Chiisana LOVE-STORIES von Ditsch (Die ultimative Anime-Crossover-Dating-Fanfic) ================================================================================ Kapitel 16: Noah und Hinagiku - Was sich liebt das neckt sich ------------------------------------------------------------- Von Hier hatten wir mal wieder eine Haarfarbe als Bedingung: grün. Da Noah eigentlich schon tot ist, haben wir seine Familienverhältnisse einfach an die von Seto angepasst, was hätten wir auch sonst machen sollen? Also wundert euch bitte NICHT, wenn er hin und wieder mit „Kaiba“ angesprochen wird, ich finde auch, dass „Kaiba“ immer Seto ist... Ich habe mir erlaubt, ein (fast) Zitat aus „Plötzlich Prinzessin“ einzubauen, nämlich das mit dem Rasen. Das Dritte ist japanisch und heißt „Würde es Ihnen etwas ausmachen, die Wiese zu verlassen?“. Hoffe, dass die Story euch gefällt. Was sich liebt das neckt sich „Bist du bereit, Hina-chan?“, fragte Hanasaki Momoko aufgeregt ihre Freundin Tamano Hinagiku. Diese grinste breit und schnürte das rote Band um ihre Stirn mit einem Doppelknoten zu. „Und wie bereit ich bin!“, gab sie selbstsicher von sich. „Dann zeig’s den anderen“, kam es von Tanima Yuri. „Was denkst du denn?“, fragte die grünhaarige Hinagiku und zupfte ihr Sportoutfit noch einmal zurecht. „Viel Glück“, wünschten ihr ihre Freundinnen im Chor. Sie machte einen kleinen Sprung, wie um warm zu werden, und machte sich dann im Laufschritt auf den Weg zu den Rennbahnen. Die Läufer der anderen Klassen standen schon größtenteils bereit und die meisten von ihnen waren Jungen, die sich gerade dehnten. Nur die 1-F hatte auch ein Mädchen für den 70-m-Sprint aufgestellt, das Hinagiku allerdings nicht näher kannte. Sie stellte sich auf einer der Bahnen auf und musterte ihre Konkurrenz. Die 1-A hatte natürlich Fuma aufgestellt, den Freund von Momoko, aber sie wusste, dass Laufen nicht gerade seine Stärke war. Dafür war er einfach ein bisschen zu plump. Als Torwart kam ihm das sehr zugute, aber ihn würde sie sicher schlagen. Und wer war da noch? Den Läufer der 1-B kannte sie nicht, aber er hatte nicht die Statur eines Läufers, auch sah er nicht gerade sehr glücklich aus. Vermutlich hatte die Klasse ihn gegen seinen Willen dazu gewählt, hier anzutreten. Der Kerl aus der E sah sehr athletisch aus, gegen ihn würde sie es schwer haben. Und wo war der Läufer der D? Das schienen sich auch die Mädchen vom Organisationskomitee zu fragen, denn sie sahen sich suchend um. Die beiden, die bereitstanden um den Startschuss zu geben, flüsterten kurz miteinander, dann lief eine von ihnen zum Organisationszelt, das in der Mitte des Sportplatzes aufgebaut worden war. Hinagiku hatte sich schon seit Wochen auf das Sportfest der Hanazono-Chuugakkou [Mittelschule, also 7.-9. Klasse, die 1. Mittelschulklasse entspricht also unserer 7.] gefreut. Dass sie von ihrer Klasse für den Sprint gewählt werden würde, war ihr von vornherein klar gewesen. Laufen konnte sie gut, auch wenn ihre wahre Stärke im Karate lag. Nur warum vermieste ihr der aus der D jetzt den Sprint? Wehe, er käme nicht. »Kaiba Noah wird gebeten, sich umgehend am Start des 70-m-Sprints einzufinden! Ich wiederhole, Kaiba Noah...« , schallte es über den Sportplatz. Hinagiku verdrehte innerlich die Augen, während sie noch einmal ihre Beine dehnte. Der Läufer der D war der Sohn von Kaiba Gozaburo, diesem superreichen Firmenheini? Dem Besitzer der Kaiba Corporation, die ständig irgendwelche PC-Spiele und Automaten mit Simulationen auf den Markt brachte? Konnte der Sohn eines solchen Computerfuzzies überhaupt rennen? Sie hob den Kopf, als sie jemanden „Noch nicht anfangen!“, schreien hörte. Es musste dieser Noah sein, der mit dem dunkelblauen Band um den Kopf angerannt kam und etwas aufgelöst wirkte. Er reihte sich neben Hinagiku ein, die ihn perplex musterte. Welcher Idiot hatte so einen halbwüchsigen Idioten, der auch noch zu spät kam, nominiert? Und was war das denn für eine Frisur? Das grünhaarige Mädchen beschloss spontan, dass sie diesen Firmensprössling nicht leiden konnte. Noah wischte sich nervös über die Stirn. Er hätte sich halt nicht für das 70-m-Rennen und das Basketballturnier melden sollen. Er war jetzt schon total kaputt; nach dem Rennen würde er wieder in die Turnhalle zurückmüssen und dort weiterspielen. Vielleicht sollte er einfach ein mittelmäßiges Rennen abliefern und sich seine Kräfte für den Ballsport aufheben? Er drehte sich zu seinem Gegner links von ihm um. Es war ein Mädchen mit grünen, zu einem Zopf geschlungenen Haaren, aus denen eine widerspenstige Strähne nach oben aus dem Haargummi ausgebrochen war. Sie sah mit einem Glitzern in den braunen Augen auf die Bahn vor sich und murmelte leise etwas vor sich hin. »Der Siebzigmeterlauf der ersten Klassen beginnt nun!