Dunkle Nächte von Traumfaengero_- (Wenn das Schicksal zuschlägt...) ================================================================================ Kapitel 16: Kniffel, Zoobesuche und andere Katastrophen ------------------------------------------------------- Kapitel 16 Kniffel, Zoobesuche und andere Katastrophen Als der Wecker um 9 Uhr klingelte, saß der Brünette schon in seinem Bett. Er hatte das schwarze Buch auf dem Schoß und war gänzlich in das Tagebuch Jonathan Harker's vertieft. Dieser hatte mittlerweile das Schloss erreicht, war dort gefangen und hatte die drei Vampirdamen kennen gelernt. Als der Graf ihnen im Gegenzug für Harkers Leben einen Sack mit einem darin wimmernden Kind vor warf, auf den sie sich hungrig stürzten, war es um den brünetten Leser geschehen. Er war fasziniert von der Grausamkeit des Grafen, mit der er den jungen Rechtsanwalt Harker dazu zwang Briefe an seine Verlobte zu schreiben. Wie die Zeit verstrich, bemerkte er nicht. So tief war er in den Roman versunken, dass er selbst die Schritte Harkers von den Wänden hallen hörte. Der Graf verließ das Schloss und der junge Anwalt versuchte verzweifelt zu fliehen. Es war wirklich das erste Mal, dass Seto einen Roman las. Das weiche Leder unter seinen Fingerkuppen spürend, den leichten Geruch von Papier in der Nase… Vorsichtig öffnete sich die Tür und ein schwarzer Wuschelkopf schaute hinein. „Oh, guten Morgen!“ Rief er und sah zu dem in sich zusammen zuckenden Mann. Seto saß da, starrte aus seinen eisblauen Augen zu Mokuba auf und schien dabei bleich vor Schock. Er blinzelte, rührte sich nicht und begriff nicht, wo er war. Mit einem Lächeln öffnete Mokuba die Tür, er hielt einen Brecher heißen Kaffees in der Hand und trat ein. „Guten Morgen.“ Versuchte er es noch einmal und nun nickte sein großer Bruder. „Mor… Morgen…“ Brummte er und schlug das Buch so zu, dass er seinen linken Zeigefinger noch zwischen den Seiten hatte. Mit der rechten Hand fuhr er sich durch die kurzen Haare und wirkte noch immer unglaublich verwirrt. „Was ist mit dir los? Was liest du denn da?“ Fragte der 17 Jährige erstaunt schmunzelnd und hielt ihm den Becher Kaffee entgegen. „Hier bitte.“ Dankend nahm ihn dieser an, sah vorher noch einmal auf die Seitenzahlen und legte das Buch geschlossen zur Seite. „Ähm… Dracula.“ Antwortete er nur und schloss die Augen, während er den Geruch des schwarzen Kaffees dankend einatmete. Die Wärme der Tasse durchströmte seine Hände und entspannte so angenehm. Sein Bruder hatte nach dem Buch gegriffen, sah es sich an und grinste dabei. „Wow, seit wann nimmst du dir Zeit zum Lesen?“ Der 22 Jährige öffnete nur eines der beiden Augen und schien über die Antwort nachdenken zu müssen. Er verzog den Mund ein wenig und nahm erst einen Schluck Kaffee. Dass er sich um eine Antwort drücken wollte, war deutlich. Das Zimmer war noch dunkel, nur die kleine Lampe am Bett erhellte es. Die schweren Vorhänge ließen kein Licht hinein und Seto trug noch seinen hellblauen Pyjama. Die eisblauen Augen wirkten so sanft und warm, während die brünetten, kurzen Haare wirr und ungekämmt waren. „Da war gestern jemand so verrückt und hat mir das Buch auf den Schreibtisch gelegt. Ich habe nur einen Blick hinein werfen wollen und irgendwie… ist es doch interessanter, als ich dachte.“ Ein verlegenes Lächeln hob die schmalen Lippen und Mokuba begann zu grinsen. Er trug einen grünen Wollpullover mit einfachem Strickmuster, seine schwarzen Haare waren mit einem Band hinten zusammen genommen. „Ok, da war jemand wirklich sehr verrückt! Aber das Buch ist ein Klassiker, ich habe es auch schon gelesen. Es ist toll! Ich mag seine Verlobte Mina und bin immer unglaublich froh, wenn der Graf endlich erledigt ist.