Dritter Teil: Das Licht der Welt von abgemeldet (Fortsetzung von "Du kennst mich nicht und doch hasst du mich" und "Gift in Körper und Seele") ================================================================================ Kapitel 1: Fremde Länder und neue Gesichter ------------------------------------------- Fremde Länder und neue Gesichter Langsam hob er die Hand, tastete nach der Sonnenbrille, die auf seiner schmalen Nase saß und rückte an ihr. Seine hellen Lippen zierte ein zufriedenes Lächeln, als den Arm über den Bauch legte und sich genüsslich streckte. Warme Sonnenstrahlen verwöhnten ihn und kühlere Windbrisen ließen das Wetter perfekt wirken. Erst vor wenigen Stunden war die Sonne hinter den zahlreichen Gebäuden Dominos aufgetaucht, nach nicht allzu langer Zeit würde sie die dort lebenden Menschen ihrer brühenden Hitze aussetzen. Ja, es war Sommer, und zwar ein besonders herrlicher. Er ließ nichts zu wünschen übrig. Zumeist wirkten die Temperaturen übertrieben hoch, doch Abkühlung verschafften die zahlreichen Seen und Schwimmhallen der Stadt. Viele Menschen tummelten sich in ihrer Freizeit an diesen Orten, doch die Klassen 3a und 3b der Domino Highschool, waren für die nächsten zwei Wochen nicht auf die lebenswichtig erscheinende Erfrischung angewiesen. Warum? Nun, an diesem Tag begann die heiß ersehnte Klassenfahrt. Die Klassenfahrt von Japan nach Deutschland und um genauer zu sein, nach Thüringen. Man munkelte, dass es in der bergigen und waldigen Gegend immer kühler war, von den Nächten ganz zu schweigen. Einem jeden kam diese Abwechslung gelegen, doch natürlich existierten auch in diesem Fall gewisse Ausnahmen. Es sollte ja angesehene Geschäftsmänner geben, die sich nach einer langen und überaus qualvollen Ruhepause endlich der Arbeit zuwenden durften, sich jedoch von Menschen, die ihnen nahe standen, überreden ließen, die Ruhepause zu verlängern, um an der Klassenfahrt teilzunehmen. Die gewisse Ausnahme symbolisierte in diesem Fall zweifellos Seto Kaiba, der sich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln gewehrt hatte und letzten Endes doch klein beigeben musste. Die erste Klassenfahrt war es, an der er teilnahm, die erste Reise gemeinsam mit Joey in ein fernes Land. Reisen waren prinzipiell keine Besonderheit in dem Leben des Firmeninhabers, andere Umstände jedoch schon. Joey schloss die Augen, schlug die Beine übereinander und streckte sich wohlig auf der überaus harten Unterlage. Er hatte es sich auf einer Bank gemütlich gemacht, neben ihm stand ein Koffer, daneben knietschte ein Rucksack auf dem Boden. Heute war er sehr früh aufgestanden. Etwas, das nicht oft im Leben des blonden Rebellen vorkam. Doch wenn wichtige Anlässe riefen, dann konnte er sich nicht sicher genug sein, pünktlich zu kommen. Nun, diesmal hatte er es bewerkstelligt... und war zu früh. Er befand sich bereits vor dem Flughafen, an dem sich die Schüler und Lehrer einfinden würden. Doch bisher war niemand gekommen. Er setzte zu einem herzhaften Gähnen an, ließ ihm freien Lauf und kämpfte sich in eine aufrechte Haltung. Das Haar stand ihm zu Berge, das Shirt war durch das Räkeln zerknittert und in den Augen, die sich hinter den dunklen Gläsern versteckten, lag noch deutlich der Schlaf. Gemächlich lehnte er sich zurück, legte die Beine gekreuzt auf den Koffer und faltete die Hände auf dem Bauch. Wie so oft auch in den letzten Minuten, zog ihm das Bild eines dampfenden Kaffees durch den Kopf und das Wasser lief ihm im Mund zusammen. Längst hätte er sich diesen Traum verwirklicht, wenn er nicht an diesen Ort, um genauer zu sein, an diese Bank gebunden wäre. Er musste auf seine Freunde warten... hinzukommend war er zu faul, um aufzustehen und seinen Koffer erneut spazieren zu tragen. Diese Art von Spaziergang behagte ihm nicht. Er begann mit den Fingern zu trommeln, legte den Hinterkopf in den Nacken und zu sah zum Himmel auf, der blau und erheiternd über ihm lag. Er hatte eine herrliche Zeit hinter sich, und eine herrliche Zeit wären auch die folgenden knappen zwei Wochen. Er blinzelte und fand wieder zu dem Lächeln zurück. Das Schulfest. Er konnte sich daran erinnern, als wäre es gestern gewesen, als wäre er erst am vorherigen Tag mit weichen Knien auf die Bühne hinaus getreten. Der Auftritt war ein voller Erfolg, weniger angenehm hingegen, waren die Folgen gewesen. Lange, auch nach den Ferien, sprach jeder darüber und öfter war darum gebeten worden, die spontan zusammengestellte Band zur festen Schulband werden zu lassen. Wieder schloss Joey die Augen und ließ das Gesicht zur Seite sinken. Durch dieses Flehen und Betteln hatte man nichts erreicht, außer, dass sich die Miene eines gewissen jungen Mannes zusehends verfinsterte und er den Anschein erweckte, tollwütig nach jedem zu schnappen, der seinen Weg kreuzte. Kaiba hatte diesen Rummel nicht genossen, und mit seiner Entscheidung, die er jedem mit einem deutlichen "Vergiss es!" mitteilte, war Joey eigentlich zufrieden. Eigentlich... Irgendwie verspürte er die Sehnsucht in sich, diesen Auftritt zu wiederholen. Und obgleich ihm eine der schweren Pauken auf den Fuß gefallen war, machte es unglaublichen Spaß, Schlagzeug zu spielen. Und Kaiba? Der schmiedete bereits perfide Pläne, wie er die Firma unter seine vollkommene Kontrolle zurückbringen könnte, die trotz seines längeren Wegbleibens nicht gelitten hatte. Er verschärfte sich auf den Gedanken, lauerte der Arbeit förmlich auf und stürzte sich auf sie, sobald das Verbot endlich an Kraft verloren hatte. Mehrere Wochen hatte er infolgedessen keinerlei Zeit für nichts und niemanden und jeder gönnte es ihm. Denn erst mit seiner Arbeit blühte Kaiba auf. Erst der Stress machte ihn zu dem, der er war. Der Stress und die Geschäftigkeit, die Strenge und die Übersicht über alles und jeden zeichneten ihn aus und verstärkten seine Persönlichkeit. Joey hatte ihn in der letzten Zeit nur noch in der Schule gesehen, und dennoch war er zufrieden. Er sah und spürte, wie gut es Kaiba ging, musste ihn nur manchmal rügen und Warnungen erteilen. Arbeiten nicht überarbeiten! Warum sagte er so etwas noch? Niemand hielt sich daran und dennoch hatte alles seine Ordnung. Das Weihnachtsfest hatte sich als gute Gelegenheit enttarnt, Kaiba seinem Schreibtisch zu entreißen. Es war eine schwere Mission gewesen, die Überredungskünste wurden strapaziert und letzten Endes verbrachten Kaiba und Mokuba jenen Abend bei der kleinen Familie Wheeler. Wenn Joey daran dachte... die Stunden, in denen sie zusammen gesessen und sich unterhalten hatten, waren nur mit einem Wort zu beschreiben: Herrlich! Herr Wheeler schien Kaiba endlich eine ehrliche Chance zu geben; von ihm stammte die Einladung, sowie der Vorschlag. Was, fragte sich Joey immer wieder, hatte er getan, um ein so wundervolles Leben verdient zu haben. Neujahr hatten sie getrennt voneinander gefeiert, wobei Joey befürchtete, dass es im Hause Kaiba keinerlei Feier gegeben hatte. Mokuba bestätigte diese Befürchtung nach einem langen Verhör. Dann, im Januar, war Joey achtzehn Jahre alt geworden. Die kleine Wohnung war vor Gästen beinahe aus ihren Nähten geplatzt. Der ganze Freundeskreis war da gewesen. Bakura, der die meiste Zeit des Abends damit verbrachte, unentschlossen vor dem Buffett zu stehen. Yugi, der an jedem Orangensaft roch, aus Angst vor auch nur einem Tropfen Alkohol. Tea, die Herrn Wheeler in ein philosophisches Gespräch über Gott und die Welt verwickelte. Tristan, der oft im Bad vor dem Spiegel zu finden war, um den Halt seiner Frisur zu überprüfen. Duke, der mit einer Flasche Bier vor dem Fernseher saß und freudig trällernd, so manches Lied begleitete. Kaiba, der sich abschottete und aus dem Fenster lehnte, um dem Lärm und der stickigen Luft zu entgehen und sich eine Zigarette zu gönnen. Und Joey, der die dunkle Bedrohung des Alkohols unterschätzte und für eine peinliche Schau verantwortlich war. Auch dieser Abend... herrlich. Er kratzte sich am Kinn. Irgendwie musste er in seinem Bett gelandet sein, nachdem der Boden unter seinen Füßen nicht mehr stabil genug erschien, um auf ihm Halt zu finden. Irgendjemand musste ihn in sein Bett geschleppt haben. Jedenfalls war die kurze Reise dorthin nicht allzu angenehm gewesen. Bei der schmerzhaften, jedoch amüsanten Erinnerung musste er leise lachen. Im Februar hatte er ein langwieriges Praktikum in der Kaiba-Corporation absolviert. Kaiba hatte die Bewertung übertrieben streng ausfallen lassen, das war gemein. Jeder konnte mal auf der Treppe stolpern und einen großen Aktenberg über zwei Etagen verteilen. Jeder konnte mal Kaffee über wichtige Verträge verschütten und die falschen Unterlagen in den Schretter stecken. Seine geistige Abwesenheit war kein Wunder, wenn er Kaiba nach einer langen Zeit, in der er ihn nur in der Schule gesehen hatte, für zwei Wochen um sich hatte, jeden Tag den ganzen Tag. Er musste ihn doch beobachten und nach dem Tattoo suchen, da fiel es ihm eben nicht auf, dass er bedeutsame Dateikarten als Malunterlage benutzte! Er hatte großes Unheil angerichtet und für Unruhe gesorgt. Die Mitarbeiter jedenfalls, denen er auch trotz ihres verzweifelten Widerstandes unter die Arme gegriffen hatte, wirkten bei dem Abschied herzlicher, als bei der Begrüßung. Wie dem auch sei. Daraufhin hatte er eine lange, anstrengende Schulzeit hinter sich gebracht, hatte mit der Theorie gekämpft und seine Noten verbessert, bis Kaibas Gesichtszüge nicht mehr entgleisten, wenn er ihm die Notenbescheide zeigte. Nun war er hier, nun sah er eine erholsame Zeit auf sich zukommen. Als sich ein Schatten über ihn warf, kehrte er in die Realität zurück, hob den Kopf und blinzelte. Mit einer gemächlichen Bewegung ließ Kaiba den Gurt der Tasche von seiner Schulter rutschen, setzte sie auf dem Boden ab und schob den Koffer mit dem Fuß zur Seite. Dann schöpfte er tiefen Atem, zupfte an seinem schwarzen Hemd und nahm den blonden, jungen Mann in Augenschein, der faul auf der Bank saß und unter einem verspielten Lächeln den Kopf schief legte. "Hallo, schöner Mann. Dich kenne ich doch." Eine der schmalen Augenbrauen hob sich über dem schwarzen Glas der Sonnenbrille, die Gesichtszüge verblieben in Ernsthaftigkeit. Nur ein gehässiges Grinsen war zu erkennen, das unscheinbar und kurz an den schmalen Lippen zog. "Schlafen und betteln ist hier verboten." Tadelnd schüttelte Joey den Kopf, behielt sein Lächeln bei und klopfte neben sich auf die Bank. "Komm, setz dich und bettel mit." Kaiba machte einen engen Bogen um den Koffer des Blonden und ließ sich neben ihm nieder. Und sobald er saß, blickte er sich suchend um. "Noch niemand da?" Er warf seiner Uhr einen flüchtigen Blick zu, zuckte mit den Schultern und lehnte sich zurück. Joey jedoch, hob die Beine von seinem Koffer, rutschte zur Kante der Bank und wandte sich dem Brünetten zu. Und während sich dieser ein interessantes Straßenschild betrachtete, hob er die Hand, legte den Zeigefinger unter sein Kinn und zwang ihn mit einem sanften Druck, das Gesicht zu ihm zu drehen. Kaiba wehrte sich nicht und sobald er sich in der richtigen Position befand, griff Joey nach seiner