«, wurde über Lautsprecher bekannt gegeben. „Aufgepasst!“, rief eines der Mädchen, das eine Startklappe über ihren Kopf erhoben hatte. Noah warf noch einen kurzen Blick zu der Vertreterin der 1-C. „Auf die Plätze“ Alle Läufer hockten sich auf den Boden. Noah senkte den Kopf. Er würde nicht gegen ein Mädchen verlieren, und wenn sie noch so entschlossen dreinschaute. „Fertig“ Nun richteten sich alle halb auf, bis zum Anschlag gespannt und nur noch auf das endgültige Startsignal wartend. Noahs Herz begann jetzt schon, das Blut schneller durch seinen Körper zu pumpen, alles in ihm arbeitete auf dieses Rennen hin. „Los!“ Mit einem Knall schlugen die Holzklappen zusammen und sofort stieß sich Noah von seinem Standort ab. Im Lauf richtete er sich auf. Er rannte einfach. Die Grünhaarige war neben ihm. Sie lief was das Zeug hielt. Aber er würde nicht verlieren. Mit einer letzten Anstrengung zwang er seinen Körper vorwärts... »Und der Sieger ist Tamano Hinagiku aus der Klasse 1-C!!« Noah kam langsam zum Stehen und warf Hinagiku einen Blick zu, der einerseits Enttäuschung, aber auch Wut ausdrückte. Sie bemerkte ihn nicht, sondern fing erst einmal die Wasserflasche auf, die ihr zwei Mädchen vom Rasenstück zuwarfen, und trank gierig. Erst, als sie die Flasche absetzte, bemerkte sie, dass Noah sie immer noch anstarrte. „Was ist?“, fragte sie genervt. Noah sagt gar nichts. Hinagiku schraubte ihre Flasche wieder zu. „Hör mal, wenn du gewinnen willst, musst du schon früher aufstehen. Und auf jeden Fall noch ein bisschen wachsen.“ Hingiku tätschelte ihm von oben den Kopf. Wenn es eines gab, das Kaiba Noah auf den Tod nicht ausstehen konnte, dann waren das abfällige Bemerkungen über seine Körpergröße. „Du hast mir gar nichts zu sagen, du blöde Kuh! Ich hätte dich um längen schlagen können, wenn ich nicht vorher Basketball gespielt hätte!“, brach es aus ihm hervor. „Wie kann man so doof sein und vor seinem Sprint noch Basketball spielen? Da bist du doch selber schuld. Und jetzt lass mich in Ruhe, du Zwerg!“ Das war zuviel. Noah machte einen Satz und rammte Hinagiku seine Schulter mit voller Wucht in den Rücken, so dass sie, überrumpelt wie sie war, auf die Tartanbahn fiel. „Hast du sie noch alle?“, schrie sie aufgebracht. „Normalerweise vergreife ich mich nicht an jüngeren, aber bei dir muss ich wohl ...“ Sie hob die Faust und wollte Noah, der neben ihr auf dem Boden gelandet war, einen Schlag verpassen. „Sofort aufhören, ihr beiden! Das hier ist eine sportliche Veranstaltung und kein Prügelwettkampf!“ Noah wurde am Kragen gepackt und weggezogen, doch Hinagiku hatte sowieso schon ihre Faust sinken lassen. „Harimoto-Sensei“, murmelte sie respektvoll. Noa wurde unsanft herumgedreht und stand genau der gefürchteten Lehrerin gegenüber, die von allen Schülern nur liebevoll „Die Drachin“ genannt wurde. „Du wirst doch wohl keinen kleineren schlagen wollen!“, fauchte sie Hinagiku an und ließ dann Noah wieder runter. „Und du, du verschwindest jetzt sofort wieder zu deinem Basketball“, kommandierte sie. Noah folgte ihrer Aufforderung ohne Widerstand. Doch damit war der Streit der beiden noch lange nicht beigelegt! Sobald Hinagiku auch nur ansatzweise irgendwo den grünen Schopf des Kaiba-Erben erblickte, musste sie ihn irgendwie reinlegen. Ob sie ihm nun ein Bein stellte, während er den Flur entlanglief oder ihn heimlich aus einer Ecke mit Papierbällchen bewarf, sie freute sich jedes Mal hämisch, wenn sie ihn irgendwie bloßstellen konnte. Allerdings zahlte er es ihr immer mit barer Münze heim; einmal versteckte er ihre Hausaufgaben unterm Lehrerpult, ein anderes Mal ersetzte er ihr Bentou durch eine Ratte und wiederum ein anderes Mal verschwand auf mysteriöse Weise ihre Schuluniform aus der Umkleide der Turnhalle um kurz darauf an einem Baum hängend wieder aufzutauchen. Besonders heftig wurden ihre Streitereien, wenn sie gemeinsam an einem Ort waren, wie zum Beispiel bei der Vorbereitung des Kulturfestivals, als sie sich so sehr prügelten, dass Hinagiku schließlich mit Nasenbluten ins Krankenzimmer gebracht werden musste während er ein angestauchtes Handgelenk zu beklagen hatte. Es war der letzte Tag der Osterferien und Hinagiku saß mit Momoko und Yuri im Eiscafé in der Einkaufszone. „Morgen werden die Klassen neu eingeteilt!