Chiisana LOVE-STORIES von Ditsch (Die ultimative Anime-Crossover-Dating-Fanfic) ================================================================================ Kapitel 50: Die ultimative, super-geheime Love-Story ---------------------------------------------------- Von und Da sind wir nun endlich wieder. Es hat lange gedauert, aber hier ist die 50. - und damit letzte - unserer legendären Chiisana Love-Stories :D Unglaublich, wie lange man so etwas aufschieben kann... Aber wir wollten ja natürlich auch eine perfekte Geschichte schreiben, um dieses Projekt zu beenden, das uns inzwischen fast fünf Jahre lang begleitet hat und an dem wir beide sicherlich viel gelernt haben. Ich hoffe, euch, liebe Leser, hat das Lesen genauso viel Spaß gemacht wie uns das Ausdenken der Geschichten und natürlich auch das Schreiben! Und nun wird endlich das große Geheimnis um die 50. Geschichte aufgelöst, in der unsere fleißigen Leser bestimmt einige Pairings wiedererkennen werden ;) Aber macht euch auch keine Sorgen, wenn ihr irgendwen nicht kennt, ihr werdet es auch so problemlos verstehen =) Viel Spaß beim Lesen und vielleicht kreuzen sich unsere Wege ja irgendwann wieder! Die ultimative, supergeheime Love-Story Roland musste schmunzeln. Natürlich hatte er schon, als er die beiden das erste Mal zusammen gesehen hatte, gewusst, dass niemand sie so leicht würde trennen können, doch spätestens nachdem er von Mokuba – dem kleinen Bruder seines Chefs – erfahren hatte, dass jener von dem Treffen mit ihr erst am frühen Morgen zurückgekommen war, war er sich zu hundert Prozent sicher gewesen, dass die beiden eines Tages vor dem Altar stehen würden. Und genau das war in diesem Moment der Fall. Ohne dass er es bemerkt hatte, war die Hochzeitszeremonie schon fast vorbeigegangen und die anderen Gäste – überwiegend Freunde der Braut und ein paar ehemalige Mitschüler des Bräutigams – erhoben sich, um das Paar, das nun Hand in Hand den Gang herabschritt, zu würdigen. Seto Kaiba, Chef der weltberühmten Kaiba Corporation, und Erika Koenji, Erbin der ebenfalls weltweit tätigen Koenji Group... Sie waren wirklich ein fantastisches Paar, das an diesem Tag noch glanzvoller aussah als je zuvor, auch wenn Roland dies nicht für möglich gehalten hätte. Die eigentlichen Hochzeitsfeierlichkeiten sollten auf dem gigantischen Anwesen der Koenjis stattfinden, daher brachen alle, die auch zu diesen eingeladen waren, gleich dorthin auf. Roland hatte die Ehre, das frischgebackene Ehepaar in der von Erikas Vater gesponserten goldenen Limousine zum Veranstaltungsort zu fahren. Dort angekommen, wurden sie sogleich von einer überwältigenden Menge von Gästen empfangen, die den Weg zum großen Eingangstor säumten. Roland, der selbst nicht an der Planung beteiligt gewesen war, war überrascht, wie viele Menschen – und vor allem wie viele Jugendliche und junge Erwachsene – zum feierlichen Anlass hier erschienen waren. Viele von ihnen sahen nicht im Geringsten so aus, als wären sie Geschäftspartner von Seto oder Erika, daher fragte er sich ernsthaft, wer sie waren. So viele Freunde konnte doch selbst Erika nicht haben und vor allem entsprach das Äußere vieler von ihnen nicht unbedingt dem, was sie für gewöhnlich gutheißen konnte. Seto, der das Erstaunen seines Butlers bemerkt zu haben schien, beugte sich zu ihm vor und sagte: „Wir haben alle Gäste gebeten, noch ein paar Bekannte mitzubringen, da Erika der Meinung war, es wäre sonst keine richtige Party.“ Roland schüttelte leicht den Kopf. Er arbeitete schon seit vielen Jahren für den jungen Kaiba, doch hatte er es noch nie erlebt, dass dieser sich so leicht von einer Frau umstimmen ließ – oder dass eine Frau überhaupt in irgendeiner Weise einen Einfluss auf ihn ausüben konnte. Doch Erika war anders, wie sie sehr schnell eindrucksvoll bewiesen hatte. Seiner Aufgabe folgend schwang Roland sich, als sie den beeindruckenden Eingang zur Villa erreicht hatten, von seinem Sitz auf und öffnete dem Paar mit einer galanten Verbeugung die Autotür. „Vielen Dank, Roland“, sagte Seto. „Das wäre es dann für heute. Geh und amüsier dich.“ Ohne ihn dann noch eines weiteren Blickes zu würdigen, legte er seine Hand in die von Erika und schritt mit ihr an seiner Seite auf die Tür zu, die nun langsam geöffnet wurde, sodass das herrschaftliche Innere des Hauses zum Vorschein kam. Der Butler jedoch, der noch immer den Türgriff umklammerte, nahm dieses gar nicht so recht war. Hatte er gerade tatsächlich frei bekommen? Oder war das nur eine Wahnvorstellung seines vom Glück dieses Tages überbeanspruchten Gehirns? Ungläubig blickte er einen jungen Mann an, der zufällig in der Nähe stand. „Hat er das gerade wirklich gesagt?“, fragte er vorsichtshalber. Der Mann, dessen schwarze Haare eines seiner Augen bedeckten, hob die Augenbraue. „Er hat Ihnen gerade mitgeteilt, dass sie den Rest des Tages zur freien Verfügung haben.“ Die junge, rothaarige Frau an seiner Seite sah Roland besorgt an. „Sie sehen aus, als hätten Sie das bitter nötig!“ Roland schluckte. So langsam drang die Tatsache zu seinem Gehirn vor. Er hatte tatsächlich frei... zum ersten Mal seit er im Hause der Kaibas beschäftigt war! Ein Grinsen zeigte sich auf seinem Gesicht, das so unheimlich war, dass sich die Tochter der jungen Frau erschrocken hinter deren Beinen versteckte. Pfeifend schlug er die Tür der Limousine zu, die jetzt ein anderer wegfahren musste, und spazierte durch die offene Tür in den Eingangsbereich der Villa, in dem Seto und Erika gerade von den Bediensteten des Hauses mit Glückwünschen überhäuft wurden. Als es dann durch eine breite Tür auf der anderen Seite endlich in den großen Saal ging, staunte Roland nicht schlecht. Als Angestellter in einem so reichen Haus wie dem der Kaibas war er natürlich so einiges gewohnt, doch dieser Anblick brachte ihn trotzdem dazu, einen Moment in Ehrfurcht zu erstarren. Der große, schon durch die moderne Architektur auffallende Raum war überall geschmackvoll dekoriert worden. Die Möbel, die hier wohl gestanden hatten, waren entfernt worden und ließen so Platz für eine große Tanzfläche und eine Bühne am anderen Ende des Raumes, auf der sich schon eine Liveband postiert hatte. Längs der Wand zur linken Seite der Tür war ein Büfett aufgebaut, das in seiner Vielfalt einen atemberaubenden Anblick bot, während sich auf der rechten Seite eine Bar befand, hinter der mindestens ein halbes Dutzend äußerst seriös wirkender und stilvoll gekleideter junger Männer auf die ersten Gäste wartete. Um den nachströmenden Menschen Platz zu machen, stellte Roland sich vor die Theke, den Blick jedoch zum Saal gerichtet, um das Treiben beobachten zu können. Es war erstaunlich, in was für Aufzügen manche Leute sich trauten, eine Hochzeit – und noch dazu die zweier so wichtiger Persönlichkeiten! – zu besuchen. So sah er zum Beispiel einen Mann mit strubbeligem schwarzem Haar, das unter einem abgewetzten Strohhut hervorschaute. Dieser war in einer unansehnlichen roten Weste, einer halblangen Jeans und Sandalen zur Feier gekommen. Roland wunderte sich darüber, dass er vom Sicherheitsdienst überhaupt hereingelassen worden war, aber als er sich weiter umschaute, bemerkte er, dass sonst wohl zu viele Gäste hätten ausgeschlossen werden müssen. „Junger Mann, kann ich Ihnen ein Glas Champagner anbieten?“, hörte er eine Männerstimme neben sich höflich fragen. Im ersten Moment war er ein wenig verwirrt, da er nicht wusste, ob er gemeint war – es hatte ihn schon lange niemand mehr einen jungen Mann genannt – doch als kein anderer reagierte, drehte er sich um und sah, wie ein Angestellter im Smoking ihm ein Tablett mit gefüllten Gläsern entgegenhielt. „Gerne!“, sagte Roland und bediente sich. Er musste zugeben, dass er schon seit Jahren keinen Alkohol mehr getrunken hatte – immerhin war er als Butler ständig im Dienst gewesen – doch diese einmalige Chance musste er nutzen. Vorsichtig nippte er an dem Getränk. Ein süßliches Prickeln breitete sich in seinem Mund aus. Nicht schlecht, dachte er und nahm gleich noch einen Schluck. Vielleicht war es gar keine so schlechte Wahl gewesen, direkt vor der Bar zu stehen... * „Soll ich dir was vom Büfett holen gehen?“ Eine harmlose Frage eigentlich, aber Yuri Tanima fühlte sich, als hätte man ihr einen Stich versetzt. Denn es war ihr fester Freund, Kazuya Yanagiba, der gerade diese Frage einem anderen Mädchen stellte, das sie noch dazu zum ersten Mal im Leben auf dieser Party getroffen hatte. Kazuya kannte die blauhaarige Hanon offenbar schon länger, da sie sich mit einem „Lange nicht gesehen!“ begrüßt hatten. Ihr die genaueren Umstände dessen zu erklären, hatten die beiden allerdings nicht für nötig gehalten. Und nun verschwand ihr Freund tatsächlich in dem Gewühl um die langen Büfetttische, ohne sie überhaupt gefragt zu haben, ob er ihr nicht vielleicht auch etwas mitbringen sollte. Yuri warf Hanon einen verächtlichen Blick zu, doch die Blauhaarige schien das gar nicht zu bemerken, da sie noch Kazuya hinterher schaute. Mit ihren besten Freundinnen konnte Yuri an dieser Stelle auch nicht rechnen. Hinagiku hatte als Noahs feste Freundin sogar bei der Hochzeitszeremonie anwesend sein dürfen und Yuri hatte sie bisher noch nirgendwo gesehen. Momoko dagegen hatte beim Empfang diese Asuka wiedergetroffen, die sie auf der Skifreizeit im vorigen Winter kennengelernt hatten. Die zwei waren seitdem ebenso verschwunden. Und dann eben die Sache mit Hanon und Kazuya – Yuri hatte wohl allen Grund schlecht gelaunt zu sein. Kazuya kam wieder, zwei Teller mit Fleischbällchen, Käsespießchen und anderen feinen Snacks beladen, in den Händen. „Hier, Hanon-chan“, sagte er freundlich. Die Blauhaarige strahlte. „Danke, Kazuya-kun!“ Yuri wäre liebend gerne dazwischengefahren, doch auf einer solchen Party wollte sie nun wirklich keine Szene machen. Kazuya meinte es bestimmt gar nicht so und war nur überrascht, Hanon wiedergetroffen zu haben. Ja, das musste es sein... Sie seufzte und versuchte sich irgendwie abzulenken, indem sie sich umsah. Auf der Bühne hatte die Band mittlerweile begonnen, ruhige Musik zu spielen, zu der momentan allerdings noch niemand tanzte. Die meisten der Anwesenden standen herum und redeten, viele bereits mit kleinen Tellern vom Büfett in der Hand. Yuri runzelte die Stirn. Manche der Anwesenden waren wirklich unpassend gekleidet für einen solchen Anlass. Sie hatte zu Anfang sogar einen jungen Mann gesehen, der mit nacktem Oberkörper herumlief! Yuri fing den nachdenklichen Blick einer jungen Frau mit kurzen blauen Haaren auf, die allein etwas abseits stand und näherte sich ihr. Diese lächelte schwach. „Schrecklich, oder?“, fragte sie leise und deutete in Richtung Büfett. Dort herrschte maßloses Chaos: drei oder vier Personen aßen direkt von den Platten und schaufelten sich das Essen regelrecht in die Münder. Kein Wunder, dass Essenreste dabei quer über den Tisch und oft genug auch daneben flogen. Yuri sah, dass auch der junge Mann, der oben ohne herumlief, dabei war, allerdings lag sein Kopf mit dem zotteligen, schwarzen Haar seelenruhig auf einer Platte mit Koteletts; er schien tatsächlich zu schlafen. Yuri hatte Mühe, ihre Empörung zu verbergen. „Ich dachte eigentlich, das hier wäre eine High Society Veranstaltung“, murmelte sie. Die Blauhaarige nickte verlegen. „Ja, nicht wahr? Es scheinen einige Leute gekommen zu sein, die Kaiba-san nicht einmal persönlich kennen...