Dunkle Nächte von Traumfaengero_- (Wenn das Schicksal zuschlägt...) ================================================================================ Kapitel 37: Verloren zwischen Gut und Böse ------------------------------------------ Kapitel 37 Verloren zwischen Gut und Böse   Mit gemischten Gefühlen ließ sich Joey auf die Sitzbank im Flieger fallen. Er hatte seine Tasche dabei und doch war sein Blick hinaus gerichtet. Er sah den schwarzen Wagen davon fahren, in dem Djamila und Kamil saßen. Obwohl die Araberin so taff tat, war sie doch unglaublich nervös gewesen. Das erste Mal mit offenen Haaren draußen. Diese Unruhe hatte sie gut überspielt, aber dennoch war es Joey aufgefallen. Auch die Anspannung, die von Kamil ausging. Der Mann war offensichtlich begeistert und gleichzeitig schrecklich eingeschnappt. Das die sonst so traditionsbewusste, schüchterne Djamila in Wahrheit eine selbstständige, moderne Frau war, überforderte ihn dezent bis übermäßig. Er wusste schlicht nicht genau, wie er mir dieser Situation umgehen sollte, doch es wirkte ein wenig so, als könnte die Sache mit den beiden gut klappen. Das Kribbeln in Joeys Bauch blieb und erst, als sie vom Boden abgesetzt hatten und die erforderliche Flughöhe erreichten, entspannte sich der Blonde wieder etwas. Noch immer war er unruhig und seine Gedanken kreisten um unterschiedliche Bereiche. Sein Blick fiel auf seine Hände. Die Fingerknöchel waren nicht mehr gerötet, doch an ein paar Stellen konnte er noch sehen, dass die Haut ein wenig aufgesprungen war. Jetzt hatte er ein schlechtes Gewissen. Es tat ihm leid, dass er Kamil so angegangen war. Er hatte es verdient, ja, den einen oder anderen Schlag, nicht aber die Tracht Prügel, die er ihm verpasst hatte. Seto hatte schon Recht mit der Aussage, dass er Kamil ohne Rücksicht verprügelt hatte, ja regelrecht zusammengeschlagen. Mit einem Seufzen strich er mit dem linken Daumen über seinen rechten Handrücken. Er konnte die Wut jetzt nicht mehr nachvollziehen, zumindest nicht eine solche. Was hatte er sich dabei nur gedacht? War er nicht auf gewisse Weise damit genauso mies wie Tala, der ihn aus noch geringeren Gründen verdrosch? Oder stellte er sich sogar auf Setos Stufe, der Gutes mit Bösem vergolt?   Ein Becher landete vor seiner Nase und er hob den Blick. Eisblaue Augen sahen ihn an und als sich der schlanke Mann setzte, hatte auch er einen Becher in der Hand. Ein Berg aus Sahne und Schokostreuseln schwamm auf dem, der nun auf dem Tisch vor dem Blonden stand. Erstaunt griff Joey direkt danach und spürte die Wärme des Gefäßes. „Versuchst du gerade nett zu mir zu sein?“ Fragte der 19-Jährige nun und Seto schüttelte den Kopf. „Nein, das habe ich dir versprochen, dass versuche ich nicht noch einmal.“ Nun wurde der Blonde doch ein wenig misstrauisch und zog die Hände wieder zurück. „Und was ist das hier dann?“ Wollte er wissen und erhielt ein breites Grinsen. „Nun, ich wollte nur ausprobieren, ob du mir glaubst, dass ich den Becher vergiftet habe.“   Für einen langen Moment herrschte Stille und Joey blickte ihn aus seinen honigbraunen Augen an. Es war ein seltsam durchdringender Ausdruck in dem dunklen Gesicht und nun lehnte sich der Blonde zurück, verschränkte die Arme vor der Brust. „Und was für eine Art Gift hast du hier bitte in diesem Flugzeug zur Verfügung?“ Hatte er ein Schmunzeln erwartet, lag er falsch. Der Firmenführer setzte einen kühlen, nicht weiter zu bezeichnenden Ausdruck auf und meinte gelassen. „Bei diesem Gift handelt es sich um eine Droge, die zu verheerender Abhängigkeit führen kann. Wird sie oral eingenommen, beeinflusst sie in kürzester Zeit das gesamte System des menschlichen Körpers. Ihr Einfluss erstreckt sich nicht nur auf rein organische Funktionen, es ist seit einer Weile nachgewiesen, dass sie auch einen erheblichen Einfluss auf die Persönlichkeit hat und zu erhöhter Aggressivität führt. Leider dringt es bei oraler Einnahme sehr schnell in den Blutkreislauf vor und die vom Körper getroffenen Gegenmaßnahmen können die auftretenden Reaktionen nur bedingt mildern. Diese Maßnahmen sorgen zeitgleich jedoch für eine gesteigerte Abhängigkeit. Denn das Gehirn reagiert sofort auf diese Droge und schüttet bei der Verteidigung Dopamin in rauen Mengen aus. Damit wird der Suchtfaktor um ein vielfaches verstärkt.“ Erklärte Seto in einem entspannten, ruhigen Ton.   Mit großen Augen betrachtete Joey den Becher und versuchte das Gehörte zu verarbeiten. „Du verarscht mich oder? Du hast da nicht wirklich so etwas Übles rein getan!“ Kam nun entsetzt von ihm und er starrte den Becher ungläubig an. Er brauchte einen Moment, um sich zu fassen. Die braunen Augen suchten das Gesicht des jungen Mannes und er wirkte bei dem dann folgenden Nicken entsetzt. „Was genau hast du da rein getan?