“ Er blickte in das verwunderte Gesicht seines großen Bruders. „Ich weiß, du magst den Grafen oder?“ Der Angesprochene nickte und dann wurde sein Blick ein wenig hinterhältiger. „Es gibt da noch etwas, dass ich von dir wissen wollte.“ Die Augen verengten sich etwas und er beugte sich zu Mokuba vor. Trotz dem wirren Haar wirkte er wieder gefährlich, ernst und hatte dieses Undurchdringliche im Blick. „Du hast doch heute wieder bei deiner Freundin geschlafen oder?“ Sofort färbten sich die Wangen in einem verlegenen Rot und der heranwachsende Junge wendete seinen Kopf ab, blickte zu den Vorhängen. „Ja, das habe ich.“ Begann er und fragte dann noch dunkler im Gesicht. „Es kommen jetzt aber keine Aufklärungsgespräche oder dergleichen?“ Seine dunkelblauen Augen sahen zu dem Größeren und dieser schüttelte nur leicht lächelnd den Kopf. „Nein, mir ging etwas anderes durch den Kopf.“ Die Erleichterung stand Mokuba deutlich ins Gesicht geschrieben. „Du meintest am Dienstag, dass auch ihr Vater Nichts von euch weiß. Aber du übernachtest doch bei ihr. Das verstehe ich nicht ganz.“ Noch immer war der Schwarzhaarige froh über diese gänzlich andere Frage. „Na ja, ihre Mutter und ihr Vater leben getrennt und sie wohnt bei ihrer Mutter. Ich schlafe also in der Stadtwohnung ihrer Mutter.“ Berichtete er nun freudig und setzte sich bequemer auf die Bettkannte. „Es ist eine vier Zimmerwohnung, mit zwei Bädern und einem großen Balkon.“ Sprach er weiter und seine dunklen Augen begannen vor Glück zu leuchten. „Oh, und sie haben einen Kater, der ist aber schon ziemlich alt und liegt meistens nur auf einem seiner Kissen. Oh, und sie liebt Blumen. Ihr ganzes Zimmer ist voll von Blumen und der Balkon erstrahlt in einem wahren Blumenmeer im Sommer.“ Seto hatte sich in seinem Kissen zurückgelehnt und trank ruhig seinen Kaffee. Es war immer noch so ein irritierendes Gefühl, wenn sein kleiner Bruder über das Mädchen sprach, mit dem er zusammen war. Er beschrieb ihr sanftes Wesen, die freundliche, tierliebe Seite, ihre höffliche, elegante Art, mit der sie sich in wahrer Zurückhaltung üben konnte. Er beschrieb die weichen, glatten Haare, die sie immer zu einem Zopf zusammen genommen hatte und manchmal mit einer Spange hoch steckte. Der Firmenführer lächelte, als er so deutlich erkannte, wie verliebt sein kleiner Bruder war. Es war schön zu hören und doch kam auch der Zweifel in ihm auf. Wenn sein Bruder so vehement ihren Namen verschwieg, weil er ihren Vater nicht ausstehen konnte, wer war dieser Mann dann? Mit den Informationen, die ihm Mokuba mittlerweile gegeben hatte, würde er ihn doch sicher leicht finden können. Jemand, den er wirklich hasste… Nachdenklich stellte er den leeren Becher auf den Nachttisch und schlug die Decke zurück. „Ich sollte jetzt duschen gehen und du hast sicher auch noch etwas zu tun. Ich mache mich fertig und wir treffen uns zum Frühstück?“ Fragte er seinen Bruder und dieser nickte freudig. „Ja, das klingt gut.“ Damit sprang er vom Bett, griff nach dem Becher, um ihn wieder mit zu nehmen. Er war schon an der Tür, als er sich noch einmal umdrehte. „Ich finde es gut, dass ich dir endlich von ihr erzählen kann.