FULL METAL HERBALIST von abgemeldet (Das ultimative Märchen) ================================================================================ Kapitel 1: The Full-Blooded Prince ---------------------------------- Es war einmal. [Da gute Märchen (wieso gut...?) damit beginnen, beuge ich mich dem Kodex.] Es war einmal eine kleine Stadt namens Final Base. Es war einmal ein einsamer Mann in den Wäldern. Es war einmal ein armes, aber fröhliches Mädchen. Es war einmal ein schöner Prinz, der lebte allein in seinem Schloss. Es war einmal ein Mädchen, das konnte Menschen heilen. Es war einmal eine Begebenheit, die sie alle zusammenführte - ob sie nun wollten oder nicht. Weitab von anderen Städten und Dörfern, umgeben von Feldern und einem unermesslich großen Wald, lag einst die Ortschaft "Final Base". Sonst war da nur das gewaltige Schloss in den Wäldern bei "Final", wie es liebevoll von seinen nicht englischsprachigen Einwohnern genannt wurde. Die Einzigen, die eine Verbindung zwischen dem Schloss und der kleinen Stadt aufrecht erhielten, waren zwei ausgewählte Diener der Grafenfamilie. Niemand wusste, wie denn der regierende Graf überhaupt aussah. Es rankten sich seltsame Gerüchte um die Grafenfamilie... aber um der Wahrheit auf den Grund zu gehen, waren die Einwohner von Final wohl zu harmoniebedürftig (will sagen, sie brachten den Arsch nicht hoch). Egal! Es gab nur niedrige Steuern, keine Kriminalität (...also mal abgesehen von den üblichen Dorfkloppereien), keine Folterstrafen und es herrschte seit Jahrhunderten Friede im Land. (Und auch wenn nicht... in Final hätte man von einem Krieg ohnehin nichts mitbekommen.) Die Leute lebten und arbeiteten in einem idyllischen Trott dahin und waren's zufrieden mit ihrem unbekannten Grafen. Auch für Unterhaltung war gesorgt, denn es gab eine ausgezeichnete Bar in Final, die "Seven Heavens". Der Besitzer war ein Antialkoholiker namens Wayne, der mit seinem Hetero-Lebensgefährten Garth einst eine Waise bei sich aufgenommen hatte, die inzwischen zu einem trinkfesten Mädchen von zwanzig Jahren herangewachsen war. Ihr Name war Kunigunde Elgar. Es hieß, sie verliere nie ein Trinkspiel. Wobei... ihre Gegner konnten sich zumeist nicht an den Ausgang eines Wetttrinkens erinnern. Ihre beste Freundin lebte mit ihrem Lehrmeister außerhalb der Stadt neben dem Friedhof. Ist ja klar, was das heißt. Und weil man in einer kleinen (wirklich mickrigen) Stadt von einem Bestattungsunternehmen alleine nicht leben kann, waren die beiden auch Heilkundige, die allerhand Mittel und Wege kannten, lästige Beschwerden, Krankheiten und kleine Auas zu behandeln. Die junge Heilerin (und Totengräberin, nur, um es nicht zu vergessen), hieß Ume Boshi, auch sie war eine Waise und nur wenig älter als Kunigunde. [Traurig, dass es in Märchen so viele Waisenkinder gibt.] [[Und dass Waisen sich aber doch immer wieder zu Heldenfiguren entwickeln, beruhigt ungemein, oder?]] Nun begab es sich aber, dass während eines langen und harten Winters eine schreckliche Krankheit Final Base heimsuchte.... Lange Rede, kurzer Sinn (Ekelhafte Einzelheiten müssen hier nicht erwähnt werden. Schlicht: Es war eine grausige Krankheit, und als