Abbey ~ Life in Twilight von Blackwolf (Denn niemand weiß, wer du bist - nicht einmal du selbst) ================================================================================ Kapitel 5: *+~ Nie genug~+* - Flashback: Inside my cage of darkness ------------------------------------------------------------------- Kai wich nicht aus. Es war ihm egal. Alles war ihm egal. Auch der Schmerz, der durch seinen Kiefer zuckte, wie ein Donnerschlag, als Talas harter Knöchel ihn mit voller Wucht traf. Und auch, dass sich Tränen in seinen Augen sammelten, war ihm Einerlei. Er blinzelte und sah den großen Rothaarigen emotionslos an. „War das alles, du Memme?“ Er sah Tala ruhig an. Zwischen Talas Augenbrauen hingegen erschien eine steile, tiefe Falte und es schien fast so, als ob man Talas Adern an dessen Schläfen pulsieren sehen konnte. Der Rothaarige musterte seinen Gegner abschätzig, dann spannte er seine Muskeln an. „Wir haben nie genug, oder, Kai?“ Das Lächeln, das Kais Mundwinkel umspielte, verschwand urplötzlich. Über seine rubinroten Augen legte sich ein dunkler, bedrohlicher Schatten. „Nein.“, sagte er leise. Beide waren sich nicht sicher, ob Kai die Drogen oder die Schlägereien meinte. Keuchend lehnte sich Bryan gegen die kalte, steinerne Mauer. Wie auch die Wände der Flure die einen von der Bibliothek in seinen Schlafraum führte, oder sonst wohin, waren diese alt und mehrere Meter hoch. Es war finster und Bryan leuchtete sich den Weg mit der altmodischen Fackel. Keiner der anderen Schüler wusste, dass es diese Gänge gab. Sie waren unterirdisch und wahrscheinlich noch Jahrzehnte älter, als die Abtei, die über ihnen erbaut worden war. Die Luft war feucht und so kalt, dass Bryan die weißen Wolken seines Atems sehen konnte. Er dachte darüber nach, ob es ihm wirklich schaden konnte, wenn er versuchen würde der Nadel zu entkommenn. Dem Einfluss der Droge hatte er vieles zu verdanken, das wusste er. Nicht nur sein unnatürlich großes Konzentrationsvermögen sondern auch die erweiterten Pupillen, die ihn physisch aufmerksamer machten. Er stieß sich von der Wand ab und führte seinen Weg weiter, bis er nach fünf Minuten, wo sich der Gang nach links und rechts wand, nach links abbog und schließlich in eine scheinbare Sackgasse gelangte. Als er jedoch die Fackel höher über seinen Kopf hob, konnte man die verwitterten Holzplanken einer Tür ausmachen. Erschöpft lauschte er den gedämpften Stimmen Kai und Talas, die durch die unsichtbaren Ritze zwischen den Holzbrettern zu ihm durchdrangen. Erst hörte er Kais ruhige, fast gelangweilte Stimme, dann erklang die von Tala, fast zitternd vor Wut. Es folgte ein dumpfes Geräusch, dann ein weiterer kurzer Schlagabtausch. Bryan hielt die Luft an, aber er hörte nur noch seinen schweren Atem und sein pochendes Herz. Zielstrebig öffnete er den rostigen Riegel und die schwere Tür schwang auf. Tala sprang wie von der Tarantel gestochen zurück, als hinter ihm die klapprige Tür des Schrankes aufschwang und Bryan heraus stolperte. Verheddert in Jeans und T-Shirt, fluchte er lautstark, bevor er seine Teamkameraden nur eines Blickes würdigte. „Oh, Bryan!“ Tala sah den Neuankömmling betont überrascht an und blinzelte jovial mit den Aquamarinblauen. Bryan befreite sich elegant von den Kleidungsstücken, die an ihm hingen, richtete sich zu seiner vollen Körpergröße von stattlichen hundertfünfundneunzig Zentimetern auf und sagte dann beherrscht, aber bestimmt „ Los, Jungs...