“ Yuri nahm von einem vorbeikommenden Kellner ein Glas Champagner entgegen. Die Blauhaarige entschied sich für Orangensaft und warf Yuri einen zweifelnden Blick zu, fragte aber nicht weiter nach. * Auch an anderer Stelle erregte das Verhalten am Büfett deutlich Missfallen. Natts, der Prinz des Königreiches Palmier, lehnte an der gegenüberliegenden Wand und betrachtete kopfschüttelnd und mit einem leisen, verächtlichen Schnauben den äußerst wüsten Kampf um die Nahrung, von der doch eindeutig reichlich vorhanden war. Als er von Urara zur Hochzeit eines Paares eingeladen wurden, das weder er noch sie noch ihr Freund, von dem sie wiederum eingeladen worden war, persönlich kannten, hatte er zuerst abgelehnt. Doch zusammen mit ihren Freundinnen und seinem besten Freund Coco war es ihnen natürlich doch gelungen, ihn zu überzeugen, dass auf solch einer bedeutenden Feier seine Anwesenheit unerlässlich war. Doch daran zweifelte er nun, angesichts des sich ihm bietenden Anblicks, unter einer High-Society-Party verstand er jedenfalls etwas anderes. Als er auch noch von einem brünetten Mädchen angerempelt wurde, das ihn daraufhin aus großen Augen anstarrte und mit unverkennbar europäischen Akzent eine Entschuldigung hauchte, stieß er einen tiefen Seufzer aus. „Nicht gerade das, was man von so einer Feier erwartet, nicht wahr?“ Einen Moment lang sah Natts weiter geradeaus, doch da er niemanden auf die Frage antworten hörte, drehte er sich dann doch in die Richtung, aus der die Frauenstimme gekommen war. Neben ihm stand eine hochgewachsene, äußerste schlanke Dame mit schulterlangem schwarzen Haar, die ihn mit einem koketten Lächeln musterte. „Kennen wir uns?“, fragte er und richtete sich ein wenig auf, damit ihre Augen auf gleicher Höhe waren. Sie schüttelte schmunzelnd den Kopf. „Hier scheint sich sowieso kaum einer gegenseitig zu kennen. Eine äußerst interessante Gesellschaft.“ Immer noch ein wenig misstrauisch sagte Natts: „Oh ja, ich weiß wirklich nicht, wer diese Rabauken da drüben eingeladen hat.“ Die Frau lachte. „Einer von ihnen hat hier eine Freundin, eigentlich kommen sie von weit her. Sie sind kein anderes Verhalten gewohnt.“ Überrascht sah der Blonde sie an. „Woher wissen Sie das?“ Wieder lachte sie. „Erstmal: Bloß keine übertriebene Höflichkeit, du wirst wohl kaum viel jünger sein als ich. Und zweitens: ich gehöre zu den Rabauken, wie du sie nennst.“ Diese Information ließ Natts einen Moment verstummen. „Wirklich?“, fragte er, auch wenn er nicht damit rechnete, dass sie einen Scherz gemacht hatte. Sie nickte. „Oh ja. Es mag ihnen zwar an Manieren fehlen, dafür haben sie aber alle ein großes Herz, und diese Eigenschaft ist wirklich nicht zu unterschätzen.“ Natts warf noch einmal einen kurzen Blick hinüber zur Fressorgie, die wohl eine Art Wettessen gewesen zu sein schien, da einer der Esser, ein junger Mann mit Strohhut und roter Weste, gerade laut ausrief, er habe gewonnen. Widerwillig sagte er: „Dem mag so sein.“ Als er nun wieder in das hübsche und zierliche Gesicht der Frau blickte, sagte er: „Sie – oder du, du passt in meinen Augen nicht so recht zu ihnen. Wie kommt es, dass du zu solch einer Gruppe gehörst?“ Er gab sein Bestes, dabei nicht abfällig zu klingen, auch wenn er das Gefühl hatte, dass es ihm nicht so recht gelang. Doch die Schwarzhaarige lächelte weiter und sagte: „Es kam mir ganz gelegen, und inzwischen sind sie mir wirklich ans Herz gewachsen.“ Als Natts darauf keine Antwort gab, fragte sie ihn: „Mit wem bist du hier?“ Er ließ einen unauffälligen Blick über den Saal schweifen und erblickte die Gruppe der Mädchen, mit denen er hergekommen war, am Büfett stehend und über die Wettesser lachend. Auch Coco stand bei ihnen. Zwar hatte die Frau ihm gerade gestanden, dass sie mit der peinlichsten Truppe von allen gekommen war, dennoch wollte er ihr nicht unbedingt auf die Nase binden, dass er zu einer Gruppe pubertierender Teenager gehörte. „Niemand besonderes“, murmelte er schulterzuckend. Doch gerade in dem Moment hatten sich Nozomi, Rin und Urara an ihn herangeschlichen und schrien laut: „Buh!“ Er verdrehte die Augen, aber sein Gegenüber schien die Situation eher amüsant zu finden. „Willst du nicht auch was essen?“, fragte Nozomi. „Es gibt dort suuuperleckere Sachen!“ Ihre großen Augen strahlten ihn an, trotzdem lehnte er kühl ab. Leise kichernd verschwanden die drei Mädchen wieder. „Niemand besonderes?“, fragte die Frau belustigt und sah ihnen hinterher. Natts folgte schweigend ihrem Blick, um sie nicht anschauen zu müssen, doch er spürte, wie sie ihn bald wieder ansah, daher sagte er schließlich: „Sie helfen in meinem Geschäft aus. Die Blonde war es, die von ihrem Freund die Einladung für die Feier bekommen hat.“ Die Schwarzhaarige lachte. „Es scheint mir, als sei ich nicht die einzige, die nur über ein paar Ecken hierher gekommen ist.“ Natts nickte zustimmend. Ihm war das ganze ebenso suspekt wie ihr. Er würde zu seiner Hochzeit jedenfalls nur Leute einladen, die er kannte – allein schon, um so ein Chaos zu vermeiden. „Ich bin übrigens Robin“, stellte sie sich vor. „Natts“, sagte er. „Interessanter Name“, meinte sie freundlich lachend. Dann machte sie mit dem Kopf eine Bewegung in Richtung des Saalausgangs. „Wollen wir uns einen etwas ruhigeren Ort suchen, um uns ein wenig zu unterhalten?“ Das Angebot überraschte den Blonden ein wenig, aber er stimmte zu. Normalerweise war er Fremden gegenüber recht misstrauisch, und auch bei ihr wusste er noch nicht so recht, wie er sie einschätzen sollte, aber ihre Freundlichkeit und ihre Wortwahl, die sie sehr intelligent klingen ließ, wirkten sehr anziehend auf ihn. Zielstrebig schlängelte Robin sich durch die Menge der in kleinen Grüppchen zusammenstehenden Gäste, Natts folgte ihr nach. Als sie gerade aus der Eingangshalle heraus ins Freie treten wollten, wurde er auf einmal am Arm gepackt und zur Seite gezogen. Ungehalten entwand er sich dem Griff des Mädchens, das abschätzend an seinem festlich gekleideten Körper herabsah. Natts wollte gerade fragen, was sie von ihm wolle, als er bemerkte, wie ein rothaariges Mädchen hinter ihr ihn ebenso aufmerksam musterte. „Entschuldigen Sie bitte“, nutzte die erste, brünett und höchstens sechzehn Jahre alt, sein kurzes Zögern aus. „Sind Sie verheiratet?“ Bevor er auf diese Frage eine empörte Antwort geben konnte, stand auf einmal Robin an seiner Seite, die seine Entführung anscheinend bemerkt hatte. Fragend sah sie das rothaarige Mädchen an. „Was tust du da, Nami?“ Die gleiche Frage hätte Natts auch gerne gestellt, denn sie hatte gerade begonnen, den blauen Edelstein an seinem Kragen genau unter die Lupe zu nehmen. „Das geht dich nichts an“, erwiderte sie hochnäsig und fuhr ungerührt mit ihrer Inspektion fort. Natts trat einen Schritt zurück und blickte wütend, wenn auch leicht verwirrt, auf die beiden Mädchen herab. „Was soll dieser Unsinn?“ „Du bist reich!“, sagten sie im Chor und das gierige Blitzen in ihrer beider Augen ließ ihn erschaudern. „Würdest du ihn bitte in Ruhe lassen?“, fragte Robin die Rothaarige, die sie anscheinend kannte, in einem Ton, der zugleich sanft und drohend war. „Er ist mit mir unterwegs. Außerdem solltest du subtiler vorgehen, wenn du versuchst, dir einen reichen Mann zu angeln. Es wird dich wohl kaum einer heiraten, wenn er weiß, dass du nur an seinem Geld interessiert bist.“ Bevor die beiden Mädchen dies kommentieren konnten, hatte Robin sich bei Natts untergehakt und ihn zielstrebig in Richtung der geöffneten Eingangstür gezogen. Sie hörten noch, wie Nami flüsterte: „Schau mal, Nabiki, der da hinten hat eine goldene Taschenuhr!“ Draußen sog Natts erst den Geruch der warmen Herbstluft ein. Robin sah lächelnd auf sein von der Sonne beschienenes Gesicht. „Tut mir leid, dass sie dich belästigt hat. Sie ist von Geld besessen, musst du wissen.“ „Ah“, war Natts' einziger Kommentar hierzu. Er war schon oft von Frauen belagert worden, aus welchem Grund auch immer, daher war er nicht mehr als ein wenig ungehalten über diese Begebenheit. Robin ließ ihren Blick über die ausschweifenden Parkanlagen schweifen, die die Villa umgaben. Überall waren Leute zu sehen, die sich angeregt miteinander unterhielten. „Lass uns dort entlang gehen“, schlug Robin vor und zeigte nach links, wo ein von Bäumen beschatteter Weg zur anderen Seite des Gebäudes führte. Natts ließ sich von ihr in diese Richtung ziehen. Normalerweise mochte er es nicht, von fremden Menschen berührt zu werden, er mochte es auch nicht, nicht derjenige zu sein, der eine Entscheidung traf. Doch der heutige Tag schien sowieso völlig aus seinem alltäglichen Rahmen herauszufallen, sodass er keinen Widerstand leistete. Weder Robin noch Natts waren für gewöhnlich Menschen, die sich unnötig in das Leben anderer einmischten oder fremde Gespräche belauschten. Doch angesichts der über die ganze Anlage verstreuten Gäste war es nahezu unmöglich, nichts von dem, was geschah, zu hören oder zu sehen. So hörten sie zum Beispiel hinter einem Busch, der ein paar Meter vom Weg entfernt stand, zwei Stimmen auf so ganz und gar intime Weise kichern, dass sie beide ihren Schritt beschleunigten. Gleich darauf fanden sie hinter einem Vorsprung im Gemäuer der Villa ein Paar in inniger Umarmung vor. Obwohl sie den Blick schnell wieder abgewandt hatten, war ihnen nicht entgangen, dass es sich um zwei Mädchen – eine Blondine und ein Mädchen mit langem rosa Haar – handelte. Robin lachte leise und wollte gerade etwas sagen, als ein äußerst verwirrt dreinblickender Junge hinter einem Busch hervor auf den Weg stolperte. Als er sie sah, stieß er einen dankbaren Seufzer aus und strich sich die schwarzen Haare aus der Stirn, wobei ein gelb-schwarzes Stirnband darunter sichtbar wurde. „Gut, dass es wenigstens noch irgendwen gibt, der nicht mit anderen Dingen beschäftigt ist“, sagte er und grinste sie an. Als sie ihm fragende Blicke zuwarfen, erklärte er: „Ich hab mich wohl verlaufen... Ich wurde zu dieser Hochzeit eingeladen und es sollte auch ein Büfett geben, aber ich kann es nicht finden... Könnt ihr mir vielleicht helfen?“ Schmunzelnd erklärte Robin ihm, dass er nur den Weg entlangzugehen brauchte. Er bedankte sich mindestens dreimal hintereinander bei ihr und lief dann los. „Oh Mann...“, murmelte Natts. „Wo sind wir da bloß gelandet?“ Wieder lachte Robin, sagte jedoch nichts, sondern zog ihn nur etwas dichter an sich und setzte mit ihm ihren Weg fort. * „Oh, Entschuldigung!“, rief Yuri erschrocken. Auf der Suche nach einem Kellner, bei dem sie ihr leeres Glas Sekt abgeben (und, auch wenn sie es nicht zugeben wollte, auch gerne durch ein neues ersetzen) konnte, hatte sie nicht richtig aufgepasst und prompt jemanden angerempelt, der in der Nähe des Büfetts stand. „Kein Problem, mir ist nichts passiert“, erwiderte eine sanfte Stimme auf ihre Entschuldigung hin. Yuris Gegenüber war ein elegantes, schmal gebautes Mädchen in etwa demselben Alter, dessen dunkel schimmerndes blaues Haar ihr schwer auf den Rücken fiel. Nur eine kleine Strähne lag auf ihrem linken Schlüsselbein. Das blau schillernde Cocktailkleidchen sah recht teuer aus; Yuri zweifelte keinen Augenblick daran, dass dieses Mädchen der High Society angehörte. Da kam sie sich in ihrem von ihrer Mutter genähten blauen Dress schon fast schäbig vor. „Ich habe nicht richtig aufgepasst“, murmelte sie noch einmal. Die Blauhaarige sah sie an. „Ich habe dich eben schon gesehen, du wirkst etwas verlassen. Bist du allein hier?