“ Gestand der 17 Jährige und lächelte glückselig. Dieses Wochenende fand das Frühstück nicht in der Küche statt. Der Tisch wurde für drei Personen in einem der kleinen Zimmer gedeckt und Noah und Mokuba waren schon dort, als der Brünette dazu kam. Die beiden lachten, anscheinend waren bisherige Probleme zwischen den Brüdern geklärt. So setzte er sich zu ihnen und Noah begann ihn gleich nach dem Buch auszuquetschen, von dem Mokuba erzählt hatte. Egal, wie sehr er sich auch darum drückte, schließlich musste er doch gestehen, von wem das Buch kam und auch wie er dazu kam. Der grünhaarige junge Mann konnte nicht aufhören zu lachen. Er hatte das Telefon zurück auf den Tisch gelegt und Mokuba grinste bis über beide Ohren. „Das ist so typisch für ihn!“ Lachte der 17 Jährige und musste sich die Termine im Kalender noch einmal ansehen. „Also, ausschlafen hat schon mal nicht geklappt, Frühstücken… ok, ja, das lassen wir gelten.“ Er sah aus seinen dunkelblauen Augen zu seinem großen Bruder auf. „Die Idee mit dem Spielen finde ich gut. Nur, was ist Kniffel?“ Er hatte das Handy vor sich auf den Tisch gelegt und hielt seinen Becher Kakao in beiden Händen. Mit großer Freude erklärte Noah ihm alle Feinheiten des Spieles und dann trat ein Funkeln in seine Augen. „Sag mal, hat Wheeler auch für Morgen etwas eingetragen?“ Fragte der Grünhaarige. Bevor Seto überhaupt noch reagieren konnte, hatte Mokuba den Tag schon umgeblättert und begann laut mit den dazugehörigen Uhrzeiten vorzulesen. Mit einem Mal stockte er und hob den Kopf. Seine Augen waren weit vor Erstaunen und er sah seinen großen Bruder an. „Du… du weiß, was hier morgen Mittag drin steht?“ Fragte er vorsichtig und bemerkte die Verlegenheit auf den Wangen des Älteren. Dieser nickte nur schweigend und ignorierte die verwirrten Nachfragen seines Stiefbruders. „Und… und du würdest auch wirklich mit mir… oder mit uns dahin gehen?“ Fragte Mokuba noch einmal und beobachtete genau, wie der andere einen Schluck aus seinem Becher nahm. „Also, wenn du das gerne möchtest, ja, dann gehen wir da hin.“ Erst nach dem freudigen Aufspringen und stürmischen um den Hals fallen von Mokuba, erfuhr auch Noah, um was es ging. Da hatte Joey ja etwas angestellt. Aber er würde gerne mitkommen. Dass Mokuba mittlerweile selbst schon mehrfach im Tierpark Ueno gewesen war, behielt er lieber für sich. Nach all dem Trubel zog sich Seto erst einmal zurück, ihm war das alles deutlich zu viel. Natürlich freute er sich über die scheinbare Offenheit zwischen ihm und seinem kleinen Bruder, aber er wollte auch nicht zu viel davon. Es war so ungewohnt und so konnte er sich zumindest bis zum Nachmittag zurück ziehen. Ihm gingen viele Gedanken durch den Kopf und so genoss er die Möglichkeit des Rückzugs. Mokuba musste erst einmal mit Joey telefonieren und ihm von all dem erzählen. Der Blonde hingegen verschwieg lieber, dass der Firmenführer ihm beinahe eine gescheuert hätte. Zumindest hatte diese Situation so auf ihn gewirkt. Es freute ihn, dass er dennoch sein Ziel erreicht hatte und drückte Mokuba die Daumen für die Kniffel Partie. Diese wurde natürlich von Noah gewonnen. Seto schmunzelte nur still und heimlich. Wer eine solche Rechnerkapazität nutzen konnte um alle passenden Wahrscheinlichkeiten auszurechnen, der war nun einmal im Vorteil. Noch immer kam ihm das alles wie ein irrealer Traum vor, von dem er sich nicht sicher war, ob er gleich aus ihm erwachen würde. Als er nach dem Abendessen verschwinden wollte, hielt ihn Noah am Arm fest. „Du kannst jetzt nicht gehen.“ Brummte dieser leise und sah Mokuba nach, wie der heranwachsende Junge aus dem Zimmer sauste. „Ach ja, und warum kann ich das nicht?“ Fragte er und der Grünhaarige seufzte. Er trug ein schlichtes, schwarzes Longsleeve und dunkelblaue Jeans. „Weil du Mokuba liebst und darum auf jeden Fall die Qualen auf dich nimmst und mit ihm zusammen heute Abend fernsiehst!“ Meinte er nur und als er den fragenden Blick erkannte, seufzte er erneut. „Die Tribute von Panem? Heute Abend? 