“ und deutete auf den Schrank, dem er gerade entstiegen war. Hinter den Kleiderbügel und den wenigen daran befindlichen Klamotten (Bryan hatte fast alles herunter gerissen) war ein finsterer Gang, der nur durch das flackernde Licht einer Fackel beleuchtet wurde. Besagte Fackel hing gemütlich brennend an einer Halter an der Wand und beleuchtete mehrere Meter mittelalterliches Gestein und außerdem ein großes, klebriges Spinnennetz. Tala zuckte mit den Achseln und warf einen argwöhnischen Blick Richtung Kai, der sich von ihm abgewandt hatte und seine Schuhe anzog. Dann durchschritt er langbeinig den Raum und verschloss die Tür. Ihm entfuhr ein tiefer Seufzer. Der Gang schien kein Ende zunehmen. Jedenfalls war das Bryans Ansicht, und ihm klebte sein Pullover schwitzig am Oberkörper. Seine Wangen waren gerötet, nicht von der Kälte, sondern von der Anstrengung. Als er einen kurzen Seitenblick auf Kai und Tala warf, die schweigend nebeneinander liefen, durchfuhr ihn ein kalter Schauer. Die beiden schienen noch etwas erhitzt wegen ihrer Streiterei, aber sie wirkten, als hätten sie noch genug Energie um einen achthundert Meterlauf durchzustehen. Er dagegen fühlte sich so wackelig auf den Beinen, als würde er jeden Moment das Bewusstsein verlieren. Beunruhigt fuhr er sich über die Stirn. Sie war glühend heiß. Er war fast erfreut, die schwere, eiserne Flügeltür zu erblicken. Tala stieß sie unwirsch auf, wobei er sich allerdings den Musikantenknochen stieß und darauf lauthals fluchte. Der Raum, den sie betraten war groß und erstaunlicher Weise leuchteten seine Wände hell und reinlich. Die plötzliche Helligkeit blendete die drei Besucher. Nachdem sich die Drei an das grelle Neonlicht gewöhnt hatten, konnten sie das Inventar des Raumes inspizieren. Alles schien, wie immer, wenn sie diesen Raum aufsuchten. Die meterhohen vollgestopften Regale, die klinisch weißen Tische, auf denen Allerlei Gerät stand, angefangen bei Mikroskopen in allen erdenklichen Größen, Bunzenbrennern, Computern und Bildschirmen. Auf einem weiteren Regal standen verschiedene Reagenzgläser. Schmale, bauchige und ungleichmäßig geformte. Und ihr Inhalt variierte vom Kolorit her in der ganzen Tonpalette. Auch die Konsistenz unterschied sich erheblich, von kleinen Kügelchen, dickflüssigen und öligen Gebräuen. „Bryan, Tala, Kai.“, ertönte eine erstaunlich hohe Männerstimme forsch. Ein kahlköpfiger Mann mit unzähligen Falten, aber keinen Augenbrauen und einem froschähnlichen Mund, trug ihnen ein Tablett entgegen. Darauf befanden sich mehrere Kanülen und eine grüne Flasche Desinfektionsmittel. Hinter ihm folgte eine hohlwangige, dunkelhaarige Frau, deren Augen fast in ihren Höhlen versunken waren. Sie schob drei Tröpfe mit sich, an denen jeweils eine hellrote Flüssigkeit herum schwabte und stellte diese neben die drei Betten, die abgetrennt von Vorhängen, nebeneinander standen. Kai beobachtete die Konserven und erkannte seinen Namen auf einer und steuerte auf das dazu gehörende Bett zu. Auch Bryan und Tala taten dies und ließen sich mit hörbaren Seufzern auf ihre Bettkanten sinken. Sobal sich die drei zurecht gerückt hatten, huschte der Kahlköpfige zu ihnen, desinfizierte ihre Handrücken und legte die Kanüle in die Vene. Dann packte er die Konserven mit der hellroten Flüssigkeit und schloß diese an die Kanülen an. Nach dem er diese Prozedur an allen ausgeführt hatte, kam seine Helferin und brachte weitere drei Kanülen und leere Konserven mit. Diese wurden neben die