Barkeeper Wayne beim Putzen in der Damentoilette ein Ohr fand, war klar, dass die Situation wirklich bedenklich war.): bald war der Großteil der Stadt infiziert und es gab erste Todesopfer. Ume Boshi, die schließlich selbst erste Anzeichen der Krankheit aufwies, und ihr Lehrherr arbeiteten unermüdlich, um die Leiden der Kranken zu lindern. Auch Kunigunde schob in der Bar Doppelschicht - in solch schweren Zeiten war Frustsaufen groß angesagt. Welche Art von Medizin die Heiler von Final auch ausprobieren mochten, nichts half. Die Krankheit raffte immer mehr Menschen dahin. Durch die zwei Diener des Grafen, die bei ihren allmonatlichen Einkäufen erfahren hatten, dass in Final der Tod umging, wurde auch dem Grafen selbst die katastrophale Kunde von der fiesen Krankheit zugetragen. Schon am nächsten Tag fuhren die zwei Diener wieder mit der großen, schwarzen Kutsche des Grafen in Final ein und riefen die Menschen zu einer Ratsversammlung. Sie kletterten also vor der vegetierenden Meute auf ein wackliges Podest und verkündeten eine Botschaft des Grafen. "Hört, hört! Es spricht durch uns seine Erhabenheit, der Graf! ,Geliebtes Dorfvolk!'" Zwischenrufe wurden laut, verstummten aber schnell wieder. "'Mich dünkt, wenn nicht bald ein Gegenmittel gegen eure wirklich widerwärtige Krankheit gefunden wird, sind wir alle am Arsche!'" Zwischenrufe aller Art. "'Ihr, weil ihr dann überaus tot sein werdet, und ich, weil dann niemand mehr meine Ländereien bestellt, jagt, arbeitet und Steuern zahlt. Aber fürchtet euch nicht! Ich, euer Herr, kenne das Mittel, das euch helfen kann! So schickt einen Heiler zu mir, auf dass ich ihm verkünde, wie er es anzustellen hat, euch gesund zu machen.'" Der Diener, der die Nachricht verkündet hatte, faltete das Schreiben des Grafen und sah hinab in die Menge. Ausdruckslose Augen starrten ihm entgegen. Er seufzte. "Haaach.... also, schickt euren Heiler hinauf zum Schloss. Der Graf gibt euch ein Rezept für die Medizin, die euch helfen wird." Jubel allenthalben. Sofort trat ein tattriger Greis aus der Menge, schwang aufgeregt seine Krücke und rief: "ICH! Ich bin der Heiler!" Der zweite Diener starrte den Alten ungläubig an: "Du alter Sack kannst doch unmöglich den Weg durch den verschneiten Wald meistern!" (Im Schloss hatte man offenkundig den rücksichtsvollen Umgang mit Menschen verlernt.) Die Menge ignorierte die Unhöflichkeit des Dieners und rief: "Ume Boshi soll gehen!", und: "Sie kennt sich im Wald besser aus als jeder andere!". Stille... Ein Mann, der neben dem alten Heiler stand, tippte diesem, als er auch nichts sagte, an die Schulter: "Wo ist denn Ume Boshi?" - "Wer?" - "Dein Lehrling, du alter Vollidiot!" Der Alte sah sich verwirrt um, kratzte sich hinter dem haarigen Ohr und zuckte dann mit den Schultern. Dann kehrte er zu seinem Platz zurück und schlief fast augenblicklich ein. Er hatte längst vergessen, worum es eigentlich ging. Die gräflichen Diener wirkten leicht genervt. Erneute Rufe wurden laut: "Fragt Kunigunde! Sie weiß sicher, wo Ume Boshi ist!", und: "Ja, wo ist Kunigunde Elgar!?" Auch von ihr keine Spur. Selbstverständlich waren Ume Boshi und Kunigunde die Allerletzten, die sich für irgendwelche