Dunkle Nächte von Traumfaengero_- (Wenn das Schicksal zuschlägt...) ================================================================================ Kapitel 40: Ein Herz in der Waagschale -------------------------------------- Kapitel 40 Ein Herz in der Waagschale In dieser Nacht begriff Seto Kaiba die Macht eines Rituals. Er wusste nicht, wie leicht es war, diesem Zauber zu erliegen. Als er vor den Schrein trat, nur wenige Kerzen erhellten den Platz, trat er an die gleiche Stelle, wie schon hunderte Male zuvor. Er legte den Helm in einer unglaublich vertrauten Bewegung neben sich, danach folgte sein Körper automatisch der nun notwendigen Haltung. Die Arme angewinkelt, die Füße parallel nebeneinander, das Klatschen, die Verbeugung. Alles geschah ohne dass er es aufhalten konnte. Sein Geist schien ein wenig verloren, während sein Köper wie automatisch arbeitete. Er hörte seine Stimme, bemerkte, wie alles immer leichter wurde. Es erschien ihm beinahe so, als fiele eine große Last von seinen Schultern. Hier war er nicht mehr der Firmenführer eines großen Unternehmens. Hier war er der Schüler. Hier war er der Bittsteller. Hier war er nur einer von vielen. Dieser Gedanke war unendlich entspannend und mit einem leichten Lächeln machte er sich auf den Weg hinüber zu den Umkleideräumen. Er nahm die wenigen Treppenstufen hinauf und griff dann nach der Tür. Sie war noch immer offen. Langsam schob er sie auf und ein kalter Zug kam ihm entgegen, so wie der Geruch von Seife und Duschgel. Die letzten hatten die Fenster geöffnet, damit die Feuchtigkeit entweichen konnte. Mit einem Seufzen trat er ein und endete an dem ewig gleichen Platz. Er konnte von hier aus gut den Eingang sehen, aber auch den Zugang zu den Duschen. Er besaß ausreichend Spielraum, um zu agieren, wenn irgendetwas geschah. Dieses Mal zog er sich zuerst die Stiefel aus und machte sich ohne Socken auf den Weg in den Duschraum. Er wollte das Fenster schließen, bevor er sich umzog. Der Boden war noch feucht, die Fließen eiskalt. Seto dachte an die Worte, die er Joey im Flieger auf der Rückreise gesagt hatte und drehte sich wieder um. In der Umkleide brauchte er nicht lange und zog sich aus. Seine Sachen faltete er ordentlich und legte sie in das kleine Fach ganz oben. Er hatte immer das oberste Fach genommen. Er war groß und für ihn war es nicht sehr schwer zu erreichen. Für andere schon. Außerdem war es so etwas sicherer. Die Stiefel und der Helm landeten mit der gefalteten Jacke unter der Bank. Die dicke Motorradjacke passte selbst als kleines Bündel nicht mehr oben hinein. Sicherheit im Straßenverkehr ging nun einmal vor. Splitterfasernackt schritt er zurück in die Duschen und bemerkte nicht, wie sein Geist langsam von allem frei war. Das kalte Wasser lief über seine Haut, seinen Kopf seine Schultern. Er hörte, wie es zu Boden prasselte und ein vertrautes Geräusch entstand. Die Kälte war nicht schlimm, setzte ihm heute aber dennoch etwas zu. Diese Auseinandersetzung beschäftigte ihn, lenkte ihn von den Sorgen des Tages ab. All die kleinen Rituale, die der Meister forderte, führten den Brünetten immer weiter weg vom Stress des Alltages hinein in diese Welt, als wäre er wirklich im Reich der Götter gelandet. Er trocknete sich ab und zog sich an. Es war ein komisches Gefühl, nach so langer Zeit den kräftigen Stoff des weißen Gi auf seiner Haust zu spüren, die von der Kälte empfindsam geworden war. Sein Handtuch hängte er großzügig auf. Er würde es vielleicht nachher noch einmal brauchen und hoffte, dass es etwas trockener geworden wäre. Doch die Wahrscheinlichkeit dazu war gering. Es würde sich bei dieser Temperatur sicher nur in einen nassen, eiskalten Klotz verwandeln, der es ihm nachher schwerer machte. Als er hinaus trat, war der Himmel über der Kampfschule schwarz, Sterne leuchteten in dieser Finsternis wie glühende Augen und ein kalter Wind zog über den Platz. Der Holzboden fühlte sich schon kühl unter den nackten Füßen an, doch er wusste, dass es gleich noch schlimmer werden würde. Leise zog er die Tür hinter sich wieder zu und beeilte sich ein wenig. Er hatte bemerkt, dass die Lichter in der großen Halle weniger geworden waren. Er konnte sich gut vorstellen, dass sein Sensei begann, alles zu löschen und sich innerlich auf die Nachtruhe einstellte. Wie erwartet zog die stechende Kälte durch seine Füße und er musste die Luft anhalten. Die Steine waren eisig und auch das kalte Duschen hatte ihn nicht darauf vorbereiten können. Mit aller Konzentration eilte er über den Platz, hinüber zum Schrein und atmete noch einmal durch. Wieder bemerkte er die fatale Macht nicht, die ihn in ihren Bann zog. Seine kalten Füße, die richtige Haltung, die gesamte Aufgabe beschäftigte ihn so sehr, dass gar kein Platz mehr für Sorgen und Alltagsnöte übrig blieb. In diesem Sog der Traditionen war er nichts weiter als ein ausführender, einfacher Schüler, der verzweifelt hoffte, nicht zu kalte Füße zu erhalten. Diese Empfindung war so einnehmend, dass er selbst die Sorge vergaß, die ihn hier her getrieben hatte. Es gab keine Familie mehr, keine brüderlichen Auseinandersetzungen, es gab keine Firma und keinen Sekretär mehr, keinen Joey und keine Verlobte. Keine Freunde, die ihm vorwarfen, er wäre zu schwach oder zu eitel, keine Vorwürfe und keine Keifereien, keine Eifersucht und keine Einsamkeit. Alles, was es in diesem Moment für Seto Kaiba gab, war die große Herausforderung, trotz der Eiseskälte ruhig zu stehen, die richtige Haltung zu finden, die Worte nicht zu vergessen und ausreichend lange in der Verbeugung zu bleiben, um keinen der Kami zu verärgern. Wer wusste schon, ob nicht doch einer gerade hier war. Tomo hatte einmal gescherzt, dass dieser „Schrein“ ein Treffpunkt für Kami wäre, denn immerhin waren hier alle willkommen. Keiner war falsch, weil er nur einem Gott gewidmet war und so trafen sie sich seiner Meinung nach hier in diesem Schrein, denn hier könnten sie miteinander quatschen, Teetrinken, lästern und was auch immer ihnen so einfiele. Kaum hatte er diese Herausforderung