Sonnenbrille und zog sie etwas nach vorn, so dass er die Augen sehen konnte. Er rutschte näher, musterte sie streng und biss sich einschätzend auf die Unterlippe. "Vier Stunden", murmelte er nach einem langen Grübeln und postierte die Brille wieder am gewohnten Platz. Kaiba schüttelte den Kopf. "Drei." "Du...", entsetzt öffnete Joey den Mund, "... dir steht eine Tagesreise bevor und du nimmst dir gerade mal drei Stunden Schlaf?" Rügend hob er den Zeigefinger. "Das geht nicht!" "Alles geht", erwiderte Kaiba unberührt. "Befürchte ich auch", seufzte Joey und ließ sich gegen die Lehne zurückfallen. Somit schwiegen die Beiden. Nachdenklich beobachtete Joey einen Stein, der auf dem sauberen Gehweg nichts verloren hatte. Huch, wie kam der denn dahin? Er fixierte ihn scharf, saugte an seinen Zähnen und bearbeitete auch seine Lippen. Kaiba rümpfte die Nase, rückte sich zurecht und begann am Ärmel des Hemdes zu zupfen. Joey beobachtete den Stein. Kaiba zupfte weiter und wurde dann unausweichlich auf eine lange Strähne aufmerksam, die ihm einen Teil der Sicht versperrte. Also ließ er von dem Ärmel ab, fuhr sich durch den Schopf und rieb sich den Nacken. In dieser Sekunde riss sich Joey von der spannenden Beobachtung los und lugte zur Seite. Nur kurz verfolgte er die eitlen Bewegungen des Anderen, dann grinste er und sah sich dazu gezwungen, an dieser Beschäftigung teilzunehmen. Ohne zu zögern hob er die Hand und zerzauste Kaibas Haar. Dieser schnitt eine Grimasse, vergrößerte den Abstand zwischen ihnen und begann hastig sein Haar zu richten. Joey beobachtete ihn entzückt, ließ sich tiefer rutschten und verschränkte unter einem genüsslichen Seufzen die Arme hinter dem Kopf. "Ist das Wetter nicht herrlich?" "Wie alt bist du!" Kaiba schüttelte den Kopf, rückte an der Sonnenbrille und kehrte zu der Mimik zurück, die man von ihm gewohnt war. "Über die Verteilung der Rechte müssen wir noch einmal sprechen." Joey streckte die Beine von sich, Kaiba lugte grimmig zur Seite. "An meinen Haaren darfst du dich jederzeit vergreifen. Aber wenn ich auch nur die Hand hebe, um dir eine Fluse aus einer Strähne zu ziehen, dann benimmst du dich, als würde ich dein Heiligtum mit Füßen treten. Du...", ihre Blicke trafen sich, "… du... ungerechter Schurke!" Kaibas Miene verfinsterte sich, gleichzeitig wandten sie sich ab und es war nur eine Frage der Zeit, da wurden sie synchron zu einem Grinsen gezwungen. Joey stieß Kaiba sanft mit der Schulter an und dieser gab einen undefinierbaren Laut von sich. Schnaufend hielt ein Bus an der nicht allzu weit entfernten Haltestelle und sogleich schoben sich die Türen auf. Joey und Kaiba saßen wieder still und beobachteten die vielen Menschen, die sich aus dem Bus zwängten, als wäre eine hungrige Meute Wölfe hinter ihnen her. Sie fluchten, drängelten und strömten ohne auch nur die kürzeste Pause einzulegen, zum Eingang des Gebäudes. Joey verzog skeptisch die Augenbrauen, Kaiba legte zweifelnd den Kopf schief. "Im Bus war ne' Bombe", murmelte Joey leise und blähte die Wangen auf. "Man, selbst vom Zusehen wird man ganz verrückt." "Zeit ist Geld", antwortete Kaiba ebenso leise und gelangweilt und Joey verdrehte mit größter Hingabe die Augen. "Und du hast genug davon." Somit verblieben sie wieder reglos und starrten auf den Bus, der etwas unentschlossen dort stand. Wenige Sekunden nachdem sich die hektische Menschenmenge durch die schmalen Eingänge des großen Flughafengebäudes gedrängelt hatte, ertönte leises Rumpeln und im Bus waren schnelle Bewegungen auszumachen. Eine der beiden Statuen auf der Bank begann sich zu bewegen. Sie legte den Kopf schief und hob die Augenbrauen. Und dann sprang ein junger Mann auf den Gehweg hinaus. Er hatte mit einem brutalen Koffer und einem zänkischen Rucksack zu kämpfen, gleichermaßen auch um das Gleichgewicht. Und damit war er so beschäftigt, dass es ihm nur knapp gelang, einem Laternenpfahl auszuweichen. Er stolperte nach vorn, stolperte zurück, ließ den Rucksack sinken und versuchte fluchend, den Fuß aus dem Gurt des Koffers zu befreien, der sich, ach herrje, darin verfangen hatte. Er balancierte mit den Armen, trat den Koffer zur Seite, nachdem sein Fuß keiner Gefahr mehr ausgesetzt war und rang nach Luft. Er stand dort mit bebenden Schultern und rasselndem Atem und blickte auf. Deutlich hoben sich die beiden jungen Männer auf der Bank von den geschäftigen Menschen ab, die von allen Seiten nach allen Seiten eilten. Duke schloss den Mund, hielt den Atem an und hob die Hand. "Hi." Joey grinste, hob faul einen Fuß und winkte mit ihm zurück. Kaiba sah sich um. Sofort bückte sich Duke wieder nach seinem Koffer, hob ihn an und schleppte ihn die letzten Meter zur Bank, wo er ihn dann kaltblütig umfallen ließ. Auch den Rucksack warf er zur Seite, als er vor den beiden stand. Und an seinem Gesicht konnte man deutlich erkennen, das er an diesem Tag nicht die Ruhe in Person war. Mit schnellem Atem sah er von Joey zu Kaiba und zurück. Und dann hob er die Hände und begann mit ihnen zu gestikulieren. "Diese Klassenfahrt fängt wirklich toll an!", rief er aufgeregt und schnitt binnen kürzester Zeit eine beachtliche Anzahl von Grimassen. Joey starrte ihn an und Kaiba wurde auf den Stein aufmerksam, der noch immer am falschen Platz lag. "Zuerst lässt mich mein Wecker im Stich, beinahe hätte ich verschlafen und als ich irgendwann von selbst aufgewacht bin, folgte ein Hindernislauf zum Bad. Gegen den Türrahmen, gegen den Sessel... und seit wann ist die Türschwelle so hoch?! Der Bus war natürlich auch weg, ich habe nichts gegessen, stand herum und als ich mir dann etwas gekauft habe, da bemerkte ich, dass der Bus nur Verspätung hatte. Wie schön er doch aussah, als er seelenruhig an mir vorbeifuhr! Trotz all der Hektik stand ich fast zehn Minuten nur herum und dann wurde mir die Luft abgedrückt in diesem stickigen, blöden...", ruppig drehte er sich zu dem Bus um und schickte ihm einen verächtlichen Blick, "... geht denn heute alles schief?!" Joey grinste amüsiert, erhob sich schwungvoll von der Bank und drängelte den aufgeregten jungen Mann genau auf diese zu. "Setzen." Er drückte ihn hinab, ging herum und baute sich hinter ihm auf. Seine Hände tasteten nach den Schultern und begannen sie zu massieren. Noch immer grinsend beugte er sich zu ihm hinab. "Du wirst jetzt gaaaanz ruhig. Du entspannst dich und..." "... und wirst gaaaanz müde", meldete sich plötzlich eine andere Stimme. Die drei blickten auf und erkannten Tristan, der sein Gepäck ablud und mit beschwörenden Handgesten auf Duke zutrat. "Und wenn du aufwachst, schuldest du dem guten Tristan eine Million Yen." Duke hob den Fuß, versuchte nach ihm zu treten, erreichte ihn jedoch nicht. "Ich schulde dir gleich dein blödes Leben!" Tristan lachte und Joey schloss sich ihm gern an, verstummte aber sofort, als Duke ihm einen funkelnden Blick schickte. "Ähm... hör auf", ermahnte er Tristan somit und ließ von Duke ab, der verspannt mit dem Kopf rollte. "Der Arme hatte keinen besonders guten Start." "Och." Schauspielerische Fähigkeiten besaß Tristan nicht zur Genüge. "Pah!" Duke pustete sich eine Strähne aus dem Gesicht und verschränkte die Arme vor dem Bauch. "Hey!" Mit einem galanten Satz stand Joey zwischen Kaiba und Duke auf der Bank und brüstete sich wie ein Herrscher vor seinem Volk. "Erste Regel!" Er zog eine übertrieben strenge Miene und hob wichtigtuerisch den Zeigefinger. "Keine schlechte Laune auf der Klassenfahrt! Selbst unzufriedenes Brummen ist verboten!" Nebenbei tastete er nach Kaibas Schopf und dieser brummte unzufrieden. "Zweite Regel!" Er reckte lachend den Daumen, zögerte dann jedoch und ließ die Hand sinken. "Okay, gibt nur eine Regel. Wir müssen alle fröhlich und zufrieden sein, damit die Klassenfahrt zu einem vollen Erfolg wird!" "Lass nur." Kaiba erhob sich, brachte sich in Sicherheit. "Deine gute Stimmung reicht für uns alle zusammen." "Genau." Duke blähte die Wangen auf. "Bist du auf Drogen?" "Hey!", rief Joey entrüstet und Tristan stimmte mit einem deutlichen Nicken zu. "Joey hat schon Recht. Das soll eine besondere Klassenfahrt werden. Ich habe auch keine Lust darauf, Streit zu schlichten und für das Aufheitern verantwortlich zu sein." "Ich werde dir jedenfalls keinen Anlass dazu geben", erklärte Joey beleidigt. "Ja Joey, du hast Recht", mischte sich nun eine neue Stimme darunter und die vier drehten sich um. "Wir müssen alle glücklich sein, damit es schöne Tage werden." Kaiba stieß ein leises Stöhnen aus, verzog das Gesicht und wandte sich zur entgegengesetzten Richtung. "Hey Yugi!" Joey grinste und näherte sich dem Jungen schunkelnd. "Mensch, altes Haus, lang nicht mehr gesehen!" "Aber wir waren doch gestern erst..." "Wolltest du nicht mit Tea kommen?" Tristan kratzte sich am Kinn. Er konnte jedenfalls keine Tea sehen. "Ja, aber sie meinte, sie wolle noch Erledigungen machen." Yugi zuckte mit den Schultern, seufzte und platzierte sich neben Duke auf der Bank, dem nur mit großer Anstrengung eine höfliche Begrüßung gelang. "Erledigungen?" Joey verzog das Gesicht. "Mensch, verstehe einer diese Mädchen. Erzählt mir nicht, dass sie noch früher aufgestanden ist, um shoppen zu gehen!" Doch, sie war shoppen! Sie traf ein, nachdem sich auch Bakura zu der Gruppe gesellt hatte. Und während der junge Mann in einer Zeitschrift blätterte, Duke mit Tristan diskutierte und sich Kaiba mit einer Zigarette in Sicherheit gebracht hatte, stellte sie ihre neuesten Errungenheiten vor. Sie präsentierte schicke Tops und schwärmte von Schuhen, die ihr gefallen hatten, jedoch zu teuer waren. Joey und Yugi waren die einzigen, die sich ihren Vortrag anzuhören hatte. Und während der kleinere Junge staunte, wandte sich Joey zu den Anderen. "Aber ich bin ein Spaßkeks, ja?" Er wies mit einem lässigen Nicken auf die junge Frau. "Nehmt euch mal ein Beispiel an ihr." Somit betraten sie das Gebäude und leisteten den anderen Schülern am Treffpunkt Gesellschaft. Auch die Lehrer waren schon da und obwohl noch genügend Zeit blieb, gerieten die Beiden in Panik, da noch einige fehlten. Sie eilten umher, zählten durch und taten ihr Bestes, um die Jugendlichen mit ihrer Hektik anzustecken. Joey trat unauffällig nahe an Kaiba heran, tastete heimlich nach seinem Ärmel und rieb den Stoff zwischen den Fingern. Kaiba schob die Sonnebrille in das Haar. "Warum zur Hölle schreien die so?", murmelte Joey und hakte den Finger in den dünnen Saum. "Ist das der Weltuntergang oder was." Duke, der neben Joey auf seinem Koffer hockte, zuckte mit den Schultern, griff hinterrücks nach seinem Zopf und zog ihn über die Schulter. "Zwei Lehrer bei über fünfzig Schülern? Ne' ganz schöne Verantwortung haben sie sich da auf die Schultern geladen." "Pech", meinte der Blonde. "Aber Joey!" Yugi war empört. "Sei doch nicht so gemein. Es könnte doch etwas passieren und dann werden sie sich die Schuld geben und traurig sein. Sie müssen aufpassen, dass..." "Was soll denn passieren?" Grinsend drehte sich Joey zu ihm, Kaibas Ärmel mit sich ziehend. "Wir sind doch alle artig." "Das kann man nie wissen, Joey", predigte Tea und zupfte an ihren Haaren. "Was