20:15 Uhr im Fernsehen? Du, er und ich?“ Fragte er noch einmal und sah seinen Stiefbruder direkt an. Doch Seto schien noch immer nicht zu verstehen. „Ok, ich versuche es anders. Die Tribute von Panem gehören zu Mokubas absoluten Lieblingsfilmen und er wird sie sich heute zum 10. Mal ansehen. Du, mein lieber Stiefbruder, wirst sie mit ihm sehen und ihm eine sehr große Freude bereiten!“ Versuchte es der 22 Jährige erneut und hatte dabei unerwartet Erfolg. An diesem Abend lernte Seto einige Dinge kennen, von denen er weder den Sinn noch den Zweck verstand. Als er von Noah ins „Wohnzimmer“ geschoben wurde, fand er den niedrigen Couchtisch unter Chips, Snacks, Dips und nicht näher einzuordnenden Knabberkram begraben. Die dunkelblauen Augen seines Bruders leuchteten ihn dabei an, die Fernbedienung schon bereit in der Hand. Trotz aller hochmodernder Technik wurde der Firmenführer mit dummen Werbesprüchen konfrontiert und versuchte den Sinn dahinter zu verstehen. Obwohl sie die Werbung vorspulen konnten, musste sie als fester Bestandteil des Free TV gesehen werden. Irritierend war auch das Herauszögern gewisser Bedürfnisse, trotz der Möglichkeit den Film einfach anzuhalten. Das alles waren ihm äußerst suspekte Dinge, die aber für Noah und Mokuba einen festen Sinn ergaben. Das nannte sich dann traditionelles Fernsehen oder so ähnlich… Obwohl beide den Film schon dutzende Male gesehen hatten, waren Zwischenfragen nicht gestattet. Natürlich wusste Seto, um was es in dem Film an sich ging. Als Entwickler von Spielen musste er das, aber Fragen zu Einzelheiten waren tabu. Dafür war dann die Werbepause zu gebrauchen! Auch die im Anschluss folgende Diskussion, wie eine solche Gesellschaft überhaupt existieren konnte und… und… und… waren dem Brünetten verstörend unbegreiflich. Der Hinweis darauf, dass es ja nur ein ausgedachter Film wäre, wurde mit finsteren Blicken kommentiert. Innerlich vollständig verwirrt und noch immer aus der Bahn geworfen, zog sich der junge Mann zurück. Ihm war das zu viel. Warum nutze man Technik nicht, die ja vorhanden war? Warum befasste man sich mit absolutem Schwachsinn, wenn man ihn beseitigen konnte? Durch einen einfachen Knopfdruck? Und warum diskutierte man über solche Filme? Müde, verwirrt und angespannt, gönnte er sich noch eine warme Dusche und verzog sich in sein Bett. Die nächsten Seiten Draculas halfen ihm alle anderen Gedanken zu verdrängen. Der nächste Morgen begann anders, als der letzte. Zwar kam Mokuba auch dieses Mal mit einem Kaffee, doch deutlich früher als gestern. Seto war über seinem Buch eingeschlafen und dieses lag nun am Boden. Sanft weckte ihn der 17 Jährige und zog die Vorhänge ein Stück auf. Draußen war es noch dunkel. Nun lernte Seto noch etwas Neues. Man konnte von Romanen träumen. Dass man von Situationen aus dem richtigen Leben Albträume oder anders geartete Träume hatte war ihm ja bekannt. Wie oft hatte er den bitteren Geschmack der Niederlage gegen Yugi des Nachts erlebt? Aber warum befand er sich auf einmal auf dem großen Schiff voller Angst dem Grauen ausgeliefert? Nun ja, er hatte es wenigstens bis zum Schluss überlebt. Er war der letzte, der noch auf dem Schiff um sein Leben kämpfte, bevor ihn Mokuba weckte. Er konnte sich nicht daran erinnern, je so ein Wochenende erlebt zu haben. Mokuba und Noah waren den ganzen Morgen aufgedreht wie Aufziehpuppen und kaum nach dem Frühstück waren sie schon mit dem Wagen in die Stadt unterwegs. Sie würden doch mit dem Shinkansen fahren, darauf hatte Mokuba bestanden. Wenn Joey, Yugi und die anderen schon nicht