hellrote Flüssigkeit gehängt und der froschartige Mann desinfizierte ihre Armbeugen um dann die Kanüle, die er zuvor an den leeren Konserven angeschloßen hatte, in die Arterie zu stoßen. Kai beobachtete fasziniert die dunkelrote Flüssigkeit, die langsam in die Konserve floß. Dann wandte er seinen Blick zu dem hellroten Inhalt der anderen Konserve. Es fiel ihm schwer, sich vorzustellen, dass diese auch einmal so dunkel gewesen war, wie die andere. Natürlich hatte man versucht es ihnen in aller Beiläufigkeit zu erklären. Dem Blut wurden unter anderem Sedativa, Beruhigungsmittel, beigemischt. Außerdem auch sogenannte Analgetika, Schmerzmittel, und Anxiolytika, angstlösende Mittel. Zusätzlich wurden auch noch verschiedene Stimulantia, anregende Mittel, wie Amphetamin und Methylamphetamin, beigegeben. Kai war das absolut egal, es war ihm sogar scheißegal. Außerdem war es ihm ein Rätsel, wie diese ganzen Medikamente und Drogen so lange in seinem Blut bestehen blieben. Bryan hatte versucht es ihm zu erklären und es hatte wenig gebracht, außer das er „weiße Blutkörperchen“ und „größtenteils resistent“ aufgeschnappt hatte. Langsam fühlte er, wie sich die Wirkung der Droge entfaltete. Das war normal, in den ersten Tagen. Sie waren high und halluzinierten vor sich hin. Er hatte nie mit den anderen zwei darüber gesprochen, aber er wusste, dass sie wohl auch gedacht hatten, dass sie sterben müssten. Sein Kopf fühlte sich an, als würde jemand mit langen, heißen Nadeln seine Schädeldecke anbohren. Ihm war schlecht, aber er war sich ziemlich sicher, dass er sich nicht erbrechen würde, erstens war nämlich nichts drin, und zweitens würde das so anstrengend sein, dass er das Bewusstsein verlor. Er schloß die Augen, um die tanzenden, weißen Flecken auf seinem Blickfeld zu vertreiben, aber sie waren ständig und stetig da und wirbelten herum wie Schneeflocken. Sein Körper fing an zu brennen, als würde man ihn in einen riesigen Ofen schieben. Er atmete nur noch stockend. Tausende Gedanken flogen ihm durch den Kopf. Er versuchte sich abzulenken. Vielleicht mit einer Erinnerung. Er kniff die Augen so fest es nur ging zusammen... *~+Flashback+~* Langsam öffnete er seine Augen. Jemand hatte ihm durch eine kleine hölzerne Klappe an der Tür Brot und Wasser durch geschoben. Als sich diese an die bedrohliche Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte er die schemenhaften Umrisse einer kargen Einrichtung ausmachen. Ein kleiner Hocker, ein Strohlager, ein kleiner Tisch. Ganz oben an der Wand war eine winzige, schmale Öffnung, durch die helles Tageslicht drang, das ein kleines, helles Rechteck auf dem dreckigen Boden entstehen ließ. Hoffnungsvoll robbte er auf diesen Strahl Freiheit zu, doch bevor er ihn erreichte, schob sich eine Wolke vor die Sonne, und auch das Rechteck verschwand schlagartig. Es war wie ein Wink des Schicksals. Mühsam stand er auf und lehnte sich gegen die Wand. Sie war kühl und glatt. Er drückte seine Wange dagegen und schloß die Augen. Er wollte sie nie wieder öffnen. Nicht, solange er weiter an diesem Ort verrotten musste. Er wollte nie wieder die kargen Wände sehen. Er würde es nicht ertragen, dass er weiter in der Dunkelheit leben musste. Und so vergingen die Tage, die er nur zählen konnte, weil er auf das Geräusch der Klappe hörte, die jeden Tag einmal sich öffnete und wieder schloss. Manchmal lief er im Kreis herum und das stundenlang. Er schlief nicht viel und auch nicht besonders gut. Statt