ist, wenn es zu einem Unfall kommt?" "Klar." Tristan verdrehte die Augen. "Oder ein Haus fällt um." "Auch Godzilla könnte uns angreifen", leistete Duke scherzend seinen Beitrag. "Oder ein Tiger." Yugi weitete ehrfürchtig die Augen. "Tiger gibt es in deutschen Wäldern nicht", brummte Bakura in sein Buch vertieft. "Wird schon schiefgehen", zog Joey einen konkreten Schlussstrich. "Japp." Duke streckte sich wie eine Katze und machte es sich gemütlich. Nach kurzer Zeit machten sie sich auf den Weg zu den Schaltern. Eine wahre Erlösung war es, das schwere Gepäck loszuwerden und nachdem sie auch die Kontrollen durchlaufen hatten, spazierten sie durch den schmalen Flur, direkt auf die Tür des Flugzeuges zu. Joey schien zu grübeln, während er mit seinem Rucksack schlenkerte. "Wie lange fliegen wir eigentlich?", fragte er. "Lange." "Wie lange?" "Wir werden erst nachts unser Ziel erreichen. Zwölf Stunden werden wir fliegen. In Thüringen wurde bedauerlicherweise nie ein Flughafen gebaut. Wir landen in einer Stadt namens Halle. Ein Bus bringt uns dann nach Thüringen. Für diese Fahrt werden wir wohl... weitere zwei Stunden benötigen." Er runzelte die Stirn und lugte zu dem Blonden. "Lass mich raten, du warst zu faul, um das Programm zu lesen." Joey zuckte mit den Schultern. "Man, wie soll ich denn fünfzehn Stunden überleben?" "Vierzehn", verbesserte Kaiba. "Umso besser." Joey freute sich. Dann betraten sie die Maschine. Eine Stewardess erwartete sie und bat darum, nach rechts zu biegen. Joey befolgte den Befehl ohne zu zögern, nur Kaiba warf dem Eingang der ersten Klasse einen mürrischen Blick zu. Letztendlich brummte er aber nur leise und folgte Joey dann in die zweite Klasse. Dort waren die Schüler damit beschäftigt, es sich gemütlich zu machen. Sie standen und liefen überall herum und erst nach einem gnadenlosen Gedränge erreichten die beiden ihre Plätze. Joey beanspruchte den Fensterplatz und Kaiba hatte keine Lust, in Streit mit dem Blonden zu geraten, wenn es sich um so eine belanglose Sache handelte. Neben Joey ließ er sich nieder, lehnte sich zurück und verstaute die Sonnenbrille in einer Tasche seines Hemdes. Joey rutschte tiefer, klemmte die Knie hinter den Vordersitz und ließ einem herzlichen Gähnen freien Lauf. In dieser Sekunde erschien Duke über der Lehne des Vordersitzes, verschränkte die Arme auf dem weichen Polster und stützte träge das Kinn auf ihnen ab. "Habt ihr irgendein Programm für dieses komische Camp bekommen?", erkundigte er sich und rollte den Kopf zur Seite. "Ich meine, wenn wir es fast zwei Wochen dort aushalten müssen, dann müssen die uns schon etwas bieten." "Was?" Joey hob die Augenbrauen. "Irgendwas." Duke zuckte mit den Schultern. "Nein, was hast du gerade gesagt?" Duke stöhnte. "Sollen wir uns zwei Wochen lang Bäume betrachten und wandern?" "Das wär's ja!" Neben Duke tauchte Tristan auf. Er lachte aufbrausend und schlug dem Schwarzhaarigen auf die Schulter, worauf dieser schmerzvoll brummte. "Klar, wandern ist lustig, aber..." "Was?" Joey legte den Kopf schief. "Ich sagte, wandern ist lustig", wiederholte Tristan geduldig, doch der Blonde schüttelte den Kopf. "Das habe ich schon verstanden aber meinst du das ernst? Wandern ist nicht lustig, wenn man es so oft tun muss. Hab gehört, dass es in Thüringen außer Wäldern, Seen und Bergen nichts gibt. Ich freu mich trotzdem." Unter einem kecken Grinsen zeigte er seine Zähnchen und Tristan weitete entsetzt die Augen. "Sag bloß, die Unterkünfte stehen mitten im Wald!", rief er. "Wir müssen nicht ins nächste Dorf laufen, um etwas Essbares zu bekommen, oder?" "Hört sich schwer nach Mittelalter an", bemerkte Duke empört. "Das wird ja immer besser.“ Nach wenigen Minuten setzte sich das Flugzeug in Bewegung. Flink ließ es das Rollfeld hinter sich und als es sich dann in die Lüfte erhob, ertönte aus Yugis Richtung ein qualvolles Jammern. "Hat jemand Tabletten?!", hörte man Tea rufen. Während einer der Lehrer daraufhin wieder umher rannte, schlüpfte Joey aus den Schuhen, zog die Füße zu sich auf das Polster und wandte sich Kaiba zu. Er lehnte sich gegen die Wand und beobachtete den Brünetten. Dieser zog ein Buch hervor, schlug es auf und begann zu lesen. Joey führte die Beobachtung fort. Einige Minuten saß er dort, während um ihn herum geschäftiges Treiben herrschte. Schüler quatschten, lachten, sangen und trieben noch anderweitig ihr Unwesen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis der Lärm abebben würde. Zwölf Stunden hielt das keiner durch. Joey freute sich bereits auf diese Ruhe und Kaiba sehnte sich augenscheinlich noch mehr nach ihr. Er runzelte die Stirn, blickte auf und warf seinen Sitznachbarn, die am lautesten schrien, drohende Blicke zu. "Hey", trug Joey zu der Ablenkung bei. "Mm." "Was liest du da?" "Ein Buch." "Aha?" Der Blonde hob die Augenbrauen und schwieg. Kaiba las, die Schüler tratschten weiter und Joey betrachtete sich das Muster der Sitze. Er grübelte, grübelte... und grübelte. "Was für ein Buch?", fragte er dann weiter. "Philosophie", antwortete Kaiba ohne aufzublicken. "Aha." Joey nickte, blähte die Wangen auf und lugte durch die Lücke zu den Vordersitzen. Tristan war wohl gerade dabei, Dukes düstre Laune zu ermorden. Joey hörte ihn lachen und scherzen, dann erzählte er einen Witz, der nicht lustig war. Aber Duke lachte trotzdem, und das war die Hauptsache. Joey biss sich auf die Unterlippe, dann linste er zu Kaiba und seine Miene verfinsterte sich trotzig. "Mensch, kannst du endlich mal den Mund halten? Du sprichst und sprichst! Das ist ja nicht auszuhalten!" Endlich blickte Kaiba von seinem Buch auf. Er sah Joey an und rümpfte die Nase, worauf dieser sofort grinste. "Na endlich, es ist zu früh, um sich mit sich selbst zu beschäftigen. Erzähl mir was." Er legte den Kopf schief. "Irgendwas." "Du könntest auch etwas mehr lesen", raunte Kaiba. "Ich habe dich noch nie mit einem Buch gesehen." "Das Thema ist tabu", murrte Joey sofort. "Damit willst du wieder sagen, dass du viel klüger bist als ich, nicht wahr? Ne, hör auf." "Gut." Kaiba zuckte mit den Schultern und lenkte seine gesamte Aufmerksamkeit auf das Buch. Wieder schwieg er und Joey hatte nichts erreicht. Der Blonde verzog griesgrämig die Augenbrauen, seufzte und machte es sich bequem. Warum hatte er sich gerade so eine Quasselstrippe ausgesucht?! Unglaubliche fünf Stunden hielt das pausenlose Geschnatter an, erst dann verlor es an Kraft und letzten Endes kehrte angenehme Ruhe ein. Viele wandten sich leisen Beschäftigungen zu, andere unterhielten sich ruhiger und auch Joey vertiefte sich in ein Gespräch mit Duke, das sich um das Mittelalter drehte. Sie erschufen es neu, könnte man sagen. Sie schöpften ihre Fantasie aus und öfter blickte Kaiba auf, um zu überprüfen, ob es wirklich Joey war, der so einen Blödsinn von sich gab. Dann las er weiter und insgesamt verbrachte er fünf Stunden damit, was von großem Interesse zeugen musste. Er bewegte sich auch nicht viel und wurde nicht dazu gezwungen, Gebrauch von der Stimme zu machen. Joey unterhielt sich lange mit Duke, dann begann er Musik zu hören. Entweder lag es an den nuschelnden Lauten, die der Blonde von sich gab oder das Buch wurde zu langweilig. Jedenfalls schlug Kaiba es zu und beschäftigte sich mit seinem Terminplaner, den er wie ein Heiligtum stets bei sich trug. Er begann zu blättern, durchzustreichen und zu schreiben, grübelte und brummte. Wie viel entging ihm doch während dieser zwei Wochen! Joey trällerte vor sich hin. Er kannte den Text nicht, doch das schien ihm gleichgültig zu sein, er bewegte sich rhythmisch, bewegte den Kopf und gestikulierte merkwürdig mit den Armen. Auch er hielt ausgesprochen lange durch, dann klemmte er sich die Kopfhörer um den Hals, tastete in der Lücke vor seinem Sitz nach seiner Tasche und zog sie schnaufend zu sich auf den Schoß. Sogleich begann er in ihr zu wühlen und hatte kurz darauf einen Lutscher in der Hand, den er bedächtig und genüsslich auspackte. Gierig starrte er ihn an, doch als das Papier endlich beseitigt war, richtete er sich etwas auf und reichte ihn Kaiba. "Sag ‚ah’." Ohne den Blick von dem Terminplaner abzuwenden, drehte Kaiba das Gesicht etwas zur Seite und schnappte nach ihm. Joey grinste und tätschelte Kaibas Wange flüchtig, bevor sich dieser wieder abwenden konnte. Bequem bewegte er den Lutscher im Mund und wippte den Füller zwischen zwei Fingern, während Joey einen weiteren Lutscher hervorzog, das Papier abrupfte und es sich schmecken ließ. Daraufhin begann er wieder Kaiba zu beobachten. Wie er dort saß, vor- und zurückblätterte, brummte, grübelte und schrieb. Es war zwar sehr interessant, doch nach einer viertel Stunde verlor Joey die Lust daran. Wieder rutschte er im Sitz tiefer, klemmte die Knie hinter den Vordersitz und kuschelte sich in seinen Pullover. Er lehnte sich auch gegen die Wand und besah sich das unendlich erscheinende Blau, das sich dahinter erstreckte. Bei diesem Anblick entspannte er sich schnell. Auch diese Haltung war sehr bequem und er war wunschlos glücklich. Und dann, man konnte es sich denken, schlief er ein. Nach kurzer Zeit schlossen sich seine Augen und er versank im tiefen Schlaf. Am gestrigen Tag war er zu spät schlafen gegangen, heute zu früh aufgestanden. Und da sowieso niemand mit ihm reden wollte und er nichts Besseres zu tun hatte, kam dieser Schlaf sehr gelegen. Bald wurde Kaiba auf das leise Schnarchen aufmerksam, das neben ihm ertönte. Wieder ließ er den Terminplaner sinken, holte Atem und drehte das Gesicht zur Seite. Da hatte sich ein Blonder in den Pullover gekuschelt und sich so zusammengerollt, dass man erst nach genauerem Hinsehen erkennen konnte, wo oben und unten war. Kaiba hob die Augenbrauen. Da passte man mal kurz nicht auf und dann so etwas! Joey würde sogar im Laufen schlafen, wenn das möglich wäre. Er schüttelte den Kopf, hob die Hand und zog Joeys Pullover kurz zu Recht, worauf dieser schmatzte, brummte und sich kurz regte. In dieser Sekunde waren auf dem Vordersitz schnelle Bewegungen auszumachen und kurz darauf erschien Duke über der Lehne. Er setzte an und wollte etwas sagen, hielt jedoch inne, als er Joeys Zustand bemerkte. Er musterte ihn kurz, ließ sich dann auf die Lehne sinken und die Arme über Joeys Beinen baumeln. "Mann, wie gerne würde ich auch schlafen." "Tu es doch", brummte Kaiba, der sich nach vorn neigte und den Planer in seiner Tasche verschwinden ließ. "Kann ich nicht", klagte Duke. "Ich habe etwas gegen lange Flüge. Ich finde sie zu abscheulich, als dass ich schlafen könnte." Seine Augen suchten erfolglos nach einer Uhr. "Dabei haben wir erst... ungefähr sechs Stunden hinter uns." Kaiba zeigte sich unberührt, als er sich zurücklehnte und die Augen schloss. Duke starrte ihn an. "Willst du jetzt etwa auch schlafen?" Kaiba ließ ihn lange auf eine Antwort warten. Er verharrte in der Haltung und regte erst nach einigen Momenten. Er blinzelte, öffnete die Augen und rieb sich das Gesicht. "Würde ich gern, kann ich nicht." Wieder neigte er sich nach vorn und wühlte in seiner Tasche. Schnell wurde er fündig und erhob sich aus dem Sitz. "Ich gehe