gemeistert, als er sich auch schon auf die andere Hälfte des Weges machte. Er lief so schnell er konnte, ohne unhöflich zu wirken, über die Gehwegsteine hinüber auf die rettenden Holzstufen der großen Halle. Nun, sehr viel wärmer waren sie auch nicht, aber sie erscheinen zumindest angenehmer. Auch diese nahm er schneller, als es einen anständigen Eindruck machte und griff schon nach der Tür, bevor er halbwegs richtig vor ihr stand. Als er endlich in der Wärme der großen Halle angekommen war, die Tür hinter ihm verschlossen, atmete er durch. Seine Füße waren kalt. Wirklich kalt und ja, es war ein alles einnehmendes Gefühl. Wäre er in einer anderen Situation, wäre ihm die Ironie dieser Tatsache bewusst geworden. Er hatte voller lästerlicher Überheblichkeit die Begründungen seines Meisters verachtend dargestellt und landete nun in genau dieser Situation, die ihm bisher als unerheblich und dumm erschienen war. Doch während er lauschend an der Tür stand, sein Blick auf die Schüsseln mit Wasser gerichtet, die neben ihr standen, war alles vergessen, was ihn hier her geführt hatte. Er hörte die Schritte in der großen Halle, hier im Flur war das Licht gedämpft. Es war ein simpler Aufbau. Die große Halle hatte einen schönen, breiten Ausgang an ihrem linken Ende, zwei durchgehende Fensterreihen im oberen Teil an den langen Seiten der Halle und einen Schrein mittig vor der rechten Wand. Dann kamen links und rechts neben dem Schrein je die einfachen Durchgänge in den Flur oder Vorraum, die ebenfalls jeweils an den langen Seiten des Gebäudes ein Tür besaßen. Rechts die Wand neben Seto war beinahe gänzlich geschlossen. Sie hatte lediglich zwei schmale aber lange Fenster unter der Dachschräge, durch die Licht hineinfallen konnte. Dafür war die Wand mit Teppichen und Bildern behangen, deren Motive in jeglicher Variante die Kampfkunst zeigten. Ob es Photos großer Meister waren, alte Darstellungen unterschiedlicher Kampfposen oder aber geschriebene Anweisungen. Drinnen war es still. Er konnte nichts hören. So entschied er sich, dem alten Ritual zu folgen. Ein Blick auf die Sohlen seiner nackten Füße machte klar, dass er sich mit dem jetzt sicher kalten Wasser in den Schüsseln auseinander setzen musste. An der Wand hingen Haken, auf denen die Handtücher verteilt waren. Für einen Moment dachte er, dass es ihm reichte, die Füße nur mit dem Handtuch zu säubern, doch die Gewohnheit schlug zu. Es waren die immer gleichen Bewegungen, die immer gleichen Handlungen, die beinahe wie automatisch abliefen. Wie zu erwarten war das Wasser eher kühl und als er das Handtuch wieder an den Haken hängte, war er davon überzeugt, dass der Sensei auf ihn wartete. Er wusste es. Er wusste, dass er hier war. Mit pochendem Herzen und dem Geräusch seines rauschenden Blutes in den Ohren trat er auf den Eingang zu, aus dem das Licht fiel. Der Flur hatte heute keine eigene Lichtquelle mehr und erhielt sein Licht aus den beiden offenen Türen, die von der Haupthalle abgingen. Jeder Schritt schien schwer, bedacht und unsicher, als er auf den Tatamimatten hinüber ging. Heute kam ihm der Weg so unendlich weit vor. Das Licht blendete ihn beinahe, obwohl es gar nicht so hell war. Es waren die Kerzen, die auf dem Schrein standen, die hier die letzte Lichtquelle darstellten. Als er eintrat und sein Blick auf den Mann fiel, der dort vor dem Schrein auf dem Boden saß, hielt er den Atem an. Es war über ein halbes Jahr her, dass er das letzte Mal hier gewesen war. Der Mann mittleren Alters saß dort auf den Knien, die Augen geschlossen, als wäre er ins Gebet vertieft. Der Geruch von Sandelholz erfüllte die Luft und Seto bemerkte das kleine Duftstäbchen welches eben erst angezündet wurde. Schweigen. Er wusste nicht, ob er eintreten durfte. Er wusste nicht, wie er reagieren sollte. Er wartete. Doch nichts geschah. Der Mann saß dort, die Hände auf den Oberschenkeln, die Augen geschlossen. Als wäre er gänzlich allein. Seto räusperte sich. Noch immer unentschlossen. Doch nichts geschah. Der Mann in seinem weißen Kampfanzug rührte sich nicht. Er schien nicht zu reagieren, als hätte er es nicht gehört. Kurz drehte sich Seto um, als wollte er abwägen, ob er nicht doch gehen sollte. Wieder fiel sein Blick auf den Sensei, der dort absolut entspannt saß. „Was erwartest du von mir?“ Seine Stimme hatte einen warmen, ruhigen Klang und der Brünette fuhr in sich zusammen. Noch immer saß der Sensei dort, die schwarzen, vollen Haare waren kurz, der 53 Jährige hatte ein kantiges Gesicht und er schien absolut zu seinem Alter zu passen. Seto wusste nicht, was er antworten sollte und war sich nicht sicher, ob er den Meister wirklich hatte sprechen hören. Immerhin saß er noch genauso dort, wie wenige Sekunden vor dieser Aussage. Plötzlich drehte sich der Kopf des Mannes und er blickte aus seinen grauen Augen zu Seto hinüber. „Du erwartest etwas, weißt aber nicht, was es ist. Interessant.“ Seine Stimme klang noch immer ruhig und hatte etwas Sanftes. Dann erhob sich der Mann langsam vom Boden und trat auf den Schüler zu. Unwohlsein ergriff Seto und er senke den Blick, ohne es zu begreifen. Er fühlte sich nicht mehr so überlegen und mächtig, wie bei seinem Verlassen. „Warum bleibst du an der Tür stehen?“ Fragte der Mann, der ihm nun beinahe den Weg versperrte, so wie er sich vor ihn gestellt hatte. Ein lautes Schlucken folgte. „Weil ich nicht weiß, ob ich eintreten darf.“ Kam leise von ihm und erst zu spät begriff der 22-Jährige, wie schwach seine Stimme war. „Wieso solltest du es nicht dürfen? Ich gab dir eine Aufgabe und verlangte deine Widerkehr, wenn du sie erfüllt hast.“ Schwer sog Seto die Luft ein, den Blick konnte er noch immer nicht heben. Selbst gerade zu stehen erschien ihm unglaublich schwer. „Weil ich…“ Er konnte den Satz nicht beenden. Ja, er war der Schüler. So sehr hatte er sich noch nie in dieser Rolle gefühlt. Nicht einmal damals, als er hier als Kind begonnen hatte. „Weil ich die Aufgabe nicht erfüllt habe, Sensei.“ Sagte er nun leise und es viel ihm unendlich schwer, diese Worte über die Lippen zu bringen. „Hast du das nicht?