Ratsversammlungen oder dergleichen interessierten. Da es zehn Uhr morgens war, lag Kunigunde in tiefem Schlaf - Ume Boshi ebenfalls. Die eine in ihrer Kammer hinter der Schankstube, die andere auf dem Schreibtisch eines Untersuchungszimmers. Eine halbe Stunde später hatte man die beiden geweckt und in den Versammlungssaal geschleppt. Kunigunde bekam die Augen kaum auf und trug noch ihre zerknautschte Spongebob-Schlafhaube auf dem Kopf (und ein pinkes Nachthemd, das zum Glück von einem übergeworfenen Wintermantel (aus schwarzem Leder) verdeckt wurde), während Ume Boshi mit unwilligem Blick und in einem schmutzigen Arztkittel vor dem Podest stand. Eine zerknitterte Zigarette steckte hinter ihrem rechten Ohr. Kunigunde gähnte verhalten und sah sich um. Dann strich sie ein paar glatte, violette Haarsträhnen aus ihrem Gesicht. "Häh?", war alles, was sie beim Anblick der versammelten Gemeinde zu sagen hatte. Ume Boshi erkannte die Diener des Grafen und verschränkte die Arme vor ihrem fleckigen Arbeitsgewand. "Also?", fragte sie mit über einer verbogenen Metallbrille erhobenen Augenbrauen. Ihr unordentlich zusammengebundenes Haar war zweifarbig, links orange, rechts pechschwarz (das waren ihre Naturhaarfarben). Ihre Stimme war heiser, ihr Gesicht leichenblass. Nicht nur die unermüdliche Arbeit, auch die verhängnisvolle Krankheit setzte ihr zu. Der erste Diener erklärte alles noch einmal und meinte abschließend: "Bis morgen Mittag sollt ihr im Schloss sein." "Kenn' aber den Weg nicht...", murmelte Ume Boshi, wobei es schien, als mache sie sich darum in Wahrheit keine großen Sorgen. "Ihr werdet doch wohl das Schloss finden!" - "War seit Jahrhunderten doch niemand dort..." - "EGAL! Der Graf wird euch nach zwölf Uhr nicht mehr helfen, also seid pünktlich!" Kunigunde meldete sich zu Wort: "Wieso denn? Hasst er Verspätungen? Will er unseren Gehorsam prüfen? Ist er so machtgeil, dass er..." - "GENUG! Nein, ab morgen zwölf Uhr hat er Yoga! Und jetzt ciao!" Damit sprangen die Diener in ihre Kutsche und preschten davon. Kunigunde und Ume Boshi - gefolgt von der gesamten Versammlung - traten ins Freie und sahen ihnen hinterher. "...hätten uns doch gleich mitnehmen können...", murmelte Ume Boshi. Das halbverständliche Brummeln schien überhaupt ihre liebste Mitteilungsform zu sein. Kunigunde wirkte abenteuerlustig (es war ohnehin sofort klar, dass sie Ume Boshi begleiten würde, da wurde nicht lange diskutiert): "Nein! Der Graf will uns prüfen! Er will uns das Rezept nur geben, wenn wir uns als würdig erweisen!" Allgemeines "Oh!" und "Ah!". Ume Boshi erwiderte trocken: "Oder sie haben vergessen, dass das auch im Bereich des möglichen liegt..." Allgemeine Enttäuschung. "Egal, machen wir uns auf den Weg!" Nur wenig später brachen die beiden unerschrockenen Freundinnen auf, stets in Gedanken, dass Final Base verloren sein würde, wenn sie nun versagten. All ihre Freunde, ihre Familien... ihre geliebte Heimat war bedroht!!! So traten sie aus dem Dorf und verharrten dort kurz, wiewohl die Zeit drängte. ---*zirp,zirp*--- Nach einem Augenblick andächtigen Lauschens (und Nasenbohrens) flüsterte Kunigunde: "Äh... weiter als bis hier war ich noch