rauchen." Sofort richtete sich Duke auf. "Hast du etwas dagegen, dass ich dich begleite?" Kaiba hielt nicht inne, stieg über seine Tasche hinweg und machte sich auf den Weg zum hinteren Teil des Flugzeuges. Duke konnte ein leichtes Kopfschütteln erkennen. Sogleich erhob er sich, schob sich an Tristan vorbei und folgte Kaiba in gemächlichen Schritten. Kaiba ließ die Sitzreihen hinter sich, erreichte eine kleine Tür und schob sie auf. Daraufhin betrat er eine kleine Kabine, in der zu zwei Seiten Sitze eingebaut waren. Auch Aschenbecher standen auf einem kleinen Tisch. Vor einem dieser Tische blieb Kaiba stehen, schnippte den Deckel einer Schachtel auf und zog sich eine Zigarette hinaus, die er sich flink zwischen die Lippen klemmte. Und während er ein Feuerzeug zückte und zur Zigarette hob, öffnete sich die Tür erneut und Duke trat ein. Flüchtig blickte sich der junge Mann um, dann ließ er sich auf einem der Sitze nieder, rutschte tiefer und streckte die Beine von sich. Kaiba nahm einen langen Zug, ließ die Zigarette sinken und ging etwas spazieren. Nachdem Duke herzhaft gegähnt hatte, sah er ihm nach. "Dir scheint es wieder gut zu gehen, seit du arbeiten darfst, hm?" Kaiba blieb stehen, rollte mit den Schultern und nickte. Duke erwiderte das Nicken anerkennend und faltete die Hände auf dem Bauch. "Und du?", wandte sich Kaiba unerwartet an ihn. Duke blickte überrascht auf und Kaiba ließ eine Hand in der Hosentasche verschwinden, während er ihn erwartungsvoll ansah. "Ich habe nie gefragt, habe nur von Joseph erfahren, wie es dir seitdem ergangen ist." Duke starrte ihn an. All die Monate hatte er geglaubt, Kaiba habe nicht gefragt, weil es ihn nicht interessierte. Und nun erkundigte er sich doch? Auf eine solche Frage hatte er sich nicht vorbereitet. "Ich denke nicht, dass das zu deiner Normalität gehört." Kaiba wippte vor und zurück, hob die Zigarette zum Mund und betrachtete sich ruhig ein Bild, das wohl zur Verzierung beitragen sollte. jedoch kläglich in diesem Versuch scheiterte. "Ähm...", Duke legte den Kopf schief, "... zu wessen Normalität gehört so etwas schon. Worauf willst du hinaus?" Kaiba blies den Rauch durch die Nase und schüttelte über dieses Bild den Kopf. Dann lugte er zu Duke. "Wie hast du dich gefühlt, als du dem Tod nahe warst." Duke fühlte sich etwas überrumpelt, wieder starrte er Kaiba an und dieser erwiderte seinen Blick seelenruhig, beinahe schon unbeteiligt. "Ich weiß nicht", murmelte er endlich nach langem Grübeln. "Ich muss sagen, ich habe mir in diesen Sekunden nicht allzu viele Gedanken darüber gemacht." Kaiba nickte und wandte sich dem Bild zu. Mit einer anderen Antwort hatte er vermutlich nicht gerechnet. "Und du?" Duke richtete sich auf, stützte die Ellbogen auf die Knie und faltete die Hände ineinander. "Was hast du gefühlt." Kaiba baute den Blickkontakt erneut auf, grinste jedoch nach kurzer Zeit und begann seinen ruhigen Spazierung von neuem. "Nichts", sagte er, während er die Hand nach einem der Aschenbecher ausstreckte. "Ich kann es auch nicht sagen. Nicht einmal auf eine zufriedenstellende Vorstellung komme ich." Duke starrte auf seine Hände. "Mir kommt es so vor, als hätte ich das alles nur geträumt. Ich fühle mich, als hätte ich es nur gesehen, nicht gespürt." "Joseph kann sich nicht einmal mehr an die genauen Abläufe erinnern", meinte Kaiba. "Warum fragst du so etwas eigentlich? Warum willst du so etwas wissen? Bist du nicht froh, dass du all das hinter dir hast?" "So etwas hat man nicht hinter sich." Kaiba lehnte sich seitlich gegen eine Wand und kreuzte die Beine. "Das müsstest du wissen." "Hast du Schäden davongetragen?" Duke erschrak, doch Kaiba schüttelte den Kopf. "Das meine ich überhaupt nicht. Ich wurde mir nur irgendwann darüber bewusst, mehr nicht. Und da du an alledem beteiligt warst, interessiere ich mich lediglich für deine Meinung." Kaiba musterte ihn beinahe scharf. "Wie glaubst du, ist es, wenn man Todesangst spürt." Joey begann sich zu regen, verschlafen verzog er das Gesicht, gähnte und streckte beide Arme von sich. Dann öffnete er die Augen und tastete tollpatschig nach dem Pullover, der nicht mehr am rechten Fleck war. Flüchtig blickte er sich um, tastete weiter und entdeckte ihn letzten Endes in der Lücke vor seinem Stuhl. Wie war der denn dorthin geraten? Er streckte die Hand nach ihm aus, als er ihn jedoch nicht erreichen konnte, ohne sich aufzurichten, kapitulierte er und verblieb wieder reglos. Im Flugzeug herrschte nun beinahe gespenstische Stille. Nur wenige Schüler bewegten sich auf ihren Sitzen, der Bass einiger MP3-Player war neben leisem Flüstern das einzige, das Joey hörte. Jeder schien nun müde und gelangweilt. Joeys Augen suchten erfolglos nach irgendeiner Uhr. Wie lange hatte er geschlafen? Hoffentlich lang genug, um keinen langen Flug mehr ertragen zu müssen. Erneut sah er sich um, und erst dann wurde er darauf aufmerksam, dass er keinen Sitznachbarn mehr hatte. Ja, Kaiba war weg. Verwundert hob er die Augenbrauen und blinzelte. Aber von Kaiba war immer noch keine Spur. Er sah nach vorn und erspähte Tristan. "Hey." Träge rutschte er mit den Knien nach rechts und begann an dem Stuhl des Vordermannes zu rütteln. "Heeey." "Was denn?" Tristan begann sich zu bewegen, zog sich die Kopfhörer aus den Ohren und drehte sich um. "Weißt du, wo Seto ist?", erkundigte sich Joey schnell, bevor sein unfreiwilliger Gesprächspartner bewies, dass er genervt war. "Ich glaube...", dieser sah sich kurz orientierend um, "... Mensch, du hast Recht. Ist schon etwas her, da ist er mit Duke in der Raucherkabine verschwunden." "Ach...?" Joey legte den Kopf schief. "Und weißt du..." Er verstummte, als sich die Stimme des Kapitäns durch die Lautsprecher meldete. "Wir erreichen das Ziel in wenigen Minuten", meinte er und der Blonde weitete überrumpelt die Augen. "Was?!" Er richtete sich auf. "Wie lange habe ich geschlafen?!" "Lange." Tristan unterdrückte ein Gähnen. "Hast du ein Glück." "Und... und..." Joey drehte sich um, sah zur Tür, der Raucherkabine. "... und wie lange sind die Beiden da jetzt schon drinnen?" "Lange." Tristan wandte sich ab, warf sich gegen die Lehne und widmete sich seiner Musik. Joey blähte die Wangen auf, der Kapitän verstummte und leise Stimmen erhoben sich. Diese Nachricht gefiel allen. Wieder warf der Blonde einen beirrten Blick zu jener Tür, dann beugte er sich hinab, griff nach seinem Pullover und kuschelte sich wieder an ihn. Er hatte die Hälfte des Fluges verschlafen... etwas Besseres konnte ihm nicht passieren! Wieder zog er die Füße zu sich auf den Sitz, rutschte sich zu Recht und starrte vor sich hin. Doch er konnte es nicht verhindern! Kurz darauf ertappte er sich dabei, wie er wieder zur Raucherkabine starrte. Vielleicht waren die beiden ja erstickt? Bevor er sich jedoch in diesen absurden Gedanken vertiefen konnte, öffnete sich die Tür und Kaiba trat in den schmalen Gang hinaus. Duke folgte ihm dicht, schloss die Tür hinter sich und ließ beide Hände in den Hosentaschen verschwinden. Joey duckte sich und musterte ihre Mienen. Nun, sie sahen nicht so aus, als hätten sie sich soeben geprügelt. Viel eher wirkten sie entspannt und zufrieden. Bevor sie die Plätze erreichten, tauschten sie noch wenige flüsternde Worte aus. Dann schob sich Duke wieder an seinem Sitzpartner vorbei, schickte Joey ein keckes Grinsen und setzte sich hin. Auch Kaiba ließ sich neben Joey nieder, lehnte sich zurück und starrte kurz auf den Vordersitz, bevor er sich an den Blonden wandte, der ihn erwartungsvoll ansah. " Morgen." Ein knappes Schmunzeln huschte über Kaibas Gesicht und Joey erwiderte es etwas überrascht. "Hast du dich mit Duke unterhalten?" "Mm." Kaiba nickte und ließ die Zigarettenschachtel, die in der Zwischenzeit sicher stark an Gewicht verloren hatte, in der Tasche verschwinden. "Aha?" Joey verfolgte jede seiner Bewegungen. "Fünf Stunden lang?" "Wir hatten viel zu besprechen", antwortete Kaiba nur und lehnte sich zurück. Joey nickte, grübelte kurz und brachte es anschließend zu einem festeren Grinsen, das beinahe schon einem Lächeln ähnelte. Es brachte ein Gefühl der Freude mit sich, das sich Kaiba wenigstens mit Duke verstand. Diese Tatsache war jedoch nicht sonderlich überraschend, immerhin waren beide Geschäftsmänner und durch das Erlebte eng miteinander verbunden. Er stellte keine weiteren Fragen an Kaiba, ließ sich zur Seite sinken und lehnte sich an seine Schulter, worauf Kaiba den Arm hob und ihn in eine zärtliche Umarmung legte. Der Blonde holte tief Atem, seine Hände tasteten nach dem dünnen Hemd und dann schloss er die Augen. "Wir landen bald", brummt er gefällig. "Habe ich gehört." Kaiba rutschte sich kurz zu Recht, entspannte sich. "Der Flug war erträglich." "Ja." Quietschend setzten die festen Räder des Flugzeuges auf dem Rollfeld auf und die Maschine bewegte sich flink über die ebene Bahn. Joey richtete sich auf, rieb sich die Augen und sah durch das kleine Fenster nach draußen. Er sah viele Menschen und kurz darauf ein riesiges Gebäude, das äußerst hübsch war. Nun war er also in Deutschland. Er rutschte näher zum Fenster. Hier und dort standen kleine Autos, auch einige stehende Flugzeuge sah er an sich vorbei gleiten. Interessiert und wissbegierig tasteten seine Augen die Gegend ab. Die Geschwindigkeit ließ nach, bis ein Ruck durch die Maschine ging und das Flugzeug zum Stillstand kam. "Seto." Ohne sich von dem Fenster abzuwenden, tastete nach Joey nach hinten. "Seto, schau mal da." Er bekam den Ärmel zu fassen und zog kräftig an ihm. "Da ist eine große Tafel und merkwürdigen Zeichen. Ist das die deutsche Sprache?" "Möglich?", erwiderte Kaiba skeptisch. "Wir sind in Deutschland." "Oh man." Endlich riss sich Joey von der Beobachtung los und lehnte sich zurück. "Das erste Mal bin ich im Ausland." Er lugte spielerisch zu Kaiba. "Das erste Mal bin ich mit dir auf einer Klassenfahrt." "Ja." Kaiba gab einen undefinierbaren Brummlaut von sich. "Befürchte ich auch." Joey schnitt eine Grimasse und entdeckte einen Bus, der sich dem Flugzeug näherte. Auch ein ulkiges Auto war dabei, auf dem eine breite Treppe montiert war. In dieser Sekunde meldete sich der Kapitän und sagte seinen Spruch auf, von wegen er bedanke sich und freue sich, sie geflogen zu haben. Dabei hörte er sich ganz schön genervt an. Nichts, dem Joey Beachtung schenken musste. Er ließ den Mann weiter sprechen, schnappte sich seinen Pullover und die Tasche und erhob sich. "Ups... huch? Vorsicht." Er schob sich an Kaiba vorbei. "Komm beeil dich, sonst geraten wir wieder in dieses Gedränge." Das musste sich Kaiba nicht zweimal sagen lassen. Auch er kam auf die Beine, raffte sein Gepäck zusammen und folgte Joey durch den schmalen Gang nach vorn. Dort wartete bereits eine der Stewardessen, öffnete die Tür und wünschte den Fluggästen eine wundervolle Zeit in Deutschland. Kaiba murmelte nur etwas Abstruses und Joey wünschte ihr einen ebenso wundervollen Rückflug. Somit trat der Blonde auf den obersten Ansatz der Treppe hinaus, warf sich den Rucksack über die Schulter und blickte sich um. Kaiba zog an ihm vorbei und stieg gemächlich die Stufen