mitkommen durften, wollte er wenigstens das! War er überhaupt schon einmal in seinem Leben mit diesem Zug gefahren? Seine Blick schweifte durch die Halle des großen Bahnhofes in Domino. Trotz der vormittäglichen Stimmung und der kühlen Temperaturen waren hier viele Menschen unterwegs. Da er einen privaten Jet besaß, nutze er die öffentlichen Verkehrsmittel nicht. Sein Blick war an einem großen Schild hängen geblieben, an dem die einzelnen Bereiche der Japan Rail abgebildet waren. Sie zeigten die Strecken, die es schon gab, die einzelnen Haltestellen und auch die noch im Bau befindlichen Abschnitte. Sie würden die JR Central nutzen, die sie bis nach Ueno brachte. Das klang ja wenigstens so, als wären sie nahe an ihrem Ziel, wenn sie dort in Tokio ankamen. Er konnte sich nicht daran erinnern überhaupt einmal mit einem Zug in Japan unterwegs gewesen zu sein. Für Noah und Mokuba schien es schon eine gewisse Gewohnheit darzustellen. Sie hatten ihn hier stehen lassen und waren davon gesaust. Sie wussten genau, wo sie hin mussten, wo sie die Tickets fanden, was zu bezahlen war und zu welchem Gleis sie gingen. Seto wurde eher mitgezogen. Kannte er den Bahnhof hier überhaupt? Während er den beiden hinter her ging, musterte er die große, modern gehaltene Halle, in der immer wieder traditionelle, japanische Motive eingearbeitet waren. Sie mussten über eine Rolltreppe hinauf zu den Gleisen und nun bemerkte der Brünette noch etwas. Alles hier hatte eine gewisse Ruhe. Sie schienen alle im gleichen Schritt zu gehen, das gleiche Tempo zu haben, als wären sie eine Masse. War das normal? Mit einem Seufzen ergab er sich in sein Schicksal und betrat den schon bereit stehenden Zug. Mokuba schien ein bestimmtes Ziel im Auge zu haben, als er durch die Reihen blauer Sitze schritt. Schlecht sah es ja nicht aus, aber so wirklich gefiel Seto die Gestaltung des Innenraumes nicht. Drei Sitze auf der einen und zwei auf der anderen Seite des Ganges. Zum Glück hatte es nicht die Ausmaße, die er erwartete. Doch quengelnde Kinder konnte er jetzt schon hören und in der Luft vermischten sich verschiedene Parfüme Sorten. Sehnlichst wünschte er sich seine geräumige Limousine zurück. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sich eine lautlose Schiebetür öffnete und sie in einen anderen Bereich kamen. Hier war es deutlich ruhiger und außer ihnen waren nur gut 7 andere in dem geräumigen Abteil. Ein Japaner in seinem schwarzen Anzug sah über seine Zeitung und nickte ihnen kurz zu. Auch die anderen Anwesenden hätte er eher in seinem Verhandlungssaal erwartet. Hier war die farbliche Gestaltung zwar etwas dürftig gehalten, ob es sich um ein Grün oder ein Grau handelte, konnte der Firmenführer nicht definieren, aber es war definitiv angenehmer. Eine freundliche Stille hieß sie willkommen und die Sitze waren deutlich breiter. Auf den ersten Blick erkannte der 22 Jährige die verstellbare Lehne und den Stromanschluss. „Das ist die Green Class oder auch die erste Klasse. Wir wollten es dir dann doch nicht antun mit dem gewöhnlichen Pöbel zu reisen.“ Neckte ihn Noah und ließ sich in einen der Sitze fallen. „Mach es dir nicht so bequem, wir sind in 20 Minuten da.“ Gab Mokuba zu bedenken und Noah hob die Augenbrauen. „Als ob ich das nicht wüsste.“ Lachte er frech und sah zu seinem Stiefbruder hinüber. „Wann sagst du es ihm denn endlich?“ Fragte er nun direkt, während der brünette Mann seinen Schal löste. „Wem was sagen?