“, freute sich Momoko, „hoffentlich komme ich mit Yosuke-kun in eine Klasse.“ [In Japan werden ab der Mittelschule die Klassen jedes Jahr neu gemischt, und zwar beginnt das neue Schuljahr dort auch schon nach den Osterferien] Yuri schüttelte den Kopf und belehrte sie: „Das solltest du dir lieber nicht wünschen. Sonst würde er dich doch ständig ablenken!“ Sie blickte Momoko durchdringend an. „Du willst doch nicht, dass du ständig nur zu ihm schaust und deine Noten absacken, oder?“ Momoko senkte den Kopf und beschäftigte sich lieber mit ihrem Eis. Hinagiku rührte abwesend mit ihrem Strohhalm in ihrem Eiskaffee und blickte in den Himmel. Ein leises Seufzen glitt ihr über die Lippen, das Momoko und Yuri sofort die Köpfe zu ihr schnellen ließ. „Was ist los, Hina-chan?“, fragte Momoko, „du wirkst so unglücklich!“ „Bin ich auch“, gab Hinagiku lasch zurück und schloss die Augen. „Ihr habt alle einen Freund, nur ich nicht. Das ist doch irgendwo nicht fair“, murmelte sie. Yuri lächelte gequält. „Vielleicht solltest du mal versuchen, von diesem Schlägerbraut-Image runterzukommen. Ich glaube, das gerade gefällt den Jungs nicht so.“ Hinagiku schien einen Augenblick zu überlegen, dann maulte sie: „Das ist nur Kaibas Schuld!! Wenn er mich nicht ständig provozieren würde, hätte ich dieses Image gar nicht.“ Yuri lächelte weiter und ließ einen gut gemeinten Kommentar lieber ungesagt, denn er hätte ihre grünhaarige Freundin sicher nur noch mehr aufgebracht. „Ich verstehe immer noch nicht, weshalb du ihn eigentlich so anzickst. Ich meine, er hat doch das Rennen gegen dich verloren... außerdem ist das schon fast ein halbes Jahr her! Irgendwie leuchtet mir das nicht ein...“, murmelte Momoko, immer noch halb mit dem Kinn auf dem Tisch. Hinagiku hob das Kinn. „Das hat doch damit nichts zu tun! Er ist einfach ein kleiner, besserwisserischer Schmarotzer der sich sonst was einbildet, nur weil er mal ne tolle Firma erbt! Und so ein Pimpf will gegen mich gewinnen!? Das ist doch die Frechheit! Ich kann mich ihm doch nicht einfach geschlagen geben!“ Jetzt stand sie auf und haute auf den Tisch. „Dem werde ich zeigen, wo der Hammer hängt!“, stieß sie aus. Dann ließ sie sich wieder auf ihren Stuhl fallen und schlürfte im Eiltempo ihr kaltes Getränk aus. „Wir sollten hoffen, dass sie nicht mit Kaiba-san in eine Klasse kommt, oder?“, murmelte Yuri Momoko zu. Diese nickte. Am nächsten Morgen erschien Momoko ausnahmsweise mal nicht erst zu Unterrichtsbeginn sondern schon zehn Minuten vorher. Sämtliche Schüler drängelten sich um die neuen Klassenlisten. „Habt ihr schon geguckt?“, fragte sie. Hinagiku schüttelte den Kopf. „Noch nicht, ich bin auch gerade erst gekommen.“ „Steh hier nicht im Weg rum!“ Kaiba Noah drängelte sich an den drei Mädchen vorbei und trat Hinagiku dabei auf den Fuß. „Pass du auf, wo du hinlatscht!“, rief sie, aber er war schon in der Menschenmenge verschwunden. Yuri verdrehte in Momokos Richtung die Augen, aber die war gerade losgerannt -„Yosuke-chan!“- und warf sich ihrem Schatz in die Arme. Yuri legte ihre Hand Hinagiku auf die Schulter. „Komm, reg dich ab. Er ist nur ein kleiner Pimpf, hast du selbst gesagt.“ „Dem sollte mal jemand Manieren beibringen!“, schnaubte Hinagiku. Yuri schloss die Augen. Du solltest gerade von Manieren reden, dachte sie sich. Just in dem Moment, als Momoko und Yosuke sich der kleinen Gruppe anschließen wollten, ertönte aus der Schülermenge ein Aufschrei. „Nein, Nein, Nein!!“, hörten sie jemanden brüllen, dann teilte sich die Menge und ließ jemanden zum Lehrertrakt hindurchgehen, den man aber nicht sehen konnte, da Hinagiku und ihre Freunde auf der anderen Seite der Schülermenge standen. „Was ist da los?“, erkundigte sich Yuri bei einer älteren Schülerin, die jedoch nur die Achseln zuckte. Keiner machte Anstalten, das eben geschehene zu erklären und schon begannen die ersten Schüler wieder ihre Gespräche miteinander zu führen. „Ich gehe für uns nachschauen, wer in welcher Klasse ist“, teilte Yuri ihren Freundinnen mit. „Kannst du auch für mich gucken?