, mich hier hinzuschicken.“ „Das werden wir ja sehen!“, rief sie ihm hinterher, als er mit den Händen in den Hosentaschen davonschlenderte. Wenig später musste sie allerdings einsehen, dass er recht gehabt hatte. Der Schulleiter bestätigte ihr, dass er Zero gerne im Komitee haben wollte, auch wenn er dort vielleicht nicht die größten Beiträge leistete – bei dieser Formulierung musste Haine zornig schnauben – da er als Guardian einen wichtigen Teil der Schule repräsentierte. Als Haine dieses Argument damit konterte, dass er die Schule nicht repräsentieren konnte, wenn er nichts sagte, fügte Kurosu mit einem Zwinkern hinzu: „Ich wollte ihm einfach nicht die Gelegenheit nehmen, in Yûkis Nähe zu sein – wenn du verstehst, was ich meine.“ Daraufhin verließ Haine sein Büro, denn sie wusste nur zu genau, wovon er sprach, da sie auch im Grunde nur im Schülerrat war, um bei Shizumasa sein zu können. „Aber ich verhalte mich im Gegensatz zu ihm wenigstens meiner Stellung entsprechend...“, flüsterte sie beleidigt. Den Rest des Tages verbrachte Haine damit, sich darauf zu konzentrieren, Zero zu ignorieren. Sie hatte mit Ushio die Plätze im Konferenzraum getauscht, um nicht die ganze Zeit aus dem Augenwinkel sein gelangweiltes Gesicht zu sehen und engagierte sich noch mehr darin, all ihre Ideen, Einwände und Argumente vorzubringen, damit das Schulfest trotz dieses Idioten ein Erfolg wurde. So kam es auch, dass sie am Abend, als sie nach dem gemeinsamen Abendessen und einer kurzen Bilanzziehung durch Shizumasa, völlig ausgelaugt ins Bett fiel. „Du solltest dich wenigstens umziehen“, riet Ushio, die gerade aus dem gemeinsamen Badezimmer kam, ihr. Sie hatte sich gleich nach dem Essen hierhin zurückgezogen und war daher schon im Bad gewesen, als Haine das Zimmer betreten hatte. „Muss das sein?“, grummelte Haine, raffte sich aber trotz des Protests ihres Körpers auf und schlurfte zum Bad. Im Grunde hatte sie sich heute körperlich kaum angestrengt, aber all die Diskussionen und Debatten reichten schon, um ihren Kopf fast platzen zu lassen. Sie war froh, dass die Vorbereitungen nur drei Tage dauerten – und bei diesem Tempo waren sie wahrscheinlich sogar eher fertig! – denn länger hätte sie das bestimmt nicht ausgehalten. Als sie das Badezimmer nach zehn Minuten wieder verließ, war Ushio schon eingeschlafen. Das ließ ein Lächeln auf Haines müdem Gesicht erscheinen. Ihre Freundin hatte zwar die ganze Zeit unbeeindruckt getan, aber Haine war sich sicher, dass sie mindestens genauso fertig war wie sie. Sie wollte gerade auch endlich ins Bett gehen, als sie sah, dass das Fenster noch einen Spaltbreit offen war. Es war zwar warm und Einbrecher waren auf dieser Höhe unwahrscheinlich, aber anscheinend hatte es gerade angefangen zu regnen, daher ging sie, um es zu schließen. Von dort aus konnte man die Brücke überblicken, die über das Meer zum etwa dreihundert Meter entfernten Schulgebäude führte. An ihrem Geländer sah sie einen hellen Punkt, den sie erst, als er sich bewegte, als einen Menschen erkennen konnte. Als sie genauer hinsah, erkannte sie silbernes Haar über der schwarzen Schuluniform der Cross Academy – Zero! Was zur Hölle tat er da draußen? Es war immerhin schon zehn Uhr – das Abendessen war dadurch, dass sie noch viel zu klären gehabt hatten, um einiges nach hinten geschoben worden – und soweit Haine das verstanden hatte, sollten um diese Zeit alle Schüler in ihren Betten sein. Wütend darüber, dass er sich schon wieder den Regeln widersetzte – und sich noch dazu eine Erkältung einfangen konnte – riss sie das Fenster auf, um ihn anzubrüllen. In dem Moment hob er seine Hand und blickte den im schwachen Mondschein blitzenden Gegenstand, der darin lag, an. Eine Pistole?, schoss es Haine durch den Kopf. Es hatte eindeutig die Form einer solchen, auch wenn sie auf die Entfernung natürlich keine Details erkennen konnte. Ohne länger nachzudenken, schob sie das Fenster noch ein Stück weiter auf, stieg auf die Fensterbank und ließ sich dann leichtfüßig auf den etwa einen halben Meter tiefer gelegenen Vorsprung fallen, von dem sie fast abrutschte, und sprang dann auf den gepflasterten Weg herab. Sie mochte Zero zwar nicht, aber sie würde ihn sich trotzdem nicht einfach umbringen lassen! Dafür war es ihr auch egal, wenn ihre nackten Füße ein wenig zerkratzt wurden oder er sie ihm kurzen Schlafhemd zu Gesicht bekam. „Hey! Was tust du da?“, rief sie ihm zu und beeilte sich, zu ihm zu kommen. Überrascht zuckte er zusammen und hob den Blick von seiner Pistole, die aus der Nähe noch bedrohlicher aussah als zuvor. Als Zero sie finster anblickte, das Haar vom Regen, der sich schon nach wenigen Sekunden zu einem Platzregen entwickelt hatte, an der Stirn klebend, fragte Haine sich, ob sie sich nicht viel eher um ihre eigenen Sicherheit sorgen sollte. Trotzdem lief sie weiter auf ihn zu und blieb erst einen Meter vor ihm stehen, ohne in ihrem Gesicht ein Anzeichen von Furcht zu zeigen. „Dasselbe könnte ich dich fragen“, murmelte Zero genervt und blickte mit leicht gehobenen Augenbrauen an ihr herab. Wütend stemmte sie die Hände in die Hüften. „Glaubst du, ich lass dich hier einfach mit ’ner Knarre in der Hand rumstehen? Tu die gefälligst weg!“ Zero wandte den Blick wieder dem Geschütz zu, über dessen Schaft in geschnörkelter Schrift „Bloody Rose“ geschrieben worden war, und drehte es in der Hand hin und her, während der Regen auf sie beide niederprasselte und alle anderen Geräusche verschluckte, sodass Haine auf einmal ein Gefühl völliger Verlassenheit ereilte. „Was glaubst du, was ich damit vorhabe?“, fragte er. Sie schnappte nach Luft, sagte aber nichts. Wenn sie ihn jetzt anschrie, würde er am Ende wirklich noch von der Waffe Gebrauch machen – gegen wen auch immer. Sie musste sich beruhigen. Nachdem sie einmal tief durchgeatmet hatte, gelang es ihr sogar, ihm ein halbwegs freundliches Lächeln zuzuwerfen. „Bitte, gib mir die Waffe. Du solltest nicht so leichtfertig mit deinem Leben umgehen.“ Vorsichtig streckte sie ihm die Hand entgegen. „Ich wollte mich nicht umbringen, keine Sorge“, murmelte Zero und verstaute die Pistole unter seiner Jacke. Davon war Haine nicht so überzeugt. Sie hatte viel eher das Gefühl, dass er sie abwimmeln wollte, um dann seinen Plan in die Tat umzusetzen. Er war so schweigsam, dass wohl kaum einer wusste, was wirklich in ihm vorging. Zwar schien ihm alles gleichgültig zu sein, aber vielleicht versteckte sich in seinem Inneren irgendein Schmerz, von dem keiner wusste? Haine stellte sich neben ihm an die Brüstung und starrte auf das Meer hinaus, in das der Regen tausende von ineinander verschlungenen Kreisen zeichnete und hin und wieder den Glanz des Mondes reflektierte, dessen Licht Mühe hatte, die dichten Regenwolken zu durchdringen. „Weißt du...“, murmelte sie, „früher ging es mir auch nicht gut. Mein Vater hat mich, als ich zehn war, an einen anderen Mann verkauft, weil ich ihm wohl nicht gut genug war, um später den Konzern zu übernehmen. Dieser andere Mann war zwar sehr nett und wurde mit der Zeit wie ein richtiger Vater für mich, aber er war eben nicht mein leiblicher Vater. Vielleicht kannst du dir vorstellen, wie ich mich damals gefühlt habe?“ Haine blickte Zero an, doch er verzog keine Miene, daher erzählte sie weiter: „Na ja, mit der Zeit habe ich mich daran gewöhnt und vier Jahre lang ging es mir auch wirklich gut, aber dann hat mein Ziehvater eine Frau geheiratet, die schon einen Sohn hatte. Die beiden sind sehr nett, aber ich war damals ziemlich eifersüchtig, weil es dann eben mein neuer Bruder war, der die Firma meines Ziehvaters übernehmen würde, auch wenn ich schon viel länger bei ihm lebte. Über all das war ich so wütend, dass ich nachts durch die Straßen ging und wahllos Leute verprügelte. Ich wusste eben nicht, wohin mit all den Aggressionen... Wenn ich Shizumasa-sama nicht getroffen hätte, würde es mir wohl immer noch so gehen.“ Der Gedanke daran zauberte ein breites Lächeln auf ihre Lippen. „Ja, Shizumasa-sama hat mich damals gerettet. Er hat mir beigebracht, dass ich nicht so einfach aufgeben darf.“ Erst jetzt bemerkte sie, dass Zero sie die ganze Zeit aufmerksam betrachtet hatte. Sie lachte verlegen. „Na ja, ich wollte damit nur sagen, dass du auch nicht einfach aufgeben solltest. Das Leben kann so schön sein! Du hast doch Freunde, oder? Zum Beispiel diese Yûki, und der Schulleiter scheint sich auch gut um dich zu kümmern. Du hast doch überhaupt keinen Grund, dir das Leben zu nehmen, oder kannst du mir einen nennen?“ Verblüfft sah Zero sie an, noch immer schweigend. Der Regen ergoss sich noch immer über ihn, seine Schuluniform war inzwischen fast komplett durchnässt. Auf seinen Lippen zeigte sich auf einmal etwas, was fast an ein Lächeln erinnerte. „Siehst du?“ Haine grinste. „Ich wollte mich nicht umbringen“, sagte er schließlich. „Ich bin ein Guardian, es ist meine Aufgabe, hier Wache zu halten.“ Er sah ihr in die Augen und öffnete noch einmal den Mund, schloss ihn aber wieder, ohne etwas zu sagen – oder hatte er etwas gesagt, das unter dem lauten Prasseln des Regens untergegangen war? Dann drehte er sich um und ging ohne ein weiteres Wort davon. Haine seufzte erleichtert auf. Sie glaubte ihm nicht, dass er sich nicht hatte umbringen wollen, aber sie war sich sicher, dass sie ihn überzeugt hatte, dass es falsch wäre. Daher drehte sie sich nun auch um und ging zurück. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie sich noch gar keine Gedanken darüber gemacht hatte, wie sie eigentlich in ihr Zimmer zurückkam. Sie hoffte inständig, dass die Eingangstür um diese Zeit noch offen war... Am nächsten Morgen war Haine zwar müde und ziemlich erschöpft, da sie in der Nacht noch die Hausfassade hatte hochklettern und sich etwas neues zum Anziehen hatte suchen müssen, aber sie war so gut gelaunt wie eh und je. „Guten Morgen, Zero-kun!“, rief sie dem Silberschopf mit einem breiten Grinsen zu, als er beim Frühstück an ihrem Tisch vorbeikam. Er nickte ihr zu, da anscheinend selbst er nicht so unhöflich war, einen Gruß einfach so zu ignorieren. „Warst du nicht gestern noch so wütend auf ihn?“, fragte Maora, der Haine gegenüber saß, überrascht. Haine kratzte sich verlegen am Hinterkopf. Sie hatte beschlossen, niemandem von dem Vorfall der vorigen Nacht zu erzählen, da es sicherlich nicht in Zeros Interesse war, dass die ganze Schule von seinen Selbstmordgedanken erfuhr. Besonders dann nicht, wenn er sie nun sowieso schon abgelegt hatte. Daher erwiderte Haine ausweichend: „Na ja, ich denke, er ist einfach so. Außerdem hat der Schulleiter anscheinend gegen seinen Willen bestimmt, dass er im Schulfestausschuss sitzen soll.“ Maora sah sie zweifelnd an. „Aber findest du nicht auch, dass er sich trotzdem ein wenig einbringen sollte? Es geht ja schließlich darum, dass alle Spaß haben sollen.“ „Er ist doch wirklich alt genug, um selbst zu entscheiden, was er tut, oder?“ Überrascht blickte Maora Haine an, die ihn nun fast schon böse anblickte. Ihm war anzusehen, dass ihr Verhalten ihn verwirrte. Auch andere Mitglieder des Schülerrats warfen Haine verwunderte Blicke zu, was sie allerdings nicht im Geringsten störte. Während der Besprechungen zum Schulfest lief alles gut, doch in der Mittagspause machte Maora Haine darauf aufmerksam, dass eine Gruppe von Schülerinnen der Cross Academy sich an einem Tisch in der Ecke der Mensa versammelt hatten, aufgeregt miteinander tuschelten und dabei immer wieder Blicke in Richtung des Tisches ihrer Gäste warfen. „Was ist mit ihnen?“, fragte Haine überrascht. Maora seufzte. „Was glaubst du, über wen sie reden?“ Verwundert sah sie erst die Mädchen, dann den Kaiser des Schülerrates an. „Über Shizumasa-sama natürlich! Wer sonst zieht die Blicke der Mädchen so sehr auf sich.“ Maora schüttelte den Kopf und auch Ushio stieß einen tiefen Seufzer aus. „Sie reden über dich“, erklärte die beste Freundin Haine schließlich. „Soweit ich das mitbekommen habe, glauben sie, dass du mit Zero zusammen bist.“ „Wie kommen die denn auf sowas?“, fragte Haine, während sie sich eine frittierte Garnele in den Mund schob. „Ich kann Zero nicht ab, außerdem kenn ich ihn erst seit gestern. Und ich liebe niemanden außer Shizumasa.“ Damit war die Sache für sie erledigt, doch die anderen schien dies noch weiter zu beschäftigen, denn nun brachte sich auch Maguri, der Haine gegenübersaß, in die Diskussion mit ein: „Ich denk mal, sie haben gehört, dass du ihn heute Morgen so vehement verteidigt hast und haben sich gedacht, dass zwischen euch irgendwas passiert sein muss.“ Haine verschluckte sich an ihrer Garnele und begann zu husten. Daran, dass die anderen möglicherweise solche Schlüsse ziehen würden, nur weil sie sich ein wenig anders verhielt als am Vortag, hatte sie gar nicht gedacht. Aber was ging es irgendwelche fremden Schülerinnen überhaupt an, wie sie sich Zero gegenüber verhielt? Und woher wussten die überhaupt, dass sie sich gestern noch über ihn beschwert hatte? Keine von denen, die dort hinten am Tisch saßen, waren im Schülerrat. Oder hatte es etwa jemand weitergesagt? Kurzerhand stand Haine auf und sagte: „Ich sage ihnen einfach, dass ich nichts von Zero will.“ Und bevor sie irgendjemand davon abhalten konnte, war sie auch schon auf den Mädchentisch zumarschiert und hatte mit lauter Stimme gefragt: „Wie kommt ihr darauf, dass ich mit Zero zusammen wäre? Wir kennen uns erst seit gestern, ich mag ihn überhaupt nicht, und außerdem bin ich in einen anderen verliebt.“ Mit großen Augen ob ihrer Direktheit sahen die Mädchen sie an. Als sie die Überraschung überwunden hatten, sagte eine von ihnen grinsend: „Man hat euch gestern Abend gesehen, also verleugne nicht, dass da was gelaufen ist. Wer sich nachts in aller Heimlichkeit trifft, muss doch was zu verbergen haben! Oder schmuggelt ihr etwa Drogen?“ Sie kicherte. „Nein!“, widersprach Haine. „Ich habe ihn da draußen gesehen und mich gefragt, was er da macht, also bin ich hingegangen und hab ihn gefragt. Er hat mir gesagt, dass er Guardian ist und hat mir das erklärt. Und das war’s auch schon.“ Ihr Herz klopfte, als sie diese Lüge erzählte, doch sie hatte das Gefühl, einigermaßen überzeugend gewesen zu sein. Doch der skeptische Ausdruck in den Gesichtern der Schülerinnen bewies ihr das Gegenteil. „Warum bist du aus dem Fenster gesprungen? Bist du bescheuert?“ Die anderen lachten. Wütend sah Haine sie an. „Ich wusste nicht, ob die Tür unten noch offen war.“ Sie war selbst erstaunt darüber, dass ihr so schnell eine Ausrede eingefallen war. „Ja, ja, schon klar“, murmelte eins der Mädchen. „Ich sage die Wahrheit, aber wenn ihr das nicht glauben wollt, ist das euer Problem“, sagte Haine schließlich, da sie verhindern wollte, dass diese Mädchen in fünf Minuten halbtot auf dem Boden lagen. Sie drehte sich weg und kehrte zu ihren Mitschülern zurück, die sie überrascht ansahen. Anscheinend hatten sie alles mitbekommen, denn sie stellten keine Fragen. Nur Shizumasa warf Haine hin und wieder Blicke zu, die so aussahen, als wäre er böse auf sie. Sie fragte sich, ob er eifersüchtig war, und nahm sich vor, ihm nach der Mittagspause noch einmal zu erklären, dass sie niemanden außer ihm liebte. Allerdings wurde sie dann, als sie gerade zu ihm aufschließen wollte, unsanft von Maora am Ärmel gepackt. Verwirrt blickte sie ihn an. Er wartete, bis die anderen Mitglieder des Schülerrats der Kaiserlichen Privatakademie den Speisesaal verlassen hatten, dann riet er ihr eindringlich: „Du solltest dich von diesem Zero fernhalten.“ „Warum?“, fragte sie. „So schlimm ist er nun auch nicht.“ Maora verdrehte die Augen. „Diese Mädchen machen auf mich den Eindruck, als wären sie Zeros Fanclub. Und verliebte Mädchen sind zu allem fähig, glaub mir.“ Diese Drohung ließ Haine nur unbeeindruckt mit den Schultern zucken. „Na und? Ich hab auch einiges auf dem Kasten. Außerdem hab ich ihnen doch gesagt, dass da nichts ist. Sie können ja auch Zero fragen, wenn sie wollen.“ Maora packte sie an den Schultern. „Tu mir den Gefallen und lass ihn in Ruhe! Shizumasa findet das sicher auch besser. Außerdem hast du doch vorhin selbst gesagt, dass du ihn nicht magst.“ Wütend stieß Haine Luft aus ihrer Nase aus. „Ich änder doch nicht mein Verhalten, nur weil andere wollen, dass ich das tue. Ich kann reden mit wem ich will.“ „Haine, bitte!“ Doch sie ließ sich nicht überzeugen, egal wie oft er ihr erklärte, wie dumm sie sich eigentlich verhielt. Im Grunde genommen steigerte das ihre Sturheit sogar noch und am Ende weigerte sie sich, Maora überhaupt zuzuhören, befreite sich von seinem Griff und ging schnellen Schrittes davon. Allerdings hatte Haine während der nächsten Zusammenkunft der beiden Schülerräte das Gefühl, als hätte Maora auch mit Zero geredet. Zumindest sagte dieser die ganze Zeit kein Wort, auch wenn sie die ganze Zeit krampfhaft versuchte, ein Gespräch mit ihm anzufangen. Das konnte Shizumasa als Sitzungsleiter natürlich nicht gutheißen, daher wurde Haine an das andere Ende des Raumes verbannt und bekam den Auftrag, still zu sein und alle Übereinkünfte und Beschlüsse zu notieren. Dies trug natürlich nicht im Geringsten dazu bei, dass sie sich ein wenig beruhigte – ganz im Gegenteil: die Tatsache, dass Zero ihr nur wegen ein paar Gerüchte auswich und sie jetzt auch noch von Shizumasa getadelt wurde, machte sie nur noch zorniger. Das war dann auch der Grund dafür, dass sie ihn gleich in der nächsten Pause zur Rede stellte. Während die anderen an die frische Luft gingen, da die Wolken sich gerade gelichtet hatten, zog sie ihn beiseite und brachte ihn in einen Gang, der um diese Zeit – also während des regulären Unterrichts – menschenleer war. „Was soll das?“, fragte sie ihn sogleich. Zero verdrehte kaum erkennbar die Augen und wandte seinen Blick von ihr ab. „Hey!“ Sie packte ihn am Kragen, um seine Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken. Wenn man mit jemandem sprach, hatte man ihm in die Augen zu sehen. Wenigstens zu so viel Höflichkeit sollte er doch eigentlich imstande sein... „Was willst du von mir?“, fragte er und starrte finster auf sie herab, wobei der harte Griff ihrer Finger an seinem Hemd ihn gar nicht zu stören schien. „Warum gehst du mir aus dem Weg? Du weißt doch, dass diese Gerüchte nicht stimmen, also lass dich doch von sowas nicht verunsichern.“ „Die Gerüchte sind mir egal“, sagte er. Überrascht ließ sie ihn los. „Warum ignorierst du mich dann?“ Er zuckte mit den Schultern. „Du nervst mich einfach. Warum lässt du mich nicht einfach in Ruhe?“ Empört schnappte sie nach Luft, lockerte aber den Griff um seinen Kragen, sodass er sich befreien konnte. „Ich nerve dich?“, fragte sie verdattert. „Ja“, sagte er nachdrücklich. Als sie ihn daraufhin nur mit offenem Mund anstarrte, wandte er sich ab und ging davon. Er hat sich nicht einmal dafür bedankt, dass ich ihm gestern das Leben gerettet habe..., beschwerte sie sich in Gedanken. Doch ihre Wut verflog schnell, als sie in den nächsten Stunden – während die anderen weiter die Details des Schulfestes besprachen – noch einmal gründlich über alles nachdachte. Wie sie schon ziemlich schnell festgestellt hatte, war Zero ein unnahbarer Typ, der niemanden an sich heranließ. Selbst mit dem Mädchen, Yûki, für das er anscheinend etwas mehr als Freundschaft empfand, schien er genauso kühl umzugehen wie mit allen anderen. Aber hinter dieser Fassade des gefühllosen Klotzes steckte, da war sich Haine sicher, ein weicher und vor allem verletzlicher Junge, sonst hätte er wohl nicht versucht, Selbstmord zu begehen. Auch die Tatsache, dass ihm die Gerüchte über eine Beziehung zu Haine ihm so viel ausmachten, zeigte doch nur, wie wichtig es ihm eigentlich war, von allen akzeptiert zu werden, auch wenn es ihm nicht gelingen mochte, freundlich mit seinen Mitschülern umzugehen. Zwar war Haine immer noch ein wenig wütend darüber, dass er sie einfach so hatte abblitzen lassen, nur weil er zu feige war, ihr seine wahren Gefühle zu offenbaren, doch wollte sie gleichzeitig auf jeden Fall dafür sorgen, dass er auf dem kommenden Schulfest den größtmöglichen Spaß hatte, sodass sie sich am letzten Tag der Konferenz so richtig ins Zeug legte, um das Beste daraus zu machen. Dass er an diesem Tag nicht einmal mehr zu den Treffen kam, wunderte sie nicht besonders. Während der Wochen, die auf den dreitägigen Ausflug des Schülerrates folgten, ertappte Haine sich öfter dabei, wie sie an Zero dachte und sich fragte, ob es ihm wohl gut ging. Ohne dass sie es wollte, machte sie sich Sorgen, dass die Selbstmordgedanken zurückkommen würden, auch wenn sie sie fürs Erste vertrieben hatte. Zu gerne hätte sie Shizumasa gefragt, ob er irgendwelche Nachrichten von der Cross Academy bekommen hatte, doch sie traute sich nicht. Maora hatte schon irgendwie recht gehabt: Wenn sie ein zu großes Interesse an Zero zeigte, würde Shizumasa ihr bald den Posten als seine Leibwächterin entziehen und sie würde wieder so weit von ihm entfernt sein wie eh und je. Also versuchte sie, so zu strahlen wie immer, schaffte es dabei aber dieses eine Mal nicht, der Sonne Konkurrenz zu machen, die jetzt immer öfter hinter den Regenwolken hervorblitzte. Schließlich war es dann endlich soweit: zum zweiten Mal fuhr die Limousine des Schülerrats der Kaiserlichen Privatakademie auf den Hof vor dem Wohngebäude der Cross Academy. Haine, die schon während der ganzen Fahrt ziemlich aufgeregt gewesen war, sprang sofort auf und war in Windeseile ausgestiegen. Eiligen Schrittes gelangte sie zum Hof vor dem Schulgebäude, der schon mit lauter bunten Ständen zugestellt war, die die Schüler und Schülerinnen der Cross Academy in den letzten Wochen hier aufgebaut hatten. Zusammen mit den Mitgliedern der Kaiserlichen Privatakademie, die wenige Stunden zuvor mit einem großen Bus angereist waren, trafen sie die letzten Vorkehrungen für das Fest, das schon bald eröffnet werden sollte. Erst wollte Haine sich auf die erstbeste Cross Academy-Schülerin stürzen, die ihr über den Weg lief, um sie nach Zeros Aufenthaltsort zu befragen, doch auf einmal bemerkte sie, wie bescheuert das eigentlich war. Ihm würde schon nichts passiert sein. Bestimmt lag er oben in seinem Zimmer und blies Trübsal, nur darauf wartend, dass das Fest endlich vorbei war. Einen Moment lang zweifelte sie sogar daran, dass sie das Richtige tat, wenn sie ihn dazu zwang, mal ein bisschen Spaß zu haben, aber die Zweifel verflogen schnell wieder und sie setzte sich in Bewegung in Richtung seines Zimmers, nachdem ein Mädchen ihr verraten hatte, wo sich dieses befand. Dort klopfte sie an und öffnete dann, nachdem sie einen Moment gewartet hatte, die Tür. Zero saß an seinem Schreibtisch vor dem Fenster und drehte den Kopf zu ihr um, als sie eintrat. Sein Gesichtsausdruck war mürrisch wie immer und veränderte sich auch nicht, als er sie sah, was Haine aber keineswegs beunruhigte; er war eben so. „Hallo, Zero“, begrüßte sie ihn grinsend und kam ein paar Schritte auf ihn zu. Er verdrehte die Augen und drehte sich wieder von ihr weg. „Verschwinde“, murmelte er. Haine stemmte die Hände in die Hüften und beschwerte sich: „Wie kannst du nur so gemein sein?“ „Ich habe dir doch gesagt, dass du mich nervst. Bist du denn so schwer von Begriff?“ Haine seufzte. „Du brauchst mir nichts vorzumachen, Zero. Ich weiß doch, wie einsam du eigentlich bist, sonst hättest du ja wohl nicht versucht, Selbstmord zu begehen. Bestimmt -“ „Das habe ich nicht!“, widersprach er in scharfem Ton und drehte sich nun auf seinem Schreibtischstuhl doch wieder zu ihr herum. Seine Augen blitzten zornig zu ihr hinauf. „Lass mich einfach in Ruhe, jemand wie du kann mich nicht verstehen.“ Die Art, wie er mit ihr sprach, stachelte ihren Widerstand erst recht an und sie packte ihn am Oberarm, um ihn auf die Beine zu ziehen. „Komm schon, sei doch nicht so störrisch! Heute ist immerhin unser Schulfest, willst du denn keinen Spaß haben? Ich sage ja gar nicht, dass ich dich komplett verstehe, aber ich bin mir sicher, dass du im Grunde jemanden brauchst, der an deiner Seite steht.“ Zero schwieg, was Haine als ein gutes Zeichen sah. Daher warf sie ihm einen aufmunternden Blick zu und machte mit dem Kopf eine Bewegung in Richtung Tür. „Komm mit, wir gehen etwas essen. Was hältst du von Takoyaki? Ich geb dir was aus!“ Zero seufzte, aber scheinbar war es Haine tatsächlich gelungen, seinen Widerstand zu brechen, denn er folgte ihr, wenn auch noch immer grimmig dreinblickend, die Arme lustlos in den Hosentaschen vergraben und den Gang schlurfend. Zufrieden grinsend ging Haine mit ihm im Schlepptau die Treppen herab und sie betraten gemeinsam das Schulfestgelände. Sie war total begeistert davon, was die beiden Schulen gemeinsam auf die Beine gestellt hatten und zerrte ihn von einem wunderschön dekorierten Stand zum nächsten, vorbei an gefühlten tausend Schülern, die ebenfalls all das sehen wollten, was ihre Mitschüler erarbeitet und aufgebaut hatten. „Sieh mal, dort kann man Goldfische fangen. Hast du Lust?“ Zero verdrehte die Augen, aber da er nicht direkt widersprach, packte sie ihn am Handgelenk und zog ihn in Richtung des Standes. „Sag mal, willst du nicht lieber mit diesem Shizumasa rumlaufen?“, murmelte Zero und ließ Haine unwillkürlich zusammenzucken, da es das erste war, das er seit einer ganzen Weile zu ihr sagte. „Warum sollte ich?“, fragte sie und hielt ein paar Schritte vor dem Goldfisch-Stand, mitten in der Menge, inne. „Du scheinst ihn ja so toll zu finden, diesen perfekten Herrn Schülersprecher.“ Seine Stimme klang dabei so verächtlich, dass Haines Augen wütend zu funkeln begannen. „Warum sagst du sowas?“ Zero zuckte mit den Schultern. „Na ja, ich versteh nicht, was an ihm so toll sein soll. Findest du nicht auch, dass er absolut arrogant ist? Ohne dass ihn irgendwer gefragt hat, tut er einfach so, als wäre er der Boss und fängt an, uns alle rumzukommandieren. Dabei ist er doch im Grunde auch nichts Besonderes. Er hält sich nur dafür, weil er der Sohn irgendeines ach-so-berühmten Unternehmers ist.“ Empört schnappte Haine nach Luft, doch bevor ein Wort des Protests ihre Lippen verlassen konnte, sprach Zero schon weiter: „Und glaubst du tatsächlich, jemand, der sich praktisch für einen Gott hält, würde sich ernsthaft mit jemandem wie dir abgeben? Egal was du tust, bei dem wirst du nie eine Chance haben.“ Dieser Redeschwall ließ Haine eine Weile verstummen, da es sie ziemlich überraschte, so etwas von einer sonst so schweigsamen und zurückhaltenden Person wie Zero zu hören. Doch sein letzter Satz brachte ihre Gedanken in Bewegung und auf einmal ging ihr ein Licht auf: Zero wollte eigentlich nur, dass sie Shizumasa aufgab, damit er endlich eine Chance bei ihr hatte. Er hatte sich in sie verliebt, weil sie ihm das Leben gerettet hatte und ihn verstand, und als er bemerkt hatte, wie wichtig ihr Shizumasa war, war er eifersüchtig geworden... Doch diese Erkenntnis machte sie nur noch zorniger. Er mochte zwar schüchtern sein und nicht gerne über seine Gefühle reden, aber das war noch lange kein Grund, Shizumasa schlecht zu machen! Wenn er wirklich in sie verliebt war, dann sollte er das gefälligst auch so sagen, und es nicht ihr selbst überlassen, das herauszufinden. „Weißt du was? Verkriech dich doch einfach in deinem Zimmer, wenn dir das Spaß macht! Ich werde jedenfalls nicht mehr versuchen, dich glücklich zu machen!“, schnauzte sie ihn an, drehte sich dann schwungvoll herum und wühlte sich durch die Menge in Richtung eines menschenleeren Ortes, an dem sie ein wenig allein sein konnte. Diesen fand sie auch, als sie nach einer Weile in dem Wald stand, den man durchqueren musste, um die Cross Academy zu erreichen. Hier war es, im Gegensatz zum Gewühl des Schulfestes, angenehm kühl, wozu auch der Schatten der Bäume seinen Teil beitrug. Völlig in Gedanken versunken schlenderte Haine weiter in den Wald hinein. Sie fragte sich, ob sie mit ihren Vermutungen über Zero recht gehabt hatte, oder was er sonst mit seinen Beleidigungen im Sinn gehabt haben könnte. Er hatte sie ja im Grunde auch beleidigt, als er gesagt hatte, dass jemand wie Shizumasa sich nicht mit jemandem wie ihr abgeben würde. Und warum sollte er so etwas sagen, wenn er in sie verliebt war? Sie konnte sich nicht wirklich vorstellen, dass er so schüchtern war, dass er nicht einmal zugeben wollte, dass er sie nicht – oder nicht mehr – hasste. Er war wirklich ein schwieriger Junge... Auf einmal konnte Haine sich nicht mehr vorstellen, ihn je wirklich verstanden zu haben. Vielleicht hatte er wirklich keinen Selbstmord begehen wollen, in jeder Nacht vor vier Wochen? Er hatte es ja immerhin die ganze Zeit vehement abgestritten... Aber andererseits klang es auch unwahrscheinlich, dass er für seinen Job als Sichrheitsmann der Akademie tatsächlich eine echte Waffe brauchte. So gefährlich konnte es hier doch gar nicht sein... Ironischerweise verhakte sich ihr Fuß genau in diesem Moment in einer aus der Erde hervorstehenden Wurzelschlaufe und riss sie aus ihren Gedanken und zu Boden. „Verdammt“, rief sie, denn sie war mit dem rechten Knie auf einem herumliegenden Ast gelandet und hatte es sich aufgeschlagen. Dicke, rote Tropfen quollen aus der Wunde hervor und liefen ihr Bein herab, bis sie den Saum ihrer weißen Strümpfe erreichten und mit ihrer Farbe tränkten. Solch eine kleine Verletzung machte Haine zwar nicht wirklich etwas aus, doch sie bemerkte nun, dass sie keine Ahnung hatte, wo sie eigentlich war und – was noch schlimmer war – in welche Richtung sie gehen musste, um zur Cross Academy zurückzukommen. Notdürftig wischte sie das Blut mit der Hand von ihrem Knie, doch anscheinend war die Wunde doch etwas tiefer als gedacht, denn sofort drängten weitere Tropfen des roten Lebenssaftes aus ihr hervor. Haine seufzte, kümmerte sich dann aber nicht weiter darum, sondern richtete sich auf und schaute sich, die mit Erde bedeckten Hände abklopfend, um. Sie wünschte sich, wenigstens einen Blick auf den Himmel erhaschen zu können, um vom Sonnenstand die ungefähre Richtung abzulesen, in die sie zu gehen hatte, doch die Baumkronen waren zu dicht und ließen nur vereinzelt Licht hindurch. Da sie keine andere Möglichkeit hatte, marschierte die Schülerin daher einfach in die Richtung, aus der sie gekommen war und versuchte dabei, ihren eigenen Spuren zu folgen, was ihre jedoch nicht so recht gelingen wollte. Ein paar mal kam ihr auf ihrem Rückweg wieder Zero in den Sinn, doch sie verscheuchte ihn sogleich wieder aus ihren Gedanken, da sie jetzt wirklich besseres zu tun hatte. Bestimmt war sie schon eine ganze Weile verschwunden gewesen, und im Wald übernachten wollte sie auch nicht so gerne. Außerdem machten die anderen sich sicher schon Sorgen um sie. Glücklicherweise vernahm Haine bald Geräusche, die sich für sie eindeutig nach einer Mischung aus Festmusik, Freudenschreien und Schülergesprächen anhörten. Erleichtert seufzte sie auf und setzte, nun wieder mit etwas beschwingteren Schritten, ihren Weg fort. Nach ein paar Minuten erreichte sie tatsächlich ein Haus, das dem Internatsgebäude der Cross Academy recht ähnlich sah, nur dass es etwas kleiner war und ein beigefarbenes statt eines schwarzen Daches hatte. Haine musste auch gar nicht lange nach jemandem suchen, der ihr den Rückweg zum Schulfest erklären konnte, denn in dem Moment, als sie aus den Schatten der Bäume auf den Hof hervortrat, öffnete sich die Eingangstür des Gebäudes und ein blonder Schüler kam ihr entgegen. Er trug eine Schuluniform, die genauso aussah wie die der Cross Academy-Schüler, nur dass sie weiß statt schwarz war. Haine erinnerte sich, dass Yûki von einer Nachbarschule gesprochen hatte, die irgendwie auch zur Cross Academy gehörte, aber aus irgendwelchen Gründen nicht am Schulfest teilnehmen durfte. Augenscheinlich gehörte dieser Junge genau zu diesem Internat. Und bei dem stechenden Blick seiner blauen Augen, der abwechselnd ihr Gesicht und ihr aufgeschlagenes Knie zu mustern schien, hatte Haine auch das Gefühl, zu wissen, warum er und seine Mitschüler nicht am Schulfest teilnehmen durften. Trotzdem begrüßte sie ihn höflich mit einer Verbeugung und ging ein paar Schritte auf ihn zu, bevor sie fragte: „Kannst du mir vielleicht den Weg zum Schulfest der Cross Academy zeigen? Ich habe mich verlaufen.“ Der Junge schenkte ihr ein unheimlich verführerisches Lächeln und fragte zurück: „Bist du dir sicher, dass du nicht noch ein bisschen hier bleiben willst?“ Haine verneinte dies und blickte ihn fragend an. „Ich bin bestimmt schon viel zu lange weg, ich sollte wirklich zurück.“ Dabei ging sie noch einen Schritt auf ihn zu, was, wie sie feststellen musste, ein Fehler war: der Junge riss Augen und Mund auf und wirkte einen Moment wie hypnotisiert, dann stürzte er sich mit einem breiten Grinsen auf sie. Sie war zwar nicht wehrlos, doch seine Attacke kam so plötzlich, dass sie sich schon in seinem Klammergriff befand, bevor sie überhaupt realisiert hatte, was geschehen war. „Du riechst fantastisch“, murmelte er und strich ihr mit seinen kühlen Fingern die Haare aus dem Nacken. Sie versuchte, sich zu befreien, doch sie konnte sich keinen Millimeter bewegen, seine Stärke kam ihr fast schon unmenschlich vor. „Hilfe!!“, schrie sie so laut sie konnte, doch sogleich legte sich die andere Hand des Jungen über ihren Mund. „Lass sie in Ruhe!!!“, rief da auf einmal eine aufgebrachte Stimme, die sie erst als die von Zero erkannte, als er mit einem gewaltigen Sprung in ihrem Sichtfeld landete. Er schlug den anderen mit der Faust direkt ins Gesicht, woraufhin dieser seinen Griff um Haine lockerte und sie sich losreißen konnte. Dafür war es für Zero aber scheinbar noch nicht getan, denn er packte den Jungen am Kragen und schlug mit einer ungeheuren Kraft auf ihn ein, die Haine ihm niemals zugetraut hätte. Sie wollte ihn bitten, von seinem Gegner abzulassen, doch sie ließ es sein, denn sein vor Zorn völlig verzerrtes Gesicht machte auch ihr Angst. Doch auf einmal war noch eine Figur anwesend: ein sehr erwachsen aussehender Jugendlicher mit schulterlangen braunen Haaren und einem freundlichen Gesicht, der in derselben weißen Uniform steckte wie der Blonde, um den Zero sich gerade kümmerte. „Kiryû, es reicht“, sagte er in leisem, melodischen Ton und packte Zeros Kragen in der einen, den seines Mitschülers in der anderen Hand. „Hanabusa, verschwinde auf dein Zimmer. Wir reden später.“ Auch wenn der Neuankömmling völlig ruhig blieb, schienen seine Worte einen starken Effekt zu haben, denn sowohl Zero, als auch der andere, Hanabusa, hielten sofort inne. Nachdem der Braunhaarige letzteren losgelassen hatte, trottete er nach einem letzten kurzen Blick auf Haine in das Gebäude zurück. Erst jetzt ließ der Schlichter auch von Zero ab, warf ihm jedoch einen finsteren Blick zu. Vor einer Weile war Haine zwar auch noch zornig auf Zero gewesen, doch nun konnte sie nicht anders, als ihn zu verteidigen: „Zero trägt keine Schuld, er hat mich vor diesem Typen gerettet. Er hat mich plötzlich angegriffen, ich weiß nicht, was er von mir wollte...“ Der Braunhaarige sah sie erstaunt an, lächelte dann aber. „In Ordnung, ich werde Kiryû-kun nicht bestrafen.“ Einen Moment schwiegen die drei, dann sagte der Junge in der weißen Uniform: „Du bist verletzt. Warte einen Moment, ich werde Verbandszeug holen.“ „Ach was, das ist doch nicht -“, wollte Haine ablehnen, da sie die Wunde wirklich nicht störte, doch der Schüler bestand darauf, wobei er Zero einen merkwürdigen Blick zuwarf, den Haine nicht deuten konnte. Er verschwand schnell im Haus und tauchte auch sogleich wieder auf, einen kleiner Verbandskoffer in der Hand. Nachdem er ihr Knie schnell und geschickt desinfiziert und mit einem Verband umwickelt hatte, bat er sie, das nächste Mal etwas vorsichtiger zu sein, und kehrte dann ins Haus zurück. „Wer war das?“, fragte Haine Zero. „Kaname Kuran“, murmelte er, wobei aus seinem eindeutig abfälligen Ton leicht zu erkennen war, wie wenig er von ihm hielt. „Wie kommt es, dass du mich so schnell gefunden hast? Warst du nicht in deinem Zimmer oder irgendwo auf dem Schulfest?“, fragte sie weiter. Zero zögerte einen Moment, bevor er antwortete: „Ich war in der Nähe, weil ich den anderen helfen sollte, dich zu suchen, und hab deinen Schrei gehört.“ Wütend stemmte Haine sich die Hände in die Hüften. „Schon wieder diese Ausreden!“, beschwerte sie sich. „Warum sagst du nicht einfach, dass du mich gesucht hast? Oder hast du mich etwa die ganze Zeit über verfolgt?“ „Glaub doch, was du willst“, murmelte er. „Du scheinst ja sowieso die ganze Zeit was Falsches über mich zu denken...“ „Wie wäre es, wenn du mir mal endlich die Wahrheit darüber sagst, was du von mir denkst?“, forderte sie ihn auf. Er zuckte mit den Schultern. „Ich denke, das habe ich schon deutlich genug gesagt. Ich habe dich nur gerettet, weil ich hier Guardian bin und der Schulleiter es von mir erwartet.“ Seine Gleichgültigkeit machte Haine so zornig, dass sie ihm eine donnernde Backpfeife verpasste. Er hob überrascht die Augenbrauen, sagte aber nichts, selbst wenn seine sonst so bleiche Wange nahezu glühte. „Du bist so ein Feigling! Du kannst nen Typen für mich verprügeln, aber mir einfach sagen, dass du mich liebst, das kannst du nicht!!!“, fuhr sie ihn wütend an. Das schien ihn für einen Moment tatsächlich aus dem Konzept zu werfen, sodass Haine sich in ihrer Vermutung bestätigt fühlte, doch schließlich sagte er: „Es gibt einen Grund, weswegen ich mich niemals werde verlieben dürfen. Also lass mich einfach alleine, du kannst nichts für mich tun.“ Als sie ihn daraufhin nur verdattert anstarrte, unsicher, ob er die Wahrheit sprach, öffnete er noch einmal den Mund, doch er schloss ihn sogleich wieder, ohne etwas gesagt zu haben. In seinen violetten Augen lag ein fast schmerzvoller Ausdruck, doch er drehte sich schnell weg, sodass Haine keine Gelegenheit hatte, sich noch einmal davon zu vergewissern. „Hast du wirklich nicht versucht, dich umzubringen?“, fragte sie kleinlaut. „Nein“, sagte er. „Ich bin ein Guardian, es ist meine Aufgabe, die Sicherheit der Schüler hier zu gewähren. Aber wenn ich meine Gefühle zulassen würde, könnte, dürfte....