“ Dass er nicht das erste Mal den Shinkansen benutzte, sollte seinem Bruder ja aufgefallen sein. Doch das er auch nicht zum ersten Mal in den Tierpark fuhr, war ein anderes Geständnis. So rückte er langsam mit der Sprache heraus und gestand, dass er sogar eine Jahreskarte für den Tierpark besaß. Während der kurzen Fahr wurde Seto mit Informationen versorgt, die er niemals erwartet hätte. Mokuba berichtete ihm von der Entstehung der Japan Rail und der Bedeutung der einzelnen Bereiche, die zu unterschiedlichen Gesellschaften gehörten. Stolz gab er mit der Pünktlichkeit der Hochgeschwindigkeitszüge an, die bei wenigen Sekunden lag. Erst bei dem Erdbeben 2004 mit einer Stärke von 6,4 war zum ersten Mal einer der Züge entgleist, wobei es keine Toten gab. Die Bauweise machte diese Züge zum sichersten Transportmittel der Welt und dem pünktlichsten. Die Trennung vom Güterverkehrt hatte dabei einen enormen Einfluss. Als sie in Ueno ausstiegen, wusste Seto auch alles über den momentanen Bau der Strecke Chūō-Shinkansen zwischen Tokio und Nagoya, die die Reise auf 40 Minuten verkürzte und den ersten führerlosen Zug, der diese Strecke benutzen würde. Sie waren in einem N700 Z gefahren, der seit 2005 in Betrieb war. Bei allen Göttern, woher wusste sein Bruder das alles? Auch in diesem Bahnhof gab es keine Hektik, eine unglaubliche Ruhe herrschte in den Gängen und den Hallen. Irritiert ließ sich der Brünette mitziehen und bekam zu hören, dass sie innerhalb von 5 Minuten im Tierpark waren. War er sich denn sicher, noch immer in dieser Welt zu sein? War er wirklich wach oder träumte er das alles nur? Noch einmal drehte er sich um, sah den schlanken, weißen Körper des N700, der dann in der Masse unterging, während er auf der Rolltreppe in den unteren Bereich fuhr. War es so Joey ergangen, als sie am Dienstag im „la vita“ gewesen waren? Mokuba hatte seine Hand ergriffen und zog ihn sanft mit sich, führte ihn durch den großen Vorraum und hinaus in die kühle Luft. Hier schien langsam wieder mehr Leben aufzukommen. Auch Noah schien den Weg durch die Menge zu kennen und so wurde er von den beiden halb geschoben und halb gezogen. Es dauerte wirklich nur wenige Minuten, bis sie das große Haupttor erreicht hatten. Mit großen Augen betrachtete er den Eingang, der sich in alter Tradition erhob und der dennoch seine gewaltige Pracht nicht verloren hatte. Mokuba zog ihn mit zur Kasse und hatte sein Portemonnaie schon heraus geholt. „Zwei Erwachsene bitte.“ Meinte er und legte die 1.200 Yen schon in die kleine Schale. Trotz der kühlen Jahreszeit war der Zoo gut besucht und während sich vor ihnen ein größerer Platz ausbreitete, erklärte ihm sein 17 Jähriger Bruder das wichtigste über diesen Tierpark. Er wurde 1882 gegründet und war damit der älteste Tierpark in ganz Japan. Die Schreie der Fasanen klangen in seinen Ohren und er hörte das Lachen der Kinder. War er schon jemals in einem Zoo gewesen? Zuerst kamen die japanischen Tiere, vielerlei Vögel, aber auch Hirsche und kleine Pandabären waren dabei. Zu allen wusste Mokuba etwas zu erzählen, wenn auch manche Käfige leer waren. Sie hielten sich weiter links, sahen die Eichhörnchen und Präriehunde, die mit im Gehege der Bisons waren. Hier hatte sich der Weg geteilt, in der Mitte befand sich ein Affenkäfig, dennoch weitläufig und gut ausgestattet. Dahinter befanden sich Elefanten in ihrem Gehege. Sie gehörten einer kleineren Art an. Hinter den Makaken schien es den Eisbären und Pinguinen erst so richtig bei diesen Temperaturen zu gefallen. Sie gingen ein Stück zurück, nahmen die Monorail, die sie zur anderen Seite des Parks brachte. Der 17 Jährige wusste, dass sie heute eh nicht alles sehen würden und so hatte er den Morgen schon die schönsten Dinge herausgesucht. Zwischen den Biebern und den