“, fragte sie freundlich. Yuri schüttelte schwach den Kopf. „Leider scheinen meine Freundinnen alle Wichtigeres zu tun zu haben“, sagte sie. Die Blauhaarige lächelte gequält. „Ja, meine auch“, bemerkte sie und deutete mit einer kurzen Kopfbewegung in Richtung des Büfetts. Yuri sah nur kurz hin. Ein Typ, der scheinbar über dem nackten Oberkörper nur eine lose rote Weste trug und eine illustre Gestalt mit schlohweißem Haar in einem krebsroten Gewand standen mittlerweile auf den Büfetttischen und funkelten sich kampflustig an. Yuri drehte sich wieder weg. „Ich heiße Karen Minazuki“, sagte das blauhaarige Mädchen unvermittelt. Yuri brauchte etwas, um zu schalten, dann nickte sie. „Ich heiße Yuri Tanima. Sehr erfreut“, sagte sie und verbeugte sich leicht. Karen lächelte. * Die Leute, die das Büfett schon hinter sich gebracht oder daran kein Interesse hatten, hatte es vielerorts nach draußen auf die Terrasse vor dem Ballsaal verschlagen. Deren Boden war zum großen Teil mit Steinplatten bedeckt und prächtige Blumenstöcke rankten sich an den Seiten neben den großen Glastüren hoch, die in den Saal führten. Von dort aus hatte man einen guten Blick auf den leicht abschüssigen Garten, dessen perfekt gepflegte Rasenfläche mithilfe von Blumenbeeten in allen Regenbogenfarben in Wege eingegrenzt war, die zum Herumschlendern einluden. „Wusstest du, dass das weiße Alpenveilchen in der Blumensprache für Unschuld steht, das Rote aber für Neid?“ „Ehrlich?“ Aiko stieß einen unhörbaren Seufzer aus. Würde sie Alltagskleidung tragen, hätte sie jetzt vermutlich ihre Hände tief in den Taschen ihrer Latzhose vergraben, aber da sie auf einer Party waren, trug sie heute ein Kleid und musste sich damit begnügen, die Hände in die Hüften zu stemmen. Ihre Freundin Hazuki redete munter weiter auf das junge Mädchen mit den kurzen Haaren und den süßen Zöpfchen ein und beachtete Aiko gar nicht weiter. Als sich die blauhaarige Aiko umschaute, entdeckte sie zu ihrem Glück, dass ihre beste Freundin Doremi scheinbar einen interessanteren Gesprächspartner gefunden hatte. Dieser überragte sie um mindestens zwei Köpfe und schien recht alt zu sein, bestimmt schon 16 oder so, und steckte in einer roten Jacke mit dunkelroten Streifen, die an den Ärmeln schon etwas abgetragen aussah. Im Moment schien er sich allerdings eher mit Doremis Begleiter, dem Beyblader Takao, zu unterhalten. Aiko näherte sich unauffällig. „Ich hab den Eindruck, du hältst dich für was Besseres“, sagte Doremis Freund gerade. Der in der roten Jacke kratzte sich am Kinn. „Das hab ich nicht gesagt.“ Takao wirkte angriffslustig: „Es klang aber so, als würdest du dich über meinen Sport lustig machen!“ „Ich mache mich nicht über anderer Leute Hobbys lustig. Wenn du das Bladen wirklich liebst, sollte es dir aber auch egal sein, was andere darüber denken.“ Aiko stupste Doremi an, die sie, dankbar für die Unterbrechung, ansah. „Wat is'n hier los?“, fragte die Blauhaarige mit einem kurzen Kopfnicken zu den beiden Jungs. „Weiß auch nicht“, erwiderte Doremi, „Irgendwie scheint Takkun diesen Typen nicht zu mögen...“ Zu ihrer Überraschung störte es Aiko in diesem Moment überhaupt nicht, dass Doremi ihren Freund schon wieder mit seinem Kosenamen bedachte, obwohl sie das normalerweise zur Weißglut brachte. Stattdessen betrachtete sie Takaos Gesprächspartner etwas näher. Gut, seine Jacke wirkte auf dieser feinen Gesellschaft etwas fehl am Platz. Andererseits traf das auch auf Takao zu, der in seinem schwarzen Anzug so seltsam aussah, dass Aiko ihm geraten hätte, einfach etwas zu tragen, in dem er sich wohl fühlte. „Hey, immer cool bleiben“, versuchte Takaos Gesprächspartner diesen gerade zu beschwichtigen. Aiko betrachtete ihn dabei eingehend. Sein leicht verlegenes Grinsen war irgendwie süß. Und diese dunkelbraunen Strähnen, die ihm halb ins Gesicht hängen verliehen ihm zusammen mit seinem ansonsten zackig vom Kopf abstehenden Haarschopf etwas sehr Verwegenes. „Der is cool, wa?“, rutschte ihr leise heraus. Doremi neben ihr kicherte leise, aber Aiko bemerkte das schon gar nicht mehr und betrachtete stattdessen das seltsame Gerät, das der Jugendliche an seinem Unterarm trug. Das leicht silbrig schimmernde Gerät mit den roten Streifen erinnerte sie irgendwie an ein Ufo. Da ihre Aufmerksamkeit vollkommen auf den Jungen fixiert war, bekam sie auch gar nicht richtig mit, wie Doremi Takao anstupste und ihm leise etwas ins Ohr flüsterte. Stattdessen folgte sie seinem Blick in Richtung Terrasse und war enttäuscht, ihm nicht ansehen zu können, auf welchem der dort herumstehenden Partygäste seine karamellbraunen Augen ruhten. Sie zuckte zusammen, als er den Kopf langsam in ihre Richtung drehte und machte einen reflexartigen Schritt rückwärts. Im Nachhinein war sie sich nicht sicher, ob sie das nicht lieber hätte lassen sollen, denn dann wäre an diesem Nachmittag einiges anders verlaufen. Denn mit ihrem plötzlichen Schritt durchkreuzte sie den tollen Plan, den Doremi für sie ersonnen hatte. Der sah nämlich folgendermaßen aus: Takao würde Aiko unauffällig anrempeln, sodass diese genau in die Arme des jungen Mannes stolpern würde. Und damit wäre Doremi dann endlich ihr schlechtes Gewissen los, weil Aiko damals auch in Takao verliebt gewesen war und immer so eifersüchtig guckte, wenn sie das Paar zusammen sah. Da Aiko nun aber in dem Moment, in dem Takao versucht hatte sie anzurempeln, aus dem Weg gegangen war, verlor der junge Beyblader das Gleichgewicht und stolperte, wie es eigentlich für Aiko geplant gewesen war, auf den Jugendlichen zu. Da dieser aber in dem Moment den Kopf zu Aiko gedreht hatte, bemerkte er Takao erst, als dieser ihm in dem Versuch, sich irgendwo abzustützen, die Hände gegen den Bauch rammte. Darauf war er nicht vorbereitet gewesen und während der Zusammenprall Takao half, sein Gleichgewicht wiederzufinden, verschwand der Braunhaarige mit einem lauten Rascheln und einem überraschten „Wuah!“ in der angrenzenden Hecke. Das zog natürlich sofort einige Blicke auf sich. Aiko hatte kaum mitbekommen, was geschehen war, als sich der Jugendliche schon wieder aus den Blättern und Zweigen hervorkämpfte. Doch eines bemerkte sie sofort: „Du bist ja verletzt!“ „Was?“ Der Junge sah überrascht auf seine linke Hand. Deren Zeigefinger wies eine Wunde auf, aus der bereits Blut zu quellen begann. Doremi stupste Aiko auffordernd von hinten an. Diese drehte sich fragend um. „Los, das ist deine Chance“, sagte ihre rothaarige Freundin und zwinkerte ihr zu. Aiko verstand. „Wir sollte jemand suche, der uns een Pflaster dafür gebe kann“, sagte sie. Der Jugendliche, der sie um mindestens zwei Köpfe überragte, sah sie verblüfft an. „Das ist doch nur ein Kratzer“, winkte er ab. Aiko schüttelte entschlossen den Kopf. „Wenn wa die Wunde net desinfizier'n, kann se sich entzünde!“, wies sie ihn zurecht, packte ihn am Gelenk der rechten Hand und zerrte ihn in Richtung Saal. Er war so überrascht, dass er nicht einmal protestierte. * Derweil ließ Roland sich auf den Boden sinken, da seine Beine sich wie Wackelpudding anfühlten und wohl sowieso bald unter seinem Gewicht zusammengebrochen wären. Zwar sagte eine Stimme in seinem Hinterkopf ihm, dass es sich eigentlich nicht schickte, auf einer High-Society-Party im Anzug auf dem Boden herumzusitzen – und das auch noch mit einem Glas Cognac in der Hand – aber erstens ließ sein Körper ihm keine andere Möglichkeit und zweitens war er bei weitem nicht der einzige hier, der sich nicht dem Anlass entsprechend verhielt. Zum Glück hatten Seto und Erika darauf verzichtet, hoch angesehene Firmenchefs einzuladen, denn diese hätten sicherlich einen unwiderruflich schlechten Eindruck bekommen und nie wieder Geschäfte mit den Unternehmen der beiden gemacht. Neben der Fressorgie am Büfett, die bei fast allen anderen Gästen auf Missbilligung stieß, war da zum Beispiel das Mädchen mit dem dünnen, hellbraunen Haar und dem weinroten Kleid gewesen. Auf den ersten Blick wirkte sie sehr brav, aber als sie einen Jungen in schwarzer Uniform erblickte, dessen grauer Schopf im Licht fast silbrig erschien, stieß sie, nachdem sie ihn einen Augenblick mit offenem Mund angestarrt hatte, einen lauten Schrei aus und stürmte auf ihn zu. Er war erst völlig perplex gewesen, dann hatte er auf einmal versucht, sie von sich fernzuhalten – obwohl er vorher den Eindruck gemacht hatte, als wäre er glücklich gewesen, sie zu sehen – und sie waren in einen Kreis anderer Gäste gestolpert. Es bereitete Roland Kopfschmerzen, als er versuchte, sich daran zu erinnern, was als nächstes geschehen war, er erinnerte sich nur noch, dass es einen kleinen Tumult gegeben hatte, der dann von den Sicherheitskräften mehr oder weniger gewaltfrei gelöst worden war. Mit einem glasigen Blick starrte der Angestellte in die bunte Menge. Er fragte sich wirklich, was auf dieser Feier noch so alles geschehen würde. Wenn der Alkohol nicht all seine Erinnerungen zerstörte, würde dies definitiv ein Tag werden, den er niemals vergessen würde. Gerade wollte er einen Schluck aus seinem Glas nehmen, als die Eingangstür mit einem lauten Knall aus ihren Angel geworfen wurde. Erschrocken ließ er das Glas fallen und sprang auf die Füße – wobei er beinahe das Gleichgewicht wieder verloren hätte, weil sich durch die plötzliche Bewegung alles vor seinen Augen zu drehen begann. Als sich dann auch noch eine große, schwarze Schlange mit bedrohlich funkelnden roten Augen und langen Fangzähnen durch die Tür schlängelte und „Vipitissssss!“ zischte, musste er sich fest an die Schulter des gerade vorbeikommenden Kellners klammern, um nicht umzufallen, so sehr zitterten seine Beine. „Gebt uns eure Pokémon!“, rief eine Stimme Während die Gäste kreischend und drängelnd zum anderen Ende des Saales stürmten, erschienen zwei Gestalten in der Tür. Verschwommen erkannte Roland hinter ihnen einen der schwarz gekleideten Security-Männer, der regungslos am Boden lag. Seine Finger noch fester an die Schultern des Kellners klammernd sah Roland die beiden Eindringlinge genauer an. Es waren ein Mann und eine Frau, die so gekleidet waren, dass sie ohne diesen Auftritt nicht im geringsten aufgefallen wäre: er trug einen schwarzen Frack und eine Fliege, sie ein schlichtes langes Kleid in der gleichen Farbe. „Jetzt gibt’s Ärger!“, rief der Mann und warf seinen Zylinder in den Raum, wobei darunter eine Wucht an langem, magentafarbenen Haar zum Vorschein kam. „Nanu?“, rief Roland und versuchte, in dem unscharfen Bild, das seine Augen an sein Gehirn lieferten, mehr Details zu erkennen, während die beiden begannen, irgendeinen Spruch aufzusagen. Der Mann war offensichtlich keiner, denn bei genauerem Hinsehen zeigte sich unter seinem Hemd eine deutliche Erhöhung, auch die Haarpracht und die zierliche Gestalt waren mehr als deutlich. Die zweite im Bunde war jedoch ganz offensichtlich eine wahre Schönheit: ihr violettes Haar wurde am Hinterkopf zusammengehalten, nur ein paar Strähnen hatten sich vor ihre Ohren verirrt, die mit glitzernden Steinchen versehen waren. Das strahlende Grün ihrer Augen wurde von langen dunklen Wimpern umrahmt und ergab zusammen mit dem dezent, aber verführerisch geschminkten Mund ein unglaublich attraktives Bild. Auch der restliche Körper trug natürlich dazu bei: Groß und schlank war sie, der matt glänzende Stoff des Kleides umschmeichelte ihre langen Beine und seine schwarze Farbe passte perfekt zu der Haut, die fast so weiß war wie Porzellan. „Wer gibt den Guten immer eins drauf, hurra?“, rief die Frau im Frack gerade. „Wir, Team Rocket, wir sind immer da!“, vervollständigte die Schönheit den Reim. „Miauz genau!“, hörte man eine Stimme quietschen, die von einer Katze zu kommen schien, die gerade zwischen den beiden aufgetaucht war. „Sie sind doch ein Angestellter Kaiba-samas, oder? Kümmern sie sich darum!