Krieger, Magier und Diebe von Arianrhod- (AU, Science Fantasy) ================================================================================ Kapitel 17: Phönix ------------------ Titel: Krieger, Magier und Diebe Teil: 17/24 Autor: Lady Silverwolf Anime: Beyblade Warning: OOC Disclaimer: Die Hauptcharaktere gehören nicht mir und ich verdiene kein Geld mit dieser Fanfic. "..." reden //...// denken ~~~~~~~ Hiermit präsentiere ich Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, mein Lieblingskapitel von Krieger, Magier und Diebe. Ich freue mich, Sie her begrüßen zu dürfen und wünsche Ihnen viel Spaß damit ...merkt man eigentlich, dass ich total überdreht bin? Keine Ahnung, warum. *drop* Ich hab grad vorhin nachgesehen und das letzte Kapitel wurde am 21.11 freigeschaltet. Hab euch ganz schön lange zappeln lassen, oder? Oo War aber keine Absicht. Jedenfalls ist das hier das Kapitel, auf dass ihr alle gewartet und gehofft habt. *g* Ich hoffe, es gefällt euch ebenso wie mir, auch wenn ich teilweise ein wenig ins philosophieren gekommen bin. (Aber die Frage 'Was ist Stärke?' hab ich mir nicht zum ersten Mal gestellt. Zu dem Kapitel muss ich noch sagen, dass es schon stand, bevor ich die eigentliche Idee von KMuD hatte. Oo So was passiert mir öfter, also nich wundern. Ich hab ziemlich lange gebraucht, bis es fertig war und zwei verschiedenen Versionen davon. Die Idee, die ich hier verwendet habe, war die erste, auch wenn die andere auch ihren Reiz hatte(ich hab sie sogar vor der ersten geschrieben). Aber ich fand die hier besser. Azrael ist übrigens auch in der jüdischen, christlichen und islamischen Mythologie der Engel des Todes. Ich hab aber nur den Namen und die Eigenschaft übernommen, denn der 'richtige' Azrael ist ganz schön hässlich. (1000 Flügel oder so und noch viel mehr Augen *brrrr*) ** @ spellmaster: Ach ja, dir hab ich's ja schon gesagt. Oo Sooo viel hat Yuriy doch gar nicht über Kai gesagt. Aber du bist nicht die einzige, der diese Szene gefallen hat, ebensowenig wie die mit Bryan. *g* @ are: Schnell war das jetzt nich, oder? *drop* Meine Schuld... Ja, in deinem letzten Kommi hattest du eine tolle Metapher. Robert hat abwertend über sie gesprochen? Oo Das ist mir jetzt nicht aufgefallen. Nyo, ist jedenfalls nich so gemeint. Das wäre dann BoRe, weil Byran im Original Boris heißt. (Aber diesen Namen werde ich erst übernehmen, wenn ich einen anderen für Balkov habe.) Oh, ja, es hätte interessant werden können, aber es wäre auch vollkommen Fehl am Platz gewesen. Mach dir keine Illusionen, die haben sich beleidigt. Ich hab's nur weggelassen. *g* Die Wirkung war gewollt. Ich mach das oft so. Mehr von Yuriys Gedanken über Kai? Okay, lässt sich wahrscheinlich machen. Wenn ich dann mal endlich anfange es zu überarbeiten... Kann noch dauern. Aber wenn du noch mehr solche Sachen anmerkst, weiß ich auch wo die Schwächen liegen. Aktion gibt es später noch mehr. Aber dazu darfst du keine allzu lebhabfte Fantasie haben... Wenn du das Kapitel ließt, weißt du, warum es gut sein kann. ^.~ Und nö, ich denke, du stehst diesmal nicht auf dem Schlauch. Konntest das da unten ja nicht ahnen, oder? @ Sesshi-Chan: Echt? Na ja, war auch nicht geplant, dass es schwer zu raten ist. Das Gespräch hat irgendwie vielen gefallen. Dabei war es doch so kurz... (Aber wenigstens kein Lückenfüller wie die BryanRei-Szene am Anfang *drop*) Das war's jetzt mit den Hatesit. Jetzt kommen keine mehr. (Ein Glück. Ich hab festgestellt, dass zu viele Personen doch nicht so gut sind.) Jaaaah, es wird dir gefallen. *g* @ Jazzy: Tach zurück! Ging's jetzt mit der Seite? @ schwarzer_Nebel: Danke für deinen Kommi! ^----------^ Freut mich, dass es dir gefällt! Warum schwierig? Oo *nix versteh* Er ist tot. Oder meintest du seine Vergangenheit? *jetzt völlig verwirrt ist* War wohl zu lang, das Warten, oder? ** ~~~~~~~ Phönix Alles um ihn herum war weiß. Es gab keine Dunkelheit. Kein Licht. Nur weiß. Sonst nichts. Er warf keinen Schatten. Wie sollte er das auch? Hier war keine Lichtquelle, die ihn einen werfen lassen konnte. Hier war absolut nichts. Nur er und das Weiße. Er sah sich genauer um, aber er konnte nichts sehen. War er blind? Oder war hier wirklich nichts? Nein, nein, er war nicht blind. Er konnte doch seinen Körper sehen, als er an sich herabblickte, seine Hand und seinen Arm, als er beides hob. Lange schwebte er ruhig und bewegungslos in der Leere. Nichts schien eine Bedeutung zu haben. Warum auch? Alles war unwichtig. Nur langsam formten sich die ersten Gedanken aus dem Nichts. Wo war er? Wie kam er hierher? Warum war er hier? Die Antwort auf diese Fragen wusste er nicht und er hatte es auch nicht eilig, sie herauszufinden. Warum auch? Zeit war bedeutungslos. Er fühlte sich