hinab, ohne der Umgebung auch nur ein Fünkchen seines Interesses zu spenden. Joey jedoch, atmete genüsslich durch und streckte beide Arme von sich. Noch stand die Sonne am Himmel, doch binnen weniger Stunden würde sie untergehen. In diesen letzten Stunden wirkten ihre Strahlen nicht mehr unerträglich heiß, nein, sie bildeten eine interessante und zugleich entspannende Abwechslung zu der Luft des Flugzeuges, frisch aus der Klimaanlage. Eine erfrischende kühle Brise erfasste Joey und dieser gab mit größter Freude zu, das dieses Klima nicht mit dem in Japan zu vergleichen war. Es war... herrlich! Selbst die Abendstunden waren in Deutschland angenehmer. Er grinste und betrachtete sich den blauen Himmel, der allmählich eine unauffällige Rottönung annahm. Ja, hier würde er es länger aushalten. Dieses Land gefiel ihm. Tief atmete er ein… "Jetzt lauf!" Als ihn ein derber Schlag im Rücken traf, erwachte er aus seinen Träumereien. Um ehrlich zu sein, erschrak er höllisch und wedelte mit den Armen, um sich vor einem graziösen Sturz zu schützen. Über eine Stufe, über die Nächste... und wenn er Glück hätte, würde er den Aufprall auf dem weichen Beton nicht mehr spüren. Hastig klammerte er sich an das Geländer und schickte dem Parallelklässler, der nun in einer unbegreiflichen Seelenruhe die Treppe hinabschlenderte, einen ermordenden Blick. Er hätte ihn geschubst, wäre er in diesen Sekunden Herr über das geliebte Gleichgewicht gewesen. Stattdessen streckte er ihm die Faust nach. "Ja ja!!", rief er wütend. "Und hoffentlich brichst du dir das Genick!" Der Parallelklässler zeigte ihm den Finger, erreichte die letzte Stufe und schlenderte an Kaiba vorbei. Auch Joey machte sich nun auf den Weg nach unten und insgeheim hoffte er, Kaiba würde das mit dem Schubsen für ihn übernehmen. Aber dieser Typ ließ den Übeltäter passieren, ohne ihm auch nur eines Blickes zu würdigen! Kurze Zeit später standen und saßen sie in dem Bus, der sie vor den Eingang des Flughafens brachte. Joey war wieder im Besitz seiner wundervollen Laune und ließ es sich nicht nehmen, versteckt nach Kaibas Hand zu tasten, während er sich mit der anderen an einer Schlaufe festhielt. In dem Gedränge fiel es nicht auf und so ließ sich Kaiba auf dieses schnulzige Gehabe ein. Eine Tatsache, die drohte, Joeys Laune wiederum zu senken, war, dass ihnen keinerlei Zeit blieb, den Flughafen zu erkunden. Sie dürften keine Zeit verlieren, meinten die Lehrer, bevor sie die erschöpften Schüler wie Vieh in den Bus zwängten. Und nachdem auch das Gepäck eingeladen war, wurde die Reise gnadenlos fortgesetzt. Bald würden sie also ihr Ziel erreichen, bald wären sie in Thüringen. Zugegeben, Joey war sehr gespannt auf das Camp, auf die Unterkünfte... und das Essen! Die Angebote zur Freizeitbeschäftigung konnte er nicht weniger erwarten. Kaiba und er hatten sich im Erdgeschoss des Doppelstockbusses auf einem gemütlichen Zweiersitz niedergelassen. Wieder überließ Kaiba ihm kampflos den Fensterplatz und nachdem Joey es sich gemütlich gemacht hatte und Kaiba in seiner Tasche wühlte, begann er zu träumen. Er träumte und sah sich kurz darauf dazu gezwungen, die Arme um Kaibas Arm zu legen und sich an ihn zu lehnen. Er schloss auch die Augen, als er Kaibas angenehmen Geruch wahrnahm. Dieser warf ihm nur einen flüchtigen Blick zu und verblieb reglos. Joey brummte, wendete das Gesicht zur Seite und schmiegte die Wange an das weiche schwarze Hemd. Sauber, frisch, kuschelig! Wieder brummte er genüsslich und erneut lugte Kaiba zu ihm. Diesmal jedoch, war in seinen Augen ein leiser Anflug von Skepsis und Hohn zu erkennen. "Ich kann dir das Hemd später leihen, wenn du willst." Joey regte sich nicht und Kaiba sah naserümpfend aus dem Fenster, an dem nun eine kahle, betonierte Gegend vorbeizog. Bald war die Sonne kurz vor dem Untergehen. Die Helligkeit nahm rapide ab und es kam zu einer angenehmen Dämmernis. Der Rest der Fahrt verlief mehr oder weniger ruhig. Oben schien noch keinerlei Müdigkeit zu herrschen und heitere Gespräche wurden geführt, unten jedoch, hatte keiner der Schüler die Leselampen eingeschaltet, nur die grünlichen Lichter, die im Boden des schmalen Ganges eingearbeitet waren, verliehen der Umgebung einen entspannenden Schein. Eine beruhigende, jedoch keinesfalls einschläfernde Atmosphäre entstand auf diesem Wege. Nur selten flüsterten zwei Schüler miteinander, von vorne hörten Joey und Kaiba den leisen Bass eines Diskmans. Joey hatte sich in der Zwischenzeit auf seinem Sitz gedreht, saß nun direkt dem Fenster zugewandt, mit dem Rücken an Kaibas Schulter gelehnt. Sonst war der Blonde aus seinen Schuhen geschlüpft und hielt die Füße nun vor sich auf dem Polster. Die Beine hatte er angewinkelt, die Arme um die Knie geschlungen. Träumerisch betrachtete er sich die vielen hellen Lichter, die an der dunklen Scheibe vorbeizogen. Finsternis umgab sie, die Nacht war angebrochen. Bald würden sie Thüringen erreichen und obgleich man nach solchen Strapazen die Müdigkeit von ihm zu erwarten hatte, war er hellwach. Als er nach einer Stunde die finsteren Umrisse der Berge vor dem mit Sternen überzogenen Himmel erkannte, bettete er das Kinn auf den Knien und lauschte den langsamen Atemzügen seines Sitznachbars. Während der gesamten Fahrt sprachen sie kein einziges Wort miteinander, was jedoch keinesfalls als negativ zu werten war. Jeder von ihnen genoss diese Ruhe, war gleichermaßen auf sie angewiesen. In gewisser Hinsicht konnten sie sich als ein "eingeschworenes Team" bezeichnen. Oft verspürten sie selbe Gefühle, brachen zur selben Zeit in Schweigen aus und wussten genau, wann sie es brechen durften. Im Vergleich zu dem nie enden wollenden Flug erschien diese Fahrt wie ein Katzensprung. Bald fuhr der Bus durch kleinere Straßen, schlängelte sich durch ein friedlich erscheinendes Dorf und als sie ihrem Ziel sehr nahe waren, einen Berg hinauf. Und dann kam der Bus zum Stillstand. Sie hatten das Ziel erreicht! Joey richtete sich auf und blickte sich flüchtig um. "Wie spät ist es?" "Kurz vor elf", kam sogleich die Antwort seines Sitzpartners. "Darf ich mich jetzt aufrichten?" Joey rollte einschätzend mit den Augen und kam zu dem Entschluss, einmal großzügig zu sein. "Okay, aber das ist ne Ausnahme." Wieder erhoben sie sich von den Sitzen, gerieten in das befürchtete Gedränge und traten letzten Endes ins Freie hinaus. In Thüringen schien es des Nachts kühler zu sein als in anderen Ländern, in denen zu dieser Zeit der Sommer seine volle Kraft aussandte. Doch diese nächtliche Frische wirkte auf die Schüler alles andere als unangenehm. Genießerisch holten sie Atem, streckten sich und erkundeten die Umgebung mit neugierigen Augen. "Ach herrlich!" Mit einem Sprung stand Joey auf dem Kies, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und ließ einem unbefangenen Grinsen freien Lauf. In seinem Rücken, gegenüber dem Bus erstreckte sich ein weiter düstrer Wald, er selbst stand auf einem schmalen Schotterweg. Joey drehte sich um, besah sich den Wald und drehte den Kopf nach links, nach rechts. Wo war denn jetzt dieses Camp? Bevor er sich auf ein Lager im Wald einrichten konnte, tauchte plötzlich Tristan auf. Auch diesem war keine Müdigkeit anzumerken. "Hey, altes Haus!" Er stieß Joey freudig an, packte ihn am Arm und zog ihn mit sich. Joey stolperte hinter ihm her, wurde an dem Bus entlang gezogen und erst in Frieden gelassen, als er ihn hinter sich gelassen hatte und sich die andere Seite des Weges betrachten konnte. Ein hölzerner, äußerst hübscher Holzzaun, der durch ein offenes Tor getrennt wurde, erstreckte sich vor ihm. Über dem Tor war ein Balken montiert, auf dem wieder diese ausländischen Symbole zu sehen waren. Dahinter konnte man ein großes weißes Gebäude bestaunen. Und bestaunen konnte man es, da überall auf dem Gelände hübsche Laternen standen, die der Umgebung einen angenehmen Schein verliehen. Joey hob die Augenbrauen. Von Bungalows war jedoch keine Sicht. Hübsche Wege, hübscher Rasen, eine gepflegte und doch natürliche Gegend. Sicher befanden sich die Bungalows wo anders. Er wandte erst den Blick von dem Tor ab, als die Lehrer schrien und die Schüler baten, zusammenzukommen. Doch bevor er sich umdrehte und ihren Befehl erfolgte, erkannte er zwei ältere Herren, die sich von der anderen Seite des Tores näherten und direkt auf sie zusteuerten. Als er dann wieder in der Gruppe stand, begannen die Lehrer noch einmal eine ihrer tollen Predigten, die keinen interessierten, von wegen Benehmen und Gehorsamkeit gegenüber Erwachsenen. Wer waren sie denn? Joey schnitt eine Grimasse. Zehnjährige, die nur Flausen im Kopf hatten? Es stellte sich heraus, dass er zwei der Campleiter gesehen hatte. Sie fanden sich ein, musterten die Schüler freundlich und begannen dann zu quasseln. Da standen die Schüler nun mit ihren schweren Koffern und Taschen, waren müde und hungrig und durften sich eine weitere Predigt anhören, die noch weniger interessierte. Nach fünf Minuten jedoch, zeigten die Beiden Erbarmen und meinten, dass sie sicher müde wären und all das Organisatorische am darauf folgenden Tag besprochen werden würde. Bingo, Joey dankte den Göttern, oder wer auch immer da oben saß. Und dann sagten die Beiden, dass sie ihnen nun die Bungalows zeigen würden. Erleichtert schnappte sich Joey seine Tasche und die große Gruppe folgte den Campleitern. Sie betraten das Gelände, schleppten ihr Gepäck einen kleinen Hügel zu dem weißen Gebäude hinauf und zogen daran vorbei. Hinter dem Haus erstreckte sich eine große waldige Fläche. Da dort nur wenige Bäume standen, gab es Platz, um sich zu bewegen, auch einen Basketballplatz erspähte Joey. Und dann wurde er auch auf die Bungalows aufmerksam. Halt! Bungalows? Joey stellte sich unter Bungalows hölzerne, langweilige Hütten vor, die vor Feuchtigkeit muffelten und höchstens Steinzeitmenschen glücklich sinnten, doch das? Das übertraf seine Vorstellungen bei weitem. Diese "Bungalows" waren einstöckige Häuser mit großen Fenstern und einer gemütlichen Terrasse. Sie bestanden auch nicht aus Holz, nein, sie bestanden aus massivem Stein und waren in warmen Farben gestrichen: Orange, blasses Rot, Terrakotta oder Gelb. Sie standen auch nicht in öden Reihen, die an Gefängnisse erinnerten, sondern kreuz und quer, ohne jegliche Ordnung. Während die Gruppe ihr Gepäck an den Häusern vorbeizog, staunte Jeder der Schüler über diese Entdeckung. Wenn sie die Häuser so sahen, dann waren sie über den Preis glücklich, über dessen Höhe sie doch gemeckert hatten. Wie alle anderen auch, hörte Joey den beiden Typen, die die Geschichte dieses Geländes erläuterten, kaum zu. Er fand nicht einmal die Zeit, zu Kaiba oder irgendeinem anderen zu linsen, so sehr war er mit der Beobachtung beschäftigt. Sie ließen viele Häuser hinter sich und bald wünschte sich Joey nach jedem Schritt sehnlicher, das diese Wanderung ein jähes Ende nehmen würde. Dies tat sie jedoch erst, als sie einen Volleyball-Platz erreichten. Froh über diese Pause, ließen sich die Schüler auf ihren Koffern und Taschen nieder und streckten die Beine von sich. Eine unbeschreibliche Wohltat war es für