Kängurus erreichten sie ein kleines Restaurant, in dem sie zu Mittag aßen. Die Zeit verging wie im Flug und so machten sie nur noch einen kleinen Rundgang zu den Giraffen, den Nashörnern und Flusspferden. Es folgten noch ein paar andere, afrikanische Tiere, bevor sie wieder zur Monorail Station Westgarten zurück kamen. Das sie schlussendlich über mehrere Stunden hier verbracht hatten, war dem Firmenführer gar nicht aufgefallen. Müde ließ er sich in seinen Sitz sinken, Mokuba setzte sich wieder neben ihn. Sie hatten noch etwas Schnelles zu Abend gegessen und nun kannte Seto auch die kleinen Nudelsuppenstände, von denen sein Bruder immer so schwärmte. Seine Füße taten ihm weh, sein ganzer Körper schien kraftlos und unwillig, noch einmal wieder aus diesem unglaublich weichen und bequemen Sitz aufzustehen. Mokubas Kopf war kaum nach der Abfahrt gegen seine Schulter gesunken, der Schwarzhaarige war eingeschlafen. Das war ein unglaublicher Tag. Hatte er das wirklich erlebt? Noah sah zu ihm herüber und musste grinsen. „Du siehst so fertig aus, bist du etwa müde?“ Neckte er seinen Stiefbruder und stütze sein Kinn in die Handfläche, den Arm hatte er auf die Lehne gestellt. „Müde ist gar kein Ausdruck.“ Brummte er und sah zu seinem kleinen Bruder. „Du solltest so etwas öfter machen.“ Meinte der Grünhaarige mit einem Mal und wurde ernst. „Auch wenn er aufgedrehter gewirkt hat, er war heute viel ruhiger, viel ausgeglichener als sonst. Ich weiß, ich bin hier keiner, der in solchen Sachen irgendetwas sagen darf. Aber seit Dienstag, seit ihr essen ward, ist er viel… na ja, irgendwie… ausgeglichener.“ Meinte Noah ruhig und musterte den Jungen, der so tief schlief. Als Seto an diesem Tag die Tür seines Zimmers hinter sich schloss, war er verwirrter denn je. War das heute wirklich alles geschehen? War dieses Wochenende real? Hatte er wirklich mit seinem Bruder so viel Zeit verbracht ohne, dass sie sich stritten? Mokuba hatte ihn wirklich kein einziges Mal angeschnauzt, war nicht frech geworden oder hatte sich „daneben“ benommen. War das wirklich alles geschehen? Nachdenklich lehnte er an der Tür, spürte den kühlen Widerstand in seinem Rücken. Wenn er jetzt schlafen ging… wenn er morgen wieder aufwachen würde… dann hätten sie nicht erst Freitag? Dann war doch wirklich Montag? Selbst die warme Dusche half ihm dieses Mal nicht. Er wusste nur eines, es wäre ungerecht sich für dieses Wochenende an Joey zu rächen. Aber er täte es trotzdem! Der kleine Scheißer hatte sich in sein Leben eingemischt und das tolerierte er nicht! Dafür würde dieser Köter Morgen büßen, er würde bluten! Vielleicht war es Morgen an der Zeit für eine kleine Pressekonferenz. Er fuhr sich mit dem Handtuch noch über die feuchten Haare, als er nach dem Buch griff. Oh, bevor er sich darüber Gedanken machte, musste er noch dieses verfluchte Buch zu Ende lesen. Ja, Mina schien Mokuba wirklich zu gefallen. Wie sie aufrichtig um das Leben ihrer Freundin kämpfte. Langsam spitze sich alles zu, alle Figuren waren anwesend und es war klar, dass nun das große Finale folgte. Aber wie ging diese Geschichte aus? Müde und doch viel zu aufgedreht um jetzt schlafen zu können, setzte sich Seto in sein Bett. Den hellblauen, seidenen Pyjama hatte er schon an und begierig schlug er die Seiten auf und suchte die Stelle, an der er aufgehört hatte. Für Rache war auch noch Morgen Zeit, jetzt musste er erst einmal weiter lesen. Jetzt musste er wissen, wie sie Graf Dracula zur Strecke brachten. Dass der Gute nicht der Sieger sein würde, war ja immerhin schon klar oder? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)