gut. Geborgen, sicher. Unverletzlich. Glücklich. Zwar war da ein drückender Gedanke, der ihn störte, aber er ließ ihn unbeachtet. Nichts sollte hier sein, das einem Sorgen bereitete. Es störte das Gefühl der Geborgenheit und des Schutzes. Das war ein Gefühl...wie in den Armen der liebenden Mutter zu liegen. Er erinnerte sich nur dunkel daran. Aber er hatte diese Gefühl einst kennen gelernt. Damals, als er noch klein gewesen war, war seine Mutter immer für ihn da gewesen. Sie hatte ihn gehalten, wenn er geweint hatte, und getröstet. Sie hatte ihm Geborgenheit gegeben und die Einsamkeit, die er später nur allzu gut kennen gelernt hatte, genommen. Er lächelte. Das war eine ungewohnte Bewegung. So lange hatte er nicht mehr gelächelt, richtig. Oder? Doch. Erst letztens. Er hatte Yuriy angelächelt und dabei sein eigenes Blut geschmeckt. Metallisch und bitter, aber sehr vertraut. Und in seiner Brust hatte der Schmerz getobt wie ein Unwetter. Ja. Genau, der drückende Gedanke. Das war das. Die Erinnerung. Die Erinnerung an seinen Tod. Er runzelte die Stirn. Sie schien irgendwie...bedeutungslos. Aber da war noch etwas anderes, etwas, dass Bedeutung hatte. Bedeutung hatte und gleichzeitig mit dieser Erinnerung verknüpft war. Was war es? Vor seinem inneren Auge tauchte das dunkelhäutige Gesicht eines schwarzhaarigen Mannes auf. Erst nach längerer Zeit fiel ihm auch sein Name ein. Jacques Bourelet. Es dauerte noch länger, bis er wusste, wer der Mann war. Sein Mörder, der, der ihn umgebracht hatte. Aber Jacques war nicht wichtig. Was war es dann? Yuriys Gesicht erschien wieder. JA! Yuriy war wichtig. Neben Yuriy erschienen andere Gestalten. Takao. Max. Kenny. Ivan. Es dauerte etwas länger, dann fielen ihm noch mehr Personen ein. Bryan. Sergej. Rei. Lee. Kevin. Hitoshi. Michael. Sie alle waren wichtig. Sie waren seine Freunde. Er durfte sie nicht vergessen. Sie waren nicht bedeutungslos wie alles andere. Ja! Und plötzlich hatte die Zeit wieder eine Geltung. Wie lange war er schon hier? Er wusste es nicht. Tage? Wochen? Länger? Was mochte geschehen sein? Wie mochte es seinen Freunden gehen? Ob sie ihren Kampf bereits zu Ende gefochten hatten? Der Kampf, durch den auch Jacques an Bedeutung gewann. Ja. Alles wurde wichtiger, je länger er hier war. Alles bekam seine Wichtigkeit zurück. Aber wenn alles so wichtig war, was tat er denn hier? Er war tot, oder nicht? Sollte er...sollte er dann nicht in Cuallarions Reich sein? Oder war das hier Cuallarions Reich? Nein, ganz sicher nicht. Er hing...dazwischen. Irgendwo dazwischen. Zwischen der Welt der Lebenden und der Toten. Warum war er nicht weitergewandert? Sein Körper...war doch schon tot. Sein Geist hatte kein Recht mehr darauf, noch hier zu verweilen. Es war nur ein Übergangsort, ein Ort, den man nur kurz sah, ehe man weiterreiste und von Cuallarions Neun Wächtern der Toten empfangen wurde. Aber...war das wichtig? Viel wichtiger war doch die Frage, ob es seinen Freunden gut ging! Ob sie ihren Kampf gewonnen hatten! Ob sie noch lebten! Wie ging es ihnen ohne ihm? Und wo...wo war Dranzer? In seiner Seele herrschte Leere ohne sie. Und auch Black Dranzer war nicht mehr da. Auch sein Platz war leer. Aber einsam war er nicht. Nein, die Geborgenheit war noch immer da. Trotz allen Fragen, die in seinem Geist umherwirbelten, und Erinnerungen, die ihm wichtig waren. Er sah sich um, aber nichts hatte sich verändert. "HE!" Seine Stimme klang laut und hallend. "Hallo?" Niemand antwortete. Er versuchte es noch einmal. "Ist denn niemand da?" Noch immer nichts. Vielleicht sollte er dreister werden? "Heee! Ich bin tot! Cuallarion, wo bist du?" Eigentlich eine Frechheit, sich einem Gott gegenüber so zu benehmen. Aber den Totengott interessierte sein Gebrüll überhaupt nicht. Denn wieder geschah nichts. Er rief noch eine ganze Weile auf gut Glück in die Leere hinaus, rief nach Cuallarion, nannte jeden einzelnen seiner Neun Wächter, rief schließlich auch andere Götter an und zusätzlich die Vier Göttlichen. Niemand antwortete. Schließlich ging er dazu über, seine Freunde zu rufen, aber sie hörten ihn natürlich ebenfalls nicht. "Arg! Will mir wohl jemand antworten!" "Was ist denn los? Schrei hier gefälligst nicht so rum!" Die tiefe, melodische Stimme erschreckte Kai total, so dass er mit einem erschrockenen Ausruf herumwirbelte. "Merkst du nicht, dass du den anderen Leuten hier auf den Keks gehst? Du bist ganz schön unverschämt!" Verdutzt starrte Kai auf die Gestalt, die sich hinter ihm mit verschränkten Armen aufgebaut hatte. Sie war größer als er, vielleicht um einen und einen halben Meter und trug lange, seltsame Gewänder aus fließendem, schwarzem Stoff. Um die Hüfte wurden sie mit einem schweren, goldenen Gürtel gehalten und auch sonst war er schwer mit