“ Seine Stimme bekam einen kräftigen, beinahe lauten Ton. Er starrte Kaiba über den kleinen Tisch hinweg an und ballte die Hände zu Fäusten. Noch immer war er sich nicht sicher, ob er dem Mann glauben sollte. So absurd diese Aussage auch klang, so glaubwürdig brachte der andere es rüber.  Doch alles, was er bekam, war ein Lächeln. „Zucker! Die Droge, die ich in diesen Kakao getan habe, nennt sich Zucker!“ Für einen Moment war er überfordert. Völlig überfordert und er wusste nicht, was er sagen oder tun sollte. „Zucker?“ Kam langsam von ihm und das Lächeln wurde zu einem herablassenden Grinsen. „Ja, genau, Zucker ist eine der schlimmsten Drogen unserer Zeit. Sie macht uns abhängig und beeinflusst sogar unsere Persönlichkeit. Je mehr Zucker Menschen zu sich nehmen, desto aggressiver werden sie.“ Erklärte der Brünette leicht dahin und fügte noch hinzu. „Wenn wir Zucker zu uns nehmen, steigt der Blutzuckerspiegel und das Gehirn ordnet an, dass eine entsprechende Menge Insulin ausgeschüttet wird. Während der Insulinproduktion kommt es zu einer erhöhten Ausschüttung von Dopamin, ein Hormon, welches uns unteranderem entspannt und glücklich macht. Es ist der Gegenspieler zu Adrenalin, das dir jetzt wahrscheinlich durch die Adern fließt. Wenn wir zuckerhaltige Dinge wie Schokolade zu uns nehmen, schüttet der Körper damit indirekt auch unser Glückshormon Dopamin aus. Darum macht Schokolade so glücklich.“   Für einen Moment wusste Joey nicht, was er sagen sollte. „Du hast mich also nur verarscht?“ Fragte er unsicher und schien sich wieder zufassen. Der Gesichtsausdruck des Brünetten war offensichtlich, doch es mischte sich auch eine gewisse Verlegenheit auf die Wangen. „Mir fiel spontan nichts Besseres ein. Als ich dich da so sitzen sah, dachte ich mir, dass du dich über eine heiße Schokolade freuen würdest. Mir war kurz entfallen, dass ich dir gegenüber nicht mehr versuchen wollte, nett zu sein.“ Die sonst so kühle Stimme hatte einen verlegenen Ton und Joey starrte ihn ungläubig an. „Also, wolltest du doch nett zu mir sein?“ Fragte er nun streng und zurückhaltend blickte der 22-Jährige zu ihm. „Ja, eigentlich wollte ich nur nett zu dir sein. Du wirktest so, als könntest du etwas heiße Schokolade gebrauchen.“ Er wich dem Blick des Jüngeren aus und plötzlich musste Joey lachen. „Ok, das ist akzeptiert. In diesem Fall mache ich gerne eine Ausnahme, obwohl deine Ausrede echt mies war. In jeglicher Hinsicht.“ Ein erleichtertes Grinsen lag noch immer auf seinem Gesicht und nun musste auch der Firmenführer schmunzeln. „Vielleicht ist das so etwas wie ein Entschuldigungstässchen. Ich gestehe damit ein, eine ganze Menge dummer Fehler auf dieser Reise gemacht zu haben, aber…“ Er führte den Rest nicht aus. Joey legte die Stirn in Falten und schien kurz zu überlegen. Dann griff er nach dem Becher und nickte. „Gut, damit komme ich zurecht. Es gibt auch Dinge, von denen ich wünschte, dass sie nie passiert wären. Wie geht es deiner Nase?“   Kurz wich der verlegene Ausdruck einem deutlich unangenehmeren. „Sie tut noch immer weh. Es geht besser, aber du hast mir einen ordentlichen Schlag verpasst. Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet.“ Kam unerwartet ehrlich von ihm. Doch die nächsten Worte waren noch irritierender. „Ich habe gesehen, wie leicht du jedem Angriff von Kamil ausgewichen bist. Du scheinst mir soweit ein guter Kämpfer zu sein. Ist Tala so viel besser als du?“ Nun war es der Blonde, der verlegen den Blick senkte. „Na ja, er ist…“ Doch so richtig mit der Sprache wollte er nicht heraus rücken. „Du bist mir ja auch deutlich überlegen. Ich habe keine Chance gegen dich.“ Murmelte er und starrte in die Sahne, die langsam einsackte. „Woher kannst du das eigentlich? Ich meine, als du mich von Kamil fern gehalten hast, wusstest du doch auch genau, was du machst.“ Murmelte er halblaut vor sich hin. „Neben der strengen Erziehung meines Stiefvaters bestand er auch darauf, dass ich mich körperlich betätigen sollte. Ein gesunder Geist kann nur in einem gesunden Körper leben. Also ließ er mich zusätzlich auch noch Sport machen. Ich hatte zum Glück die Wahl und so kam ich damals zur Kampfsportart Judo. Ich praktiziere das jetzt seit ca. 10 Jahren. Daher sind deine Angriffe nicht sonderlich herausfordernd für mich.“ Gestand der Brünette und lächelte leicht, mit einer gewissen Spur des Spottes. Doch die honigbraunen Augen schauten ihn nur erstaunt an und dann wurde Joey nachdenklich. „Ich kann mich nicht erinnern, dass ich irgendeinen Termin in deinem Kalender gesehen habe, der dazu passen könnte. Machst du das noch immer?“ Wollte der 19-Jährige nun wissen und bemerkte, wie der Blick des anderen aus dem Fenster eilte. Es dauerte einen Moment, bis er den Kopf schüttelte und meinte. „Nein, ich bin aktuell auch nicht aktiv. Es ging zwischen mir und meinem Sensei nicht sonderlich gut auseinander. Er…“ Es war seltsam, wenn der Firmenführer so stockte und doch schwieg Joey, beobachtete ihn weiter. „Judo wird auch als „der sanfte Weg“ bezeichnet. Es geht besonders darum, die Kraft des Angreifers umzulenken und ihn damit zu Fall zu bringen. Einige behaupten auch, dass Judo eine sehr höfliche Sportart ist.