“, fragte Yosuke. Yuri nickte, dann kämpfte sie sich durch die langsam etwas kleiner werdende Ansammlung zu den Listen der zweiten Klasse durch. Sie selbst war mit Momoko und Hinagiku in der 2-E gelandet, Yosuke fand sie in der 2-A. Sie wollte gerade wieder gehen, als ihr Blick noch einmal an der Klassenliste der E hängenblieb. Hinagiku stand neben Momoko und Yosuke und versuchte schlichtweg, die beiden Turteltauben zu ignorieren, während sie nach Yuri Ausschau hielt. Ihr Fuß trommelte ungeduldig auf den Boden. Ihr Blick glitt immer wieder über die inzwischen recht überschaubare Schülermenge und entdeckte schließlich Yuri, die langsam zurückkam. „Und?“, rief Hinagiku ihr fragend entgegen. Die brünette sah sie an und kam schneller dazu. „Du bist in der A, Yosuke. Und wir drei sind in der E“, erklärte sie, als sie dazukam. „Ja? Die E? Gut, dann nichts wie los!“ Hinagiku stürmte los und kämpfte sich eilig zur Treppe in den zweiten Stock durch. „Hina-chan, warte!“, schrie Yuri ihr hinterher, aber sie wurde nicht mehr bemerkt. „Ich wollte dich doch noch warnen...“, murmelte Yuri. Momoko sah sie deutlich verwirrt an. „Wovor denn?“ „Kaiba Noah!“ Hinagiku blieb wie angewurzelt in der Tür ihres neuen Klassenzimmers stehen und schoss förmlich Blitze aus ihren braunen Augen auf die genannte Person ab. Noah lehnte an der Fensterbank und erwiderte ihren Blick feindselig und mit verschränkten Armen. „Was hast du hier zu suchen?“, schrie Hinagiku und sprang ihm fast mit einem Satz vor die Füße. Noah wich keinen Millimeter zurück: „Ich bin in der 2-E, und wenn dir das nicht passt, dann beschwer dich beim Schulleiter.“ Mit einer lästigen Geste schüttelte er sich seine Ponyhaare aus dem Gesicht, „allerdings glaube ich nicht, dass du als Tochter eines Blumenverkäufers mehr Chancen hast als ich.“ „Rede nicht schlecht über meinen Vater“, schnaubte die aufgebrachte grünhaarige ihn an. „Ich stelle nur die Tatsachen fest, du blöde Kuh.“, gab er gereizt zurück. „Ich geb’ dir gleich deine Blöde Kuh! Du Muttersöhnchen!“ „Fällt dir keine bessere Beleidigung ein?“, fragte Noah mitleidig. „Das schon, aber ein so wohlerzogener kleiner Junge wie du sollte nicht mit solchen harten Beleidigungen in Berührung kommen!“ „Sag noch mal Kleiner Junge und ich hau’ dich so klein...“ „Wie schön, dass wir anfangen können!“, wurden sie von einer schneidenden Stimme aus ihrem Streitgespräch gerissen. Hinagiku stellte einigermaßen entsetzt fest, dass schon alle anderen Schüler sich einen Platz gesucht hatten und der Lehrer, Hirioto, die Klasse betreten hatte. Er war es auch, der sie jetzt mit strengem Blick musterte. „Los, setzt euch schon hin“, sagte er. Hinagiku warf einen Blick auf die Klasse. Neben ihr stand Noah auf und marschierte wie in Trance zu einem der beiden letzten freien Tische. „Ich setze mich nicht neben Kaiba!“, stieß Hinagiku aus. Hirioto hob die Augenbrauen. „Das ist der letzte freie Platz. Entweder du setzt dich da hin... oder du stehst.“ Hinagiku sog die Luft ein und stampfte zum letzten freien Platz in der letzten Reihe, direkt neben Noah. Während der Lehrer nun begann, etwas über das bevorstehende Schulfest zu erzählen, warfen die beiden Grünhaarigen sich ziemlich finstere Blicke zu. Schließlich riss Hinagiku aus ihrem Block, den sie vorsichtig aus ihrer Tasche zog, ein Stücken Papier aus und formte es zu einer Kugel um, die sie Noah gegen den Kopf schnipste. Der schien es nicht einmal zu bemerken, also schoss sie noch eine Papierkugel hinterher, die ihm knapp vor den Augen vorbeizischte. Ruckartig fuhr sein Kopf zu ihr herum und streckte ihr die Zunge heraus. Sie hatte schon wieder ein Kügelchen in der Hand und schleuderte es ihm ins Gesicht. Noah senkte wütend den Kopf und zog seinen eigenen Block hervor, während er von mindestens drei weiteren Kugeln in den Haaren getroffen wurde. Dann aber schoss er zurück. Zunächst unbemerkt vom Lehrer und den meisten Schülern lieferten sich die beiden eine ziemlich wilde Schlacht mit den immer kleiner werdenden Geschossen, die auch immer genauer den Gegner trafen. Allerdings verging Hinagiku schon bald die Lust darauf, nachdem sie schon ein ganzes Blatt verbraucht hatte und begann in ihrer Federmappe nach etwas Besserem zu suchen. So wechselte sie von Papierkugeln auf Radiergummistückchen, die nicht nur besser flogen, sondern auch härter waren. Noah begann natürlich auch, mit den Bruchstücken seines Radiergummis auf sie zu zielen und so wurde Hirioto schließlich doch aufmerksam, als Hinagiku eines der Geschosse gegen die Wange bekam und leise aufschrie. „Dürfte ich erfahren, warum ihr beiden nicht zuhört?