Goldschmuck behängt. Auf der Stirn trug er ein goldenes Diadem. In der rechten Hand hielt er einen langen, schlanken Stab aus schwarzem Holz - oder war es Stein? - an dessen Spitze ein sitzender, weißer Rabe aus Stein angebracht war. Sein Gesicht war von einer ästhetischen, überirdischen Schönheit, die sich nicht beschrieben ließ. Wie könnte man so etwas Schönes auch in Worte fassen? Es war von einer Wolke schwarzen, hüftlangen Haares umgeben, die um es herumwirbelten, als ginge ein ansonsten unspürbarer Wind oder als befände er sich im Wasser. Und aus seinen Schultern erhoben sich zwei mächtige, schwarz gefiederte Schwingen. "Was ist? Erst so laut rumschreien und jetzt kein Wort mehr herausbringen? Was soll das, Menschlein?" In Kai flackerte Wut auf. Er wusste, wer das war. Aber auch wenn der Geflügelte Azrael, der Oberste der Neun Wächter war, so gab es ihm noch lange nicht das Recht, ihn so anzubrüllen! "Du bist selber Schuld, wenn du dich genervt fühlst! Hättest ja gleich antworten können, als ich gerufen habe!" "Ach ja? Wenn der Mensch pfeift, muss ich springen, oder was?" "Du bist es doch, der sich gestört fühlt, oder nicht? Wenn mir niemand etwas sagt, kann ich auch nicht wissen, dass hier Rufen verboten ist!" "Als ob du oft rufen würdest, Mensch! Du bist doch sonst immer so stumm wie ein Stockfisch!" "Woher willst du das denn wissen? Kennst du mich so gut?" "Natürlich! Immerhin bist du eine sehr interessante Person!" Kai wollte gerade den Mund öffnen um zu antworten, schloss ihn dann aber wieder, nachdem er bemerkte, welch sinnloses Gespräch er gerade führte. Das hatte doch keinen Zweck. "Eine 'interessante Person'?", wollte er langsam wissen. Azrael blitzte ihn aus vollkommen kohlschwarzen Augen an. "Ja. Immerhin bist du der Hatesit des Roten Phönix." Kai zog eine Augenbraue hoch. Irgendwie überraschte ihn diese Eröffnung gar nicht. Ob er es schon immer gewusst oder zumindest geahnt hatte? "Na und? Rei ist der Hatesit des Weißen Tigers. Beobachtest du ihn auch?" "Nein." Der Ärger aus Azraels Stimme war wie weggeweht. Jetzt war sie nur noch friedlich und sanft. Friedlich und sanft wie der Tod. "Warum nicht? Ich meine, ich..." Ein leises Lachen. "Ich beobachte von den vier Hatesit der Vier Göttlichen nur dich. Weder deinen Freund Rei noch die anderen beiden. Wie heißen sie noch? Takao und Max?" Das war erstaunlicher. Takao und Max waren...? Warum eigentlich nicht? Max' Tisetah war eine schwarze Schildkröte und Takaos ein Blauer Drache. Alles fügte sich zusammen. Die vier Hatesit der Vier Göttlichen waren bereits versammelt und auf dem Weg zu dem Feind. Beziehungsweise, sie waren versammelt gewesen. Aber Kai war jetzt tot. Was mochte aus dem Kampf gegen Azulon und seinen Verbündeten werden? Aber sollte ihn das jetzt noch interessieren? Es gab da noch eine viel wichtigere Frage. "Und warum ich?" Azrael antwortete mit einem Lachen. Kai zog eine Augenbraue hoch. "Nun?" "Weil der Rote Phönix, Mensch, das einzige Wesen ist, das je dem Tod entkommen ist." "Bitte?" "Erinnerst du dich nicht? An die Geschichte des Beginns?" "Doch. Natürlich. Jeder kennt die Geschichte. Zumindest jeder Hatesit." "Das ist auch gut so." "Und? Was hat das eine mit dem anderen zu tun?" "Bist du so dumm oder tust du nur so?" Kai starrte ihn wütend an, zog es aber vor, nicht zu antworten. Azrael würde ihm so oder so nicht sagen, was der Grund für sein Interesse war. Warum Worte verschwenden? In der Geschichte hieß es, die Vier Göttlichen seien gestorben. Und durch die Macht des Roten Phönix wieder auferstanden. Eine Wiedergeburt. Warum nicht? Das gab es doch alle naselang. "Was ist am Phönix so besonderes? Jeder wird doch wiedergeboren.", sagte Kai schließlich. Azrael lachte. "Nein, das war damals keine Wiedergeburt." "Bitte?" "Das war so, wie es die Geschichte erzählt. Wiederauferstanden, aber nach dem Tod in der selben Form, wie im Leben zuvor. Die Vier haben niemals Cuallarions Welt gesehen." "Soll das heißen, sie sind ins Leben zurückgekehrt?" Der Wächter machte eine elegante Bewegung mit der Hand. "Ja." Kai sah ihn zweifelnd an. Sollte das wirklich die Wahrheit sein? Und wenn das die Wahrheit war...nur mal angenommen, und er diesen Gedanken weiterspann. Konnte Dranzer dann ein weiteres Mal ins Leben zurückkehren? Und mit ihr...er auch? Arzael musste die Frage in seinen Augen gelesen haben, denn er nickte. "Ja. So ist es. Aber diesmal liegt die Entscheidung bei dir." "Bei mir? Aber warum?" "Weil du der Hatesit bist." "Nur deshalb?" "Ja. Du kannst entscheiden, ob ihr weitergeht und in Cuallarions Reich hinabsteigt oder ob um ihr umkehrt und in die lebende Welt zurückgeht." "Will sie denn leben? Was brächte es uns, nicht zu leben?" "Zum ersten: frag sie. Und die Antwort auf deine