“ Für einen Moment schwieg Seto, als er das unterdrückte Grinsen auf dem Gesicht des Blonden bemerkte.   „Ja, falsch liegst du damit nicht. Höflichkeit ist nicht gerade meine Stärke und obwohl ich alle Techniken perfekt beherrsche, mangelt es mir laut meinem Sensei an den „wirklich wichtigen Eigenschaften“ eines Judoka, womit er mir verbot, die Prüfung zum 1. Dan, dem ersten schwarzen Gürtel abzulegen. Er sagte mir direkt ins Gesicht, dass er niemals zulassen würde, dass ich den Meistergrad erreiche, solange mein Herz die Wahrheit des Judos nicht verinnerlicht hätte. Damit setzte er mich vor dir Tür und verlangte, dass ich erst wieder käme, wenn ich seine Worte verstanden hätte und bereit wäre, sie umzusetzen.“ Ehrlichkeit war eigentlich nicht seine Stärke und schon gar nicht, wenn es darum ging, eine Schwäche zuzugeben. Er konnte sich noch daran erinnern, wie Paddy und Viktoria darauf reagiert hatten. So stellte er sich innerlich schon auf die Worte des Blonden ein. „Ok, ich kenne mich damit jetzt Recht wenig aus. Was sind die „wirklich wichtigen Eigenschaften“ eines Judokas?“ Fragte Joey direkt und begann seine heiße Schokolade zu trinken. Seine Augen ließen dabei den 22-Jährigen nicht unbeachtete. „Nun, für mich ist es der Shiai, der Wettkampf mit den anderen. Es geht darum, immer besser zu werden, der stärkste im Ring zu sein und niemals zu unterliegen. Mein Sensei ziertet gerne den großen Meister Kanō Jigorō „Wichtig ist nicht, besser zu sein als alle anderen. Wichtig ist, besser zu sein als du gestern warst!“ Da liegt dann die Auseinandersetzung zwischen uns. Ich denke, dass ich damit beweisen kann, besser als gestern zu sein, wenn ich besser als mein Gegner bin. Mein Sensei sieht das nicht so.“ Seine Stimme hatte einen seltsamen Klang, ein wenig trotzig und nicht bereit, einen Fehler einzusehen.   Nachdenklich nahm Joey einen Schluck und nickte. „Wer ist dieser Kanō? Ist er jemand besonderes?“ Wollte er nun wissen und schleckte sich über die Oberlippe, auf der noch etwas Sahne war. Ein Lachen ließ ihn wieder zu dem Brünetten schauen. „Er ist der Begründer des Judos. Früher war Judo unter dem Namen Jiu-Jitsu bekannt und Meister Kanō entwickelte aus dem bekannten System ein neues, um neben der körperlichen Ausbildung auch die geistige in den Blick zu nehmen. Er wollte auch jungen Menschen diese Kampfkunstart nahelegen und so kam es zu seinem eigenen Stil. Er gilt auch als Begründer des Judos.“ Bei dieser Erklärung bekam Joey große Augen und nickte dann ganz langsam. „Dann lebt er wohl nicht mehr oder?“ Fragte er vorsichtig und Seto nickte. „1884 soll er seinen eigenen Kampfstil gegründet haben, den er Kōdōkan-Jūdō nannte. Er starb im Jahre… warte, das war irgendetwas in den 1930er Jahren.“ Der Brünette zog die Stirn in Falten, kam aber nicht auf die richtige Jahreszahl. „Ich weiß es wirklich nicht mehr genau, irgendetwas um die 1935 oder so. Ich kann es dir nicht genau sagen.“ Gab er schlussendlich unzufrieden von sich und nahm einen Schluck Tee aus seinem Becher. Joey zuckte nur mit den Schultern. „Ich hätte es in 5 Minuten sowieso wieder vergessen. Mach dir darüber keine Gedanken. Ist keine wichtige Information.“ Kurz warf Joey einen Blick in seinen Becher und fragte dann. „Deine Aussage eben klang ein wenig trotzig. Willst du denn überhaupt wieder zurück? Also, in deine Kampfschule?“   Wieder ging der Blick hinaus zum Fenster und ein Schweigen erfüllte die Luft. Es dauerte eine Weile, bis der Firmenführer einen weiteren Schluck nahm und Joey konnte beobachten, wie dieser mit sich rang. Er schien nicht einig, was er wollte oder was er antworten sollte. Erneut trank er aus dem Becher und langsam wandte sich das helle Gesicht wieder dem Gesprächspartner zu. „Es ärgert mich, dass ich so kurz vor dem Ziel nicht weiter komme und mein Stolz verbietet es mir, einfach ein anderes Dojo aufzusuchen. Trotzdem komme ich so nicht näher an mein Ziel. Ich bin der Meinung, dass er falsch liegt und kein Recht hat, mich nicht zu dieser Prüfung zuzulassen. Paddy hat mich schon damit aufgezogen, warum ich mich von einem alten Mann so abweisen lasse. Ich sollte derjenige sein, der ihm sagt, wo es lang geht.“ Stille. Joey konnte die aufbrausenden Gefühle deutlich hören, aber auch eine gewisse Verletzlichkeit. Er blickte auf den traurigen Rest Sahne, der noch auf der Schokolade schwamm. „Wenn du all das außen vorlässt, all deinen Ärger und deinen Sensei und all das…“ Er atmete tief durch. „Ok, dass klingt jetzt echt bescheuert, aber bitte hör mir erst bis zum Schluss zu, bevor du mir sagst, was für ein Idiot ich bin.