nie..." Ume Boshi rief zur Eile: "Scheißegal. Ich bin ja da." - "Aber du warst nie beim Schloss, und du bist krank... was, wenn du unterwegs stirbst und ich mich verlaufe?" Kunigunde sagte dies in vollem Ernst und mit besorgtem Blick (um sich besorgt, nicht um Ume), wie Ume Boshi feststellte - wäre dem nicht so gewesen, hätte sie ihre treue Freundin wohl in diesem Moment mit einem gefrorenen Zaunpfosten erschlagen. Apropos gefroren: erinnern wir daran, dass es tiefster Winter war. Ume Boshi blickte in die Ferne und suchte die Türme des Waldschlosses. "Keine Sorge,... und jetzt los. Wir werden im Wald das Schloss aus den Augen verlieren, aber wenn wir uns immer nach Südwesten richten, werden wir es schon erreichen." Also trotteten sie los, durch den knie- bis hüfthohen Schnee, der den eigentlich nur fünfstündigen Weg erheblich erschwerte. Inzwischen war es schon Nachmittag und Ume Boshi wusste, dass sie früh ein sicheres Lager für die Nacht aufschlagen mussten. Schon um vier Uhr hatte sich tiefste Dunkelheit über den Wald gelegt und das Feuer erhellte die Lichtung, die sie für ihr Lager auserwählt hatten, nur spärlich. Während Ume Boshi am Feuer hockte und aus Wurzeln eine nahrhafte Brühe kochte, blickte Kunigunde ängstlich in die Dunkelheit der Winternacht. Die Geräusche des Waldes waren ihr unheimlich. Sie drehte sich zu ihrer Freundin um, als diese die heiße Brühe in große Tassen füllte. "Hier.", sagte Ume Boshi lakonisch und reichte Kunigunde eine Tasse, ohne sich umzuwenden. Letztere nahm die Tasse und wärmte sich daran die Hände. Dann schnupperte sie angewidert an der Brühe. "...äh...lecker..." - "Motz nicht, trink es aus. Es wird dich bei Kräften halten.", erwiderte Ume Boshi, während sie selbst die stinkende Suppe schluckte und mit verzogenem Mund einen üblen Brechreiz unterdrückte (der Grund, warum sie sich ihrer Freundin nicht zuwandte). Kunigunde seufzte: "Ja, von heilenden Pflanzen hast du Ahnung, aber kochen kannst du echt nicht." Ume Boshi warf den leergetrunkenen Becher zu ihren Sachen und erwiderte emotionslos: "Klappe, Gun. Keiner verlangt von mir, kochen zu können. Und morgen oder spätestens Übermorgen kriegst du wieder das elende Fast Food, das Garth in der Bar anbietet." - "...oh ja, es bringt mich um, aber ich liebe es!", grinste Kunigunde, kippte die Brühe und dachte dabei wehmütig an die Annehmlichkeiten der Bar. Ume Boshi musste über den schwärmerischen Unterton in Kunigundes Stimme lachen und wandte sich ihrer Freundin nun endlich zu: "Du sagst zwar immer, ich bin daran schuld, dass alle Medizin grausam schmeckt, aber das ist so was wie ein Naturgesetz, egal, welcher Heiler... äh..." Ihre Augenbrauen hoben sich erstaunt und Kunigunde war einen Moment lang verwirrt. Ihre Freundin starrte etwas direkt über ihrer rechten Schulter an, also drehte sie sich langsam um, musterte, was Ume Boshi eben entdeckt hatte, und stürzte dann mit einem gellenden Schrei einige Schritte zurück. "AAAAAAAAH! VERDAMMT! WAS IST DAS DENN!?!?!?!" Ume Boshi trug die Sache mit Fassung, blieb wo sie war und versuchte, die Lage einzuschätzen. Vor ihnen stand ein Wesen, von der Statur her human, aber vollkommen behaart. Es trug