zweite Frage musst du dir selbst geben. Aber bedenke: wenn du weiterziehst, so gibt es keine Umkehr." Azrael schwieg einen Augenblick und breitete beide Arme aus. "Das Leben wird dort weitergehen, wo es endete. Du wirst einen neuen Körper erhalten, aber es wird einige Zeit dauern, bis du ihn ohne Schmerzen nutzen kannst. Dort wirst du auf deine Freunde treffen - und auf deine Feinde, auf all deine Erinnerungen. Bedenke das, ehe du dich entscheidest." Azrael schwieg und ließ Kai Zeit, über das Gesagte nachzudenken. Der Rotäugige drehte sich weg. Der Wächter hatte schon recht. Wenn er zurückging, würde er nicht nur Yuriy und die anderen treffen, sondern auch Jacques, dessen Verbündete und vielleicht sogar Voltaire und Boris. Aber auf jeden Fall würde er sich daran erinnern, was gewesen war, früher in der Abtei. Kai hatte noch immer Alpträume davon, schlief schlecht, war schlecht gelaunt, konnte sich nicht mit Fremden abfinden, sondern misstraute allem und jedem. Seine Mauer würde nie gänzlich einstürzten. Sein Misstrauen nie gänzlich verschwinden, ebenso wenig wie seine Erinnerungen an vergangene Schrecknisse. War es das Leben wert? "Der Tod aber ist ein Neuanfang im Leben.", flüsterte Azrael in seine Gedanken. Ja. Recht hatte er. Wenn er weiterzog, so würde er von Cuallarion empfangen werden. Und dann irgendwann wiedergeboren. Und diese Wiedergeburt brachte einen wirklichen Neuanfang, einen Beginn ohne Erinnerungen. Einen Beginn in einem besseren Leben. War es dann nicht besser, in die Totenwelt zu gehen? Dorthin, wo kein Jacques war, kein Voltaire und kein Boris? Dorthin, wo seine Erinnerungen ihn nicht mehr quälten, wo keine Alpträume, keine Qualen waren? Dorthin, wo seine Freunde nicht waren? Seine Freunde nicht waren... Konnte er sich von ihnen trennen? Von Max und Kenny, die ihm beigestanden hatten; von Takao, der ihm ins Gesicht gebrüllt hatte, dass sie Freunde waren; von Kevin, Rei und Lee, die ihn einfach angenommen hatten, wie er war; von Sergej, Bryan und Ivan, die mit ihm aufgewachsen waren und seine Leiden kannten; von Hitoshi und Michael, die ihm oft beigestanden hatten; von Yuriy, der ihn wirklich kannte? Konnte er das? Vor einigen Wochen hätte er gesagt: "Ja. Ich kann das und ich werde es tun." Aber jetzt? Konnte er es jetzt noch? Die Antwort war einfach: Nein, er konnte es nicht. Und er würde es auch nicht tun. Außerdem war da noch Dranzer. Wollte Dranzer denn sterben? Was hatte Azrael gemeint mit: "Frag sie."? Sie war doch nicht mehr da. Aber die Entscheidung hatte er ganz allein getroffen. Und auch wenn Dranzer sterben wollte, er würde trotzdem zurück ins Leben. Ja! Das war die richtige Entscheidung. Wie hatte er jemals an die andere Möglichkeit denken können? Er wollte doch leben. Hungrig nach Leben. Gierig. Verlangend. Nie genug davon bekommend. Und so war auch Dranzers Entscheidung. Er wusste es. Sie war genau wie er. Sie war Leben. Alle Zweifel waren fort. Entschlossen drehte er sich zu Azrael um. "Was muss ich tun?", fragte er. "Um zu leben?" Über das schöne Gesicht glitt ein Lächeln. "Ruf Dranzer. Sie wird dir helfen. Aber es gibt noch ein Problem." "Ein Problem?" "Ja. Keines, das einkalkuliert war in Dranzers Pläne." "Und das wäre?" "Black Dranzer." "Was ist mit ihm?" "Geh und sieh." Und damit war Azrael verschwunden und ließ Kai allein in der Leere zurück. Kai starrte verwirrt auf den Fleck, an dem bis vor kurzem noch Azrael geschwebt war. Dann schüttelte er den Kopf und sah sich um. "Dranzer einfach rufen?" Nun gut, das hatte er bis jetzt nicht getan. "Dranzer!" Der Ruf hallte laut und klingend in der Leere. Er wurde sofort beantwortet. Der klagende Schrei des Phönixweibchens dröhnte ihm nach der langen Stille durch den Schädel. Kurz darauf erklang das Rauschen mächtiger Schwingen und dann erschien sie vor ihm, stolz, lebendig, wunderschön. Das Rot und das Gold ihrer Federn stach nach dem Weiß der Leere und dem Schwarz Azraels in seinen Augen, aber nicht unangenehm. Lächelnd schwebte er zu ihr und strich über ihren Schnabel. Dranzer gurrte zärtlich und rieb ihren Schnabel an seiner Brust. Endlich waren sie wieder beisammen. Er konnte sie wieder in seiner Seele spüren. Liebevoll legte er eine Hand an ihren Kopf und zog ihn zu sich herunter. Sie war wieder bei ihm. Die Geborgenheit der Leere verschwand und an ihre Stelle trat die Geborgenheit von Dranzer. Er lehnte den Kopf an ihre Wange und die Hände an die andere. Schützend breitete sie ihre Schwingen aus und er zog die Beine an um mehr von ihrer Wärme zu bekommen. Und sie gab ihm die Wärme, die er brauchte. Die Wärme, ohne die er in der Abtei elendig zugrunde gegangen wäre; die Wärme, die ihn in den fünf Jahren nach seiner Flucht auf den Beinen gehalten hatte. Die Wärme, die immer in