“ Er hielt mitten im Satz inne, als habe er gemerkt, dass er zu viel gesagt hatte. Einen Moment standen die beiden einfach schweigend dort, dann straffte Zero seine Schultern und ging mit großen Schritten davon. Erst wollte Haine ihm hinterherlaufen, doch als sie einen Moment darüber nachdachte – wie sie es vielleicht öfter hätte machen sollen – wurde ihr klar, dass es keinen Sinn hatte. Zero schien seine Entscheidung schon längst gefällt zu haben, und der Grund, weswegen er sich nicht verlieben dürfte, schien auch nicht gerade eine Kleinigkeit zu sein. Dennoch tat es ihr weh, ihn einfach so allein zu lassen. Mit einem trübsinnigen Gesicht, das man bei ihr höchst selten zu Gesicht bekam, schlurfte sie in die Richtung, in die Zero ebenfalls gegangen war, da sie dort entweder das Internat oder das Schulfest finden würde. Sie musste dringend mit Ushio über all das sprechen, was geschehen war. Das hätte sie eigentlich sowieso schon längst tun sollen... „Schlag ihn dir einfach aus dem Kopf. Er hat ja jetzt wohl oft genug gesagt, dass er deine Hilfe nicht will“, war der niederschmetternde, aber zumindest ehrliche Kommentar von Haines bester Freundin zu diesem Thema, nachdem Haine am Abend in ihrem Gästezimmer in der Cross Academy endlich dazu gekommen war, ihr alles zu erzählen. „Meinst du nicht, dass er glücklich wäre, wenn jemand die Mauer um ihn durchbricht und ihn wirklich stützen kann, wenn er Hilfe braucht?“ Ushio schüttelte den Kopf. „Er ist alt genug, um das selbst zu entscheiden. Und du hast ja vorhin selbst gesagt, dass er einen übergeordneten Grund dafür hat, seine Gefühle unter Verschluss zu halten.“ Haine stieß einen tiefen Seufzer aus. „Aber ich möchte ihm so gerne helfen...“ „Du hilfst ihm am meisten damit, wenn du ihn einfach in Ruhe lässt. Glaub mir. Und im Notfall hat er ja immer noch diese Yûki, die sich um ihn kümmern kann. Wir fahren morgen früh nach Hause, und dann wirst du ihn sowieso nie wiedersehen.“ „Wahrscheinlich“, murmelte Haine betrübt und schmiss sich mit dem Rücken auf ihr Bett. Vor ihrem inneren Auge sah sie wieder die Bilder ihres Angriffs, und wie Zero so rücksichtslos, ja, fast wahnsinnig auf diesen Hanabusa eingeschlagen hatte. Das Geheimnis, das er hütete, musste ziemlich düster sein, und wenn sie daran dachte, war sie fast froh darüber, die Cross Academy bald hinter sich lassen zu können. Dennoch ließ sie es sich nicht nehmen, am nächsten Morgen noch einmal zu Zeros Zimmer zu laufen, um sich von ihm zu verabschieden. Doch die Tür war verschlossen – als hätte er geahnt, dass sie noch einmal bei ihm auftauchen würde – und auf ihr Rufen reagierte er auch nicht. „Leb wohl, Zero!“, rief sie ihm zu, auch wenn sie nicht wusste, ob er sie überhaupt hörte. „Ich hoffe für dich, dass du irgendwann doch noch jemanden findest, dem du dein Herz ausschütten kannst und auf den du dich stützen kannst, denn ohne eine solche Person ist es wirklich schwer, durchs Leben zu kommen.“ Einen Moment zögerte sie, doch ihr wurde schnell klar, dass Zero nicht antworten würde, egal, was sie sagte. Daher strich sie noch einmal mit den Fingern über das dunkle Holz seiner Zimmertür, so als stünde er selbst vor ihr, und verließ dann schweren Herzens den Korridor, um sich zu den anderen Mitgliedern des Schülerrats zu gesellen, die bestimmt schon alle im gekühlten Auto saßen und auf sie warteten. Nun, wo sie die Sache mit Zero offiziell abgeschlossen hatte, konnte sie sich wieder voll darauf konzentrieren, Shizumasas Herz zu gewinnen, auch wenn dies sicherlich genauso schwierig war, wie etwas über Zeros wahre Gefühle zu erfahren. Als das Auto endlich anfuhr, warf Haine noch einmal einen Blick hinauf zu dem Fenster, hinter dem Zeros Zimmer lag. Überrascht stellte sie fest, dass Zero von dort auf den Hof herunterblickte. Sein Ausdruck war zwar gefühlskalt wie immer, doch ihr war klar, dass allein die Tatsache, dass er sich dort oben zeigte, in einem gewissen Sinne ein Zeichen seiner Zuneigung war, und das erleichterte ihr Herz zumindest ein wenig, denn wenn er ihr einen Anflug von Gefühlen zeigte, würde er sicherlich auch bei Yûki Fortschritte machen... Kapitel 47: Ginga und Bouquet - Kein Spiel ------------------------------------------ Von Diesmal haben wir die Charaktere nach ungewöhnlichen Kriterien ausgewählt: Wir haben geschaut, welche Anfangsbuchstaben von Vornamen der bisher verkuppelten Figuren noch nicht vorkamen und darunter waren die Anfangsbuchstaben B und G. Also haben wir lange überlegt und sind schließlich auf Bouquet und Ginga gestoßen, die uns ganz gut zusammenzupassen schienen. Lasst euch nicht davon abhalten, wenn ihr die Charaktere nicht kennt, wie immer ist die Geschichte so geschrieben, dass man auch als vollkommener Neuling in beiden Serien (hoffentlich) alles versteht. Übrigens hier noch eine allgemeine Empfehlung: Die zweite Staffel von Blue Dragon, „Tenkai no Shichiryuu“ (hier übersetzt als „7 Dragons of the Sky“), auf der die Geschichte basiert, ist wirklich interessant und abwechslungsreich, selbst, wenn ihr die Hauptcharaktere nicht so mögt (so wie ich). Metal Fight Beyblade möchte ich dagegen niemandem empfehlen, da die Story sich um Folge 14 als absoluter Schwachsinn herausstellt. Ginga ist aber trotzdem ganz nett, also lasst euch davon jetzt nicht davon abhalten, diese cyberspacige Geschichte zu lesen. Viel Spaß damit! Kein Spiel „Gingaaa! Guten Morgen!“ Kenta Yumiya kam munter wie immer die kleine Wendeltreppe herunter, die in den Keller unter dem Laden B-Pit führte. Der Angesprochene, ein Junge von rund 14 Jahren mit feuerrotem, wild nach oben stehendem Haar, saß halb auf dem kleinen Sofa, das er Nachts auch als Schlafstätte benutzte. Er machte sich über ein paar Sandwiches her, die auf einem kleinen Teller vor ihm gestapelt waren. „Aah, Kenta. Morg'n.“, rief er mit vollem Mund und hob eine Hand zum Gruß, während er sich mit der anderen das nächste Sandwich griff. Kenta trappelte zu dem kleinen Tisch vor dem Sofa und begrüßte auch Madoka, deren Vater der Laden gehörte, unter dem sie sich gerade befanden. Sie lächelte und wünschte ihm ebenfalls einen guten Morgen. „Warum bist du denn heute schon so früh hier?“, fragte sie interessiert. Auch Ginga beobachtete seinen kleinwüchsigen Freund in dem zitronengelben T-Shirt mit unverhohlenem Interesse, aß dabei aber weiter. Kenta grinste. „Das errätst du nie“, behauptete er aufgeregt. Madoka lächelte. „Es hat bestimmt was mit Beybladen zu tun“, vermutete sie und stützte ihr Kinn auf eine Hand. Kenta schüttelte sofort den knallgrünen Haarschopf. „Nein, zur Abwechslung nicht“, sagte er. „Ich wusste gar nicht, dass du dich noch für was anderes als Beybladen interessierst“, stellte Madoka überrascht fest. Ginga dagegen senkte den Blick und widmete sich der Aufgabe, mit den Fingerspitzen die restlichen Krümel und Kerne von seinem Teller aufzupicken. Wenn es nicht um Beyblade ging, war es für ihn sowieso nicht interessant. „Hey, Ginga, hörst du mir zu?“, fragte Kenta. Ginga hob träge den Kopf und bemerkte, dass der Kleine ein bisschen enttäuscht zu sein schien, dass er sich gar nicht für seine große Neuigkeit interessierte. „Ja, ich hör zu“, behauptete er. Die Miene des Grünhaarigen hellte sich auf. „Dann schau her! Das ist das Spiel das Jahres“, rief er und zauberte hinter seinem Rücken eine Plastikverpackung in Buchgröße hervor, auf der vorne ein buntes Bild unter einem großen Logo der Aufschrift „Blue Dragon – 7 Dragons of the Sky“ prangte. Ginga runzelte die Stirn. „Was ist das?“, fragte er der Form halber. Kenta legte die flache Packung auf den Tisch und klopfte stolz darauf. „Das ist ein brandneues Videospiel! Heute wurde es ausgeliefert und ich hab es geschafft, gleich eins davon zu bekommen! Ich habe seit vier Uhr Morgens vor dem Kaufhaus dafür angestanden!“ Madoka legte den Kopf schief. „Ich habe auch schon davon gehört, die Fans sind schon ganz wild darauf gewesen, weil es der zweite Teil dieser Videospielreihe ist und der Vorgänger wohl sehr beliebt war...“, steuerte sie bei. Kenta sah sie begeistert an. „Genau! Ich hab das alte Spiel mal bei Tsutomu zu Hause ausprobiert und es war total toll! '7 Dragons of the Sky' soll sogar noch besser sein, was die Grafik und das Gameplay angeht. Die Trailer sahen jedenfalls toll aus.“ Ginga lehnte sich im Sofa zurück. „Ich versteh nicht, warum du deswegen so ausflippst“, gab er zu, „es ist doch nur ein Videospiel.“ Kenta sah ihn enttäuscht an. „Du musst es selber mal ausprobieren, bevor du irgendwas dagegen sagen kannst, Ginga“, murmelte er. „Das ist eine gute Idee. Wir könnten es sofort machen“, schlug Madoka vor und stand auf, um zu dem Computer zu gehen, der in einer Ecke des kleinen Raumes, den sie normalerweise als Werkstatt benutzte, stand. Nachdem sie diverse Geräte, die sie zum Analysieren und Reparieren von Beyblades benutzte, zur Seite geschoben hatte, hockte sie sich vor den Schrank und zog aus einer der Schubladen eine Xbox hervor, um sie schnell und geschickt an den Computerbildschirm anzuschließen. Ginga rutschte nur ein bisschen tiefer in die Sofapolsterung und seufzte. Irgendwelche neuen Videospiele auszuprobieren war eigentlich das Letzte, was er in diesem Moment tun sollte... Kenta hüpfte neben Madoka, wo er die Schutzhülle um das Spiel mit etwas Mühe abriss und dann die Schachtel öffnete, in der die CD mit dem Spiel lagerte. Dann legte er sie ein. Beide traten ein Stück zurück, während auf dem Bildschirm das Logo des Herstellers aufleuchtete. Ginga gähnte verhalten. Nach einer kurzen Eingangssequenz, in der zu einer poppigen Eingangsmelodie die Charaktere des Spiels – der Hauptcharakter war offenbar ein Junge mit braunem, widerspenstigem Haar, der von einem blauen geflügelten Drachen begleitet wurde – durcheinanderwirbelten, tauchte das Menü auf, das nur aus den Punkten >Neues Spiel beginnen und >Einstellungen bestand. Kenta drehte sich um. „Ginga, los komm! Du darfst auch anfangen“, schlug er vor. Der Rothaarige verdrehte innerlich die Augen. Er mochte Kenta, weil er immer so geradeheraus ehrlich und ehrgeizig war, aber er hatte eben keine Ahnung, warum er auf keinen Fall seine Zeit mit Videospielen vergeuden wollte. Doch Madoka unterstützte Kenta in diesem Fall: „Eine halbe Stunde oder so mit dem Spiel zu verbringen wird dir nicht schaden“, bemerkte sie. Ginga wollte nicht gern widersprechen, schließlich waren die beiden immer nett zu ihm gewesen: Madoka ließ ihn schon seit über zwei Wochen bei sich wohnen und versorgte ihn die meiste Zeit mit Essen, während Kenta ihn mit sämtlichen Beybladern der Stadt bekannt gemacht hatte und sein bestes gab, um ihm kein Klotz am Bein zu sein. Irgendwie hatte er das Gefühl, ihnen dafür einen Gefallen tun zu müssen, und wenn es nur rund eine halbe Stunde Videospielen war. Er erhob sich umständlich vom Sofa und ließ sich vor der Konsole auf den Hosenboden fallen. „Na, dann wollen wir mal“, murmelte er, griff nach dem Controller und wählte die Option Neues Spiel beginnen. „Ginga...!“, rief Kenta gerührt. Wie Ginga sich gedacht hatte, allein schon der Ansatz genügte, um Kenta einen Gefallen zu tun. Das Spiel begann mit dem Hauptcharakter Shû, der, wie der Prolog erklärte, ein Schattenbändiger gewesen war und so die Fähigkeit besessen hatte, aus seinem Schatten einen großen blauen Drachen, Blue Dragon, zu beschwören und mit diesem zu kämpfen. Diese Fähigkeit hatte er allerdings im finalen Kampf gegen das Böse verloren, sodass er zu Beginn nur noch ein ganz normaler 14-jähriger Junge war. Der Einstieg bestand aus einem Kampf Shûs gegen die Truppen des Generals Logi, den Ginga ausfechten musste, indem er die Kontrolle über Shû übernahm. Mit Kentas Ratschlägen, wie er sich am besten bewegen und welche Knöpfe er drücken musste, gelang es ihm trotz ein paar Patzern und einem Gameover am Anfang recht schnell, sich in das Spiel hineinzufinden. Eigentlich ging es nur darum, einen aus der speziellen Rüstung, die Shû trug erscheinendes Schattenmonster zu lenken und es mit seinem Schwert die Gegner angreifen zu lassen. „Ich wusste es, Ginga! Du bist der geborene Videospieler!“, jubelte Kenta, als er dem letzten Gegner den Gnadenstoß verpasste. „Ja, du bist wirklich gut“, stimmte Madoka zu. Ginga grinste unwillkürlich. Irgendwie machte es ja schon Spaß. „Darf ich noch weiterspielen?“, fragte er verlegen. „Klar, solange du willst“, sagte Kenta. Er hatte schon seit Tagen das Gefühl, dass Ginga irgendetwas unglaublich Ernstes mit sich herumschleppte, von dem er sich einfach nicht lösen konnte, auch wenn er einen Bey-Battle austrug. Jetzt allerdings wirkte er zwar konzentriert, aber nicht mehr so innerlich angespannt, wie zuvor. Kentas Plan, das durch das Spiel zu erreichen, war also voll aufgegangen. Ginga wandte er sich wieder dem Bildschirm zu, wo der nächste Teil der Geschichte in einer animierten und synchronisierten Videosequenz erzählt wurde: Shû und seine anhängliche Begleiterin Bouquet beobachteten, wie ein roter Meteorit vom Himmel fiel und begegneten in dem dadurch entstandenen Krater einem kleinen grünhaarigen Jungen, der sich als Neu vorstellte. Als sie daraufhin von einem roten Drachen angefallen wurden, stellte Neu die Fähigkeiten von Shû wieder her, seinen Drachenschatten zu rufen und Ginga musste sich erneut einem Kampf stellen. Ginga begann den Kampf, indem er Blue Dragon immer wieder blaue Energiestrahlen auf seinen Gegner abschießen ließ. Während Kenta wie gebannt auf den Bildschirm starrte, um jede der Bewegungen Blue Dragons zu beobachten und hin und wieder kleine Tipps an Ginga zu murmeln, beobachtete Madoka den rothaarigen Beyblader. Sein Blick hing wie hypnotisiert am Bildschirm, seine Finger flogen immer schneller über die Tasten des Controllers, bis es fast unmenschlich wirkte, wie schnell er sich bewegte. Madoka schluckte und tippte ihn vorsichtig an, was er nicht einmal zu registrieren schien. Er war vollkommen in dem Geschehen versunken, feuerte gegen den roten Drachen, wich aus und startete erneute Angriffe. „Wow, du bist sauschnell!“, rief Kenta fasziniert, der noch gar nicht bemerkt hatte, was vor sich ging. Ginga reagierte nicht auf seinen Ausruf. Madoka wurde das Ganze langsam unheimlich. „Ginga!“, rief sie, aber auch darauf regierte er nicht. Kenta allerdings hörte sie und drehte sich um. Wie in einem schrecklichen Alptraum, in dem man einfach an seinen Platz gefesselt ist und nur passiv zusehen kann, wie die schrecklichsten Dinge passieren, waren die beiden viel zu überrascht um etwas zu tun, als Ginga auf einmal rückwärts auf den Boden fiel. Seine Augen schlossen sich, der Controller entglitt seinen Händen und landete mit einem viel zu lauten Klacken auf dem Boden. Dann rührte er sich nicht mehr. Die beiden anderen brauchten mehrere zähe Sekunden, um zu realisieren, was soeben passiert war. Dann stürzten beide neben Ginga und riefen seinen Namen. „Ginga! Wach auf!“, rief Kenta und schüttelte den Rothaarigen. Sein Kopf ruckte dabei hin und her, aber er kam nicht wieder zu sich. Sofort bildeten sich Tränen in den Augenwinkeln des Grünhaarigen. „Ginga! Was ist los mit dir?“, rief er verzweifelt. Madoka schluckte ihre eigene Unsicherheit hinunter und fühlte unter Gingas Schal nach seinem Puls. Sie brauchte viel zu lange, um ihn zu finden, aber schließlich spürte sie doch das Pochen unter ihren Fingerspitzen. „Er atmet noch“, versicherte sie Kenta mit unsicherer Stimme. Der nickte, aber er sah nicht wirklich beruhigt aus. „Ginga...“, murmelte er. Madoka schluckte und stand auf. „Ich werde einen Krankenwagen rufen“, sagte sie so gefasst wie möglich und eilte dann zur Treppe nach oben. Kenta sah ihr kurz nach und blickte dann wieder seinen Freund an, der sich weiterhin nicht rührte, aber immerhin ruhig atmete. Fast schien es, als würde er schlafen. Ginga, du hast dich so toll geschlagen!, tönte auf einmal eine Mädchenstimme an Kentas Ohr. Sie kam aus den Boxen des Computers, auf dem immer noch das Videospiel lief. Langsam drehte sich Kenta um. Hey, ich konnte ihn nicht mal besiegen. Ich bin voll der Anfänger, sagte Gingas Stimme. Auch sie kam aus dem Spiel. Kenta traute seinen Augen nicht, als er erkannte, dass auf dem Bildschirm eine Zeichung von Ginga zu sehen war, der von Bouquet umarmt wurde. Dann wurde das Bild durch das des kleinen Neu ersetzt. Ihr wisst hoffentlich, dass das erst der Anfang war, sagte er. Gleichzeitig erschien der entsprechende Text in einer dunklen Blase unten auf dem Bildschirm. Als nächstes wurde das Bild eines großen Fluggeräts eingeblendet. Da kommen die Truppen von General Logi, sie wollen bestimmt untersuchen, was hier passiert ist, sagte Bouquet, deren Gesicht nun wieder auf dem Bildschirm erschien. Logi? Das ist doch der, gegen den ich eben gekämpft habe, sagte nun Ginga, der genau wie die anderen Spielecharaktere auf dem Bildschirm eingeblendet war. Kenta sah ihn an, während der von ihm gesprochene Text wortwörtlich auf dem Bildschirm angezeigt wurde, dann drehte er sich wieder zu seinem Freund um, der sich weiterhin nicht rührte. Wie seltsam...! Du bist Bouquet, stimmt's?, tönte Gingas Stimme nun aus dem Lautsprecher. Natürlich, Ginga! Wir kennen uns doch schon so lange!, kam es verständnislos zurück. Offenbar hatte Ginga die Rolle des Hauptcharakters Shû eingenommen, aber wie war das möglich? „Hey, Ginga, hörst du mich?“, fragte Kenta ohne große Hoffnung. Ahaha, natürlich, wir kennen uns ja hier schon voll lange, sagte Ginga zu Bouquet. Er klang ein bisschen verlegen dabei. Madoka kam die Treppe wieder runter. „Sie sind gleich da“, verkündete sie. Kenta nickte und deutete wortlos auf den Bildschirm, wo nach ein paar Sätzen von Neu schon wieder Gingas Bild erschienen war. Madokas Augen weiteten sich. „Wa- was ist das denn?“, stieß sie aus. „Irgendwie sieht es so aus, als wäre Ginga jetzt der Held von 'Blue Dragon'“, sagte Kenta tonlos. Madoka hockte sich neben den richtigen Ginga und schüttelte ihn vorsichtig, aber natürlich erfolgos. „Das … ist einfach unglaublich“, sagte sie leise. Kenta nickte stumm. Beide schwiegen eine Weile und schauten dem Spiel zu, das ohne ihr Zutun weiterlief. Ginga, Bouquet und Neu entfernten sich von dem großen Krater und beobachteten von hinter einem Felsen, wie Logis Truppen die Einschlagstelle untersuchten. Dann kam Madokas Vater die Treppe hinuntergetrampelt und eilte zu ihnen. „Er ist ja wirklich ohnmächtig“, stellte er fest und kniete sich neben Ginga. Wer zum Teufel bist du denn?, fragte Ginga im Spiel. Ihm gegenüber stand nun ein rothaariger Mann mit spitz zulaufenden Ohren, der ähnliche Kleidung wie Neu trug. Mein Name ist unwichtig, aber wenn du ihn unbedingt wissen willst... ich bin Michael. Ich würde gerne deine Stärke sehen, Schattenbändiger Ginga Hagane. Madoka drehte sich zu ihrem Vater um. „Siehst du? Er ist irgendwie in dem Videospiel gelandet“, sagte sie missmutig. „Das klingt fast zu unglaublich, um wahr zu sein...“, murmelte er. Auf dem Bildschirm setzte ein Kampf zwischen Michael und Ginga an. Doch der Gegner war stark und beschwor einen roten Drachenschatten, dem Blue Dragon nicht viel entgegenzusetzen hatte. „Ginga...!“, rief Kenta, als der Charakter auf dem Bildschirm durch die Luft geschleudert wurde und verletzt am Boden landete. „Was passiert wohl mit Ginga, wenn er Gameover ist?“, fragte Madoka und rutschte unruhig auf dem Boden hin und her. Keiner beantwortete ihre Frage. Alle drei sahen nun zu, wie Ginga sich wieder hochkämpfte und Blue Dragon schwer atmend befahl, wieder anzugreifen. „Können wir denn nichts tun?“, fragte Kenta leise und griff nach dem Controller. Madoka zog die Anleitung aus der Packung, der keiner von ihnen bisher einen großartigen Blick gewidmet hatte und begann eilig zu blättern. Erneute Stille kehrte ein bis sie schließlich die lauten Sirenen des Krankenwagens hörten. Madokas Vater stand auf, um den Sanitätern den Weg zu zeigen, die kurz darauf im Keller erschienen und Gingas leblosen Körper zu zweit die Treppe hoch schleppten. Die beiden Jugendlichen sahen ihnen nach, doch als Madokas Vater sie fragte, ob sie nicht mit ins Krankenhaus kommen wollten, verneinten sie. „Ich glaube, wir müssen erst mal dafür sorgen, dass Ginga hier im Spiel nicht besiegt wird“, sagte Madoka ernst, „außerdem kann es sein, dass wir das Spiel erfolgreich beenden müssen, damit er wieder aufwacht. Wir wissen ja nicht, was passiert, wenn wir das Spiel abbrechen. Vielleicht stirbt er dann!“ Kenta war anzusehen, dass ihm diese Perspektive ziemliche Angst machte, denn er stimmte ihr sofort ohne Wenn und Aber zu. Der Erwachsene seufzte, aber er sah ein, dass die beiden von ihrer Position sehr überzeugt waren. Da ihm auch nichts Besseres einfiel, ließ er sie im Keller zurück, um dafür zu sorgen, dass Ginga ohne Probleme abtransportiert wurde. „Ah! Ich hab was! Kenta, wenn du die Start-Taste drückst, kannst du den Charakter wechseln!“, rief Madoka nur wenige Sekunden später. Kenta tat sofort wie geheißen. Charakter wechseln zu Bouquet?, fragte der Text auf dem Bildschirm. Kenta drückte die „Bestätigen“-Taste. Irgendwie setzte das eine neue Spielszene in Gang. Neu, ich muss Ginga irgendwie helfen! Was soll ich tun?, rief Bouquet. Der kleine Grünhaarige sah sie zerknirscht an. Okay, ich kann dir helfen. Pass auf, sagte er und trat einen Schritt zurück. Wie sich zeigte, war Ginga damit erst mal gerettet: Neu konnte Bouquet nicht nur ihr wie ein Nilpferd aussehendes Schattenmonster Hippopotamas wiederherstellen, sondern ihr auch noch die Fähigkeit verleihen, mit Ginga zu fusionieren. Dadurch erlangte Blue Dragon eine Rüstung, die ihn so stark machte, dass er Michael zumindest zurückschlagen konnte. Ich habe mich entschieden, Ginga Hagane, verkündete dieser im Anschluss. Nun beginnt das Training. Mach dich bereit!. Damit verschwand er. Nicht nur Ginga, Bouquet und Neu auf dem Bildschirm, auch Kenta und Madoka vor der Konsole stießen laute Seufzer der Erleichterung aus. Ginga war ein bisschen genervt, als die nun vierköpfige Gruppe sich wieder auf den Weg machte. Nachdem sie gegen den mysteriösen Michael gekämpft hatten, waren sie aufgebrochen, so genannte alte Freunde wieder aufzusuchen, die man wohl aus dem Vorgängerspiel hätte kennen müssen. Der erste von ihnen war Marumaro gewesen, ein kleinwüchsiger gelbhäutiger Junge mit langen Ohren und einer ziemlich perversen Vorliebe für hübsche Frauen. Sein Schattenmonster, Saber Tiger, war allerdings äußerst stark und vor allem schnell. Marumaro hatte sich der Gruppe liebend gern wieder angeschlossen, auch wenn er sich zunächst mit Neu nicht besonders gut verstanden hatte. Nun waren sie auf der Suche nach einem weiteren alten Freund, Jiro, von dem sie eigentlich kaum wussten, wo sie ihn suchen sollten. Ich kann langsam nicht mehr...!, jammerte Neu. Ginga warf ihm einen genervten Blick zu. Er wusste schon, warum er im realen Leben lieber allein unterwegs war. Jetzt reiß dich zusammen, wir sind noch den ganzen Tag unterwegs, sagte er scharf. Bouquet seufzte und hakte sich bei ihm ein. Mensch Ginga, warum bist du immer so genervt?, fragte sie. Früher warst du so ein toller Anführer und alle waren gerne mit dir zusammen. Wenn du so weitermachst vergraulst du Neu-chan und Marumaro noch wieder und Jiro hat dann auch keine Lust, uns zu begleiten... Ginga verdrehte nur die Augen. Bouquet gehörte immerhin noch zu denen in ihrer Gruppe, die er einigermaßen mochte. Sie war süß, kümmerte sich immer rührend um ihn und bemühte sich ernsthaft, ihm keine Umstände zu machen. Ganz im Gegensatz zu Neu, der sich oftmals wie ein verwöhntes Kind benahm, und Marumaro, der ständig zwischen Heißhunger und dämlichen Baggerattacken auf unbescholtene junge Frauen schwankte. Er hoffte, dass sich wenigstens dieser Jiro als einigermaßen erträglicher Zeitgenosse herausstellen würde. Sein einziger Trost war, dass dies ja nur ein Videospiel war und er sich keineswegs ewig mit den Charakteren abgeben müsste. Er schritt ein bisschen forscher aus und hängte die nörgelnden Neu und Marumaro ein bisschen ab. Nur Bouquet hielt mit ihm Schritt und griff wie sonst auch immer nach seinem Arm, um sich an seine Schulter zu schmiegen. Ginga...?, fragte sie zögernd. Er sah sie aufmerksam an. Irgendwie mochte er sie als Charakter – sie war ganz hübsch mit ihren dunklen Haaren und den amethystfarbenen Augen und bewies auch einen ansehnlichen Geschmack für Kleidung mit ihrem rosa Oberteil und Rock, den brombeerfarbigen Stulpen und der hübschen hellroten Schärpe. Ginga war zwar kein Modefanatiker, aber Marumaros Kleidung – nicht mehr als eine rote Hose und ein gleichfarbiger Umhang – oder die von Neu – ein grün-schwarz kariertes Wams mit einem ekligen großen Auge auf der Brust – fand er ziemlich hässlich. Was ist denn, Bouquet?, fragte er freundlich. Sie errötete. Ginga, ich... vielleicht mache ich mir ja auch falsche Hoffnungen, aber du bist in letzter Zeit so nett zu mir geworden..., erklärte sie verlegen und sah ihn schüchtern an. Ginga blieb stehen und sah sie befremdet an. Er hatte eine dunkle Ahnung, was jetzt kommen würde, hoffte aber, dass sie sich nicht bewahrheiten würde. Ginga, ich hab dich so wahnsinnig gern!, sagte Bouquet und umarmte ihn. Das war genau das, was er befürchtet hatte. Nicht, dass es ihm nicht gefiel, von ihr umarmt zu werden, aber... Ginga drückte Bouquet von sich weg. Jetzt mach aber mal halblang, wir sind hier doch nicht in einer Dating-Sim!, grummelte er. Sie sah ihn verständnislos an. In einer was? Ginga schloss die Augen und seufzte. Also, so langsam habe ich auf dieses Spiel doch keine Lust mehr, verkündete er. Bouquet, Marumaro und Neu sahen ihn fragend an. Was denn für ein Spiel, Maro?, fragte Marumaro, der die lästige Angewohnheit hatte, in jeden Satz irgendwo ein sinnloses „Maro“ einzubauen. Ginga sah verwirrt in die Runde. Schon beim Kampf gegen Michael war es ihm ein wenig seltsam vorgekommen, wie real sich alles angefühlt hatte und wie leicht es ihm gefallen war, Blue Dragon zu lenken, aber erst jetzt merkte er, dass er nicht einfach nur voll auf das Spiel konzentriert war, sondern dass er weder einen Controller in der Hand hatte noch sich im Keller des B-Pit zwischen Madoka und Kenta befand. Und wieso wurde er eigentlich Ginga genannt, wo er doch eigentlich der Hauptcharakter Shû hätte sein müssen? Ginga schluckte. War es wirklich möglich, dass er irgendwie in dem Spiel gelandet war? „Irgendwelche Neuigkeiten?“, fragte Madoka, als ihr Vater den Keller mit einem Tablett mit Keksen und Saft betrat. Er schüttelte den Kopf. „Die Ärzte haben keine Ahnung, was mit ihm los ist. Rein theoretisch müsste er wach sein, sagen sie. Er braucht ja auch keine lebenserhaltenen Maßnahmen oder sowas...“ Er stellte das Tablett auf den Tisch vor dem Sofa und hockte sich zwischen Kenta und Madoka. Auf dem Bildschirm flogen schon wieder die Fetzen. Ginga kämpfte mit Blue Dragon und Kenta hatte die Kontrolle über Marumaro übernommen, während sie zu zweit gegen eine auf seltsame Art und Weise zum Leben erwachte Pyramide angingen, die sich immer mehr der Stadt näherte, die sie zu verteidigen versuchten. Madoka seufzte. „Ich fürchte, wir müssen wirklich das Spiel bis zum Ende durchspielen“, stellte sie fest. „Ihr könnt aber doch unmöglich vierundzwanzig Stunden am Tag wach bleiben und spielen“, sagte ihr Vater streng. „Wir wechseln uns eben ab“, sagte Kenta, ohne den Blick vom Bildschirm zu lösen. „Madoka ist ja auch geschickt genug. Wir müssen nur dafür sorgen, dass Ginga bis zum Schluss am Leben bleibt.“ Dennoch wirkte Madokas Vater nicht überzeugt. „Ihr macht euch damit nur kaputt“, mutmaßte er. Madoka sah ihn ernst an. „Aber es ist der einzige Weg, Ginga zu helfen“, sagte sie. „Übrigens habe ich die Presse angerufen“, sagte Madokas Vater, nachdem er mehrere Minuten abwesend auf den Bildschirm gestarrt hatte. „Sie interessieren sich für den Vorfall und wollten nachher vorbeischauen, um sich zu überzeugen, dass ich die Wahrheit gesagt habe.“ Madoka spielte abwesend mit der Schutzbrille, die sie immer in den Haaren trug. „Die haben dir das geglaubt?“, fragte sie. „Offenbar ist Ginga kein Einzelfall. Die Frau von der Zeitung, mit der ich telefoniert habe, hat gesagt, sie würde die Geschichte schon das dritte Mal hören und so langsam würde sie nicht mehr an einen Scherz glauben.“ Madoka machte große Augen. „Dann liegt es also an dem Spiel?“ „Vermutlich schon“, sagte er und erhob sich ächzend wieder, „auf jeden Fall werde ich jetzt noch mal beim Spielehersteller anrufen und ihnen die Sache schildern. Irgendwas müssen die doch dagegen machen können.“ Er verschwand nach oben und ließ Kenta und Madoka wieder allein, wo sie gemeinsam das Kampfgeschehen verfolgten. Saber Tiger, gesteuert von Kenta, stürzte sich wieder auf die Pyramide, als auf einmal ein großer Felsbrocken von dieser aus auf ihn geschleudert wurde. „Kenta!“, kreischte Madoka. Er versuchte noch, auszuweichen, doch sein Charakter wurde frontal getroffen und stürzte in den Sand. Seine Lebensenergieleiste sank komplett auf Null. Ginga hielt inne, doch ein neuer Angriff mit Felsbrocken zwang ihn, sich wieder auf den Kampf zu konzentrieren. Marumaro!, rief er dennoch, während er unablässig mit Blue Dragons Schwert die auf ihn zuschießenden Felsbrocken traktierte. Bouquet, die mit Saber Tiger verschmolzen war, um ihn zu stärken, wurde aus der Verbindung geworfen und erschien neben Marumaro, über den sie sich verzweifelt beugte. Marumaro! Hörst du mich!?, rief sie schrill. „Eigentlich sterben Charaktere nur, wenn das von der Spielgeschichte so vorgesehen ist, oder?“, fragte Madoka vorsichtig. „Eigentlich schon“, nickte Kenta unsicher, „aber irgendwie ist das hier sowieso ganz anders... ich kann ja auch nicht beeinflussen, wie schnell das Spiel läuft und sowas.“ Marumaro! Das kann doch nicht wahr sein!, rief auch Neu, der den Kampf von der Stadtmauer aus beobachtet hatte. Ginga wurde derweil immer öfter von heranfliegenden Geschossen getroffen, auch wenn keines davon ihn ernsthaft verletzte. Neu! Was muss ich tun um dieses Ding aufzuhalten?!, schrie er aus dem Kampfgeschehen heraus. Ja, los, tu was!, brüllte Legolas, ein alter Freund der Gruppe, den sie in der Stadt unerwartet wieder getroffen hatten, und der ziemlich hilflos neben Neu stand und dem Kampf nur zusehen konnte. Er packte Neu am Kragen und schüttelte den kleinen Grünhaarigen kräftig durch. Dieser röchelte. Ich- ich weiß doch auch nicht, was wir machen sollen! Keine Ahnung!, schrie er verzweifelt. „Kenta, was ist das da oben auf der Pyramide? Dieses rote Ding?“, rief Madoka. Kenta sah sofort, was sie meinte. „Das habe ich schon die ganze Zeit im Auge, aber wie soll ich Ginga denn klarmachen, dass er das angreifen soll?“,sagte er verzweifelt und schüttelte den Controller. Madoka rückte neben ihn. „Hast du schon versucht, den Charakter zu wechseln?“, fragte sie. „Ich kann doch nur Bouquet übernehmen! Sie könnte höchstens mit Ginga fusionieren, aber davon weiß er immer noch nicht, was er machen soll!“, protestierte der Kleine mit einem Anflug von Panik. „Egal!“, rief Madoka und schnappte ihm den Controller aus der Hand, um den Knopf zu drücken, mit dem man einen Charakterwechsel vornahm. Zu ihrer beiden Erstaunen erschien nicht nur die Option, zu Bouquet zu wechseln, man konnte auch Neu auswählen. Madoka tat dies sofort. Natürlich, das ist es!, rief Neu und Legolas setzte ihn endlich wieder am Boden ab. Der Kleine kletterte auf eine Burgzinne und kniff die Augen zu, um das rote Ding an der Pyramidenspitze zu inspizieren. Tatsächlich, es ist eine Dragon Scale!, rief er. Gingaaa! Konzentrier' dich auf das rote Ding an der Spitze! Der Kämpfer fuhr herum und nickte. Das ist doch mal ein Anhaltspunkt. Los, Blue Dragon!, stieß er aus und machte einen Satz nach oben. Warte, Ginga, ich helfe dir!, rief Bouquet und sprang auf. Marumaro hatte sich noch nicht wieder gerührt. Los geht’s, Hippopotamas, befahl sie und verschwand in einem rosa Wirbel, der sich um Blue Dragons Oberkörper legte und einmal mehr zu seiner Rüstung wurde. Ginga ließ Blue Dragon mit seinem großen Schwert ausholen. Blue Dragon! Shining Blue Blaster!! Aus dem Schwert löste sich ein Energiestrahl, der das rote Ding, das die Form eines zusammengerollten Drachen hatte, frontal traf und vollkommen zersplittern ließ. Der Kampf war vorbei. Madoka und Kenta fielen sich erleichtert in die Arme. Allerdings war noch nicht alles vorbei: Marumaro! Jetzt wach doch auf, rief Ginga und beugte sich über den bewegungslosen Gelbling. „Sollte er wirklich tot sein?“, fragte Madoka. Kenta schluckte. „Das kann eigentlich nicht sein. Wenn Charaktere sterben, gewinnt man normalerweise die Oberhand im Kampf und dann setzt eine Videosequenz ein, wo er getötet wird. Nicht einfach so durch Verlust der Lebensenergie.“ Das änderte allerdings nichts daran, dass Marumaro sich weiterhin nicht rührte und das Spiel damit weiterging, dass der Kleine in der Wüste begraben wurde. Bei der Beerdigung weinten Bouquet und Neu sich regelrecht die Augen aus, während Ginga unbeteiligt daneben stand und ein wenig verloren aussah. „Das sollte nicht passieren“, sagte Kenta leise, „Marumaro war ein guter Kämpfer. Ohne ihn könnte das Spiel ziemlich schwierig werden.“ Madoka nickte nur langsam und griff dann hinter sich. „Einen Keks?“, fragte sie kleinlaut. Die Stimmung war gedrückt, als die kleine Gruppe, bestehend aus Ginga, Bouquet und Neu, durch den Wald stapfte. Sie befanden sich auf dem Weg nach Moa, wo sie hofften, irgendwelche Antworten zu finden. Die "Oberen", zu denen auch Michael gehörte, hatten nach dem Krieg der Weißen Brigade gegen die Truppen des Generals Logi beschlossen, dass die Menschen es nicht mehr wert wären zu leben. Ginga und seine Freunde wussten, dass es nur einen Weg gab, der Vernichtung der Erde durch diese Drachenwesen zu entgehen, und der war, sie von der Gutartigkeit der Menschen zu überzeugen. Wie, das wussten sie leider nicht, und so blieb ihnen nichts anderes übrig, als suchend durch die Lande zu ziehen in der Hoffnung, dass das Schicksal ihnen einen Wink zukommen lassen würde. Warum müssen bloß alle sterben...?, fragte Bouquet leise, als sie einen kurzen Halt an einer Hügelkuppe machten, von der aus man einen Blick über ein weites, grünes Tal hatte. Irgendwo weit unten lagen kleine Dörfer, umgeben von Feldern, auf denen sich die Menschen emsig mühten. Bouquet griff unwillkürlich nach Gingas Hand. Er drückte sie dankbar. Ich konnte überhaupt nichts tun, sagte er leise. Es war genauso wie bei seinem Vater – er hatte tatenlos zusehen müssen, wie jemand vor seinen Augen sein Leben aushauchte. Jiro war im vorhergegangenen Kampf von einer verirrten Attacke der Sleipnir-Monster unter Logis Kommando in den Rücken getroffen worden. Die Schattenbestie von Klug, einem friedfertigen Mädchen, das Ginga angeblich schon seit frühester Jugend kannte, war von den Angriffen der Weißen Brigade erwischt und beseitigt worden. Der junge Andropov, dem Klug so viel bedeutete, hatte allein versucht, sie zu verteidigen. Doch seine ohnehin schon schwächliche Konstitution hatte ihren Tribut gefordert: Mitten im Kampf war er einfach vor Erschöpfung zusammengebrochen und nicht wieder aufgewacht, sodass auch Klug schließlich den Schwerten ihrer Gegner zum Opfer gefallen war. Bouquet umarmte Ginga vorsichtig. Er war froh, dass zumindest sie immer noch bei ihm war, denn wenn er ehrlich war, mochte er sie gerne – für einen Videospielcharakter natürlich. Aber gerade deshalb fand er es auch besser, dass sie ihr Liebesgeständnis vom Anfang nicht noch mal wiederholt hatte. Er hätte ehrlich nicht gewusst, was er darauf erwidern sollte. Einerseits mochte er sie ja, aber sie war doch nur eine Figur in einem Spiel. Hier läuft einfach alles schief, sagte er leise. Neu verschränkte die Arme, trat nachdenklich ein paar Schritte vorwärts und sah starr über die Berge. Es läuft wirklich nicht gerade günstig für uns. Wenn es so weitergeht, werden die Oberen bald wirklich die ganze Menschheit auslöschen, sagte er ernst. Das ist alles wegen mir, murmelte Ginga. Bouquet löste sich vorsichtig von ihm und sah ihn fragend an. Aber Ginga, du kannst doch nichts dafür, dass sich die Oberen gegen uns gewendet haben, sagte sie vorsichtig. Ginga schüttelte den Kopf. Er konnte nicht genau sagen, wie lange er schon mit den beiden unterwegs war, aber es waren bestimmt mehrere Monate. Manchmal, vor allem am Anfang, hatte er sich noch Gedanken darüber gemacht, was Madoka oder Kenta wohl gerade machten und wie viel Zeit für sie wohl verging, aber in letzter Zeit kamen ihm die beiden immer seltener in den Sinn. Seine Begleiter waren jetzt nun einmal Bouquet und Neu und er vertraute ihnen so, wie sie ihm auch. Es war wohl an der Zeit, wirklich ehrlich zu ihnen zu sein. Das passiert alles nur, weil ich hier bin. Wäre Shû hier, wäre bestimmt alles anders gelaufen, sagte er. Seinen Begleitern war das Unverständnis ins Gesicht geschrieben. Wer zum Teufel ist Shû?, erkundigte sich Bouquet vorsichtig. Ginga strich sich abwesend durch die Haare. Es ist jetzt vielleicht etwas schwer, euch das zu erklären, aber ihr seid meine Freunde, also will ich es versuchen..., kündigte er an. Es wird allerdings eine ziemlich lange Geschichte... Die drei ließen sich auf ein paar Baumstümpfen nieder und Ginga begann ruhig, ihnen zu schildern, wie er bei ihnen gelandet war und was er darüber dachte. Neu kratzte sich die ganze Zeit nachdenklich am Kinn, Bouquet dagegen wurde von Minute zu Minute unruhiger und wackelte die ganze Zeit mit den Füßen. Als Ginga schließlich zu verstehen gab, dass nun alles Wichtige gesagt wäre, sah sie ihn traurig an. Wenn das wirklich stimmt... Sind wir dann etwa nicht echt?, fragte sie bedrückt. Ginga wich ihrem Blick aus. Keine Ahnung..., murmelte er unverbindlich. Bouquet stand auf und sah zu Boden. Ihre Hände zitterten ein wenig. Es macht Sinn, du bist nämlich ganz anders, als ich mich an dich von früher erinnere, sagte sie langsam. Vermutlich sind das Erinnerungen an „Shû“, stimmte Neu ihr bei. Ginga nickte stumm. Ginga... heißt das denn auch, dass du mich nicht liebst?, fragte Bouquet mit zittriger Stimme. Er sah zögerlich zu ihr auf und bemerkte Tränen in ihren Augenwinkeln. Sein Inneres zog sich schmerzlich zusammen. Er wollte sie nicht weinen sehen, aber er wusste auch beim besten Willen nicht, was er tun sollte, um sie zu trösten. Auf Neu konnte er in so einer Situation sowieso nicht zählen. Der Kleine starrte nur auf seine Füße und wartete ab, was passierte. Bouquet drangen die Tränen mehr und mehr aus den Augen. Du denkst bestimmt, du bist was Besseres, weil du „echt“ bist und wir nur Figuren in einem Spiel, oder?, fragte sie mit schwacher Stimme. Bevor Ginga etwas dazu sagen konnte, drehte sie sich weg und verschwand mit eiligen Schritten im Wald. Neu und Ginga sahen sich besorgt an. Ich glaube, du solltest ihr nachlaufen, suggerierte Neu. Ginga erhob sich. Es war wohl doch keine so gute Idee, es euch zu erzählen, sagte er und schlug seinen Schal zurück. Neu wiegte nachdenklich den Kopf. Ich bin mir nicht sicher, aber es ändert doch nichts an der jetzigen Situation, oder?, fragte er. Ginga nickte missmutig. Okay, es war ein Fehler. Ich gehe ihr nach, nicht, dass ihr noch was passiert. Oder willst du mitkommen?, meinte er. Neu überlegte kurz. Ich glaube, das solltest du mit ihr allein klären. Ginga nickte entschlossen und schlug sich in die Büsche, immer der Spur an geknickten Zweigen folgend, die Bouquet hinterlassen hatte. „Mensch, Ginga...