“, raunte der Kellner Roland angsterfüllt zu. Dann zog er sich schnell zu den anderen Gästen an die hintere Wand zurück. Benommen stolperte Roland auf die Ankömmlinge – Team Rocket, wie sie sich nannten – zu. Am liebsten wäre er weggerannt, als er bemerkte, dass das Schlangenwesen nun auch noch bedrohlich zu zischeln begonnen hatte , doch zwei Dinge hinderten ihn daran: sein Pflichtbewusstsein und die unglaubliche Schönheit der Dame in Schwarz. Diese sah ihn nun herausfordernd an. Als sich ihre Blicke trafen, stieß Roland einen tiefen Seufzer aus und sank mit den Knien auf den Boden, da seine Beine ihm nun wirklich nicht mehr gehorchen wollten – zu Alkohol und Angst war nun auch noch die Macht der Liebe gekommen. * Das Auftauchen der seltsamen Schurken sorgte auch an anderer Stelle für überraschende Reaktionen. Yuri, die zusammen mit Karen nach draußen gegangen war, da sie drinnen leichte Kopfschmerzen geplagt hatten, ließ vor Schreck ihr drittes Glas Champagner fallen, als aus der Villa ein lauter Knall ertönte. Dann drängten sich schon die meisten Gäste von drinnen zu den Terrassentüren. Von irgendwo hinten im Saal ertönte ein lautes „Gebt uns eure Pokémon!“ Yuri verstand nicht genau, was da los war, doch eines kam bei ihr sofort an. Jemand hatte es gewagt, die Hochzeitsfeier eines sich liebenden Paares zu zerstören. Das konnte sie nicht zulassen. Eilig sah sie sich um. Karen war scheinbar weggerannt wie die meisten anderen auch, die auf die Terrasse drängten und weiter in den Garten liefen. Einige Mutige hielt es jedoch drinnen, unter anderem auch ein paar der Chaoten vom Büfett, die jetzt allerdings ziemlich grimmig und kampfbereit aussahen. Yuri huschte eilig in den Zwischenraum zwischen einem Busch und der Mauer des Gebäudes, wo sie ihren magischen Lippenstift hervorzog. Hier würde sie wohl keiner bemerken. „Liebe ist eine Blüte der Anmut“ flüsterte sie und spürte, wie sich das fliederblaue Hochzeitskleid um ihren Körper legte, das sie zu Engel Lily werden ließ. Damit hielt sie sich jedoch nicht lange auf, da der lange, bauschige Rock so viel Platz wegnahm, dass sie in der kleinen Lücke regelrecht feststeckte. „Zauberhafte Verwandlung, Mächte der Liebe!“, setzte sie also – ebenso flüsternd – nach, um so die praktischere Form eines kämpfenden Engels mit engem Oberteil und kurzem Rock anzunehmen. Eilig trat sie wieder hinter dem Busch hervor – und stieß im nächsten Moment einen Laut des Erstaunens aus. Ihr gegenüber – auf der anderen Seite der Terrasse, die jetzt gut zu sehen war, weil die Anwesenden, die weggelaufen waren, mittlerweile irgendwo weiter weg waren – stand ein Mädchen, das ihr Aufsehen sofort erregte. Ihr dunkelblaues Haar war zu einem langen Zopf hochgesteckt, den eine große Schmetterlingsbrosche zierte. Ihr Kostüm war hellgelb mit einem breiten blauen Gürtel und blauen Rüschen. Alles in Allem schienen der kurze Rock und die enge Shorts darunter jedoch zum Kämpfen geeignet zu sein. Die Blauhaarige sah Yuri, oder vielmehr, Engel Lily, genau so verwundert an wie umgekehrt. Dann kamen sie aufeinander zu. „Bist du etwa...“, setzten beide gleichzeitig an. „...Karen?“, beendete Lily ihre Frage. „...Yuri?“, kam es zurück. * Während die Mädchen vor der Tür noch miteinander beschäftigt waren, hatten sich im Saal ein paar der Gäste hervorgewagt, um den Schurkinnen entgegenzutreten. Die meisten von ihnen sahen, trotz der größtenteils vorhandenen feinen Bekleidung, äußerst kampferprobt aus, was Roland, der noch immer auf dem Boden hockte und die Schönheit im schwarzen Kleid bewunderte, zum einen beruhigte, ihm zum anderen aber auch Angst machte. Er war sich sicher, dass sie gemeinsam dieses merkwürdige Wesen aufhalten konnten, aber ebenso war ihm klar, dass sie die beiden Frauen der Polizei übergeben würden, und das bedeutete, dass er die neu gewonnene Liebe nicht allzu lange würde behalten können. Es sei denn, er unternahm etwas... „Was wollt ihr hier?“, fragte Seto, der sich der Gruppe ebenfalls angeschlossen hatte, mit gebieterischer Stimme. „Eure Pokémon!“, erwiderte die Frau im Frack. „Gebt sie uns und wir werden in ein paar Minuten wieder verschwunden sein.“ „Was zur Hölle...?“, begann Seto, doch ein Junge mit schwarzen Haaren, der sich gerade an den anderen vorbeidrängelte, unterbrach ihn. „Ihr bekommt sie nicht!“ Wie allen anderen auch fiel Roland das merkwürdige gelbe Wesen mit den langen Ohren und dem gezackten Schwanz auf, das auf der Schulter des etwa Zehnjährigen saß. Anscheinend schien der Kleine zu wissen, was diese Pokémon waren. „Sieh mal einer an, du auch hier?“, klang es ihm hämisch entgegen. „Verschwindet!“, forderte er sie auf. Das Tier sprang von seiner Schulter und sah die beiden mit bösem Blick an, während es leise etwas, das wie „Pika“ klang, vor sich hin knurrte. Unentschlossen, wann wohl der beste Zeitpunkte wäre, um der geheimnisvollen Dame zur Seite zu stehen, versuchte Roland erst einmal, sich aufzurichten, was ihm schon einige Probleme bereitete. Währenddessen beobachtete er, wie ein Mann mit schneeweißem Haar,einem recht altertümlichen roten Gewand und Hundeohren, den er zuvor schon am Büfett gesehen hatte, einen Schritt nach vorne machte und bedrohlich die Knochen seiner Hand knacken ließ. „Verschwindet von hier, wenn euch euer Leben lieb ist!“ Roland erschauderte, da er eigentlich angenommen hatte, dass das Problem einigermaßen friedlich gelöst werden könnte, doch die beiden Frauen ließen sich nicht so leicht beeindrucken. „Los, Venuflibis!“, rief die Schönheit mit einer Stimme, die ein wenig klang, als sei sie erkältet, und warf einen kleinen rot-weißen Ball auf den Boden, den sie gerade aus ihrer Handtasche gezogen hatte. Auf einmal erschien an dieser Stelle ein grausiges grünes Wesen mit einem riesigen Mund voller spitzer Zähne und blattartigen Armen, das eine erschreckende Ähnlichkeit mit einer fleischfressenden Pflanze aufwies. Das Merkwürdige war, dass es nicht etwa, wie Roland befürchtet hatte, auf die Gegner der Frauen losging, sondern sich umdrehte und auf seine Besitzerin zuschwebte. „Nein, Venuflibis, nicht jetzt!“, rief diese noch, bevor das Monster seine Blätterarme um sie schlang und ihren Kopf in seinem Maul vergrub. Paradoxerweise machte diese Geste einen fast schon liebenswürdigen Eindruck. „Auf sie!“, rief ein Junge mit schwarzen Haaren und einem geflochtenen Zopf, während die Lilahaarige noch damit beschäftigt war, sich aus den Fängen ihres Monsters zu befreien. Das ließen sie alle sich nicht zweimal sagen und die Gruppe von etwa fünfzehn Personen stürmte auf die Eindringlinge zu. „Vipitis! Giftstachel!“, rief die Frau mit den langen magentafarbenen Haaren. Die große Schlange zischelte leise und bewegte sich mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit auf die Angreifer zu. So genau wollte Roland gar nicht hinsehen, deshalb hielt er den Blick stur auf die gegenüberliegende Wand gerichtet, während er auf diese zuging, um sich von der anderen Seite an das Paar heranzuschleichen. Er konnte schließlich nicht zulassen, dass diese grobschlächtigen Kerle das hübsche Gesicht seines Engels verunstalteten! Der Kampf war ein einziges Chaos. Immer wieder hörte man Schreie, die sich aber nie so recht einem der Beteiligten zuordnen ließen. Mal schienen die beiden Monster – das grüne hatte sich inzwischen auch dazu herabgelassen, sich dem Feind zuzuwenden – die Oberhand zu haben, mal sahen sie aus, als wären sie arg in Bedrängnis. Während Roland sich vorsichtig an der Wand entlang schlich, beobachtete er, wie die sprechende Katze – anscheinend auch eins dieser Wesen – einen kleinen Elch auf zwei Beinen, der einen großen rosa Hut trug, niederschlug und in einen Sack steckte. Als ein junger Mann mit Geschossen aus faulen Eiern versuchte, das Tier aufzuhalten und die anderen die Monster und die Frau im Frack attackierten, sah Roland seine Chance: Mit einer Geschwindigkeit, die er von sich selbst kaum erwartet hätte – besonders nicht in diesem Zustand – hechtete er an die Seite seiner Angebeteten, packte sie am Handgelenk und zog sie zur Seite, hinter sich her, bloß weg aus dem Gerangel. Sie ließ laute Worte des Protestes vernehmen, doch davon ließ er sich nicht beeindrucken. Diesen großen Fang würde er niemals wieder loslassen. * Von all dem wilden Chaos unten in der Lobby hatten Aiko und ihr am Finger verletzter Begleiter nicht viel mitbekommen. Letzterer hatte zwar ein wenig besorgt das Gesicht verzogen, als aus dem Geschoss unter ihnen das Trappeln von hunderten von Füßen zu hören gewesen war, dann aber gemeint, dass das wohl zur Feier gehören müsse. „Entschuldigung!“, rief Aiko, als sie endlich wieder eine der Hausangestellten erblickte. Genau genommen war es die erste, seit sie im Erdgeschoss einen der Kellner nach Desinfektionsmittel gefragt hatten. Was mittlerweile bestimmt eine Viertelstunde her war, denn die vage Wegbeschreibung („Im Obergeschoss gibt es ein Zimmer mit Verbandszeug, ist ganz leicht zu finden, gleich neben dem Gemälde mit der Waldlandschaft“) hatte nicht viel getaugt, da irgendwie alle Gemälde, an denen sie vorbeigekommen waren, mehr oder weniger gebirgige Waldlandschaften zeigten. Aikos verletzter Begleiter hatte sie mehrmals gefragt, ob sie es nicht einfach drauf beruhen lassen könne, die Wunde blute ja auch gar nicht mehr und seine Freunde würden sich sicher schon Sorgen machen. Irgendwann hatte Aiko dem nachgegeben, da die Wunde wirklich nicht besonders schlimm aussah, doch irgendwie war der erste Stock des Herrenhauses so unübersichtlich angelegt, dass sie weitere fünf Minuten erfolglos damit verbracht hatten, eine Treppe ins Erdgeschoss zu suchen. Die Hausangestellte war somit ihr erster Lichtblick seit Langem und lächelte auch sofort, als Aiko sie ansprach. „Entschuldigung“, sagte die Blauhaarige, auch wenn sie sich damit wiederholte, „wir warn eegentlich auf der Suche nach Desinfektionsmittel, aber...“ Die junge Frau mit den hochgesteckten braunen Haaren ließ sie gar nicht erst aussprechen: „Ich bringe sie zum Verbandsraum, es wäre wirklich eine Schande, einen verletzten Gast unbehandelt zu lassen.“ Damit setzte sie sich zielstrebig in Bewegung. Aiko folgte ihr und zog den jungen Mann hinter sich her, der mittlerweile erkannt hatte, dass es auch nichts geändert hätte, wenn er noch mal darauf bestanden hätte, dass es nur ein Kratzer war. Das Verarzten der Wunde an sich war, sobald Aiko das nötige Handwerkszeug hatte, eine Sache von nicht einmal einer Minute. Nur eben ein bisschen Desinfektionsflüssigkeit auf die sowieso schon fast geschlossene Wunde getupft und ein Pflaster drüber geklebt, schon war sie fertig und strahlte ihn an. „Danke“, brummte der junge Mann mit wenig Elan. „Ich bin Aiko“, sagte sie eilig. Er nickte. „Jûdai“, kam es einsilbig zurück. Dann erhob sich der Braunhaarige. „Wie gesagt, meine Freunde machen sich sicher schon Sorgen“, sagte er. „Dann gehe wa sie mal suchen“, sagte Aiko überzeugt. Beide verließen den kleinen Aufenthaltsraum für die Mitarbeiter, in dem sich neben dem Erste-Hilfe-Kasten auch eine kleine Teeküche befand. Aiko schloss die Tür hinter sich und sah langsam erst nach links, dann nach rechts den Gang entlang. In beiden Richtungen lagen Türen, hübsche Deckenleuchter und in regelmäßigen Abständen Gemälde mit Waldlandschaften. „Tja... wie komme wa jetzt wieder zurück zum Fest?“ * An anderer Stelle war man zwar auch weit vom Geschehen entfernt, aber im Gegensatz zu Aiko und Jûdai ziemlich froh darüber. Nachdem sie eine gefühlte halbe Stunde über das Gelände geschlendert waren, hatten Natts und Robin nun endlich ein noch freies Plätzchen gefunden. Es handelte sich zwar nur um eine Holzbank, die sie beinahe übersehen hätten, da sie größtenteils von einem Busch neben dem Weg bedeckt wurde, doch als die beiden ihre Köpfe hoben, sahen sie, dass man von hier einen bezaubernden Ausblick auf die Stadt am Fuß des Hügels hatte, auf dem das Anwesen lag. Dieser Anblick zauberte ihnen beiden ein Lächeln auf das Gesicht. „Hier könnte man gut lesen.