“ Fragte Furukawa und musterte den Mann, der so anders wirkte. Beinahe gebrochen. Doch er wartete lange auf die Antwort, bis ihm klar wurde, dass sie nicht kommen würde. „Erinnerst du dich noch an meine Aussage, dass ich erkenne, ob ihr lügt?“ Wollte der 53-jährige Sensei nun wissen und ein Schlucken war zu hören. „Ja, Sensei, daran erinnere ich mich. Aber ich lüge euch nicht an. Ich kenne die Antwort wirklich nicht.“ Er hielt den Atem an und wagte es nicht, den Blick zu heben. Es war ein seltsam beschämendes Gefühl und es war eine Schwäche, die er hasste. „Nun, ich trug dir auf, dass dein Herz die Antwort kennen muss. Wir sprachen nie über deinen Verstand.“ Erstaunt dauerte es einen Moment, bis der Ruck, welcher durch den Brünetten ging, auch den Kopf in Bewegung setzte. Er starrte seinen Meister an, der die gleiche Größe wie er hatte. Auge in Auge standen sie sich nun gegenüber. Furukawa lächelte wissend und auf diese seltsame Art und Weise völlig überzeugt. „Unser Herz spricht über unsere Taten, die Art, wie wir stehen, uns bewegen, die Worte, die wir wählen. Der Mann, den ich vor die Tür setze, wäre niemals hier her gekommen, demütig und unsicher. Er hätte niemals gewartet, er hätte immer gefordert. Er hätte immer eine Antwort gewusst.“ Eine kleine Pause entstand. „Der Mann, der vor einem halben Jahr ging, hatte nicht die Stärke für eine solche Schwäche.“ Die eisblauen Augen weiteten sich. Er verstand nur bedingt, was der Mann ihm da sagte, aber etwas in ihm reagierte darauf. „Nun, bleibt die Frage, warum du hier bist. Willst du trainieren? Willst du Lernen? Willst du um Vergebung bitten?“ Letzteres enthielt ein Schmunzeln und kurz konnte der Mann erkennen, wie sich Seto versteifte. Doch der Blick fiel wieder zu Boden und ein tiefes Einatmen folgte. „Ich will eine Antwort.“ Kam leise von ihm und nun schien Furukawa das erste Mal erstaunt zu sein. „Was für eine Antwort suchst du?“ Wollte er direkt wissen und bemerkte, dass der 22-Jährige sich gänzlich versteifte. „Ob ich jemals ein guter Mensch sein kann.“ ~~~ooo~~~ Als das schwarze Motorrad durch das große Haupttor auf das Gelände fuhr, sprang jemand am Fenster auf. Ein schwarzer Haarschopf, wild und ungezähmt machte sich auf den rasanten Weg hinunter zur Garage. Auch Mokuba hatte sich Gedanken gemacht und das plötzliche Verschwinden seines Bruders bemerkt. Er war zuerst davon ausgegangen, dass sich Seto in seine Räume verzogen hatte, doch schließlich erzählte Noah ihm, dass dieser mit hoher Geschwindigkeit davon gefahren war. Nun machte sich der 17-Jährige wirklich Sorgen und als die Anrufe, die er absetze, unbeantwortet blieben, war jeder Gedanke an Schlaf vergessen. Er lauerte schon seit zwei Stunden hinter dem Fenster und nun war es endlich soweit. Es war nach ein Uhr nachts und sein Bruder war jetzt erst wieder zurück. Er war zurück und das war schon einmal mehr, als seine schlimmsten Befürchtungen farbenfroh ausgemalt hatten. Nachher hätte sein Bruder in einem Graben gelegen und wäre nie wieder zurück gekommen. Eine innere Stimme sagte ihm, dass er vorsichtig vorgehen musste und so öffnete er die Zwischentür zur Garage. Erstaunt stellt er fest, dass sein Bruder noch immer auf der Kawasaki saß, den Helm in den Hände vor sich auf der Maschine abgestellt. „Oni-chan?“ Kam vorsichtig von ihm und der Brünette zuckte zusammen. Die eisblauen Augen starrten ihn mit einem Mal groß und voller Überraschung an. „Was?“ Kam direkt von ihm, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten. Nun kam Mokuba näher und versuchte ein aufmunterndes Lächeln. „Nichts. Ich bin nur froh, dass du wieder da bist.“ Begann er und hatte das Gefühl, auf einem zugefrorenen See zu stehen, unter sich eine dünne Eisschicht und jeder falsche Schritt würde ihn ins kalte Wasser stürzen lassen. Der Blick der eisblauen Augen war unverwandt auf ihn gerichtet und er schien ihn auf fragende Weise zu mustern. „Du hast dir Sorgen um mich gemacht?“ Kam plötzlich unerwartet und der 17-Jährige spürte, wie er rot auf den Wangen wurde, die Hitze stieg in seinen Kopf. „Nun ja… schon… irgendwie…“ Begann er verlegen und senkte seinen Blick. „Weißt du, du hast dich so seltsam beim Essen verhalten und dann warst du heute weg. Ich dachte erst, dass du dich hingelegt hast und schlafen würdest, aber Noah meinte dann, dass du in einer ziemlichen Geschwindigkeit davon gefahren bist.“ Versuchte er sich zu erklären und schluckte laut. „Als wäre der leibhaftige Teufel hinter dir her.“ Kam plötzlich ruhig und doch auch ein wenig vorwurfsvoll die Stimme von Noah aus dem Flur. Er trat an die Tür, trug einen großen, flauschigen Pullover, der ein schlichtes Stickmuster hatte. „Ich war mir nicht sicher, ob ich dich noch einmal wieder sehe oder die Polizei bei uns anruft, dass wir leider einen familiären Verlust zu verkraften haben.“ Gab er nun in einem beinahe spitzen Ton von sich und verschränkte die Arme unter der Brust, sich in den Türrahmen lehnend. Die feine Augenbraue schwang sich in die Höhe und Seto fragte ebenso ruhig. „Familiär?“ Es klang zweifelnd und Mokuba blickte nun zwischen seinen großen Brüdern hin und her. „Ja, ich dachte, das wären wir jetzt, eine Familie.“ Kam gelassen von Noah und er lächelte zurückhaltend. „Ich weiß, es gab einige Probleme zwischen uns, aber dennoch konnte ich mich dem Eindruck nicht erwehren, dass wir in den letzten Wochen eine geworden sind. Dieses seltsame Konstrukt von verwandtschaftlicher Beziehung ist mir noch immer unbekannt und ich gestehe, eine leichte bis mittelschwere Verunsicherung diesbezüglich zu verspüren, aber ich dachte, dass es dir eventuell ebenso erging.