“, murmelte Kenta und kratzte sich am Kopf. „Das ist wirklich eine ungewöhnliche Entwicklung. Verliebt er sich etwa in das Mädchen aus dem Videospiel?“, fragte eine Frauenstimme hinter ihm, die er stur ignorierte. Irgendwann gegen Mittag war die junge Reporterin Mine bei ihnen im Keller erschienen, hatte sie mit Fragen zu Details des Geschehens bombardiert und sich schließlich regelrecht häuslich bei ihnen eingerichtet, um live dabei zu sein, wenn irgendetwas Wichtiges passierte. Auch die Entwickler des Videospiels hatten sich kurz blicken lassen, genauso wie zwischendurch noch ein paar andere Reporter und die Eltern von zwei anderen Jugendlichen, die auf ähnliche Weise in das Spiel hineingezogen worden waren. Mittlerweile saßen sie bereits den ganzen Tag vor dem Spiel und es war später Abend. Immerhin hatten ihnen die Erfinder des Spiels einige wertvolle Tipps dagelassen, wie das ganze am Ende ausgehen sollte, allerdings waren Dinge wie die Tode der anderen Hauptcharaktere ursprünglich nicht vorgesehen gewesen, sodass auch sie nicht genau gewusst hatten, ob das Spiel unter den gegebenen Umständen zu schaffen wäre. „Oh oh“, machte Kenta laut. Madoka, die schon seit zwei Stunden mehr oder weniger vor sich hin döste, weil sie vorhatte, Kenta demnächst abzulösen, sah auf. „Was ist?“, fragte sie träge. „Jetzt wird auch noch Bouquet angegriffen. Verdammt, Hildegard taucht auch immer dann auf, wenn man ihn am wenigsten braucht“, knirschte Kenta. Mine zog sofort ihren Notizblock hervor. „Das könnte spannend werden. Wird Ginga sie noch retten können?“, murmelte sie vor sich hin. Madoka warf ihr einen genervten Blick zu und rutschte dann neben Kenta. „Wieso ist Bouquet denn alleine unterwegs?“, fragte sie müde. „Ginga hat ihr erzählt, dass das alles nur ein Videospiel ist und das fand sie nicht so toll...“, deutete er an und verkrampfte seine Finger um den Controller. Madoka stöhnte. „Das hat uns gerade noch gefehlt!“ Ginga horchte auf, als er auf einmal durch die Büsche hindurch eine Frauenstimme vernahm, die ihm auf unangenehme Weise bekannt vorkam. Er verlangsamte seinen Schritt und bewegte sich von da an vorsichtiger, bis er langsam richtige Worte ausmachen konnte. ... lieber nicht sagen sollen. Jetzt bist du dran!, dröhnte eine Männerstimme klar und deutlich. Er versteifte sich. Es musste Hildegard sein, einer der Oberen, der zwar auf den ersten Blick aussah wie eine Frau, aber oft genug auch mit einer Männerstimme sprach und vermutlich ein Mischwesen aus beiden Geschlechtern war. Hatte er gegen ihn überhaupt eine Chance? Aber andererseits musste er Bouquet retten – sie auch noch zu verlieren wäre wirklich zu viel. Blue Dragon!, rief Ginga. Der Drache platzte über ihm in die Baumkronen und riss ihn an seinem Schatten vorwärts auf die nächste Lichtung, wo Bouquet sich hinter Hippopotamas versteckte. Vor den beiden stand aufrecht und mit beiden Händen in die Hüfte gestemmt Hildegard, ein menschlich aussehendes Wesen mit langem, dunkelgrünem Haar, das ungnädig auf das Mädchen und ihren Begleiter herabsah. Ginga stürmte mit Blue Dragon vor Bouquet. Wag es nicht, ihr auch nur ein Haar zu krümmen!, rief er böse. Bouquet richtete sich mühsam auf. Ginga...!, murmelte sie überrascht. Willst du mich etwa besiegen, Schattenbändiger Ginga Hagane?, fragte Hildegard mit seiner Männerstimme, um dann im weiblichen Tonfall fortzufahren: Du solltest wissen, dass ihr keine Chance gegen uns Obere habt. Ginga brachte sich dennoch in Kampfposition und zeigte dem Gegner einen entschlossenen Gesichtsausdruck. Ginga, bitte hör auf. Du hast doch selbst gesagt, dass ich nur eine Figur in einem Spiel bin!, rief Bouquet, die in der Zwischenzeit wieder auf die Beine gekommen war. Ginga drehte sich nicht zu ihr um, aber seine Worte waren deutlich an sie gerichtet: Das heißt aber nicht, dass ich dich hier einfach so sterben lassen kann! Ein kräftiger Windstoß kam auf, der kräftig an Gingas feuerrotem Haar und dem weißen Schal um seinen Hals riss. Auch Hildegards Haare wurden davon ganz schön durcheinander gewirbelt. Bouquet schluckte. Dann trat sie neben Ginga. Wenn du schon kämpfst, dann wenigstens mit mir zusammen, sagte sie tapfer. Ginga sah sie mit einem Blick an, in den er all seine Gefühle steckte – vor allem die Dankbarkeit, dass sie die ganze Zeit da war, aber auch ein nicht unerheblicher Teil von Zuneigung. Er mochte sie eben, egal ob sie eine Videospielfigur war oder nicht. Sie deutete den Blick offenbar richtig, denn sie lächelte ihn glücklich an, bevor sie sich entschlossen zu Hildegard drehte. Zusammen werden wir es dir zeigen!, verkündete sie und breitete die Arme aus. Hippopotamas, auf geht’s! Der Nilpferdschatten ballte entschlossen die Fäuste. Wie du befiehlst!, rief er motiviert und verschwand mit ihr zusammen, um wie so oft in einem Kampf zu einer Rüstung für Blue Dragon zu werden. Ginga hatte fast den Eindruck, die Kraft die ihn durchströmte, als sich die Verstärkung um seinen Schatten legte, wäre stärker als sonst. Ein breites Lächeln lief über seine Lippen. Natürlich war die Kraft stärker. Schließlich waren diesmal nicht nur ihre Körper, sondern auch ihre Gefühle vereint. Dir zeig ich's, Hildegard!! Der Kampf verlief überraschend schnell – und siegreich für Ginga. Es war schwer zu sagen, was dazu geführt hatte. Vielleicht war Hildegard einfach überrumpelt, vielleicht hatte er die Kraft Gingas unterschätzt oder dieser war durch die Fusion tatsächlich sehr viel stärker geworden als sonst. Jedenfalls dauerte es keine zehn Minuten und Hildegard lag, obwohl er sich vollständig in seine stärkste Form, die eines grünen Drachen, verwandelt hatte, am Boden. Blue Dragon verpasste ihm mit seinem Schwert ohne viel Federlesens den Gnadenstoß. Bouquet löste sich aus der Fusion und landete neben Ginga, um ihm schon im nächsten Moment um den Hals zu fallen. Ginga, du warst fantastisch!, rief sie und drückte ihn so fest an sich, dass er fast schon befürchtete, sie würde ihn zerquetschen. Hey, das hab ich doch nur mit deiner Hilfe geschafft, protestierte er. Sie ließ ihn ein bisschen los und sah ihn mit geröteten Wangen an. Er erwiderte ihren Blick sanft. Ja, er mochte sie. Schon von Anfang an. Und jetzt war es ihm sogar egal, dass sie eine virtuelle Figur war. Virtuell hin oder her – sie fühlte sich vollkommen echt an, als er sie in den Arm nahm und sich ihr näherte. Da wurde auf einmal alles um ihn herum dunkel. Das Ruckeln kam plötzlich und mit voller Gewalt. Mine schrie am lautesten auf und versteckte sich sofort unter dem dafür eigentlich viel zu kleinen Tisch. Madoka klammerte sich unwillkürlich an Kenta, der selbst vom Schock wie erstarrt dasaß und nur sehr entfernt registierte, wie das Regal mit dem Computer und Madokas wertvollen Geräten hin und her schwankte. Dann flackerte das Licht über ihnen. Im nächsten Moment war es stockfinster. Das Bild von Bouquet und Ginga auf dem Computerbildschirm erlosch. Als das Erdbeben vorbei war, ließ Madoka wieder los und atmete langsam ein. „Der Strom ist ausgefallen“, sagte sie überflüssigerweise. Da es mittlerweile auf elf Uhr zuging, kam auch von oben kein zusätzliches Licht. „Was wird jetzt aus Ginga?“, fragte Kenta. Madoka sprang auf. „Wir müssen ins Krankenhaus!“, rief sie und begann sich systematisch in Richtung Wendeltreppe zu tasten. Kenta klammerte sich hinten an ihrem T-Shirt fest, um den Weg ebenfalls zu finden. „He- hey, wartet auf mich!“, bat Mine und versuchte aufzustehen, wobei sie allerdings den Tisch, unter dem sie gesteckt hatte, so aus dem Gleichgewicht brachte, dass die noch darauf stehende Karaffe mit Saft umkippte und ihren Inhalt über sie ergoss. Kenta und Madoka bekamen davon sowieso nichts mehr mit, da sie gerade da die Treppe erreicht hatten. Madokas Vater war zum Glück im Laden und brachte sie so schnell er konnte in seinem Auto zum Krankenhaus. Unterwegs begegnete ihnen das helle Chaos auf den Straßen. Ein paar Menschen liefen aufgeregt auf den Straßen hin und her, die meisten Ampeln waren ausgefallen und dunkel war es auch noch. Immerhin schienen keine Gebäude Schaden genommen zu haben. Im Krankenhaus erkundigten sie sich nach dem Zimmer, in dem Ginga lag, um dann so schnell sie konnten ohne irgendwelche Ärzte und auf Krücken durch die Gänge Humpelnde umzurennen dort hin zu eilen. Nach dem Erdbeben wirkte hier schon wieder alles relativ normal. Sogar Strom gab es schon wieder, Madokas Vater vermutete, dass es für Notfälle ein Notstromaggregat gab. Vor dem Raum, in dem Ginga lag, kam es dann noch zu einem Zusammenstoß. Kenta hatte geglaubt, der Arzt, der eilig vor ihnen den Gang entlanggeschritten war würde an Gingas Tür vorbeigehen, doch genau das tat er nicht. Stattdessen blieb er direkt davor stehen, so dass der kleine Grünhaarige geradewegs in ihn hineinschlitterte, als er ebenfalls vor der Tür halten wollte. „Hoppala!“, rief der Arzt, den ein Schild an seinem Kittel als den Oberarzt Dr. Oisumi auswies. „Entschuldigung“, kam es von Kenta. Oisumi schien ihm das aber gar nicht übel zu nehmen, sondern er winkte freundlich ab. „Seid ihr Freunde von Ginga?“, fragte er. Madoka und Kenta nickten nervös. „Ich habe gerade von meiner Krankenschwester mitgeteilt bekommen, dass er offenbar wieder aufgewacht ist“, erklärte der Arzt, „Ich wollte gerade zu ihm rein, kommt doch mit.“ Damit stieß er die Tür auf. Kenta und Madoka drängelten sich sofort an ihm vorbei und stürzten in den sterilen weißen Raum, in dem nur ein einziges Krankenbett stand. In diesem loderte der feuerrote Schopf Gingas, der sich aufgesetzt hatte und gerade mit einer älteren Krankenschwester sprach, die neben seinem Bett stand und sich Notizen dazu machte. „Ginga!“, rief Kenta überglücklich und stieß sogar die Schwester zur Seite, um seinem Freund direkt um den Hals zu fallen. Madoka erschien neben dem Bett und konnte eine kleine Freudenträne nicht unterdrücken. „Hey, Kenta, Madoka, lange nicht gesehen“, sagte Ginga. Er wirkte ein bisschen erschöpft und nachdenklich, aber ansonsten vollkommen fit. Kenta drückte ihn noch einmal und schob sich dann wieder auf den Boden. Oisumi und Madokas Vater traten leise dazu und beobachteten, wie die Jugendlichen erst einmal mehrere glückliche Blicke austauschten. „Wir hatten echt Angst um dich“, sagte Madoka leise. Ginga kratzte sich verlegen am Kopf. „Ich bin doch ganz gut klargekommen...“, meinte er. „Ja, aber nur, weil Kenta die ganze Zeit die Nebencharaktere gesteuert hat, damit du das Spiel überstehst“, bemerkte Madoka. Ginga sah erst sie, dann Kenta erstaunt an. „Ihr wart das?“, fragte er verblüfft. Beide nickten. Er lächelte schmal. „Hey, dann muss ich euch ja echt dafür danken. Es war allerdings nicht gerade schön, dass alle gestorben sind.“ Kenta seufzte. „Es ging nicht anders. Sonst wärst du noch Gameover gegangen und wir wussten nicht, was dann passiert. Ich hatte eben auch schon Angst, dass du jetzt gar nicht mehr aufwachst!“ Ginga sah ihn freundlich an. „Hey, nicht weinen, Kenta!“, sagte er. „Ich... weine doch gar nicht“, stammelte der Kleine und wischte sich eilig die Tränen aus den Augen. Madoka kicherte leise. Dann sah sie Ginga fragend an. „Was ist mit Bouquet...?“, erkundigte sie sich vorsichtig. Ginga schloss die Augen und lehnte sich ein Stück in die Kissen zurück. „Sie war doch nur ein Spielcharakter“, meinte er tonlos. „Da hast du vorhin aber noch was anderes gesagt“, widersprach Madoka vorsichtig. Er sah sie nicht an, aber sein Gesicht zeigte einen schmerzlichen Ausdruck. „Ihr habt echt alles mitgekriegt, was?“, fragte er und schwieg dann eine ganze Weile. „Ich mochte sie gerne, ja“, sagte er schließlich, „aber wenn die Bouquet, die ich kennengelernt habe, tatsächlich irgendwo weiter existiert, dann hat sie jetzt ihren Shû wieder und wird sich an mich gar nicht mehr erinnern. Sie ist bestimmt glücklich.“ Kenta und Madoka sahen sich kurz an, dann nickten sie einstimmig. „Bestimmt“, sagte Madoka abschließend. Kapitel 48: Love und Miyako - Sonnenschein ------------------------------------------ Von *tiefe Verbeugung vollführ* Es tut mir unendlich leid, dass ihr schon wieder so lange auf mein Kapitel warten musstet U____U Und diesmal kann ich es nichtmal mit Stress rechtfertigen, da die Deadline am Ende der Ferien lag... Und dann fing die Schule wieder an und ich hatte überhaupt keine Zeit mehr ^^" Na gut, jetzt bin ich fertig und ich bin wirklich überrascht, wie lang die Geschichte geworden ist... Ich hoffe, das stört euch nicht ^^" Zum Pairing: Es handelt sich um ein Wunschpairing von , der das Kapitel natürlich auch gewidmet ist =) Und da sie Geburtstag hat (der einzige Vorteil daran, dass ich so lange gebraucht habe xD), ist es auch gleichzeitig mein Geburtstagsgeschenk. Alles Gute! So, und jetzt viel Spaß beim Lesen dieser Geschichte, deren Titel ebenso gut „Gleich und Gleich gesellt sich gern“ lauten könnte, wie ich beim Schreiben immer wieder festgestellt habe =3 Sonnenschein „Bingooo!“ Miyakos triumphaler Ruf schallte durch das ganze Haus, sodass alle Anwesenden überrascht aufsahen. Es war eine ihrer beiden älteren Schwestern, Chizuru, die sie zuerst fragte: „Was ist denn mit dir los?“ Sie hatte sich zwar längst an die gelegentlichen Gefühlsausbrüche ihrer Schwester gewöhnt, aber diesmal schien sie sogar noch besser drauf zu sein als sonst, denn das Grinsen, das sich nach dem Lesen eines Briefes, den sie gerade geöffnet hatte, bei ihr eingestellt hatte, schien gar nicht wieder verschwinden zu wollen. „Ich hab gewonnen!“, trällerte Miyako und erläuterte, bevor ihre Schwester nachfragen konnte: „Ich hab doch bei diesem Gewinnspiel mitgemacht, bei dem man eine Konzertkarte für den Auftritt von Trinity gewinnen konnte. Und ich hab sie tatsächlich gewonnen!“ Mit tänzelnden Schritten und noch immer fast schon wahnsinnig grinsend hüpfte sie die Treppe hoch und betrat ihr Zimmer, in dem ihr Digimon Poromon auf dem Bett saß – so man bei einem eiförmigen Digimon ohne Beine von sitzen sprechen konnte. „Was ist passiert, Miyako?“, fragte es und blickte erst das Mädchen mit den lila Haaren und dann den Brief in ihrer Hand an. „Ich hab's geschafft!“, rief sie und stieß die Faust in die Luft. Auch Poromon hatte keine Zeit, Fragen zu stellen, denn schon zeigte Miyako mit der Hand auf das riesige Poster über ihrem Bett, auf dem drei junge Frauen in knappen Outfits zu sehen waren, die selbstsicher in die Kamera blickten. „Ich fahre zum Trinity-Konzert!“, verkündete Miyako stolz und nahm dann Poromon in den Arm, um ihm ihre Freude durch eine Umarmung mitzuteilen. Dieses hätte es wahrscheinlich vorgezogen, wenn sie es ihm einfach erzählt hätte. Sowieso waren seine Nerven in letzter Zeit ein wenig strapaziert worden. Seit Miyako an einem besonders heißen Sommertag im Wohnzimmer gesessen und beim Zappen zufällig auf eine Dokumentation über Trinity gestolpert war, sprach sie von nichts anderem mehr. Diese drei Frauen waren im Grunde nichts weiter als eine Tanzgruppe, doch scheinbar waren sie bei vielen Mädchen in Miyakos Alter recht beliebt, auch wenn Poromon das nicht so ganz nachvollziehen konnte. Sein einziger Trost dabei war, dass diese Phase schon vorbeigehen würde, so wie immer bei Miyako und bei jedem anderen Teenager. „Ach, übrigens, Poromon?“, riss Miyako ihr Digimon aus den Gedanken. „Du hast die große Ehre, mich zu dem Auftritt zu begleiten!“ „Super!“, sagte Poromon so begeistert wie es konnte, während es innerlich einen tiefen Seufzer ausstieß. Schließlich, an einem schwülen Junimorgen, war es dann so weit: Miyako machte sich, einen großen Rucksack mit Verpflegung auf dem Rücken und Poromon auf dem Arm, auf den Weg zum nächsten Bahnhof, von dem aus sie dann direkt in die kleine Stadt namens Yotsuba Town weiterfahren würde, in der das Konzert stattfinden würde. Diese erreichte sie dann auch planmäßig um kurz nach drei Uhr nachmittags, auch wenn es ihr vorkam, als wäre sie mehrere Tage unterwegs gewesen. Während der ganzen Fahrt hatte sie sich mit Poromon über Trinity unterhalten, sich ein paar Bilder der Gruppe auf ihrem Handy angesehen oder einfach nur ungeduldig aus dem Fenster gesehen. Sie war zwar ein Digiritter und hatte schon vielen Gefahren getrotzt, aber vor keinem noch so wichtigen Kampf war sie bisher so aufgeregt gewesen wie heute. Yotsuba Town war, wie Miyako bei ihrer Ankunft feststellte, gar nicht so klein, wie sie gedacht hatte. Der Bahnhof lag auf einer Anhöhe, sodass sie von dort aus einen recht guten Ausblick hatte. Das Stadion war etwas weiter außerhalb, sodass sie sich dagegen entschied, den Weg dorthin zu Fuß zurückzulegen. Natürlich hatte sie sich schon im Voraus darüber informiert, welchen Bus sie nehmen müsste, um dorthin zu kommen, schließlich sollte nichts schiefgehen. Während sie an der Haltestelle auf und ab lief, schielte Poromon zu ihrem Gesicht hinauf, in dem deutlich ihre Nervosität und Vorfreude zu erkennen waren. Erst jetzt kam ihm die Idee, dass ihre Liebe zu Trinity vielleicht auch schon etwas mehr war als eine einfache Teenie-Schwärmerei. Zumindest hatte sie bisher noch nie jemanden so sehr vergöttert wie diese drei Frauen, von denen sie, wie sie Poromon während der Zugfahrt anvertraut hatte, nicht etwa die rosahaarige Leaderin Miyuki, sondern die rothaarige Nana am liebsten mochte. Insgeheim hatte das Digimon sich gefragt, weshalb sie als Mädchen sich nicht etwa für große, muskulöse Männer sondern für Frauen interessierte. Aber da sie augenscheinlich nicht die einzige war, die so von der Gruppe begeistert war, hatte es diese Frage lieber für sich behalten. Als der mit lauter Mädchen ihres Alters gefüllte Bus das Stadion erreichte, in dem das Konzert stattfinden würde, staunte Miyako nicht schlecht: Nicht nur die Stadt war größer als erwartet, auch der Veranstaltungsort war einfach nur gewaltig. Miyako fragte sich, wie viele Leute wohl darin Platz fanden. Bei dem Gedanken daran, mitten zwischen Menschen zu sitzen, die genauso für Trinity empfanden wie sie, begann es in ihrem ganzen Körper zu kribbeln und sie konnte nicht anders, als einen lauten Freudenschrei auszustoßen. Nach diesem wurde sie nicht einmal komisch angeguckt, denn all die anderen, die hier waren, waren ebenso drauf wie sie. „Guck mal, wir sitzen in der ersten Reihe“, flüsterte Miyako Poromon zu und hielt ihm ihr Ticket vor den Schnabel. „Du bist echt ein Glückspilz!“, betonte Poromon. So langsam fand es auch Gefallen an der ganzen Sache. Wenn so viele Menschen extra hierherkamen, um diese drei Frauen tanzen zu sehen, dann mussten sie wirklich ziemlich gut sein. Das Digimon hatte zwar schon das eine oder andere Video von ihnen gesehen – was in Miyakos Nähe überhaupt nicht zu vermeiden gewesen war in den letzten Wochen – hatte dem Ganzen aber nie wirklich seine Aufmerksamkeit geschenkt. „Ist das hier dein Platz?“, fragte es und zeigte unauffällig mit dem kleinen Flügel in Richtung eines noch leeren Sitzplatzes. Miyako, die ihren Blick auf die riesige Bühne gerichtet hätte, wäre fast daran vorbeigelaufen. „Oh!“, machte sie. Sie überprüfte noch einmal die Platznummer auf ihrem Ticket, dann ließ sie sich auf dem Plastikstuhl nieder. Auf ihrer rechten Seite saß ein schwarzhaariger Junge, höchstens sechzehn Jahre alt, der die Arme verschränkt und die Augen geschlossen hatte. Da das Mädchen neben ihm den Kopf auf seiner Schulter liegen hatte, nahm Miyako an, dass sie ein Pärchen waren und sie ihn dazu überredet hatte, sie zu begleiten. Zu ihrer Linken saß ein Mädchen, das etwa so alt aussah wie sie selbst. Sie hatte ihr struppiges strohblondes Haar zu zwei niedlichen oben am Kopf angesetzten Zöpfen zusammengebunden und trug ein rosa Top mit einem Kleeblatt auf der Brust, dazu Hotpants aus Jeansstoff. „Hey“, sprach Miyako sie kurzerhand an. „Hi“, begrüßte das Mädchen sie ebenfalls und schenkte ihr ein fröhliches Grinsen. „Hast du auch das Glück, in der ersten Reihe sitzen zu dürfen?“ Miyako nickte aufgeregt. „Ja, ich hab die Karte bei ’nem Preisausschreiben gewonnen. Und du?“ „Ich hab sie von ’ner Freundin zum Geburtstag geschenkt bekommen. Das war echt eine Überraschung.“ Sie lachte. Miyako hob überrascht die Augenbrauen. „Einfach so? Ich habe gelesen, dass eine Karte fast 7000 Yen kostet!“ Verlegen kratzte sich das Mädchen am Hinterkopf. „Ach, na ja...“, murmelte sie und errötete ein wenig. „Meine Freundin hat sie kostenlos bekommen, weißt du, sie ist -“ „Wow!“, staunte Miyako. „Du scheinst ja die richtigen Leute zu kennen!“ „Ja, scheint ganz so“, bestätigte die Blonde und lachte. Einen kurzen Moment lang schwiegen die beiden, dann sagte Miyako: „Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Ich bin Miyako! Freut mich wirklich, dich kennenzulernen.“ „Ich bin Love“, stellte sich das Mädchen vor. Miyako grinste. „Was für ein süßer Name!“ „Oh, danke“, sagte Love schnell und grinste ebenfalls. Man könnte meinen, sie wären Schwestern..., dachte Poromon, das auf Miyakos Schoß saß und sich Mühe gab, sich so wenig wie möglich zu bewegen, damit keine lästigen Fragen aufkamen. Zum Glück achtete keiner auf es, sodass es nicht ganz so vorsichtig sein musste wie sonst häufig. Das Gespräch der beiden Mädchen verlief währenddessen weiter, Miyako erzählte von ihren Geschwistern und dem Laden ihrer Eltern, von all ihren netten Freunden und von dem Tag, an dem sie das erste Mal von Trinity gehört hatte, während Love über die Schule, die nervigen Jungs dort, ihren Lieblings-Donutbäcker im Stadtpark und ihrem Frettchen namens Tarte erzählte. Wenn ihnen zu einem Thema nichts mehr einfiel, vergingen kaum zehn Sekunden, bevor einer wieder zu quasseln begann – manchmal auch beide gleichzeitig. Dann lachten sie und versuchten den anderen zu überreden, doch als erster zu erzählen, was er sagen wollte. Erst, als über die Lautsprecher angesagt würde, dass nun Trinity die Bühne betreten würden, verstummten sie beide schlagartig und sahen zur Bühne, auf die nun etliche Scheinwerfer in allen Farben des Regenbogens gerichtet wurden. Leise begann die Musik zu spielen, dann kamen die drei Tänzerinnen mit langen, selbstsicheren Schritten zur Mitte der Bühne stolziert und sorgten dafür, dass die Musik in einem donnernden Applaus unterging. Sie trugen zwar ihre üblichen Farben – Rot bei Miyuki, Blau bei Reika und Lila bei Nana – doch Miyakos geschultes Auge erkannte sofort, dass die Kostüme, die sie bisher getragen hatten, ein wenig modifiziert worden waren. Sie interessierte sich zwar nicht so sehr für Mode, doch sie musste zugeben, dass der Designer dieser Kostüme ein Auge dafür hatte, denn die neuen Outfits sahen noch besser aus als die vorherigen, von denen Miyako ebenfalls begeistert war. Trinity verbeugten sich kurz – natürlich vollkommen synchron – woraufhin wieder Stille herrschte. Nachdem sie ein paar Mal mit dem Fuß im Takt der Musik auf und ab gewippt hatten, begann die Show. Hätte Poromon sie nicht mit dem Flügel angestupst, hätte Miyako vergessen, ihren vor lauter Bewunderung geöffneten Mund wieder zu schließen. Doch als sie einen schnellen Blick zur Seite warf, stellte sie erleichtert fest, dass es Love nicht anders ging. Die letzten Takte der Musik verklangen und auch Trinitys Abschlusstanz ging zu Ende. Die drei Frauen verbeugten sich tief. Sofort sprang Miyako – und mit ihr der Rest des Stadions – auf und begann wie wild zu klatschen und zu pfeifen. Sie hatte zwar schon etliche Shows der Gruppe gesehen, doch diese hatte ihr mit Abstand am Besten gefallen, was vielleicht auch daran lag, dass ein Live-Auftritt einfach etwas komplett Anderes war, als sich das Ganze nur im Fernsehen anzuschauen. Trinity warfen ihren Fans noch Kusshände zu, wobei Miyako das Gefühl hatte, dass Miyuki die ganze Zeit nur in Richtung von Love schaute. Überrascht blickte sie ihre neue Freundin an. Als die Tänzerinnen die Bühne verlassen hatten und der Applaus langsam verebbte, fragte die Lilahaarige sofort: „Ist die Freundin, von der du die Karten bekommen hast, etwa Miyuki?“ Love nickte verlegen, auch wenn es sie wunderte, dass Miyako so schnell darauf gekommen war. „Ja, wir kennen uns schon eine ganze Weile...“ „Wow!“, staunte Miyako. „Na ja, ich werde sie ja auch gleich kennenlernen.“ Aufgeregt sprang sie von ihrem Sitz auf. Love sah sie strahlend an. „Hast du auch eine Backstage-Karte?“ Miyako nickte, über das ganze Gesicht grinsend. „Du etwa auch?“ Love bestätigte dies. Miyako fiel ihr um den Hals. „Dann kannst du mich ja auffangen, falls ich in Ohnmacht fallen sollte!“ So schlimm wurde es dann doch nicht, auch wenn Miyako schon ziemlich weiche Beine bekam, als Miyuki und Reika auf einmal den Raum betraten, in dem sie und Love mit etwa zehn weiteren Fans saßen. Sie war zwar etwas enttäuscht, dass Nana wegen eines anderen wichtigen Termins nicht erscheinen konnte, doch im Grunde reichte es ihr schon, den beiden anderen Tänzerinnen so nahe zu sein. Außerdem war sie sich sicher, dass sie bei Nanas Anblick ganz sicher das Bewusstsein verloren hätte. Die kleine Backstage-Fragerunde ging viel zu schnell vorbei und Miyako war so beschäftigt damit, all die Informationen, die Miyuki und Reika preisgaben, in sich aufzunehmen, dass sie gar nicht dazu kam, selbst Fragen zu stellen. „Ich hätte gerne noch länger mit ihnen geredet...“, gab Miyako zu, als sie mit Love das inzwischen bis auf ein paar Mitarbeiter leere Stadion verließ. Love musste lachen. „Es war immerhin eine Stunde und die beiden haben bestimmt noch ’ne Menge anderes zu tun!“ Miyako starrte sie an. „Eine Stunde?! Mir kam es viel weniger vor.“ Dann stimmte sie aber in Loves Gelächter ein. „Oh Mann, ich bin ja echt ein Freak!“ „Wie fandest du die beiden so?“, fragte nun Love. Miyakos Augen begannen zu leuchten: „Sie waren total supernett!! Man denkt ja immer, dass Stars nur im Fernsehen und auf der Bühne so freundlich wirken, aber bei den beiden kann ich mir selbst jetzt nicht vorstellen, dass sie zu irgendeiner bösen Tat in der Lage wären. Sie waren so freundlich und geduldig und hast du gesehen, dass sie die ganze Zeit gelächelt haben? Vielleicht müssen sie ja auch so sein, weil sie ein Image zu verlieren haben und so, aber ich glaube nicht, dass das alles nur gespielt ist, so überzeugend kann das gar keiner! Oder was meinst du dazu?“ Love musste sich bemühen, nicht schon wieder zu lachen anzufangen. Ungesprächig war ihre neue Freundin ja nicht unbedingt! Aber sie fand es toll, dass sie so offenherzig und freundlich war, auch wenn sie sich erst seit ein paar Stunden kannten. Da Miyako sie noch immer erwartend ansah, erwiderte sie: „Ich glaube auch, dass Trinity gerade deswegen so beliebt ist, weil sie absolut natürlich sind und nicht mit aller Kraft versuchen, jemand zu sein, der sie nicht sind.“ Miyako nickte heftig. „Genau, da hast du bestimmt recht! Ach ja, du kennst sie ja auch persönlich! Hast du denn nur mit Miyuki zu tun oder auch mit den anderen? Ist Nana auch so wie die anderen? Oder ist sie heute vielleicht nur nicht gekommen, weil sie in Wahrheit gar nicht so nett ist wie die anderen und nicht will, dass die Fans das merken? Oh mein Gott, das wäre ja schlimm, aber warum sollte sie sonst heute nicht gekommen sein?“ Love legte ihrer Freundin beruhigend die Hand auf den Arm und sagte lachend: „Mal doch nicht gleich den Teufel an die Wand! Und lass mich erst mal eine Frage beantworten, bevor du sieben neue stellst.“ Miyako errötete ein wenig und drückte Poromon ein wenig enger an sich. „Komm, wir setzen uns da hin und dann erzähl ich dir ein bisschen was über Trinity, okay?“, schlug Love vor und zeigte auf eine recht große Grünfläche, auf der zwei große Bäume standen und auf der sich schon ein paar Familien und Pärchen niedergelassen hatten, um die Sommertemperaturen zu genießen, auch wenn die Sonne schon untergegangen war. „Au ja“, stimmte Miyako zu. „Lass uns zu dem Baum da hinten gehen!“ Damit nahm sie Love bei der Hand und zog sie zu einem der Bäume, unter dessen Blätterdach sie sich in das trockene Gras plumpsen lassen konnten. „Ist ja immer noch ganz schön heiß“, murmelte Miyako und zog ein gefaltetes Stofftuch aus der Rocktasche, um sich damit den Schweiß aus dem Gesicht zu wischen. „Möchtest du auch was trinken?“, fragte sie Love, während sie eine noch zur Hälfte gefüllte Plastikflasche mit grünem Tee aus ihrem Rucksack zog, die sie sich aus dem Laden ihrer Eltern mitgenommen hatte. Love nahm an und trank einen Schluck. Nachdem auch Miyako ihre Kehle befeuchtet hatte, legte sie Poromon neben sich und ließ sich ins Gras fallen, die Arme hinter dem Kopf gefaltet und den Blick auf das Blätterdach gerichtet. Love legte sich neben sie auf den Bauch und stützte den Kopf auf den Händen ab. „Wie hast du Miyuki kennengelernt?“, kam Miyako nun auf ihr ursprüngliches Thema zu sprechen. Love zögerte einen Moment, bevor sie zu erzählen begann, so als müsste sie sich selbst erstmal an diesen Tag erinnern. „Ich war bei einem Konzert hier in Yotsuba Town. Es waren nicht annähernd so viele Leute da wie heute, damals waren Trinity noch längst nicht so bekannt wie heute.“ „Wann war das?“ hakte Miyako nach und sah nun Love an, die ihren Blick ebenfalls auf sie gerichtet hatte. „Das dürfte etwa ein halbes Jahr her sein. Ja, das war im Februar, soweit ich mich erinnere. Na ja, es war das erste Konzert, bei dem ich war und ich durfte gleich in der ersten Reihe sitzen, so wie heute. Aber auf einmal kam da so ein... Monster...“ Das ließ Miyako aufhorchen. War hier etwa ein Digimon aufgetaucht, ohne dass einer von ihnen etwas davon gemerkt hätte? Sie hatte eigentlich gedacht, alle wilden Digimon, die sich in diese Welt verirrt hatten, wären vor zwei Jahren von ihnen zurückgebracht worden... „Was war das für ein Monster?“, fragte sie. Als sie kurz zu Poromon herübersah, bemerkte sie, das auch dieses Love neugierig und fast ein wenig alarmiert ansah. Love zuckte mit den Schultern. „Na ja, ein Monster eben... Jedenfalls sind alle weggelaufen, aber Miyuki kam nicht so schnell weg und dann hab ich ihr eben geholfen. Die anderen sind einfach alle weggelaufen, kannst du dir das vorstellen?“ Miyako schnappte empört nach Luft und wurde ein wenig bleich, als sie fragte: „Nana auch? Und Reika?“ Love schwieg einen Moment, dann nickte sie. Sie setzte gerade an, etwas zu fragen, als Miyako sich aufsetzte und entschlossen die Arme verschränkte. „Ab heute bin ich offiziell kein Nana-Fan mehr!“ „Aber dieses Monster war wirklich Angst einflößend! In dem Moment kann man doch an gar nichts anderes denken als ans Weglaufen!“ „Aber du bist nicht weggelaufen!“ „Na ja, nein, das nicht, aber...“, druckste Love herum. „Irgendwie hat mir das Ungeheuer gar keine Angst gemacht, ich weiß nicht...“ Miyako schnaubte. „Du kannst sagen, was du willst. Nana und Reika sind einfach nur feige! Und du bist echt mutig!“ „Ähm, danke...“, murmelte Love verlegen. Aus Angst, Miyako würde sich noch mehr darüber aufregen und am Ende gar kein Fan von Trinity mehr sein, beeilte sie sich, weiterzuerzählen: „Auf jeden Fall kam dann eine von Pretty Cure und hat das Monster besiegt. Und dann -“ „Pretty Cure?“, unterbrach Miyako sie und sah sie fragend an. „Wer ist das?“ „Hast du noch nicht von un- ähm, von ihnen gehört?“ Love errötete ein wenig, weil sie das Gefühl hatte, dass Miyako ihren Versprecher genau gehört hatte. Es fiel ihr immer schwer, über Pretty Cure in der dritten Person zu sprechen, besonders wenn es um Cure Peach ging. Zum Glück ging Miyako nicht darauf ein, sondern schüttelte nur den Kopf. Love erklärte: „Pretty Cure sind... na ja, das sind halt solche Mädchen, die gegen böse Monster kämpfen. Cure Peach war die erste, danach kamen noch Cure Berry und Cure Pine dazu und vor kurzem noch Cure Passion.“ „Haben die selbst Monster oder wie kämpfen die?“ Je mehr Love davon sprach, desto mehr begann dieses Thema, Miyako zu interessieren, während Love eigentlich versuchte, möglichst schnell wieder von Trinity zu sprechen. „Nein, sie benutzen erst immer Tritte und Schläge und dann haben sie noch so... magische Attacken, die die Monster zerstören.“ „Magisch?“, fragte Miyako. Love nickte nur. „Komisch, dass ich davon noch gar nichts gehört habe...“, murmelte Miyako nachdenklich. Love nutzte den Augenblick, um schnell wieder auf Miyuki zu sprechen zu kommen: „Jedenfalls war Miyuki dann so dankbar dafür, dass ich sie gerettet hatte, dass sie mir angeboten hat, doch Tanzstunden bei ihr zu nehmen.“ Das brachte Miyako tatsächlich dazu, das Thema Pretty Cure beiseite zu schieben. Mit glänzenden Augen sah sie ihre Freundin an. „Du hast bei Miyuki tanzen gelernt?“ Love lachte verlegen. „Na ja, im Grunde lerne ich es immer noch. Meine Freundinnen machen auch mit.“ „Wow! Jetzt bin ich wirklich neidisch!“, gab Miyako offen zu. „Wenn du in der Nähe wohnen würdest, könntest du sicher auch mitmachen. Miyuki ist so nett und mit mehr Leuten macht es noch mehr Spaß! Aber wenn du jedes Mal fünf Stunden fahren müsstest...“ Dieses Stichwort ließ Miyako zusammenzucken und sie stürzte sich auf ihren Rucksack, um ihr Handy hervorzufischen. „Es ist ja schon fünf nach acht! Mein Zug fährt in zwanzig Minuten!“ Wie von der Tarantel gestochen sprangen die beiden auf. „Schnell, da vorne ist eine Bushaltestelle!“, rief Love und schnappte sich kurzerhand Poromon, während Miyako sich ihren Rücksack über die Schultern warf. So schnell sie konnten sprinteten sie zur Straße. „Warum hab ich denn nicht gemerkt, dass die Sonne schon untergegangen ist?“, fluchte Miyako. „Da vorne kommt ein Bus!“, rief Love und sie hetzten zur Haltestelle. Dort konnten sie sofort einsteigen. „Zum Glück kam der Bus gerade...“, schnaufte Love und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr, die inzwischen zwanzig Uhr acht anzeigte. „Kann der nicht schneller fahren?!“, knurrte Miyako und trippelte von einem Fuß auf den anderen, während sie aus dem Fenster sah. Scheinbar war in den Straßen der kleinen Stadt gerade jetzt ziemlich viel los. „Da vorne ist eine Ampel“, sagte Love, die sich hier ja auskannte. „Aber in zehn Minuten sind wir sicher am Bahnhof.“ Sie versuchte, ihre Freundin zu beruhigen, doch diese wurde mit jeder verstreichenden Sekunde noch nervöser und ließ die Zeitanzeige ihres Handys gar nicht mehr aus den Augen. Love nahm ihre Hand und drückte diese. „Bestimmt hat der Zug sowieso Verspätung. Er kommt ja sicher direkt aus Tokyo, und auf so einer langen Strecke passiert ja oft irgendetwas, was ihn ein paar Minuten aufhält.“ Sie beide wussten, dass man damit nicht unbedingt rechnen konnte, da es nur äußerst selten vorkam, dass ein Zug tatsächlich einmal verspätet den Bahnhof verließ. Dennoch wurde Miyako ein wenig ruhiger, was aber wohl eher an Loves Beistand und dem zuversichtlichen Druck ihrer Hand lag als an ihren Worten. „Danke“, murmelte sie, ohne ihre neue Freundin dabei anzusehen. Diese zog jetzt ihr Handy hervor – ein ungewöhnliches rechteckiges Modell mit rosa Schale, das Miyako noch nie gesehen hatte – und sagte: „Wir sollten noch unsere Handynummern austauschen, oder?“ „Klar!“, rief Miyako. „Das hätte ich jetzt in der Eile ganz vergessen! Wäre ja fatal gewesen, so ein nettes Mädchen findet man selten!“ Einen Moment trafen sich ihre Blicke, dann sah Miyako schnell wieder weg, um das Adressbuch ihres Handys zu öffnen. „Wir sind gleich da!“, sagte Love aufgeregt und drückte Miyako zwischen den anderen Mitfahrern hindurch zur Tür. Hastig zog die Lilahaarige ihre Geldbörse hervor, wobei ihr fast die ganzen Münzen auf den Boden gefallen wären. Als sich endlich die Türen öffneten, warf Miyako das Geld für die Fahrt in den dafür vorgesehenen Kasten und sprang aus dem Bus. Love folgte ihr so schnell sie konnte. „Zu welchem Gleis musst du?“, fragte sie. „Keine Ahnung! Das stand vorher noch nicht fest!“ Ein Blick auf ihr Handy zeigte ihr, dass ihr gerade mal zwei Minuten blieben, um ihren Zug zu erreichen. „Da steht es! Tokyo, Gleis 1!“, rief Love. „Hast du ein Ticket?“ „Ja!“ „Dann da lang!“ Schnell zog Love ihre Freundin, die sich ein wenig hilflos umsah, zu den Fahrkartenschranken vor der Treppe, die zum Gleis hinunterführte. Doch in dem Moment, in dem Miyako ihr Ticket in einlesen lassen wollte, fuhr der Zug an und verließ leise ratternd den Bahnhof, während eine Stimme sie über den Lautsprecher dazu aufforderte, vorsichtig zu sein. „Verdammt!!!“, schrie Miyako so laut, dass die ausgestiegenen Fahrgäste, die gerade die Treppe hinaufkamen, sie überrascht ansahen. Wütend schleuderte Miyako ihren Rucksack zu Boden. „Was soll ich denn jetzt machen?!“ Sie warf dem Mann, der zuerst an ihr vorbeikam, einen zornigen Blick zu, als wäre es seine Schuld, dass sie ihren Zug verpasst hatte, sodass dieser seinen Schritt beschleunigte. „Beruhige dich“, sagte Love leise und legte ihr die eine Hand, in der sie nicht Poromon hielt, auf die Schulter. Miyakos Augen blitzten wütend zu ihr herüber. „Wie soll ich mich bitteschön beruhigen, ich hänge in dieser blöden Stadt fest! Glaubst du, ich hab noch ’n paar tausend Yen für ein Hotelzimmer übrig?