“, fragte er streng. Die beiden bemerkten es nicht einmal und Hinagiku schoss ein weiteres Stückchen auf ihren Klassenkameraden. „Kaiba! Tamano! Strafarbeit! Und du tauscht sofort mit Hanasaki, Tamano!“, donnerte der aufgebrachte Pädagoge. Hinagiku stand zögernd vor einem Gebäude, das so gar nicht in seine Umgebung passen wollte. Zwischen eher traditionell japanischen Häusern und ein paar ziemlich modernen Bauten stand es, fast wie ein europäisches Schloss. Hinter einem großen Tor, an das sich breite, steinerne Torpfosten und ein langer Zaun anschlossen, befand sich ein Weg, der kreisförmig um ein schön angelegtes Blumenbeet führte und direkt an der kurzen Treppe lag, die zu einer riesenhaften Holztür hinauflenkte. Das Gebäude selbst zeichnete sich durch große Fenster aus, die von Rahmen umgeben waren und sie noch gewaltiger wirken ließen. An den Ecken waren kleine Türmchen mit Spitzdächern und das Gebäude endete vielmehr in Zinnen als in einem normalen Dach. Hinagiku hatte die Klingel schon bald am rechten Torpfosten ausgemacht und näherte jetzt ihren Finger. Sie brauchte noch ein wenig Überwindung. Wollte sie das wirklich? Nein, sie musste. Mit einem Seufzen berührte sie den metallenen Schalter und drückte ihn in die Mauer. Erst passierte gar nichts, dann flackerte unter dem Klingelknopf ein Bildschirm auf, der vorher nicht zu sehen gewesen war. Ein düster aussehender Mann mit Sonnenbrille und dunklen Haaren fragte: „Wer ist da?“ Hinagiku schluckte beeindruckt. „Ich... ich heiße... Tamano Hinagiku... ich habe eine Verabredung mit Kaiba Noah-san.“ Der Mann nickte. „Warten Sie bitte kurz“, meldete er. Der Bildschirm flackerte und wurde durch ein Abbild eines Stücks Mauer gefüllt. Deshalb hatte sie ihn vorher nicht bemerkt! Nervös schaute Hinagiku zu den großen Fenstern hoch und konnte nicht anders, als beeindruckt zu sein. Dagegen war ihre kleine Wohnung über dem Blumenladen nichts! Kurz darauf summte das Tor kurz und ging dann langsam von selbst auf. Das Mädchen schlich über die gekieste Einfahrt und ließ ihren Blick über die vielen Blumen in der Mitte schweifen. Was für eine Vielfalt! Dann sah sie den Garten außerhalb des Weges und blieb atemlos stehen. Was für schöne Bäume! Und dazwischen all diese seltenen Blumen, die ihr Vater in seinem Laden eigentlich nie zu sehen bekam...! Sie musste sie einfach einmal von nahem ansehen! Doch kaum hatte sie einen Fuß auf das akkurat gestutzte Gras gesetzt, ertönte eine Stimme: „Runter vom Rasen! Please, don’t walk on the grass! Sogen wo dete mo ii desu ka?“ Panisch machte sie einen Satz nach hinten und rutschte prompt auf den Kieselsteinen aus, konnte sich nur dadurch retten, dass sie ihren Sturz mit den Händen abfing. Erschrocken atmete sie langsam ein und versuchte, den Schock aus ihren Gliedern zu verbannen. „Weißt du, wir wollen nicht, dass unser Rasen von den Schuhen eines Durchschnittsbürgers irgendwie in Mitleidenschaft gezogen wird. Aber wie ich sehe, bist du nicht mal in der Lage, normal auf Kies zu laufen.“ Hinagiku sprang auf und eilte zur Treppe, wo Noah sie mit einem arroganten Gesichtsausdruck erwartete, eine Hand auf das Geländer gestützt. „Bild dir ja nichts ein“, fauchte sie. Warum zum Teufel hatte er nicht ein bisschen später auftauchen können? „Komm rein. Mein Palast ist natürlich sehr viel größer, als das, was du gewohnt bist... ich muss dich bitten, nichts zu berühren, es könnte ja beschädigt werden... und bitte sei nicht so laut, Vater hat eine Menge Arbeit“, sagte Noah geflissentlich, während er ihr voran in eine riesige Eingangshalle trat und dann die gigantische Treppe hinaufging. Hinagiku folgte ihm langsam und betrachtete eingehend die gesamte Umgebung. Die Wände waren von Gemälden geschmückt und an ihnen standen in regelmäßigen Abständen kleine Tischchen mit Vasen darauf, die Treppe war von einem kunstvoll gewebten Teppich bedeckt und das Geländer aus einem dunklen, schimmernden Holz. „Ich kann mir schon denken, warum du das gerne bei mir machen wolltest“, sagte Noah und bog zielstrebig nach rechts ab, in einen ebenfalls mit Vasen geschmückten Gang, „schließlich wäre dein Zuhause für dich die reinste Blamage geworden. Und außerdem wäre ich dort niemals freiwillig hingegangen.“ „Du weißt nicht einmal, wie meine Wohnung aussieht!