schwere Kleidung aus Fell und mit einfachsten Mitteln bearbeitetem Leder. Das Ding war recht groß und höchstwahrscheinlich männlich. Es sprach nicht, aber es wirkte auch nicht unbedingt bedrohlich. Kunigunde kramte hektisch in ihrer Tasche. Sie suchte wohl eine Waffe oder dergleichen, konnte diese aber nicht aus der Tasche bekommen. So haspelte sie einige Sekunden lang herum, bis Ume Boshi meinte: "Lass mal." - "WAS? BIST DU VERRÜCKT!? SCHAU DOCH! DER GOTTVERDAMMTE YETI STEHT MITTEN IN UNSEREM LAGER!!! DER. MACHT. UNS. ALLE!" Ume Boshi blickte auf diesen Hinweis den Yeti an, dann wieder Kunigunde, dann den Yeti... "Ne, ich glaub, wenn er das wollte, hätte er das schon getan." Kunigunde sah ein, dass dieses Argument Hand und Fuß hatte, legte ihre Tasche beiseite, zuckte mit den Schultern und meinte nervös: "Gut, fein... und jetzt? Wollen wir ihn zum Essen einladen?" Ume Boshi, die oft Dinge ernster nahm, als andere sie gemeint hatten, warf einen Blick in die Suppenschüssel. "Njah... viel ist nicht mehr da, aber wenn du den Rest willst..." Ein auffordernder Blick und eine Geste ließen den Yeti zögernd nähertreten. Er bedankte sich artig mit einer Verbeugung, sein vorsichtiger Blick prüfte die beiden Mädchen kurz, aber eingehend, dann nahm er bescheiden die Suppe an, die Ume Boshi ihm angeboten hatte. Jemand, der im Wald lebt, ist bestimmt kein Gourmet, aber der grauenhafte Geschmack der überaus gesunden Suppe versetzte auch den hartgesottenen Yeti in Entsetzen. Er verbarg diesen Umstand gekonnt, würzte die Brühe aus einem kleinen Kräutersäckchen nach, und aß sie dann. Er bedankte sich mit einer erneuten Verbeugung und deutete den beiden jungen Mädchen dann, sie sollen schlafen, während er sich ans Feuer setzte und Wache hielt. Kunigunde und Ume Boshi verstanden schnell, was er ihnen mitteilen wollte, und fragten sich, ob sie ihm vertrauen sollten. Die üblicherweise misstrauische Heilerin meinte: "Ich glaube, er will helfen. Er würde sicher das Feuer in Gang halten. Ich find's nett von ihm, dass er meine scheußliche Suppe aufgegessen hat..." - "...vielleicht hatte er echt großen Hunger." - "Ich glaub' eher, er hätte sich selbst was wesentlich besseres besorgen können und hat sie nur aus Höflichkeit gegessen." - "Äh, ja... aber woher soll denn ein Yeti bitte so feine Umgangsformen haben...?" Ume Boshi bewies erneut ihre verworrenen Gedankengänge, die doch oft wunderlicherweise zu einem logischen Ergebnis führten: "Hat auch nur irgend jemand im Dorf so subtile Gesten drauf, wie ich sie bei ihm vermute?" - "Nicht, dass ich wüsste." - "Würde irgend jemand im Dorf aus Rücksicht auf andere etwas essen, was widerwärtig schmeckt?" - "Nicht ohne laut zu motzen, nicht mal, wenn er sonst verhungern würde." - "Siehst du? Diese Art von Höflichkeit hat nichts mit menschlichem Umgang zu tun, wie's mir scheint." Kunigunde wirkte nicht überzeugt, fürchtete sich aber inzwischen nicht mehr vor dem Yeti. Sie meinte: "Gut, mir soll's recht sein." Daraufhin wickelte sie sich in ihre Felldecken und schlief kurz darauf. Ume Boshi nickte dem Yeti freundlich lächelnd zu und legte sich auch hin. Es war ein Risiko - vielleicht auch eine Geste der