“ Überrascht sahen sie sich an, denn sie beide hatten diesen Satz gerade gleichzeitig gesprochen. Robin fing an zu lachen und auch Natts' Lächeln wurde breiter. „Da bin ich wohl ohne es zu wissen auf einen Gleichgesinnten gestoßen“, stellte sie fest und ließ sich auf der Bank nieder. Natts setzte sich neben sie – wobei er allerdings noch immer einen kleinen Abstand zwischen ihnen bewahrte – und ließ seinen Blick über die Hochhäuser schweifen. „Es scheint mir ganz so“, sagte er. „Bücher an sich sind etwas Faszinierendes, aber ihre Wirkung hängt auch davon ab, wo man sie liest.“ Robin nickte. „Genau so ist es. Aber andererseits hat ein Buch auch nie die gleiche Wirkung, selbst wenn du es am gleichen Ort liest. Irgendetwas ist immer anders, darum wird es auch nie langweilig, ein Buch ein zweites oder drittes Mal zu lesen.“ Dem konnte Natts ebenfalls nur zustimmen. Robin lehnte sich zurück, faltete die Hände hinter dem Kopf und richtete ihren Blick gen Himmel. „Ich habe das Gefühl, dass der Himmel hier dunkler ist als in meiner Heimat. Und alles ist so eng und hektisch. Bisher dachte ich, hier könnte man keine Bücher lesen, doch dieser Ort hier wäre wirklich ideal.“ Dieser Kommentar machte Natts neugierig, gerne hätte er nachgefragt, wo denn ihre Heimat lag, doch er wollte nicht zu aufdringlich sein, daher sagte er: „So ging es mir zu Beginn auch. Aber mit der Zeit habe ich auch den Zauber entdeckt, den diese Welt auf das Lesen ausübt. Das eine oder andere Buch hat sich mir erst hier völlig eröffnet, weil es nicht so recht in meine Heimat passte.“ Im Gegensatz zu Natts fragte Robin daraufhin sofort rundheraus: „Woher kommst du? Es scheint mir fast, als sei deine Heimat ebenso weit weg wie meine.“ Natts lächelte. „Das denke ich eher nicht, mein Heimatland ist wirklich weit von hier.“ Er war sich nicht sicher, wie viel er preisgeben sollte, daher erwähnte er noch nicht, dass er nicht einmal aus dieser Welt kam, sondern aus einer Parallelwelt, in der nur kleine tierähnliche[ Wesen lebten – so wie er selbst eigentlich auch eines war. Doch Robin ließ sich von diesen mysteriösen Andeutungen nicht in die Irre führen, sondern hakte gleich nach: „Wo denn genau? Liegt es in dieser Welt?“ Die letzte Frage verwunderte Natts. Es schien fast, als kenne sie die Welt, aus der er kam, oder zumindest etwas Ähnliches... „Kommst du auch aus einer Parallelwelt?“, fragte er daher, wobei die Neugier nun letztendlich doch durchgebrochen war. Er hatte kein schlechtes Gewissen, da sie mindestens ebenso direkte Fragen stellte. Sie nickte. „So könnte man es bezeichnen. Ich kann es selbst kaum glauben, dass ich jetzt hier bin.“ Natts seufzte lächelnd und starrte auf die belebte Stadt. „Oh ja, neue Welten sind immer wieder ein Abenteuer für sich...“ Es sollte eine ganze Weile dauern, bis sich zwischen den beiden, die sonst eher wortkarg waren, auch nur ein kurzer Moment der Stille ergab. * Stille herrschte im großen Saal zwar nicht, aber immerhin war es wieder ruhiger geworden, seit es den Schlagkräftigeren unter den Gästen gelungen war, die Frau im Frack und ihre Monster zum Teufel zu jagen. Da deren Begleitung zusammen mit Roland spurlos verschwunden war, waren die meisten Gäste langsam in den Saal zurückgekommen. Die größten Chaoten hatten sich, da das Büfett nun geleert war, nach draußen verzogen, wo aus einer Ecke des Gartens immer wieder Kampfschreie und Anfeuerungsrufe zu hören waren. Die Band, die zusammen mit den Gästen zurückgekehrt war, hatte nach der Beseitigung der Essensreste begonnen, ein paar tanzbare Stücke zu spielen und viele der Anwesenden – allen voran das Traumpaar des Tages, Seto und Erika – nutzten nun die Gelegenheit, sich im Takt flotter Walzermusik umeinander zu drehen. Yuri und Karen standen etwas abseits und nippten an ihren Getränken. Yuri, die inzwischen mit einem leichten Pochen in den Schläfen die zwei Gläser Champagner von zuvor bereute, hatte sich für ein Glas Milch entschieden, Karen für einen Traubensaft. Drei Mädchen, die passend zu ihren jeweiligen Haarfarben in Rosa, Orange und Grün gekleidet waren, lösten sich aus der Menge und kamen auf Karen zu. „Möchtest du nicht auch mal tanzen?“, fragte die Vorderste, die ein rosarotes Kleidchen mit vielen Rüschen trug. „Hm, vielleicht später“, sagte Karen freundlich und machte eine flüchtige Kopfbewegung in Richtung Yuri, die andeuten sollte, dass sie sich gerade in einem Gespräch befand. Diese wurde allerdings von der rosa gekleideten nicht richtig aufgefasst: „Du bist gemein. Wir haben so viel Spaß!“ „Ich wette, Karen hat hier auch ihren Spaß“, unterbrach die etwas älter wirkende Grünhaarige sie freundlich und drehte sich dann zu ihrer Freundin: „Nicht, Karen?“ „Doch, genau“, kam die Antwort. Dem Mädchen in Rosa schien das nicht zu gefallen, doch ihre orange gewandete Freundin schob sie behutsam von Karen weg. „Lass sie doch, wenn sie nicht will. Wir können ja auch nochmal tanzen.“ Die Grünhaarige beeilte sich, den beiden zu folgen, und winkte Karen nur noch kurz zu. „Deine Mitstreiterinnen?“, fragte Yuri interessiert. Karen nickte und strich sich geflissentlich eine Strähne hinter die Schulter, die allerdings schon während ihrer nächsten Worte stur wieder nach vorne wanderte. „Die in Rosa war Nozomi, die in Orange Rin und die in Grün Komachi.“ „Dann weiß ich Bescheid, Urara hast du mir ja vorhin schon vorgestellt“, bemerkte Yuri und sah sich um. Ein Stich fuhr ihr durch die Brust, als sie am anderen Rand der Tanzfläche doch tatsächlich ihren Freund Kazuya erblickte, der immer noch mit der blauhaarigen Hanon zusammen war – nicht nur das, sie tanzten sogar und schienen ihren Spaß zu haben. „Lass uns nach draußen gehen, ich fühle mich gerade nicht gut“, murmelte sie und zog Karen in Richtung Terrasse. Karen protestierte nicht groß. Draußen blieben sie neben einem Rosenbusch stehen. „Gibt es eigentlich viele Leute, die wissen, dass ihr Liebesengel seid?“, fragte Karen, um das Gesprächsthema von zuvor wieder aufzunehmen. * „Hey! Was soll das?!“, rief die Schönheit mit den violetten Haaren empört. Roland hatte sie zwar schon mindestens fünfzig Meter vom Kampfgeschehen weggezerrt, aber sie schien erst jetzt wirklich wahrgenommen zu haben, was geschehen war. Der Butler, der ihr Handgelenk noch immer festhielt, damit sie ihm nicht entkam, drehte sich zu ihr um und zeigte ihr etwas, das eigentlich ein beruhigendes Lächeln darstellen sollte. Bei ihr schien es jedoch eher Panik auszulösen, denn sie versuchte, seinem Griff so schnell wie möglich zu entkommen. Zu Rolands Glück konnte sie sich mit den dünnen Absätzen ihrer Schuhe nicht sehr gut gegen den Boden stemmen und daher nicht genug Kraft aufbringen, um sich zu befreien. „Komm einfach mit...“, säuselte Roland und zog sie weiter den Gang entlang. „Ich lasse nicht zu, dass die dir etwas antun.“ „Wer sollte mir denn bitte etwas antun?“, fragte die Frau. „Na, die Polizei. Die wird doch bestimmt gleich hier sein. Und wenn sie dich finden, nehmen sie dich mit. Sei froh, dass ich dich gerettet habe.“ Roland strich mit einem seiner Finger – so gut es in dieser Position eben ging – über ihr Handgelenk. Er spürte, wie sie davon sofort eine Gänsehaut bekam, was er als gutes Zeichen deutete. „Ach, Blödsinn! Die kriegen uns nie! Und jetzt lass mich endlich los!“, zeterte sie jedoch immer noch. Roland kicherte in sich hinein. Äußerlich gab sie sich widerspenstig, aber im Inneren wollte sie ihn doch genauso wie er sie... Von seinen Gefühlen völlig in Besitz genommen, stieß er eine Tür auf, die vom Gang abzweigte. Das Zimmer dahinter schien einem Angestellten des Hauses zu gehören, jedenfalls gab es dort einen kleinen Kleiderschrank, einen Fernseher, eine Tür, die wohl zum Badezimmer führte, und – was das beste war – ein großes Bett. Volltreffer!, dachte Roland, während seine Angebetete bei diesem Anblick erst recht in Panik geriet und versuchte, sich am Türrahmen festzuhalten, als er den Raum betrat und sie hinter sich herziehen wollte. Unterbrochen wurde diese Szene jedoch von einem schwarzhaarigen Jungen mit einem gelb-schwarzen Stirnband und einem Mädchen mit dunkelblauem Haar, das ein blau-weißes, pinguinartiges Plüschtier auf dem Arm trug. „Entschuldigen Sie“, sprach der Junge Roland an. Wahrscheinlich hielt er ihn angesichts seines gepflegten Äußeren und der Tatsache, dass er eines der Zimmer betrat, für einen Angestellten. „Können Sie mir sagen, wo es zum Büfett geht?“ Roland zeigte in die Richtung, aus der sie gekommen waren. „Immer geradeaus“, sagte er. „Und ich suche die Toilette“, meldete sich nun das Mädchen zu Wort. Bevor Roland auch diese Anfrage beantworten konnte, hatte seine Partnerin schon gesagt: „Gib mir dein Pokémon und ich sag es dir!“ „Niemals!“, rief sie erschrocken und trat einen Schritt zurück. „Plinfa!“, beschwerte sich auch das Tier auf ihrem Arm, was Roland erschrocken zusammenzucken ließ. Er war sich auf einmal nicht mehr sicher, ob das alles wirklich passierte oder ob der Alkohol ihm nur einen Streich spielte. „Toiletten sind auch in der Richtung“, beeilte er sich zu sagen. Dann zog er die Lilahaarige in den Raum, da sie gerade unachtsam war, schlug die Tür hinter sich zu und drehte den Schlüssel im Schloss herum. „Hey!“, protestierte sie. „Was willst du eigentlich von mir?!“ Ein Grinsen breitete sich über Rolands ganzes Gesicht aus. „Wie wäre es mit einer Gegenleistung dafür, dass ich dich so heldenhaft gerettet habe?“ „Ich habe dich nicht darum gebeten!“ „Aber du könntest mir doch trotzdem dankbar dafür sein, meinst du nicht auch?“ „Nein!“, schrie sie mit einem Stimmvolumen, das er ihr gar nicht zugetraut hatte. Dann zog sie auch noch einen der rot-weißen Bälle aus ihrer Handtasche hervor und warf ihn auf den Boden. Roland hielt sich die Augen zu. Er wusste, dass wieder eines dieser Monster erschienen war und er hörte auch, wie es mit tiefer Stimme etwas murmelte, aber das Ganze war einfach zu viel für ihn. War es denn zu viel verlangt, an seinem einzigen freien Tag ein wenig Spaß haben zu dürfen? „Lass mich gehen“, forderte die Schönheit. „N-nein...“, stammelte Roland. „B-bitte geh nicht...“ „Dann eben anders“, sagte sie und als er seine Augen ein wenig öffnete, sah er, wie sie mit den Schultern zuckte und das Monster wieder in seinem Ball verschwinden ließ. Dann begann sie auf einmal, den Reißverschluss auf ihrem Rücken zu öffnen. Schlagartig riss Roland die Augen auf. Sie hielt einen Moment inne und sah ihn an. „Es wird eine große Enttäuschung für dich werden. Noch kannst du mich einfach gehen lassen...“ Er schüttelte heftig den Kopf. „Nein, ich bin mir sicher, dass du mich nicht enttäuschen wirst! Du bist... perfekt.“ Mit einem angewiderten Blick zog sie den Verschluss weiter auf. Dann ließ sie die Träger von ihren Schultern gleiten und das ganze Kleid auf den Boden fallen. Einen Moment wunderte Roland sich darüber, dass sie Boxershorts trug, doch dann nahm der Anblick ihres mit Spitzen versehenen Büstenhalters und dessen, was darunter zu erkennen war, seinen gesamten Verstand ein. Als sie nun erneut die Hände zu ihrem Rücken hob, trat Roland einen Schritt näher. „Darf ich...?“, fragte er vorsichtig und hob schon eine Hand, doch die Lilahaarige fauchte: „Fass mich nicht an!