ihm gewesen war, so dass er sie kaum wahrgenommen hatte. Jetzt war sie intensiver, stärker. Vielleicht, weil er sich bewusst auf sie konzentrierte? Vielleicht, weil sie nicht mehr in ihm war? "Danke, Dranzer.", flüsterte er und für was er sich eigentlich bedankte, wusste er nicht so recht. Vielleicht, weil sie einfach für ihn da war, immer und vor allem, wenn sonst niemand da war. "Lass uns... lass uns wieder leben." Dranzer gurrte wieder leise und sanft, dann peitschte sie mit den Schwingen. Kai löste sich von ihr. Jetzt gab es nur noch ein Loch zu stopfen, das vor dem Tod noch nicht gewesen war. Jetzt fehlte nur noch Black Dranzer. Oder? Aber was hatte es mit Black Dranzer auf sich? "Geh und sieh.", hatte Azrael gesagt. Kai ging. Wohin - wer wusste das schon, wo der Ort war, an den er jetzt gelangte? Wie - wer wusste schon, wie man an diesen Ort kam? Wann - wer wusste schon, wie man die Zeit an einem solchen Ort messen konnte? Er wusste nicht, wie und wohin er ging, er ging einfach und plötzlich stand er wieder auf festem Boden. Um ihn herum war alles grau und schwarz und schmutzigbraun. Der Boden war ausgetrocknete Erde, rissig und dunkelbraun. Der Himmel war schwarz und von tiefhängenden Wolken bedeckt, die keinen Lichtstrahl - ob von Sonne, Mond oder Sternen - durchließen. Kai konnte einige verdorrte, dürre Bäume erkennen, die ihre kahlen Äste dem Himmel entgegenstreckten. Die karge, öde Ebene erstreckte sich zu allen Seiden scheinbar endlos und der Horizont war weit entfernt. Verwirrt sah Kai sich um. Das Land hatte etwas eigenartig...anziehendes, war auf seine Art und Weise faszinierend und wunderschön. Nicht auf die normale Art, nicht auf die einzigartige Weise wie Dranzer, nicht auf die ästhetische Art wie Azrael. Nein, es war eine groteske, aber seltsam vertraute Art, sehr verzerrt und bizarr, aber trotzdem sehr...nah. Die einzigen Farben hier waren Dranzers leuchtendes Rot und strahlendes Gold und der weiße Schal, der in dem kalten, scharfen Wind flatterte. Was war das hier? Hier sollte er Black Dranzer finden? Eines musste er zugeben: dieses trostlose, kranke Land mit den Wolken, die sich in jedem Moment in ein wildes Gewitter verwandeln konnten, passte zu Black Dranzer. "Und jetzt? Wo ist Black Dranzer." Kai sah sich erneut um, aber er konnte keine Veränderung feststellen. Dranzer und er waren allein. Das rote Phönixweibchen zwitscherte leise. Aber auch sie wusste nicht mehr als er. Kai seufzte. "Lass uns ihn suchen gehen." Zögerlich sah er sich um, ehe er sich in Bewegung setzte. Er ging einfach geradeaus. Eine Richtung war so gut wie die andere. Dranzer gurrte und schlug mit den Schwingen. Rasch gewann sie an Höhe und zog über ihm ihre Kreise. Kai wusste nicht, wie lange er ging, aber es hatte auch keinerlei Bedeutung mehr. Schließlich blieb er stehen. Ein seltsames Gefühl in seinem Inneren sagte ihm, dass Black Dranzer bald kommen würde. Dranzer sank tiefer und ließ sich hinter ihm auf den Steinen nieder. "Fühlst du es auch?", fragte er sie und sie gurrte leise und rieb kurz ihren Schnabel an seiner Schulter. Dann entlud sich der Himmel. Kai zuckte erschrocken zusammen und drängte sich an Dranzer, als es plötzlich stockdunkel wurde und der scharfe Wind zu einem heulenden Sturm anschwoll. Er fühlte sich zurückversetzt in die Zeit in der Abtei, in die Kammer. Ein Raum, in dem es kein Licht gab, sobald die Tür geschlossen wurde. Kai wusste nicht, wie lange und wie oft er in der Kammer gewesen war, aber jedes einzelne Mal war eine psychische Folter für ihn gewesen, eine Qual, schlimmer als vieles andere. Beinahe alles hätte er getan, um nicht in die Kammer zu müssen. Panik stieg in ihm auf. Wenn das so blieb, würde er nicht ansprechbar sein, nicht kämpfen können. Doch die drückende Dunkelheit hielt nicht lange genug, um ihm den Verstand zu rauben, sondern wurde von gleißenden Blitzen gespalten, die von grollendem Donner begleitet wurden. Bei jedem Schlag zuckte Kai zusammen und war doch froh um die kurzzeitige Helligkeit, die seine Augen blendete. "Scheiße!", flüsterte er leise und krallte seine Finger in Dranzers Federn. "Ich halt das nicht aus!" Dranzer breitete ihre Flügel um ihn aus und senkte den Kopf, ließ ihn spüren, dass er nicht allein war. Aber er fühlte sich trotzdem...so einsam. Er zitterte. Nicht vor Kälte oder vor Schwäche; nein, vor Furcht. Er kauerte sich unter Dranzers Fittichen zusammen und schmiegte sich eng an sie. Wenn er sie schon nicht sehen konnte, so wollte er sie doch spüren. "Was ist? Hast du Angst?" Die höhnische Stimme riss ihn aus seiner Lethargie. Er schreckte auf. Wer...wer war da? Diese Stimme war so verdammt...bekannt. "Das brauchst du nicht, Schwächling. Du bist sowieso bald tot. Komm nur heraus." So vertraut, so