“ Die dunkelblauen Augen hielten dem zweifelnden Blick des 22-Jährigen stand. Dieser musterte ihn noch eine Weile und schloss dann bewusst lächelnd die Augen. „So, so, wir sind also eine Familie…“ Gab er leicht dahin und dann schwang er sich endlich von seinem Motorrad herunter. Seto ging hinüber zu den Regalen an der Rückwand der großen Garage, in die noch ein weiterer, dunkelroter Sportwagen und die große Limousine passten. Er legte seinen großen Helm in eines der Fächer, in denen noch zwei weitere Modelle zu finden waren. Auch seine Handschuhe zog er aus und platzierte sie feinsäuberlich daneben. „Ich finde schon! Mir hat unser Ausflug in den Zoo wirklich viel Spaß gemacht und es hat sich für mich wie ein richtiger Familienausflug angefühlt. Ich meine, wer hat schon zwei so tolle große Brüder?“ Gab Mokuba nun leicht zögerlich, aber dennoch freudig von sich. Er beobachtete den Rücken seines leiblichen Bruders, der dabei war, die Motorradjacke auszuziehen. Plötzlich drehte sich der Brünette um und sah seinen kleinen Bruder mit einem fragenden Blick an. „Ist das dein Ernst?“ Wollte er nun wissen und zog eine Augenbraue in die Höhe. Mokuba wurde tief rot auf seinen Wangen und verfiel wieder in dieses kindliche Schema. Er senkte den Blick, griff mit den Händen nach hinten und verschränkte sie ineinander. „Er hat ja Recht. Ich habe zum ersten Mal das Gefühl gehabt, dass wir drei wirklich eine Familie sind und ich habe das erste Mal das Gefühl gehabt, dass du wirklich bei uns bist. Wenn du mich fragst, könnten wir solche Ausflüge öfter machen.“ Unterstützte Noah nun und lehnte noch immer gemütlich im Türrahmen. Nun sahen ihn die blauen Augen an und er schwieg eine Weile. Es war still, bis Noah noch einmal anfing. „Ich meine, selbst ich habe angefangen, mir Sorgen um dich zu machen. Also, irgendwas hat sich da wohl positiv geändert.“ Meinte er und deutete dann mit einer Hand hinter sich. „Was haltet ihr beiden davon, wenn ihr mit in die Küche kommt und mir helft, den Tee leer zu trinken, den ich eben aufgesetzt habe? Das ist sicher eine Tasse für jeden.“ Es war wie ein Friedensangebot, wie ein brüderlicher Handschlag, den er dem Brünetten anbot. Auch Mokuba hob den Blick bei diesen Worten wieder und nickte. „Finde ich gut, ich bin dabei!“ Er sah mit einem breiten Grinsen zu seinem leiblichen Bruder, der sich nun wieder umgedreht hatte. Er zog die Motorradjacke gänzlich aus und hing sie vorsichtig auf eine hervorstehende Schraube, die er vor einer Weile dafür auserkoren hatte. Einen richtigen Haken gab es nicht. Das könnte er sicher machen lassen, aber sein heimlich verwegenes Ich liebte diese kleine Handlung. „Nur wenn ihr mich nicht ausquetscht, wo ich war. Das ist immer noch meine Sache.“ Kam von ihm und er drehte sich um. Das Grinsen im Gesicht der beiden anderen war gar nicht zu übersehen. Als er neben seine Maschine trat, meinte Mokuba vorsichtig. „Nun, vielleicht erzählt ihr beide mir, was denn heute Morgen in den Toiletten los war.“ Schlug er vor und beobachtete, wie Seto den hinteren Teil des Sitzes aufklappte, um daraus ein weißes Bündel zu nehmen. Er konnte klar erkennen, um was es sich da handelte. Der weiße Kampfanzug, den Seto immer trug, feinsäuberlich gefaltet und darunter ein ebenso groß und ordentlich gefaltetes Handtuch. Alles war beinahe kunstvoll mit dem Gürtel zusammengebunden. „Was los war?“ Fragte er und Mokuba setzte diesen unglaublich wissenden Blick auf, der noch eine Spur Vorwurf in sich vereinte. „Ach kommt, erst gehst du, dann verschwindet Atemu, nur damit dann Joey und Noah euch nach sind. Die frostige Stimmung, die du bei deiner Rückkehr hattest, hätte selbst Elsa Konkurrenz gemacht. Das irgendetwas vorgefallen ist, habe ich mitbekommen. Nur was, weiß ich nicht.“ Erklärte der Schwarzhaarige nun, während er darauf wartet, dass sein Bruder zu ihm kam. „Wer ist Elsa?“ Wollte nun der Brünette wissen und Noah lachte. „Ich sehe schon, wir sollten unbedingt mit dir noch „Frozen“ sehen. Es ist ein wenig wie das Märchen der Eiskönigin, nur dass der Junge und die Eiskönigin ein und dieselbe Person sind.“ Versuchte der Grünhaarige die Geschehnisse zusammenzufassen. Nicht sehr erfolgreich, bei dem Blick, den er nun zugeworfen bekam. Trotzdem kam es zu einer irritierend seltsamen Handlung. Sanft legte Seto die Hand auf die Schulter seines jüngeren Bruders und gab ihm zu verstehen, dass er ruhig schon einmal vorgehen sollte. „Ist Frozen nicht ein Kinderfilm? Ging es da nicht um zwei Schwestern?“ Wollte Seto nun wissen und Noah stieß sich von der Tür ab. Er wusste, dass der 22-Jährige dieses Thema nutze, um sich aus der Frage, die Mokuba zu formulieren versuchte, zu befreien. Aber es sollte ihm Recht sein. „Ja, genau, es geht um zwei Schwestern und eine davon hat magische Fähigkeiten. Sie kann alles in Eis verwandeln. Das weiß aber ihre Schwester Anna nicht und als Elsa den Thron ihres Landes als Königin übernehmen soll, weil ihre Eltern auf See verschollen gegangen sind, kommt es dazu, dass sich ihre Kräfte zeigen. Daraufhin wollen einige sie umbringen und sie flüchtet in die Berge. Leider hat sie Arendelle in einen ewigen Winter versetzt und nun versucht ihre Schwester sie zu finden, um sie darum zu bitten, den Winter wieder aufzulösen.“ Seto schaltete das Licht in der Garage aus, während er Noahs Erklärungen weiter zuhörte. „Disney oder?“ Wollte er nun wissen und der Grünhaarige nickte. „Ja, warum?“ Ein langer Blick folgte, als der Brünette die Tür hinter sich schloss. „Normalerweise heißt das, dass die Schwestern blutjung sind, sich auf völlig unrealistische Weise verhalten und lauter Sachen machen, vor denen ausgebildete Militärkräfte Angst hätten.“ Er legte einen herablassenden Ton in seine Stimme und Mokuba wippte auf seinen Füßen vor und zurück, die Hände wieder hinter dem Rücken verschränkt. „Nun ja, so würde ich das nicht sagen. Elsa ist immerhin wirklich schon 21 Jahre alt und Anna immerhin schon 18.“ Gab er zu bedenken und drehte sich um, damit sie aus dem Gang weiter kamen. „Davon einmal abgesehen, wie viele Militärkräfte haben magische Schwestern die ein ganzes Königreich in Eis verwandeln können?“ Wollte Noah nun wissen. Er war als erster dieser kleinen Truppe unterwegs und drehte sich immer wieder zu Seto um, der mittig am Ende lief. Mokuba hielt sich auf der rechten Seite zwischen seinen Brüdern. „Und wie war es nun mit den waghalsigen Aktionen?