“ Bedauernd ließ Roland die Hand wieder sinken. Dann ertönte das leise Klicken des Verschlusses, der sich öffnete. Roland schluckte. Der BH fiel herab. Und zusammen mit ihm die Brüste, die er gehalten hatte. Rolands Kinnlade wäre in diesem Moment sicher auf den Boden gefallen, wäre sie nicht angewachsen gewesen. Dieser Oberkörper gehörte definitiv keinem weiblichen Wesen. Als Rolands entgeisterter Blick nun auch den Rest seines halbnackten Gegenübers musterte, fielen ihm auch die Boxershorts wieder auf, unter denen er nun auch eine kleine Beule auszumachen meinte. Von einem Moment zum nächsten machte der ganze Körper einen viel männlicheren Eindruck. Nur das schmale Gesicht und die kunstvoll geschminkten Augen verwirrten ihn noch immer. Er schloss die Augen. Es war nur ein Traum, ein böser Traum, und im nächsten Moment würde er in einem weichen Bett aufwachen... an ihrer Seite... Vorsichtig öffnete er die Augen wieder einen Spaltbreit. Der Mann, als der seine Traumfrau sich gerade entpuppt hatte, stand immer noch vor ihm. „Ich habe ja gesagt, dass du enttäuscht sein würdest“, sagte er und zuckte mit den Schultern. „Also beschwer dich jetzt bloß nicht.“ Roland, der die Auswirkungen des Alkohols urplötzlich wieder in seinen Gliedern spürte, sank auf die Knie. Mit zitternden Händen fasste er sich an den Kopf. „Warum kann ich nicht einfach mal Glück haben?“, murmelte er. „Warum kann die Frau meiner Träume nicht wirklich existieren? Warum muss mein erster freier Tag nach Jahren in so einem Desaster enden?“ „Dein erster freier Tag?“, fragte der Lilahaarige, der gerade sein Haar, das während des Kampfes durcheinander geraten war, aus der Spange löste, um es mit den Fingern ein wenig zu ordnen. Roland nickte niedergeschlagen. „Es ist ja nicht so, dass es mich gestört hätte... Ich bin Butler im Haushalt eines reichen jungen Mannes und seines kleinen Bruders und es macht mir auch meistens Spaß dort, aber... es hätte mich trotzdem gefreut, wenn dieser eine Tag hier nicht ganz so katastrophal gewesen wäre.“ „Du Armer“, sagte der Lilahaarige. Er machte den Anschein, als hätte er ihm schon für das vergeben, was er getan hatte, obwohl er vor wenigen Minuten noch so von ihm angewidert gewesen war. Nun kam er sogar auf ihn zu und griff ihm unter den Arm, um ihn hochzuziehen und zum Bett zu geleiten, auf das Roland sich bereitwillig fallen ließ. Mit einem mitleidigen Blick sah der Halbnackte auf den auf dem Rücken liegenden Butler herab. „Du hast aber auch ganz schön tief ins Glas geschaut, oder?“ „Na ja... ich kann einfach nichts ab. Kein Wunder, wenn man ständig im Dienst ist...“ „Du sagst es. Immer ist man am Schuften, und was bekommt man dafür? Nichts!“ Roland sah ihn aufmerksam an. „Geht es dir etwa genauso?“ „Oh ja.“ Einen Moment schwiegen sie beide, dann sagte der Lilahaarige: „Ich bin übrigens James.“ „Roland.“ James stieß einen tiefen Seufzer aus. „Ich könnte jetzt wohl auch ’nen Schluck vertragen.“ „Schau mal in den Nachtschrank“, schlug Roland vor. „Viele Angestellte verstecken dort ihre geheimen Vorräte.“ Zwar schien James das ein wenig anzuzweifeln, aber er öffnete trotzdem die Tür des kleinen Schrankes und stieß ein anerkennendes Pfeifen aus, als er die noch mehr als zur Hälfte gefüllte Whiskeyflasche darin fand. „Da hat einer ’nen guten Geschmack!“, sagte er und drehte den Deckel auf. * „... und ich war echt froh, dass sie am nächsten Tag nichts von uns abgedruckt hat, auch wenn ich nicht genau weiß, wieso eigentlich, schließlich...“ Karen hielt inne, als sie bemerkte, dass Yuri ihr überhaupt nicht mehr zuhörte. „Yuri-san...?“, fragte sie und stupste die Braunhaarige leicht an. Keine Reaktion. Karen hob die Augenbrauen und sah sich um, um herauszufinden, was Yuris Aufmerksamkeit so sehr fesselte. Unter den vielen Anwesenden, die auf der Terrasse herumliefen und sich größtenteils unterhielten, war das gar nicht so einfach, auch wenn sich die Menge mittlerweile ziemlich über das Gelände des Anwesens zerstreut hatte. Bevor sie jedoch etwas entdeckt hatte, wurde sie plötzlich von Yuri am Arm gepackt. Im nächsten Moment spürte sie heiße Lippen auf ihren. Ein Kuss. Noch dazu ihr erster. Und bevor sie richtig realisiert hatte, was da gerade geschehen war, löste sich Yuri schon wieder von ihr. Karen starrte sie erschrocken an, doch die Baunhaarige sah gar nicht sie an, sondern hatte sich von ihr weggedreht. Ihr Blick war auf einen jungen Mann mit kurzen blonden Haaren gerichtet, der sich gerade aus den Armen eines Mädchens mit blauen, lockigen Haaren wand. Er kam mit mehreren großen Schritten auf Yuri zu, riss sie in seine Arme und küsste sie leidenschaftlich. Karen stand daneben wie bestellt und nicht abgeholt und fühlte sich überhaupt nicht in der Lage, irgendwie zu reagieren. „Yuri, wie kannst du vor meinen Augen jemand anderes küssen? Noch dazu ein Mädchen!?“, fragte er vorwurfsvoll. Die Brünette wand sich aus seinem Griff. „Du hast doch auch gerade fremdgeküsst!“ Ihr Gegenüber fasste sich verlegen an den Kopf. „Das ist was anderes. Ich wurde geküsst!“ Yuri schnaubte. „Das war doch absehbar, so verknallt wie diese Hanon in dich ist!!“, zischte sie. „Äh, nur weil wir früher mal zusammen waren...“ „Früher mal!? Was bist du eigentlich für ein Nullchecker, ich hab doch quer über den Saal hinweg gesehen, wie sie dich die ganze Zeit angehimmelt hat! Was fällt dir überhaupt ein, mich alleine zu lassen, ich bin deine Freundin! Ich musste mich die ganze Zeit mit irgendeinem dahergelaufenen Mädchen unterhalten!“ Bei diesen Worten zog sich Karens Brustkorb schmerzlich zusammen. Yuris Freund reagierte geschickt darauf: „Es tut mir leid, Yuri. Bitte verzeih mir. Ich verbringe den Rest des Tages nur noch mit dir! Ich liebe dich doch!“ Nun zog sich ein freudiges Lächeln über Yuris Lippen. „Okay, ich verzeihe dir...“, sagte sie leise und schlang ihre Arme um seinen Nacken. Ohne noch ein weiteres Wort an Karen oder jemand anders zu verlieren, verschwanden die beiden irgendwo in Richtung Garten. Karen blieb zurück. * „Das kann doch nicht sein, dass der einfach verschwunden ist!“, maulte Jûdai. Aiko seufzte. „Eigentlich net. Aber ich dachte, wir könnten zumindest Hazuki irgendwo aufspür'n...“ Jûdai blieb stehen und stemmte entnervt die Arme in die Hüften. „Johan, wo bist du...?“, fragte er resigniert. Aiko stupste ihn an. „Wir finden ihn schon noch“, behauptete sie optimistisch und sah sich um. Irgendwie war es schwieriger als sie angenommen hatten, ihre jeweiligen Freunde wiederzufinden, da diese nicht mehr auf der Terrasse gewesen waren, wo sie sie zuletzt gesehen hatten. Jûdai hatte vermutet, dass sein Begleiter Johan sich irgendwo verlaufen hatte, da er nach eigener Aussage einen ziemlich schlechten Orientierungssinn hatte, aber jetzt waren sie schon einmal um das ganze Anwesen herum gelaufen und hatten ihn immer noch nirgendwo gesehen; außerdem blieb immer noch die Frage, wohin Hazuki verschwunden sein mochte. Was die beiden nicht wusste, war, dass sie Hazuki gar nicht finden konnten. Diese hatte sich nämlich, nachdem Aiko so lange weggeblieben war, ihrerseits auf die Suche nach ihrer Freundin gemacht und sie auch recht bald entdeckt. Jedoch hatte sie ein bisschen das Gefühl beschlichen, dass sie die beiden ein bisschen alleine lassen sollte, schließlich hatte sich Aiko in letzter Zeit oft genug beschwert, dass Doremi einen Freund hatte und sie nicht. So hatte sie sich darauf verlegt, die beiden unauffällig zu beobachten, indem sie sich von Busch zu Busch schlug – was allerdings gar nicht so einfach war, da sie dabei ständig Gefahr lief, irgendwelche Partygäste zu überraschen, die sich genau dort hin zurückgezogen hatten, in den meisten Fällen zu zweit. Aiko beobachtete Jûdai verstohlen. Während sie überall herumgelaufen waren und ihnen ständig irgendwo eng umschlungene Pärchen aufgefallen waren, war in ihr der Entschluss gereift, dass sie verdammt noch mal auch endlich einen Freund haben wollte, und zwar nicht irgendwann, sondern jetzt. Außerdem würden sie Doremis Schwärmereien über Takao garantiert nicht mehr so sehr nerven, wenn sie von ihrem eigenen Freund zurückschwärmen könnte. „Jûdai... kun...?“, fragte sie und brachte damit den resigniert vor ihr herschlurfenden Jungen zum Stehen. „Was denn?“, fragte er leicht genervt. Aiko machte einen unwillkürlichen Schritt zurück und sah zu Boden. „Darf ich... dich was frage?“, murmelte sie. „Warum solltest du nicht dürfen?“, kam es wenig einfühlsam zurück. Aiko starrte auf ihre Füße. Auf einmal kam ihr die Idee ziemlich dämlich vor. Sie kannte Jûdai erst seit höchstens zwei Stunden, das einzige, was sie über ihn wusste, war, dass er dieses Kartenspiel Duel Monsters mochte, und eigentlich schien er die ganze Zeit eher genervt von ihr zu sein. Sekunden, die sich wie Gummi dehnten, verstrichen, während sie fieberhaft überlegte, ob sie wirklich ihren Plan in die Tat umsetzen oder irgendwas anderes, Nichtssagendes fragen sollte. Gerade da ertönte ein lauter Aufschrei hinter ihr. Aiko drehte sich um und entdeckte ein paar Meter weiter zwischen zwei akkurat gestutzten Büschen ihre Freundin Doremi, die platt auf dem Boden lag. Takao, natürlich in der Nähe, hockte sich sofort zu ihr. „Wie ist das denn jetzt passiert?“, fragte er grinsend. Doremi rutschte auf die Knie, einen genervten Ausdruck auf dem Gesicht, in dem zu allem Überfluss jetzt auch noch Erdbrocken und einzelne Grashalme klebten. „Keine Ahnung, ich bin einfach ausgerutscht“, sagte sie bockig. Takao grinste noch breiter, hielt ihr aber die Hand hin. „Hey, das kann doch mal passieren“, sagte er und zog sie hoch. Doremi errötete leicht, als er ihr den gröbsten Dreck vom Gesicht wischte. „Außerdem wärst du nicht du, wenn dir nicht ab und zu sowas passieren würde“, fügte er hinzu. Doremis Wangen entflammten nun vollkommen in einem Rot, das ihrer Haarfarbe ziemlich nahekam.. „Soll das ein Kompliment sein?“, fragte sie, sichtlich unentschlossen. „Wie du willst“, meinte Takao und drückte ihr wortlos einen kurzen Kuss auf die Lippen. Doremi kicherte. „Okay, es war eins“, lächelte sie und ließ sich von ihm weiter den Weg hinunter ziehen. Aiko ballte beide Fäuste und drehte sich wieder zu Jûdai um, der dem jungen Paar mit irgendwie skeptischem Blick nachsah. „Jûdai!“, rief Aiko und lenkte damit seine Aufmerksamkeit wieder auf sich. „Ach ja, du wolltest mich was fragen“, erinnerte er sich und kratzte sich am Kinn. Aiko nickte. „Ich frag nur einmal: Möchtest du mit mir gehe?“ Stille. Jûdai schien erst gar nicht zu verstehen, was sie meinte, dann weiteten sich seine Augen. Im nächsten Moment vergrub er beide Hände in den Taschen. Einen Moment hielt er den Kopf gesenkt, so dass seine Augen komplett im Schatten der dichten Ponyhaare lagen, dann hob er den Kopf. „Ich glaube, es ist viel schlauer, wenn ich irgendwo bleibe und hoffe, dass Johan mich da findet“, bemerkte er. „Ich geh mal zurück zur Terrasse, wo wir vorhin waren, vielleicht wartet er ja sogar da.“ Mit schnellen Schritten entfernte er sich in die genannte Richtung. Aiko machte keine Anstalten, ihm zu folgen. „Hey, Aiko-chan...“, sagte dann eine leise Stimme neben ihr. Sie drehte sich langsam um. Hazuki stand neben ihr. „Ich hab das gerade beobachtet...“, gab sie verlegen zu. Aiko nickte nur. „Bescheuerte Aktion, wa?“, fragte sie. Hazuki rückte ihre Brille zurecht. „Ich glaube schon. Bist du enttäuscht?“ Aiko verschränkte die Hände hinter dem Kopf. „Ich glaub nicht. Wir kannte uns doch erst zwei Stunden.“ Beide Mädchen schwiegen kurz, dann sagte Hazuki: „Aber er hätte zumindest klar und deutlich 'Nein' sagen können.