“ Erschrocken darüber, dass ihre Freundin sie auf einmal so anfuhr, ließ Love ihre Hand sinken. Miyako merkte sofort, dass sie sie verletzt hatte, doch sie hatte anderes im Kopf, als sich dafür zu entschuldigen. Auf einmal stiegen ihr Tränen in die Augen und bevor sie sich versah strömten sie hemmungslos ihre Wangen herab. „Verdammt...“, schluchzte sie und wischte sich immer wieder mit den Händen über die Augen, ohne dass es irgendeinen Effekt gehabt hätte. Love, der ihre Freundin leid tat, legte schnell Poromon auf dem Boden ab und schlang dann die Arme um Miyako. „Mach dir keine Sorgen“, flüsterte sie. „Du kannst gerne mit zu mir kommen und bei mir übernachten. Meine Eltern sind sowieso gerade im Urlaub. Du kannst ja gleich zu Hause anrufen und deiner Familie bescheid sagen, damit sie sich keine Sorgen machen. Und dann fährst du eben morgen früh nach Hause.“ Es brauchte einen Moment, bis Miyako realisierte, was Love da gerade gesagt hatte. Normalerweise hätte sie Bedenken gehabt, bei jemandem zu übernachten, den sie am selben Tag erst kennengelernt hatte, doch bei Love war sie sich absolut sicher, dass sie ihr vertrauen könnte. „Danke“, hauchte Miyako und umarmte sie dankbar. „Dazu sind Freunde doch da.“ Das Haus, in dem Love wohnte, war sehr hübsch, wie Miyako sofort feststellte. Im Gegensatz zu ihrer Heimatstadt schien es hier überhaupt eher individuelle Einfamilienhäuser als Hochhäuser zu geben, was wohl einfach daran lag, dass hier nicht so viele Menschen unterzubringen waren wie in der Landeshauptstadt. „Und du bist jetzt ganz allein zu Hause?“, fragte Miyako und sah Love bewundernd an. Bei ihr zu Hause kam das nie vor, da ja immer jemand da sein musste, der sich um den Laden kümmern musste. Außerdem hielten ihre Eltern sie bestimmt für zu jung, um sich ganz alleine zu versorgen, auch wenn sie persönlich damit eigentlich keine Probleme hatte. „Nein, nicht ganz“, erklärte Love da. Verwundert fragte Miyako: „Hast du nicht gesagt, du hast keine Geschwister?“ Love lächelte. „Ja, das schon, aber eine Freundin von mir wohnt zur Zeit bei uns. Sie heißt Setsuna. Du wirst sie mögen!“ „Bestimmt!“, sagte Miyako grinsend. Wenn Love sie mochte, dann würde sie bestimmt auch wunderbar mit ihr klarkommen, denn sie hatte schon die ganze Zeit das Gefühl, dass sie beide sich in vielen Dingen ziemlich ähnlich waren. Love zog ihren Schlüssel aus der Hosentasche und wollte gerade die Haustür aufschließen, als diese von innen geöffnet wurde, und ihnen ein Mädchen mit dunkelviolettem, schulterlangen Haar gegenüberstand. „Hallo!“, begrüßte Miyako sie fröhlich. „Ich bin Miyako, freut mich, dich kennenzulernen!“ „Hallo“, murmelte das Mädchen, bei dem es sich höchstwahrscheinlich um Setsuna handelte, ohne Miyako dabei anzusehen. Stattdessen war ihr ausdrucksloser Blick auf Love gerichtet. „Ich übernachte bei Miki“, sagte sie. „Warum das?“, fragte Love sogleich mit besorgter Stimme. „Ist etwas passiert? Hab ich was falsch gemacht?“ Setsuna schüttelte lächelnd den Kopf. „Mach dir keine Sorgen, es ist alles in Ordnung. Miki hatte nur gefragt, ob ich mir mit ihr einen Film ansehen will. Morgen bin ich wieder da.“ Love stieß einen erleichterten Seufzer aus und lächelte nun ebenfalls. „Okay, dann viel Spaß!“ „Tschüs!“, rief auch Miyako dem Mädchen hinterher, als sie an ihnen vorbei die Auffahrt verließ. Love kratzte sich verlegen am Kopf. „Tut mir leid, wenn sie ein wenig unhöflich schien. Sie...“ Sie hielt inne, da sie selbst nicht so genau wusste, wie sie Setsunas Umstände beschreiben sollte. Sie konnte Miyako ja schlecht erzählen, dass sie noch vor kurzer Zeit der bösen Organisation Labyrinth angehört hatte und sich daher erst einmal an ein Leben unter Menschen gewöhnen musste. „Schon in Ordnung“, beteuerte Miyako. „Manche Menschen sind eben ein wenig schüchtern, das macht ja nichts. Vielleicht kann ich sie ja morgen noch richtig kennenlernen. Wo ich jetzt schon hier bin, kann ich ja auch erst morgen Abend oder so zurückfahren...“ Love nickte erleichtert. „Ja, das wäre toll! Aber jetzt komm erstmal rein. Du solltest unbedingt gleich deine Eltern anrufen.“ Dem stimmte Miyako zu, daher betraten sie beide das Haus und Love zeigte der Lilahaarigen ihr Zimmer, in dem sie ihren Rucksack und Love Poromon ablegte. „Huch? Wo ist denn dein Frettchen?“, fragte Miyako, da ihr der leere Käfig unter Loves Schreibtisch aufgefallen war. „Keine Ahnung, wo er sich wieder rumtreibt“, meinte Love schulterzuckend. „Darf er denn einfach so im Haus rumlaufen? Das ist cool!“, meinte Miyako und blickte sich begeistert nach dem Tier um. Love nickte. „Ja, er ist ganz zahm und macht überhaupt keine Umstände.“ „Toll!“, wiederholte Miyako mit strahlenden Augen. Poromon atmete erleichtert auf und streckte erst einmal seine Flügel aus, als Love und Miyako den Raum verlassen hatten. Zwar musste es öfter ein Stofftier spielen, aber so lange hatte es bisher noch nie stillhalten müssen. Es war froh, nun wenigstens für einen kurzen Moment nicht so achtsam sein zu müssen, auch wenn es weitaus glücklicher darüber gewesen wäre, nun im Zug nach Hause sitzen zu können. Das eine oder andere Mal hatte es auch versucht, Miyako unauffällig darauf hinzuweisen, dass sie sich langsam auf den Weg zum Zug machen sollte, aber diese hatte es entweder ignoriert oder gar nicht wahrgenommen. Natürlich freute es Poromon, dass seine Partnerin so eine gute Freundin gefunden hatte, aber es war trotzdem ein wenig beleidigt, dass sie es darüber ganz vergessen hatte. Und Hunger hatte es auch noch... Gerade wollte es sich an Miyakos Rucksack, der neben ihm auf dem Bett lag, zu schaffen machen, als auf einmal die Balkontür aufgeschoben wurde und ein Tier das Zimmer betrat. Sofort dachte Poromon an das Frettchen, von dem Love gesprochen hatte, doch zwei Dinge an ihm waren komisch: Erstens trug es ein merkwürdiges, bärenartiges Plüschtier in einem Stofftuch auf dem Rücken und zweitens lief es – entgegen der Natur der meisten Säugetiere – auf den Hinterbeinen. „Du bist komisch“, sagte Poromon daher rundheraus. Das Frettchen, dass vorher anscheinend gar nicht bemerkt hatte, dass sich jemand im Raum befand, starrte es einen kurzen Moment lang wie hypnotisiert an, dann schrie es laut auf, hechtete wieder auf den Balkon und schlug die Tür hinter sich zu. Bevor Poromon in irgendeiner Weise darauf reagieren konnte, hörte es schon zwei Paar Füße die Treppe in den ersten Stock heraufrennen und sogleich wurde die Tür aufgerissen. „Was war das?“, fragte Love, die als erste ins Zimmer gestolpert kam. Miyako, die direkt hinter ihr stand, blickte Poromon erschrocken an. Love hingegen hatte jetzt das Frettchen samt Bär auf dem Balkon entdeckt und öffnete die Tür, um es reinzulassen. „Es kann sprechen!“, rief da das Frettchen aufgeregt und zeigte mit der Pfote auf Poromon, das erschrocken zusammenzuckte. Miyako starrte Loves Haustier an, während der Blick der Blonden sich erst auf das Digimon und dann auf seine Partnerin richtete. Einen Moment herrschte Schweigen, dann sagte Miyako verdutzt: „Ich glaube, es gibt ein paar Dinge, über die wir reden müssen.“ Love nickte, wobei sie nicht weniger verwirrt aussah als die anderen Anwesenden. „Du bist also eine von diesen Digirittern, die diese ganzen Monster besiegt haben?“ „Und du gehörst zu diesen Magical Girls, von denen du vorhin erzählt hast? Die immer wieder gegen irgendwelche bösen Mächte kämpfen müssen, um die Bewohner der Stadt zu beschützen?“ „Wow!“, sagten Love und Miyako gleichzeitig. Nach dem Zwischenfall mit Tarte und Poromon, hatten die beiden Mädchen sich erst einmal auf Loves Bett niedergelassen und sich gegenseitig erzählt, wie sie zu den sprechenden Tieren gekommen waren. Dabei hatte sich auch noch herausgestellt, dass der Bär auch kein einfaches Plüschtier war – womit Miyako sowieso schon fast nicht mehr gerechnet hatte – sondern aus dem selben Reich kam wie Tarte, den Namen Chiffon trug und auch ein wenig sprechen konnte. Allerdings war es noch sehr jung, was dazu führte, dass es jede Menge Unsinn machte, wie Love seufzend erklärte. „Da hab ich ja echt ’ne tolle Bekanntschaft gemacht“, stellte Miyako grinsend fest. Love lachte. „Dasselbe könnte ich auch sagen.“ Nun fragte Miyako, die diese ganze Angelegenheit äußerst interessant fand: „Wer sind denn eigentlich die anderen drei von Pretty Cure?“ „Das sind meine Freundinnen Inori, Miki und Setsuna!“ „Setsuna?“, fragte Miyako erstaunt. „Die Setsuna, die bei dir wohnt?“ Love nickte. Anscheinend musste sie ihrer Freundin nun doch erklären, was genau es mit Setsuna auf sich hatte. Ihr war zwar ein wenig unwohl dabei, weil sie nicht wusste, wie Miyako darauf reagieren würde, doch sie vertraute ihr, deshalb begann sie zu erzählen: „Setsuna ist erst vor kurzem zu Cure Passion geworden. Vorher... gehörte sie zu Labyrinth, der Organisation, gegen die wir kämpfen.“ Miyako sah sie ein wenig überrascht an, doch die heftige Reaktion, mit der Love schon fast gerechnet hatte, blieb aus. „Ihr habt also auch eine Überläuferin im Team?“ „Auch?“, wiederholte Love überrascht. Miyako nickte lächelnd. „Einer aus unserem Team hat sich früher eingebildet, er wäre der Herrscher über die digitale Welt. Aber das war nicht seine Schuld, ihm war eben die Saat des Bösen eingepflanzt worden. Inzwischen ist er ein Mitglied unserer Gruppe und versteht sich mit allen echt gut. Er ist wirklich nett!“ Als sie merkte, mit was für einem Blick Love sie ansah, wurde sie ein wenig rot und murmelte: „Na ja, Setsuna hatte sicher auch keine Wahl. Bestimmt wurde sie einfach so ausgebildet und wusste gar nicht, was sie sonst hätte tun können. Es ist ein echtes Glück für sie, dass ihr sie von eurer Seite überzeugen konntet!“ Love nickte erleichtert. Nun war sie sich absolut sicher, dass sie in Miyako eine fantastische Freundin gefunden hatte. Sie schien ihr ja wirklich in jeder Hinsicht ähnlich zu sein, und trotzdem war sie irgendwie anders, sodass Love das Gefühl hatte, mit jemandem wie ihr würde es nie langweilig werden. „Na ja“, begann sie nun zögerlich und vertraute ihr Freundin an, was sie schon seit ihrer Ankunft beschäftigt hatte: „Ich frage mich, was vorhin mit ihr los war... Sie ist zwar immer ein bisschen zurückhaltend, aber sie hat dich ja komplett ignoriert!“ Miyako schwieg einen Moment, dann sagte sie bedächtig: „Nun, ich weiß es auch nicht, ich kenne sie ja kaum... Aber wenn sie irgendein Problem hat, über das sie mit dir aus irgendeinem Grund nicht sprechen will, dann kann sie sich ja immer noch an ihre Freundin, zu der sie jetzt gegangen ist – Miki hieß sie, oder? – wenden. Du solltest dir also nicht allzu viele Sorgen machen und ihr ein wenig mehr zutrauen, meinst du nicht?“ Das drückende Gefühl in Loves Brust war zwar immer noch nicht gänzlich verschwunden, doch sie musste zugeben, dass Miyako irgendwie recht hatte. „Wollt ihr nicht langsam mal ins Bett gehen?“, unterbrach nun Tarte, der es sich neben der schlafenden Chiffon auf einem Kissen gemütlich gemacht hatte, ihr Gespräch. „Warum?“, fragte Love. „Wir haben Ferien!“ Tarte schüttelte den Kopf. „Also wirklich, hast du etwa schon vergessen, dass ihr für morgen früh eine Tanzstunde verabredet habt?“ Love schrie auf und lief schnell zu ihrem Taschenkalender. „Du hast recht! Danke, Tarte, das hätte ich glatt vergessen!!“ Miyako lachte. „Manchmal ist es echt praktisch, ein sprechendes Haustier zu haben.“ „Ich bin kein Haustier“, konstatierte Tarte beleidigt. „Ach, das war nicht so gemeint“, kicherte Miyako. „Du bist aber eitel!“ „Pah, blöde Kuh!“, stieß Tarte aus und legte sich, den Rücken zu Miyako, auf das Kissen. „Ich schlafe jetzt, also stört mich nicht.“ „Du kannst in Setsunas Zimmer schlafen!“, forderte Love ihn mit in die Hüften gestemmten Armen auf. „Könntest ja wenigstens mal höflich sein!“ „Jetzt stehst du auch schon auf ihrer Seite!“, rief Tarte, schnappte sich sein Kissen und verließ das Zimmer. Love seufzte. „Ist manchmal echt schwierig mit ihm. Aber meistens ist er nett, vielleicht hat er einfach nicht genug Schlaf bekommen.“ Miyako winkte ab. „Kein Problem, mir macht das nichts aus.“ Eine Weile sahen sie sich ratlos an, dann sagte Love: „Vielleicht sollten wir wirklich schlafen gehen. Wir haben die Tanzstunde morgen für acht Uhr vereinbart, weil Miyuki danach so viel zu tun hat.“ Miyakos Augen strahlten. „Meinst du, ich darf einfach so mitkommen und zuschauen?“ „Klar“, lachte Love. „Vielleicht kannst du ja sogar mitmachen“ „Juhuuu!“, rief Miyako. „Das wäre ja total super!“ Love grinste. „Wo wir das jetzt geklärt haben, kannst du mir ja helfen, die Matratze aus Setsunas Zimmer zu holen.“ Nach kurzem Zögern fragte sie: „Oder willst du lieber alleine da schlafen?“ Miyako schüttelte heftig den Kopf. „Nein, du musst mir noch ganz viel über Trinity erzählen!“ Das brachte Love zum Lachen. „Okay, dann komm mit!“ Am nächsten Morgen waren die Mädchen zwar ziemlich müde, da sie am Vorabend natürlich trotz guter Vorsätze ziemlich lange über alles mögliche geredet hatten, aber beim Gedanken an das Tanztraining mit Miyuki waren sie beide sofort hellwach. Love zog sich ihren von ihrer Freundin Inori selbst genähten Jogginganzug an und lieh Miyako ihren alten, bevor sie mit beschwingten Schritten zu der kleinen Bühne im Stadtpark aufbrachen, in der das Training immer stattfand. Poromon und Tarte ließen sie zu Hause, da ersteres keine Lust hatte, schon wieder so lange unter Menschen zu sein und sich verstellen zu müssen. „Du wirst die anderen mögen“, versicherte Love ihrer Freundin, während sie die um diese Uhrzeit noch recht ruhige Einkaufsstraße der Stadt durchquerten. „Da bin ich mir sicher“, grinste Miyako. Ob sie ihnen bei Miyukis Anwesenheit allerdings so viel Beachtung schenken konnte, war sie nicht so sicher. Überhaupt wusste sie nicht, ob sie Loves Angebot, mit ihnen zusammen zu tanzen, wahrnehmen sollte, weil die anderen schließlich schon geübt waren – mit Ausnahme von Setsuna, die laut Love erst vor zwei Wochen dem Team beigetreten war – und sie außerdem Angst hatte, sich vor ihrem Idol zu blamieren. Doch bei den anderen angekommen, merkte sie schnell, wie einfach es war, sich mit Miyuki – und natürlich auch mit Loves Freundinnen Inori, Miki und Setsuna – zu unterhalten, daher war sie sich nun doch recht sicher, dass sie beim Tanzen nicht allzu nervös sein würde. Außerdem würden sie es ihr ja wohl auch nicht übelnehmen, wenn sie einen Fehler machte, es war ja schließlich das erste Mal für sie. Der Tag verlief so perfekt, dass Miyako nachher das Gefühl hatte, dass es nichts weiter als ein Traum gewesen war: Die Sonne hatte den ganzen Tag geschienen, war aber häufig von ein paar Wolken verdeckt gewesen, sodass die Hitze zu ertragen war. Sie hatte bei einer Tanzstunde mit einem ihrer Lieblingsstars und vier unglaublich netten Mädchen mitmachen dürfen. Zusammen mit den Vieren hatte sie die leckersten Donuts ihres ganzen Lebens gegessen, begleitet von den amüsanten Kommentaren des Donut-Verkäufers, der anscheinend auch zum Freundeskreis der Mädchen gehörte. Danach war sie mit Love durch die Stadt geschlendert, hatte sich im einen oder anderen Geschäft umgesehen und am Nachmittag hatten sie noch ein Picknick auf einer Rasenfläche nahe des Zentrums gemacht. „Das war sooo ein toller Tag, ich will gar nicht mehr von hier weg!“, schwärmte Miyako daher am Abend, als sie mit Love zu deren Haus zurückkehrte. Love stimmte ihr zu. „Glaubst du, du darfst noch ein paar Tage länger bleiben? Meine Eltern sind noch eine Woche weg, das wäre also kein Problem. Und Setsuna wollte ja auch noch eine Nacht bei Miki bleiben.“ „Ich rufe gleich zu Hause an und frag nach! Ich bin so selten weg, dass sie einfach ja sagen müssen! Und sonst bleib ich eben so hier.“ Ihre Stimme klang so trotzig, dass es Love zum Lachen brachte. „Genau, und wenn sie dich von hier wegholen wollen, brennen wir eben zusammen durch!“ „Das machen wir!“, rief Miyako mit leuchtenden Augen und nahm Loves Hände in die ihren. „So schnell kann uns keiner mehr trennen!“ Bis über beide Ohren grinsend betraten die beiden Mädchen das Haus und Tarte, der in der Küche stand, weil er scheinbar versucht hatte, etwas zu essen zu machen, warf ihnen nur einen schrägen Blick zu. Er wusste zwar, dass Love eine durch und durch fröhliche Person war, aber dennoch war er sich nicht sicher, ob er sie jemals so fröhlich gesehen hatte. Als der Tag sich langsam zum Ende neigte, dachten die beiden Mädchen noch längst nicht ans Schlafengehen: Sie hatten sich von Miki den Film ausgeliehen, den diese am Vorabend mit Setsuna gesehen hatte, da sie beide restlos davon begeistert waren und gar nicht aufhörten, davon zu reden, bis Love fragte, ob sie ihn nicht auch gucken könnte. „Titanic...“, murmelte Miyako, während sie die kurze Zusammenfassung auf der Rückseite der DVD-Hülle überflog. „Ich hab schon tausendmal was von dem Film gehört, aber gesehen hab ich ihn noch nie.“ Love, die gerade nach der Fernbedienung für den DVD-Player suchte, pflichtete ihr bei: „Genauso geht es mir!“ Nach ein paar Sekunden begannen sie beide gleichzeitig zu lachen. Miyakos Körper wurde von so starken Lachanfällen geschüttelt, dass sie vom Sofa rollte und auf den Teppich fiel, was das Gelächter der beiden nur noch lauter werden ließ. Wäre einer von ihnen in diesem Moment in der Lage dazu gewesen, irgendeinen klaren Gedanken zu fassen, hätten sie sich wohl gefragt, wann und mit wem sie das letzte Mal so sehr gelacht hatten. „Sag mal“, fragte Love, als sie sich einigermaßen wieder gefangen hatte, „gibt es eigentlich irgendetwas, in dem wir uns unterscheiden?“ „Anscheinend ja nicht“, kicherte Miyako. „Wahrscheinlich bist du mein Klon und die haben nur dein Aussehen verändert, damit es nicht so offensichtlich ist.“ Mit gespielter Empörung verschränkte Love die Arme. „Warum soll ich der Klon sein? Wer sagt denn, dass nicht du nur eine Kopie von mir bist?“ „Ich und Kopie? Ich bin ein echtes Original!“, rief Miyako grinsend und sprang auf Love zu, um sie zu Boden zu ringen. Eine Weile rollten sie so auf dem Teppich herum, mal gewann die eine, mal die andere die Überhand, doch schließlich mussten sie wieder so sehr lachen, dass sie letztendlich nebeneinander auf dem Boden lagen und sich eingestehen mussten, dass sie trotz all ihrer Gemeinsamkeiten auf jeden Fall beide absolut unabhängig waren. „Wollen wir jetzt mal mit dem Film anfangen?“, fragte Miyako irgendwann. Love stimmte ihr zu und sprang auf, um die DVD zu starten. Seufzend starrte Miyako auf den Bildschirm, auf dem sich gerade Jack und Rose, die Protagonisten des Films, glücklich in den Armen lagen und zu ihrem ersten Kuss ansetzten. Love, die bis dahin wie gebannt das Geschehen verfolgt hatte, sah ihre Freundin nun überrascht von der Seite an. Wie sie an ihrem Gesichtsausdruck gut erkennen konnte, war es kein glücklicher Seufzer gewesen. „Was ist los?“, fragte die Blonde. Miyako, die ihre Blicke noch gar nicht bemerkt hatte, zuckte leicht zusammen und sah dann zu Boden. „Es ist irgendwie gemein, dass in den Liebesfilmen immer alles so einfach ist. Egal, wie schwierig alles am Anfang zu sein scheint, am Ende kommen doch immer die zusammen, die sich lieben.“ Love nahm vorsichtig ihre Hand und murmelte: „Irgendwie hast du recht... Im echten Leben ist mir auch noch nie jemand begegnet, von dem ich einfach sagen konnte, dass er mein Traummann ist. Und selbst wenn dem so wäre, hätte er mich bestimmt nicht einmal wirklich bemerkt.“ Miyako nickte. „Geht mir genauso. Ich war zwar schon mal verliebt und vielleicht bin ich es ja sogar immer noch, aber irgendwie ist das nicht so, wie in den Filmen. Nur so ein bisschen Herzklopfen und so, aber das kann doch noch nicht die große Liebe sein!“ „Ich war noch nicht mal ein bisschen verliebt... Natürlich hab ich mal für den einen oder anderen Jungen geschwärmt, aber so richtig... Dabei bin ich doch schon vierzehn! Manche Mädchen aus meiner Klasse haben sogar schon einen Freund!“ Wieder stimmte Miyako ihr zu. „Ist bei mir nicht anders. Eine Freundin von mir ist auch mit einem anderen von uns Digirittern zusammen und manchmal wird man einfach nur eifersüchtig, wenn man das sieht.“ Die beiden Mädchen stießen synchron einen tiefen Seufzer aus. „Glaubst du“, wollte Love wissen, „dass es so etwas wie einen perfekten Partner gibt und dass wir diesem irgendwann begegnen werden?“ Nachdenklich blickte Miyako sie an. Es dauerte eine Weile, bis sie antwortete: „Ich glaube nicht, dass es so jemanden gibt... Aber es muss ja schon jemanden geben, der wirklich gut zu einem passt und ich hoffe mal, dass man den auch erkennt, wenn man ihn sieht...“ „Oh ja, das hoffe ich auch...“, murmelte Love. Dann starrten sie wieder stumm auf den Fernseher, ohne jedoch wirklich auf das zu achten, was dort geschah. Sie beide waren viel zu beschäftigt damit, über die Frage nach einem Traummann nachzudenken und darüber, ob sie ihm vielleicht sogar schon begegnet waren. Miyako sah Kens Gesicht vor sich und fragte sich, ob er ihr vielleicht doch etwas mehr bedeutete, als sie sich eingestehen wollte. Doch sie kannte ihn nun seit fast zwei Jahren und es hatte sie nie besonders gestört, dass sie nur Freunde waren. Und so konnte doch die große Liebe, von der immer alle sprachen, nicht aussehen, oder? Vor Loves innerem Auge reihten sich alle möglichen Jungen auf, die sie kannte – hauptsächlich die aus ihrer Klasse – aber bei keinem von ihnen konnte sie sich vorstellen, mit ihm zusammen zu sein... Aber wo sollte sie denn dem Mann ihrer Träume begegnen, wenn nicht in der Schule? Die einzige andere Möglichkeit wäre, ihm auf der Straße zu begegnen, und sie war sich sicher, dass das nicht besonders wahrscheinlich war. Das Ende des Films ließ die beiden noch ein wenig nervöser werden, was all diese Fragen anging. Das Liebespaar wurde durch den Tod von Jack auf grausamste Weise auseinander gerissen, auch wenn sie in ihrer kurzen gemeinsamen Zeit so glücklich gewesen waren... „Selbst, wenn man seinem Traummann begegnet, gibt es keine Garantie, dass man für immer und ewig glücklich ist...“, fasste Miyako zusammen, während der Abspann über den Bildschirm lief. Einen Moment schwieg Love, doch dann ballte sie die Hände zu Fäusten. „Wir müssen einfach hoffen, dass uns das nicht passiert! Wir werden schon irgendwie glücklich!!“ Als Miyako Loves Grinsen sah, konnte sie nicht anders, als sich von ihrem Optimismus anstecken zu lassen. „Du hast recht!“, rief sie und ergriff Loves Hände. „Wir beide finden unseren Traummann und werden noch glücklicher als jeder Filmcharakter!“ Entschlossen stimmte Love ihr zu. Schon am nächsten Tag bekam Miyako die Gelegenheit, zu sehen, dass Love ihrem Traummann schon begegnet war – oder zumindest dem Jungen, der allzu gerne in ihren Träumen auftauchen würde. Wie schon am vorigen Tag trafen sich die fünf Mädchen an diesem Tag wieder am Donutstand im Stadtpark, wo der Verkäufer sie schon herzlich begrüßte. Miyako hatte den schrägen Vogel, der von allen nur Kaoru-chan genannt wurde, jetzt schon lieb gewonnen, auch wenn sie manchmal nicht so sicher war, ob er nun erst war oder einen Scherz machte. Während sie alle vor ihrer kostenlosen Tüte Donuts saßen – Miyako fragte sich, ob Kaoru so überhaupt Geld einnehmen konnte – und sich über dies und jenes unterhielten, stießen nach einiger Zeit drei Jungen in ihrem Alter zu ihnen, die sie zu kennen schienen. Love stellte sie Miyako als Daisuke, Kento und Yuuki vor. Ersterer winkte ihr freudig zu, die anderen beiden lächelten nur freundlich. Kurz darauf saßen sie alle zusammen um einen der kleinen Tische, die vor dem Donutstand aufgebaut waren. Miyako bemerkte sofort, dass Daisukes Blicke ständig zu Love, die ihm schräg gegenüber saß, hinüberwanderten, dass er die ganze Zeit versuchte, eine Unterhaltung mit ihr anzufangen – von den anderen jedoch fast immer unwillentlich unterbrochen wurde – und dass er ziemlich nervös wurde, sobald Love ihn nur ansah. Doch komischerweise schien die Lilahaarige die einzige zu sein, die diese in ihren Augen völlig offensichtlichen Hinweise auf seine Gefühle wahrnahm; zumindest schenkten die anderen ihm, wenn er wiedermal aus dem Konzept geraten war, nicht den geringsten misstrauischen Blick. Eine Weile lang beobachtete Miyako auch Love und sah, dass diese sich zwar allen Jungen gegenüber sehr freundlich verhielt, doch dass auch für sie Daisuke etwas Besonderes sein musste, denn sie sprach ihn öfter an als die anderen, wenn auch häufig in der Absicht, ihn wegen irgendetwas zu piesacken. Was sich liebt, das neckt sich, dachte Miyako an den alten Spruch und konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Wenn ihr Plan aufging, wären die beiden bald endlich das Paar, das sie bestimmt schon seit einiger Zeit zu sein wünschten... Wie sie es erwartet hatte, verlief alles wie geplant: Miyako gab Miyuki, die, wie sie im Gespräch mit den anderen erfahren hatte, Daisukes Schwester war, einen Brief an ihren Bruder mit, dem sie sagen sollte, dass er von Love sei. Darin stand, dass sie sich sehr gerne mit ihm treffen wolle, mit dem Zusatz, dass er den Brief ihr gegenüber nicht erwähnen solle, weil es ihr peinlich sei – so wollte Miyako vermeiden, dass die beiden erfuhren, dass etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Love bekam einen ähnlichen Brief von Miyuki, die Miyako in ihren Plan hatte einweihen müssen. Noch am gleichen Tag erhielt Love einen Anruf von Daisuke. Sie redeten nur ein paar Minuten miteinander und verabredeten sich für den nächsten Tag im Freizeitpark. Miyako beobachtete Love während des Telefonats heimlich durch die einen Spaltbreit geöffnete Zimmertür. Es war verblüffend, wie zögerlich und zurückhaltend Love auf einmal sprach, wo sie doch sonst so eine durch und durch offene Persönlichkeit war, und auch der deutliche rote Schimmer auf ihren Wangen blieb Miyako natürlich nicht verborgen. Als Love in ihr Zimmer zurückkam, lächelte sie Miyako an, als sei nichts gewesen. Doch diese ließ sich nicht hinters Licht führen und fragte gleich: „Was hat er gesagt?“ Love grinste verlegen. „Wir treffen uns morgen im Freizeitpark.“ Miyako war fast ein wenig enttäuscht. „Und sonst?“ „Er hat gesagt, dass er sich schon ganz doll freut...“, murmelte Love so leise, dass die andere es kaum verstehen konnte. Miyako grinste breit und sagte: „Na also, da hast du doch deinen Traumprinzen.“ Das machte Love noch verlegener und sie wusste überhaupt nicht mehr so recht, was sie sagen sollte, sodass sie es nach einigem Herumgestammel einfach bleiben ließ. Der Abend wurde natürlich dazu genutzt, Spekulationen darüber anzustellen, was wohl am nächsten Tag passieren würde. Miyako war fest davon überzeugt, dass Daisuke Love bitten würde, seine Freundin zu werden. Vielleicht würde er sie sogar küssen! Love hingegen meinte, vielleicht wolle er ja einfach nur als guter Freund einen Tag mit ihr verbringen, oder es gebe irgendetwas anderes Wichtiges, über das er unbedingt mit ihr sprechen wollte. Nachdem das Gespräch verstummt war, hingen die beiden Mädchen ihren eigenen Gedanken nach. Loves Gesichtsfarbe konnte sich überhaupt nicht mehr normalisieren, da ihr lauter Dinge in den Sinn kamen, die sich vielleicht ereignen konnten. Sie hatte ein wenig Angst davor, in eine Situation zu kommen, in der sie nicht wusste, wie sie reagieren sollte... Sollte sie ja sagen, wenn er tatsächlich mit ihr zusammen sein wollte? Einerseits fielen ihr keine Argumente ein, die dagegen sprachen, doch andererseits war sie sich auch überhaupt nicht sicher, ob er der Richtige für sie war. Und der Gedanke daran, dass er sie möglicherweise küssen wollen würde, brachte sie so sehr durcheinander, dass sie überhaupt keine rationalen Gedanken dazu fassen konnte. Sie hatte doch noch nie jemanden geküsst! Miyako dagegen hatte mit einem ganz anderen Problem zu kämpfen: Bei dem Gedanken an das, was wohl am nächsten Tag zwischen Love und Daisuke geschehen würde, verspürte sie ein seltsames Gefühl, das sie nicht so genau zuordnen konnte. Eigentlich hatte sie gedacht, dass sie sich für die beiden freuen würde, weil sie wirklich ziemlich gut zusammenpassten und sich offensichtlich auch sehr gut verstanden. Aber irgendwie schien dieses Gefühl ihr sagen zu wollen, dass die Beziehung der beiden doch nicht so ganz das war, was sie wollte. Oder war es einfach nur ein Anflug von Eifersucht, weil Love nun bald einen Jungen an ihrer Seite hatte, während sie noch immer alleine war...? Als Love also am nächsten Abend von ihrem Date wiederkam, empfing Miyako sie mit gemischten Gefühlen. Ein Teil von ihr hoffte, dass Loves Vermutungen zutrafen und Daisuke wirklich nicht die Absicht hatte, mit ihr zusammen zu kommen. Doch diese Hoffnung wurde sogleich zunichte gemacht, als Love rief: „Er hat mich tatsächlich gefragt!“ Sie sprang Miyako um den Hals und diese konnte nicht anders, als ebenso aus dem Häuschen zu geraten wie ihre Freundin. „Ich wusste es! Ich hab’s dir doch gesagt!!“ Nachdem sie eine Weile quietschend durch die Wohnung gerannt waren, ließen sie sich schließlich auf dem Sofa nieder, wo Miyako Love erwartungsvoll ansah. „Nun erzähl schon!“ Poromon und Tarte, die bis zu dem Zeitpunkt gemeinsam vor dem Fernseher gesessen und sich unterhalten hatten, schüttelten nur die Köpfe und zogen sich in Setsunas Zimmer zurück. Dort hatten sie ihre Ruhe, da Setsuna diese Nacht bei Inori verbringen würde. „Also, so süß hab ich ihn ja noch nie erlebt“, begann Love, den obligatorischen roten Schimmer wieder auf den Wangen. „Als wir oben im Riesenrad saßen, hat er auf einmal davon angefangen, dass er mich ja schon immer süß fand, sich aber nicht so sicher war, was ich von ihm hielt... Na ja, und irgendwas hat ihn dann wohl doch davon überzeugt, dass ich ihn auch mag. Dann hat er ’ne supersüße Kette aus seiner Hosentasche geholt – hier schau mal!“ Sie zog eine Kette mit einem kleinen silbernen Herzanhänger hervor, auf dem in verschlungenen Buchstaben ,Love’ geschrieben stand. „Na ja, und dann hat er gesagt, dass das, was darauf steht, seinen Gefühlen für mich entspricht und sie mir geschenkt. Und bevor ich dann überhaupt was sagen konnte – ich wusste ja überhaupt nicht, was ich dazu sagen sollte! – hat er auch schon gefragt, ob ich nicht seine Freundin sein möchte und ich hab sofort ja gesagt, ohne drüber nachzudenken!“ „Bereust du es etwa?“, fragte Miyako. Love schüttelte heftig den Kopf und ließ ihre Zöpfe hin- und herfliegen. Aber ihr übermäßig glücklicher Gesichtsausdruck, der so aussah, als würde sie all die positiven Gefühle kaum zurückhalten können, war es, der Miyako schließlich komplett davon überzeugte, dass dies die Wahrheit war. Und obwohl es ihr Ziel gewesen war, sie glücklich zu machen und ihr den Traummann zu zeigen, auf den sie gewartet hatte, kam es ihr auf einmal so vor, als hätte sie einen Fehler begangen. Sie war sich fast sicher, dass ihr Ziel eigentlich ein anderes hätte sein sollen, aber sie konnte absolut nicht sagen, wie dieses hätte lauten müsste. Und nun war es sowieso zu spät, denn sie hatte niemals eine glücklichere Person gesehen als Love in diesem Augenblick, und es war fraglich, ob sie wünschte, an der augenblicklichen Situation irgendetwas zu ändern. Die nächsten paar Tage verliefen alle nach dem gleichen Muster: Love verabredete sich mit Daisuke und bat Miyako, mitzukommen, weil sie sie nicht so alleine lassen wollte. Doch natürlich lehnte diese immer ab und traf sich lieber mit Miki, Inori und Setsuna, um diese näher kennenzulernen oder ließ sich von Tarte ein wenig die Umgebung zeigte. Abends, wenn Love zurückkam und sie zusammen in ihrem Zimmer lagen, inzwischen auch öfter mal mit Setsunas Gesellschaft, erzählte die frisch Verliebte dann haarklein all das, was sich zwischen ihr und Daisuke ereignet hatte, und bemerkte dabei gar nicht, wie schweigsam Miyako jedes Mal wurde. So langsam nervte es sie ein wenig, wie unglaublich glücklich Love war. Es wäre besser gewesen, wenn sie die Sache mit Daisuke einfach sein gelassen hätte. Dann hätte sie Love jetzt wenigstens für sich alleine. Dieser Gedanke ließ sie selbst ein wenig zusammenzucken. Es sah sie aus, als hätte sie herausgefunden, was genau sie an der Beziehung von Love und Daisuke störte: es war nicht etwa Eifersucht auf Loves Glück, sondern vielmehr Eifersucht auf Daisuke, weil er so viel Zeit mit der Freundin verbringen durfte, die sie in den wenigen Tagen, die sie mit ihr hatte verbringen dürfen, so lieb gewonnen hatte. Doch auch Love selbst war nicht so glücklich, wie es den Anschein machte. Zwar fand sie es wirklich toll, endlich all diese Erfahrungen machen zu können, auf die sie so lange gewartet hatte und hatte auch eine Menge Spaß mit Daisuke, aber irgendwie entsprach es trotzdem nicht dem, was sie sich unter der großen Liebe vorgestellt hatte. Sie mochte Daisuke wirklich, aber... Schmetterlinge im Bauch? Rosarote Brille? Davon war ihr irgendwie noch nichts aufgefallen. Daher beschloss sie, den nächsten Tag zu einem Tag der Entscheidung zu machen. Vielleicht brauchten ihre Gefühle ja auch nur einen Auslöser, um sich in voller Pracht entfalten zu können. „Daisuke...?“, fragte Love vorsichtig. Die beiden saßen Hand in Hand auf einer Bank in einer der Grünanlagen von Yotsuba Town, wo sie sich eine ganze Weile über alles unterhalten hatten, was ihnen so in den Sinn kam. Sie waren nun eine Woche zusammen und alle, die an ihnen vorbeigingen, dachten bei sich, was für ein süßes Paar sie doch waren. „Ja?“, sagte Daisuke und sah sie besorgt an, da er den ernsten Ton in ihrer Stimme nicht überhört hatte. Love schwieg einen Moment und sah ihm in seine braunen Augen. Auf einmal war sie sich nicht mehr sicher, ob sie das tun konnte, was sie sich vorgenommen hatte. Bestimmt würde sie ihn damit verletzen, sie bedeutet ihm schließlich sehr viel. „Was ist?“, fragte er wieder und sah sie mit erhöhter Besorgnis an. Ich muss es tun!, sprach Love sich Mut zu, schluckte noch einmal und drückte dann ihre Lippen auf Daisukes. Er stieß einen überraschten Ton aus, wich aber nicht zurück. Es war Love, die den Kuss beendete. Nachdenklich legte sie sich die Finger auf die Lippen. Ohne auf ihren Freund zu achten, der sichtlich verwirrt neben ihr saß, schloss sie die Augen und horchte in ihren Bauch hinein. Keine Schmetterlinge, nicht ein einziger. Nur das unangenehme Gefühl, dass sie dabei war, einem Freund Schmerz zuzufügen. „Tut mir leid“, flüsterte sie und fühlte auch schon, wie die Tränen ihr die Wangen herunterliefen. Dabei hatte sie sich doch vorgenommen, das ganze mit Fassung abzuhandeln! Warum musste sie auch so nahe am Wasser gebaut sein? „Was ist los?“, fragte Daisuke sofort und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Ich – ich kann nicht mehr mit dir zusammensein“, schluchzte Love. Mit einer Mischung aus Schock und Unverständnis sah er sie an. „Aber... warum?“ Love musste mehrmals schlucken und sich darauf konzentrieren, so deutlich wie möglich zu sprechen, als sie sagte: „Du bedeutest mir wirklich sehr viel, Daisuke, aber dieser Kuss hat mir gezeigt, dass du eben nur ein Freund für mich bist. Ich – ich spüre nichts dabei. Tut mir leid, ich kann deine Gefühle nicht erwidern!“ Einen Moment lang sah sie in sein Gesicht, doch er sah nicht so aus, als würde er ihr bald antworten, außerdem hielt sie es nicht länger aus, die Trauer darin zu sehen, daher sprang sie auf und lief davon. Miki wohnte ganz in der Nähe, sie würde ihr bestimmt zuhören... Love war nicht die einzige, die an diesem Mittwochnachmittag von einer tiefen Erkenntnis getroffen wurde. Miyako war an diesem Tag zu Hause geblieben, weil sie keine Lust auf Gesellschaft hatte – was für sie schon ziemlich ungewöhnlich war. Tarte hatte sich auf die Suche nach Chiffon gemacht, die schon wieder verschwunden war, und so war sie mit Poromon allein in Loves Haus. So war sie gezwungen, endlich mal über all das nachzudenken, was sie in den vergangenen Tagen meist so erfolgreich verdrängt hatte: ihre Gefühle zu Love. Mit jedem Tag, den sie ohne sie verbringen musste, wuchs ihre Sehnsucht nach deren Gesellschaft. Noch nie war es ihr so mies gegangen, nur weil eine andere Person nicht an ihrer Seite war. Und für solche Gefühle gab es, wenn man all den Filmen und Büchern Glauben schenken konnte, nur eine einzige Erklärung. „Ich bin verliebt!!“, schrie Miyako, da sie es nicht aushielt, es noch länger in sich hineinzufressen. Poromon, das bis eben damit beschäftigt gewesen war, ein großes Sandwich in sich hineinzustopfen, zuckte zusammen und sah sie überrascht an. „In wen denn? In Ken? Vermisst du ihn so sehr?“ Love warf ihm einen bösen Blick zu. „Nein, nicht in Ken! In Love!“ Es tatsächlich auszusprechen, machte ihre Situation nicht besser, wie es doch immer hieß, sondern schien alles nur noch schlimmer zu machen. „Verdammt, was mach ich denn jetzt? Jetzt sag schon was, Poromon!“ Betreten blickte das Digimon sie an. „Ich weiß doch auch nichts über die Liebe...“, murmelte es schuldbewusst. „Ich werde dir immer beistehen, aber dabei kann ich dir wirklich nicht helfen.“ Als es sah, wie Miyako bei seinen Worten in Tränen ausbrach, beeilte es sich zu sagen: „Du kannst Sora anrufen! Sie hat ja bestimmt schon ein bisschen Erfahrung. Und sie trägt sicher auch nicht ohne Grund das Wappen der Liebe.“ „Soll ich wirklich?“, fragte Miyako mit großen Augen. „Bestimmt hasst sie mich dann, weil ich so abnormal bin.“ Poromon schüttelte den Kopf. „Das glaube ich nicht. Du kennst doch Sora. Sie würde niemanden hassen. Außerdem bist du doch nicht abnormal, nur weil du liebst! Wen kümmert es denn schon, wem deine Liebe gilt?“ „Danke, Poromon!“, seufzte Miyako und strich ihrem Partner dankbar über den Kopf. Dann stand sie vom Esstisch auf und lief zum Telefon, um gleich Poromons Tipp zu befolgen und ihre Digiritterkollegin anzurufen. „Sora?“, fragte sie leise, als diese sich meldete. „Hallo?“, erwiderte diese. „Hier ist Miyako...