bekannt, so nah. "Komm schon, Angsthase!" Der Sprecher - es gab keinen Zweifel, dass die dunkle, melodische, etwas rauchige Stimme einem jungen Mann gehörte - war keine zwei Meter von ihm entfernt, so dass er das Heulen des Sturmes, der sehr fern klang, mühelos übertönen konnte, ohne die Stimme allzu sehr zu heben. "Warum hörst du nicht auf mich?" Den spöttischen Worten folgte eine leises Keckern. Das erkannte Kai sofort. Es gehörte Black Dranzer. Dranzer fauchte wütend und kreischte. Doch weder Black Dranzer noch der Mann ließen sich von ihr beeindrucken. "Versteckst dich hinter deinem Vögelchen. Wie erbärmlich." Erbärmlich. Ja, das war die richtige Bezeichnung für ihn. So hatte er sich immer gefühlt, seit er in die Abtei gekommen war. Erbärmlich, schwach, verachtenswert. Nie den Anforderungen entsprechend. Immer zu weit hinterher. Sie hatten ihn fühlen lassen, dass er nicht gut genug war. Sie hatten ihn fühlen lassen, dass er erbärmlich war, wertlos, minderwertig. Ihre Blicke, ihre Gesten, ihr Tonfall hatten für sich gesprochen. Ein höhnisches Lachen. Kai fühlte sich noch schwächer als zuvor. Um dieser Schwäche zu entkommen, hatte er denen nachgestrebt, die stark waren. Bryan und Yuriy. Der Mann außerhalb von Dranzers Schwingen Sie waren alles, was er nicht war, aber sein wollte. Unbarmherzig, mitleidslos, grausam - stark. War kalt wie sie geworden. Aber nur äußerlich. Im Inneren war er so schwach geblieben wie vorher. So wie jetzt. Er kauerte sich enger zusammen und wimmerte. "Dranzer." Sie gurrte beruhigend, aber von draußen kam nur ein höhnisches Lachen. "Was ist? Immer noch Angst? Wenn du stark werden willst, komm heraus und verkriech dich nicht immer. Das ist doch wirklich jämmerlich." Ja, er war jämmerlich. Seine Stärke war Fassade und Lüge. Nichts weiter. Er war nicht kalt. Er war nicht grausam. Er war nicht das Eis. Er war warm. Er war sanft. Er war das Feuer. Dranzer gurrte und wärmte ihn. Sie war warm. Sie war sanft. Sie war wie er. Und doch ganz anders. Denn sie war auch stark. Sie war vernichtend. Sie war der Rote Phönix. Sie war die, die die Kraft hatte, Leben zu vernichten und Leben zu geben. Und er, er war nur ihr Werkzeug. Schwach und feige. "Jämmerlich. Erst versteckst du dich hinter deiner Mutter." Ein höhnisches Lachen. Kai zuckte zusammen und schluckte heftig. Wie konnte der in einem solchen Ton von seiner Mutter reden? Seine Mutter war stark gewesen. Sanft, aber stark und aufrecht. Wirklich stark. "Hinter Dranzer - so wie jetzt. Glaubst du im Ernst, sie kann dich beschützen? Sie schwächelt ein wenig, findest du nicht?" In Kai züngelte ein kleines Flämmchen mit dem Namen Wut. Seine Augen begannen zu glühen wie Flammen. Wie konnte der es wagen, so abschätzend von Dranzer zu sprechen!? Dranzer war nicht schwach! Dranzer schwächelte niemals! Sie war stärker als alles andere! Sie hatte ihn immer beschützt, war ihm immer beigestanden, in jeder Situation auch in der schlimmsten. Nein, vieles konnte man von ihr sagen, aber nicht, dass sie schwach war. "Und hinter Yuriy. Dem guten Yuriy. Immer stark. Immer beherrscht. Immer gefühllos." Der Ton war so verächtlich, dass es keine Steigerung davon gab. Und mit der Verachtung schwang Hass in der Stimme mit. Tosender, brodelnder Hass. Kai erstarrte. Das Flämmchen mit dem Namen Wut loderte auf, heftig und wurde ein verzehrendes Feuer. Er fürchtete sich nicht mehr. Seine Finger hatten sich aus Dranzers Daunen gelöst und zitterten, genau wie sein ganzer Körper. Aber diesmal nicht aus Angst. Nein, aus purem Zorn. Wer war das, der sich herausnehmen konnte, so von denen zu sprechen, die Kai liebte? So verächtlich? So missfällig? So verhasst? "Hinter ihnen versteckst du dich, Schwächling? Feigling?" Kai starrte auf den Boden vor sich. War er wirklich schwach? In der Abtei hatten ihn alle wegen seiner Schwäche verachtet. Aber was war Stärke? Was wussten die in der Abtei schon von Stärke, wirklicher Stärke? Nicht das, was man zeigte, war Stärke. Kai hatte schon viele äußerlich starke Männer und Frauen betteln und weinen sehen, weil ihnen etwas begegnet war, das vermeintlich stärker war als sie. Und er hatte Stärke in Leuten gesehen, die angeblich schwach waren - Leute wie Max und Takao, die ihm geholfen hatten, als man ihn entdeckt hatte. Wie Hilary, die wusste, was ihre Freunde, waren und trotzdem zu ihnen gehalten hatte. Wie Max' Eltern und Takeru, die wussten, was ihre Nachkommen waren und sie nicht verstoßen hatten. Was war denn Stärke? Stärke... Stärke war Standhaftigkeit, Mut, Freundlichkeit, Charakterfestigkeit, Entschlossenheit. Stärke war auch äußere Stärke - aber diese war wertlos ohne die anderen Eigenschaften. Was nutzte einem pure Muskelkraft, wenn man nicht wagte, sie einzusetzen? Auch Yuriy