“ Die weiche Stimme klang fest und überzeugt. Seto nickte ohne ein Wort des Widerspruchs. „Wir leben in einer sehr verrückten Welt. In einer Welt, in der es irgendwie Götter und Magie gibt oder auch nicht, wer weiß das schon. Dabei haben wir auch noch die Wahl, ob wir von unseren Shintō Göttern oder den ägyptischen sprechen.  Aber Bakura und Atemu sind jetzt hier und wir waren in einer digitalen Welt gefangen und so weiter und sofort. Ich glaube, dass der Geist eines verstorbenen Judomeisters irgendwie logisch ist und in diese Welt passt.“ Die rechte Augenbraue des Brünetten schob  sich in die Höhe, doch er sagte nichts. „So, wie ich das verstanden habe, weißt du selbst nicht, was du willst, weil einfach zu viel dabei ist, was gar nicht direkt dazugehört und irgendwie auch doch wieder. Daher war meine Überlegung, wenn du dir vorstellst, wieder in deinem Dojo zu sein und niemand außer dir da wäre, nun, und der verstorbene Geist dieses Kanōs. Ich meine, wenn er dich fragen würde: Was sehe ich als die wahren Werte eines Judokas an? Was würdest du ihm antworten?“   Stille. Es war eine unangenehme, lange Stille, die sich zwischen ihnen ausbreitete. Seto wusste, worauf der Blonde hinaus wollte, doch das lag außerhalb seiner Vorstellungskraft. Das war einfach eine völlig absurde Idee. Wie sollte er den bitte auf diese eingehen? Sein Blick schien ausreichend deutlich zu machen, dass er diesen Weg nicht gehen konnte. Doch noch immer schwieg Seto und mit einem Anflug seltsamer Bestimmtheit meinte Joey nun. „Ok, ich sehe schon, es ist ein wenig zu verrückt für dich. Trotzdem, ich meine, du scheinst selbst nicht zu wissen, was du willst und du siehst dich im Recht. Das kann ja angehen, ich kenne mich da nicht mit den Werten eines Judokas aus, aber ich habe ein wenig das Gefühl, dass du sie mir auch nicht erklären kannst, weil du sie nicht akzeptierst.“ Die Stille blieb und Seto blickte kurz aus dem Fenster, als wollte er einer Zustimmung entgehen. Widersprechen konnte er Joey nicht. „Also, du kannst mir nicht erklären, was die wahren Werte im Judo sind?“ Ein Schlucken war alles, was er als Antwort erhielt und so nickte er. „Ok, dann  machen wir es anders. Stell dir vor, wir sind wieder zurück in Domino, es ist Donnerstagabend und du entschließt dich, nach langer Zeit wieder die Kampfsportschule aufzusuchen. Wo liegen deine Sachen und wie kommst du da hin?“   Der Kampf war so offensichtlich, dass selbst ein Blinder ihn erkannte. Doch Joey schwieg. Er schwieg nach seinen Fragen so stoisch, dass er Seto keine andere Wahl ließ, als darüber nachzudenken. Die eisblauen Augen flüchteten ein weiteres Mal zum Fenster und ihr Blick fiel hinaus auf den blauen Himmel. „In meinem Kleiderschrank gibt es weit oben ein Regal, auf dem liegt mein Gi und darauf mein aktueller Kyu, der Ikkyū, also der braune Gürtel.“ Noch immer schwieg Joey und war erstaunt, dass sich Seto doch auf dieses kleine Experiment einließ. Allerdings hatte er ihm auch nicht so viele Möglichkeiten gelassen. „Dazu ein einfaches und ein kleines Handtuch, frische Wäsche, mehr brauche ich nicht. Das alles passt problemlos in meinen Rucksack und ich würde meine Kawasaki nutzen, um zum Dojo zu fahren.“ Vorsichtig nickte Joey und fragte dann beinahe leise. „Wie sieht er aus? Ich war noch nie in so einem Dojo.“ Seto musste lächeln und sein Ausdruck bekam etwas Sanftes. „Domino ist keine wirklich alte Stadt. Sie hat keine Jahrtausende alte Tradition, so wie viele andere Städte. Hier ist vieles sehr modern, weil viele der Gebäude nicht sehr alt sind. Wenn wir von alten Gebäuden reden, dann sind sie vielleicht 300 Jahre alt, wenn überhaupt. Aber die meisten sind moderne Hochhäuser und der Stadtkern ist höchstens 100 Jahre alt. Der Urgroßvater meines Senseis errichtete die Kampfschule „Shiroi hane“ – die weiße Feder. Sie ist die älteste hier in Domino und liegt etwas außerhalb der Stadt. Nun, mehr oder weniger.  Wenn man die Stadtgrenze überschreitet, kann man das auffällige Dach bereits sehen. Die Stadtgrenzen haben sich in den letzten Jahrzehnten erweitert und so ist die Stadt näher an das Dojo herangerückt. Das Gebäude selbst gleicht einem alten Shitō Schrein und so ist auch alles aufgebaut. Es gibt sogar ein Torii, um auf den Platz zu kommen.“   Vorsichtig lehnte sich Joey zurück und hörte dem nun richtig euphorischen Klang der erzählenden Stimme zu. Auch Seto schien sich zu entspannen und plötzlich schloss er die Augen, um sich besser zu erinnern. Er hob die Hand, und begann unbewusst zu gestikulieren. „Der ganze Platz ist von Bäumen umgeben und du musst zuerst vier oder fünf Treppenstufen hinauf, um durch das Torii zu kommen. Dann musst du noch einmal bestimmt 10 Stuffen hinauf gehen, um überhaupt auf die richtige Ebene zu kommen. Der Blick fällt dann direkt auf einen kleinen Shintō Schrein und ich weiß noch, dass es immer wieder Diskussionen gab, weil niemand nun genau sagen kann, ob es ein Schrein oder eine Kampfschule ist, weil wir keinen Priester haben. Sensei Furukawa meinte immer, dass die Übergänge fließend wären. Wer dem Judo sein Herz schenkt und nach den Regeln der Kampfkunst lebt, lebt auch nach den Regeln der Kami. Es ist nicht ganz leicht mit ihm. Ebenso wie seine Regeln. Jeder, der den Hof betritt, muss als erstes zum Schrein und dort beten. Seiner Meinung nach dient es dazu, den Stress des Tages abzulegen und sich nur auf sich selbst zu fokussieren… und natürlich die Götter.