“ * „Du hast recht, das ist das allerletzte“, sagte Hanon und streichelte Karen mitfühlend über den Rücken. „Eigentlich hat sie mich nur benutzt“, murmelte Karen schwach und strich sich die charakteristische Strähne aus dem Gesicht, die allerdings Sekunden später wieder hinter ihrem Ohr hervorrutschte. Die beiden blauhaarigen Mädchen saßen auf einer der Bänke auf dem Anwesen. Eine freie zu finden, hatte sie ein bisschen Suchen gekostet, aber diese war gerade von zwei jungen Männern verlassen worden, die sich ziemlich lautstark gegenseitig angeschrien hatten. Der scheinbar jüngere der beiden, ein extravaganter Typ mit hellen Ponyhaaren und einem dunklen Haarschopf hinten hatte den Älteren einen „Krimi-Freak“ genannt, woraufhin dieser ihn als „Kreisel-Junkie“ bezeichnet hatte. Anschließend hatte sich der Jüngere aus dem Staub gemacht und der andere war von einem gleichaltrigen Mädchen, das urplötzlich aus einem nahen Busch aufgetaucht war, mit den Worten „Endlich gehörst du wieder mir“, in Richtung Ballsaal gezerrt worden. Nun, die Bank war dadurch frei geworden und nun saßen Karen und Hanon dort, da sie sich spontan irgendwie als Leidensgenossinnen erkannt hatten: Karen fühlte sich von Yuri nach Strich und Faden ausgenutzt, während Hanon enttäuscht war, dass Kazuya, der junge blonde Mann, ihr nicht eher erzählt hatte, dass seine Freundin mit ihm auf dem Fest war bzw. dass er überhaupt schon vergeben war. „Aber ganz ehrlich, da bin ich ja schon froh, dass wir damals nicht zusammengekommen sind, weil er gegen eine Fernbeziehung war. Wer will schon einen Freund, der auf einer Party mit einer anderen flirtet?“, regte sich Hanon weiter auf. Karen hatte sich bisher nicht dazu durchringen können, ihrem Ärger über Yuri verbal Luft zu machen, aber eigentlich brauchte sie das auch gar nicht, da Hanon in ihrem Redeschwall auch schon fast alles gesagt hatte, was Karen darüber gedacht hatte. „Eigentlich sind Männer sowieso zu nichts zu gebrauchen. Wenn sie überhaupt mal merken, dass du in sie verliebt bist, kriegen sie erst recht Panik oder machen sich zum Affen. Sag mal, warst du schonmal verliebt?“, wechselte Hanon spontan das Thema. Karen schüttelte den Kopf. „Im Schülerrat ist zu viel zu tun, als dass man über eine Beziehung nachdenken könnte. An meiner Schule gibt es ohnehin keine Jungen.“ Hanon wirkte ein wenig verblüfft über die gestelzte Ausdrucksweise der Gleichaltrigen, fing sich aber schnell wieder: „Du gehst an eine reine Mädchenschule? Und du bist im Schülerrat? Cool!“ Karen zuckte lustlos die Achseln. „So toll ist es gar nicht. Obwohl es natürlich schon nett ist, wenn die niedlichen Erstklässlerinnen etwas von einem wissen ... oha“, unterbrach sie sich und hielt die Hand vor den Mund, „habe ich gerade 'niedlich' gesagt?“ Hanon grinste. „Hast du. Stehst du etwa auf Mädchen?“ „Ich würde eher sagen, ich kann mit männlichen Wesen nicht viel anfangen“, meinte Karen und fand endlich zu einem amüsierten Lächeln zurück. Unter leicht gesenkten Wimpern sah sie Hanon ins Gesicht. „Stört dich das?“ Hanon schüttelte den Kopf. „Seltsamerweise nicht. Die Jungs haben mich oft genug enttäuscht, vielleicht sollte ich es wirklich mal mit einem Mädchen versuchen“, bemerkte sie mit einem offensichtlichen Zwinkern. Karen kicherte leise, als sie sich zu Hanon beugte. * „Diese Musik ist schleeeecht!“, tönte es durch den Saal. Augenblicklich hielt die Frau am Piano, die man dank ihres kurzen Haarschnitts und des Fakts, dass sie einen Frack trug, auch gut für einen Mann halten konnte, inne. Ihre Partnerin an der Violine beendete noch den Takt, bemerkte dann die Stille und brach ebenfalls ab. Ihre Partnerin war da bereits aufgestanden und sah von der kleinen Bühne über die versammelte Gästeschar. „Wer hat das gesagt?“, rief sie in einem Tonfall, der sie nur noch männlicher wirken ließ. Irgendwo in der Nähe der Terrassentüren schnellte eine Hand in die Höhe. „Ich war's! Ich finde diese Musik doof. Spielt mal was Fetziges!“, rief die Stimme eines Jungen vor dem Stimmbruch. „Ja, genau, das Duo eben war cool!“, stimmte eine andere, tiefe Männerstimme mit ein. Im nächsten Moment kam aus derselben Ecke ein von mehreren Männern getragener Sprechchor auf: „Wir wollen Musik! Wir wollen Musik!“ Unruhe machte sich zwischen den Gästen breit. Die Violinistin trat zu ihrer Partnerin. „Mann, was für Banausen“, sagte diese verächtlich und machte sich schon bereit, erneut etwas zu rufen, als jemand neben ihr auf die Bühne trat. Es war der Gastgeber persönlich, Seto Kaiba, gekleidet in einen stilvollen weißen Anzug, der jedoch in diesem Moment nicht verhinderte, dass der ungehaltene Mann ziemlich bedrohlich aussah. „Security, schmeißen sie jeden raus, der da hinten rumschreit oder irgendwie so aussieht, als würde er zu diesen Chaoten dazugehören!“, kommandierte er. Sofort begannen sich rund ein Dutzend Männer von den verschiedenen Ausgängen in die Richtung der Störenfriede durchzudrängeln. Der Rest des Saals kehrte augenblicklich zur Ruhe zurück. „Ihr seid echt gemein!“, kam es aus dieser Ecke. „Ich habe euch nicht eingeladen, und ich weiß nicht, wer euch Ungeziefer hier angeschleppt hat. Und deshalb lasse ich auch nicht zu, dass ihr diese Hochzeit stört!“, rief Kaiba und machte damit den meisten Gästen ganz schön Angst, wenn man das nach ihren Gesichtsausdrücken beurteilen wollte. „Mann, dann gehen wir eben! Ihr seid sowieso alle Langweiler!“, kam nun die Stimme vom Anfang aus der hinteren Ecke. Ein wenig Unruhe breitete sich aus, als sich eine kleine Gruppe von ziemlich bunt und vor allem ziemlich abgerissen gekleideten Menschen über die Terrasse nach draußen bewegte. „Security, sorgen Sie dafür, dass diese Menschen auch wirklich das Gelände verlassen“, rief Kaiba noch, dann sprang er wieder von der Bühne, wo seine frisch getraute Ehefrau auf ihn wartete. Er drehte sich zu den beiden Musikerinnen um: „Würden Sie bitte weiterspielen?“, fragte er. Er wirkte immer noch ein wenig gereizt, sein Tonfall war jedoch keinesfalls unfreundlich. „Natürlich.“ Die Pianistin verbeugte sich schnell und kehrte an ihren Platz zurück, während ihre Partnerin mit dem türkisfarbenen Haar ihre Geige wieder zur Hand nahm. Seto und Erika begannen als erste wieder, sich im Takt eines Walzers zu drehen, und schon bald folgten die meisten anderen Paare diesem Beispiel. „Tut mir leid, Erika, ich weiß nicht, wie diese Leute überhaupt von dieser Party erfahren haben“, murmelte Kaiba leise. Seine Frau lächelte. „Dafür hast du es ihnen allen gezeigt“, zwinkerte sie, „Dein Auftritt hat schon gereicht, um ihnen Respekt einzuflößen. Das liebe ich ja so an dir.“ Er lächelte schmal und zog sie ein wenig enger an sich, während ihre Füße über das Parkett glitten. „Und du weißt, dass ich dich mindestens genauso liebe“, flüsterte er. Die Gruppe der Störenfriede war tatsächlich auf dem Weg nach draußen, allen voran der junge Mann, der zu Anfang am lautesten geschrien hatte, ein schwarzhaariger Bursche, der einen abgewetzten Strohhut, eine lose Jeans und eine rote Weste trug. Die Security-Männer verfolgten sie bis ans Tor, wo sie mit lautstarken Abschiedsrufen noch einmal die Aufmerksamkeit auf sich zogen, bevor sie endgültig den Heimweg einschlugen. Die kleine Prozession war auch an zwei jungen Männern vorbeigezogen, die unweit des Zauns, der das Gelände umgab, im Gras hockten, Spielkarten zwischen sich ausgebreitet. „Das waren mal echt schräge Vögel“, stellte Jûdai fest und sah ihnen nach. Sein Gegenüber, Johan, mit dem er am Rand der Terrasse tatsächlich nach nur zehn Minuten warten endlich wieder zusammengestoßen war, lachte leise. „Wir sind doch auch schräge Vögel.“ „Kann sein“, sagte Jûdai und stützte die Händ auf seine Knie. Johan ließ sich auf den Rücken ins Gras fallen. „Du hast mir immer noch nicht gesagt, was du dann geantwortet hast“, bemerkte er. Jûdai war soeben damit fertig geworden, ihm seine Odyssee durch das Anwesen in der Begleitung von Aiko zu schildern. „Na ja, nichts“, sagte Jûdai und klang dabei doch ein wenig verlegen. Johan fuhr in eine sitzende Position hoch: „Wie, nichts?“ Jûdai sammelte die Karten wieder ein, die um ihn herum lagen. „Halt, nichts. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, also bin ich gegangen.“ Sein Gegenüber verdrehte theatralisch die grünen Augen gen Himmel. „Das nenn ich unsensibel“, bemerkte er. „Sag sowas nicht.“ „Stimmt aber. Sie hat all ihren Mut zusammengenommen, um dir so eine Frage zu stellen, da kannst du doch wenigstens höflich nein sagen!“, dozierte Johan weiter. Jûdai verzog eine Miene. „Sie sah nicht so aus, als wenn sie sehr enttäuscht war“, versuchte er sich zu verteidigen. Johan stand dennoch auf. „Ach, komm Jûdai. Steh auf, wir gehen Aiko suchen und dann erklärst du ihr nochmal in Ruhe, warum du leider nicht mit ihr zusammen sein kannst.“ „Das ist überflüssig... Ihr Europäer immer mit eurer komischen Etikette“, grummelte der Braunhaarige, stand aber trotzdem auf. „Das hat gar nichts damit zu tun, ob Europäer oder Japaner“, sagte Johan gelassen und zog Jûdai in Richtung Saal. * Ein wenig irritiert sah Roland sich um. Er stand vor einer Kirche. Der Ort kam ihm bekannt vor und nach kurzem Überlegen fiel ihm die Hochzeit von Kaiba und Fräulein Koenji ein, die hier stattfinden sollte. Er machte einen Schritt auf die Tür zu, die in das Gotteshaus hineinführte, doch er wurde zurückgehalten. Er drehte sich um und erblickte eine Person in einem traumhaften weißen Hochzeitskleid. Ihr Gesicht war von einem Schleier bedeckt. Das musste Erika sein. Roland lächelte ihr zu. Er erinnerte sich: Er sollte sie zum Altar führen, wo ihr Zukünftiger schon auf sie wartete. Höflich bot er ihr den Arm an und sie hakte sich ein. Bei ihrer Berührung breitete sich in seinem Körper eine wohlige Wärme aus. Das wunderte ihn ein wenig, doch er hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, denn schon begannen die Glocken zu läuten und sie mussten sich auf den Weg machen. Während sie den Gang entlang schritten, sah Roland in die Gesichter der vielen Gäste, die ihm und der Braut an seiner Seite freundliche Blicke zuwarfen. Bei manchen von ihnen fragte er sich allerdings, wer diese Menschen waren, da sie weder nach Freunden des Paares noch nach Geschäftspartnern aussahen. Als die beiden vor dem Altar standen, brauchte Roland einen Moment, um zu begreifen, dass der Mann, der dort stand, nicht Seto Kaiba war, sondern ein Priester, der ihm mit feierlicher Miene entgegensah. Langsam drehte er sich um und entdeckte den vermeintlichen Bräutigam in der ersten Reihe, in einen ganz gewöhnlichen Anzug gekleidet, und neben ihm Erika Koenji. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch wandte er sich wieder der Frau im Hochzeitskleid zu. Unter ihrem Schleier konnte er ein mysteriöses Lächeln erkennen. „Wer bist du?“, krächzte er. Sie hob ihren Schleier. Zum Vorschein kam ein schmales Gesicht mit funkelnden grünen Augen, in das ein paar violette Strähnen fielen. „James!“, rief Roland entgeistert. Dieser lächelte amüsiert. Während der Angestellte noch völlig perplex dastand, ergriff der Mann im Hochzeitskleid mit beiden Händen sein Gesicht und kam ihm ganz nahe. „Roland“, sagte er leise. „Ich habe dich so unendlich lieb gewonnen. Nichts könnte schöner sein als die Vorstellung, den Rest meines Lebens mit dir zu verbringen.“ Dann kam er ihm noch ein wenig näher, schloss die Augen... „AAAAAAAAAAAH!