“, zischte Hinagiku. „Das muss ich nicht wissen. Wenn ich mir deine armseligen Schuhe anschaue weiß ich schon, wie es bei dir aussehen muss.“ Hinagiku musterte ihr Schuhwerk. Die Halbschuhe waren tadellos, aus Kunstleder und kein bisschen dreckig. „Was hast du an meinen Schuhe auszusetzen?“, fragte sie und folgte ihm in ein Zimmer, das immerhin halb so groß war wie ihre ganze Wohnung. Noah drehte sich um und bedeutete ihr, die Tür zu schließen. Dann sagte er: „Es ist ihnen doch wohl anzusehen, dass sie nicht einmal aus echtem Leder gefertigt sind und die Schnalle, das ist ja wohl eine billige Legierung. Das erkenne ich auf den ersten Blick.“ Hinagiku zwang sich, seine Arroganz zu missachten und sah sich im Raum um. Er hatte am anderen Ende zwei große Fenster, in ihm standen in einer Ecke zwei barock anmutende Sofas um einen kleinen Tisch, in einer anderen Ecke ein Schreibtisch aus massivem Holz, auf dem ein völlig unpassend erscheinender Flachbildschirm-Computer platziert war. „Was ist das für ein Zimmer?“, fragte Hinagiku neugierig. Das Zimmer ihres Klassenkameraden konnte es in Ermangelung eines Bettes kaum sein. „Das ist eines unserer Arbeitszimmer. Wir haben eigentlich viel zu viele, aber was soll man denn auch mit den ganzen Räumen anfangen...“, murmelte Noah, setzte sich an den Schreibtisch und zog die Tastatur zu sich heran. „Du willst das mit Computer schreiben?“, fragte Hinagiku ungläubig. „Na klar. Es geht schneller, man kann Fehler besser korrigieren und es schnell mehrmals ausdrucken.“ „Aber... ich meine... das ist eine Strafarbeit! Wo ist denn da die Strafe, wenn wir es nur eben am Computer schreiben?“ „Wir müssen es uns trotzdem selber ausdenken!... Zehn Regeln für ein angebrachtes Sozialverhalten im Klassenraum!“ Noah schnaubte auf. „Damit das klar ist, das haben wir nur dir zu verdanken!“ „Warum mir?“ Hinagiku trat ihm gegenüber an den Schreibtisch. „Wer hat denn angefangen, Papierschnipsel zu werfen?“ „Du hättest es doch einfach lassen können! Ich dachte, du hast so gute Manieren!“ Noah lehnte sich in seinen Stuhl zurück und blickte sie an. „Darum geht es hier doch gar nicht. Wir waren bei der Diskussion, ob wir die Strafarbeit mit dem Computer schreiben oder mit Hand.“ – „Hand, ist doch klar!“ Noah stand auf. „Wenn wir das mit Hand schreiben, müssen wir es mindestens noch einmal abschreiben!“ „Na und? So was unpersönliches wie einen Computer benutzt man doch nicht für eine Strafarbeit!“ Hinagiku schlug mit ihrer Hand auf den Tisch. „Und mit Hand dauert das alles doch viel zu lange! Willst du vielleicht noch eine Kalligraphie draus machen?“, donnerte Noah. „Du kleiner Wicht, du hast mir gar nichts zu sagen!“ Hinagiku packte ihr Gegenüber am Kragen und zog ihn halb über die Tischplatte, so dass sie sich nun Auge in Auge miteinander befanden. „Ich bin immer noch stärker als du!“, zischte sie. „Mit roher Gewalt überzeugst du mich auch nicht.“ Sie schüttelte ihn feste durch und schrie: „Ach ja? Friss das, du Pimpf!“ „Ich bin kein Pimpf!“, kam es zurück und Noah traf seine Kontrahentin mit der Faust ins Gesicht. „Hat man dir nicht beigebracht, dass man keine Frauen schlägt?“ „Und dir nicht, dass man sich nicht an Söhnen der höheren Gesellschaft vergreift?“ Die beiden wurden immer hitziger und schließlich zog Hinagiku ihn quer über den Tisch auf den Boden. Zwischen ihnen entspann sich eine ziemliche Rangelei. Ein Klopfen riss sie aus ihrem Kampf und noch bevor sie sich voneinander lösen konnten, stand ein alter Mann mit einem kantigen Gesicht und einem roten Anzug in der Tür. „Was habe ich dir gesagt, Noah-kun?“ fragte er missgelaunt. Noah sprang sofort von Hinagiku weg und verbeugte sich unterwürfig. „Es tut mir leid, O-Too-sama“[sehr ehrfurchtsvolle Anrede für den eigenen Vater] , bat er. „Das sollte es auch. Wenn ihr mich noch einmal stört, dann setzt es ein Computerverbot für die nächsten zwei Wochen!“ Noah verbeugte sich noch einmal, dann verschwand der Mann auch schon wieder. „War das etwa dein Vater?“, fragte Hinagiku. „Ja“, sagte Noah leise. Auf einmal hatte sich aus seinem Auftreten sämtliche Arroganz verloren. Hinagiku fiel nichts mehr ein. „Lass uns per Losverfahren entscheiden, ob wir mit Computer oder Hand schreiben“, schlug Noah schließlich vor. „Wie wäre es mit Schere-Stein-Papier?