“ „Huch, Miyako! Was ist denn los?“ Die Lilahaarige musste hart schlucken bei dem Gedanken daran, dass ausgerechnet sie, die sich doch sonst immer so optimistisch gab und ständig gute Laune verbreitete, nun so bei ihrer Freundin angekrochen kam. „Ich hab ein Problem und ich weiß echt nicht, was ich tun soll...“ Sora, die sofort gemerkt hatte, dass Miyako den Tränen nahe war, begann, ihr ruhig zuzusprechen: „Atme erst mal tief durch. Und dann erzähl mir einfach alles, okay? Zusammen fällt uns bestimmt was ein.“ „Okay“, schniefte Miyako, die angesichts der Freundlichkeit ihrer Freundin nun tatsächlich schon feuchte Augen bekam. Sie schämte sich furchtbar dafür, auch wenn sie niemand sah, doch sie fühlte sich einfach so schlecht, dass sie gar nichts dagegen tun konnte. Dennoch gelang es ihr irgendwie – in Gedanken immer wieder Poromons Worte wiederholend – Sora langsam und stockend zu erzählen, was seit dem Trinity-Konzert geschehen war und wie sich ihre Gefühle seitdem verändert hatten. Als sie geendet hatte und Sora einen Moment schwieg, hätte sie fast einfach aufgelegt, doch glücklicherweise sagte ihre Freundin dann doch: „Das ist doch gar nicht schlimm.“ „Meinst du?“, fragte Miyako zweifelnd, doch sie spürte, wie mit einem Mal die Wärme in ihren Körper zurückkehrte. Jetzt gab es ja schonmal zwei Personen, die sie nicht abstoßend fanden... „Aber ja!“, bekräftigte Sora. „Jeder verliebt sich doch mal und du bist ja jetzt vierzehn, da ist das doch völlig normal.“ „Schon, aber Love ist doch ein Mädchen! Das ist doch was ganz anderes!“ „Findest du?“, fragte Sora nach. Miyako schwieg und das war ihr Antwort genug. „Man kann doch wohl mögen, wen man will. Und wenn es bei dir eben ein Mädchen ist, dann ist das eben so. Das heißt ja nicht, dass du völlig abnormal bist oder ab jetzt nie wieder einen Jungen lieben darfst. So etwas passiert nun mal, genauso wie es passiert, dass jemand anderes sich in einen Jungen verliebt.“ Miyako zögerte einen Augenblick, dann wandte sie ein: „Aber was ist, wenn das Mädchen, das ich... liebe, nun gerade mit einem Jungen zusammen ist und das auch noch meine Schuld ist?“ „Das macht es vielleicht etwas schwieriger, aber so genau kann ich das von hier natürlich nicht beurteilen. Vielleicht liebt sie ihn ja gar nicht so sehr? Oder vielleicht ist es für dich ja auch in Ordnung, wenn ihr nur Freunde seid, sie aber einfach ein bisschen mehr Zeit mit dir verbringt? Das klingt zwar hart, aber... irgendwann musst du ja wahrscheinlich eh wieder nach Hause zurück, vielleicht... ist es dann sogar besser so.“ „Ja, vielleicht“, stimmte Miyako niedergeschlagen zu. „Ich sollte einfach aufgeben.“ Wieder wollte sie auflegen, doch ein entschiedenes „Nein!!“ von Sora hielt sie davon ab. „Warum nicht?“ „Wie kannst du sowas sagen? Ich dachte, du liebst sie? Willst du denn nicht wenigstens mit ihr darüber reden? Du kannst doch nicht einfach so das Feld räumen, bist du sonst nicht auch immer so wild entschlossen?“ Miyako schwieg einen Moment. Im Prinzip hatte Sora ja recht. Egal, um was es ging, sie war immer sofort Feuer und Flamme, stürzte sich in jedes Abenteuer und ließ dabei auch manchmal ihre eigene Sicherheit außer Acht. Aber irgendwie war bei Love alles anders... „Ich will nicht, dass sie mich hasst. Bestimmt würde sie mich rausschmeißen und ich würde sie nie wieder sehen, wenn ich es ihr erzähle. Also lass ich es lieber, so kann ich wenigstens ab und zu mal mit ihr reden.“ Sora seufzte. „Die Liebe ist wirklich eine komplizierte Sache. Aber wenn sie dir wirklich so viel bedeutet, dann solltest du das Risiko eingehen, denn meistens bereut man es viel mehr, etwas nicht getan zu haben, als wenn man es tatsächlich getan hat. Und außerdem glaube ich nicht, dass jemand, der dir so viel bedeutet, so ein fieser Mensch sein könnte. Sagtest du nicht sogar, sie sei dir so ähnlich? Kein Mädchen, das dir auch nur ein kleines bisschen ähnlich ist, könnte eine Freundin so behandeln. Wenn ihr darüber sprecht, findet ihr sicher eine Lösung, mit der ihr beide zufrieden seid!“ Miyako biss sich auf die Lippen, denn sie musste zugeben, dass Sora recht hatte. Sie konnte sich tatsächlich nicht vorstellen, dass Love sie eiskalt abservieren würde... „Danke, Sora“, murmelte Miyako, darum bemüht, so optimistisch wie möglich zu klingen – was ihr allerdings nicht so recht gelang. Bevor ihre Freundin noch Rückfragen stellen konnte, legte sie schnell auf. Bei Miki zu Hause stand Love gerade auf, um sich von ihrer Freundin zu verabschieden. Sie hatte ihr von all dem erzählt, was geschehen war und so langsam hatte sich ihr Herz, das die ganze Zeit nicht so recht gewusst hatte, ob es schmerzen oder sich freuen sollte, wieder beruhigt. Zwar bereitete ihr der Gedanke an das, was sie Daisuke angetan hatte, immer noch Unbehagen, doch hatte Miki sie wenigstens davon überzeugen können, dass er darüber hinwegkommen würde und dass es besser war, als die Beziehung fortzuführen, wenn sie ihn gar nicht liebte. „Bis morgen“, verabschiedete Miki Love mit einem Klopfen auf die Schulter. „Falls du die Tanzstunde morgen sausen lässt, würde ich das verstehen, wir können dann ja danach ein paar Donuts zusammen essen.“ „Ich komme immer zum Tanzen, das müsstest du inzwischen wissen“, erwiderte Love mit einem Grinsen, das beinahe schon wieder überzeugend war. Miki lächelte ebenfalls, erleichtert, dass sie ihrer Freundin hatte helfen können. „Grüß Miyako und Poromon von mir!“ „Mach ich! Bis morgen!“ Loves Laune sank allerdings wieder, sobald sie durch die um diese Zeit recht belebte Einkaufsstraße schlenderte, denn sie musste daran denken, wie sie Daisuke bei ihrem zweiten Date von Laden zu Laden gezogen hatte und wie er angeboten hatte, ihr zu kaufen, was auch immer sie wollte. Sie konnte nicht leugnen, dass er einer die liebsten Jungen war, die sie je gekannt hatte. Aber man konnte sich eben nicht aussuchen, in wen man sich verlieben wollte, es geschah einfach. Oder eben nicht. So schnell konnte er platzen, der Traum vom perfekten Mann. Es war so einfach, wie mit einer Nadel in einen Luftballon zu stechen, nur dass dies meist vorsätzlich geschah. Ihren Traum hingegen hätte Love gerne noch länger aufrecht erhalten. „Huch?“ Die Überraschung war beiden Mädchen anzusehen, als sie sich auf einmal vor Loves Haustür gegenüber standen. Miyako hatte all ihre Sachen in ihren großen Rucksack gepackt und sich Poromon unter den Arm geklemmt, doch eine endgültige Entscheidung darüber, ob sie tatsächlich einfach abreisen wollte, hatte sie noch nicht treffen können. Und nun kam Love nach Hause, einen abwesenden, niedergeschlagenen Ausdruck im Gesicht, der gar nicht zu ihr passen wollte. „Was ist denn mit dir passiert?“, fragte Miyako sofort und kam noch ein paar Schritte auf ihre Freundin zu. „War etwas... mit Daisuke?“ „Und was ist mit dir?“, wich Love ihrer Frage aus. „Warum stehst du hier draußen?“ Miyako winkte ab. „Vergiss es, das kann ich dir nachher noch erzählen. Jetzt bist du erstmal dran. Du siehst furchtbar aus!“ Love musste schlucken, um nicht gleich loszuheulen und Miyako fragte sich, was für ein fürchterlicher Unglückstag sie beide eigentlich erwischt haben musste, denn so schlecht war es mit Sicherheit noch keiner von ihnen je gegangen. Nachdem die beiden sich auf dem Sofa niedergelassen hatten und Poromon aus dem Raum war, begann Love gleich zu erzählen: „Ich glaube, ich habe Daisuke total verletzt... Ich hab ihn geküsst und ihm dann gesagt, dass ich nicht mit ihm zusammen sein kann! Ich bin so blöd!“ „Langsam, langsam!“, forderte Miyako sie auf. „Warum hast du ihn geküsst?“ „Ich wollte wissen, ob dann endlich die Schmetterlinge im Bauch auftauchen, aber das sind sie nicht! Es war, als hätte ich meinen Bruder geküsst oder so!“ Betroffen sah Miyako sie an. „Also hast du ihn gar nicht geliebt?“ „Nein!“, heulte Love. „Aber woher soll ich das denn auch vorher wissen?“ „Die Liebe ist einfach zu kompliziert...“, murmelte Miyako. „Man weiß nie so recht, woran man ist...“ Love sah sie fragend an. „War bei dir auch was? Warum wolltest du vorhin weg?“ Einen Moment lang war Miyako versucht, einfach alles abzustreiten, so zu tun, als wäre nichts gewesen, den leichten Weg zu wählen. Doch im Grunde hatte Sora ja recht gehabt: sie stürzte sich immer kopflos in alle Abenteuer, da konnte sie hier doch nicht einfach kneifen! „Es gab da gefühlsmäßig etwas... worüber ich mir nicht so ganz sicher war und ich wusste nicht, was ich tun sollte...“ „Irgendein Freund von dir in Tokio?“, fragte Love und es war ihrem tränenverschmierten Gesicht anzusehen, wie sehr sie dieser Gedanke betrübte. Miyako schüttelte den Kopf. „Es ist wegen dir, Love, ich glaube, ich habe mich in dich verliebt!“ Nun war es endlich raus. Doch Miyakos ganzer Mut erlosch sofort wieder, als sie Loves geschocktes Gesicht sah, und sie konnte nicht anders, als ihren Tränen nun auch freien Lauf zu lassen. Schluchzend brachte sie hervor: „Wir haben uns auf Anhieb so gut verstanden, ich hab noch nie jemanden wie dich getroffen und ich hab mich erst so gefreut, dich glücklich mit Daisuke zu sehen. Aber die letzten Tage war ich so einsam, ich hab es kaum noch ausgehalten und ich glaub es kann kaum noch etwas anderes sein als Liebe! Dabei bist du doch auch ein Mädchen! Warum muss ausgerechnet ich so abnormal sein?“ Als Love die Tränen ihrer Freundin sah, löste sich mit einem Mal der Schockzustand, in dem sie sich befunden hatte und ihr Problem mit Daisuke wurde komplett in den Hintergrund gedrängt, beziehungsweise wurde etwas anderes so weit vorgeschoben, dass alles andere an Bedeutung verlor. Einen Versuch wäre es wert, dachte sie noch, dann hatte sie schon zu ihrem zweiten Kuss an diesem Tag angesetzt, nur dass dieser in ihrem gesamten Körper so ein Feuerwerk an Gefühlen auslöste, dass sie den ersten ganz einfach aus ihrem Gedächtnis löschte und dieser sich als der erste richtige Kuss in ihre Erinnerung einbrannte. Bei Miyako war es noch viel mehr als ein Feuerwerk; in jeder einzelnen Zelle spürte sie das Feuer lodern, jedes Härchen an ihrem Körper vibrierte und ihr Herz hatte nichts mehr gemein mit dem zerbröckelten, schweren Klotz, den sie bis eben noch mit sich herumgetragen hatte. Sie fühlte sich wie neugeboren, als Love sich ein paar Zentimeter zurückzog, sie aus ihren tiefen magentafarbenen Augen ansah und mit einem schelmischen Lächeln sagte: „Sieht so aus, als wäre Daisuke eindeutig aus dem Rennen.“ Mit einem Mal musste Miyako grinsen, konnte gar nicht mehr damit aufhören und explodierte schließlich vor lachen, da sie all die Gefühle, die Love so plötzlich in ihren Körper eingeschleust hatte, gar nicht kontrollieren konnte. Love fiel ihr um den Hals und drückte sich an sie, ebenfalls kurz vor einem Lachanfall. „Wir beide können auch nicht mal ein paar Minuten ernst bleiben, oder?“, kicherte sie. „Warum denn auch?“, meinte Miyako schulterzuckend. „So sind wir eben.“ Kapitel 49: Amon und Soular - Der Weg eines Königs -------------------------------------------------- Von Es ist wieder mal Zeit für eine Chiisana Love-Story! Es kann sein, dass die beiden Charaktere, die wir uns diesmal ausgesucht haben, nur recht wenigen Lesern bekannt sind. Na gut, Yu-Gi-Oh! GX lief im deutschen Fersehen und vielleicht kennt ihr Amon ja als Adrian Geckoh, aber die sechste Staffel von Pretty Cure, Fresh Precure!, wird es hier wohl auf längere Sicht nicht geben. Aber auch, wenn ihr die Figuren so nicht kennt, werdet ihr schnell in diese Fantasy-Geschichte hineinfinden, denke ich. Viel Spaß beim Lesen! Der Weg eines Königs Über das Meer aus Sand hinweg konnte Soular die Silhouette bereits sehen, bevor auch nur der geringste Laut an seine Ohren drang. Irgendwas kam auf ihn zu, und es war mindestens dreimal so groß wie er. Erst, als er sein Flugtier, ein breit gebautes Vogelwesen mit blauem Gefieder und scharfen Krallen an den Flügelenden, im Sand hatte landen lassen und ein wenig abgewartet hatte, drang langsam auch das dumpfe Stampfen zu ihm herüber, das in regelmäßigen Abständen erklang. Soular verlagerte seinen Stand ein wenig. Wenn er genau hinsah, konnte er die Sandkörner zu seinen Füßen zittern sehen. Je näher das Wesen ihm kam, umso stärker wurden die Erschütterungen, die er mit jedem Schritt zu spüren bekam. Sein Flugtier krächzte unruhig. Langsam konnte Soular auch vor dem schon in ein blasses Violett getauchten Abendhimmel besser erkennen, mit was er es zu tun hatte: Die Gestalt ähnelte von den Proportionen her einem – wenngleich sehr großen und muskulösen – Menschen. Seine Haut jedoch sah aus wie aus braunem Sandstein und das viel zu kleine Gesicht war eine grausame Fratze mit rot glühenden Augen. Nun konnte er auch erkennen, dass das Wesen nicht ganz allein war. Auf seiner rechten Schulter saß ein Mensch mit flammend rotem Haar, der in einen zerschlissenen dunkelgrünen Umhang gehüllt war. Auf seiner Nase saß eine Brille, die gegen die untergehende Sonne so stark spiegelte, dass seine Augen nicht zu erkennen waren. Dennoch wusste Soular instinktiv, dass der Fremde ihn von oben eingehend musterte. Schließlich bedeutete dieser dem Wesen mit einer Handbewegung stehen zu bleiben und ließ sich auf dessen riesiger Hand Soular gegenüber absetzen. Dort verharrte er einen Moment. Soular machte einen Schritt vorwärts, sodass sein Schatten gerade bis zu dem Fußspitzen seines Gegenübers reichte, und blieb dort ebenfalls stehen. Er nutzte die Pause, um den Fremden eingehend zu betrachten. Er war nicht wirklich hübsch mit seinen ungewöhnlich großen Ohren, der leichten Hakennase und dem ein wenig zu nah darunter sitzenden, schmalen Mund, doch seine Augen funkelten hinter den Brillengläsern scharfsinnig. Trotz der Sehhilfe hatte Soular nicht den Eindruck, einen Bücherwurm vor sich zu haben, im Gegenteil war der Arm des Fremden, der unter seinem halb zurückgeschlagenen Umhang hervorschaute, sehr muskulös. Abgesehen von dem Umhang trug er ein braunes Wams, das mit einem breiten Gürtel zusammengehalten wurde, eine sandfarbene Hose und eng geschnittene Lederstiefel. „Du bist Amon Garam“, stellte Soular schließlich abschätzend fest. Wenn das sein Gegenüber überraschte, so ließ er es sich zumindest nicht anmerken. Nur seine Augen weiteten sich ein wenig, aber das konnte ebenso eine ungünstige Reflexion in seinen Brillengläsern gewesen sein. „Wie ich sehe, kennst du mich besser als ich dich. Dürfte ich erfahren, mit wem ich es zu tun habe?“, fragte er überaus freundlich. Soular hob eine Augenbraue. „Mein Name ist Soular. Ich bin Diener des ehrwürdigen Möbius.“ Amon nickte ruhig. „Von diesem Möbius habe ich noch nie gehört. Woher stammst du?“, fragte er. Mit so einer Frage hatte Soular bereits gerechnet. Amon Garam war eben nicht nur ein passabler Kämpfer, sondern auch ein scharfsinniger Spion. „Ich stamme aus einer Parallelwelt, die jedoch nicht mit dieser hier verbunden ist.“ Amon legte ein wenig die Stirn in Falten, stellte dann aber keine näheren Fragen mehr dazu, sondern eine neue: „Was tust du in dieser Welt?“ Soular lächelte ruhig: „Ich soll Yubel töten, bevor sie die zwölf Dimensionen vereint“, erklärte er kurz angebunden. Amon zuckte bei der Nennung dieses Namens zusammen, daher hakte Soular nach: „Du bist mit ihr verbündet, nicht wahr?“ Amon schüttelte leicht den Kopf. „Ich war mit ihr verbündet“, widersprach er, „deine Informationen sind offenbar veraltet. Um ehrlich zu sein, befinde ich mich gerade auf dem Weg zu ihr... mit derselben Absicht, wie du. Vielleicht sollten wir uns verbünden.“ Damit streckte er die rechte Hand aus. Soular kniff die Augen zusammen. „Du willst Yubel also auch tot sehen?“ Amon nickte. Soular zögerte nun nicht mehr und machte einen Schritt auf ihn zu. „Sehr schön.“ Er lächelte breit und gab Amon seine Hand. „Wir sind Verbündete, bis unser beider Ziel, Yubels Tod, erreicht ist“, verkündete er feierlich. „Das klingt fair. Wir werden uns gegenseitig helfen, wenn wir gegen sie kämpfen“, nickte Amon. Sie besiegelten das ganze durch einen kurzen Händedruck, dann winkte Amon seinem riesigen Begleiter zu, der ihn auf seine Hand treten ließ und ihn dann wieder auf seine Schulter hob. Soular schwang sich auf den Rücken seines Flugmonsters, das auf seinen Wink hin sofort vom Boden abhob und auf eine Höhe mit dem Kopf von Amons Monster ging. „Weißt du, wo Yubel sich aufhält?“, fragte er. Amon bejahte. „In diese Richtung, zumindest hatte ich mehrere Hinweise, dass sie nur dort hingegangen sein kann“, erklärte er und deutete in die Richtung, in der die Sonne in diesem Moment wie ein glühender Feuerball über der Ebene schwebte. Soular nickte und beide ließen ihre Monster sich in Bewegung setzen. Während sie sich im schwindenden Licht durch die Wüste auf ein am Horizont immer schärfer hervortretendes dunkles Etwas zubewegten, warf Amon immer wieder misstrauische Seitenblicke auf Soular, der mit verschränkten Armen auf der Halspartie seines Reittieres saß und zufrieden geradeaus schaute. Es gefiel Amon nicht, dass dieser Fremde scheinbar sehr viel mehr über ihn wusste als umgekehrt. Auch fragte sich Amon, wie genau die Macht Soulars funktionierte. Sein Reittier schien jedenfalls ein Archeonis – eines der Monster, die diese Welt bewohnten - zu sein, das irgendwie durch Magie gestärkt worden war. Es war größer, als das die Regel war und hatte schärfere Krallen, außerdem hatte es auf der Brust dasselbe Emblem, das Soular an seinem Gürtel trug. Ein normaler Zauber war das jedenfalls nicht. Soular selbst einzuschätzen, fiel ihm besonders schwer. Eigentlich wirkte er harmlos; sein Körperbau wirkte ebenso zierlich wie sein Gesicht. Dieses war so fein geschnitten mit der schmalen Nase, den unter dichten schwarzen Wimpern verborgenen, eisig grünen Augen und dem spitzen Kinn, dass Amon ihn auch für eine Frau hätte halten können, wenn er nicht bereits seine Stimme gehört hätte. Dennoch wirkt etwas an ihm gefährlich, obwohl Amon nicht wirklich wusste, was genau das war. Vielleicht der stechende Ausdruck in seinen Augen oder das selbstsichere Lächeln, das schon die ganze Zeit um seine Mundwinkel spielte... Aber er wusste, dass er in diesem Fall keine Kompromisse eingehen durfte. Selbst mit der Kraft von Exodia, dem grausigen Monster das er mit der Opferung seiner Kindheitsfreundin Echo erweckt hatte, würde Yubel kein einfacher Gegner sein. Er wusste zwar nicht, wie stark Soular tatsächlich war, aber in diesem Kampf war ihm jede Hilfe recht, denn nie in seinem Leben hatte er je etwas so sehr gewollt wie den Sieg über dieses Monster. Die Sonne war noch nicht lange untergegangen, als sie schließlich an ihrem Ziel angelangten: Umgeben von mehreren im Sand versunkenen Trümmerstücken ragte ein Portal in die Höhe, das aussah wie das letzte Relikt eines viel größeren Gebäudes. Mehrere Meter hohe Flügeltüren standen da, umgeben nur von einem kümmerlichen Mauerrest, der über der Tür gezackt dort hing wie die Flügel einer großen Fledermaus. Direkt über der Tür prangte ein Kreis aus Stein, in dessen Mitte mehrere vom Rand ausgehende Streben sich zu einer Art Stern mit zwölf Ausläufern vereinigten. Soular war sich nicht sicher, ob die Dunkelheit der Nacht dafür verantwortlich war, dass die Steine des Bauwerks so finster wirkten, oder ob sie es tatsächlich waren. Hinter dem Tor lag nichts, nur weißer Sand – zumindest in dieser Dimension. Das Portal führt in eine Art Parallelwelt. Solche Portale waren, wie Soular wusste, etwas Besonderes. Direkte Verbindungen zwischen verschiedenen Welten waren selten, doch diese gehörte zu einem Verband aus zwölf untereinander verbundenen Dimensionen, die sehr eng miteinander verknüpft waren. Bisher hatte sich sein Herr Möbius nicht sonderlich für diese Welten interessiert, da die meisten davon primitiv und kaum von intelligenten Wesen bewohnt waren. Lediglich eine der Zwölf, diejenige aus der Amon stammte, hatte mittlerweile einen beachtlichen Stand der Technik erreicht, sodass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis Möbius seine Generäle dort hinschicken würde, um sie in sein Imperium aufzunehmen. Doch bevor das geschehen konnte, musste erst Soular seine Mission erfüllen. Yubel, ein uraltes Monster, das eine enge Verbindung zu Amons Heimatwelt hatte, verfolgte einen schier unverzeihlichen Plan. Sie wollte die zwölf Dimensionen miteinander verschmelzen. Und das konnte Möbius nicht zulassen. Soular hatte man nicht erklären müssen, warum. Selbst, wenn es keine direkten Verbindungen zwischen ihnen gab, so gehörten die zwölf Dimensionen doch zu dem komplizierten Gefüge, das sämtliche parallel zueinander existierenden Welten umfasste. Die Verschmelzung – und damit Auslöschung – eines Teils davon würde auch in allen anderen Welten irreparablen Schaden auslösen. Amon ließ sich von seinem Monster vor dem Portal auf die oberste der drei kümmerlichen Treppenstufen absetzen, die sich dort noch befanden. Anschließend verschwand der Gigant. Er hätte ohnehin nicht durch das Portal gepasst. Soular ließ den Vogel, den er mit der Macht von Nakewameke kontrollierte, vor den Treppenstufen im Sand landen und trat neben Amon, der mit besorgtem Gesichtsausdruck die Sandwehen vor dem Portal betrachtete. „Es waren bereits Menschen hier und gar nicht wenige“, sagte er. Soular nickte. Der Sand direkt vor dem Portal war zwar schon wieder leicht verweht, aber die Reste von vielen verschiedenen Fußspuren waren noch zu sehen. „Das dürfte heißen, dass schon jemand vor uns hier war. Vermutlich Yûki Jûdai und seine Freunde... Wie konnten sie Yubel nur vor mir finden?“, fragte Amon zerknirscht. Soular warf ihm einen leichten Seitenblick zu. „Ich sehe kein Problem“, sagte er ruhig. „Schließlich geht es darum, dass Yubel von irgendjemandem ausgeschaltet wird. Wenn uns darin jemand zuvorkommt, ist es für uns umso besser.“ Amon schien nicht ganz dieser Meinung zu sein, denn er ballte beide Hände zu Fäusten und starrte mehrere Sekunden konzentriert auf den Boden. Dann jedoch sah er einigermaßen gefasst wieder auf. „Du hast Recht, wir sollten aber dennoch sichergehen, dass sie Yubel auch wirklich besiegen“, sagte er. Soular lächelte nur schwach und stieg zu Amon auf das kleine Podest vor dem Portal. Seinem Reittier bedeutete er mit einer Geste, im Sand zu warten. Der Vogel ließ sich augenblicklich nieder und begann, sein Gefieder mit dem Schnabel zu putzen. Sie wechselten einen kurzen Blick, traten dann gemeinsam vor und stießen die gewaltigen Flügeltüren auf. Daran, dass alles dahinter Liegende sich in einer anderen Dimension befand, ließ schon der erste Eindruck keinen Zweifel: Sie befanden sich im Innern eines runden Turmes auf einer Galerie, die an dessen Innenseite entlang führte. Sowohl nach unten als auch nach oben war kaum ein Ende der mit unzähligen Türen und Schaltern versehenen steril weißen Wände auszumachen. Direkt vor ihnen lag ein kleiner Vorsprung in der Plattform, von dem aus eine Art Brücke zu einem runden Plateau führte, durch dessen Mitte ein breiter Pfeiler führte, der irgendwo weit unten begann und sich bis zum scheinbaren Ende des Turms sehr viel weiter oben fortsetzte. Soular trat ohne Zögern auf die leicht durchscheinende Brücke, dicht gefolgt von Amon, der sich misstrauisch umsah. Auch, wenn er versuchte, selbstsicher zu wirken, gefiel es ihm nicht, wie selbstverständlich sich Soular auf diesem unbekannten Terrain bewegte. Oder nein, vielleicht war es ihm auch gar nicht unbekannt, schließlich kannte er schon seinen Namen und hatte vielleicht noch viel mehr Informationen parat, von denen Amon nichts ahnte. Kaum hatten sie das Plateau sicher erreicht, verschwand die Brücke einfach. An dem breiten Mittelpfeiler entlang schwebte das Plateau mit ihnen beiden nach oben, wo sie schon bald ein Loch in der ansonsten dicht verschlossenen Decke erkennen konnten. Sie kamen auf eine Höhe mit einer weiß gepflasterten Ebene, über der von einer unsichtbaren Kraft gehalten eine Art Sessel schwebte. Der vollkommen schmucklose Raum war nicht leer; zwei Menschen hockten auf dem weißen Boden. Soular setzte sich in Bewegung und ging direkt auf die beiden zu. Amon warf seinen Umhang zurück und überholte ihn, um die beiden zuerst zu begrüßen. „Chronos-sensei... Und Johan, wie es aussieht“, stellte er fest. Der eine der beiden, der in einen mit rosa Rüschen gesäumten blauen Mantel gehüllt war und dessen langes, blondes Haar ihm in einem dünnen Zopf auf dem Rücken lag, sprang auf. „Mamma Mia, Signor Garam! Wie kommen Sie denn hierher?“, rief er mit einer von Nervosität geprägten Fistelstimme. „Ich bin auf der Suche nach Yubel, was sonst“, erwiderte Amon scharf und ließ seinen Blick auf dem zweiten Anwesenden ruhen, der mit überschlagenen Beinen am Boden hockte und ein wenig erschöpft wirkte. „Yubel ist oben...“, sagte dieser ohne viel Elan. Amon nickte. „Ich nehme an, Jûdai kämpft bereits gegen sie?“, vermutete er. „Das tut er! Er ist der einzige, der dieses Monster noch aufhalten kann!“, rief der Mann mit Zopf entschlossen. Amon hob nur eine Augenbraue. „Das wäre zumindest wünschenswert, für alle von uns...“, erklärte er. Soular, der bis dahin schweigend hinter Amon gestanden hatte, meldete sich zu Wort: „Jûdai Yûki also... Nach meinen Informationen wollte er selbst die Herrschaft über diese Welt an sich reißen und nannte sich Haoh, der Oberste König.“ Der Blonde zuckte bei der Nennung dieses Namens zusammen. „Das gehört der Vergangenheit an! Ist vorbei! Jûdai kämpft für uns und hat die Kraft von Haoh voll unter Kontrolle!“, rief er nachdrücklich. Amon zuckte mit den Schultern. „Solange er Yubel besiegt, soll mir auch das Recht sein“, bemerkte er nur. Schweigen senkte sich über die vier Anwesenden, bis Amon doch wieder das Wort ergriff: „Eure Gruppe scheint noch kleiner geworden zu sein. Waren nicht auch die beiden Marufuji-Brüder bei euch?“, fragte er. Der Blonde setzte gerade zu einer Antwort an, als eine plötzliche Erschütterung ihn überrumpelte und auf den Hosenboden warf. Amon schaffte es gerade noch, seinen Stand zu festigen, um das Gleichgewicht zu halten. Soular hätte es ebenfalls beinahe von den Füßen geworfen, er verhinderte das aber, indem er sich an Amons Umhang festkrallte. Amon wollte ihn noch anschreien, dass er ihn gefälligst loslassen solle, da verschwamm alles um ihn herum. Die Welt begann sich zu drehen und ein feurig rotes Leuchten fegte wie ein starker Windstoß über sie hinweg, sodass Amon nun doch auf dem Boden aufschlug, Soular neben sich. Er konnte jemanden entsetzt „Mamma Mia“ schreien hören, dann eine Jungenstimme: „Gewonnen! Jûdai hat gewonnen! Wir können alle zurück nach Hause!“ Ohne groß nachzudenken, krallte sich Amon in den Arm Soulars, der irgendwo ganz in seiner Nähe war, kniff die Augen zu und flehte. Er wollte nicht nach Hause. Für ihn gab es kein Zuhause mehr. Er wollte hierbleiben, in dieser Welt, die einen König brauchte... ! Es brauchte eine Weile, bis Soular merkte, dass alles vorbei war. Vorsichtig öffnete er die Augen und schüttelte Amons Hand ab, bevor er sich aufrichtete. Sie waren immer noch an derselben Stelle wie zuvor. Der einzige Unterschied war, dass der Junge – Johan Andersen – und der alberne Mann mit den rosa Rüschen am Kostüm, nicht mehr da waren. Nicht so Amon, der sich gerade ebenfalls aufsetzte und ungläubig auf seine Hände starrte. „Yubel ist verschwunden. Unser Pakt ist hinfällig“, stellte Soular fest und kam langsam auf die Beine. Sie zitterten noch ein wenig von dem plötzlichen Energiesturm, der bis eben über ihn gefegt war. Amon tat es ihm gleich und sah sich um. „Nicht nur sie... Offenbar wurden all die anderen zurück in unsere Welt geschickt. Nur ich...“ „Ich vermute, da ich nicht zurückgeschickt wurde, bist auch du hiergeblieben“, sagte Soular und strich sich seine in Unordnung geratenen Haare zurück hinter die Schultern. Amon rückte seine Brille zurecht, dann machte er sich auf den Weg zurück zur Plattform, die sich nach unten in Bewegung setzte, sobald er sie betrat. Soular machte einen Satz und kam neben ihm auf. „Was hast du jetzt vor?“, fragte er. Amon hob stolz das Kinn und straffte seinen Oberkörper. „Ich werde den Traum erfüllen, den Echo und ich zusammen geträumt haben“, sagte er. Soular kicherte leise. „Du meinst den Traum, dass du einmal Herrscher sein würdest?“ Die Plattform erreichte wieder die Ebene, auf der sich das Dimensionsportal befand. Amon trat mit federnden Schritten und wehendem Mantel aus diesem heraus und blickte stolz über die Wüste, über die sich mittlerweile vollkommene Nacht gelegt hatte. Soular folgte ihm und ließ die Türen hinter sich mit einem dumpfen Klacken zufallen. Sein Vogel, der dort gewartet hatte, hob schläfrig den Kopf, kam dann aber überraschend schnell wieder auf die Füße. Amon lächelte. „Ich habe die Macht von Exodia und Yubel ist fort. Niemand kann mich jetzt noch davon abhalten, der Herrscher über diese Welt zu werden“, sagte er zufrieden. Ein höhnisches Lächeln zog sich über Soulars Lippen, als er erneut leise zu kichern begann. Amon drehte sich um, sein Gesicht zeigte deutlichen Unmut. „Wenn du mir etwas sagen willst, dann tu es“, sagte er rau. Soular lächelte ihn süßlich an. „Nun, ich muss dir leider mitteilen, dass du dich in einem Punkt irrst. Der Herrscher über diese Welt wirst nicht du sein. Ich werde sie im Namen des großen Möbius erobern.“ Amon ließ sich davon augenscheinlich nicht im Geringsten einschüchtern. „Du forderst mich also heraus?“, fragte er. Soular verschränkte die Arme und zückte ein rautenförmiges Emblem, das er unter seiner Jacke getragen hatte. „Das ist keine Herausforderung. Ich werde dich zerquetschen wie eine Fliege“, erklärte er lässig und schleuderte das Emblem hinter sich in den blanken Wüstensand. „Nakewameke! Höre auf meinen Befehl und lasse meinen Gegner weinen und schreien!“ Amon wich eilig mehrere Schritte zurück, als sich hinter seinem Gegenüber der Sand verformte und die Gestalt eines gigantischen Wesens mit breiten Armen und Beinen bildete, das an der Stelle eines Gesichts das rautenförmige Emblem auf seinem Kopf sitzen hatte. „Nakewameke!“, stieß es aus und hob drohend beide Hände in die Höhe. Amon ließ sich davon nicht großartig beeindrucken. „Tote Materie beleben, das ist nicht schlecht. Aber du hast keine Chance gegen meine Kräfte!“ Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, hob er die linke Hand. Soular, einem plötzlichen Impuls folgend, suchte hinter dem soeben gerufenen Nakewameke Schutz. Das rettete ihn; aus Amons Hand brach ein rotes Licht hervor, das ihm nicht nur für Sekunden vollkommen die Orientierung nahm, sondern gleichzeitig eine so starke Energie freisetzte, dass sein Nakewameke in einen Schwall Sandkörner zerplatzte. Soular musste sich mit aller Macht dagegenstemmen, um nicht von den Füßen gerissen zu werden. Der Wind riss an seinem Umhang, die Sandkörner wirbelten um ihn herum und schürften über seine Kleidung. Nur kurz, dann hatte sich Nakewameke wieder gefangen und setzte sich vor ihm erneut zusammen. Amon brach seinen Angriff ab. „Du bist stärker, als ich dachte“, sagte er gelassen. Soular pfiff das Vogel-Nakewameke zu sich und schwang sich auf seinen Rücken. Mit lautem Flügelschlag brachte sich das Wesen in die Höhe. Soular blickte auf Amon hinab und grinste. „Ich schätze, die Kraft deines neuen Monsters ist wirklich nicht zu unterschätzen. Dennoch wirst du gegen mich verlieren. Nakewameke!!“ Und damit stürzte sich das Sandmonster erneut auf den Rothaarigen. Soular fluchte nur unterdrückt, als sein Umhang zum wiederholten Mal an einem Ast hängenblieb. Diesmal riss er sich einfach los, ohne darauf zu achten, ob das Kleidungsstück dabei zu schaden kam oder nicht. Solche Kleinigkeiten waren ihm in den letzten Tagen und Wochen überhaupt ziemlich egal geworden. Schuld daran trug ganz allein Amon. Der rothaarige Brillenträger hatte sich entgegen Soulars großspuriger Siegesgewissheit als äußerst hartnäckig erwiesen und tatsächlich war er sich nicht einmal sicher, ob er nicht sogar der Stärkere von beiden war. Die Ansprüche auf die Herrschaft über diese Dimension hatte jedenfalls keiner von ihnen bereitwillig fallengelassen und so befanden sie sich derzeit im Krieg – einem Krieg, der mit allen Mitteln geführt wurde, die ihnen zur Verfügung standen. Wie oft hatten sie schon versucht, sich gegenseitig mit den perfidesten Tricks ans Messer zu liefern, nachdem die direkte Konfrontation ihr Ende in der völligen Entkräftung beider Kontrahenten gefunden hatte. Sie hatten versucht, sich im Schlaf zu töten, Fallen aufgestellt oder die Bewohner dieser Welt gegen den anderen aufzuhetzen – doch beide waren viel zu gewitzt, um sich von solchen Strategien ins Bockshorn jagen zu lassen. So war es zumindest bisher gewesen, auch wenn durchaus Situationen gegeben hatte, in denen einer nur sehr knapp mit dem Leben davongekommen war. Dass er in Amon einen gleichwertig zu nennenden Kontrahenten gefunden hatte, war eine neue Erfahrung für Souar. Er hatte unter Möbius die Militärakademie besucht, mit glänzenden Noten abgeschlossen und auch seinen Körper in unzähligen Trainingsstunden gestählt, doch in einem richtigen Kampf hatte er sich bis dahin nie beweisen müssen. Er war es gewohnt, dass die Macht von Möbius anerkannt wurde, doch Amon kümmerte all das herzlich wenig. Er war jung, stark und er hatte ein Ziel, was mehr war, als Soular von sich behaupten konnte, der nur im Auftrag seines Herrn hier war. Und das, so stellte Soular jetzt wieder fest, wurde ihm mehr und mehr gleichgültig, je länger er sich in dieser Dimension befand. Manchmal schoss ihm der jähe Gedanke durch den Kopf, dass Möbius weit weg war und er eigentlich tun könnte, was er wollte... Aber damit gelangte er immer wieder in eine Sackgasse, denn da gab es nichts. Soular kannte nichts anderes, als Möbius zu folgen, und so blieb ihm nichts anderes übrig, als weiterhin gegen Amon zu kämpfen, um diese Mission endlich beenden zu können. Ein plötzliches Räuspern ließ ihn aufschrecken und sich fluchend umdrehen. Warum hatte er nichts gehört? War er so sehr in seine Gedanken versunken gewesen? Im nächsten Moment stieß er ein erschrockenes Keuchen aus: ihm gegenüber, zwei Meter über dem Boden, schwebte die letzte Person, mit der er hier gerechnet hätte. „Clyne...“, sagte er so gelassen, wie es eben ging – was nicht viel war. In den vergangenen Wochen war die undurchdringlich selbstbewusste Maske, die er sich so hart erarbeitet hatte, immer mehr in Trümmer gegangen. Allein in der Wildnis oder Amon gegenüber hatte er sich immer mehr angewöhnt, offen zu zeigen, ob ihm etwas gefiel oder nicht. Aber nun stand er seinem Vorgesetzten gegenüber, der rechten Hand von Möbius und fühlte sich vollkommen schutzlos. Clyne, ein hässlicher kleiner Kauz mit gelblicher Haut, die sich über seinem knochigen Gesicht spannte, fixierte ihn gelangweilt. „Wir haben uns lange nicht gesehen, Soular. Gut siehst du aus“, behauptete er mit einer so unbeteiligten Stimme, dass es Soular fast noch unheimlicher war, als hätte er offene Feindseligkeit gezeigt. „Was willst du?“, fragte Soular ruppig und legte damit auch die letzten Reste seines heuchlerischen Gehabes ab. Er hatte Clyne schon immer insgeheim verabscheut, und irgendwie war er viel zu aufgewühlt, um noch große Gedanken an mögliche Konsequenzen zu verschwenden. Clyne hatte sich seit seinem Auftauchen keinen Millimeter gerührt, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Erneut begann er mit seiner vollkommen emotionslosen Stimme zu sprechen: „Ich vermute, du weißt, warum ich hier bin?“ „Nein, das weiß ich nicht“, sagte Soular scharf. Clyne hob eine Augenbraue. „Das ist schade, sehr schade. Nicht nur, dass es dir in der jetzigen Situation unmöglich ist, deinen Auftrag auszuführen, du scheinst dir nicht einmal selbst darüber im Klaren zu sein.“ Soular konnte es nicht fassen. „Was soll das heißen, unmöglich?“ Clyne hob leicht das Kinn. „Genau so, wie ich sagte. Ich habe euren Kampf über mehrere Tage beobachtet und bin zu dem Schluss gekommen, dass die Wahrscheinlichkeit für deinen Sieg bei null Prozent liegt.“ Soular wusste nicht, was er erwidern sollte. Oder nein, es gab einfach nichts zu erwidern. Wenn Clynes Daten diese Prozentzahl belegen konnten, dann würde sie so an Möbius weitergegeben werden; nur das war von Bedeutung. „Also, was willst du von mir? Werde ich abgezogen?“, fragte er schließlich ungeduldig. Clynes Schweigen ging ihm langsam auf den Geist. Clyne senkte ein wenig die Augenlider und starrte ihn lange hochmütig an, bevor er reagierte. „Ich schätze, wir werden deine Lebensspanne verkürzen müssen“, sagte er. Soular erstarrte. Der kleine Wicht fuhr ungerührt fort: „Ich kam hierher, um herauszufinden, warum du so lange für deine Mission brauchtest. Sobald ich den großen Möbius unterrichtet habe, wie deine Lage hier aussieht, wird er über deine Zukunft entscheiden. Ich bezweifle jedoch, dass er dich noch für nützlich befinden wird. Rechne also mit deiner baldigen Abschaltung.“ Soular rührte sich nicht vom Fleck und war auch nicht in der Lage, irgendwas zu sagen. Er stand einfach nur da und starrte Clyne an. „Du weißt Bescheid“, sagte Clyne und schickte sich zu einer Bewegung an, als auf einmal ein ohrenbetäubendes Dröhnen über die ganze Lichtung fegte. Soular wurde von den Füßen gerissen und überschlug sich mehrmals, bevor er von irgendetwas gebremst wurde. „Abschaltung, hm? Bist du ein Cyborg oder was?“, fragte eine bekannte Stimme dicht neben ihm. Er hob den Kopf und erkannte Amon, der halb neben ihm hockte und ihn mit dem linken Arm abgefangen hatte. Mit dem rechten hatte er vermutlich soeben die Kraft von Exodia freigesetzt. Nun zog er aus der Tasche an seinem Gürtel eine der grün gefärbten Spielkarten hervor, mit denen er Zauber wirken konnte: „Fußfessel!“, rief er. Augenblicklich legten sich schwere Ketten um Clynes Füße, die ihn fast noch aus dem Gleichgewicht gebracht hätten. „Amon Garam...“, stellte er ungehalten fest. Trotz der mächtigen Attacke Exodias sah er ziemlich unversehrt aus, nur sein Haar stand ihm nun wirr vom Kopf ab. Amon stand auf und zog den noch immer vollkommen verwirrten Soular dabei mit auf die Füße. „Gibst du auf?