sie, als die beiden Typen meinten, dass sie nun aufgeteilt wurden und sich ausruhen konnten. Davor teilten sie Pläne aus, auf denen die Tagesabläufe verzeichnet waren. Schnell bekam auch Joey einen in die Hand, doch das Interesse, dem er ihn spendete, ließ zu Wünschen übrig. Nur flüchtig warf er einen Blick auf die Schrift und blickte zu Kaiba auf, der neben ihm stand und den Zettel überflog. "Hey du." Er zupfte an seiner Hose. "Sag mal, gibt es heute noch etwas zu Essen?" "Steht auf dem Plan", murmelte Kaiba nur, ohne sich weiterhin stören zu lassen. Joey rümpfte die Nase und nahm den Zettel erneut unter die Lupe. Er starrte ihn an, betrachtete sich die japanische Schrift genau und kapitulierte dennoch. Wieder tastete er nach Kaiba Hose. "Sag doch mal." Endlich sah Kaiba ihn an. Von oben musterte er ihn misstrauisch. "Ja, wir bekommen einen Mitternachtsimbiss. Bist du so erschöpft, dass du nicht einmal mehr lesen kannst?" Joey lachte und erhob sich, tätschelte seine Schulter, schnappte sich sein Gepäck und folgte einem der Männer, die ihn und seine Gruppe zu einem der Bungalows führte. Kaiba sah ihm Stirnrunzelnd nach, schwang sich die Tasche über die Schulter, beugte sich zu seinem Koffer hinab und trödelte hinterdrein. Kurz darauf stand er mit Yugi, Tea, Tristan, Duke, Bakura, Tea und Joey vor einem Terrakottafarbenen Haus. Vom äußeren Erscheinungsbild her, ließ dieses Haus keine Unzufriedenheit zu. Joey lugte zu ihm. "Und?", raunte er guter Laune. "Entspricht es den Vorstellungen des hohen Herrn?" Kaiba besah sich die sauberen Fassaden, unterwarf sich nicht den Mühen, verzweifelt nach Fehlern zu suchen, um einen seiner geliebten Flüche loszuwerden. Letzten Endes legte er nur den Kopf schief und hob die Augenbrauen. Wenn das Äußere auch so entzückend wirkte, so war es möglich, dass der Inhalt des Hauses weniger beglückend war. Daran glaubte Joey nicht... und er hatte Recht. Als sie aufschlossen, in den gefliesten Flur traten und das Licht anschalteten, schenkten sie ihren Augen weniger Vertrauen, als zuvor. Die Wände waren weiß gestrichen, der Flur war nicht all zu lang und so konnten sie bereits nach dem Betreten des Hauses ein wunderschönes Wohnzimmer bestaunen. Es nahm beinahe das gesamte Erdgeschoss des Hauses ein, beinhaltete drei Sofas, einen hübschen Tisch und einen farbigen Teppich. In einer Ecke stand sogar ein Fernseher mit Videorekorder. Durch die beiden großen Fenster schien das Licht einer der Laternen zu ihnen hinein. Schweigend sahen sie sich um. Links im Flur befand sich eine Tür, die in ein großes Bad führte, hinter der Ecke im Wohnzimmer schlängelte sich eine hölzerne Treppe in die erste Etage hinauf. Joey ließ die Tasche fallen. "Huimui!" "Und das für so wenig Geld?" Duke blähte die Wangen auf. "Das ist so gut, dass es beinahe schon mein Misstrauen erweckt." "Ach komm!" Tristan stieß ihn an und trat in das Wohnzimmer. "Sei einfach froh drüber!" "Bin ich", beteuerte Duke. Somit stob die Gruppe zur näheren Inspektion auseinander, nur Joey und Kaiba blieben stehen und ein amüsiertes Grinsen umspielte den Mundwinkel des Blonden, als er zu dem anderen lugte. "Und? Kannst du meckern?" Nein, das konnte Kaiba nicht. Also schwieg er und Joey trottete zu den Anderen in das Wohnzimmer. Kaiba sah ihm nach, rollte mit den Schultern und ging ebenfalls auf Wanderschaft. Dem Wohnzimmer schenkte er kaum Beachtung, steuerte sogleich auf die Treppe zu und stieg hinauf, um sich in der ersten Etage umzusehen. Dort betrat er einen sauberen Flur, an dem zwei Türen anknüpften. Er öffnete sie. Hinter der Rechten befand sich ein weiteres, jedoch kleineres Bad und in der anderen? Das war der Schlafraum. Spätestens hier wurde Kaiba von einem leichten Unwohlsein gepackt. Acht Betten und einige Kleiderschränke fanden in dem Raum Platz. Es war zwar ein recht großer Raum, die Betten waren nicht aneinander gezwängt und dennoch war ihm nicht wohl bei dem Gedanke, hier mit der ganzen Clique die Nächte zu verbringen. Was war, wenn einer seiner Mitbewohner schnarchte, im Schlaf quatschte oder gar schlafwandelte? Joey war perfekt, um mit ihm die Nächte zu verbringen. Er schnarchte nur selten, quatschte nicht und lief auch nicht torkelnd umher. Nun ja, er gab nur merkwürdige Grunzlaute von sich und es war schon oft vorgekommen, das Kaiba aufwachte, weil ein Arm in seinem Gesicht landete. Joey hatte ihm sogar schon einmal an den Haaren gerupft. Im Schlaf! Dennoch, diese Folter war ihm lieber, als irgendein Schnarchen! Und die Frage war doch letztendlich, wem dieses Schnarchen zu verdanken war. Er trat näher an eines der beiden Hochbetten heran und besah sich die Decken. Sie waren nicht sehr dick. Die Kissen sahen gemütlich aus und auch als er eine der Matratzen betastete, fand er bedauerlicherweise nichts Negatives. Er richtete sich auf und verschränkte die Arme vor der Brust. Kurz darauf leisteten ihm die Anderen Gesellschaft und niemand von ihnen schien einen Gräuel gegen die Umstände im Schlafraum zu hegen. Nein, sie alle waren außerordentlich zufrieden und begannen sogleich, sich einzurichten. Kaiba verspürte keinerlei Lust, es ihnen gleichzutun, hinzukommend sehnte er sich nach Ruhe, nachdem er einen Tag auf engsten Raum mit der Clique verbracht und noch weitere Tage vor sich hatte. In langsamen Schritten kehrte er in das Wohnzimmer zurück und warf sich auf eines der Sofas. Von oben her drangen aufgeregte Stimmen an seine Ohren, lautes Lachen, schnelles Sprechen, sogar Tristan hörte er schreien. Langsam hob er die Hände, schloss die Augen und rieb seine Schläfen. Der Gedanke, zu diesem Zeitpunkt in seinem Büro sitzen zu können, quälte ihn. Er versuchte, ihn nicht weiterhin zu verfolgen. Er war in Deutschland, nicht in Japan. Und hier war alles anders. Er stieß ein leises Stöhnen aus, ließ den Hinterkopf auf die Lehne hinabsinken und versuchte sich zu entspannen. Nach wenigen Sekunden jedoch, ertönten Schritte auf der Treppe. Er bewegte sich nicht, blickte erst auf, als sich die Schritte ihm näherten. Joey beugte sich zu ihm herab, umfasste seine Hand und zog ihn gemächlich auf die Beine. Ihre Blicke trafen sich, Joey lächelte keck und wies mit einem lässigen Nicken zur Tür. "Komm mit", flüsterte er, bevor er losging und ihn mit sich führte. Als sie in die Nacht hinaustraten, spürten sie sofort die angenehme Kühle auf ihrer Haut. Die Lampen brannten hell, beleuchteten jedoch nur kleinere Punkte und überließen größere Flächen der Finsternis. Hier in der bergigen Landschaft ließ sich die Nacht mehr genießen, als in Domino, wo kahle Gebäude die Rolle der Berge übernahmen. Joey hielt kurz inne, um tief durchzuatmen, dann blickte er sich orientierend um und zog Kaiba weiter. Er umging das Licht einer Laterne und zog ihn direkt in den schwarzen Schatten eines unbenutzten Bungalows. Dort blieb er stehen, ließ Kaibas Hand los und wandte sich ihm zu. Wortlos legte er die Arme um seinen Rücken, trat näher und schmiegte sich in einer zärtlichen Umarmung an ihn. Kaiba erwiderte diese gemächlich, schob das Kinn in den blonden Schopf und schloss die Augen. "Müde?", erkundigte sich Joey nach einer kurzen Zeit flüsternd. "Mm." Kaiba schüttelte sachte den Kopf, verstärkte die Umarmung und holte tief Atem. Somit gaben sie sich wieder dem Schweigen hin und Joey störte die Ruhe nicht, als er sich langsam zu regen begann, sich gemächlich an Kaiba höher schob und mit geschlossenen Augen nach dessen Lippen tastete. Schnell fühlte er ihre sanfte Wärme, streifte sie kurz und küsste sie zärtlich. Kaiba nahm vorerst nicht an den Kosungen teil, zu sehr war er darauf aus, zu genießen. Kitzelnd berührten sich ihre Nasenspitzen, als er nach kurzer Zeit das Gesicht senkte, die langen Strähnen seines Haars streiften Joeys Stirn, bedächtig folgte er seinen Lippen, schnappte sanft nach ihnen und spürte, wie sie sich zu einem Lächeln verzogen. Joey ließ die Arme tiefer sinken, bis zu seiner Hüfte wandern, hinter der er seine Hände ineinander faltete. Somit hielt er inne, verkürzte Kaiba den Weg und öffnete den Mund einen Spalt weit. Zurückhaltend begannen sie sich zu küssen, spielerisch tauschten sie Liebkosungen aus, bis sich Joey fester an ihn schmiegte und zubiss. Er spreizte die Finger, faltete sie wieder ineinander und schloss sich den langsamen Bewegungen an. Kaiba lockerte die Umarmung, um seine Schultern zu umschlingen. Joey seufzte leise auf, als ihre Zähne aneinanderklackten, dann drängte er sich vorwärts, drängte sich in Kaibas Mund und erforschte ihn... ein weiteres Mal. Soeben war er dabei, mit seiner Zunge zu spielen, da drang ein leises Geräusch an seine Ohren. Langsam lösten sich ihre Lippen voneinander und beide blickten auf. Joey starrte in die Dunkelheit, lauschte angestrengt. Doch mit diesem Geräusch endete es wieder. Der Blonde verzog die Augenbrauen und wurde sogleich in die Umarmung zurückgezogen. Bereitwillig wendete er den Kopf nach oben und atmete tief durch, gern dazu bereit, all das fortzusetzen. Wieder kamen sie sich näher, wieder waren ihre Lippen kurz davor, sich zu berühren... da ertönte es wieder. Das merkwürdige Geräusch! "Das muss viel tiefer sein!", mischte sich nun auch eine leise Stimme darunter, gefolgt von einem unglaublich gehässigen Lachen. Joey brummte unzufrieden und wendete sich erneut ab. Auch Kaiba kam diese Störung nicht gelegen. Mit finsterer Miene musterte er die Umgebung, Joey war es jedoch, der zuerst das Interesse an ihr verlor. Er stöhnte, drängelte Kaiba etwas zurück und suchte beinahe zwanghaft und schnell nach seinem Mund. Nicht oft würden sie auf dieser Klassenfahrt Zeit für etwas Derartiges haben, also wünschte er keine Störungen! Während er nach Kaibas Unterlippe schnappte, tasteten dessen Augen noch immer die Umgebung ab. Zugegeben, unter diesen Umständen verlor er die Lust. "Ich hoffe, er stirbt", hörte er plötzlich die Stimme eines jungen Mannes lästern. "Machst du Witze?", meldete sich eine Andere. "Dazu muss das Loch tiefer sein! Mindestens zehn Meter." "Dann mal los, hopp hopp!" "Du bist mir ja lustig! Grab das verfluchte Loch doch selbst, wenn du so entschlossen bist!" "Pass auf, du Keks! Ich bin hier der Meister!" „Ein Meister der Dummheit bist du!“ „Boah!