“ Diese Frage war offensichtlich für den 22-Jährigen interessant und Mokuba räusperte sich. „Nun, Anna macht sich ohne jegliche Erfahrung auf den Weg und landet in einem Bach, trifft einen ihr völlig Unbekannten, mit dessen Rentier sie gemeinsam losziehen, muss gegen Wölfe kämpfen, Gletscher hochklettern, vor Eisriesen fliehen… ach ja, und ein Eissplitter trifft sie ins Herz.“ Zählte nun Mokuba auf und warf einen Blick zu seinem Bruder, der ihn mit großen Augen ansah. „Ich hätte darauf wetten sollen. Warum schaut man sich so einen dummen Quatsch eigentlich an?“ Kam lästerlich von ihm. „OLAF!“ Kam wie aus einem Munde von Noah und Mokuba. Verwirrt sah der Brünette seine beiden großgewachsenen Brüder an und ihm wurde eines klar. Noah war wirklich noch ein Junge. Ihm fehlten anscheinend die Jahre, die er in der virtuellen Welt gefangen gewesen war. Dass er dann auch noch eine Weile ohne jegliche Kommunikationsmöglichkeit im Hauptrechner gefangen war, hatte es nicht besser gemacht. Vielleicht lag an dieser Stelle das Problem, dessen er noch nicht habhaft werden konnte. Nun sahen die beiden ihn an, als wären sie 5 Jahre alte Jungen, mit großen Augen und leuchtenden Wangen. „Wer ist Olaf?“ Wollte Seto nun wissen und die beiden grinsten beinahe bis über beide Ohren. „Oh, das ist ein durch Magie zum Leben erweckter Schneemann!“ Fing Mokuba voller überzogener Freude an und der grünhaarige 22-Jährige stimmte freudig mit ein. „Ja, er ist Annas Begleiter und ist der liebenswürdigste und herzlichste kleine Kerl, der jemals von Disney entwickelt wurde. Er hat ein absolut reines Herz.“ Erklärte er nun und Seto beobachtete, wie die beiden nun neben ihm gingen, die Augen gefüllt von purer Begeisterung. „Ein herzensguter Schneemann?“ Wiederholte Seto skeptisch und die beiden nickten. „Wenn wir in der Küche sind, zeigen wir dir ein Video, dann wirst du unserer Meinung sein! Er ist es auf jeden Fall wert, den Film zu sehen!“ Stellte Mokuba nun die Behauptung auf und Noah griff nach dem Arm des leicht älteren Firmenführers. „Oh, und die ganzen Zusatzfilme. Er kam so gut an, dass es einige eigene Olaffilme gibt!“ ~~~ooo~~~ Schweigend stand er im Fahrstuhl, den Helm hatte er schon abgesetzt und die Handschuhe hineingestopft. Seto musste an gestern Nacht denken und rieb sich müde über die Stirn. Wie viel Stunden hatte er nun geschlafen? 4 oder so etwas in der Richtung. Zwar hatte er über Tag einiges nachgeholt, aber das war ja eher, um die Reserven der vorherig kurzen Nächte auszugleichen. Ein Gähnen entkam ihm und er musste an die Videos denken, die er gestern von Olaf dem lebendigen Schneemann gesehen hatte. Na ja, ziemlicher Quatsch, aber seinen Brüdern schien es zu gefallen. Der Schneemann war dumm und naiv, beinahe wie Joseph! Da gab es doch Gemeinsamkeiten. Der Gedanke an den jungen Mann ließ ihn aus unerfindlichen Gründen schmunzeln und er ahnte, was ihn gleich erwarten würde, wenn er sein Büro betrat. Als sich die Türen öffneten, stellte er sich das unterdrückte Grinsen des Blonden schon einmal vor. Doch es war nicht unterdrückt. Joey saß dort an seinem Schreibtisch, blickte ihn aus seinen braunen Augen unverwandt an und grinste dabei, bis über beide Ohren, als der Brünette in sein Sichtfeld eintrat. Noch bevor er mit einem anständigen Morgengruß beginnen konnte, fiel ihm Seto ins Wort. „Was hat dir diese kleine Quasselstrippe jetzt schon wieder alles erzählt?“ Wollte er in einem leicht kühlen Ton wissen. Die Müdigkeit zeichnete ihn und der Morgen war alles andere als überragend gewesen. Doch der Angesprochene behielt die Ruhe und meinte stattdessen noch immer mit diesem breiten Grinsen. „Ohayo, Seto.“ Dann lehnte er sich in seinem Schreibtischstuhl zurück, sodass die leichten Knitterfalten des weißen Hemdes deutlicher wurden. Dazu kam diese grüne Krawatte, die er irgendwie gerne zu tragen schien. „Wenn du mit Quasselstrippe deinen eigenen Bruder meinst, muss ich dich enttäuschen. Er hat mir gar nichts erzählt.“ Es war ein belustigter Klang in diesen Worten und das Grinsen blieb so breit, als ginge es gleich von einem Ohr zum anderen. Nur sehr kurz war der Brünette überrascht und hob dann die rechte Augenbraue. „Wheeler!“ Er deutete mit der rechten Hand auf sein eigenes Gesicht, in der linken hielt er seinen Motoradhelm. „Sehe ich wirklich so aus, als wollte ich mir heute Morgen dumme Scherze darüber anhören, dass du und Mokuba miteinander geschrieben habt und nicht telefoniert?“ Nur kurz verschwand das Grinsen auf dem Gesicht des Blonden und er legte den Kopf schief. Er schien den Mann vor seinem Schreibtisch zu mustern, eingehend zu mustern. Dann zog er die Augenbrauen zusammen und legte den Kopf auf die andere Seite. „Nun, du siehst aus wie immer. Schlecht gelaunt, übermüdet und bereit, mir meinen Tag ein weiteres Mal zu versauen. Wie ich dir schon zu dem Thema mit dem Buch auf meinen Schreibtisch werfen sagte, daraus kann ich jetzt wenig schließen.“ Das Grinsen kam zurück und wurde von einem seltsamen Strahlen begleitet. „Also, du warst gestern bei deinem Sensei? Und weil du erst um 1 Uhr nachts zurück gewesen bist, hat er dich nicht gleich wieder raus geschmissen?“ Begann Joey direkt zu fragen, als er bemerkte, wie sich ein drohend grausames Donnerwetter zusammen braute, als Antwort auf seine Aussage. Schweigen. Es herrschte einen Moment und unbewusst wurde aus dem breiten Grinsen Joeys ein aufmunterndes Lächeln. „Na komm, ich werde es auch nicht weiter sagen. Außerdem wissen wir beide jetzt doch, dass du vielleicht nicht ganz dein Herz verloren hast. Jemand, der kein Herz mehr hat, würde sich niemals so viele Sorgen um seinen Bruder machen oder darüber, ob er jemals die Wahrheit hinter den Werten des Judos verstehen wird.“ Versuchte er einen keinen Anstoß zu geben und hoffte, dass die Anspielung auf ihre Begegnung in der Küche, die all dies hier ausgelöst hatte, nicht falsch war. Mit einem tiefen Durchatmen stellte Seto den Helm auf die Kannte des Schreibtisches. Er schien selbst mit sich zu kämpfen und begann dann doch mit einer Antwort. „Ja, ich war gestern da und ja, er hat mich nicht wieder rausgeworfen. Um deiner nächsten Frage vorzugreifen, ja, ich habe ihm gesagt, dass ich seine Aufgabe nicht erfüllen kann.