“ Hinagiku nickte und hielt ihm die Hand hin. „Der Gewinner bestimmt“, sagte sie. Der Gewinner war Noah, der Stein wählte und so Hinagikus Schere schlug. Er entschied sich natürlich für den Computer. „Wir fangen an mit... ähm... Im Unterricht höre ich dem Lehrer zu“, schlug Hinagiku vor. „Nein, das ist irgendwie doof. Wie wäre es mit...“ , er begann zu tippen, „Punkt 1: Zu Beginn des Unterrichts sitzen alle Schüler auf ihren Plätzen“ „Das hat doch mit Sozialverhalten gar nichts zu tun! Lösch das wieder weg!“ „Wieso, das ist doch eine gute Regel!“ „Aber sie passt gar nicht. Vielleicht sollte die erste Regel sein ‚Im Klassenzimmer werden keine Schüler ausgegrenzt’.“ „Wenn sie nun aber keiner mag?“ „Das ist doch egal, es sind nur Regeln. Sagt ja keiner, dass wir uns dran halten müssen!... Was tippst du da?“ „Punkt 2: Die Schüler hören dem Lehrer zu“ „Das hat wieder nichts mit Sozialverhalten zu tun. Und wieso überhaupt Punkt 2? Wir waren uns über 1 doch noch gar nicht einig!“ „Was war denn an meinem Punkt 1 auszusetzen?“ „Ich hab gesagt, das hat nichts mit Sozial...“ „Na und? Hauptsache, wir haben die zehn Regeln!“ „Aber wir sollen das im Team machen, schon vergessen? Also müssen wir uns auch einig sein!“ „Wir sind uns einig. Punkt 2: Die Schüler hören dem Lehrer...“ „Hast du mir überhaupt zugehört?“ „Ja, absolut. Punkt 3: Jeder Schüler...“ „Mann, ich hab gesagt wir müssen uns erst mal über Punkt 1 einig werden!“ „Das klappt sowieso nie!“ „Ja, wenn du gleich drauf los schreibst...!!“ Noahs Gesicht verfinsterte sich. „Hau ab“, sagte er. Hinagiku, die gerade hatte weiterreden wollen, verstummte. „Was soll das heißen, Hau ab?“, fragte sie nach einiger Zeit etwas verwirrt. „Lass mich das alleine machen. Mit dir wird das ja nie was!“ Hinagiku starrte ihn an. „Dann mach ich das halt auch alleine! Wirst ja sehen, was der Lehrer dazu sagt, wenn du das so machst, wie du angefangen hast...!!!“ Hinagiku drehte sich um. „Den Weg nach draußen finde ich auch ohne Hilfe, danke der Nachfrage“, bemerkte sie an der Tür. Noah blieb finster auf seinem Stuhl sitzen. Hinagiku saß vor einem leeren Blatt Papier und hatte keine Ahnung was sie schreiben sollte, da ihr Zorn über Noahs plötzlichen Rauswurf immer noch an ihr nagte. Genau genommen machte sie sich gar keine Gedanken über die Strafarbeit. Sie hatte gar nicht gewusst, dass ihr Rivale so einen strengen Vater hatte. Sie war ganz froh, dass ihrer sie nur anschrie, wenn sie eine Klausur mit unter 10 Punkten [in Japan gibt es immer maximal 100 Punkte, also sind 10 Punkte schon eine 6] nach Hause brachte, was zum Glück nur sehr selten passierte. Machte so ein strenger Vater ihn dermaßen arrogant? Weil er ihm gegenüber nur demütig sein konnte, musste er gegenüber anderen den Macho raushängen lassen? War er deshalb so darauf versessen, sie zu schlagen? Um sich etwas zu beweisen? Ein Klopfen an ihrer Tür. „Herein!“, rief Hinagiku, dankbar für die Ablenkung. Ihr Vater betrat den Raum. „Das ist ja mal wieder ein Saustall hier“, bemerkte er und stakste durch ihre quer über den Raum verteilte Garderobe. Sie hatte in der Tat ziemlich lange überlegt, was sie bei Noah anziehen sollte, sich dann aber doch für ihre Schuluniform entschieden. „Was gibt’s?“, fragte sie. „Hier, das soll ich dir geben, von einem Mitschüler von dir.“ Der Mann drückte seiner sichtlich erstaunten Tochter einen Brief in die Hand. „Er hat keinen Namen gesagt. Und ich soll dir keine Grüße bestellen. Na ja, er ist auch sofort wieder gegangen.“ Hinagiku nickte abwesend und betrachtete die ordentliche Handschrift auf dem Umschlag. Wer zum Teufel war der Absender? „Was? Nee-chan [Anrede für die eigene große Schwester] hat einen anonymen Liebesbrief gekriegt?“ Hinagikus kleiner Bruder Akira erschien in der Tür und eilte zu ihr. „Los, zeig mal.“ Hinagiku hielt ihm den Umschlag entgegen. „Wie kommst du auf Liebesbrief...“, sagte sie. „Los, mach auf!“, bettelte der kleine Blauhaarige. „Ist ja gut...“ Hinagiku zog den Zettel hervor. „Zehn Regeln für ein angebrachtes Sozialverhalten im Klassenraum“, las sie staunend. „Hä? Schule?“ Akira schnappte sich den Brief, gab ihn jedoch sofort zurück. „Wie langweilig“, schimpfte er und verschwand aus dem Raum. Sein Vater tat es ihm nach und ließ Hinagiku mit dem Brief allein zurück. Die Handschrift war tadellos. Hinagikus Augen flogen über die Sätze. Es waren nicht dieselben, die er vorhin hatte schreiben wollen sondern welche, die sich wirklich auf das Sozialverhalten bezogen... Was musste es für eine Arbeit gewesen sein! Und dann noch so ordentlich geschrieben und ohne irgendeinen deutlich hervorstechenden Fehler...! Hinagiku lächelte. Dass Kaiba Noah nur mit dem Computer schreiben konnte, war also doch nur ein albernes Vorurteil gewesen. „Sehr schön“, stellte Hirioto fest, als er den Zettel entgegennahm, „genau so hatte ich mir das vorgestellt. Gebt nur acht, dass ihr euch auch daran haltet!