“, fragte er kühl, ohne den Blick von Clyne zu nehmen, doch seine Worte schienen an Soular gerichtet. Clyne räusperte sich: „Du hast soeben einen Boten von Labyrinth angegriffen. Ich hoffe, du weißt, was das heißt“, sagte er. Amon lächelte kühl. „Ich nehme an, du willst mich töten. Versuch's doch.“ Endlich fand Soular seine Sprache wieder: „Warum tust du das?“ Amon antwortete nicht sofort, sondern fächerte seine Karten auseinander, um ein paar aus dem Stapel zu ziehen und dann ganz oben darauf zu positionieren, bevor er ihn in der Halterung an seinem linken Arm verschwinden ließ. „Lass es mich so sagen: Ich halte nichts davon, Menschen wie ein Stück Müll wegzuwerfen, sobald sie nicht mehr ,nützlich’ sind.“ „Ich hätte dich für intelligenter gehalten“, schnarrte Clyne. „Wer seine Mission nicht erfüllen kann, verdient es nicht, am Leben zu bleiben. Es gibt tausend andere, die ihn ersetzen können.“ Soular nickte unmerklich. So war das bei Labyrinth: Man konnte noch so viel erreicht und noch so gelobt worden sein, versagte man, gab es nur eine Konsequenz. „Soular versteht das“, durchschaute Clyne und verschränkte die Arme. „Nicht wahr, Soular? Du bist bereit, die Konsequenzen für dein Versagen zu tragen.“ Soular wollte erneut nicken, doch Amon drehte sich auf einmal zu ihm um und sah ihn eindringlich Kan. Soular musste an seine zweite Frage kurz vorher denken: Gibst du auf? Aufgeben? Er? Soular schnaubte leise. Wenn er aufgegeben hätte, dann bereits nach einer Woche, als ihm langsam klar geworden war, dass er und Amon nahezu gleich stark waren. „Was ist?“, fragte Clyne. Soular hob das Kinn und funkelte ihn mit wiedergewonnenem Selbstbewusstsein an. „Du willst mich abschalten? Versuch es doch.“ Clynes linkes Augenlid begann zu zucken. „Was soll das? Hat man dir in deiner Ausbildung nicht beigebracht, dass man sich dem Willen des großen Möbius zu beugen hat?“ Soular machte einen drohenden Schritt auf Clyne zu. „Vor allem habe ich in den letzten Wochen gelernt, mein Leben als das Wichtigste anzusehen, was es gibt.“ Der fahlhäutige Vorgesetzte Soulars duckte sich unsicher. Noch immer hielten ihn Soulars Fesseln an Ort und Stelle. „Das wagst du nicht...“, zischte Clyne. Auf Soulars Lippen breitete sich ein kühles Lächeln aus. „Ich habe kein Problem damit, zu töten... Ein netter Nebeneffekt der Ausbildung, die ich erhalten habe.“ Er drehte sich halb zu Amon und streckte eine Hand aus. „Wieder einmal eint uns unser Ziel“, bemerkte er. Amon begann schmal zu grinsen. „Das ist wahr. Beim letzten Mal konnten wir unsere vereinte Stärke gar nicht abwenden... also nun.“ Er zog aus seinem Deck eine neue Karte und hielt sie hoch. „Schwert der dunklen Zerstörung!“ Augenblicklich erschien in Soulars ausgestreckter Hand ein Schwert mit langer, leicht gebogener Klinge, die gefährlich dunkelrot schimmerte. Der Griff war unregelmäßig geformt und lange Zacken standen von der Querstange über dem Griff ab. Soular hob das Schwert und grinste. „Irgendwelche letzten Worte, Clyne?“ Der Angesprochene schloss die Augen. „Möbius sieht alles. Er wird dir das hier niemals durchgehen lassen.“ Soular lächelte kühl und rammte seinem Vorgesetzten die Klinge in den Oberkörper. Er trat zurück und beobachtete zusammen mit Amon, wie sich der kleine Mann noch einmal unter Schmerzen zusammenkrümmte und dann ohne ein weiteres Wort in goldenen Staub zerplatzte. Ein erleichtertes Seufzen ließ Soular hören, bevor er sich zu Amon umdrehte. Dieser hatte einen Angriff erwartet und war erstaunt, als Soular mit einem müden Lächeln das Schwert fallen ließ. Da es sich dabei nur um einen Zauber handelte, löste es sich auf, noch bevor es den Boden erreicht hatte. „Du hast gewonnen“, sagte Soular. Ein wenig scharf zwar, aber seine Stimme ließ keinen Zweifel daran, dass er es ernst meinte. Amon hatte in den letzten Tagen gut genug gelernt, zu erkennen, wann sein Gegner versuchte, ihn zu überlisten. „Was soll das heißen!?“, fragte Amon ruppiger als eigentlich beabsichtigt. Soular jedoch lächelte nur, ein wenig traurig vielleicht. „Warum sollte ich mit dir weiter um die Herrschaft kämpfen? Diese zu erlangen war allein Möbius' Wunsch, nicht mein eigener.“ Amons plötzlich aufgeflammte Wut erlosch sofort. „Du hast kein Ziel“, erkannte er. Soular sah ihn an und warf seinen Kopf zurück, aber es gelang ihm nicht wirklich, selbstsicher zu wirken. „Ich habe nichts mehr“, korrigierte er. „Keine Heimat... Keine Verbündeten... Nur noch mich selbst.“ Amon spürte, wie sich in seinem Innern etwas zusammenzog. In Soulars Worten konnte er sich selbst wiederfinden – um Herrscher über diese Welt zu werden, hatte er alles weggeworfen, was ihm jemals wichtig gewesen war, zuletzt sogar seine einzige wirkliche Freundin geopfert. Unwillkürlich streckte er die Hand aus, genau wie als er Soular aufgefordert hatte, sich mit ihm gegen Yubel zu verbinden. Der Silberhaarige erkannte die Geste offenbar wieder. „Was bietest du mir diesmal an?“, fragte er kühl. Amon lächelte ruhig. „Du brauchst eine Heimat und einen Auftrag. Und ich als zukünftiger Herrscher dieser Welt könnte einen Verwalter gebrauchen“, erklärte er sanft. Soular glitt ein schmales Lächeln über die hübschen Lippen. „Es bedeutet für uns beide Vorteile“, stellte er fest. Amon nickte. Soular streckte die rechte Hand aus, überlegte es sich dann aber anders und zog sich zunächst seinen schwarzen Handschuh von den Fingern, bevor sie zum zweiten Mal ein Bündnis schlossen – diesmal würde es länger anhalten. Seit diesem Tag waren exakt 93 Tage vergangen, als Soular im Licht der schwindenden Sonne endlich die in die Höhe gewundene Silhouette des Schlosses vor sich sah, in dem Amon mittlerweile residierte. Der ehemalige Mitarbeiter von Labyrinth hatte sich fast zwei Monate – nicht, dass es in dieser Welt dieselben Mondphasen gäbe, doch Amon hatte der Einfachkeit halber einfach das Kalendersystem seiner Welt übernommen – auf einer großen Reise durch das Land befunden. Sein Ziel war es gewesen, Korrespondenzen herzustellen. Dass Amon den Anspruch erhob, Herrscher über diese Welt genannt zu werden, hatte sich mittlerweile herumgesprochen. Nicht einmal besonders großen Widerstand hatte dieses Vorhaben nach sich gezogen. Nach der Schreckensherrschaft unter dem selbsternannten Obersten König Yûki Jûdai hatten die meisten Menschen sogar Freude darüber geäußert, dass nun die Ordnung wiederhergestellt werden würde. Soular war also durch die stellenweise mehrere Tagesmärsche voneinander entfernten Dörfer dieser in jeder Hinsicht kargen Welt gereist, um Verwalter einzusetzen. Dabei war seine Reise selbst zwar dank diverser Flugungeheuer, die er mit einem Fingerschnippen in ein gehorsames Nakewameke verwandeln konnte, nie all zu langwierig gewesen, doch das Bestimmen von Staatsvertretern und die Verhandlungen über Steuern und andere Formalitäten hatten oft an einem Standort mehrere Tage verschlungen. Nun war Soular zurück, im Gepäck ellenlange Dokumente über seine vergangenen Gespräche und eine Karte des gesamten Kontinents, die jedes Dorf erfasst hatte, das ihm untergekommen war. Sein ganzer Körper war nicht weniger erschöpft als sein Geist. Und trotzdem, auch, wenn er es nicht gerne zugab, freute er sich, Amon bald wiederzusehen. „Ich bin zurück, mein König.“ Amon lächelte ihn von seinem Thron herab an und erhob sich dann, um ihn persönlich zu begrüßen. „Du musst nicht vor mir niederknien“, bemerkte er geflissentlich, als er die Treppenstufen zu Soular hinunter überwunden hatte. Soular erhob sich wieder. „Du bist der König“, sagte er leise. Amon zuckte nur die Achseln. „Aravena, bring Soular in sein Zimmer und lass ihm ein Bad bereiten. Ich bin mir sicher, er ist erschöpft von der langen Reise“, sagte er zu einer jungen, blauhäutigen Elfe, die sofort ergiebig einen Knicks machte und Soular vorsichtig bedeutete, ihr zu folgen. „Wir sprechen uns morgen, wenn du dich erholt hast“, versprach Amon. Soular nickte mit einem Lächeln. Das Schloss war nicht gerade eine Ausgeburt an Luxus, doch Soular war zufrieden, zu sehen, dass sich einiges zum Besseren gewandelt hatte. Fackeln spendeten warmes Licht entlang der schmalen Gänge des Schlosses. Dieses war komplett aus einem hohen Felsen gehauen und niemand wusste genau, seit wann es eigentlich existierte oder wer es hatte bauen lassen. Tief in den Kellern brodelten vulkanische, schwefelhaltige Quellen, deren Gestank einst die Luft im gesamten unteren Schlossbereich vernebelt und diesen zu einem perfekten Kerker gemacht hatten. Doch auch hier hatte eine Veränderung stattgefunden: Wie Aravena Soular auf dem Weg nach unten erklärte, hatte Amon einen Weg gefunden, die Wärme dieser Quellen zu nutzen, um Wasser zu erhitzen. Aus eben diesem wurde Soular nun ein wohltuendes Bad in einem in die Wand gehauenen Becken eingelassen, in das er sich nur zu gerne sinken ließ. „Hat sich noch etwas verändert, während ich weg war?“, fragte Soular, während Aravena sein langes Haar wusch. „Nichts Nennenswertes, mein Herr“, sagte sie ruhig. Aravena befand sich schon fast von Anfang an in den Diensten Amons – bei der Einnahme des Schlosses hatten sie sie und ihren Bruder verängstigt in den Überresten der Stadt zu Füßen des Schlosses gefunden. Als die beiden jedoch von Amons Plänen gehört hatten, hatten sie sich sofort bereit erklärt, ihm zu Diensten zu sein. Nun war Aravena eine Kammerzofe und ihr Bruder Aron ein Mitglied der von Amon persönlich ausgebildeten Duellanten-Elite. Aravena hielt inne, als sie Soulars Haar mit einem letzten Schwung Wasser ausgespült hatte. „Nun, eines gibt es vielleicht, das Ihr wissen solltet“, murmelte sie nachdenklich. Soular hörte ihr schon gar nicht mehr richtig zu. Das warme Wasser war so angenehm, dass er kurz davor stand, einfach einzuschlafen. „König Amon sammelt seit mehreren Wochen die schönsten Frauen der Umgebung. Derzeit sind es sieben, die mit ihm seine Gemächer teilen. Daher wünscht er dort unter keinen Umständen von jemandem gestört zu werden, egal zu welcher Zeit.“ Soulars eigentlich schon fast abgeschaltetes Hirn brauchte eine ganze Weile, um diese Informationen zu verarbeiten. Dann schoss er mit einem plötzlichen Ruck aus dem Wasser, so dass sich die Fluten über den Wannenrand ergossen und Aravenas halbes Gewand durchnässten. „Du meinst, sie sind sein Harem?“, fuhr er die Elfe an. Sie starrte ihn errötend an und senkte schnell den Blick. „Ja...“, murmelte sie leise. Soular ließ sich kommentarlos wieder zurück ins Badewasser gleiten. Die Stille war erdrückend. Soular hatte seine Schreibfeder abgesetzt und starrte gedankenverloren an die steinerne Decke seines kleinen Zimmers, in dessen Regalen sich bereits die Dokumente stapelten. Abgesehen von diesen gab es nur noch eine einfache Bettstelle, nicht einmal ein Fenster war in den Stein gehauen. Die einzige Lichtquelle war ein Kerzenhalter auf seinem Schreibtisch. In der vergangenen Woche hatte er viel zu oft erst spät in der Nacht seine Arbeit beendet – hauptsächlich die Beantwortung von schriftlichen Meldungen seiner Verwalter aus allen Provinzen des Reiches – und bereits beim ersten Morgengrauen wieder damit begonnen. Ihm war das allerdings ganz recht, da er so einen guten Grund hatte, Amon so wenig wie möglich zu sehen. Er suchte ihn eigentlich nur noch auf, um ihm die wichtigsten Probleme aus den Provinzen darzulegen und in manchen Fällen seine Meinung einzuholen. Selbst dann fand Soular es schwer, mit ihm zu sprechen. Warum das so war, konnte er sich selbst nicht so wirklich erklären. Eigentlich sollte es ihm egal sein, was Amon mit seinen Huren trieb. Trotzdem fühlte er sich jedes Mal elend, wenn er an den Rothaarigen dachte oder ihm gar gegenüberstehen musste. Er hatte gerade beschlossen, nur noch diesen einen Brief zu Ende zu schreiben, als sich hinter ihm die Tür öffnete. Instinktiv wusste er, dass es nur Amon sein konnte – jeder andere hätte respektvoll angeklopft. „Du arbeitest ganz schön viel“, sagte dann auch die Stimme des Rothaarigen hinter ihm. Soular drehte sich nicht einmal um. „Es fällt eben viel Arbeit an. Es ist nicht unbedingt leicht, so ein großes Königreich zu regieren“, erklärte er kühl. „Niemand verlangt von dir, dass du alles allein machst“, erwiderte Amon. Soular schnaubte unwillkürlich und drehte sich nun doch mit seinem Stuhl zu seinem König herum. Er hatte vorgehabt, spöttisch zu klingen, doch die Verbitterung schlich sich deutlich in seine Stimme: „In Wahrheit bist du doch froh, dass ich alles Wichtige erledige. So hast du wenigstens mehr Zeit, dich von deinen Huren verwöhnen zu lassen. Wie viele sind es jetzt? Zehn? Zwanzig?“ Er sah hoch, doch Amons Gesichtsausdruck war unlesbar und seine Brillengläser spiegelten nur das flackernde Kerzenlicht. „Jedenfalls kann ich mir kaum vorstellen, dass du dieses Glück gegen meine Arbeit eintauschen willst. Mitleid kannst du dir sparen“, setzte Soular etwas bissig hinzu. Amon war doch sonst nie um eine Antwort verlegen, was ging bloß in ihm vor...? Nichts hätte Soular mehr überraschen können, als das, was danach geschah: Amon verpasste ihm eine so schallende Ohrfeige, dass er von seinem Stuhl und gegen eines der Regale geschleudert wurde. Ein paar Dokumente flatterten um ihn herum zu Boden. Soular brauchte einen Moment, bis er überhaupt realisiert hatte, was geschehen war. Dann spürte er auch schon einen pochenden Schmerz in seiner Wange. „Wofür war das?“, stammelte er. Amon funkelte ihn böse an, doch Soular wusste nicht, was ihm dieser Blick sagen sollte. Menschliche Emotionen konnten so kompliziert sein, selbst, wenn man sie lange und ausgiebig studiert hatte. „Du behauptest also, ich wäre glücklich...?“, fragte Amon mit zitternder Stimme. Soular hatte ihn noch nie so aufgewühlt erlebt. Er kam auf die Beine und blieb direkt vor Amon stehen. Der Rothaarige war nicht nur um einiges kräftiger, sondern auch einen ganzen Kopf größer. „Willst du mir sagen, du wärst es nicht? Du hast doch alles, was du dir je gewünscht hast!“, schleuderte er ihm endlich seine Gedanken ins Gesicht. Amons Miene verzog sich zu echtem Zorn. „DU hast doch keine Ahnung, was Glück überhaupt ist, du Cyborg!“ Das war zu viel. Soular verpasste Amon einen deftigen Schlag ins Gesicht. Klackend landete die Brille des Größeren irgendwo auf dem Boden. Soular begriff, dass dieses hitzige Gefühl in seinem Innern Wut sein musste – eine Emotion, die er schon oft beobachtet, aber bisher nie selbst verspürt hatte. „Ja, ich habe keine Ahnung von Glück! Wie auch, wenn ich die ganze Zeit nur arbeite?“, zischte er. Müsste er nicht eigentlich etwas anderes sagen? Dass er geglaubt hatte, herausgefunden zu haben, was Glück war – bis er herausgefunden hatte, dass Amon ihn nicht vermisst, sondern sich in seiner Abwesenheit ein schönes Leben gemacht hatte? Amons Gesicht verfinsterte sich. „Du bist doch derjenige, der sich tagelang in seine Arbeit vergräbt und niemanden an sich ranlässt! Was fällt dir überhaupt ein, mich zu schlagen!? ICH bin der König!“ „Ein schöner König! Ohne mich wärest du aufgeschmissen“, höhnte Soular angriffslustig. Amon verpasste ihm einen neuen Schlag. Dieser traf ihn so hart auf der Nase, dass Soular ein scheußlicher Schmerz durch den Schädel fuhr. Gebrochen war sie allerdings nicht, wie er gleich darauf durch Tasten feststellte. Weh tat es trotzdem. Viel schlimmer als der Schmerz in seiner Nase war allerdings der in seinem Herzen. Warum war Amon so? Sie hatten sich doch in den Tagen nach Clynes Ableben, brodelnd vor Enthusiasmus betreffend ihrer neuen Aufgaben, so gut verstanden. „Willst du mein Gesicht ruinieren?“ „Wen interessiert schon dein weibisches Gesicht! Du redest ja sowieso mit niemandem!“ Soular verpasste dem Rothaarigen einen entschlossenen Schlag in die Magengegend. Amon sank stöhnend auf die Knie. „Ich habe wenigstens nicht so eine hässliche Hakennase wie du! Wenn du nicht der König wärst, würden alle Frauen schreiend vor dir weglaufen!“, behauptete er. Amon kam schweigend wieder auf die Beine und stieß Soular so brutal rückwärts, dass er auf seinem Bett landete und sich den Kopf an der Wand stieß. Den Gefallen, einen Schmerzenslaut von sich zu geben, wollte er seinem Widersacher jedoch nicht geben. Mit einem Aufschrei sprang er hoch und warf seine Fäuste Amon entgegen. Dieser mochte zwar ohne seine Brille schlechter sehen, doch wehrlos war er deswegen noch lange nicht. Bereits den dritten der gegen seinen Oberkörper gerichteten Schläge konnte er abfangen. Er packte Soulars Handgelenk so brutal, dass dem Silberhaarigen nun doch ein unterdrückter Schmerzenslaut entkam. Selbst kämpfen war eben nicht seine Stärke. Aber worum kämpften sie eigentlich? Was zum Teufel war hier eigentlich los? Was hatte er Amon getan, dass er ihn so brutal behandelte? Amon verdrehte ihm halb den Arm, als er ihn mit dem Bauch nach unten auf sein Bett schleuderte. „Was hast du vor?“, presste Soular hervor, als Amon seine linke Schulter mit einer Hand noch tiefer in die Kissen drückte. „Sei still! Ich bin der König und mache, was ich will!“, zischte Amon. Seine freie Hand glitt unter Soulars Hosenbund und entledigte ihn dann schnell des ganzen Kleidungsstücks. Soular gelang es, einen Blick über die eigene Schulter auf Amon zu werfen, der soeben seine eigene Hose bis zu den Knien hinuntergelassen hatte. Und langsam hatte er den Eindruck, etwas zu begreifen. Eins jedenfalls wurde ihm jetzt klar: das war das, was er insgeheim immer gewollt hatte. „Na los“, murmelte er nur noch. Das ließ sich Amon nicht zweimal sagen. „Duell!!“ Der Ruf hallte über den Innenhof des Schlosses. Im nächstem Moment war dieser bereits von wimmelnden Monstern und Zaubern übersät. Amon stand mit verschränkten Armen auf einer kleinen Balustrade und gab vor, die Duellanten seiner momentan 16 Personen umfassenden Garde zu beobachten. In Wirklichkeit kreisten seine Gedanken wieder einmal um Soular. Fast eine Woche war seit ihrer Zusammenkunft in Soulars Zimmer vergangen, eine Woche, in der die beiden sich nun konsequent aus dem Weg gegangen waren. Amon konnte einfach nicht anders, als dem Blick aus den stechend grünen Augen Soulars auszuweichen, wenn sie sich begegneten. Zu verwirrt war er von dem, was zwischen ihnen passiert war und den Gefühlen, die Soulars Anblick immer wieder in ihm auslöste. Immerhin war ihm diese Unsicherheit um einiges lieber als die drückende Leere und Unzufriedenheit, die ihn in den letzten Tagen gequält hatten. Irgendwie hatte er geglaubt, dieses Gefühl in den Armen seiner Frauen vergessen zu können, doch er hatte sich geirrt: Die Anwesenheit seines Harems hatte das Gefühl nicht vertrieben, sondern fast noch verschlimmert. So hatte er sie schließlich aus dem Schloss gejagt und war bei Soular erschienen, ohne wirklich zu wissen, was er eigentlich vorhatte. Und dann hatten ihn seine Gefühle einfach übermannt... „König Amon! Ich habe gewonnen!“, rief einer der Duellanten und riss ihn damit aus seinen Gedanken. Es gelang ihm, ein Lächeln aufzusetzen. „Sehr schön, Aron. Und du, Kagon, steng dich das nächste Mal bitte etwas mehr an“, sagte er. Die beiden Duellanten verbeugten sich untertänig. Amon wollte gerade weitersprechen, als er seinen Namen vernahm. „König Amon, es ist dringend!“ Er fuhr herum und sah sich augenblicklich Soular gegenüber, der soeben aus dem Gebäude gestürzt war. Amon musste sich wegdrehen. Die Schönheit seines besten Verwalters war einfach nicht auszuhalten, schon gar nicht, weil sein Anblick ihn gleichzeitig wieder an das denken ließ, was zwischen ihnen gewesen war. „Was gibt es?“, fragte er unruhig. „Wir sollten das drinnen besprechen“, erwiderte Soular. Seine Stimme war so melodiös, dass Amon allein davon ein Prickeln über die Nackenhaare lief. Was zum Teufel dachte er da eigentlich? Es war ihm ein Rätsel, wie er es überhaupt schaffte, Soular dann tatsächlich konzentriert zuzuhören, als er von einem Problem mit einer Horde vagabundierender Krieger berichtete, die im Süden bereits mehrere Dörfer angegriffen und einiges an Verwüstung hinterlassen hatte. Die Lösung war, den Silberhaarigen einfach nicht anzusehen, während er sprach. Stattdessen lenkte sich Amon damit ab, die an ihn gerichteten Briefe aus der betreffenden Region selbst zu überfliegen. „Ich werde meine Duellanten schicken“, beschloss er nach mehrmaligem Abwägen der Situation, „ich nehmen an, diese Leute wissen einfach nicht, wo ihre Grenzen liegen.“ Er konnte aus dem Augenwinkel sehen, wie Soular nachdenklich nickte. „Sind die Duellanten denn mittlerweile so weit?“, hakte er nach. „Sie trainieren hart, außerdem ist bei Duell vor allem Talent und Glück entscheidend. Wenn ich mich persönlich um ihre Ausrüstung kümmere, wird das kein Problem sein.“ „Gut.“ Soular verfiel in Schweigen. Amon nahm seine Brille ab und wagte es nun doch, ihn direkt anzusehen. Er hatte eigentlich gehofft, es würde leichter, wenn er ihn ein wenig unscharf vor sich hätte, doch das Gegenteil war der Fall: Soulars Anblick kam ihm so noch strahlender und unwirklicher vor, als er sowieso schon war. Amon musste schlucken. Es war nicht nur sein Aussehen, ging ihm auf einmal auf. Es war alles an ihm – sein geheimnisvolles Auftreten, seine Fähigkeiten, seine versteckte Einsamkeit – das ihn schon vor mehreren Nächten unbewusst so beeindruckt hatte. „... glaubst du, die Menschen werden einen König akzeptieren, der in einen anderen Mann verliebt ist?“, fragte er. Ruhiger, als er geglaubt hätte, es sagen zu können. Mit jeder Silbe selbstsicherer. Soular ließ sich mit der Antwort Zeit. Langsam ging er zur Tür und drehte den großen, schweren Schlüssel im Schloss herum. Nun würde niemand sie stören können. Langsam drehte er sich wieder zu Amon um. Um seine Lippen spielte ein verführerisches Lächeln. „Das muss doch niemand wissen...“, hauchte er. Kapitel 50: Die ultimative, super-geheime Love-Story ---------------------------------------------------- Von und Da sind wir nun endlich wieder. Es hat lange gedauert, aber hier ist die 50. - und damit letzte - unserer legendären Chiisana Love-Stories :D Unglaublich, wie lange man so etwas aufschieben kann... Aber wir wollten ja natürlich auch eine perfekte Geschichte schreiben, um dieses Projekt zu beenden, das uns inzwischen fast fünf Jahre lang begleitet hat und an dem wir beide sicherlich viel gelernt haben. Ich hoffe, euch, liebe Leser, hat das Lesen genauso viel Spaß gemacht wie uns das Ausdenken der Geschichten und natürlich auch das Schreiben! Und nun wird endlich das große Geheimnis um die 50. Geschichte aufgelöst, in der unsere fleißigen Leser bestimmt einige Pairings wiedererkennen werden ;) Aber macht euch auch keine Sorgen, wenn ihr irgendwen nicht kennt, ihr werdet es auch so problemlos verstehen =) Viel Spaß beim Lesen und vielleicht kreuzen sich unsere Wege ja irgendwann wieder! Die ultimative, supergeheime Love-Story Roland musste schmunzeln. Natürlich hatte er schon, als er die beiden das erste Mal zusammen gesehen hatte, gewusst, dass niemand sie so leicht würde trennen können, doch spätestens nachdem er von Mokuba – dem kleinen Bruder seines Chefs – erfahren hatte, dass jener von dem Treffen mit ihr erst am frühen Morgen zurückgekommen war, war er sich zu hundert Prozent sicher gewesen, dass die beiden eines Tages vor dem Altar stehen würden. Und genau das war in diesem Moment der Fall. Ohne dass er es bemerkt hatte, war die Hochzeitszeremonie schon fast vorbeigegangen und die anderen Gäste – überwiegend Freunde der Braut und ein paar ehemalige Mitschüler des Bräutigams – erhoben sich, um das Paar, das nun Hand in Hand den Gang herabschritt, zu würdigen. Seto Kaiba, Chef der weltberühmten Kaiba Corporation, und Erika Koenji, Erbin der ebenfalls weltweit tätigen Koenji Group... Sie waren wirklich ein fantastisches Paar, das an diesem Tag noch glanzvoller aussah als je zuvor, auch wenn Roland dies nicht für möglich gehalten hätte. Die eigentlichen Hochzeitsfeierlichkeiten sollten auf dem gigantischen Anwesen der Koenjis stattfinden, daher brachen alle, die auch zu diesen eingeladen waren, gleich dorthin auf. Roland hatte die Ehre, das frischgebackene Ehepaar in der von Erikas Vater gesponserten goldenen Limousine zum Veranstaltungsort zu fahren. Dort angekommen, wurden sie sogleich von einer überwältigenden Menge von Gästen empfangen, die den Weg zum großen Eingangstor säumten. Roland, der selbst nicht an der Planung beteiligt gewesen war, war überrascht, wie viele Menschen – und vor allem wie viele Jugendliche und junge Erwachsene – zum feierlichen Anlass hier erschienen waren. Viele von ihnen sahen nicht im Geringsten so aus, als wären sie Geschäftspartner von Seto oder Erika, daher fragte er sich ernsthaft, wer sie waren. So viele Freunde konnte doch selbst Erika nicht haben und vor allem entsprach das Äußere vieler von ihnen nicht unbedingt dem, was sie für gewöhnlich gutheißen konnte. Seto, der das Erstaunen seines Butlers bemerkt zu haben schien, beugte sich zu ihm vor und sagte: „Wir haben alle Gäste gebeten, noch ein paar Bekannte mitzubringen, da Erika der Meinung war, es wäre sonst keine richtige Party.“ Roland schüttelte leicht den Kopf. Er arbeitete schon seit vielen Jahren für den jungen Kaiba, doch hatte er es noch nie erlebt, dass dieser sich so leicht von einer Frau umstimmen ließ – oder dass eine Frau überhaupt in irgendeiner Weise einen Einfluss auf ihn ausüben konnte. Doch Erika war anders, wie sie sehr schnell eindrucksvoll bewiesen hatte. Seiner Aufgabe folgend schwang Roland sich, als sie den beeindruckenden Eingang zur Villa erreicht hatten, von seinem Sitz auf und öffnete dem Paar mit einer galanten Verbeugung die Autotür. „Vielen Dank, Roland“, sagte Seto. „Das wäre es dann für heute. Geh und amüsier dich.“ Ohne ihn dann noch eines weiteren Blickes zu würdigen, legte er seine Hand in die von Erika und schritt mit ihr an seiner Seite auf die Tür zu, die nun langsam geöffnet wurde, sodass das herrschaftliche Innere des Hauses zum Vorschein kam. Der Butler jedoch, der noch immer den Türgriff umklammerte, nahm dieses gar nicht so recht war. Hatte er gerade tatsächlich frei bekommen? Oder war das nur eine Wahnvorstellung seines vom Glück dieses Tages überbeanspruchten Gehirns? Ungläubig blickte er einen jungen Mann an, der zufällig in der Nähe stand. „Hat er das gerade wirklich gesagt?“, fragte er vorsichtshalber. Der Mann, dessen schwarze Haare eines seiner Augen bedeckten, hob die Augenbraue. „Er hat Ihnen gerade mitgeteilt, dass sie den Rest des Tages zur freien Verfügung haben.“ Die junge, rothaarige Frau an seiner Seite sah Roland besorgt an. „Sie sehen aus, als hätten Sie das bitter nötig!“ Roland schluckte. So langsam drang die Tatsache zu seinem Gehirn vor. Er hatte tatsächlich frei... zum ersten Mal seit er im Hause der Kaibas beschäftigt war! Ein Grinsen zeigte sich auf seinem Gesicht, das so unheimlich war, dass sich die Tochter der jungen Frau erschrocken hinter deren Beinen versteckte. Pfeifend schlug er die Tür der Limousine zu, die jetzt ein anderer wegfahren musste, und spazierte durch die offene Tür in den Eingangsbereich der Villa, in dem Seto und Erika gerade von den Bediensteten des Hauses mit Glückwünschen überhäuft wurden. Als es dann durch eine breite Tür auf der anderen Seite endlich in den großen Saal ging, staunte Roland nicht schlecht. Als Angestellter in einem so reichen Haus wie dem der Kaibas war er natürlich so einiges gewohnt, doch dieser Anblick brachte ihn trotzdem dazu, einen Moment in Ehrfurcht zu erstarren. Der große, schon durch die moderne Architektur auffallende Raum war überall geschmackvoll dekoriert worden. Die Möbel, die hier wohl gestanden hatten, waren entfernt worden und ließen so Platz für eine große Tanzfläche und eine Bühne am anderen Ende des Raumes, auf der sich schon eine Liveband postiert hatte. Längs der Wand zur linken Seite der Tür war ein Büfett aufgebaut, das in seiner Vielfalt einen atemberaubenden Anblick bot, während sich auf der rechten Seite eine Bar befand, hinter der mindestens ein halbes Dutzend äußerst seriös wirkender und stilvoll gekleideter junger Männer auf die ersten Gäste wartete. Um den nachströmenden Menschen Platz zu machen, stellte Roland sich vor die Theke, den Blick jedoch zum Saal gerichtet, um das Treiben beobachten zu können. Es war erstaunlich, in was für Aufzügen manche Leute sich trauten, eine Hochzeit – und noch dazu die zweier so wichtiger Persönlichkeiten! – zu besuchen. So sah er zum Beispiel einen Mann mit strubbeligem schwarzem Haar, das unter einem abgewetzten Strohhut hervorschaute. Dieser war in einer unansehnlichen roten Weste, einer halblangen Jeans und Sandalen zur Feier gekommen. Roland wunderte sich darüber, dass er vom Sicherheitsdienst überhaupt hereingelassen worden war, aber als er sich weiter umschaute, bemerkte er, dass sonst wohl zu viele Gäste hätten ausgeschlossen werden müssen. „Junger Mann, kann ich Ihnen ein Glas Champagner anbieten?“, hörte er eine Männerstimme neben sich höflich fragen. Im ersten Moment war er ein wenig verwirrt, da er nicht wusste, ob er gemeint war – es hatte ihn schon lange niemand mehr einen jungen Mann genannt – doch als kein anderer reagierte, drehte er sich um und sah, wie ein Angestellter im Smoking ihm ein Tablett mit gefüllten Gläsern entgegenhielt. „Gerne!“, sagte Roland und bediente sich. Er musste zugeben, dass er schon seit Jahren keinen Alkohol mehr getrunken hatte – immerhin war er als Butler ständig im Dienst gewesen – doch diese einmalige Chance musste er nutzen. Vorsichtig nippte er an dem Getränk. Ein süßliches Prickeln breitete sich in seinem Mund aus. Nicht schlecht, dachte er und nahm gleich noch einen Schluck. Vielleicht war es gar keine so schlechte Wahl gewesen, direkt vor der Bar zu stehen... * „Soll ich dir was vom Büfett holen gehen?“ Eine harmlose Frage eigentlich, aber Yuri Tanima fühlte sich, als hätte man ihr einen Stich versetzt. Denn es war ihr fester Freund, Kazuya Yanagiba, der gerade diese Frage einem anderen Mädchen stellte, das sie noch dazu zum ersten Mal im Leben auf dieser Party getroffen hatte. Kazuya kannte die blauhaarige Hanon offenbar schon länger, da sie sich mit einem „Lange nicht gesehen!“ begrüßt hatten. Ihr die genaueren Umstände dessen zu erklären, hatten die beiden allerdings nicht für nötig gehalten. Und nun verschwand ihr Freund tatsächlich in dem Gewühl um die langen Büfetttische, ohne sie überhaupt gefragt zu haben, ob er ihr nicht vielleicht auch etwas mitbringen sollte. Yuri warf Hanon einen verächtlichen Blick zu, doch die Blauhaarige schien das gar nicht zu bemerken, da sie noch Kazuya hinterher schaute. Mit ihren besten Freundinnen konnte Yuri an dieser Stelle auch nicht rechnen. Hinagiku hatte als Noahs feste Freundin sogar bei der Hochzeitszeremonie anwesend sein dürfen und Yuri hatte sie bisher noch nirgendwo gesehen. Momoko dagegen hatte beim Empfang diese Asuka wiedergetroffen, die sie auf der Skifreizeit im vorigen Winter kennengelernt hatten. Die zwei waren seitdem ebenso verschwunden. Und dann eben die Sache mit Hanon und Kazuya – Yuri hatte wohl allen Grund schlecht gelaunt zu sein. Kazuya kam wieder, zwei Teller mit Fleischbällchen, Käsespießchen und anderen feinen Snacks beladen, in den Händen. „Hier, Hanon-chan“, sagte er freundlich. Die Blauhaarige strahlte. „Danke, Kazuya-kun!“ Yuri wäre liebend gerne dazwischengefahren, doch auf einer solchen Party wollte sie nun wirklich keine Szene machen. Kazuya meinte es bestimmt gar nicht so und war nur überrascht, Hanon wiedergetroffen zu haben. Ja, das musste es sein... Sie seufzte und versuchte sich irgendwie abzulenken, indem sie sich umsah. Auf der Bühne hatte die Band mittlerweile begonnen, ruhige Musik zu spielen, zu der momentan allerdings noch niemand tanzte. Die meisten der Anwesenden standen herum und redeten, viele bereits mit kleinen Tellern vom Büfett in der Hand. Yuri runzelte die Stirn. Manche der Anwesenden waren wirklich unpassend gekleidet für einen solchen Anlass. Sie hatte zu Anfang sogar einen jungen Mann gesehen, der mit nacktem Oberkörper herumlief! Yuri fing den nachdenklichen Blick einer jungen Frau mit kurzen blauen Haaren auf, die allein etwas abseits stand und näherte sich ihr. Diese lächelte schwach. „Schrecklich, oder?“, fragte sie leise und deutete in Richtung Büfett. Dort herrschte maßloses Chaos: drei oder vier Personen aßen direkt von den Platten und schaufelten sich das Essen regelrecht in die Münder. Kein Wunder, dass Essenreste dabei quer über den Tisch und oft genug auch daneben flogen. Yuri sah, dass auch der junge Mann, der oben ohne herumlief, dabei war, allerdings lag sein Kopf mit dem zotteligen, schwarzen Haar seelenruhig auf einer Platte mit Koteletts; er schien tatsächlich zu schlafen. Yuri hatte Mühe, ihre Empörung zu verbergen. „Ich dachte eigentlich, das hier wäre eine High Society Veranstaltung“, murmelte sie. Die Blauhaarige nickte verlegen. „Ja, nicht wahr? Es scheinen einige Leute gekommen zu sein, die Kaiba-san nicht einmal persönlich kennen...“ Yuri nahm von einem vorbeikommenden Kellner ein Glas Champagner entgegen. Die Blauhaarige entschied sich für Orangensaft und warf Yuri einen zweifelnden Blick zu, fragte aber nicht weiter nach. * Auch an anderer Stelle erregte das Verhalten am Büfett deutlich Missfallen. Natts, der Prinz des Königreiches Palmier, lehnte an der gegenüberliegenden Wand und betrachtete kopfschüttelnd und mit einem leisen, verächtlichen Schnauben den äußerst wüsten Kampf um die Nahrung, von der doch eindeutig reichlich vorhanden war. Als er von Urara zur Hochzeit eines Paares eingeladen wurden, das weder er noch sie noch ihr Freund, von dem sie wiederum eingeladen worden war, persönlich kannten, hatte er zuerst abgelehnt. Doch zusammen mit ihren Freundinnen und seinem besten Freund Coco war es ihnen natürlich doch gelungen, ihn zu überzeugen, dass auf solch einer bedeutenden Feier seine Anwesenheit unerlässlich war. Doch daran zweifelte er nun, angesichts des sich ihm bietenden Anblicks, unter einer High-Society-Party verstand er jedenfalls etwas anderes. Als er auch noch von einem brünetten Mädchen angerempelt wurde, das ihn daraufhin aus großen Augen anstarrte und mit unverkennbar europäischen Akzent eine Entschuldigung hauchte, stieß er einen tiefen Seufzer aus. „Nicht gerade das, was man von so einer Feier erwartet, nicht wahr?“ Einen Moment lang sah Natts weiter geradeaus, doch da er niemanden auf die Frage antworten hörte, drehte er sich dann doch in die Richtung, aus der die Frauenstimme gekommen war. Neben ihm stand eine hochgewachsene, äußerste schlanke Dame mit schulterlangem schwarzen Haar, die ihn mit einem koketten Lächeln musterte. „Kennen wir uns?“, fragte er und richtete sich ein wenig auf, damit ihre Augen auf gleicher Höhe waren. Sie schüttelte schmunzelnd den Kopf. „Hier scheint sich sowieso kaum einer gegenseitig zu kennen. Eine äußerst interessante Gesellschaft.“ Immer noch ein wenig misstrauisch sagte Natts: „Oh ja, ich weiß wirklich nicht, wer diese Rabauken da drüben eingeladen hat.“ Die Frau lachte. „Einer von ihnen hat hier eine Freundin, eigentlich kommen sie von weit her. Sie sind kein anderes Verhalten gewohnt.“ Überrascht sah der Blonde sie an. „Woher wissen Sie das?“ Wieder lachte sie. „Erstmal: Bloß keine übertriebene Höflichkeit, du wirst wohl kaum viel jünger sein als ich. Und zweitens: ich gehöre zu den Rabauken, wie du sie nennst.“ Diese Information ließ Natts einen Moment verstummen. „Wirklich?“, fragte er, auch wenn er nicht damit rechnete, dass sie einen Scherz gemacht hatte. Sie nickte. „Oh ja. Es mag ihnen zwar an Manieren fehlen, dafür haben sie aber alle ein großes Herz, und diese Eigenschaft ist wirklich nicht zu unterschätzen.“ Natts warf noch einmal einen kurzen Blick hinüber zur Fressorgie, die wohl eine Art Wettessen gewesen zu sein schien, da einer der Esser, ein junger Mann mit Strohhut und roter Weste, gerade laut ausrief, er habe gewonnen. Widerwillig sagte er: „Dem mag so sein.“ Als er nun wieder in das hübsche und zierliche Gesicht der Frau blickte, sagte er: „Sie – oder du, du passt in meinen Augen nicht so recht zu ihnen. Wie kommt es, dass du zu solch einer Gruppe gehörst?“ Er gab sein Bestes, dabei nicht abfällig zu klingen, auch wenn er das Gefühl hatte, dass es ihm nicht so recht gelang. Doch die Schwarzhaarige lächelte weiter und sagte: „Es kam mir ganz gelegen, und inzwischen sind sie mir wirklich ans Herz gewachsen.“ Als Natts darauf keine Antwort gab, fragte sie ihn: „Mit wem bist du hier?“ Er ließ einen unauffälligen Blick über den Saal schweifen und erblickte die Gruppe der Mädchen, mit denen er hergekommen war, am Büfett stehend und über die Wettesser lachend. Auch Coco stand bei ihnen. Zwar hatte die Frau ihm gerade gestanden, dass sie mit der peinlichsten Truppe von allen gekommen war, dennoch wollte er ihr nicht unbedingt auf die Nase binden, dass er zu einer Gruppe pubertierender Teenager gehörte. „Niemand besonderes“, murmelte er schulterzuckend. Doch gerade in dem Moment hatten sich Nozomi, Rin und Urara an ihn herangeschlichen und schrien laut: „Buh!“ Er verdrehte die Augen, aber sein Gegenüber schien die Situation eher amüsant zu finden. „Willst du nicht auch was essen?“, fragte Nozomi. „Es gibt dort suuuperleckere Sachen!“ Ihre großen Augen strahlten ihn an, trotzdem lehnte er kühl ab. Leise kichernd verschwanden die drei Mädchen wieder. „Niemand besonderes?“, fragte die Frau belustigt und sah ihnen hinterher. Natts folgte schweigend ihrem Blick, um sie nicht anschauen zu müssen, doch er spürte, wie sie ihn bald wieder ansah, daher sagte er schließlich: „Sie helfen in meinem Geschäft aus. Die Blonde war es, die von ihrem Freund die Einladung für die Feier bekommen hat.“ Die Schwarzhaarige lachte. „Es scheint mir, als sei ich nicht die einzige, die nur über ein paar Ecken hierher gekommen ist.“ Natts nickte zustimmend. Ihm war das ganze ebenso suspekt wie ihr. Er würde zu seiner Hochzeit jedenfalls nur Leute einladen, die er kannte – allein schon, um so ein Chaos zu vermeiden. „Ich bin übrigens Robin“, stellte sie sich vor. „Natts“, sagte er. „Interessanter Name“, meinte sie freundlich lachend. Dann machte sie mit dem Kopf eine Bewegung in Richtung des Saalausgangs. „Wollen wir uns einen etwas ruhigeren Ort suchen, um uns ein wenig zu unterhalten?