Höflichkeit - er bot ihnen an, zu helfen, und so, wie er ihre grausige Brühe gegessen hatte, würden sie jetzt schlafen, auch wenn sie nicht sicher sein konnten, dass es ungefährlich war. Am nächsten Tag führte der Yeti die beiden jungen Mädchen zu dem gewaltigen Schloss des Grafen, und als sie zu Dritt davor standen, war es kurz vor Mittag. Der Yeti wollte sich zurückziehen, als das schwere Holztor sich vor ihnen öffnete, aber Kunigunde hielt ihn am Ärmel fest: "Komm mit uns, der Bürgermeister wird dich für deine Hilfe belohnen wollen." Ume Boshi nickte auf seinen fragenden Blick hin: "Ja, wenn du möchtest, bleib bei uns." Dabei fragte sie sich, ob er wohl verstand, was sie sagte, oder nur auf ihre Gesten reagierte, als er sich also doch nicht zum Gehen wandte, sondern mit ihnen in das Schloss trat. Ein Diener hieß sie willkommen. Das Mädchen aus der Bar sah sich neugierig um. Der große Kerl, dessen Gesicht von seinem zerzausten, graubraunen Haar und einem wilden Bart völlig verdeckt wurde, blieb still hinter der blassen Heilerin stehen, die nach einem kurzen, verhaltenen Hüsteln sofort das Wort erhob: "Wo ist der Graf?" Der Diener verneigte sich ergeben und bedeutete ihnen, ihm zu folgen: "Der junge Herr befindet sich in der Bibliothek. Hier entlang." Eine weitere schwere Tür aus Holz wurde vor ihnen aufgestoßen und sie betraten eine große, zweistöckige Bibliothek. Gusseiserne Treppen und Geländer ermöglichten einen problemlosen Zugang zu höher gelegenen Regalen. Ume Boshi war fasziniert von der Ansammlung wertvoller Schriften. Der Yeti lenkte sie jedoch sofort von den überfüllten Regalen ab und deutete auf Kunigunde, die wie erstarrt stehen geblieben war. Der Yeti und Ume Boshi folgten ihrem Blick und sahen an einem offenen Fenster, überflutet von gleißendem Licht, mit im hereinströmenden Wind wehendem Haar, das lang, blond und gelockt war, den lachenden jungen Grafen. Sein verspieltes Lächeln kokettierte mit dem Sonnenlicht, sein großer, schlanker Körper steckte in einem stattlichen, reich bestickten Jagdgewand (=des Grafen Alltagsklamotte: schwarze Kniehosen, weiße Strümpfe, die für Adlige so typischen Pumps, ein schmal geschnittener, blauer Waffenrock, auf dessen Säume ein feines, weißes Lilienmuster gestickt war). Als er sich den Dreien zuwandte, sahen sie seine strahlend blauend Augen, sein umwerfendes Lächeln erhellte sich noch ein wenig mehr. Ume Boshi zwinkerte - das helle Licht schmerzte in ihren Augen - und sagte, während sie ein Taschentuch vor Kunigundes blutende Nase schob: "Seid Ihr der Graf?" Der schöne Jüngling schloss das Fenster, warf seine glänzende Lockenpracht zurück und breitete die Arme aus: "Oh yes, das bin ich!" Mit zwei anmutigen Schritten war er am Treppengeländer angelangt, schwang sich darauf und landete mit einem eleganten Schwung vor ihnen: "Ich bin's, der letzte Nachkomme dieses gräflichen Sprengels. Und ihr, meine Süßen, seid.... OH MEIN GOOOOOOOTT!" Er schlug beim Anblick des Yetis beide Hände an die Wangen. Ume Boshi wollte ihn noch beruhigen und ihm erklären, dass ihr Begleiter ungefährlich war, doch der Graf ließ sie erst gar nicht zu Wort kommen. "Ui-di-dui! Das geht ja gar nicht! Junge, du