“ Noah und Hinagiku sahen sich an und nickten. „Werden wir bestimmt“, sagte Hinagiku. „Danke noch mal, dass du das alles allein geschrieben hast“, sagte Hinagiku, als sie halb auf dem Weg in die Pause noch an ihrem Tisch stehenblieb. Noah war der einzige, der noch im Raum war, alle anderen hatten sich schon verdünnisiert. „Ich wollte es wieder gut machen. Ich hatte den Eindruck, dass dich das sehr verletzt hat, dass ich dich rausgeschmissen habe“, murmelte Noah mit leicht geröteten Wangen. „Dein... Vater ist übrigens sehr nett...“, sagte er dann. Hinagiku nickte. „Ich bin ganz zufrieden mit ihm“, sagte sie. Warum fiel ihr nichts besseres ein? Irgendwas hatte sich zwischen ihnen beiden entscheidend verändert... Warum konnte sie nicht einfach sagen: „Besser als deiner ist er allemal“? Weil sie seine Gefühle nicht verletzen wollte. Noah stand auf und wollte an ihr vorbeigehen, da fiel ihr noch etwas interessantes ein, sie wollte noch ein bisschen mit ihm reden. „Stell dir vor, mein Bruder dachte, es wäre ein Liebesbrief und war ganz enttäuscht, als es nur eine Stararbeit war“, erzählte sie. Noahs Gesicht wurde rot. „Tatsächlich...“, murmelte er. „Dann... hat er es nicht...“ Hinagiku runzelte die Stirn. „Was hat er nicht?“ Noah fuhr sich mit den Fingern durch den Pony. „Dann hat er es nicht gesehen...“ Hinagiku ließ ihre Hände sinken, mit denen sie gerade ihr Bentou aus der Schultasche hatte holen wollen. „Was nicht gesehen?“, fragte sie verwirrt. Da war doch nichts zu sehen gewesen? Nur ein Zettel, und zwar der, den sie gerade abgegeben hatten. „Hast du... das gar nicht gemerkt... dass ich noch was in den Briefumschlag geschrieben hatte...“, sagte Noah mit belegter Stimme und gesenktem Kopf. Hinagiku zögerte und versuchte, ihn nicht anzusehen. „Ich hab nichts bemerkt, tut mir leid... Den Umschlag habe ich gar nicht weiter beachtet...“ Sie atmete langsam ein. Noahs Körpersprache war zu eindeutig und sein gerötetes Gesicht sprach Bände. „Aber ich kann ihn mir heute angucken, ja?“ Noah nickte langsam. Er wollte immer noch nicht gehen und Hinagiku wollte das auch gar nicht. „Wenn... du es mir nicht persönlich sagst natürlich nur“, fügte sie nach einer viel zu langen Pause hinzu. Noah verkrampfte seine Hände ineinander. „Ja... ich... also, was ich dir geschrieben hatte war... dass... ähm... also... ich... ... ich ... glaube... ich ... ähm... es ist so, dass... ich dich... gar nicht mal so ... übel, ja... übel finde, ahm... ja... das war’s eigentlich.“ Noah hatte nicht mehr den Mut, mehr zu sagen und stürmte aus dem Klassenraum. „Halt, warte, Noah-kun!“ Sie rannte ihm nach und packte ihn am Handgelenk. „Ich... ich finde dich auch nicht so schlimm...“, murmelte sie, „es hat mir ehrlich gesagt immer irgendwie Spaß gemacht, mit dir zu streiten... na ja gut, ähm, würdest du vielleicht heute zu mir kommen wollen? Damit du mal meine armselige Wohnung siehst...?“ Sie holte tief Luft, nachdem sie all das fast in einem Atemzug von sich gegeben hatte. „Ja...“, sagte Noah zögernd. „Gut, siebzehn Uhr! Wo ich wohne, weißt du ja...“, lächelte sie. Noah nickte, dann ließ sie ihn los und er entschwand den Gang hinunter. Zuhause angekommen, stürmte die Grünhaarige in ihr Zimmer und griff nach dem Papierkorb unter ihrem Schreibtisch. Er war leer. Sofort eilte sie zurück in den Laden. „O-Too-chan, wo ist der Müll aus meinem Zimmer?“, rief sie. „Den habe ich heute Morgen ins Altpapier getan. Der wird gleich abgeholt.“ „WAS?“ Sie rannte zur Altpapiertonne und riss den Deckeln nach hinten. WO WAR DIESER VERDAMMTE BRIEFUMSCHLAG? Da! Zwischen ihren Händen tauchte das dünne Papier auf. Eilig riss sie ihn auseinander, um die Rückseite klar erkennen zu können. Dort standen nur drei Schriftzeichen, aber allein davon wurde ihr sofort warm ums Herz. „Ich mag dich“ Und dann hörte sie auch schon ihren Vater brüllen: „Hina-chan, Besuch für dich!“ „Ja, ich komme!“, rief sie und rannte überglücklich zurück in den Laden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)