“ Schreiend schnellte Roland in die Höhe. Sein Herz raste. Sein ganzer Körper war schweißüberströmt. Als er sich versichert hatte, dass er sich nicht in einer Kirche, sondern auf einem Bett in dem Zimmer irgendeines Angestellten befand, beruhigte er sich ein wenig. Langsam atmete er ein und aus. Was für ein Traum! Sein pochender Schädel sagte ihm, dass er es mit dem Alkohol wohl etwas übertrieben hatte, da war es kein Wunder, dass sein Gehirn solche verrückten Geschichten produzierte. Aber das unbestimmte Gefühl, dass irgendetwas Wahres an diesem Traum gewesen war, veranlasste ihn, seinen Kopf zur Seite zu drehen. Der Anblick hätte ihm fast einen Herzinfarkt beschert: Neben ihm saß James – der James aus seinem Traum – und er trug nichts als Boxershorts. Aus seinen grünen Augen starrte er Roland ebenso entgeistert an wie Roland ihn. „Oh – mein – Gott“, sprach der Lilahaarige das aus, was Roland dachte. In Windeseile waren sie beide vom Bett gesprungen. „Was genau ist passiert?“, fragte der Angestellt zögerlich. James’ bleiches Gesicht sah ihn ratlos an. „Wenn ich das wüsste...“ Roland schluckte. Dann stürmte er so schnell er konnte zur Tür, drehte den Schlüssel herum und rannte davon. Es war ihm egal, dass er auf dem Weg von den letzten Partygästen äußerst seltsam angeschaut wurde, er wollte einfach nur noch nach Hause. * Schließlich neigte sich die Party doch ihrem Ende zu. Ein Teil der Gäste hatte sich schon mit Anbruch der Dunkelheit wieder auf den Heimweg gemacht, und gegen 20 Uhr begannen die Männer vom Sicherheitsdienst mit ihren Rundgängen durch die Gartenanlagen. Noch anwesende Personen wurden gebeten, zu gehen und wer dem nicht freiwillig Folge leistete (was aber kaum vorkam), wurde bis zum Gartentor getragen. Um das Tor zum Gelände herrschte nun emsiges Gedränge, Freundinnen versuchten einander wiederzufinden, Abschiede wurden ausgesprochen, teils sogar tränenreich, während an anderen Stellen lautes Gelächter erschallte. Ein Ausbruch an Lachen führte auch dazu, dass Jûdai, nachdem er den ganzen restlichen Abend mit der Suche nach ihr verbracht hatte, endlich Aiko wieder erspähte. Sie stand zusammen mit dem Beyblader Takao, dessen Freundin und einem weiteren Mädchen in ihrem Alter zusammen und alle vier lachten, mittlerweile aber wieder eher verhalten. Jûdai tippte Aiko auf die Schulter. Immer noch glucksend drehte sie sich um. „Oh, hey!“, rief sie. „Hi“, erwiderte Jûdai und vergrub eine Hand in seiner Hosentasche, während er sich mit der anderen am Kopf kratzte. Johan klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. „Ich wollte mich für vorhin entschuldigen. War nicht nett von mir“, sagte er knapp. Aiko winkte sofort ab. „Kein Ding“, sagte sie grinsend, „War eh ne dumme Idee von mir. Vergiss es einfach, okay?“ Jûdai nickte und wollte sich zu Johan umdrehen, der hatte sich jedoch zwischen die Rothaarige und Takao gedrängt, da letzterer eine knallrote Visitenkarte mit weißer Schrift in der Hand hielt. „Was ist das?“, fragte er interessiert. Takao händigte ihm das Kärtchen wortlos aus, während Doremi leise kicherte. „Sowas verteilen die hier an Minderjährige“, bemerkte Aikos Freundin mit der Brille mit einem schiefen Lächeln. „Tropical Island – Love Hotel. Eine Stunde 1200 Yen“, las Johan vor. Aiko musste wieder lachen. „Als ob die jemanden wie Takao da überhaupt reinlassen würden!“, grinste sie. Johan nickte gedankenverloren. „Darf ich die Karte behalten?“, fragte er. „Wir können doch eh nichts damit anfangen“, meinte Doremi. Johan nickte. „Na gut, danke“, sagte er noch, hakte sich bei Jûdai, der dem Gespräch ein bisschen verwirrt zugehört hatte, unter und zog ihn die Straße hoch, die zum nächstgelegenen Bahnhof führte. „Tschüüss!“, riefen ihnen die drei Mädchen einhellig hinterher. Johan winkte nochmal. Dann sah er Jûdai an und wedelte mit dem knallroten Kärtchen. „Hast du heute Nacht schon was vor?“ * Natts atmete tief ein, ließ die etwas abgekühlte Abendluft in seine Lungen strömen und wurde von dem dezenten Blumenduft, den er in ihr entdeckte, zu einem Lächeln verleitet. Robin, die noch immer neben ihm auf der Bank saß, lächelte ebenfalls. „So frei habe ich mich schon lange nicht mehr gefühlt“, gab sie zu. „Es kommt mir so vor, als wäre an diesem Abend alles möglich.“ „Oh ja“, bestätigte der Blonde. „Ich hätte niemals gedacht, dass ich hier auch nur ein bisschen Spaß haben würde.“ Robin zwinkerte ihm kokett zu. „Unverhofft kommt oft.“ Gerade wollte Natts, von ihrem Charme vollkommen eingenommen, etwas erwidern, als er neben sich ein leises, aber eindringliches Räuspern hörte. Erst jetzt bemerkten die zwei den breitschultrigen Mann vom Sicherheitsdienst, der dort stand. „Entschuldigen Sie die Störung“, begann er, als er sich ihrer Aufmerksamkeit sicher war, „aber die Feier ist nun vorüber und wir möchten Sie bitten, sich auf den Rückweg zu machen.“ Natts stand sofort auf. „Selbstverständlich“, sagte er. Robin hakte sich bei ihm unter. Der Mann musterte sie beide einen Augenblick, dann zog er eine rote Visitenkarte aus der Innentasche seiner Jacke hervor und reichte sie Natts. „Falls Sie Interesse haben...“ Dann wies er ihnen den Weg zum Ausgang – obwohl sie beide diesen wohl auch alleine gefunden hätten – und setzte dann seinen Rundgang fort. Neugierig sahen die beiden auf die Karte. Doch als Natts die Aufschrift sah, zerknüllte er sie schnell und warf sie in einen Papierkorb am Rande des Weges. Robins leises Kichern ließ ihn wissen, dass auch sie es gelesen hatte, und er errötete ein wenig. „Lass uns gehen“, forderte die Schwarzhaarige ihn auf und zog ihn auf den Weg. „Ja, die anderen warten sicher schon“, murmelte Natts. Es dauerte gerade einmal zwei Tage bis Robin und Natts sich wiedersahen. Zum Glück hatte sie ihm erzählt, wie sie zu erreichen war, denn von allein hätte er wohl niemals danach gefragt, egal wie wichtig es ihm war. Wäre es jemand anders gewesen, hätte er wohl auch nicht angerufen und gefragt, ob sie sich mit ihm treffen wolle, aber die Erinnerung an den wundervollen Abend mit ihr und das drängende Gefühl in seinem Bauch hatten ihn schließlich dazu gebracht, seine Prinzipien über den Haufen zu werfen. Obwohl die Fahrt zu der Herberge, in der Robin mit ihren Freunden untergekommen war, mit dem Zug fast eine Stunde dauerte, nahm Natts sie innerhalb der ersten Woche dreimal auf sich. In der Woche darauf stattete Robin ihm ebenso häufig einen Besuch ab. Eigentlich taten sie dann nichts Besonderes und sie kamen auch nicht so lebhaft ins Gespräch wie es bei ihrem ersten Zusammentreffen der Fall gewesen war. Dennoch fühlte es sich einfach gut an, nebeneinander herzugehen, ein bisschen durch die Stadt zu spazieren oder sich zusammen in einer Buchhandlung umzuschauen. Nun war schon der zweite Sonntag nach der Hochzeit und Robin saß auf dem Bett in Natts' kleinem Zimmer, in dem sie von den Mädchen, die fast immer im Haus unterwegs waren, ungestört waren. Natts, der wie Robin eine Tasse Tee in der Hand hielt, stand am Fenster und sah hinaus. „Meine Crew will bald abreisen“, verkündete sie da unvermittelt. Er zuckte ein wenig zusammen, drehte sich aber nicht zu ihr um. Sie hatte ihm erzählt, dass sie zu einer Piratencrew gehörte, die in einer anderen Welt auf Schatzsuche war und er hatte eigentlich schon längst damit gerechnet, dass sie bald zurückreisen würden. Trotzdem wusste er nicht, was er darauf erwidern sollte. „Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich mit ihnen gehen soll.“ Nun drehte Natts sich doch um. „Warum nicht?“, fragte er. Sie sah ihn mit ernstem Gesicht an, ein Glänzen in den Augen, das er absolut nicht zu deuten wusste. Es sah ein wenig aus, als würde sie ihm Vorwürfe machen. Er wandte den Blick ab und strich mit der Hand über die Rücken der Bücher in seinem Regal. „Mir gefällt es hier“, sagte sie nach einer langen Pause. „Und Sanji ist ja auch hier, er würde seine Marron für nichts auf der Welt alleine lassen.“ Wieder eine Pause. „Ruffys Mädchen hat es sich nicht ausreden lassen, ihn auf seinen Abenteuern zu begleiten, und sie ist ein heller Kopf. Die Crew wäre also nicht vollkommen verloren.“ Natts kämpfte mit sich. Es fühlte sich an, als würde sein ganzer Körper brennen.. Er schluckte das Feuer, das seinen Mund schon fast für sich erobert hatte, runter und fragte: „Willst du etwa deine Crew im Stich lassen?“ Es klang anklagend. Das Feuer ,das in ihm loderte, ließ er sich nicht anmerken. Solange er sie nicht ansah, war alles in Ordnung. „Willst du, dass ich gehe?“ Er schwieg einen Moment. Dann brachte er langsam hervor, bemüht, das Zittern in seiner Stimme zu unterdrücken: „Deine Crew braucht dich. Du hast sie so lange begleitet. Und hast du nicht ein Ziel, das du noch erreichen willst?“ Wieder dieser undefinierbare Blick. Was wollte sie ihm bloß sagen? Sie stand auf. „Okay“, sagte sie, „ich gehe.“ Er öffnete den Mund, spürte wieder die Flammen, die an seiner Zunge leckten und schloss ihn schnell wieder. „Okay“, sagte er ebenfalls. „Ich sage dir Bescheid, wenn wir wissen, wann es losgehen soll.“ „In Ordnung.“ Sie kehrte ihm den Rücken zu und hatte schon die Klinke in der Hand, als sie noch einmal innehielt. Sein Herz machte einen Hüpfer. Erwartungsvoll sah er sie an. Doch sie schien sich wieder zu besinnen, öffnete die Tür und ließ ihn allein. Ihre halbleere Teetasse stand noch auf dem Nachttisch. Natts starrte sie nachdenklich an. Nachdem das weiße Tier mit dem roten Stein auf der Stirn, das durch die Dimensionen reisen konnte, alle Crewmitglieder zurückgebracht hatte, zog Robin sich in ihre Kajüte zurück. Sie ließ sich auf ihr Bett fallen und zog aus ihrer Tasche das kleine Paket hervor, das Natts ihr zum Abschied wortlos überreicht hatte. Sorgfältig faltete sie das Papier auseinander und hielt schließlich ein dünnes Buch in den Händen. Sie musste schmunzeln. Was sonst hätte in diesem Paket sein können? Da Titel und Cover ihr nicht besonders viel verrieten, blätterte sie ein wenig durch die Seiten und las die eine oder andere Passage. Natürlich hatte er genau ihren Geschmack getroffen. Sie wollte das Buch gerade weglegen, um den anderen bei der Planung ihrer Weiterreise zu helfen, als ihr zufällig ein paar handgeschriebene Zeilen auf der Innenseite des Buchrückens auffielen. Ich hoffe, die Geschichte gefällt dir. Ich habe sie gerne gelesen, weil der Hauptcharakter äußerst beeindruckend ist. Er besitzt eine Eigenschaft, die mir fehlt, nämlich frei heraus zu sagen, was er denkt und fühlt. Ich habe meine Gefühle verleugnet. Ich habe dich gehen lassen, aber vergessen werde ich dich wohl nicht. Noch nie zuvor habe ich eine Person getroffen, mit der ich mich so blind verstanden habe wie mit dir. Selbst unser Schweigen schien das Band zwischen uns zu verstärken. Vielleicht hast du das ja ähnlich empfunden. Deine Crew ist sicher froh, dich dabei zu haben. Bestimmt wirst du eines Tages dein Ziel erreichen und deine Träume erfüllen. Robin ließ das Buch sinken und starrte an die Decke. „So ein Idiot“, flüsterte sie. Selbst sie wusste nicht, ob die Tränen, die ihr auf einmal über das Gesicht liefen, aus Glück oder aus Trauer entstanden waren, denn all ihre Gefühle wirbelten so sehr durcheinander, dass sie keines mehr genau ausmachen konnte. „So ein Idiot...“, wiederholte sie. Aber vielleicht war sie selbst die Idiotin. Vielleicht war es ihre Schuld, dass sie seine Gefühle nicht erkannt hatte. Und vielleicht – nein, sogar ganz bestimmt – war es ihre Schuld, dass sie einfach gegangen war. Hatte sie damit nicht selbst ihre Gefühle verleugnet? Wenn einem die Liebe begegnete und so direkt ansah, wie sie es durch Natts getan hatte, sollte man sich nicht von ihr abwenden, sondern sie beim Schopf packen und nie wieder loslassen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)