“ Er musste leicht lachen, als er das erzählte. Noch immer glaubte Seto nicht an diese Wesen, weder die einen, noch die anderen Götter. „Danach liegt auf der rechten Seite ein großes, etwas verschachteltes Gebäude, welches sich in einer L-Form hinter den Schrein zieht. Dort lebt Sensei Furukawa mittlerweile allein. Seine Frau ist verstorben und sein Sohn ist vor einigen Jahren ausgezogen, um in Osaka mit seiner Freundin zu leben. Ich weiß nicht einmal, ob dieser Kerl noch immer mit ihr zusammen ist. Ich habe ihn damals gerne gezeigt, dass er offenbar die Talente seines Vaters nicht geerbt hat.“ Plötzlich wurde der Brünette still und schien über diese Aussage nachzudenken. Erinnerungen stiegen in ihm auf. Er konnte sich noch immer gut an den schlaksigen jungen Mann erinnern, der nie auch nur den Hauch einer Chance gegen ihn hatte, obwohl er über 5 Jahre älter war als er. Doch weiter sagte Seto nichts dazu.   Nun dauerte es wieder eine Weile, bis er weiter erzählte. „In diesem Gebäude befinden sich auch die Wirtschaftsräume, die Umkleiden und die Waschräume. Die Wohnräume des Meisters liegen im Gebäudeteil zwischen dem Dojo und den rechts befindlichen Umkleiden.“ Kurz öffnete er die Augen und nahm einen Schluck Tee. Er blickte wieder zu Joey und lächelte schwach. „Obwohl alles nicht sehr alt ist, wirkt der ganze Aufbau, als gäbe es ihn schon Ewigkeiten. Die Türen sind niedrig und die Umkleiden sehr einfach gehalten. An den Wänden gibt es offene Regale, die jeweils in kleine quadratische Fächer aufgeteilt sind. Nicht viel Platz für all die Sachen. Oft passen nicht einmal die Schuhe hinein und wir stellen sie unter die Bank. Sensei Furukawa meint immer, dass wir diesen Platz sinnbildlich für unser Leben sehen sollten. All unsere wichtigsten Dinge sollten in so ein kleines Fach passen, mehr braucht der Mensch nicht an Materiellem. Denn die Menschen, die uns wichtig sind, würden wir eh nicht hinein stopfen wollen.“ Kurz huschte ein breites Grinsen über Joeys Gesicht und er nickte, ohne noch etwas zu kommentieren. „Bevor wir uns umziehen, sollen wir uns noch einmal reinigen. Eigentlich mit eiskaltem Wasser, aber viele tricksen da ein wenig. Das habe ich nie so ganz verstanden. Ich habe wenig Probleme mit dem kalten Wasser.“ Seto bemerkte die großen Augen und schmunzelte bei Joeys spontaner Frage. „Warum muss es denn kaltes Wasser sein?“ Der Firmenführer hatte einen leicht herablassenden Klang in der Stimme. „Oh, laut dem Sensei geht es darum, sich seiner selbst bewusster zu werden und sich auf seinen eigenen Körper zu besinnen. Es sollen aber auch Körper und Geist gereinigt werden, wie beim Misogi Ritual im Shintō Schrein.“ Der Blonde wirkte nicht überzeugt nickte aber. „Keine Sorge, es wird noch besser. Der Weg über den Platz am Schrein vorbei ist nicht überdacht. Das heißt, dass alle in ihrem Gi über den Platz laufen müssen, normalerweise barfuß. Egal, ob es regnet, schneit oder die Sonne scheint. Dabei gilt eine sehr wichtige zusätzliche Regel. Jeder, der den Schrein passiert, muss dort kurz anhalten, sich verbeugen und den Spruch sagen. „Ich bin dankbar dafür, dass ich bin.“ Jedes einzelne Mal, wenn man ihn passiert. Das heißt, selbst im stürmischen, kalten Regen muss man vor dem Schrein anhalten, sich verbeugen und diesen Spruch sagen. Bevor du fragst, der Sensei hat diese Regel damit erklärt, dass es unser eigenes Gefühl für uns stärkt, gleichzeitig aber auch die Angst vor dem Schmerz nimmt. Wenn dir der kalte Regen vertraut ist, kann er dich nicht mehr ängstigen. Außerdem macht er erfinderisch. Einige Jungen ziehen ihren Gi aus, rollen ihn zusammen, um nur in ihrer Unterhose hinüber zum Schrein zu laufen, sich dort zu verbeugen und dann weiter hinüber zum Dojo zu rennen. Wenn man es richtig anstellt, bleibt er fast vollständig trocken.“ Eine gewisse Belustigung lang in diesen Worten und er trank einen Schluck seines kälter werdenden Tees.   „Je nach Wetter stellt der Sensei warme Schüsseln mit Wasser in den Eingang und legt Handtücher aus, so dass die Füße gereinigt werden können. Im Grunde ist der eigentliche Dojo nur eine große, lange Halle, die einen Vorflur besitzt. Dort befindet sich der Eingang in das Gebäude und von dort kommt man in die Halle. Der Boden in der Halle ist mit Matten ausgelegt, die wie große Tatami Matten wirken, sind es aber nicht. In der Mitte gibt es zwei farbige Bereiche, die als Kampf- und Trainingsplatz dienen. Die Halle ist sehr hell, links und rechts sind im oberen Wandteil Fensterreihen und am Ende der Halle ist eine große, Tür, allerdings aus Glas. Das ist der Bruch mit der Tradition. Sie sieht aus wie eine alte, japanische Schiebetür und ist doch durchsichtig. Von hier aus kann man den Blick in den Tempelgarten sehen. Auch hier hat Sensei Furukawa wieder seine Regeln. Alle Schüler müssen zuerst an den Seiten entlang und nach hinten zur großen Tür. Egal bei welchem Wetter wird diese geöffnet und alle stellen sich in einer Reihe auf. Es folgt eine Verbeugung und ein Dank an die Natur, die uns so viel ermöglicht und uns so viel bietet.“ Nichts von alle dem hatte Joey groß kommentiert. Ein Punkt, der Seto gar nicht direkt auffiel, ihn aber in eine angenehmere Stimmung versetzte. Bei Viktoria und Patrick musste er immer alles rechtfertigen, selbst, wenn er nichts dafür konnte. „Wie wirkt die Halle abends? Ich meine, wenn wir davon ausgehen, dass du morgen Abend ganz allein diese Halle betrittst.“ Fragte der 19-Jährige nun und für einen Moment schien sein Gegenüber zu grübeln. Er war sich anscheinend nicht sicher. Der Blick der eisblauen Augen wanderte aus dem Flugzeug und dann schloss er sie erneut. Seto versuchte sich zu erinnern. Es war oft sehr ruhig auf dem Gelände, denn die hohen Bäume schirmten den Lärm der Straße ab. In Gedanken schloss er die Tür der Umkleiden hinter sich und trat auf die kleine, hölzerne Veranda. Sein Blick wanderte über den Schrein und die Halle mit ihrem typisch dunklem Holz und den weißen Wänden. Auch das Dach hatte diese geschwungenen Enden und die weißen Dekorationen unter den Dachschindeln.   Es war ein seltsames Gefühl, wieder hier zu stehen und sich vorzustellen, dass sein Sensei nicht dort war. Er war allein. Ganz allein. Eine eigentlich absurde Vorstellung, aber das war ja die Idee oder? Vielleicht war der Sensei einfach bei seinem Sohn in Osaka. Das war eine Erklärung, die sein Verstand akzeptierte. In Gedanken trat er auf den kalten Stein des Weges und er konnte ihn regelrecht unter seinen nackten Füßen spüren. Wie oft war er jetzt schon diesen Weg gegangen? Er konnte es nicht sagen. Doch seine Ohren wurden erfüllt von dem Rauschen der Bäume und die Luft war so kalt, dass sein Atem gefror. Es war fast Mitte November und dort war es grundsätzlich kälter. Seine Schritte führten ihn hinüber zu dem kleinen Schrein, neben dem zwei Lampen standen, die mit Kerzen gefüllt waren. Sie gaben ein leichtes, warmes Licht von sich. Es gab keinen Kami, dem dieser Schrein gehörte. Eigentlich ein Unding. Noch ein Grund, warum einige in Domino gegen diesen Ort waren. In Gedanken verbeugte er sich zwei Mal, richtete sich wieder auf und klatschte in die Hände, ebenfalls zwei Mal genau auf Schulterhöhe. Er hörte seine Stimme diesen dummen Spruch aufsagen und doch achtete er darauf, dass er weit genug vom Schrein entfernt stand, um keinem Gott den Weg zu versperren. Ein Gedanke, der noch dümmer war, als der Spruch. Der Wind streifte seinen schlanken Körper, trotz des dicken Baumwollstoffes spürte er die Kälte. So verbeugte er sich ein letztes Mal, tief, so wie es sich gehörte und wandte sich dann wieder der Halle zu. Er glaubte nicht an Götter, nicht an all diesen Schwachsinn. Dennoch wusste er genau, wie er sich in einem Schrein zu verhalten hatte. Mit dem rechten Fuß trat er zuerst auf die hölzerne Treppe, die hinauf in das Gebäude führte. Es lag etwas über dem Boden und so musste er drei Stufen überwinden. Dieser Moment, wenn die Füße vom kalten Boden auf das nicht ganz so kalte Holz gesetzt wurden. Etwas, dass er nie vergessen würde. Genauso, wie der Moment, wen die warme Luft aus der Tür strömte und einen ersten Hauch von Zuversicht bot.   Gedanklich ging er Schritt für Schritt durch. Er reinigte seine Füße, seine Hände und trat in die große Halle hinein. Das Licht war gedämpft und nur ein paar fest verankerte Lampen mit Kerzen erhellten den Raum. Das meiste war dunkel. Der Geruch eines Räucherstäbchens lag in der Luft, etwas Schweres, Kräftiges. Er schritt ungerührt an der Wand entlang und hinüber zur hinteren Tür. Auch im Garten waren überall Lampen, die ihr warmes Licht verströmten. Als er die Tür zur Seite schob, ergriff ihn wieder ein Schauer. Der kalte Wind drückte in den Raum hinein und ließ die Kerzen flackern. Ungerührt faltete er die Hände erneut, verbeugte sich und dankte im Stillen. Dann richtete er sich wieder auf und schloss die Tür. Sie war aus Glas und damit etwas Schwerer. Jedes Mal wieder überraschte ihn das Gewicht der Tür.   