dessen saß er da, im Schneidersitz, vertieft in seine Gedanken, die er ordnete und beiseite schob, um eine innerliche Ruhe zu erzeugen. Irgendwann hörte er auf, die Tage zu zählen, sondern er konzentrierte sich darauf, alles zu vergessen. Er suchte Ruhe und fand sie, und manchmal fragte er sich, ob es nur wenige Minuten waren, oder sogar Tage, die er so verbrachte. Er hörte, wie das Schloss sich öffnete, die knarrenden Angeln der Tür. Hände, die ihn packten und ihn hoch zerrten. Er wurde weggezogen. Doch seine Augen waren immer noch geschlossen. Dann erklang eine tiefe Stimme, die ihm bekannt vorkam. „Kai. Es ist Zeit.“, sagte sie. „Jetzt bist du stark. Jetzt bist du frei.“ Zeit. Stärke. Freiheit. Benommen versuchte Kai seine Gedanken zu ordnen, um heraus zu finden, wer sprach. Er hatte schon so lange keine andere Stimmen mehr gehört. Und die Gerüche, die ihm in die Nase stiegen, waren überwältigend. „Mach deine Augen auf, Junge.“, befahl die Stimme ungeduldig. Und er öffnete sie. Blau. Rot. Grün. Violett. Grau. Weiß. Gelb. Gold. Silber. Helligkeit. Er starrte aus dem Fenster und er sah, wie die Wolken am Himmel vorüberzogen. Vögel, die zwitschernd auf einem Baum saßen. In der einen ecke stand ein Mann mit einer riesigen Nase und offensichtlich war er es, der ihn hierher geschleift hatte. Und vor ihm saß Boris Balkov. „Junge. Du wirst schwören, das zu tun, was ich von dir will.“ Ein sonst schien ihm überflüssig zu erscheinen, und Kai war klar, warum. Er wollte nicht zurück in diesen Käfig aus Dunkelheit. „Ja.“, sagte er, und seine Stimme war leise vor Heiserkeit, denn auch sie hatte er schon lange nicht mehr benutzt. „Ja. Alles was du willst.“, wiederholte er nun lauter und er starrte Balkov an. „Geh dich waschen.“ Balkov rümpfte die Nase. Wieder wurde Kai von dem großen, hakennasigen Mann am Nacken gepackt und man zerrte ihn durch steinerne Gänge. Dann stieß der Mann ihn in einen gefliesten Raum. Die Fliesen waren schneeweiß und leuchteten. Ein Waschbecken war in der linken Ecke, eine Dusche in der Rechten. Doch was seine Aufmerksamkeit erregte, war der große, fleckige Spiegel. Kai starrte sich selbst an. Er war groß für sein Alter, und seine Haare reichten ihm in wirren Strähnen bis auf die Schultern. Seine Haut war blas und er konnte seine Adern bläulich durchschimmern sehen. Aber am meisten fesselten ihn seine Augen. Große, runde Rubine die ihn anstarrten. Sie leuchteten bedrohlich aus seinen Augenhöhlen hervor. Wie Feuer. Wie Blut. Und er konnte verhallende Schreie aus seiner Erinnerung hören. Und auch die tanzenden Schatten von Flammen. Und er spürte einen Hass, den er unterdrückt hatte. Einen ungebändigten Hass, der nach Blut dürstete. Nach Rache. Ein Hass auf sich selbst. Und er schlug den Spiegel mit seiner Hand in Tausende glitzernder Scherben, die durch den Raum flogen. Sein Blut rann an seiner Hand auf den Boden. Er sah, dass es auf eine der Scherben getropft war. Und es hatte die gleiche rubinrote Farbe wie seine Augen. *~+Flashback fin+~* Er öffnete keuchend die Augen und starrte die weiße Decke an. Und es schien ihm, als würden seine Augen ihn von dort anstarren, spöttisch, hämisch, hinterlistig. Und dann fingen die Pupillen an sich zu vergrößern und die Dunkelheit begann, die blutroten Ränder zu verschlingen. Und auch ihm wurde schwarz vor Augen. Er bemerkte vage, wie er sich langsam von all dem befreite und bewusstlos wurde... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)