“ Damit schien der kurze Redefluss wieder beendet und Joey beugte sich vor. „Ach komm, und weiter? Was hat er gesagt?“ Er versuchte nicht aufdringlich zu sein und stützte sich interessiert auf dem Schreibtisch ab. Nun musste Seto wirklich mit sich ringen. Er brach den Blickkontakt und atmete tief durch. Dann fuhr er sich unbewusst fahrig mit der Hand über das Kinn und atmete erneut tief durch, als wollte er Zeit gewinnen. „Das geht dich rein gar nichts an. Was ich mit meinem Sensei besprochen habe, hat rein gar nichts mit deiner Arbeit hier zu tun!“ Gab er dann eher abweisend von sich, anscheinend war er doch nicht in der Lage, jetzt etwas dazu zu sagen. Seltsamerweise schien Joey das zu verstehen. Er lehnte sich zurück und öffnete mit wenigen Klicks am PC den Kalender. „Ok, aber eines muss ich wissen. Soll ich jetzt in deinem Kalender einplanen, dass du da wieder hingehst oder nicht?“ Er hob den Blick vom Bildschirm und sah den Brünetten fragend, aber zurückhaltend lächelnd an. Wieder konnte er sehen, wie der Mann mit sich rang. Anscheinend gab es einiges, mit dem er noch nicht abgeschlossen hatte. „Ich trage die Termine gleich ein. Dann weißt du es.“ Damit griff er fester nach seinem Helm und wollte sich schon vom Schreibtisch abwenden, als er zögerte. Kurz biss er sich auf die Unterlippe und atmete zum dritten Mal laut hörbar durch. „Du kannst aber etwas anderes einplanen.“ Begann er dann langsam und als die blauen Augen wieder zu dem Blondschopf in seinem weißen, leicht knittrigen Hemd zurückfanden, wirkte Seto verlegen. „Ich werde ab der nächsten Woche eine halbe Stunde später beginnen.“ Kam von ihm und die braunen Augen durchbohrten ihn regelrecht fragend. Anscheinend ausreichend, denn er gab sich einen Ruck. „Mein Sensei hat von mir verlangt, dass ich zwei Mal am Tag meditiere. Morgens und abends. Je eine halbe Stunde. Wenn ich das auch noch von meiner Schlafenszeit abziehe, schlafe ich irgendwann gar nicht mehr. Also fange ich ab Montag eine halbe Stunde später an.“ Nun war Joey wirklich erstaunt und sah ihn mit großen Augen an. „Tut mir leid, aber… du und meditieren? Irgendwie kann ich mir das nicht vorstellen.“ Er versuchte einen verzeihenden Ton in seine Stimme zu legen, was anscheinend gelang, denn er erhielt ein kurzes Lachen. „Ich auch nicht. Hat auch nicht geklappt. Ich saß heute Morgen eine halbe Stunde da und habe verzweifelt versucht, diesen Irrsinn umzusetzen. Ich war jetzt nicht sehr erfolgreich damit.“ Nun lachte sie beide etwas zurückhaltend und Joey meinte direkt. „Tja, dann kannst du ja jetzt noch ein wenig üben. Immerhin musst du es heute Abend auch wieder machen.“ Als Antwort erhielt er ein breites Grinsen und während Seto sich seinem Büro zuwandte, rief er noch. „Und Morgen und übermorgen und am Montag…“ ~~~ooo~~~ Mit geschlossenen Augen saß er vor dem kleinen Schrein und der Duft von Sandelholz erfüllte die Luft. Innerlich war er angespannt und dutzende Dinge gingen ihm durch den Kopf. Er wusste, dass er eigentlich gar nichts denken sollte, aber das schaffte er nicht. Seine Gedanken zogen immer wieder zum gestrigen Tag zurück. Eigentlich war alles gut gelaufen. Eigentlich schien es beinahe so, als wäre nichts gewesen. Als hätte er nie die Kontrolle verloren. Das, was geschehen war, blieb in Dubai und kam nicht hier her mit nach Domino. Natürlich war der erste Tag wieder voller Leben und als seine Sekretärin kam, wurde erst einmal lang getratscht. Miyagi war aufgeregt und musste mit Joseph all das besprechen, was vorgefallen war und er berichtete von all dem, was er erzählen konnte. Auch dieser Fujimoto war zum späten Frühstück da, zum Mittagessen und am Nachmittag brachte er auch noch etwas Süßes vorbei, damit sie ja lange reden konnten. Alles schien so normal und doch… ging ihm diese eine Szene nicht mehr aus dem Kopf. Er hatte sich am Abend, als alle anderen schon fort waren und nur noch er und Joseph im Büro, noch einen letzten Kaffee machen wollen. Der Blonde stand dort, mit dem Rücken zur Tür und als Seto hinter ihn trat, zuckt er erschrocken zusammen und machte einen Satz zur Seite. Pure Angst stand in den schönen, braunen Augen und beiden war klar, warum der 19-Jährige so reagierte. Er bekam diesen Blick nicht aus dem Kopf. Joseph hatte ihn angesehen, als erwartete er einen neuen Übergriff und die Angst hatte ihn nicht mehr losgelassen. Zwar hatten sie noch ein wenig gescherzt und der Blonde brachte ihm zum Abschied den Kaffee in sein Büro, nur als Tee, aber der Blick blieb voller Angst. Außerdem wusste Seto nicht, wie er mit Fujimoto umgehen sollte. Er war ihm einfach aus dem Weg gegangen, aber die Tatsache, dass der kleine Koch auf Joseph stand, machte ihn wahnsinnig. Er wusste immerhin nicht, ob der Blondschopf nun davon überzeugt war, auch auf Männer zu stehen oder lieber in der Liga der Frauen weiter unterwegs war. Denn die Nacht mit Djamila schien ihm ja neue Erkenntnisse geliefert zu haben. Seine Gedanken blieben an dem Kampf hängen, daran, wie Joseph auf Kamil losgegangen war und wie schwer es Seto gefallen war, die beiden voneinander zu trennen. Das Bild wurde so klar und deutlich vor ihm, wie der Blonde auf dem Boden lag. Er spürte die heiße Haut unter seinen Händen, während er den Arm des 19-Jährigen auf dessen Rücken drehte. Seto spürte, wie seine eigenen Hände zu beben begannen und er ballte sie zu Fäusten. Immer wieder war die Kommunikation zwischen ihm und dem Blonden von Gewalt geprägt. Er schlug ihn, drängte ihn zurück, misshandelte ihn. Wie konnte er erwarten, dass Joseph ihn nicht voller Angst anstarrte? Das Beben ergriff nicht nur seine geballten Fäuste, nach und nach nahm es seinen gesamten Körper ein. Eigentlich liebte er diesen Ausdruck von Angst, wenn sein Opfer voller Panik zu erstarren begann, aber… irgendetwas an diesem Bild schien ihm mit einem Mal falsch. Als… als