“ Unter einem erschöpften Stöhnen ließ Joey den Kopf sinken und schüttelte ihn. Kaiba räusperte sich brummig. "Was zur Hölle ist da los?" Der Blonde blickte wieder zur Seite, in die Richtung, aus der zweifellos die Stimmen kamen. "Kann man denn nicht mal hier seine Ruhe haben?" Kaiba gab einen undefinierbaren Laut von sich, entließ Joey aus der Umarmung und fuhr sich durch den Schopf. An seiner Miene erkannte man deutlich, dass er mit der Unterdrückung eines grauenhaften Fluches zu kämpfen hatte. Joey rammte die Hände in die Hüften und biss sich nachdenklich auf die Unterlippe. "So wird das nichts", brummte er nach wenigen Sekunden und warf Kaiba einen prüfenden Blick zu. "Komm, wir schauen wer sich diese Frechheit herausnimmt." Mit diesen Worten zupfte er an seinem Hemd und trottete los. Kaiba folgte ihm, wenn auch unwillig und mürrisch. Aus der Dunkelheit traten sie in das Licht der Laternen zurück und sogleich fiel Joey eine kleine Gruppe von vier jungen Männern ins Auge, die sich mit Spaten an dem Weg zu schaffen machten. Verwundert hob Joey die Augenbrauen, näherte sich ihnen und blieb in einem sicheren Abstand stehen. Kaiba gesellte sich zu ihm, verschränkte die Arme vor dem Bauch und verfolgte die harte Arbeit mit teilnahmslosem Blick. Dort standen sie und wurden nicht bemerkt. Die vier jungen Männer waren zu sehr mit ihrer Arbeit beschäftigt, hinzukommend mussten sie sich die Zeit nehmen, hinterhältig zu lachen. Joey verengte die Augen, neigte sich leicht nach vorn und ließ die Hände in die Hosentaschen rutschen. Bei genauerem Hinsehen fiel ihm ein Loch auf, das die vier fleißigen Jungs gebuddelt hatten. Er rollte mit den Schultern und legte den Kopf schief. "Seid vorsichtig", meinte einer der Jungs und rammte den Spaten erneut in die feste Erde. "Wenn uns jemand sieht…" "Hey, was soll das werden?", meldete sich Joey in dieser Sekunde zu Wort. Sofort richteten sich die Jungs auf. Erschrocken fuhren sie zu den Beiden herum, als sie sie jedoch erblickten und flüchtig musterten, schienen sie sich zu beruhigen. Sie grinsten und stützten sich auf ihre Spaten. "Hey Dude." Ein Großer grinste guter Laune, während ein Anderer Ausschau nach gefährlicheren Personen hielt. "Bitte was?" Joey verzog das Gesicht. "Ich hab den hier noch nie gesehen." Die Jungs wandten sich tuschelnd einander zu, ließen die Neuankömmlinge plötzlich außer Acht. "Muss ein neuer Gast sein." "Ist nicht mein Problem", sagte der Große und machte sich wieder an dem Loch zu schaffen. "Kommt schon, Dudes! Wir haben eine wichtige Mission zu erfüllen." "Stimmt!" "Sind das Engländer?" Joey warf Kaiba einen fragenden Blick zu. Der Akzent der vier war unüberhörbar. "Amerikaner", verbesserte dieser desinteressiert. "Ah." Joey drehte sich um, wippte vor und zurück und beobachtete die vier Gestalten, die nun wieder fleißig buddelten. "Was machen die da nur." "Wollt'as wissen?" Einer der Amerikaner, einer, der Joey zuvor nicht aufgefallen war, trat nach vorn, stieß den Spaten in den Boden und richtete sich stolz auf. "Ich sach’s euch." Bei seinem Anblick öffnete Joey sprachlos den Mund. Verwirrt starrte er sein Gegenüber an und auch Kaiba schien seinen Augen nicht zu trauen. Er verzog skeptisch die Brauen, lehnte sich zurück und blinzelte. Stumm standen die drei voreinander und Joey war der erste, der die Fähigkeit des Sprechens zurückerlangte. Er riss sich zusammen, schloss den Mund und hob die Hand. „Du trägst eine Sonnenbrille“, murmelte er. „Ich weiß.“ "Warum trägst du eine Sonnenbrille?" Der junge Mann lachte selbstsicher und rückte an dem hübschen Rahmen. "Sieht verdammt cool aus, oder?" "Wenn du meinst?" Joey runzelte die Stirn. "Kannst du überhaupt etwas sehen?" "Nö, aber's sieht gut aus!" Der merkwürdige junge Mann erreichte Kaibas Größe und war von schlanker Statur. Bekleidet war er mit einer lockeren Hose und einem zur Hälfte aufgeknöpften Hemd. Um seine Handgelenke lagen schwarze Schweißbänder, um seinen Hals hing ein Hundehalsband an dem eine richtige Hundeleine baumelte. Prinzipiell machte er einen verdammt verrückten Eindruck. Sein Gesicht wirkte im faden Licht der Laternen sonnengebräunt und zierlich. Das schulterlange fransig geschnittene schwarze Haar war zottelig und zu einem kleinen Zöpfchen gebunden. Die Ohren waren von je zwei Ringen durchstochen. Ein kleiner Ring blitzte auch in der Mitte seiner Unterlippe. Ja, und auf der schmalen Nase saß eine modische, jedoch vollkommen überflüssige Sonnenbrille. Er rückte und grinste, grinste und rückte. Als er dann jedoch den missfälligen Blick von Seiten Kaibas und Joeys Verwirrten bemerkte, stieß er ein erschöpftes Stöhnen aus, zog die Sonnenbrille von der Nase und ließ sie plump in einer der Hosentaschen verschwinden. "Ich…", wies er mit dem Finger auf sich, "… hab verzweifelt damit zu tun, gegen's Gerücht anzukämpfen, das de Japaner prinzipiell langweilige Frösche sin, die nur angeroffelt herumstehn und gucken, als hätte jemand ihnen ins Gesicht gepustet. Aber ihr!" Er musterte sie mit geheuchelter Strenge. "Ihr macht's mir wirklich schwer, seid aber Japaner, oda?" Eine leise Verachtung schlich sich in Kaibas Gesichtszügen ein, während sich die des Blonden nur verfinsterte. "Langweilige Frösche? Davon wüsste ich!" Er hob ergrimmt die Fäuste, nach der Störung war nicht mit ihm zu spaßen. "Außerdem kann ich auch lustig sein!" "Och!" Der junge Mann weitete die Augen, nahm den Blonden überrascht ins Visier. "Sachste das nur oda isses auch so." "Wollen wir jetzt streiten, ob ich lustig bin, oder was!" Joey verdrehte die Augen. "Vergiss es, das ist mir zu blöd!" Der junge Mann gab sich ungerührt, beinahe tat er schon so, als hätte er Joeys Worte nicht gehört. Er wurde auf Kaiba aufmerksam, näherte sich ihm in langsamen Schritten und musterte ihn eindringlich. Kaiba bewegte sich nicht, starrte in die aschgrauen Augen und kam zu der Einsicht, dass er diesen jungen Mann nicht ausstehen konnte. Und dies brachte er mit nur einem Blick zum Ausdruck. Kurze Zeit standen die Beiden schweigend voreinander, währenddessen lehnte sich Joey zur Seite und beobachtete die drei Jungs von neuem, wie sie buddelten und gehässig lachten. "Hey", wandte er sich dann an Kaibas Beobachter. "Was machen die da?" Sofort verlor dieser das Interesse an seinem Zielobjekt, wandte sich ab und legte kameradschaftlich den Arm um Joeys Hals. Irritiert wurde Joey etwas zur Seite gezogen. "Willst das ehrlich wissen?" "Sonst würde ich wohl kaum fragen", antwortete Joey und beobachtete die fleißigen Arbeiter weiterhin. "Ehrlich?" "Ja." "Echt" "Ja, ja, ja!" Joey schickte ihm einen Blick, der keine weitere Verzögerung zuließ. "Raus damit!" Da lachte der junge Mann, ließ den Kopf hängen und schlenderte auf das Loch zu. "Wir wollen nur unsere Rache." Joey traute seinen Augen nicht, als das Gesicht des jungen Mannes plötzlich wehleidig und traurig wirkte, als er die Finger verkrampft in seinem Hemd vergrub und auf die Knie sank, um verzweifelt zum Himmel aufzublicken. "Wir wollen die Rache, die uns zusteht!" Somit begann er zu schluchzen, presste den Arm auf das Gesicht und sank in sich zusammen. Joey weitete entsetzt die Augen, Kaibas Miene wirkte nahezu ungläubig. Die anderen Jungs wurden schnell darauf aufmerksam, warfen die Spaten weg und eilten zu ihrem Leidensgenossen. Zwei von ihnen tanzten um ihn herum, der Andere umarmte ihn tröstend und schluchzte mit. Der Katzenjammer dauerte seine Zeit, dann richtete sich der junge Mann auf und schubste seinen Kumpel weg. "Halt die Klappe, verdammt! Du hast zu tun!" Augenblicklich kehrten auch die Tänzer zu dem Loch zurück, griffen nach den Spaten und begannen zu schaufeln, wobei sie immer wieder von einem "schneller, schneller!" angetrieben wurden. Joey schüttelte entsetzt den Kopf und der junge Mann wandte sich erneut zu ihnen. Nun wirkte seine Miene nahezu ernst, was auch immer das bei ihm zu bedeuten hatte. "Es gibt da so einen Spacken, so etwas, das hier und da herumläuft, hier arbeitet, verstehta?" Joey nickte stockend, der Schock saß noch zu tief. Der junge Mann sah sich hinterlistig um, bevor er fortfuhr. "Der ärgert uns liebe unschuldige Leute. Und nu zahlen wir es ihm zurück, is nur fair, oda?" "..." "Is nur am meckern, der Hans! Und morgen, wenn er joggt, wirda n'bissl blöd fallen. Hoffentlich bricht er sich irgendwas!" "Wie kommt's, dass ihr japanisch sprecht?", wandte sich Joey einer anderen Frage zu, bevor er weiterhin diesen Blödsinn über sich ergehen lassen musste. "Sach ich nich." Der junge Mann begann leise zu kichern und an seinen Haaren herumzuspielen. "Ach...", Joey verzog die Augenbrauen, "... aha." Der junge Mann ließ von seinen Haaren ab, richtete sich auf und musterte die beiden mit schief gelegtem Kopf. Er starrte zu Joey, dieser starrte zurück, während Kaiba düster den Blick gesenkt hielt. Der junge Mann musterte auch ihn, dann drehte er sich zu seinen Kumpels um und fuchtelte mit den Armen. "Wir brauchen zwei weitere Löcher!", rief er ihnen zu und einer der Jungs drehte sich um. "Wieso?" "Es is verdammt gefährlich, so langweilig zu sein!", antwortete der junge Mann unverdrossen. "Wir müssen diese Buben bestrafen!" "Bitte was?", erhob Kaiba ohne zu Zögern das Wort. "Wie hast du mich genannt?" "Sei doch nich gleich so angeroffelt." Der junge Mann grinste verspielt. "Du verstehst ja überhaupt kein' Spaß." "Von welchem gottverdammten Baum bist du geklettert!", erwiderte Kaiba scharf. "Oh... doch." Der junge Mann weitete die Augen. "Du verstehst definitiv kein' Spaß." Bevor Kaiba antworten konnte, wurde ihm wieder der Rücken zugewandt. "Hey, die neuen Gäste bekommen gleich nen Zwischenimbiss. Seid ihr hungrig?" "Du willst schon wieder gegen die Regeln verstoßen?", erwiderte einer der Jungs überrascht, jedoch nicht abgeneigt. "Scheiß auf die Regeln!", verkündete der junge Mann daraufhin entschlossen. "Kommt schon, ich hab Hunger." "Okey dokey." Die Jungs warfen die Spaten weg und klopften sich kurz die Hosen sauber. "Scheiß auf das Loch. Dann stirbt der Idiot eben ein anderes Mal." "Korrekt!" Der junge Mann trödelte auf seine Clique zu und winkte den Beiden. "Wir sehen uns, Jungs!" Mit diesen Worten reihte sich der junge Mann ein, begann zu schubsen und zu lachen und machte sich so auf den Weg zu dem großen weißen Gebäude, in dem sich vermutlich der Speiseraum befand. Joey sah ihm nach und er hätte es auch noch länger getan, wenn Kaiba sich nicht murrend umgedreht, und sich auf den Rückweg zu dem Bungalow gemacht hätte. Da wandte auch er sich ab. "Was ist los?" "Vergiss es." Kaiba führte eine abwertende Handgeste aus. "Ich ziehe mich kurz um, dann können wir essen gehen." "Öhm... okay." Joey wackelte mit dem Kopf und versuchte Schritt zu halten. Nur wenige Minuten später verließen die Beiden den Bungalow und machten sich gemächlich auf den Weg zu dem weißen Gebäude. Die Anderen schienen sich so sehr in den Bungalow verliebt zu haben, dass sie erst später folgen wollten. Keinen der Beiden störte dieser Tatsache. Joey zog sich die Hose zu Recht und betrachtete sich das jämmerliche Loch, das an ihnen vorbeizog. Dann wandte er sich nach vorn und umfasste die Handgelenke auf dem Rücken. "Dieser Typ", meldete sich Kaiba zu Wort, Joey lugte zu ihm. "Ich weiß nicht, ob ich ihn fürchten oder verachten soll." "Wie wär's, wenn du ihn einfach nicht beachtest?", schlug der Blonde lässig vor. "Scheinbar ist dieser Mensch verdammt stressig, wir müssen ihn ja nicht ständig um uns haben." "Dafür wäre ich dankbar." Kaiba fuhr sich durch den Schopf und stöhnte leise. Bei dem Finden des Speiseraumes hatten sie keinerlei Schwierigkeiten. Sie waren nicht die Einzigen, die gemächlich auf das weiße Haus zuzogen, also schlossen sie sich lediglich an und betraten nach einem kurzen Spaziergang eine große Halle. Auf dem ersten Blick wirkte sie überaus säuberlich, was wohl strengste Vorraussetzung für einen Esssaal war. Viele kleine und größere Tische reihten sich aneinander, sie nahmen beinahe die gesamte Fläche ein. Nur eine lange Platte zur