“ Das Angebot überraschte den Blonden ein wenig, aber er stimmte zu. Normalerweise war er Fremden gegenüber recht misstrauisch, und auch bei ihr wusste er noch nicht so recht, wie er sie einschätzen sollte, aber ihre Freundlichkeit und ihre Wortwahl, die sie sehr intelligent klingen ließ, wirkten sehr anziehend auf ihn. Zielstrebig schlängelte Robin sich durch die Menge der in kleinen Grüppchen zusammenstehenden Gäste, Natts folgte ihr nach. Als sie gerade aus der Eingangshalle heraus ins Freie treten wollten, wurde er auf einmal am Arm gepackt und zur Seite gezogen. Ungehalten entwand er sich dem Griff des Mädchens, das abschätzend an seinem festlich gekleideten Körper herabsah. Natts wollte gerade fragen, was sie von ihm wolle, als er bemerkte, wie ein rothaariges Mädchen hinter ihr ihn ebenso aufmerksam musterte. „Entschuldigen Sie bitte“, nutzte die erste, brünett und höchstens sechzehn Jahre alt, sein kurzes Zögern aus. „Sind Sie verheiratet?“ Bevor er auf diese Frage eine empörte Antwort geben konnte, stand auf einmal Robin an seiner Seite, die seine Entführung anscheinend bemerkt hatte. Fragend sah sie das rothaarige Mädchen an. „Was tust du da, Nami?“ Die gleiche Frage hätte Natts auch gerne gestellt, denn sie hatte gerade begonnen, den blauen Edelstein an seinem Kragen genau unter die Lupe zu nehmen. „Das geht dich nichts an“, erwiderte sie hochnäsig und fuhr ungerührt mit ihrer Inspektion fort. Natts trat einen Schritt zurück und blickte wütend, wenn auch leicht verwirrt, auf die beiden Mädchen herab. „Was soll dieser Unsinn?“ „Du bist reich!“, sagten sie im Chor und das gierige Blitzen in ihrer beider Augen ließ ihn erschaudern. „Würdest du ihn bitte in Ruhe lassen?“, fragte Robin die Rothaarige, die sie anscheinend kannte, in einem Ton, der zugleich sanft und drohend war. „Er ist mit mir unterwegs. Außerdem solltest du subtiler vorgehen, wenn du versuchst, dir einen reichen Mann zu angeln. Es wird dich wohl kaum einer heiraten, wenn er weiß, dass du nur an seinem Geld interessiert bist.“ Bevor die beiden Mädchen dies kommentieren konnten, hatte Robin sich bei Natts untergehakt und ihn zielstrebig in Richtung der geöffneten Eingangstür gezogen. Sie hörten noch, wie Nami flüsterte: „Schau mal, Nabiki, der da hinten hat eine goldene Taschenuhr!“ Draußen sog Natts erst den Geruch der warmen Herbstluft ein. Robin sah lächelnd auf sein von der Sonne beschienenes Gesicht. „Tut mir leid, dass sie dich belästigt hat. Sie ist von Geld besessen, musst du wissen.“ „Ah“, war Natts' einziger Kommentar hierzu. Er war schon oft von Frauen belagert worden, aus welchem Grund auch immer, daher war er nicht mehr als ein wenig ungehalten über diese Begebenheit. Robin ließ ihren Blick über die ausschweifenden Parkanlagen schweifen, die die Villa umgaben. Überall waren Leute zu sehen, die sich angeregt miteinander unterhielten. „Lass uns dort entlang gehen“, schlug Robin vor und zeigte nach links, wo ein von Bäumen beschatteter Weg zur anderen Seite des Gebäudes führte. Natts ließ sich von ihr in diese Richtung ziehen. Normalerweise mochte er es nicht, von fremden Menschen berührt zu werden, er mochte es auch nicht, nicht derjenige zu sein, der eine Entscheidung traf. Doch der heutige Tag schien sowieso völlig aus seinem alltäglichen Rahmen herauszufallen, sodass er keinen Widerstand leistete. Weder Robin noch Natts waren für gewöhnlich Menschen, die sich unnötig in das Leben anderer einmischten oder fremde Gespräche belauschten. Doch angesichts der über die ganze Anlage verstreuten Gäste war es nahezu unmöglich, nichts von dem, was geschah, zu hören oder zu sehen. So hörten sie zum Beispiel hinter einem Busch, der ein paar Meter vom Weg entfernt stand, zwei Stimmen auf so ganz und gar intime Weise kichern, dass sie beide ihren Schritt beschleunigten. Gleich darauf fanden sie hinter einem Vorsprung im Gemäuer der Villa ein Paar in inniger Umarmung vor. Obwohl sie den Blick schnell wieder abgewandt hatten, war ihnen nicht entgangen, dass es sich um zwei Mädchen – eine Blondine und ein Mädchen mit langem rosa Haar – handelte. Robin lachte leise und wollte gerade etwas sagen, als ein äußerst verwirrt dreinblickender Junge hinter einem Busch hervor auf den Weg stolperte. Als er sie sah, stieß er einen dankbaren Seufzer aus und strich sich die schwarzen Haare aus der Stirn, wobei ein gelb-schwarzes Stirnband darunter sichtbar wurde. „Gut, dass es wenigstens noch irgendwen gibt, der nicht mit anderen Dingen beschäftigt ist“, sagte er und grinste sie an. Als sie ihm fragende Blicke zuwarfen, erklärte er: „Ich hab mich wohl verlaufen... Ich wurde zu dieser Hochzeit eingeladen und es sollte auch ein Büfett geben, aber ich kann es nicht finden... Könnt ihr mir vielleicht helfen?“ Schmunzelnd erklärte Robin ihm, dass er nur den Weg entlangzugehen brauchte. Er bedankte sich mindestens dreimal hintereinander bei ihr und lief dann los. „Oh Mann...“, murmelte Natts. „Wo sind wir da bloß gelandet?“ Wieder lachte Robin, sagte jedoch nichts, sondern zog ihn nur etwas dichter an sich und setzte mit ihm ihren Weg fort. * „Oh, Entschuldigung!“, rief Yuri erschrocken. Auf der Suche nach einem Kellner, bei dem sie ihr leeres Glas Sekt abgeben (und, auch wenn sie es nicht zugeben wollte, auch gerne durch ein neues ersetzen) konnte, hatte sie nicht richtig aufgepasst und prompt jemanden angerempelt, der in der Nähe des Büfetts stand. „Kein Problem, mir ist nichts passiert“, erwiderte eine sanfte Stimme auf ihre Entschuldigung hin. Yuris Gegenüber war ein elegantes, schmal gebautes Mädchen in etwa demselben Alter, dessen dunkel schimmerndes blaues Haar ihr schwer auf den Rücken fiel. Nur eine kleine Strähne lag auf ihrem linken Schlüsselbein. Das blau schillernde Cocktailkleidchen sah recht teuer aus; Yuri zweifelte keinen Augenblick daran, dass dieses Mädchen der High Society angehörte. Da kam sie sich in ihrem von ihrer Mutter genähten blauen Dress schon fast schäbig vor. „Ich habe nicht richtig aufgepasst“, murmelte sie noch einmal. Die Blauhaarige sah sie an. „Ich habe dich eben schon gesehen, du wirkst etwas verlassen. Bist du allein hier?“, fragte sie freundlich. Yuri schüttelte schwach den Kopf. „Leider scheinen meine Freundinnen alle Wichtigeres zu tun zu haben“, sagte sie. Die Blauhaarige lächelte gequält. „Ja, meine auch“, bemerkte sie und deutete mit einer kurzen Kopfbewegung in Richtung des Büfetts. Yuri sah nur kurz hin. Ein Typ, der scheinbar über dem nackten Oberkörper nur eine lose rote Weste trug und eine illustre Gestalt mit schlohweißem Haar in einem krebsroten Gewand standen mittlerweile auf den Büfetttischen und funkelten sich kampflustig an. Yuri drehte sich wieder weg. „Ich heiße Karen Minazuki“, sagte das blauhaarige Mädchen unvermittelt. Yuri brauchte etwas, um zu schalten, dann nickte sie. „Ich heiße Yuri Tanima. Sehr erfreut“, sagte sie und verbeugte sich leicht. Karen lächelte. * Die Leute, die das Büfett schon hinter sich gebracht oder daran kein Interesse hatten, hatte es vielerorts nach draußen auf die Terrasse vor dem Ballsaal verschlagen. Deren Boden war zum großen Teil mit Steinplatten bedeckt und prächtige Blumenstöcke rankten sich an den Seiten neben den großen Glastüren hoch, die in den Saal führten. Von dort aus hatte man einen guten Blick auf den leicht abschüssigen Garten, dessen perfekt gepflegte Rasenfläche mithilfe von Blumenbeeten in allen Regenbogenfarben in Wege eingegrenzt war, die zum Herumschlendern einluden. „Wusstest du, dass das weiße Alpenveilchen in der Blumensprache für Unschuld steht, das Rote aber für Neid?“ „Ehrlich?“ Aiko stieß einen unhörbaren Seufzer aus. Würde sie Alltagskleidung tragen, hätte sie jetzt vermutlich ihre Hände tief in den Taschen ihrer Latzhose vergraben, aber da sie auf einer Party waren, trug sie heute ein Kleid und musste sich damit begnügen, die Hände in die Hüften zu stemmen. Ihre Freundin Hazuki redete munter weiter auf das junge Mädchen mit den kurzen Haaren und den süßen Zöpfchen ein und beachtete Aiko gar nicht weiter. Als sich die blauhaarige Aiko umschaute, entdeckte sie zu ihrem Glück, dass ihre beste Freundin Doremi scheinbar einen interessanteren Gesprächspartner gefunden hatte. Dieser überragte sie um mindestens zwei Köpfe und schien recht alt zu sein, bestimmt schon 16 oder so, und steckte in einer roten Jacke mit dunkelroten Streifen, die an den Ärmeln schon etwas abgetragen aussah. Im Moment schien er sich allerdings eher mit Doremis Begleiter, dem Beyblader Takao, zu unterhalten. Aiko näherte sich unauffällig. „Ich hab den Eindruck, du hältst dich für was Besseres“, sagte Doremis Freund gerade. Der in der roten Jacke kratzte sich am Kinn. „Das hab ich nicht gesagt.“ Takao wirkte angriffslustig: „Es klang aber so, als würdest du dich über meinen Sport lustig machen!“ „Ich mache mich nicht über anderer Leute Hobbys lustig. Wenn du das Bladen wirklich liebst, sollte es dir aber auch egal sein, was andere darüber denken.“ Aiko stupste Doremi an, die sie, dankbar für die Unterbrechung, ansah. „Wat is'n hier los?“, fragte die Blauhaarige mit einem kurzen Kopfnicken zu den beiden Jungs. „Weiß auch nicht“, erwiderte Doremi, „Irgendwie scheint Takkun diesen Typen nicht zu mögen...“ Zu ihrer Überraschung störte es Aiko in diesem Moment überhaupt nicht, dass Doremi ihren Freund schon wieder mit seinem Kosenamen bedachte, obwohl sie das normalerweise zur Weißglut brachte. Stattdessen betrachtete sie Takaos Gesprächspartner etwas näher. Gut, seine Jacke wirkte auf dieser feinen Gesellschaft etwas fehl am Platz. Andererseits traf das auch auf Takao zu, der in seinem schwarzen Anzug so seltsam aussah, dass Aiko ihm geraten hätte, einfach etwas zu tragen, in dem er sich wohl fühlte. „Hey, immer cool bleiben“, versuchte Takaos Gesprächspartner diesen gerade zu beschwichtigen. Aiko betrachtete ihn dabei eingehend. Sein leicht verlegenes Grinsen war irgendwie süß. Und diese dunkelbraunen Strähnen, die ihm halb ins Gesicht hängen verliehen ihm zusammen mit seinem ansonsten zackig vom Kopf abstehenden Haarschopf etwas sehr Verwegenes. „Der is cool, wa?“, rutschte ihr leise heraus. Doremi neben ihr kicherte leise, aber Aiko bemerkte das schon gar nicht mehr und betrachtete stattdessen das seltsame Gerät, das der Jugendliche an seinem Unterarm trug. Das leicht silbrig schimmernde Gerät mit den roten Streifen erinnerte sie irgendwie an ein Ufo. Da ihre Aufmerksamkeit vollkommen auf den Jungen fixiert war, bekam sie auch gar nicht richtig mit, wie Doremi Takao anstupste und ihm leise etwas ins Ohr flüsterte. Stattdessen folgte sie seinem Blick in Richtung Terrasse und war enttäuscht, ihm nicht ansehen zu können, auf welchem der dort herumstehenden Partygäste seine karamellbraunen Augen ruhten. Sie zuckte zusammen, als er den Kopf langsam in ihre Richtung drehte und machte einen reflexartigen Schritt rückwärts. Im Nachhinein war sie sich nicht sicher, ob sie das nicht lieber hätte lassen sollen, denn dann wäre an diesem Nachmittag einiges anders verlaufen. Denn mit ihrem plötzlichen Schritt durchkreuzte sie den tollen Plan, den Doremi für sie ersonnen hatte. Der sah nämlich folgendermaßen aus: Takao würde Aiko unauffällig anrempeln, sodass diese genau in die Arme des jungen Mannes stolpern würde. Und damit wäre Doremi dann endlich ihr schlechtes Gewissen los, weil Aiko damals auch in Takao verliebt gewesen war und immer so eifersüchtig guckte, wenn sie das Paar zusammen sah. Da Aiko nun aber in dem Moment, in dem Takao versucht hatte sie anzurempeln, aus dem Weg gegangen war, verlor der junge Beyblader das Gleichgewicht und stolperte, wie es eigentlich für Aiko geplant gewesen war, auf den Jugendlichen zu. Da dieser aber in dem Moment den Kopf zu Aiko gedreht hatte, bemerkte er Takao erst, als dieser ihm in dem Versuch, sich irgendwo abzustützen, die Hände gegen den Bauch rammte. Darauf war er nicht vorbereitet gewesen und während der Zusammenprall Takao half, sein Gleichgewicht wiederzufinden, verschwand der Braunhaarige mit einem lauten Rascheln und einem überraschten „Wuah!“ in der angrenzenden Hecke. Das zog natürlich sofort einige Blicke auf sich. Aiko hatte kaum mitbekommen, was geschehen war, als sich der Jugendliche schon wieder aus den Blättern und Zweigen hervorkämpfte. Doch eines bemerkte sie sofort: „Du bist ja verletzt!“ „Was?“ Der Junge sah überrascht auf seine linke Hand. Deren Zeigefinger wies eine Wunde auf, aus der bereits Blut zu quellen begann. Doremi stupste Aiko auffordernd von hinten an. Diese drehte sich fragend um. „Los, das ist deine Chance“, sagte ihre rothaarige Freundin und zwinkerte ihr zu. Aiko verstand. „Wir sollte jemand suche, der uns een Pflaster dafür gebe kann“, sagte sie. Der Jugendliche, der sie um mindestens zwei Köpfe überragte, sah sie verblüfft an. „Das ist doch nur ein Kratzer“, winkte er ab. Aiko schüttelte entschlossen den Kopf. „Wenn wa die Wunde net desinfizier'n, kann se sich entzünde!“, wies sie ihn zurecht, packte ihn am Gelenk der rechten Hand und zerrte ihn in Richtung Saal. Er war so überrascht, dass er nicht einmal protestierte. * Derweil ließ Roland sich auf den Boden sinken, da seine Beine sich wie Wackelpudding anfühlten und wohl sowieso bald unter seinem Gewicht zusammengebrochen wären. Zwar sagte eine Stimme in seinem Hinterkopf ihm, dass es sich eigentlich nicht schickte, auf einer High-Society-Party im Anzug auf dem Boden herumzusitzen – und das auch noch mit einem Glas Cognac in der Hand – aber erstens ließ sein Körper ihm keine andere Möglichkeit und zweitens war er bei weitem nicht der einzige hier, der sich nicht dem Anlass entsprechend verhielt. Zum Glück hatten Seto und Erika darauf verzichtet, hoch angesehene Firmenchefs einzuladen, denn diese hätten sicherlich einen unwiderruflich schlechten Eindruck bekommen und nie wieder Geschäfte mit den Unternehmen der beiden gemacht. Neben der Fressorgie am Büfett, die bei fast allen anderen Gästen auf Missbilligung stieß, war da zum Beispiel das Mädchen mit dem dünnen, hellbraunen Haar und dem weinroten Kleid gewesen. Auf den ersten Blick wirkte sie sehr brav, aber als sie einen Jungen in schwarzer Uniform erblickte, dessen grauer Schopf im Licht fast silbrig erschien, stieß sie, nachdem sie ihn einen Augenblick mit offenem Mund angestarrt hatte, einen lauten Schrei aus und stürmte auf ihn zu. Er war erst völlig perplex gewesen, dann hatte er auf einmal versucht, sie von sich fernzuhalten – obwohl er vorher den Eindruck gemacht hatte, als wäre er glücklich gewesen, sie zu sehen – und sie waren in einen Kreis anderer Gäste gestolpert. Es bereitete Roland Kopfschmerzen, als er versuchte, sich daran zu erinnern, was als nächstes geschehen war, er erinnerte sich nur noch, dass es einen kleinen Tumult gegeben hatte, der dann von den Sicherheitskräften mehr oder weniger gewaltfrei gelöst worden war. Mit einem glasigen Blick starrte der Angestellte in die bunte Menge. Er fragte sich wirklich, was auf dieser Feier noch so alles geschehen würde. Wenn der Alkohol nicht all seine Erinnerungen zerstörte, würde dies definitiv ein Tag werden, den er niemals vergessen würde. Gerade wollte er einen Schluck aus seinem Glas nehmen, als die Eingangstür mit einem lauten Knall aus ihren Angel geworfen wurde. Erschrocken ließ er das Glas fallen und sprang auf die Füße – wobei er beinahe das Gleichgewicht wieder verloren hätte, weil sich durch die plötzliche Bewegung alles vor seinen Augen zu drehen begann. Als sich dann auch noch eine große, schwarze Schlange mit bedrohlich funkelnden roten Augen und langen Fangzähnen durch die Tür schlängelte und „Vipitissssss!“ zischte, musste er sich fest an die Schulter des gerade vorbeikommenden Kellners klammern, um nicht umzufallen, so sehr zitterten seine Beine. „Gebt uns eure Pokémon!“, rief eine Stimme Während die Gäste kreischend und drängelnd zum anderen Ende des Saales stürmten, erschienen zwei Gestalten in der Tür. Verschwommen erkannte Roland hinter ihnen einen der schwarz gekleideten Security-Männer, der regungslos am Boden lag. Seine Finger noch fester an die Schultern des Kellners klammernd sah Roland die beiden Eindringlinge genauer an. Es waren ein Mann und eine Frau, die so gekleidet waren, dass sie ohne diesen Auftritt nicht im geringsten aufgefallen wäre: er trug einen schwarzen Frack und eine Fliege, sie ein schlichtes langes Kleid in der gleichen Farbe. „Jetzt gibt’s Ärger!“, rief der Mann und warf seinen Zylinder in den Raum, wobei darunter eine Wucht an langem, magentafarbenen Haar zum Vorschein kam. „Nanu?“, rief Roland und versuchte, in dem unscharfen Bild, das seine Augen an sein Gehirn lieferten, mehr Details zu erkennen, während die beiden begannen, irgendeinen Spruch aufzusagen. Der Mann war offensichtlich keiner, denn bei genauerem Hinsehen zeigte sich unter seinem Hemd eine deutliche Erhöhung, auch die Haarpracht und die zierliche Gestalt waren mehr als deutlich. Die zweite im Bunde war jedoch ganz offensichtlich eine wahre Schönheit: ihr violettes Haar wurde am Hinterkopf zusammengehalten, nur ein paar Strähnen hatten sich vor ihre Ohren verirrt, die mit glitzernden Steinchen versehen waren. Das strahlende Grün ihrer Augen wurde von langen dunklen Wimpern umrahmt und ergab zusammen mit dem dezent, aber verführerisch geschminkten Mund ein unglaublich attraktives Bild. Auch der restliche Körper trug natürlich dazu bei: Groß und schlank war sie, der matt glänzende Stoff des Kleides umschmeichelte ihre langen Beine und seine schwarze Farbe passte perfekt zu der Haut, die fast so weiß war wie Porzellan. „Wer gibt den Guten immer eins drauf, hurra?“, rief die Frau im Frack gerade. „Wir, Team Rocket, wir sind immer da!“, vervollständigte die Schönheit den Reim. „Miauz genau!“, hörte man eine Stimme quietschen, die von einer Katze zu kommen schien, die gerade zwischen den beiden aufgetaucht war. „Sie sind doch ein Angestellter Kaiba-samas, oder? Kümmern sie sich darum!“, raunte der Kellner Roland angsterfüllt zu. Dann zog er sich schnell zu den anderen Gästen an die hintere Wand zurück. Benommen stolperte Roland auf die Ankömmlinge – Team Rocket, wie sie sich nannten – zu. Am liebsten wäre er weggerannt, als er bemerkte, dass das Schlangenwesen nun auch noch bedrohlich zu zischeln begonnen hatte , doch zwei Dinge hinderten ihn daran: sein Pflichtbewusstsein und die unglaubliche Schönheit der Dame in Schwarz. Diese sah ihn nun herausfordernd an. Als sich ihre Blicke trafen, stieß Roland einen tiefen Seufzer aus und sank mit den Knien auf den Boden, da seine Beine ihm nun wirklich nicht mehr gehorchen wollten – zu Alkohol und Angst war nun auch noch die Macht der Liebe gekommen. * Das Auftauchen der seltsamen Schurken sorgte auch an anderer Stelle für überraschende Reaktionen. Yuri, die zusammen mit Karen nach draußen gegangen war, da sie drinnen leichte Kopfschmerzen geplagt hatten, ließ vor Schreck ihr drittes Glas Champagner fallen, als aus der Villa ein lauter Knall ertönte. Dann drängten sich schon die meisten Gäste von drinnen zu den Terrassentüren. Von irgendwo hinten im Saal ertönte ein lautes „Gebt uns eure Pokémon!“ Yuri verstand nicht genau, was da los war, doch eines kam bei ihr sofort an. Jemand hatte es gewagt, die Hochzeitsfeier eines sich liebenden Paares zu zerstören. Das konnte sie nicht zulassen. Eilig sah sie sich um. Karen war scheinbar weggerannt wie die meisten anderen auch, die auf die Terrasse drängten und weiter in den Garten liefen. Einige Mutige hielt es jedoch drinnen, unter anderem auch ein paar der Chaoten vom Büfett, die jetzt allerdings ziemlich grimmig und kampfbereit aussahen. Yuri huschte eilig in den Zwischenraum zwischen einem Busch und der Mauer des Gebäudes, wo sie ihren magischen Lippenstift hervorzog. Hier würde sie wohl keiner bemerken. „Liebe ist eine Blüte der Anmut“ flüsterte sie und spürte, wie sich das fliederblaue Hochzeitskleid um ihren Körper legte, das sie zu Engel Lily werden ließ. Damit hielt sie sich jedoch nicht lange auf, da der lange, bauschige Rock so viel Platz wegnahm, dass sie in der kleinen Lücke regelrecht feststeckte. „Zauberhafte Verwandlung, Mächte der Liebe!“, setzte sie also – ebenso flüsternd – nach, um so die praktischere Form eines kämpfenden Engels mit engem Oberteil und kurzem Rock anzunehmen. Eilig trat sie wieder hinter dem Busch hervor – und stieß im nächsten Moment einen Laut des Erstaunens aus. Ihr gegenüber – auf der anderen Seite der Terrasse, die jetzt gut zu sehen war, weil die Anwesenden, die weggelaufen waren, mittlerweile irgendwo weiter weg waren – stand ein Mädchen, das ihr Aufsehen sofort erregte. Ihr dunkelblaues Haar war zu einem langen Zopf hochgesteckt, den eine große Schmetterlingsbrosche zierte. Ihr Kostüm war hellgelb mit einem breiten blauen Gürtel und blauen Rüschen. Alles in Allem schienen der kurze Rock und die enge Shorts darunter jedoch zum Kämpfen geeignet zu sein. Die Blauhaarige sah Yuri, oder vielmehr, Engel Lily, genau so verwundert an wie umgekehrt. Dann kamen sie aufeinander zu. „Bist du etwa...“, setzten beide gleichzeitig an. „...Karen?“, beendete Lily ihre Frage. „...Yuri?“, kam es zurück. * Während die Mädchen vor der Tür noch miteinander beschäftigt waren, hatten sich im Saal ein paar der Gäste hervorgewagt, um den Schurkinnen entgegenzutreten. Die meisten von ihnen sahen, trotz der größtenteils vorhandenen feinen Bekleidung, äußerst kampferprobt aus, was Roland, der noch immer auf dem Boden hockte und die Schönheit im schwarzen Kleid bewunderte, zum einen beruhigte, ihm zum anderen aber auch Angst machte. Er war sich sicher, dass sie gemeinsam dieses merkwürdige Wesen aufhalten konnten, aber ebenso war ihm klar, dass sie die beiden Frauen der Polizei übergeben würden, und das bedeutete, dass er die neu gewonnene Liebe nicht allzu lange würde behalten können. Es sei denn, er unternahm etwas... „Was wollt ihr hier?“, fragte Seto, der sich der Gruppe ebenfalls angeschlossen hatte, mit gebieterischer Stimme. „Eure Pokémon!“, erwiderte die Frau im Frack. „Gebt sie uns und wir werden in ein paar Minuten wieder verschwunden sein.“ „Was zur Hölle...?“, begann Seto, doch ein Junge mit schwarzen Haaren, der sich gerade an den anderen vorbeidrängelte, unterbrach ihn. „Ihr bekommt sie nicht!“ Wie allen anderen auch fiel Roland das merkwürdige gelbe Wesen mit den langen Ohren und dem gezackten Schwanz auf, das auf der Schulter des etwa Zehnjährigen saß. Anscheinend schien der Kleine zu wissen, was diese Pokémon waren. „Sieh mal einer an, du auch hier?“, klang es ihm hämisch entgegen. „Verschwindet!“, forderte er sie auf. Das Tier sprang von seiner Schulter und sah die beiden mit bösem Blick an, während es leise etwas, das wie „Pika“ klang, vor sich hin knurrte. Unentschlossen, wann wohl der beste Zeitpunkte wäre, um der geheimnisvollen Dame zur Seite zu stehen, versuchte Roland erst einmal, sich aufzurichten, was ihm schon einige Probleme bereitete. Währenddessen beobachtete er, wie ein Mann mit schneeweißem Haar,einem recht altertümlichen roten Gewand und Hundeohren, den er zuvor schon am Büfett gesehen hatte, einen Schritt nach vorne machte und bedrohlich die Knochen seiner Hand knacken ließ. „Verschwindet von hier, wenn euch euer Leben lieb ist!“ Roland erschauderte, da er eigentlich angenommen hatte, dass das Problem einigermaßen friedlich gelöst werden könnte, doch die beiden Frauen ließen sich nicht so leicht beeindrucken. „Los, Venuflibis!“, rief die Schönheit mit einer Stimme, die ein wenig klang, als sei sie erkältet, und warf einen kleinen rot-weißen Ball auf den Boden, den sie gerade aus ihrer Handtasche gezogen hatte. Auf einmal erschien an dieser Stelle ein grausiges grünes Wesen mit einem riesigen Mund voller spitzer Zähne und blattartigen Armen, das eine erschreckende Ähnlichkeit mit einer fleischfressenden Pflanze aufwies. Das Merkwürdige war, dass es nicht etwa, wie Roland befürchtet hatte, auf die Gegner der Frauen losging, sondern sich umdrehte und auf seine Besitzerin zuschwebte. „Nein, Venuflibis, nicht jetzt!“, rief diese noch, bevor das Monster seine Blätterarme um sie schlang und ihren Kopf in seinem Maul vergrub. Paradoxerweise machte diese Geste einen fast schon liebenswürdigen Eindruck. „Auf sie!“, rief ein Junge mit schwarzen Haaren und einem geflochtenen Zopf, während die Lilahaarige noch damit beschäftigt war, sich aus den Fängen ihres Monsters zu befreien. Das ließen sie alle sich nicht zweimal sagen und die Gruppe von etwa fünfzehn Personen stürmte auf die Eindringlinge zu. „Vipitis! Giftstachel!“, rief die Frau mit den langen magentafarbenen Haaren. Die große Schlange zischelte leise und bewegte sich mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit auf die Angreifer zu. So genau wollte Roland gar nicht hinsehen, deshalb hielt er den Blick stur auf die gegenüberliegende Wand gerichtet, während er auf diese zuging, um sich von der anderen Seite an das Paar heranzuschleichen. Er konnte schließlich nicht zulassen, dass diese grobschlächtigen Kerle das hübsche Gesicht seines Engels verunstalteten! Der Kampf war ein einziges Chaos. Immer wieder hörte man Schreie, die sich aber nie so recht einem der Beteiligten zuordnen ließen. Mal schienen die beiden Monster – das grüne hatte sich inzwischen auch dazu herabgelassen, sich dem Feind zuzuwenden – die Oberhand zu haben, mal sahen sie aus, als wären sie arg in Bedrängnis. Während Roland sich vorsichtig an der Wand entlang schlich, beobachtete er, wie die sprechende Katze – anscheinend auch eins dieser Wesen – einen kleinen Elch auf zwei Beinen, der einen großen rosa Hut trug, niederschlug und in einen Sack steckte. Als ein junger Mann mit Geschossen aus faulen Eiern versuchte, das Tier aufzuhalten und die anderen die Monster und die Frau im Frack attackierten, sah Roland seine Chance: Mit einer Geschwindigkeit, die er von sich selbst kaum erwartet hätte – besonders nicht in diesem Zustand – hechtete er an die Seite seiner Angebeteten, packte sie am Handgelenk und zog sie zur Seite, hinter sich her, bloß weg aus dem Gerangel. Sie ließ laute Worte des Protestes vernehmen, doch davon ließ er sich nicht beeindrucken. Diesen großen Fang würde er niemals wieder loslassen. * Von all dem wilden Chaos unten in der Lobby hatten Aiko und ihr am Finger verletzter Begleiter nicht viel mitbekommen. Letzterer hatte zwar ein wenig besorgt das Gesicht verzogen, als aus dem Geschoss unter ihnen das Trappeln von hunderten von Füßen zu hören gewesen war, dann aber gemeint, dass das wohl zur Feier gehören müsse. „Entschuldigung!“, rief Aiko, als sie endlich wieder eine der Hausangestellten erblickte. Genau genommen war es die erste, seit sie im Erdgeschoss einen der Kellner nach Desinfektionsmittel gefragt hatten. Was mittlerweile bestimmt eine Viertelstunde her war, denn die vage Wegbeschreibung („Im Obergeschoss gibt es ein Zimmer mit Verbandszeug, ist ganz leicht zu finden, gleich neben dem Gemälde mit der Waldlandschaft“) hatte nicht viel getaugt, da irgendwie alle Gemälde, an denen sie vorbeigekommen waren, mehr oder weniger gebirgige Waldlandschaften zeigten. Aikos verletzter Begleiter hatte sie mehrmals gefragt, ob sie es nicht einfach drauf beruhen lassen könne, die Wunde blute ja auch gar nicht mehr und seine Freunde würden sich sicher schon Sorgen machen. Irgendwann hatte Aiko dem nachgegeben, da die Wunde wirklich nicht besonders schlimm aussah, doch irgendwie war der erste Stock des Herrenhauses so unübersichtlich angelegt, dass sie weitere fünf Minuten erfolglos damit verbracht hatten, eine Treppe ins Erdgeschoss zu suchen. Die Hausangestellte war somit ihr erster Lichtblick seit Langem und lächelte auch sofort, als Aiko sie ansprach. „Entschuldigung“, sagte die Blauhaarige, auch wenn sie sich damit wiederholte, „wir warn eegentlich auf der Suche nach Desinfektionsmittel, aber...“ Die junge Frau mit den hochgesteckten braunen Haaren ließ sie gar nicht erst aussprechen: „Ich bringe sie zum Verbandsraum, es wäre wirklich eine Schande, einen verletzten Gast unbehandelt zu lassen.“ Damit setzte sie sich zielstrebig in Bewegung. Aiko folgte ihr und zog den jungen Mann hinter sich her, der mittlerweile erkannt hatte, dass es auch nichts geändert hätte, wenn er noch mal darauf bestanden hätte, dass es nur ein Kratzer war. Das Verarzten der Wunde an sich war, sobald Aiko das nötige Handwerkszeug hatte, eine Sache von nicht einmal einer Minute. Nur eben ein bisschen Desinfektionsflüssigkeit auf die sowieso schon fast geschlossene Wunde getupft und ein Pflaster drüber geklebt, schon war sie fertig und strahlte ihn an. „Danke“, brummte der junge Mann mit wenig Elan. „Ich bin Aiko“, sagte sie eilig. Er nickte. „Jûdai“, kam es einsilbig zurück. Dann erhob sich der Braunhaarige. „Wie gesagt, meine Freunde machen sich sicher schon Sorgen“, sagte er. „Dann gehe wa sie mal suchen“, sagte Aiko überzeugt. Beide verließen den kleinen Aufenthaltsraum für die Mitarbeiter, in dem sich neben dem Erste-Hilfe-Kasten auch eine kleine Teeküche befand. Aiko schloss die Tür hinter sich und sah langsam erst nach links, dann nach rechts den Gang entlang. In beiden Richtungen lagen Türen, hübsche Deckenleuchter und in regelmäßigen Abständen Gemälde mit Waldlandschaften. „Tja... wie komme wa jetzt wieder zurück zum Fest?“ * An anderer Stelle war man zwar auch weit vom Geschehen entfernt, aber im Gegensatz zu Aiko und Jûdai ziemlich froh darüber. Nachdem sie eine gefühlte halbe Stunde über das Gelände geschlendert waren, hatten Natts und Robin nun endlich ein noch freies Plätzchen gefunden. Es handelte sich zwar nur um eine Holzbank, die sie beinahe übersehen hätten, da sie größtenteils von einem Busch neben dem Weg bedeckt wurde, doch als die beiden ihre Köpfe hoben, sahen sie, dass man von hier einen bezaubernden Ausblick auf die Stadt am Fuß des Hügels hatte, auf dem das Anwesen lag. Dieser Anblick zauberte ihnen beiden ein Lächeln auf das Gesicht. „Hier könnte man gut lesen.“ Überrascht sahen sie sich an, denn sie beide hatten diesen Satz gerade gleichzeitig gesprochen. Robin fing an zu lachen und auch Natts' Lächeln wurde breiter. „Da bin ich wohl ohne es zu wissen auf einen Gleichgesinnten gestoßen“, stellte sie fest und ließ sich auf der Bank nieder. Natts setzte sich neben sie – wobei er allerdings noch immer einen kleinen Abstand zwischen ihnen bewahrte – und ließ seinen Blick über die Hochhäuser schweifen. „Es scheint mir ganz so“, sagte er. „Bücher an sich sind etwas Faszinierendes, aber ihre Wirkung hängt auch davon ab, wo man sie liest.“ Robin nickte. „Genau so ist es. Aber andererseits hat ein Buch auch nie die gleiche Wirkung, selbst wenn du es am gleichen Ort liest. Irgendetwas ist immer anders, darum wird es auch nie langweilig, ein Buch ein zweites oder drittes Mal zu lesen.“ Dem konnte Natts ebenfalls nur zustimmen. Robin lehnte sich zurück, faltete die Hände hinter dem Kopf und richtete ihren Blick gen Himmel. „Ich habe das Gefühl, dass der Himmel hier dunkler ist als in meiner Heimat. Und alles ist so eng und hektisch. Bisher dachte ich, hier könnte man keine Bücher lesen, doch dieser Ort hier wäre wirklich ideal.“ Dieser Kommentar machte Natts neugierig, gerne hätte er nachgefragt, wo denn ihre Heimat lag, doch er wollte nicht zu aufdringlich sein, daher sagte er: „So ging es mir zu Beginn auch. Aber mit der Zeit habe ich auch den Zauber entdeckt, den diese Welt auf das Lesen ausübt. Das eine oder andere Buch hat sich mir erst hier völlig eröffnet, weil es nicht so recht in meine Heimat passte.“ Im Gegensatz zu Natts fragte Robin daraufhin sofort rundheraus: „Woher kommst du? Es scheint mir fast, als sei deine Heimat ebenso weit weg wie meine.“ Natts lächelte. „Das denke ich eher nicht, mein Heimatland ist wirklich weit von hier.“ Er war sich nicht sicher, wie viel er preisgeben sollte, daher erwähnte er noch nicht, dass er nicht einmal aus dieser Welt kam, sondern aus einer Parallelwelt, in der nur kleine tierähnliche[ Wesen lebten – so wie er selbst eigentlich auch eines war. Doch Robin ließ sich von diesen mysteriösen Andeutungen nicht in die Irre führen, sondern hakte gleich nach: „Wo denn genau? Liegt es in dieser Welt?“ Die letzte Frage verwunderte Natts. Es schien fast, als kenne sie die Welt, aus der er kam, oder zumindest etwas Ähnliches... „Kommst du auch aus einer Parallelwelt?“, fragte er daher, wobei die Neugier nun letztendlich doch durchgebrochen war. Er hatte kein schlechtes Gewissen, da sie mindestens ebenso direkte Fragen stellte. Sie nickte. „So könnte man es bezeichnen. Ich kann es selbst kaum glauben, dass ich jetzt hier bin.“ Natts seufzte lächelnd und starrte auf die belebte Stadt. „Oh ja, neue Welten sind immer wieder ein Abenteuer für sich...“ Es sollte eine ganze Weile dauern, bis sich zwischen den beiden, die sonst eher wortkarg waren, auch nur ein kurzer Moment der Stille ergab. * Stille herrschte im großen Saal zwar nicht, aber immerhin war es wieder ruhiger geworden, seit es den Schlagkräftigeren unter den Gästen gelungen war, die Frau im Frack und ihre Monster zum Teufel zu jagen. Da deren Begleitung zusammen mit Roland spurlos verschwunden war, waren die meisten Gäste langsam in den Saal zurückgekommen. Die größten Chaoten hatten sich, da das Büfett nun geleert war, nach draußen verzogen, wo aus einer Ecke des Gartens immer wieder Kampfschreie und Anfeuerungsrufe zu hören waren. Die Band, die zusammen mit den Gästen zurückgekehrt war, hatte nach der Beseitigung der Essensreste begonnen, ein paar tanzbare Stücke zu spielen und viele der Anwesenden – allen voran das Traumpaar des Tages, Seto und Erika – nutzten nun die Gelegenheit, sich im Takt flotter Walzermusik umeinander zu drehen. Yuri und Karen standen etwas abseits und nippten an ihren Getränken. Yuri, die inzwischen mit einem leichten Pochen in den Schläfen die zwei Gläser Champagner von zuvor bereute, hatte sich für ein Glas Milch entschieden, Karen für einen Traubensaft. Drei Mädchen, die passend zu ihren jeweiligen Haarfarben in Rosa, Orange und Grün gekleidet waren, lösten sich aus der Menge und kamen auf Karen zu. „Möchtest du nicht auch mal tanzen?“, fragte die Vorderste, die ein rosarotes Kleidchen mit vielen Rüschen trug. „Hm, vielleicht später“, sagte Karen freundlich und machte eine flüchtige Kopfbewegung in Richtung Yuri, die andeuten sollte, dass sie sich gerade in einem Gespräch befand. Diese wurde allerdings von der rosa gekleideten nicht richtig aufgefasst: „Du bist gemein. Wir haben so viel Spaß!“ „Ich wette, Karen hat hier auch ihren Spaß“, unterbrach die etwas älter wirkende Grünhaarige sie freundlich und drehte sich dann zu ihrer Freundin: „Nicht, Karen?“ „Doch, genau“, kam die Antwort. Dem Mädchen in Rosa schien das nicht zu gefallen, doch ihre orange gewandete Freundin schob sie behutsam von Karen weg. „Lass sie doch, wenn sie nicht will. Wir können ja auch nochmal tanzen.“ Die Grünhaarige beeilte sich, den beiden zu folgen, und winkte Karen nur noch kurz zu. „Deine Mitstreiterinnen?“, fragte Yuri interessiert. Karen nickte und strich sich geflissentlich eine Strähne hinter die Schulter, die allerdings schon während ihrer nächsten Worte stur wieder nach vorne wanderte. „Die in Rosa war Nozomi, die in Orange Rin und die in Grün Komachi.“ „Dann weiß ich Bescheid, Urara hast du mir ja vorhin schon vorgestellt“, bemerkte Yuri und sah sich um. Ein Stich fuhr ihr durch die Brust, als sie am anderen Rand der Tanzfläche doch tatsächlich ihren Freund Kazuya erblickte, der immer noch mit der blauhaarigen Hanon zusammen war – nicht nur das, sie tanzten sogar und schienen ihren Spaß zu haben. „Lass uns nach draußen gehen, ich fühle mich gerade nicht gut“, murmelte sie und zog Karen in Richtung Terrasse. Karen protestierte nicht groß. Draußen blieben sie neben einem Rosenbusch stehen. „Gibt es eigentlich viele Leute, die wissen, dass ihr Liebesengel seid?“, fragte Karen, um das Gesprächsthema von zuvor wieder aufzunehmen. * „Hey! Was soll das?!“, rief die Schönheit mit den violetten Haaren empört. Roland hatte sie zwar schon mindestens fünfzig Meter vom Kampfgeschehen weggezerrt, aber sie schien erst jetzt wirklich wahrgenommen zu haben, was geschehen war. Der Butler, der ihr Handgelenk noch immer festhielt, damit sie ihm nicht entkam, drehte sich zu ihr um und zeigte ihr etwas, das eigentlich ein beruhigendes Lächeln darstellen sollte. Bei ihr schien es jedoch eher Panik auszulösen, denn sie versuchte, seinem Griff so schnell wie möglich zu entkommen. Zu Rolands Glück konnte sie sich mit den dünnen Absätzen ihrer Schuhe nicht sehr gut gegen den Boden stemmen und daher nicht genug Kraft aufbringen, um sich zu befreien. „Komm einfach mit...“, säuselte Roland und zog sie weiter den Gang entlang. „Ich lasse nicht zu, dass die dir etwas antun.“ „Wer sollte mir denn bitte etwas antun?“, fragte die Frau. „Na, die Polizei. Die wird doch bestimmt gleich hier sein. Und wenn sie dich finden, nehmen sie dich mit. Sei froh, dass ich dich gerettet habe.“ Roland strich mit einem seiner Finger – so gut es in dieser Position eben ging – über ihr Handgelenk. Er spürte, wie sie davon sofort eine Gänsehaut bekam, was er als gutes Zeichen deutete. „Ach, Blödsinn! Die kriegen uns nie! Und jetzt lass mich endlich los!“, zeterte sie jedoch immer noch. Roland kicherte in sich hinein. Äußerlich gab sie sich widerspenstig, aber im Inneren wollte sie ihn doch genauso wie er sie... Von seinen Gefühlen völlig in Besitz genommen, stieß er eine Tür auf, die vom Gang abzweigte. Das Zimmer dahinter schien einem Angestellten des Hauses zu gehören, jedenfalls gab es dort einen kleinen Kleiderschrank, einen Fernseher, eine Tür, die wohl zum Badezimmer führte, und – was das beste war – ein großes Bett. Volltreffer!, dachte Roland, während seine Angebetete bei diesem Anblick erst recht in Panik geriet und versuchte, sich am Türrahmen festzuhalten, als er den Raum betrat und sie hinter sich herziehen wollte. Unterbrochen wurde diese Szene jedoch von einem schwarzhaarigen Jungen mit einem gelb-schwarzen Stirnband und einem Mädchen mit dunkelblauem Haar, das ein blau-weißes, pinguinartiges Plüschtier auf dem Arm trug. „Entschuldigen Sie“, sprach der Junge Roland an. Wahrscheinlich hielt er ihn angesichts seines gepflegten Äußeren und der Tatsache, dass er eines der Zimmer betrat, für einen Angestellten. „Können Sie mir sagen, wo es zum Büfett geht?