müsse der junge Mann ihn anders ansehen. Es war falsch. Es war weniger der Moral her falsch, es war etwas, dass er im Blick des 19-Jährigen suchte, aber nicht finden konnte. Er suchte… Zuneigung? Viktoria sah ihn nie so an. Ihr Blick hatte immer etwas Dominantes. Sie suchte stets nach seinen Schwächen und wollte sie eiskalt ausnutzen. Er war in diesem Punkt ja nicht anders, nur… wenn er ehrlich war, kannte er dieses Muster. Er kannte es, weil er es selbst erlebt hatte. Gozaburo war strikt und hatte sich eine ganze Weile zurückgehalten, bis klar wurde, dass Seto sich seinem Weg nicht anschließen würde. Auch dann hatte es gedauert, bis der Mann seine Vorlieben fand. Gewalt konnte in vielen Varianten ausgelebt werden und Seto erinnerte sich noch zu gut an den Schmerz, als der kräftige Mann gnadenlos nach den brünetten Haaren griff, um ihn durch das Zimmer zu schleifen. Hilflosigkeit stieg in ihm auf, Angst, die ihm die Kehle zuschnürte. Er wollte nicht daran denken. Damals war er jung und schwach gewesen! Damals hatte er sich nicht wehren können. Dass er zu zittern begonnen hatte, bemerkte er nur bedingt. Seine Gedanken kreisten um die Vergangenheit, in seinen Ohren hörte er das Geräusch des Gürtels, als dieser kraftvoll aus den Laschen der Hose gezogen wurde. Gozaburo hatte es geliebt. Der Moment, in dem der Knall des Leders den Raum erfüllte. Das verbissene Gesicht des Jungen, der nicht weinen und nicht schreien wollte. Die Lügen, die Seto Mokuba aufgetischt hatte, um all dies zu verheimlichen. Eben diese hatten Gozaburo zu einer anderen Form von Gewalt gebracht. Emotionale Erpressung. Es war nicht nur die Drohung, dass er sie beide wieder ins Waisenhaus stecken würde, sondern die Drohungen Mokuba gegenüber. Er hatte Seto immer wieder damit gedroht, dass dem kleinen Jungen etwas geschehen würde. Hatte den kleinen Zwerg gegen ihn ausgespielt. Aufgewühlt, zitternd und unfähig, das erlebte zu verdrängen, riss Seto die Augen auf. Er starrte auf das niedergebrannte Duftstäbchen und das Teelicht, welches daneben stand. Er zitterte, bebte und fuhr sich erschöpft mit beiden Händen durch die Haare. Er wollte nie wieder so schwach sein. Nie wieder so hilflos. „Meditieren geht anders, Seto.“ Brummte er mit schwacher Stimme und beugte sich vor, um das Licht zu löschen. Er brauchte drei Anläufe, bis er die kleine Flamme erstickt hatte. Noch immer bang erhob er sich und verließ den Raum, den er sich extra als kleinen Dojo hergerichtet hatte. Der Brünette trug seinen weißen Kampfanzug und öffnete fahrig den Gürtel. Er war weiß. Sein Meister hatte ihm den Auftrag gegeben, ganz vorn vorne anzufangen. Er rollte ihn zusammen und starrte auf die ungeschickten Finger, die kaum dazu in der Lage waren. Dass ihn die Erinnerung so heftig einholen würde, hatte er nicht erwartet. Er trat hinüber in sein Schlafzimmer und warf die halb fertige Rolle auf das durchwühlte Bett. Auch seine Jacke landete dort und er ließ sich nur halb bekleidet auf die Bettkannte sinken. „Ich habe kein Herz mehr, Wheeler!“ Hatte er ihm gesagt und jetzt kam es ihm dumm und albern vor. Ja, er hatte es wirklich geglaubt. Er wollte stark und unabhängig sein, sich von keinem einschüchtern und beherrschen lassen. Er musste an die Worte seines Sensei denken. Sie hatten lange zusammengesessen und miteinander gesprochen. „Du denkst, dass du immer stark sein musst und keine Schwäche zeigen darfst. So kämpfst du, so lebst du. Im Judo geht es nicht darum, den anderen nieder zu machen oder zu demütigen. Es geht um einen Tanz, wie ein miteinander, dass beide Kämpfer miteinander verbindet. Als du von hier gegangen bist, warst du ein Mann, der keine Schwäche duldete. Weder bei sich, noch bei anderen. Du hast sie alle niedergemacht, sie gedemütigt und dafür bestraft, dass sie nicht so gut waren, wie du. Du hast es mit Schülern aufgenommen, die mehrere Jahre mehr Erfahrung hatten und doch gewonnen, weil du nur das Ziel hattest: sie zu vernichten. Du musstest immer beweisen, dass du der beste warst. Ohne Ausnahmen. Als dein Stiefvater starb, dachte ich, dass sich dein Verhalten ändern würde, aber es wurde nur schlimmer. Du versuchst allen vorzugaukeln, dass du unbezwingbar bist, keine Angst hast und keinen Schmerz spürst. Du willst alle glauben lassen, dass du der Stärkste unter ihnen bist und niemand eine Chance gegen dich hat. Aber eines sehe ich bei dir nicht. Wer bist du, Seto? Wer bist du unter all den Schichten, den Mauern, die du errichtet hast, um niemandem einen Einblick in deine Seele zu geben?“ Mit einem Schlucken fuhr er sich erneut durch die Haare. „Menschen haben Schwächen, Vorlieben und Verlockungen. Das zeichnet sie aus. Wenn du wissen willst, ob du ein guter Mensch sein kannst, finde deine Schwächen. Fange ganz von vorne an und mache dich auf die Suche nach dir selbst. Nicht der Firmenführer Kaiba Seto. Nicht der Kämpfer Kaiba Seto. Nicht der große Bruder, nicht der Stiefsohn von Kaiba Gozaburos. Sondern, das, was du in deinem Herzen findest.“ Wieder sah Seto auf und schluckte. Was er in seinem Herzen fand? Da war Angst und Schwäche. Mehr nicht. Jetzt gerade wollte er nichts finden. Er fühlte sich verletzlich und… würde am liebsten ein großes Glas Whisky trinken. Ganz gleich, ob sie es erst Samstagmorgen hatten. „Ich will, dass du ganz von vorne beginnst. Beginne beim weißen Gürtel, mache die Kurse mit und versuche das Judo durch die Augen derer zu sehen, die gerade erst angefangen haben. Ich will, dass du jeden Tag meditierst, eine halbe Stunde morgens und abends. Du sollst dich auf dich konzentrieren, deinen viel zu vollen Kopf endlich einmal leer bekommen und dabei keinen Alkohol trinken. Du wirst mindestens 7 Stunden schlafen, dich gut ernähren und nicht einmal an einem Glas Alkohol schnuppern!“ Da hatte sein Sensei etwas gefunden, das Joseph voller Freude ebenfalls unterstützen würde. Mit einem Seufzen griff er zu seinem Telefon und musste an den Moment denken, an dem er es Freitag früh in der Nacht das erste Mal wieder in der Hand hatte. 