Was ihn dazu brachte, sich umzudrehen, konnte er nicht sagen. Ein Geräusch oder das Gefühl, nicht länger alleine zu sein. Wie sich ein Teil seines Verstandes dagegen wehrte, konnte er spüren und doch war er nicht fähig dem zu widerstehen. Dort saß er. Ein alter Mann mit einem kleinen Bart, großen, aber gepflegten Augenbrauen und ordentlich gekämmten Haaren. Er trug einen schwarzen Gi, der Gürtel war ebenso dunkel, wie der Stoff des Kampfanzuges. Ruhig und entspannt saß er dort, die Hände flach auf den Oberschenkeln liegend. Die dunkeln Augen blickten Seto an, wissend und bestimmend. Wie angewurzelt blieb Seto stehen und wusste, was er hätte tun sollen. Es dauerte einen Augenblick, bis er sich wieder aus diesem Gefühl lösen konnte. Er trat an den Herrn heran und ging in eine tiefe Verbeugung. Als er sich wieder aufrichtete, deutete der Mann auf den Platz vor sich. Es war still und trotz der seltsam irrationalen Vorstellung, war jede Empfindung deutlich. Der Geruch des Räucherstäbchens, die Wärme des Bodens, das Flackern der Kerzen. Er konnte den Stoff auf seiner Haut spüren und den Druck auf seinen Knien, als sie sich auf den Boden niederließ.   Er wusste es, bevor er wieder zu dem Mann aufblickte. Es war eine seltsam klare Vorstellung, vielleicht, weil er ein altes Photo von ihm vor einigen Jahren gesehen hatte. Er kannte die Antwort und er war sich darüber im Klaren, dass er sie niemals erfüllen konnte. Er dachte an die Nacht, in der er über Joseph hergefallen war. Er dachte an etliche Situationen, Geschäftsverhandlungen, in denen er ohne Gnade die Schwächen der anderen ausgenutzt hatte. Er musste an Mokuba denken, die Art, wie er mit ihm umging, wie er ihn behandelte. Seine Gedanken drehten sich und immer mehr Momente wurden ihm bewusst, die ihn weiter von den „wahren Werten“ entfernten. Schuld packte ihn, eine Form von Angst. Ob er wollte oder nicht, aber eines begriff er in diesem Augenblick deutlich. Es ging nicht darum, dass er diese Werte nicht kannte. Es ging darum, dass er von vorne herein diese Werte niemals erfüllen konnte. Sein kalter Blick versuchte etwas außerhalb des Fensters zu finden, dass ihn ablenken konnte. Das Bild des Dojos und alle dazu gehörigen Empfindungen versuchte er zu verdrängen. Sein Herz schlug schnell und der Atem war flach. Seine Hände zitterten, sodass er fester um den Becher griff. Er war kein guter Mensch. Das war ihm doch von Anfang an bewusst. Er hatte Joseph doch gesagt, dass er kein Herz mehr hatte. Aber warum nahm ihn das jetzt so mit? Es war so schwer für ihn, jetzt die Fassung zu behalten und dennoch konnte er sich nicht erklären, warum er so stark reagierte.   Leise war Joey aufgestanden und hatte sich auf einen anderen Platz verzogen. Er wollte Seto die Zeit geben, denn er hatte ihm deutlich angesehen, dass diese Frage ihn mitnahm. Was auch immer durch den Kopf des Brünetten ging, es hatte ihn berührt. So machte er es sich in einem der Sessel bequem und versuchte noch etwas zu lesen. Lange klappte das jedoch nicht, denn er bemerkte, wie die Müdigkeit immer größer wurde, bis ihm schließlich die Augen zufielen.   An die beiden Stopps konnte er sich nur bedingt erinnern und die meiste Strecke schlief er. Ob es Seto oder die nette Dame gewesen war, konnte er nicht sagen, aber jemand hatte ihm eine Decke übergelegt und das Buch auf dem Tisch platziert. Müde blickte er sich um, Seto war nicht zu sehen. Sein Blick auf die Uhr seines Handys zeigte ihm, dass sie nicht mehr lange unterwegs sein konnten. Die Uhr hatte sich schon angepasst und zeigte nun 7:52 Uhr japanischer Zeit an. Er ließ sich wieder in den Sessel zurück sinken und schloss noch einmal die Augen. Er lauschte auf die Stille im Flieger und… … warf wieder einen Blick auf die Uhr. 8:17 Uhr? Wo war der Kerl denn? Seto war noch immer nicht wieder zurück. Müde stand er auf und faltete die Decke, die er dann auf den Sessel legte. War der Kerl noch immer auf der Toilette? Irritiert und besorgt machte er sich auf den Weg und klopfte an die Tür. „Hey, Seto, bist du hier?“ Fragte er plötzlich und wartete still. Es dauerte nicht lange und die Tür wurde geöffnet. Es war eine schlichte Schiebetür, die in der Wand verschwand. Der Anblick, der sich dahinter zeigte, ließ Joey große Augen bekommen. Seto drückte ein Handtuch unter die Nase, Blutstropfen befleckten das kleine, helle Waschbecken und auch sein Hemd. „Was ist denn bei dir passiert?“ Stieß der Blonde heraus und war schockiert. Die feine, braune Augenbraue zog sich in die Höhe und Seto ließ das blutbeschmierte Handtuch sinken. „Wir fliegen und damit haben wir auch einen höheren Druck. Besonders beim Start und der letzte war ausreichend, um mir erneut Nasenbluten zu bescheren. Dein Schlag war wirklich übel.“ Kommentierte er und warf einen Blick auf den Stoff. Anscheinend hatte seine Nase endlich aufgehört. Auch eine Überprüfung im Spiegel schien ihm dieses zu bestätigen und Joey wirkte zerknirscht. „Schon gut, das war ein effektiver Konter und damit hätte ich rechnen können. Dich zu unterschätzen, war meine Schuld.