“ Roland zeigte in die Richtung, aus der sie gekommen waren. „Immer geradeaus“, sagte er. „Und ich suche die Toilette“, meldete sich nun das Mädchen zu Wort. Bevor Roland auch diese Anfrage beantworten konnte, hatte seine Partnerin schon gesagt: „Gib mir dein Pokémon und ich sag es dir!“ „Niemals!“, rief sie erschrocken und trat einen Schritt zurück. „Plinfa!“, beschwerte sich auch das Tier auf ihrem Arm, was Roland erschrocken zusammenzucken ließ. Er war sich auf einmal nicht mehr sicher, ob das alles wirklich passierte oder ob der Alkohol ihm nur einen Streich spielte. „Toiletten sind auch in der Richtung“, beeilte er sich zu sagen. Dann zog er die Lilahaarige in den Raum, da sie gerade unachtsam war, schlug die Tür hinter sich zu und drehte den Schlüssel im Schloss herum. „Hey!“, protestierte sie. „Was willst du eigentlich von mir?!“ Ein Grinsen breitete sich über Rolands ganzes Gesicht aus. „Wie wäre es mit einer Gegenleistung dafür, dass ich dich so heldenhaft gerettet habe?“ „Ich habe dich nicht darum gebeten!“ „Aber du könntest mir doch trotzdem dankbar dafür sein, meinst du nicht auch?“ „Nein!“, schrie sie mit einem Stimmvolumen, das er ihr gar nicht zugetraut hatte. Dann zog sie auch noch einen der rot-weißen Bälle aus ihrer Handtasche hervor und warf ihn auf den Boden. Roland hielt sich die Augen zu. Er wusste, dass wieder eines dieser Monster erschienen war und er hörte auch, wie es mit tiefer Stimme etwas murmelte, aber das Ganze war einfach zu viel für ihn. War es denn zu viel verlangt, an seinem einzigen freien Tag ein wenig Spaß haben zu dürfen? „Lass mich gehen“, forderte die Schönheit. „N-nein...“, stammelte Roland. „B-bitte geh nicht...“ „Dann eben anders“, sagte sie und als er seine Augen ein wenig öffnete, sah er, wie sie mit den Schultern zuckte und das Monster wieder in seinem Ball verschwinden ließ. Dann begann sie auf einmal, den Reißverschluss auf ihrem Rücken zu öffnen. Schlagartig riss Roland die Augen auf. Sie hielt einen Moment inne und sah ihn an. „Es wird eine große Enttäuschung für dich werden. Noch kannst du mich einfach gehen lassen...“ Er schüttelte heftig den Kopf. „Nein, ich bin mir sicher, dass du mich nicht enttäuschen wirst! Du bist... perfekt.“ Mit einem angewiderten Blick zog sie den Verschluss weiter auf. Dann ließ sie die Träger von ihren Schultern gleiten und das ganze Kleid auf den Boden fallen. Einen Moment wunderte Roland sich darüber, dass sie Boxershorts trug, doch dann nahm der Anblick ihres mit Spitzen versehenen Büstenhalters und dessen, was darunter zu erkennen war, seinen gesamten Verstand ein. Als sie nun erneut die Hände zu ihrem Rücken hob, trat Roland einen Schritt näher. „Darf ich...?“, fragte er vorsichtig und hob schon eine Hand, doch die Lilahaarige fauchte: „Fass mich nicht an!“ Bedauernd ließ Roland die Hand wieder sinken. Dann ertönte das leise Klicken des Verschlusses, der sich öffnete. Roland schluckte. Der BH fiel herab. Und zusammen mit ihm die Brüste, die er gehalten hatte. Rolands Kinnlade wäre in diesem Moment sicher auf den Boden gefallen, wäre sie nicht angewachsen gewesen. Dieser Oberkörper gehörte definitiv keinem weiblichen Wesen. Als Rolands entgeisterter Blick nun auch den Rest seines halbnackten Gegenübers musterte, fielen ihm auch die Boxershorts wieder auf, unter denen er nun auch eine kleine Beule auszumachen meinte. Von einem Moment zum nächsten machte der ganze Körper einen viel männlicheren Eindruck. Nur das schmale Gesicht und die kunstvoll geschminkten Augen verwirrten ihn noch immer. Er schloss die Augen. Es war nur ein Traum, ein böser Traum, und im nächsten Moment würde er in einem weichen Bett aufwachen... an ihrer Seite... Vorsichtig öffnete er die Augen wieder einen Spaltbreit. Der Mann, als der seine Traumfrau sich gerade entpuppt hatte, stand immer noch vor ihm. „Ich habe ja gesagt, dass du enttäuscht sein würdest“, sagte er und zuckte mit den Schultern. „Also beschwer dich jetzt bloß nicht.“ Roland, der die Auswirkungen des Alkohols urplötzlich wieder in seinen Gliedern spürte, sank auf die Knie. Mit zitternden Händen fasste er sich an den Kopf. „Warum kann ich nicht einfach mal Glück haben?“, murmelte er. „Warum kann die Frau meiner Träume nicht wirklich existieren? Warum muss mein erster freier Tag nach Jahren in so einem Desaster enden?“ „Dein erster freier Tag?“, fragte der Lilahaarige, der gerade sein Haar, das während des Kampfes durcheinander geraten war, aus der Spange löste, um es mit den Fingern ein wenig zu ordnen. Roland nickte niedergeschlagen. „Es ist ja nicht so, dass es mich gestört hätte... Ich bin Butler im Haushalt eines reichen jungen Mannes und seines kleinen Bruders und es macht mir auch meistens Spaß dort, aber... es hätte mich trotzdem gefreut, wenn dieser eine Tag hier nicht ganz so katastrophal gewesen wäre.“ „Du Armer“, sagte der Lilahaarige. Er machte den Anschein, als hätte er ihm schon für das vergeben, was er getan hatte, obwohl er vor wenigen Minuten noch so von ihm angewidert gewesen war. Nun kam er sogar auf ihn zu und griff ihm unter den Arm, um ihn hochzuziehen und zum Bett zu geleiten, auf das Roland sich bereitwillig fallen ließ. Mit einem mitleidigen Blick sah der Halbnackte auf den auf dem Rücken liegenden Butler herab. „Du hast aber auch ganz schön tief ins Glas geschaut, oder?“ „Na ja... ich kann einfach nichts ab. Kein Wunder, wenn man ständig im Dienst ist...“ „Du sagst es. Immer ist man am Schuften, und was bekommt man dafür? Nichts!“ Roland sah ihn aufmerksam an. „Geht es dir etwa genauso?“ „Oh ja.“ Einen Moment schwiegen sie beide, dann sagte der Lilahaarige: „Ich bin übrigens James.“ „Roland.“ James stieß einen tiefen Seufzer aus. „Ich könnte jetzt wohl auch ’nen Schluck vertragen.“ „Schau mal in den Nachtschrank“, schlug Roland vor. „Viele Angestellte verstecken dort ihre geheimen Vorräte.“ Zwar schien James das ein wenig anzuzweifeln, aber er öffnete trotzdem die Tür des kleinen Schrankes und stieß ein anerkennendes Pfeifen aus, als er die noch mehr als zur Hälfte gefüllte Whiskeyflasche darin fand. „Da hat einer ’nen guten Geschmack!“, sagte er und drehte den Deckel auf. * „... und ich war echt froh, dass sie am nächsten Tag nichts von uns abgedruckt hat, auch wenn ich nicht genau weiß, wieso eigentlich, schließlich...“ Karen hielt inne, als sie bemerkte, dass Yuri ihr überhaupt nicht mehr zuhörte. „Yuri-san...?“, fragte sie und stupste die Braunhaarige leicht an. Keine Reaktion. Karen hob die Augenbrauen und sah sich um, um herauszufinden, was Yuris Aufmerksamkeit so sehr fesselte. Unter den vielen Anwesenden, die auf der Terrasse herumliefen und sich größtenteils unterhielten, war das gar nicht so einfach, auch wenn sich die Menge mittlerweile ziemlich über das Gelände des Anwesens zerstreut hatte. Bevor sie jedoch etwas entdeckt hatte, wurde sie plötzlich von Yuri am Arm gepackt. Im nächsten Moment spürte sie heiße Lippen auf ihren. Ein Kuss. Noch dazu ihr erster. Und bevor sie richtig realisiert hatte, was da gerade geschehen war, löste sich Yuri schon wieder von ihr. Karen starrte sie erschrocken an, doch die Baunhaarige sah gar nicht sie an, sondern hatte sich von ihr weggedreht. Ihr Blick war auf einen jungen Mann mit kurzen blonden Haaren gerichtet, der sich gerade aus den Armen eines Mädchens mit blauen, lockigen Haaren wand. Er kam mit mehreren großen Schritten auf Yuri zu, riss sie in seine Arme und küsste sie leidenschaftlich. Karen stand daneben wie bestellt und nicht abgeholt und fühlte sich überhaupt nicht in der Lage, irgendwie zu reagieren. „Yuri, wie kannst du vor meinen Augen jemand anderes küssen? Noch dazu ein Mädchen!?“, fragte er vorwurfsvoll. Die Brünette wand sich aus seinem Griff. „Du hast doch auch gerade fremdgeküsst!“ Ihr Gegenüber fasste sich verlegen an den Kopf. „Das ist was anderes. Ich wurde geküsst!“ Yuri schnaubte. „Das war doch absehbar, so verknallt wie diese Hanon in dich ist!!“, zischte sie. „Äh, nur weil wir früher mal zusammen waren...“ „Früher mal!? Was bist du eigentlich für ein Nullchecker, ich hab doch quer über den Saal hinweg gesehen, wie sie dich die ganze Zeit angehimmelt hat! Was fällt dir überhaupt ein, mich alleine zu lassen, ich bin deine Freundin! Ich musste mich die ganze Zeit mit irgendeinem dahergelaufenen Mädchen unterhalten!“ Bei diesen Worten zog sich Karens Brustkorb schmerzlich zusammen. Yuris Freund reagierte geschickt darauf: „Es tut mir leid, Yuri. Bitte verzeih mir. Ich verbringe den Rest des Tages nur noch mit dir! Ich liebe dich doch!“ Nun zog sich ein freudiges Lächeln über Yuris Lippen. „Okay, ich verzeihe dir...“, sagte sie leise und schlang ihre Arme um seinen Nacken. Ohne noch ein weiteres Wort an Karen oder jemand anders zu verlieren, verschwanden die beiden irgendwo in Richtung Garten. Karen blieb zurück. * „Das kann doch nicht sein, dass der einfach verschwunden ist!“, maulte Jûdai. Aiko seufzte. „Eigentlich net. Aber ich dachte, wir könnten zumindest Hazuki irgendwo aufspür'n...“ Jûdai blieb stehen und stemmte entnervt die Arme in die Hüften. „Johan, wo bist du...?“, fragte er resigniert. Aiko stupste ihn an. „Wir finden ihn schon noch“, behauptete sie optimistisch und sah sich um. Irgendwie war es schwieriger als sie angenommen hatten, ihre jeweiligen Freunde wiederzufinden, da diese nicht mehr auf der Terrasse gewesen waren, wo sie sie zuletzt gesehen hatten. Jûdai hatte vermutet, dass sein Begleiter Johan sich irgendwo verlaufen hatte, da er nach eigener Aussage einen ziemlich schlechten Orientierungssinn hatte, aber jetzt waren sie schon einmal um das ganze Anwesen herum gelaufen und hatten ihn immer noch nirgendwo gesehen; außerdem blieb immer noch die Frage, wohin Hazuki verschwunden sein mochte. Was die beiden nicht wusste, war, dass sie Hazuki gar nicht finden konnten. Diese hatte sich nämlich, nachdem Aiko so lange weggeblieben war, ihrerseits auf die Suche nach ihrer Freundin gemacht und sie auch recht bald entdeckt. Jedoch hatte sie ein bisschen das Gefühl beschlichen, dass sie die beiden ein bisschen alleine lassen sollte, schließlich hatte sich Aiko in letzter Zeit oft genug beschwert, dass Doremi einen Freund hatte und sie nicht. So hatte sie sich darauf verlegt, die beiden unauffällig zu beobachten, indem sie sich von Busch zu Busch schlug – was allerdings gar nicht so einfach war, da sie dabei ständig Gefahr lief, irgendwelche Partygäste zu überraschen, die sich genau dort hin zurückgezogen hatten, in den meisten Fällen zu zweit. Aiko beobachtete Jûdai verstohlen. Während sie überall herumgelaufen waren und ihnen ständig irgendwo eng umschlungene Pärchen aufgefallen waren, war in ihr der Entschluss gereift, dass sie verdammt noch mal auch endlich einen Freund haben wollte, und zwar nicht irgendwann, sondern jetzt. Außerdem würden sie Doremis Schwärmereien über Takao garantiert nicht mehr so sehr nerven, wenn sie von ihrem eigenen Freund zurückschwärmen könnte. „Jûdai... kun...?“, fragte sie und brachte damit den resigniert vor ihr herschlurfenden Jungen zum Stehen. „Was denn?“, fragte er leicht genervt. Aiko machte einen unwillkürlichen Schritt zurück und sah zu Boden. „Darf ich... dich was frage?“, murmelte sie. „Warum solltest du nicht dürfen?“, kam es wenig einfühlsam zurück. Aiko starrte auf ihre Füße. Auf einmal kam ihr die Idee ziemlich dämlich vor. Sie kannte Jûdai erst seit höchstens zwei Stunden, das einzige, was sie über ihn wusste, war, dass er dieses Kartenspiel Duel Monsters mochte, und eigentlich schien er die ganze Zeit eher genervt von ihr zu sein. Sekunden, die sich wie Gummi dehnten, verstrichen, während sie fieberhaft überlegte, ob sie wirklich ihren Plan in die Tat umsetzen oder irgendwas anderes, Nichtssagendes fragen sollte. Gerade da ertönte ein lauter Aufschrei hinter ihr. Aiko drehte sich um und entdeckte ein paar Meter weiter zwischen zwei akkurat gestutzten Büschen ihre Freundin Doremi, die platt auf dem Boden lag. Takao, natürlich in der Nähe, hockte sich sofort zu ihr. „Wie ist das denn jetzt passiert?“, fragte er grinsend. Doremi rutschte auf die Knie, einen genervten Ausdruck auf dem Gesicht, in dem zu allem Überfluss jetzt auch noch Erdbrocken und einzelne Grashalme klebten. „Keine Ahnung, ich bin einfach ausgerutscht“, sagte sie bockig. Takao grinste noch breiter, hielt ihr aber die Hand hin. „Hey, das kann doch mal passieren“, sagte er und zog sie hoch. Doremi errötete leicht, als er ihr den gröbsten Dreck vom Gesicht wischte. „Außerdem wärst du nicht du, wenn dir nicht ab und zu sowas passieren würde“, fügte er hinzu. Doremis Wangen entflammten nun vollkommen in einem Rot, das ihrer Haarfarbe ziemlich nahekam.. „Soll das ein Kompliment sein?“, fragte sie, sichtlich unentschlossen. „Wie du willst“, meinte Takao und drückte ihr wortlos einen kurzen Kuss auf die Lippen. Doremi kicherte. „Okay, es war eins“, lächelte sie und ließ sich von ihm weiter den Weg hinunter ziehen. Aiko ballte beide Fäuste und drehte sich wieder zu Jûdai um, der dem jungen Paar mit irgendwie skeptischem Blick nachsah. „Jûdai!“, rief Aiko und lenkte damit seine Aufmerksamkeit wieder auf sich. „Ach ja, du wolltest mich was fragen“, erinnerte er sich und kratzte sich am Kinn. Aiko nickte. „Ich frag nur einmal: Möchtest du mit mir gehe?“ Stille. Jûdai schien erst gar nicht zu verstehen, was sie meinte, dann weiteten sich seine Augen. Im nächsten Moment vergrub er beide Hände in den Taschen. Einen Moment hielt er den Kopf gesenkt, so dass seine Augen komplett im Schatten der dichten Ponyhaare lagen, dann hob er den Kopf. „Ich glaube, es ist viel schlauer, wenn ich irgendwo bleibe und hoffe, dass Johan mich da findet“, bemerkte er. „Ich geh mal zurück zur Terrasse, wo wir vorhin waren, vielleicht wartet er ja sogar da.“ Mit schnellen Schritten entfernte er sich in die genannte Richtung. Aiko machte keine Anstalten, ihm zu folgen. „Hey, Aiko-chan...“, sagte dann eine leise Stimme neben ihr. Sie drehte sich langsam um. Hazuki stand neben ihr. „Ich hab das gerade beobachtet...“, gab sie verlegen zu. Aiko nickte nur. „Bescheuerte Aktion, wa?“, fragte sie. Hazuki rückte ihre Brille zurecht. „Ich glaube schon. Bist du enttäuscht?“ Aiko verschränkte die Hände hinter dem Kopf. „Ich glaub nicht. Wir kannte uns doch erst zwei Stunden.“ Beide Mädchen schwiegen kurz, dann sagte Hazuki: „Aber er hätte zumindest klar und deutlich 'Nein' sagen können.“ * „Du hast recht, das ist das allerletzte“, sagte Hanon und streichelte Karen mitfühlend über den Rücken. „Eigentlich hat sie mich nur benutzt“, murmelte Karen schwach und strich sich die charakteristische Strähne aus dem Gesicht, die allerdings Sekunden später wieder hinter ihrem Ohr hervorrutschte. Die beiden blauhaarigen Mädchen saßen auf einer der Bänke auf dem Anwesen. Eine freie zu finden, hatte sie ein bisschen Suchen gekostet, aber diese war gerade von zwei jungen Männern verlassen worden, die sich ziemlich lautstark gegenseitig angeschrien hatten. Der scheinbar jüngere der beiden, ein extravaganter Typ mit hellen Ponyhaaren und einem dunklen Haarschopf hinten hatte den Älteren einen „Krimi-Freak“ genannt, woraufhin dieser ihn als „Kreisel-Junkie“ bezeichnet hatte. Anschließend hatte sich der Jüngere aus dem Staub gemacht und der andere war von einem gleichaltrigen Mädchen, das urplötzlich aus einem nahen Busch aufgetaucht war, mit den Worten „Endlich gehörst du wieder mir“, in Richtung Ballsaal gezerrt worden. Nun, die Bank war dadurch frei geworden und nun saßen Karen und Hanon dort, da sie sich spontan irgendwie als Leidensgenossinnen erkannt hatten: Karen fühlte sich von Yuri nach Strich und Faden ausgenutzt, während Hanon enttäuscht war, dass Kazuya, der junge blonde Mann, ihr nicht eher erzählt hatte, dass seine Freundin mit ihm auf dem Fest war bzw. dass er überhaupt schon vergeben war. „Aber ganz ehrlich, da bin ich ja schon froh, dass wir damals nicht zusammengekommen sind, weil er gegen eine Fernbeziehung war. Wer will schon einen Freund, der auf einer Party mit einer anderen flirtet?“, regte sich Hanon weiter auf. Karen hatte sich bisher nicht dazu durchringen können, ihrem Ärger über Yuri verbal Luft zu machen, aber eigentlich brauchte sie das auch gar nicht, da Hanon in ihrem Redeschwall auch schon fast alles gesagt hatte, was Karen darüber gedacht hatte. „Eigentlich sind Männer sowieso zu nichts zu gebrauchen. Wenn sie überhaupt mal merken, dass du in sie verliebt bist, kriegen sie erst recht Panik oder machen sich zum Affen. Sag mal, warst du schonmal verliebt?“, wechselte Hanon spontan das Thema. Karen schüttelte den Kopf. „Im Schülerrat ist zu viel zu tun, als dass man über eine Beziehung nachdenken könnte. An meiner Schule gibt es ohnehin keine Jungen.“ Hanon wirkte ein wenig verblüfft über die gestelzte Ausdrucksweise der Gleichaltrigen, fing sich aber schnell wieder: „Du gehst an eine reine Mädchenschule? Und du bist im Schülerrat? Cool!“ Karen zuckte lustlos die Achseln. „So toll ist es gar nicht. Obwohl es natürlich schon nett ist, wenn die niedlichen Erstklässlerinnen etwas von einem wissen ... oha“, unterbrach sie sich und hielt die Hand vor den Mund, „habe ich gerade 'niedlich' gesagt?“ Hanon grinste. „Hast du. Stehst du etwa auf Mädchen?“ „Ich würde eher sagen, ich kann mit männlichen Wesen nicht viel anfangen“, meinte Karen und fand endlich zu einem amüsierten Lächeln zurück. Unter leicht gesenkten Wimpern sah sie Hanon ins Gesicht. „Stört dich das?“ Hanon schüttelte den Kopf. „Seltsamerweise nicht. Die Jungs haben mich oft genug enttäuscht, vielleicht sollte ich es wirklich mal mit einem Mädchen versuchen“, bemerkte sie mit einem offensichtlichen Zwinkern. Karen kicherte leise, als sie sich zu Hanon beugte. * „Diese Musik ist schleeeecht!“, tönte es durch den Saal. Augenblicklich hielt die Frau am Piano, die man dank ihres kurzen Haarschnitts und des Fakts, dass sie einen Frack trug, auch gut für einen Mann halten konnte, inne. Ihre Partnerin an der Violine beendete noch den Takt, bemerkte dann die Stille und brach ebenfalls ab. Ihre Partnerin war da bereits aufgestanden und sah von der kleinen Bühne über die versammelte Gästeschar. „Wer hat das gesagt?“, rief sie in einem Tonfall, der sie nur noch männlicher wirken ließ. Irgendwo in der Nähe der Terrassentüren schnellte eine Hand in die Höhe. „Ich war's! Ich finde diese Musik doof. Spielt mal was Fetziges!“, rief die Stimme eines Jungen vor dem Stimmbruch. „Ja, genau, das Duo eben war cool!“, stimmte eine andere, tiefe Männerstimme mit ein. Im nächsten Moment kam aus derselben Ecke ein von mehreren Männern getragener Sprechchor auf: „Wir wollen Musik! Wir wollen Musik!“ Unruhe machte sich zwischen den Gästen breit. Die Violinistin trat zu ihrer Partnerin. „Mann, was für Banausen“, sagte diese verächtlich und machte sich schon bereit, erneut etwas zu rufen, als jemand neben ihr auf die Bühne trat. Es war der Gastgeber persönlich, Seto Kaiba, gekleidet in einen stilvollen weißen Anzug, der jedoch in diesem Moment nicht verhinderte, dass der ungehaltene Mann ziemlich bedrohlich aussah. „Security, schmeißen sie jeden raus, der da hinten rumschreit oder irgendwie so aussieht, als würde er zu diesen Chaoten dazugehören!“, kommandierte er. Sofort begannen sich rund ein Dutzend Männer von den verschiedenen Ausgängen in die Richtung der Störenfriede durchzudrängeln. Der Rest des Saals kehrte augenblicklich zur Ruhe zurück. „Ihr seid echt gemein!“, kam es aus dieser Ecke. „Ich habe euch nicht eingeladen, und ich weiß nicht, wer euch Ungeziefer hier angeschleppt hat. Und deshalb lasse ich auch nicht zu, dass ihr diese Hochzeit stört!“, rief Kaiba und machte damit den meisten Gästen ganz schön Angst, wenn man das nach ihren Gesichtsausdrücken beurteilen wollte. „Mann, dann gehen wir eben! Ihr seid sowieso alle Langweiler!“, kam nun die Stimme vom Anfang aus der hinteren Ecke. Ein wenig Unruhe breitete sich aus, als sich eine kleine Gruppe von ziemlich bunt und vor allem ziemlich abgerissen gekleideten Menschen über die Terrasse nach draußen bewegte. „Security, sorgen Sie dafür, dass diese Menschen auch wirklich das Gelände verlassen“, rief Kaiba noch, dann sprang er wieder von der Bühne, wo seine frisch getraute Ehefrau auf ihn wartete. Er drehte sich zu den beiden Musikerinnen um: „Würden Sie bitte weiterspielen?“, fragte er. Er wirkte immer noch ein wenig gereizt, sein Tonfall war jedoch keinesfalls unfreundlich. „Natürlich.“ Die Pianistin verbeugte sich schnell und kehrte an ihren Platz zurück, während ihre Partnerin mit dem türkisfarbenen Haar ihre Geige wieder zur Hand nahm. Seto und Erika begannen als erste wieder, sich im Takt eines Walzers zu drehen, und schon bald folgten die meisten anderen Paare diesem Beispiel. „Tut mir leid, Erika, ich weiß nicht, wie diese Leute überhaupt von dieser Party erfahren haben“, murmelte Kaiba leise. Seine Frau lächelte. „Dafür hast du es ihnen allen gezeigt“, zwinkerte sie, „Dein Auftritt hat schon gereicht, um ihnen Respekt einzuflößen. Das liebe ich ja so an dir.“ Er lächelte schmal und zog sie ein wenig enger an sich, während ihre Füße über das Parkett glitten. „Und du weißt, dass ich dich mindestens genauso liebe“, flüsterte er. Die Gruppe der Störenfriede war tatsächlich auf dem Weg nach draußen, allen voran der junge Mann, der zu Anfang am lautesten geschrien hatte, ein schwarzhaariger Bursche, der einen abgewetzten Strohhut, eine lose Jeans und eine rote Weste trug. Die Security-Männer verfolgten sie bis ans Tor, wo sie mit lautstarken Abschiedsrufen noch einmal die Aufmerksamkeit auf sich zogen, bevor sie endgültig den Heimweg einschlugen. Die kleine Prozession war auch an zwei jungen Männern vorbeigezogen, die unweit des Zauns, der das Gelände umgab, im Gras hockten, Spielkarten zwischen sich ausgebreitet. „Das waren mal echt schräge Vögel“, stellte Jûdai fest und sah ihnen nach. Sein Gegenüber, Johan, mit dem er am Rand der Terrasse tatsächlich nach nur zehn Minuten warten endlich wieder zusammengestoßen war, lachte leise. „Wir sind doch auch schräge Vögel.“ „Kann sein“, sagte Jûdai und stützte die Händ auf seine Knie. Johan ließ sich auf den Rücken ins Gras fallen. „Du hast mir immer noch nicht gesagt, was du dann geantwortet hast“, bemerkte er. Jûdai war soeben damit fertig geworden, ihm seine Odyssee durch das Anwesen in der Begleitung von Aiko zu schildern. „Na ja, nichts“, sagte Jûdai und klang dabei doch ein wenig verlegen. Johan fuhr in eine sitzende Position hoch: „Wie, nichts?“ Jûdai sammelte die Karten wieder ein, die um ihn herum lagen. „Halt, nichts. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, also bin ich gegangen.“ Sein Gegenüber verdrehte theatralisch die grünen Augen gen Himmel. „Das nenn ich unsensibel“, bemerkte er. „Sag sowas nicht.“ „Stimmt aber. Sie hat all ihren Mut zusammengenommen, um dir so eine Frage zu stellen, da kannst du doch wenigstens höflich nein sagen!“, dozierte Johan weiter. Jûdai verzog eine Miene. „Sie sah nicht so aus, als wenn sie sehr enttäuscht war“, versuchte er sich zu verteidigen. Johan stand dennoch auf. „Ach, komm Jûdai. Steh auf, wir gehen Aiko suchen und dann erklärst du ihr nochmal in Ruhe, warum du leider nicht mit ihr zusammen sein kannst.“ „Das ist überflüssig... Ihr Europäer immer mit eurer komischen Etikette“, grummelte der Braunhaarige, stand aber trotzdem auf. „Das hat gar nichts damit zu tun, ob Europäer oder Japaner“, sagte Johan gelassen und zog Jûdai in Richtung Saal. * Ein wenig irritiert sah Roland sich um. Er stand vor einer Kirche. Der Ort kam ihm bekannt vor und nach kurzem Überlegen fiel ihm die Hochzeit von Kaiba und Fräulein Koenji ein, die hier stattfinden sollte. Er machte einen Schritt auf die Tür zu, die in das Gotteshaus hineinführte, doch er wurde zurückgehalten. Er drehte sich um und erblickte eine Person in einem traumhaften weißen Hochzeitskleid. Ihr Gesicht war von einem Schleier bedeckt. Das musste Erika sein. Roland lächelte ihr zu. Er erinnerte sich: Er sollte sie zum Altar führen, wo ihr Zukünftiger schon auf sie wartete. Höflich bot er ihr den Arm an und sie hakte sich ein. Bei ihrer Berührung breitete sich in seinem Körper eine wohlige Wärme aus. Das wunderte ihn ein wenig, doch er hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, denn schon begannen die Glocken zu läuten und sie mussten sich auf den Weg machen. Während sie den Gang entlang schritten, sah Roland in die Gesichter der vielen Gäste, die ihm und der Braut an seiner Seite freundliche Blicke zuwarfen. Bei manchen von ihnen fragte er sich allerdings, wer diese Menschen waren, da sie weder nach Freunden des Paares noch nach Geschäftspartnern aussahen. Als die beiden vor dem Altar standen, brauchte Roland einen Moment, um zu begreifen, dass der Mann, der dort stand, nicht Seto Kaiba war, sondern ein Priester, der ihm mit feierlicher Miene entgegensah. Langsam drehte er sich um und entdeckte den vermeintlichen Bräutigam in der ersten Reihe, in einen ganz gewöhnlichen Anzug gekleidet, und neben ihm Erika Koenji. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch wandte er sich wieder der Frau im Hochzeitskleid zu. Unter ihrem Schleier konnte er ein mysteriöses Lächeln erkennen. „Wer bist du?“, krächzte er. Sie hob ihren Schleier. Zum Vorschein kam ein schmales Gesicht mit funkelnden grünen Augen, in das ein paar violette Strähnen fielen. „James!“, rief Roland entgeistert. Dieser lächelte amüsiert. Während der Angestellte noch völlig perplex dastand, ergriff der Mann im Hochzeitskleid mit beiden Händen sein Gesicht und kam ihm ganz nahe. „Roland“, sagte er leise. „Ich habe dich so unendlich lieb gewonnen. Nichts könnte schöner sein als die Vorstellung, den Rest meines Lebens mit dir zu verbringen.“ Dann kam er ihm noch ein wenig näher, schloss die Augen... „AAAAAAAAAAAH!“ Schreiend schnellte Roland in die Höhe. Sein Herz raste. Sein ganzer Körper war schweißüberströmt. Als er sich versichert hatte, dass er sich nicht in einer Kirche, sondern auf einem Bett in dem Zimmer irgendeines Angestellten befand, beruhigte er sich ein wenig. Langsam atmete er ein und aus. Was für ein Traum! Sein pochender Schädel sagte ihm, dass er es mit dem Alkohol wohl etwas übertrieben hatte, da war es kein Wunder, dass sein Gehirn solche verrückten Geschichten produzierte. Aber das unbestimmte Gefühl, dass irgendetwas Wahres an diesem Traum gewesen war, veranlasste ihn, seinen Kopf zur Seite zu drehen. Der Anblick hätte ihm fast einen Herzinfarkt beschert: Neben ihm saß James – der James aus seinem Traum – und er trug nichts als Boxershorts. Aus seinen grünen Augen starrte er Roland ebenso entgeistert an wie Roland ihn. „Oh – mein – Gott“, sprach der Lilahaarige das aus, was Roland dachte. In Windeseile waren sie beide vom Bett gesprungen. „Was genau ist passiert?“, fragte der Angestellt zögerlich. James’ bleiches Gesicht sah ihn ratlos an. „Wenn ich das wüsste...“ Roland schluckte. Dann stürmte er so schnell er konnte zur Tür, drehte den Schlüssel herum und rannte davon. Es war ihm egal, dass er auf dem Weg von den letzten Partygästen äußerst seltsam angeschaut wurde, er wollte einfach nur noch nach Hause. * Schließlich neigte sich die Party doch ihrem Ende zu. Ein Teil der Gäste hatte sich schon mit Anbruch der Dunkelheit wieder auf den Heimweg gemacht, und gegen 20 Uhr begannen die Männer vom Sicherheitsdienst mit ihren Rundgängen durch die Gartenanlagen. Noch anwesende Personen wurden gebeten, zu gehen und wer dem nicht freiwillig Folge leistete (was aber kaum vorkam), wurde bis zum Gartentor getragen. Um das Tor zum Gelände herrschte nun emsiges Gedränge, Freundinnen versuchten einander wiederzufinden, Abschiede wurden ausgesprochen, teils sogar tränenreich, während an anderen Stellen lautes Gelächter erschallte. Ein Ausbruch an Lachen führte auch dazu, dass Jûdai, nachdem er den ganzen restlichen Abend mit der Suche nach ihr verbracht hatte, endlich Aiko wieder erspähte. Sie stand zusammen mit dem Beyblader Takao, dessen Freundin und einem weiteren Mädchen in ihrem Alter zusammen und alle vier lachten, mittlerweile aber wieder eher verhalten. Jûdai tippte Aiko auf die Schulter. Immer noch glucksend drehte sie sich um. „Oh, hey!“, rief sie. „Hi“, erwiderte Jûdai und vergrub eine Hand in seiner Hosentasche, während er sich mit der anderen am Kopf kratzte. Johan klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. „Ich wollte mich für vorhin entschuldigen. War nicht nett von mir“, sagte er knapp. Aiko winkte sofort ab. „Kein Ding“, sagte sie grinsend, „War eh ne dumme Idee von mir. Vergiss es einfach, okay?“ Jûdai nickte und wollte sich zu Johan umdrehen, der hatte sich jedoch zwischen die Rothaarige und Takao gedrängt, da letzterer eine knallrote Visitenkarte mit weißer Schrift in der Hand hielt. „Was ist das?“, fragte er interessiert. Takao händigte ihm das Kärtchen wortlos aus, während Doremi leise kicherte. „Sowas verteilen die hier an Minderjährige“, bemerkte Aikos Freundin mit der Brille mit einem schiefen Lächeln. „Tropical Island – Love Hotel. Eine Stunde 1200 Yen“, las Johan vor. Aiko musste wieder lachen. „Als ob die jemanden wie Takao da überhaupt reinlassen würden!“, grinste sie. Johan nickte gedankenverloren. „Darf ich die Karte behalten?“, fragte er. „Wir können doch eh nichts damit anfangen“, meinte Doremi. Johan nickte. „Na gut, danke“, sagte er noch, hakte sich bei Jûdai, der dem Gespräch ein bisschen verwirrt zugehört hatte, unter und zog ihn die Straße hoch, die zum nächstgelegenen Bahnhof führte. „Tschüüss!“, riefen ihnen die drei Mädchen einhellig hinterher. Johan winkte nochmal. Dann sah er Jûdai an und wedelte mit dem knallroten Kärtchen. „Hast du heute Nacht schon was vor?“ * Natts atmete tief ein, ließ die etwas abgekühlte Abendluft in seine Lungen strömen und wurde von dem dezenten Blumenduft, den er in ihr entdeckte, zu einem Lächeln verleitet. Robin, die noch immer neben ihm auf der Bank saß, lächelte ebenfalls. „So frei habe ich mich schon lange nicht mehr gefühlt“, gab sie zu. „Es kommt mir so vor, als wäre an diesem Abend alles möglich.“ „Oh ja“, bestätigte der Blonde. „Ich hätte niemals gedacht, dass ich hier auch nur ein bisschen Spaß haben würde.“ Robin zwinkerte ihm kokett zu. „Unverhofft kommt oft.“ Gerade wollte Natts, von ihrem Charme vollkommen eingenommen, etwas erwidern, als er neben sich ein leises, aber eindringliches Räuspern hörte. Erst jetzt bemerkten die zwei den breitschultrigen Mann vom Sicherheitsdienst, der dort stand. „Entschuldigen Sie die Störung“, begann er, als er sich ihrer Aufmerksamkeit sicher war, „aber die Feier ist nun vorüber und wir möchten Sie bitten, sich auf den Rückweg zu machen.“ Natts stand sofort auf. „Selbstverständlich“, sagte er. Robin hakte sich bei ihm unter. Der Mann musterte sie beide einen Augenblick, dann zog er eine rote Visitenkarte aus der Innentasche seiner Jacke hervor und reichte sie Natts. „Falls Sie Interesse haben...“ Dann wies er ihnen den Weg zum Ausgang – obwohl sie beide diesen wohl auch alleine gefunden hätten – und setzte dann seinen Rundgang fort. Neugierig sahen die beiden auf die Karte. Doch als Natts die Aufschrift sah, zerknüllte er sie schnell und warf sie in einen Papierkorb am Rande des Weges. Robins leises Kichern ließ ihn wissen, dass auch sie es gelesen hatte, und er errötete ein wenig. „Lass uns gehen“, forderte die Schwarzhaarige ihn auf und zog ihn auf den Weg. „Ja, die anderen warten sicher schon“, murmelte Natts. Es dauerte gerade einmal zwei Tage bis Robin und Natts sich wiedersahen. Zum Glück hatte sie ihm erzählt, wie sie zu erreichen war, denn von allein hätte er wohl niemals danach gefragt, egal wie wichtig es ihm war. Wäre es jemand anders gewesen, hätte er wohl auch nicht angerufen und gefragt, ob sie sich mit ihm treffen wolle, aber die Erinnerung an den wundervollen Abend mit ihr und das drängende Gefühl in seinem Bauch hatten ihn schließlich dazu gebracht, seine Prinzipien über den Haufen zu werfen. Obwohl die Fahrt zu der Herberge, in der Robin mit ihren Freunden untergekommen war, mit dem Zug fast eine Stunde dauerte, nahm Natts sie innerhalb der ersten Woche dreimal auf sich. In der Woche darauf stattete Robin ihm ebenso häufig einen Besuch ab. Eigentlich taten sie dann nichts Besonderes und sie kamen auch nicht so lebhaft ins Gespräch wie es bei ihrem ersten Zusammentreffen der Fall gewesen war. Dennoch fühlte es sich einfach gut an, nebeneinander herzugehen, ein bisschen durch die Stadt zu spazieren oder sich zusammen in einer Buchhandlung umzuschauen. Nun war schon der zweite Sonntag nach der Hochzeit und Robin saß auf dem Bett in Natts' kleinem Zimmer, in dem sie von den Mädchen, die fast immer im Haus unterwegs waren, ungestört waren. Natts, der wie Robin eine Tasse Tee in der Hand hielt, stand am Fenster und sah hinaus. „Meine Crew will bald abreisen“, verkündete sie da unvermittelt. Er zuckte ein wenig zusammen, drehte sich aber nicht zu ihr um. Sie hatte ihm erzählt, dass sie zu einer Piratencrew gehörte, die in einer anderen Welt auf Schatzsuche war und er hatte eigentlich schon längst damit gerechnet, dass sie bald zurückreisen würden. Trotzdem wusste er nicht, was er darauf erwidern sollte. „Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich mit ihnen gehen soll.“ Nun drehte Natts sich doch um. „Warum nicht?“, fragte er. Sie sah ihn mit ernstem Gesicht an, ein Glänzen in den Augen, das er absolut nicht zu deuten wusste. Es sah ein wenig aus, als würde sie ihm Vorwürfe machen. Er wandte den Blick ab und strich mit der Hand über die Rücken der Bücher in seinem Regal. „Mir gefällt es hier“, sagte sie nach einer langen Pause. „Und Sanji ist ja auch hier, er würde seine Marron für nichts auf der Welt alleine lassen.“ Wieder eine Pause. „Ruffys Mädchen hat es sich nicht ausreden lassen, ihn auf seinen Abenteuern zu begleiten, und sie ist ein heller Kopf. Die Crew wäre also nicht vollkommen verloren.“ Natts kämpfte mit sich. Es fühlte sich an, als würde sein ganzer Körper brennen.. Er schluckte das Feuer, das seinen Mund schon fast für sich erobert hatte, runter und fragte: „Willst du etwa deine Crew im Stich lassen?“ Es klang anklagend. Das Feuer ,das in ihm loderte, ließ er sich nicht anmerken. Solange er sie nicht ansah, war alles in Ordnung. „Willst du, dass ich gehe?“ Er schwieg einen Moment. Dann brachte er langsam hervor, bemüht, das Zittern in seiner Stimme zu unterdrücken: „Deine Crew braucht dich. Du hast sie so lange begleitet. Und hast du nicht ein Ziel, das du noch erreichen willst?“ Wieder dieser undefinierbare Blick. Was wollte sie ihm bloß sagen? Sie stand auf. „Okay“, sagte sie, „ich gehe.“ Er öffnete den Mund, spürte wieder die Flammen, die an seiner Zunge leckten und schloss ihn schnell wieder. „Okay“, sagte er ebenfalls. „Ich sage dir Bescheid, wenn wir wissen, wann es losgehen soll.“ „In Ordnung.“ Sie kehrte ihm den Rücken zu und hatte schon die Klinke in der Hand, als sie noch einmal innehielt. Sein Herz machte einen Hüpfer. Erwartungsvoll sah er sie an. Doch sie schien sich wieder zu besinnen, öffnete die Tür und ließ ihn allein. Ihre halbleere Teetasse stand noch auf dem Nachttisch. Natts starrte sie nachdenklich an. Nachdem das weiße Tier mit dem roten Stein auf der Stirn, das durch die Dimensionen reisen konnte, alle Crewmitglieder zurückgebracht hatte, zog Robin sich in ihre Kajüte zurück. Sie ließ sich auf ihr Bett fallen und zog aus ihrer Tasche das kleine Paket hervor, das Natts ihr zum Abschied wortlos überreicht hatte. Sorgfältig faltete sie das Papier auseinander und hielt schließlich ein dünnes Buch in den Händen. Sie musste schmunzeln. Was sonst hätte in diesem Paket sein können? Da Titel und Cover ihr nicht besonders viel verrieten, blätterte sie ein wenig durch die Seiten und las die eine oder andere Passage. Natürlich hatte er genau ihren Geschmack getroffen. Sie wollte das Buch gerade weglegen, um den anderen bei der Planung ihrer Weiterreise zu helfen, als ihr zufällig ein paar handgeschriebene Zeilen auf der Innenseite des Buchrückens auffielen. Ich hoffe, die Geschichte gefällt dir. Ich habe sie gerne gelesen, weil der Hauptcharakter äußerst beeindruckend ist. Er besitzt eine Eigenschaft, die mir fehlt, nämlich frei heraus zu sagen, was er denkt und fühlt. Ich habe meine Gefühle verleugnet. Ich habe dich gehen lassen, aber vergessen werde ich dich wohl nicht. Noch nie zuvor habe ich eine Person getroffen, mit der ich mich so blind verstanden habe wie mit dir. Selbst unser Schweigen schien das Band zwischen uns zu verstärken. Vielleicht hast du das ja ähnlich empfunden. Deine Crew ist sicher froh, dich dabei zu haben. Bestimmt wirst du eines Tages dein Ziel erreichen und deine Träume erfüllen. Robin ließ das Buch sinken und starrte an die Decke. „So ein Idiot“, flüsterte sie. Selbst sie wusste nicht, ob die Tränen, die ihr auf einmal über das Gesicht liefen, aus Glück oder aus Trauer entstanden waren, denn all ihre Gefühle wirbelten so sehr durcheinander, dass sie keines mehr genau ausmachen konnte. „So ein Idiot...“, wiederholte sie. Aber vielleicht war sie selbst die Idiotin. Vielleicht war es ihre Schuld, dass sie seine Gefühle nicht erkannt hatte. Und vielleicht – nein, sogar ganz bestimmt – war es ihre Schuld, dass sie einfach gegangen war. Hatte sie damit nicht selbst ihre Gefühle verleugnet? Wenn einem die Liebe begegnete und so direkt ansah, wie sie es durch Natts getan hatte, sollte man sich nicht von ihr abwenden, sondern sie beim Schopf packen und nie wieder loslassen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)