musst dringend zum Friseur! Huschi-huschi-husch! Vorstellen kannst du dich immer noch, first things first!" Er packte den verwirrten Yeti an den Schultern, drehte ihn um und verpasste ihm einen Klaps auf den Allerwertesten, mit dem er ihn zu seinem Diener beförderte: "Ab mit ihm zu Antonino! Und neue Kleidung braucht der Mann! Sofort! Das tut ja in den Augen weh!" Kunigunde war wie verzaubert, mit Taschentuchröllchen in der Nase flüsterte sie: "Was für schöne... Bücher..." Der Graf grinste erfreut und meinte: "Oh! Danke! Guck mal, hier drüben, meine Manga-Sammlung..." Ume Boshi hüstelte hinter vorgehaltener Hand und sagte: "Verzeiht, Graf. Wir kommen wegen der Medizin..." "Oh, ja, stimmt ja! Wer ist denn hier der Heiler? Hab ich schon erwähnt, dass ich der Graf bin?" - "Ja, ja, schon klar. Darf ich zuerst meine Freundin vorstellen? Kunigunde Elgar." Kunigunde machte einen Knicks. "Ich bin Ume Boshi, die Heilerin. Unser Begleiter ist..." Der Graf winkte ab. "Ist AB-SO-LUT aus dem Wald, was? Also gut, ich habe von der Krankheit gehört und in einem Buch das Rezept für die Medizin gefunden. Etwas davon hab ich gebraut, aber den Rest müsst ihr wohl selbst herstellen. Du." Er deutete auf Ume Boshi. "Wie war noch mal dein Name?" - "Ume Boshi..." - "Ah ja, genau, fein, also, du, du bist doch schon krank, oder? Also mein Diener wird dir etwas von dem Zeug verabreichen. Dann ruht euch ein wenig aus, während euer Freund gestylt wird. Ich muss gleich zum Yoga, danach gebe ich euch das Rezept, ja? So, ab mit euch!" Er scheuchte die Mädchen mit einem weiteren Diener hinaus und kurz darauf fanden die beiden sich in einem rapunzelmäßigen Turmzimmer wieder. Ume Boshi musterte die grünliche Flüssigkeit in der gläsernen Phiole, die man ihr gegeben hatte, skeptisch. Kunigunde sah schwärmerisch aus dem Fenster, weit entfernt von der Problematik des Dorfes. Sie seufzte lächelnd: "Was für ein schöner Mann..." Ume Boshi schnupperte an der Medizin: "Ob das giftig ist...?" - "Ach was, könnte denn etwas, das er gemacht hat, giftig sein? Trink es, du musst schnell gesund werden." Ume Boshi trank die Medizin also, sie hatte ohnehin keine Wahl. Plötzlich ertönte ein markerschütternder Schrei aus dem Kellergewölbe des Schlosses. Ume Boshi und Kunigunde starrten einander vor Schreck erstarrt an. "Umeee...?" - "War das...?" Beide stürzten aus dem Turmzimmer und hasteten nach unten. Am Fuß der Treppe kreischten sie beide erschrocken auf, denn sie stießen mit dem Grafen zusammen, der nun ein völlig anderer zu sein schien. Unter seinen Augen waren dunkle Ringe, sein Haar war zerzaust, seine Haut bleich. Sein unsteter Blick haftete sich an die beiden: ´"Meine Güte! Was war denn loo~oos?" Ume Boshi plusterte sich zu voller Größe auf und begann: "Was!? Verdammt, was habt Ihr mit unserem Kameraden gemacht?! Nur weil er..." - "HIYAAAAAAAAAAAAARRRRRGHHHHH!!!" Der neuerliche Schrei unterbrach die Tirade der jungen Heilerin, die mit einer unangenehmen Gänsehaut feststellte, wie auch der Graf furchtsam erbebte. Die drei stürmten also in das Kellergewölbe des Schlosses, wo sich neben einer Familiengruft und einem großen Weinkeller auch ein Großteil der