und Bryan waren stark. Nicht nur äußerlich. Auch im Innern, denn auch sie besaßen diese Eigenschaften. In anderem Maße als Takao und Max vielleicht, aber gab es nicht viele verschiedene Arten von Stärke? Und Kai...war er selbst stark? Hatte er je gekniffen, als man ihn brauchte? War er je davon gerannt, als etwas Stärkeres ihm gegenüber gestanden hatte? Etwas Neues, Unbekanntes? Hatte er nicht Takao, Max und Kenny geholfen, als sie seine Hilfe brauchten? So wie sie ihm geholfen hatten, hatte er ihnen geholfen. Auch er war stark. Anders stark, als er immer gedacht hatte zu sein. Aber das brauchte er nicht mehr. Er war Feuer. Feuer war wärmend und sanft - und konnte zerstören, vernichten wie nichts anderes auf der Welt. Wer entkam schon einem Inferno? Innere Stärke, das war es, auf was es ankam. Und Kai war im Inneren stark genug. Hieß es nicht ,Was dich nicht umbringt, macht dich stark.'? Kai war nicht tot, seelisch gestorben an all den Qualen. Er war daran gewachsen und stärker geworden und sich nach jeder Folter darüber erhoben wie der Phönix, stärker und schöner als je zuvor. Wie der Phönix, wie Dranzer. Ja, er war stark. Und jetzt war er zornig. Zornig auf jenen dort draußen, der die verspottete, die er liebte. "Wie lange willst du dich denn noch verkriechen? Das wird langsam langweilig hier draußen!" Kai konnte nicht mehr weiter schweigend zuhören. Er hatte seine Kraft gefunden, Kraft, die aus dem Inneren kam, und jetzt würde er sie einsetzen um seine Freunde zu verteidigen. Er sprang auf. Dranzers Flügel öffneten sich sofort und Kai stand...sich selbst gegenüber. Erschrocken riss er die Augen auf und erstarrte. Dort, keine zwei Meter entfernt stand...er. Er selbst hatte sich verspottet, seine sanfte Mutter, seine süße Dranzer, seinen starken Yuriy. Seine Augen waren wie Blut, die Streifen auf den Wangen schwarz, ebenso wie das lange Halstuch, das wie verrückt im Sturm tanzte. Hinter ihm stand Black Dranzer, die Schwingen erhoben, ein kohlschwarzes Ebenbild von Dranzer der leuchtenden Roten. Das Gold auf Schwingen, Brust und Hals und am Kopf funkelte im Licht der Blitze und seine Augen waren weiß. Die Arme vor der Brust verschränkt grinste sein anderes Ich ihn an. Es hatte ein hämisches Glitzern in den Augen, einen hässlichen Ausdruck im Gesicht. Geschockt starrte Kai ihn an. "Na? Erschrocken? Du hast wohl jemand anderen erwartet." Ein höhnisches Kichern. "Aber wen? Niemand außer Dranzer, Black Dranzer, dir und mir kommt hierhin. Beziehungsweise, niemand, der nicht mit direkt mit deiner Seele verbunden ist. Deine Tisetah haben hier Platz. Und du und ich. Besser gesagt du und du. Ich und ich. Ich bin du. Deine andere Seite." Das Grinsen vertiefte sich. "Deine bessere Seite. Deine starke Seite." Kai schüttelte fassungslos den Kopf. "Was? Du glaubst mir nicht? Würde ich dich jemals anlügen? Ich bin du. Ich lüge mich nicht selbst an." Was erwartete er für eine Antwort? Eine positive? Aber Kai hatte erkannt, was die Wahrheit war und sagte: "Doch. All die Jahre. All die Jahre habe ich mich angelogen. Ich weiß, wer du bist!" "Ach ja? Dann sag es mir. Hilf mir, hilf dir auf die Sprünge!" "Du...du bist ich...ja. Das ist wahr. Aber...ich habe dich erschaffen. Du bist die Maske, die ich getragen habe, die letzten Jahre. Du bist ich. Und du bist es nicht." "Ich verstehe dich nicht. Drück dich deutlicher aus." "Verhöhne dich nicht selbst.", antwortete Kai ruhig. Er war jetzt vollkommen sicher. Er sah die Wahrheit. Er sah die Lüge. Er sah die Stärke. Feuer reinigte. Er war das Feuer. Er war stark. "Du bist nur eine Illusion. Ich habe dich erschaffen, um stark zu sein. Aber jetzt brauche ich dich nicht mehr. Ich bin jetzt alleine stark. Geh." Ein Stirnrunzeln. Ärgerlich. Aber auch...entsetzt? Erkannte der Andere, dass er verloren hatte? Dass Kai die Wahrheit gesehen hatte? Der heulende Sturm legte sich langsam und Stück für Stück. Die Blitzte tanzten nicht mehr wild über den Himmel und die Wolken brachen leicht auf, ließen sanftes, flammenrotes Licht hindurch. "Geh. Hier ist kein Platz mehr für dich." Der Andere schüttelte den Kopf. Kai trat auf ihn zu, doch er wich zurück und Black Dranzer mit ihm. Es wurde heller. Alles war Schatten, Licht und Schatten. Dunkel zwar noch, aber nicht mehr schwarz. "Geh. Ich habe die Wahrheit gesehen und die Lüge." Die Gesichtszüge des Anderen entgleisten. Er wich weiter zurück. Er hatte verloren. Aber...er verschwand nicht. Was hatte Kai erwartet? Dass er in Flammen aufgehen würde? Dass er mit einem Donnerschlag verschwinden würde? Alles um ihn war grau und schwarz. Die Welt heilte. Doch sie wurde nicht gänzlich geheilt. Und Kai erkannte, dass sie das niemals wurde. Zuviel hatte sie erlebt - sie war sein Ebenbild. Auch er hatte