7 entgangene Anrufe hatte er von seinem kleinen Bruder erhalten, weil dieser sich solche Sorgen um ihn gemacht hatte. Sein Handy lag nur hier neben seinem Bett auf dem Nachttisch und er hatte es nicht bei sich. So rief der 17-Jährige völlig umsonst immer und immer wieder an. Nun öffnete Seto die bekannte, grüne App und erhielt zuerst den Chatverlauf mit seinem Bruder. Mokuba hatte ihm gestern nach der Schule geschrieben, dass er am Samstag nicht kommen würde, sondern die Nacht von Freitag auf Samstag bei Aiko wäre. Nun war es schon 9 Uhr früh und Seto fragte sich, ob sein Bruder auch am Sonntag dort bliebe. Kurzer Hand entschied er sich für einen Anruf und nur wenige Sekunden später drang das bekannte, eintönige Tuten an sein Ohr. Es dauerte einen Moment, bis jemand abhob und Mokuba etwas müde mit „Ja?“ antwortete. Anscheinend hatte er wirklich noch geschlafen. Wie untypisch für ihn. „Wer ist denn dran?“ Kam leise aus dem Lautsprecher. Eine junge, weibliche Stimme klang nicht allzu fern im Hintergrund, ebenso müde und verschlafen. „Tut mir leid, ich wollte euch zwei nicht wecken.“ Gab Seto ruhig von sich, obwohl es schon komisch war, Aikos Stimme zu hören. Immerhin wusste er bis her nicht, wer diese junge Frau war. „Oh, Seto, du bist es. Ohayo.“ Nuschelte Mokuba und schien nicht mitzubekommen, dass seine Freundin ebenfalls zu hören war. „Es ist mein großer Bruder.“ Flüsterte er hinüber und Seto musste schmunzeln, denn er hörte alles mit. „Der, den ich noch nicht kennen?“ Fragte sie leise zurück und erhielt wohl ein Nicken, den Mokuba brummte nur etwas. Stoff raschelte und dann fragte der 17-Jährige. „Was kann ich denn Gutes gegen dich tun? Ähm… für dich… tut mir leid, dummer Scherz. Bin noch ein wenig müde.“ Beeilte er sich zu sagen, doch seiner Stimme hörte man die Müdigkeit an. „Ist gestern wohl spät geworden oder?“ Fragte Seto ruhig. Wie er auf die Anwesenheit der ihm unbekannten „Freundin“ reagieren sollte, wusste er nicht. Sein Stiefvater hätte Mokuba jetzt wahrscheinlich rund gemacht, aber das brachte ihn ja nicht an den Punkt, an den er wollte. Ob Herz oder nicht, er mochte seinen Bruder und er wollte wieder ein gutes Verhältnis zu ihm aufbauen. „Jaha, irgendwie schon. Wir haben bis mitten in die Nacht Go gespielt. Und nein, wirklich nur Go!“ Kam in einem verlegen, hektischen Ton von der anderen Seite der Leitung und Seto lächelte. „Schon gut, ich hätte auch nicht danach gefragt.“ Gab er amüsiert von sich und konnte die roten Wangen seines Bruders gut vor sich sehen. „Ich wollte nur wissen, ob wir uns Morgen sehen. Es würde mich freuen, wenn… na ja… es ist nichts geplant, aber…“ So recht wusste er nicht, wie er es ausdrücken sollte. „Oh… das…“ Kam nun wieder von Mokuba, der jetzt wirklich überrascht, aber sehr verlegen war. „Wir gehen morgen Mittag noch essen und ich werde wohl eher gegen Abend zurück sein. Also…“ Begann er stotternd und schien ebenso unbeholfen, wie Seto zu sein. „Schon gut, war auch nur eine Frage.“ Beeilte sich der Brünette zu sagen und stockte. Ein Schweigen trat ein, von Peinlichkeit und Überforderung geprägt. „Wenn du direkt nach dem Tee gehst, kannst du doch sicher noch den zweiten Teil von Panem mit ihm sehen oder? Das wolltest du doch so gerne.“ Flüsterte Aiko auf der anderen Seite und schien noch immer nicht zu begreifen, dass sie gehört wurde. „Ja schon, aber… ich glaube nicht, dass er das will.“ Flüsterte nun Mokuba zurück und nun musste Seto etwas sagen. Ein Räuspern kam von ihm und vorsichtig fragte er. „Ihr wisst schon, dass ich euch beide hören kann oder?“ Stille. Sie war so umfassend, so einnehmend, dass Seto die Panik in den Augen der beiden Teenager regelrecht vor sich sehen konnte. „Ich finde den Plan gut, so ist das nicht. Ich würde sogar sehr gerne mit dir den zweiten Teil sehen, immerhin habe ich es dir vor meine Reise nach England versprochen. Ich will nur nicht so unhöflich sein und euch nicht wenigstens darauf hinweisen, dass ich euer Geflüster hören kann.“ Ein Schlucken war die Antwort und ein leises Räuspern, auf das jedoch nichts folgte. Nach einer Weile versuchte es Seto erneut. „Vielleicht wäre das ja ein Anstoß dazu, dass ich deine Freundin auch einmal kennenlerne. Anscheinend kennt Joseph sie und Noah und ich weiß nicht, wer noch alles. Ich fände es zumindest ganz nett, wenn zu dem Namen noch ein Gesicht dazu käme.“ Schlug er vor und nach einer weiteren Weile des Schweigens und zwei weiteren nun weiblichen Räusperversuchen kam ein vorsichtiges. „Ohayo gozaimasu Kaiba-san. Es… es würde mich auch sehr freuen, sie endlich einmal kennenzulernen.“ Wie schwer ihr diese Worte vielen, war deutlich zu hören und auch der Brünette spürte, wie sein Herz wild zu schlagen begonnen hatte. „Ohayo gozaimasu. Nun, wie wäre es dann am nächsten Wochenende?“ Vielleicht war es der noch immer leicht müde Zustand oder die Überforderung, doch Aiko sagte schlicht. „Am… am Samstag habe ich noch nichts vor. Das… das wäre möglich.“ Auch Mokuba räusperte sich und meinte dann. „Von meiner Seite ginge das auch. Ich… ich hatte jetzt nichts vor.“ Seine Stimmte zitterte und nun spürte auch Seto eine gewisse Überforderung. „Gut, dann bleibt es dabei. Nächsten Samstag und wir, Mokuba, können morgen Abend in Ruhe besprechen, wo und wann wir uns alle treffen.“ Sein Herz schlug bis zum Halse und er kam sich vor, wie ein dummer Junge. Das war ein schlichtes Telefonat! „Gut, ja, das klingt doch gut. Dann… dann frag ich Noah, ob er auch mitschauen will. Dann... dann sind wir morgen zu dritt. Ich…“ Er musste laut schlucken. „…bin dann wohl gegen 17 oder 18 Uhr zurück. Ich melde mich, wenn ich es genau weiß, ok?“ Fragte er noch und als Seto ihm dies bestätigte, ein kurzer Abschiedsgruß kam, legte der 17-Jährige schnell auf. Auch der Brünette saß dort, sein Herz schlug wild und sein Atem ging flach und hektisch. Er war nervös und aufgewühlt, überfordert und eine gewisse Panik ergriff ihn. Nur eine Frage geisterte durch seinen Kopf: WAS HATTE ER DA EBEN ANGESTELLT??? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)