Beauty-Einrichtungen des Grafen befand. Der Graf schlich vorsichtig an die Tür des unterirdischen Friseursalons heran und flüsterte, während er sein hübsches Lockenköpfchen am Türrahmen vorbeischob: "Antonino? Bist du dahaaaa...?" Der aufgebrachte Friseur flatterte dem Grafen entgegen und jammerte: "HAAACH! Ihre Gnaden bürden mir Schwerstarbeit auf. Davon krieg ich Krampfadern in den Fingern!" Der Graf wedelte beschwichtigend mit den Händen: "Aber, aber. Wer hat denn so geschrieen? Was ist passiert?" Der Friseur stemmte die Hände in die Hüften und seufzte theatralisch: "Der Wildwuchs im Gesicht von diesem Burschen war dermaßen schwer zu entfernen, kann ich Euch sagen.... beim Augenbrauenzupfen hat er den Geist aufgegeben." Alle zusammen betraten den Friseursalon und sahen einen stattlichen jungen Mann ohnmächtig auf einem Frisierstuhl sitzen. Kunigunde betrachtete ihn eingehend: "Das ist doch aber nicht unser Begleiter... der hatte überall Haare und so..." Der Yeti, der offenbar nur ein stinknormaler Waldläufer war, war säuberlich rasiert und hatte von Antonino einen adretten Kurzhaarschnitt bekommen. Davor hatte man ihn in einen einfachen, schwarzen Jagdanzug gesteckt. In diesem Moment schlug er seine Augen auf, deren braun beinahe so ausgebleicht - fast grau - wirkte wie sein Haar. Ume Boshi hatte sich schnell beruhigt und stellte fest: "Doch, er ist es..." Der Graf nickte zufrieden: "So, gleich viel besser, oder? Na ja, dann...", mit schwungvollen Schritten kehrte er zu seinem Yogalehrer zurück. Antonino wollte gerade mit seiner Arbeit fortfahren und der Yeti erhob bereits seine Arme zu einer abwehrenden Geste, als Ume Boshi Antonino zurückhielt und meinte: "Genug, Maître! Toll gelungen, wirklich, aber das genügt!" Der Friseur wirkte aufrichtig enttäuscht, musste aber seinen Kunden an die beiden Mädchen abgeben, die sich schließlich zurück in die Bibliothek begaben, um dort auf den Grafen zu warten. Jener betrat wenig später - wieder mit einem perfekten Look - die Bibliothekshalle. "Sooo, alles wieder okay, kids?" Der Yeti musterte den jungen Grafen vorsichtig, während Ume Boshi sich räusperte: "Das ist übrigens unser Begleiter..." - "Der Yeti?" - "Äh... ja. Er spricht nicht viel...öh..." Ume Boshi blinzelte verwirrt, als der Graf sich bäuchlings auf den Fellteppich legte, mit den Flusen spielte und höchst konzentriert zu ihr aufblickte: "Ja, okay. Der Yeti, dann Fräulein Kunigunde und du... äh..." - "Ume Boshi..." - "Ah ja, genau. Du bist Heilerin, nicht?´" - "....ja...." Der Yeti und Kunigunde warfen Ume Boshi vorsichtige Blicke zu und bekamen eine Gänsehaut, als sie ihr gespielt geduldiges Lächeln sahen... [Was darauf geschah, ist im Laufe der Zeit aus den Geschichtsbüchern verschwunden... wer weiß, warum dieses Wissen getilgt werden musste?] ~~~~~~~~~ Am Abend des selben Tages kehrten Kunigunde Elgar, Ume Boshi und der Yeti nach Final Base zurück. Dank des jungen Grafen konnten sie die Bewohner ihrer Heimatstadt heilen und die grausige Krankheit fand mit dem harten Winter ihr Ende. ~Die Bevölkerung behielt die Heldentaten ihrer Gemeindemitglieder lange in Erinnerung.~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)