zuviel gesehen, zuviel erlebt um je wieder vollkommen glücklich und unbeschwert zu werden. Zu viel Leid, zu viel Schmerz, zu viel Qual, zu viel Demütigung hatte er im Leben gesehen und am eigenen Leib erfahren. Es würde nie wieder gänzlich heilen, aber zumindest würde es freundlicher aussehen. Ausgeglichener. Freundlicher. Sanfter. Und auch wilder, ausgelassener. Er würde wieder in sich selbst ruhen können, ohne zu leiden, Schmerzen zu tragen. Kai lächelte sich freundlich, sanft an. Doch er erntete nur ein hämisches Lächeln. "Mich kriegst du so leicht nicht los!", flüsterte seine andere Seite. Sie blinzelte ihm verschwörerisch zu. "Du hast mich geschwächt und ich werde nie wieder stark sein. Aber ich werde nie verschwinden. Ja, du hast mich geschaffen. Ja, ich bin deine Maske. Ja, ich bin eine Illusion. Aber durch dich wurde ich zur Wahrheit. Du bekommst mich nie wieder los, denn ich bin ein Teil von dir. Ich bin du." Kai nickte. Dann drehte er sich um und ging. Und unter seinen Füßen blühten die ersten Pflanzen auf. Zurück blieben seine Maske, seine andere Seite, und Black Dranzer, der ihm einen ohrenbetäubenden Schrei hinterher brüllte. Aber er spürte den schwarzen Phönix wieder in der Seele, so wie Dranzer. Dann hörte er Dranzers Flügelrauschen und alles um ihn herum wurde wieder weiß. Er war zurück in der Zwischenwelt. Azrael erwartete ihn. "Nun? Hast du alles geregelt?" "Wenn man es so nennen kann." "Hast du mit dir selbst gesprochen?" "Ja." "Bist du mit dir selbst ins Reine gekommen?" "Ja." Azrael lächelte. "Das sehe ich." "Warum fragst du dann?" "Weil ich es von dir hören möchte." "Hn." "Nicht so schweigsam. Vorhin haben wir uns besser unterhalten." "Hn." "Wie? Keine richtige Antwort mehr?" "Hn." "Na schön, wenn du es so willst. Hast du die Wahrheit gesehen?" "Ja." "Hast du die Lüge gesehen?" "Ja." "Hast du die Stärke erkannt?" "Ja." "Hast du die Schwäche erkannt?" "Ja." "Sehr gut." Azrael schwieg. Kai sah ihn an. "Und jetzt?", wollte er wissen. "Folge mir. Achte auf den Weg, denn nächstes Mal musst du ihn selber finden." "Nächstes Mal?" "Falls es ein nächstes Mal gibt. Das hängt ganz von dir und den Umständen ab. Du kannst nicht zurück, wenn du durch das Alter stirbst. Aber jedes Mal davor. Jedes einzelne Mal wirst du einen geheilten Körper bekommen." Kai zog eine Augenbraue hoch. Das erschien ihm ein wenig...utopisch. Azrael lächelte. "Nimm es nicht auf die leichte Schulter es ist kein Spaß, zu sterben. Und noch weniger, später wieder aufzustehen. Du wirst sehen, die Schmerzen, die dich im Leben erwarten, sind schlimmer als der Tod. Du - ebenso wie Dranzer und Black Dranzer - wirst lange geschwächt sein. Geschwächt und hilflos. Wenn du niemanden findest, der auf dich aufpasst, landest du früher wieder am Zwischenort als dir lieb ist, glaub mir." "Das sind ja tolle Aussichten!" "Durchaus." Azraels Lächeln war eindeutig hämisch. "Mach dir nichts draus. Du wirst schon einen Weg finden. Aber erwarte nicht zu viel vom Leben." "Das habe ich nie getan." Kai drehte sich um und sah zum Himmel. Dann rief er die beiden großen Vögel. Einen Moment später verschwand Dranzer in goldenen Schimmer. Der Schwarze brauchte länger. Er zögerte. Aber dann verwandelte auch er sich in einen schwarzen Schatten und Kai konnte ihn wieder in der Seele fühlen. Erleichtert seufzte er auf. Es war ihm gar nicht aufgefallen, wie leer und unvollständig man sich ohne sein Tisetah fühlte. Er nickte dem Todesengel zu. "Wohin jetzt?" "Folge mir." Azrael breitete die Schwingen aus und schwang sich in die Luft. Einen Moment wollte Kai ihm wütend nachrufen, wie er denn bitte fliegen sollte, als er fühlte, dass er ohne sein Zutun vom Boden abhob. Er folgte dem Engel. Um ihn herum wurde alles dunkler und erstrahlte schließlich in gleißendem Licht. Er konnte Azrael nicht mehr sehen, aber er fühlte ihn noch, und er fühlte auch, wie der Wächter innehielt. "Von hier an musst du allein weitergehen, Kai Hiwatari." Das war das erste Mal, dass Azrael ihn beim Namen nannte. Kai fühlte, wie zwei sanfte Hände sein Gesicht ergriffen, und nach vorn zogen, dann fühlte er zwei weiche Lippen auf seiner Stirn. "Mögen wir uns nicht allzu bald wieder sehen." Das nächste, was er spürte, waren tobende Schmerzen überall in seinem Körper und er schrie gepeinigt auf. ~~~~~~~ Da habt ihr Kai wieder. Ich hoffe, ihr seid jetzt glücklich. Jedenfalls wäre KMuD zu einer Katastrophe verkommen, wenn er wirklich tot geblieben wäre. *hust* Die hätten Calaminus ja nicht mehr schlagen können... So ganz ohne Dranzer (und Kai). Wenn es zum Kappi noch irgendwelche Fragen gibt, bitte alle stellen. Ich erwarte für dieses Kapitel gaaaaaanz viele Kommis von euch. ^.~ Bye Silberwölfin Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)