“   Die Schuld war ihm dennoch anzusehen, er nickte allerding nur schweigend. Joey ließ den 22-Jährigen auf dessen Bitte hin wieder allein und dieser versuchte die Spuren zu beseitigen. Etwas später konnte der Blonde beobachten, wie Seto das weiße Hemd am Tisch auszog und es gegen einen dunklen Pullover tauschte. Nachdenklich musterte er dabei den schlanken, nackten Oberkörper des jungen Mannes. Sein Blick wanderte über die Kratzspuren am Rücken, die nun kaum noch zu sehen waren. Ob es ihm wirklich gefiel? Der Schmerz in seinen eigenen Handgelenken machte Joey deutlich, dass er dazu eine klare Position hatte. Ihm gefiel es nicht. Gar nicht. Absolut nicht. Noch immer waren diese dunkel, bekamen aber langsam einen bräunlichen Ton. Anscheinend begann es abzuklingen. Auch der Schmerz wurde weniger. „Sag mal, wo hast du eigentlich deine Jacke? Immerhin wird es gleich ganz schön kalt in Domino werden.“ Seine Stimme riss Joey aus den Gedanken und erschrocken blickte er auf. „Was? Ich… scheiße, die ist noch im Koffer!“ Kam prompt von ihm und er sprang aus dem Sessel auf. Ein Schmunzeln lag auf Setos Lippen und er meinte. „Wenn du willst, kannst du meinen zweiten Pullover haben.“ Er deutete auf das dunkelblaue Kleidungsstück, welches noch neben ihm auf den Tisch lag. „Ich habe eben beide herausgenommen. Er könnte ein wenig zu groß sein, sollte aber gehen.“ Unerwartet war dieses Angebot und Joey nickte nur. „Klar, dass wäre echt nett.“ Langsam trat er an den Tisch heran und griff nach dem Pullover. „Ist das echt in Ordnung? Irgendwie habe ich das Gefühl, ständig deine Sachen zu schnorren.“   Die blauen Augen blickten ihn fragend an. „Bitte was?“ Kam von ihm und Joey grinste. „Schnorren, erschleichen, erbitten, mehr oder weniger aneignen im Sinne von klauen, aber nicht so richtig.“ Die Verständnislosigkeit wurde zu einer herablassenden Verachtung. „Ja, ich kann nicht leugnen, dass du meinen Kleiderschrank langsam besser kennst, als mein Bruder.“ Er beobachtete, wie Joey den Pullover überzog und hier und da noch etwas daran zuppelte. Die Ärmel waren ein Stück zu lang, doch das gefiel dem Blonden gut. Auf diese Weise konnte er seine Handgelenke besser verstecken und zufrieden schaute er zu dem Brünetten auf, der ein wenig größer war. „Dankeschön!“ Meinte er und ein euphorisches Strahlen breitete sich in seinem Gesicht aus. Die Stewardess teilte ihnen mit, dass sie in wenigen Minuten zur Landung ansetzen würden und mit einem wieder flauen Gefühl im Magen schnallte sich Joey an. Gleich wären sie zurück im Alltag und alles Erlebte erschien dann wie ein seltsamer Traum. Angespannt wartete er ab, blickte aus dem Fenster und stellte fest, dass ihm der Schlaf gut getan hatte. Das Zittern unterdrückte er dieses Mal und mit geschlossenen Augen dankte er, als er das Aufsetzen der Maschine spürte. Sie waren wieder zurück. Es dauerte noch, bis der Jet seinen Platz gefunden hatte, die Stewardess die Türen geöffnet und alles bereit war. „Ich habe jetzt echt Hunger. Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal etwas gegessen habe.“ Brummte der 19-Jährige und Seto scherzte. „Hast du nicht immer Hunger?“   Ein strenger, tadelnder Blick fiel auf den Brünetten, der hinter ihm stand. Joey hatte den Riemen seiner Umhängetasche locker über der Schulter und trat zum Ausgang des Fliegers. „Kein Kommentar dazu!“ Gab er an und bemerkte das Erstaunen des anderen. Dieser schien aber nicht über seine Worte, sondern etwas anderes verwundert zu sein. Etwas, dass er durch die offene Tür auf dem Rollfeld sehen konnte. Nun drehte sich auch Joey wieder zum Ausgang um und blinzelte. Dort stand eine Limousine, eine etwas größere, als er sie bisher gesehen hatte. Dafür fand er davor aber auch Serenity, Mokuba und Noah, Téa und Tristan, Yugi und Atemu, die ihn alle freudig angrinsten. „Hast du das gewusst?“ Fragte er leise und bekam ein ebenso geflüstertes. „Nein, ich dachte die eine Hälfte davon wäre in der Schule, die andere wäre auf der Arbeit und der nicht akzeptierte Rest davon käme mir nie wieder unter die Augen. Allerdings hatte ich Mokuba vorhin geschrieben, wann wir ankommen sollten. Anscheinend hat er das aber schon geplant.“ Kurz war er verwirrt und zog die Stirn in Falten. Der Rest? Was für ein Rest? Wenn es zwei Hälften gab, gab es keinen Rest oder? Nachdenklich schritt Joey zuerst die Treppe hinunter, gefolgt von dem Brünetten. Mokuba und Serenity schienen beinahe vor Freude zu platzen und sich kaum noch zurückzuhalten. Seine kleine Schwester lief schließlich voller Aufregung los und fiel ihm beinahe um den Hals. „Hallo Joey!“ Rief sie, offenbar hatte sie ihn sehr vermisst. „Wow, was für eine Begrüßung. Damit habe ich ja nun gar nicht gerechnet.“ Gab Joey von sich und Seto brummte fragend. „Was habt ihr denn hier alle verloren?“       Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)