Selbstbedienung fand noch Platz. Ohne stehen zu bleiben, trödelten die Beiden zu ihr und reihten sich ein. Es gab unglaublich viel, das Joey noch nie zuvor gesehen hatte. Gerichte die er nicht kannte und infolgedessen sofort probieren musste. Letzten Endes häufte sich ein Berg aus unbekannten Speisen auf seinem Teller, während sich Kaiba nur zurückhaltend und äußerst wählerisch bediente. Letzten Endes blieben sie vor einem Teestand stehen. Auch dort war die Auswahl mehr als zufrieden stellend und Joey langte nach dem ersten, das ihm in den Blick kam. Kaiba jedoch, sah sich genauer um, schien nach etwas zu suchen. Lange schaute er sich um, bevor er nach einem bestimmten Teebeutel griff, ihn in eine Tasse warf und von Joey die Kanne mit dem heißen Wasser entgegen nahm. Doch anschließend griff er auch nach einer Kanne Milch und schütte sie zu dem Tee. Joey verzog säuerlich die Miene. "Tee mit Milch?" Kaiba nahm seine Tasse unter die Lupe. "Sieht so aus." Mit diesen Worten wandte er sich ab und schlenderte zu einem kleinen freien Tisch. Zu gegenüberliegenden Seiten ließen sie sich nieder und Joey machte sich sofort an die Erkundung. Er griff nach dem erstbesten und betrachtete es sich lange, bevor er es zum Mund hob und in ihm verschwinden ließ. Er kaute, rollte mit den Augen und nickte zufrieden. "Seto?" Er griff nach der Gabel und begann zu stochern. "Mm." Kaiba rührte in seinem Tee. "Dieser Typ von vorhin." Wieder pickte sich Joey etwas heraus und gab seinem Mund etwas zu tun, es schien ihm zu schmecken. "Hast du ihn schon einmal gesehen? Ich meine, vor dieser Klassenfahrt." Kaiba schüttelte nur den Kopf. "An ihn würde ich mich erinnern." Joey nickte, spickte ein undefinierbares Stück Käse auf, schob es sich in den Mund und begann gefällig zu kauen. Kaiba wandte sich wieder seinem Tee zu, rührte weiter. "Warum fragst du." "Na ja... uärks!" Der Blonde verzog das Gesicht, schüttelte den Kopf und grabschte hastig nach seinem Tee. Ebenso eilig begann er trinken, spülte alles hinunter und schnitt mehrere Grimassen, als er die Tasse sinken ließ. "Was war denn das?!" Er räusperte sich und begann seinen Teller von neuem zu mustern. "Na ja, ich habe irgendwie das Gefühl, ihn schon einmal gesehen zu haben." "Woher solltest du ihn kennen", murmelte Kaiba mit einem leisen Anflug von Desinteresse. "Das weiß ich ja eben nicht." Wieder kostete Joey etwas. "Da muss ich noch nachdenken. Jedenfalls bin ich mir sicher... irgendwie. Mm, lecker." Kaiba wackelte mit dem Kopf. Dieser junge Mann schien nicht sein liebstes Gesprächsthema zu sein und Joey störte ihn nicht weiterhin mit seinem Gerede. Er aß weiter und gab zu jedem Häppchen seinen Kommentar ab, bis er zufällig an Kaiba vorbeiblickte. Seine Augen schienen an etwas hängen zu bleiben, seine Hand tastete nach dem Tee. Während er die Tasse zu Mund hob, fixierte er einen gewissen Punkt und es dauerte nicht lange, bis Kaiba darauf aufmerksam wurde. Er musterte den Blonden nur flüchtig und wandte sich seinem Teller zu. "Lass mich raten. Er sitzt nicht weit von hier und treibt seinen Schabernack." Joey legte den Kopf schief. Der junge Mann mit der Hundeleine und den aschgrauen Augen hatte die Füße zu sich auf den Stuhl gezogen. In den Händen hielt er zwei Gabeln, auf denen zwei rechteckige Käsestücke steckten. Er bewegte sie gekonnt in der Luft, ließ sie aufeinander zubrausen und spielte mit größtem Vergnügen einen Flugzeugcrash nach. Dann lachte er, kippte beinahe vom Stuhl und ließ eines der Flugzeuge rasch im Mund verschwinden. Seine Kumpels stießen sich an und klauten sich gegenseitig das Essen vom Teller. Joey blähte die Wangen auf. Dieser Typ konnte durchaus so alt wie Kaiba sein, wenn nicht sogar älter. Und er benahm sich wie einer, der soeben aus der Geschlossenen geflohen war, bestenfalls wie ein pubertärer Teenager. Besaß er denn kein Fünkchen Ernsthaftigkeit? Joey konnte sich vorstellen, dass er der verwöhnte Sohn reicher Leute war, dass ihm Probleme gänzlich unbekannt waren und er nichts hatte, um das er sich sorgen brauchte. Nur so konnte sich Joey sein Benehmen erklären, nicht anders. Er beschäftigte sich nicht weiterhin mit der Beobachtung, aß, was ihm schmeckte und machte sich anschließend mit Kaiba auf den Rückweg. Zwischendurch trafen sie Yugi und die Anderen, die heiter ihrer Wege gingen. Genießerisch schloss Kaiba die Augen, legte die Beine gekreuzt auf den Rand der Badewanne und ließ auch die Unterarme im Freien baumeln. Nach einer langen Reise bewirkte so ein Bad wahre Wunder. Er entspannte sich, holte tief Atem und verblieb reglos. Joey hockte neben ihm auf dem Rand, bewegte die Füße im Wasser und betrachtete sich die Strukturen, als er kleine Wellen verursachte. Es plätscherte, ein erholter Atemzug drang über Kaibas Lippen und der Blonde sah ihn an. Er betrachtete ihn sich beinahe schon nachdenklich, seine Füße hielten in den Bewegungen inne, er stellte sie ab und beugte sich etwas nach vorn, den Blick stets auf Kaibas Gesicht fixierend. Eine lange Zeit verging in dieser beruhigenden Stille, dann begann sich Kaiba zu regen. Er richtete sich etwas auf, rutschte sich zu Recht und öffnete die Augen einen Spalt weit, als er bequem lag. Ihre Blicke trafen sich, Joey lächelte. Kaiba erwiderte die Musterung lange, bevor sich auch seine Lippen bewegten. "Was ist." Joey wandte den Kopf ab und betrachtete sich seine Füße, die Zehen, die sich spreizten, auf dem Grund der Badewanne auf und ab wippten. "Nichts", sagte er. "Ich bin rundum zufrieden." Kaiba nickte und schloss die Augen. Und kurz darauf begann Joey ihn wieder zu beobachten. Er sah ihn lange an, bevor er sich langsam erhob und über Kaibas Beine hinweg stieg. "Rutsch mal." Kaiba gehorchte und Joey ließ sich neben ihm in das Wasser sinken. Ohne die Augen zu öffnen hob Kaiba den Arm und legte ihn um Joeys Schulter. Dieser legte den Arm über seinen Bauch und rückte näher heran, bis er die Wange auf der straffen Brust ablegen konnte. Doch während Kaiba die Entspannung genoss, starrte er nachdenklich auf einen nicht vorhandenen Punkt. Seine Miene wirkte ausdruckslos, nur selten verzogen sich seine Augenbrauen unter angestrengtem Grübeln. Und nach wenigen Minuten zog er die Hand zu sich und begann gedankenverloren an seinen Fingernägeln zu knaubeln. Lange lagen sie dort und bald hörten sie, wie sich draußen die Tür öffnete, sie vernahmen schnelle Schritte, heitere Gespräche. Ihre Mitbewohner waren zurückgekehrt. Kaiba achtete herzlich wenig darauf, auch Joey schien nichts wahrzunehmen. Langsam schabte er mit den Zähnen über seinen Zeigefinger, seine Pupillen schweiften gemächlich durch den Raum. Er dachte an diesen jungen Mann mit den aschgrauen Augen. Die Tatsache, dass er glaubte, ihn zu kennen, brachte ihn durcheinander, denn er konnte sich nicht an den Zeitpunkt und die Umstände entsinnen. Er hatte ihn schon einmal gesehen, das war nicht zu bezweifeln, die Frage war nur wann und wo. Er schien Amerikaner zu sein, es wäre nicht verwunderlich, würde er auch in Amerika leben. Und dort war Joey noch nie gewesen. Von Natur aus war er jedoch neugierig und nun sah er sich dazu gezwungen, dieses Mysterium zu erkunden. Er atmete aus, blinzelte und legte den Arm über Kaibas Bauch zurück. Etwas ging hier nicht mit rechten Dingen zu. Kurz darauf machten sie sich auf den Weg zu dem Schlafraum. Duke und die Anderen hatten es sich derzeit im Wohnzimmer bequem gemacht, schienen viel besprechen und ihre Eindrücke austauschen zu wollen. Und am liebsten hätten sie Joey und Kaiba in dieses heitere Gespräch einbezogen, doch die Beiden waren zu müde, um sich darauf einzulassen. Munter verabschiedeten sie sich voneinander. Oben angekommen, warfen sie nur ihre Kleider auf ihre unausgepackten Taschen und suchten sich Betten. Nach kurzen Überlegungen stieg Joey in eines der Hochbetten hinauf und Kaiba machte es sich in dem unteren Bett bequem. Keiner von ihnen wurde enttäuscht, die Betten waren gemütlich, nur Kaiba drehte und wendete sich, bevor er liegen blieb. Joey rollte sich auf dem Bauch, stützte das Kinn auf die verschränkten Arme und fischte mit den Füßen nach der Decke, mit der er zu spielen begann. Das Licht einer nahe stehenden Laterne schimmerte nur fahl durch die Vorhänge des Fensters, ließ ein helles Muster auf dem Teppichboden entstehen. Joey drehte das Gesicht zur Seite und betrachtete es sich. Um ehrlich zu sein... ja, dieses Gesicht ging ihm einfach nicht aus dem Kopf. Auf der einen Seite konnte er seiner Neugierde kaum widerstehen, auf der Anderen jedoch, wollte er sich diese Klassenfahrt nicht durch Grübeleien zunichte machen. Er biss sich auf die Unterlippe, schloss die Augen und atmete tief durch. "Seto?", hauchte er dann beinahe lautlos. "Mm." Kaiba lag auf dem Rücken, hatte die Arme unter dem Kopf verschränkt und besah sich den Boden des oberen Bettes. Joey blinzelte, räkelte sich kurz und schwieg lange, bevor er fortfuhr. "Du arbeitest doch viel am Computer, liest sicher auch viel, oder?" "Mm." "Und", Joey befreite eine Hand und begann verträumt das Bettlaken zu bearbeiten. "So etwas müsste doch sehr belastend auf die Augen wirken, oder?" "Natürlich", antwortete Kaiba ruhig. "Hast du so etwas wie eine Lesebrille?" "Nein." Kaiba ließ das Gesicht zur Seite sinken, wurde ebenfalls auf die strahlende Form am Boden aufmerksam. "Worauf willst du hinaus?" Joey biss sich auf die Unterlippe, er zögerte mit der Antwort und entschloss sich nach kurzem Grübeln dazu, sie nicht zu geben. Seine Finger ließen von dem Laken ab. Träge rollte er sich zurück, griff nach der Decke und zog sie über sich. "Ach, ich war nur neugierig." Er rückte sich zurecht und holte tief Atem. "Mm." Kaiba verzog skeptisch die Augenbrauen, wandte sich wieder dem oberen Bett zu und verblieb somit reglos. In dieser Nacht wurde Joey ein ruhiger Schlaf zuteil. Er träumte nicht und nur einmal kam er mit der Wand in Konflikt. Er schlief entspannt und wurde erst spät am folgenden Tag wach. Und er wurde wach, weil von draußen ein wütender Schrei durch das geöffnete Fenster an seine Ohren drang. Er öffnete die Augen einen Spalt weit, schmatzte verschlafen und rollte sich zur Wand, die Decke mit sich ziehend. Er wollte noch etwas schlafen... und vor allen Dingen wollte er dabei seine Ruhe haben. Der Schrei verlor schnell an seinem Interesse. Doch im Schlafraum herrschte bereits Betrieb. Joey hörte die Stimmen seiner Freunde, Schritte und andere Geräusche. Er hörte Duke flüstern, Tristan lachen und Tea meckern, auf dass sie etwas leiser sein sollten. Ja genau, Joey wollte nämlich schlafen. Benommen und schlaftrunken tastete er nach dem Kissen und zog es sich über den Kopf. Und in dieser Sekunde nahm er eine weitere Stimme wahr. "Kaiba...?", hörte er Yugi flüstern. "Hey... Kaiba, wach auf." Wieder schmatzte Joey und rollte sich wie ein Igel zusammen. "Kaiba... du musst aufstehen." Da hatte sich Yugi ja etwas vorgenommen... aber auch das musste Joey nicht interessieren. Als dieser klägliche Versuch jedoch weitere zwei Minuten andauerte, blinzelte Joey erneut, setzte zu einem herzhaften Gähnen an und streckte sich wie eine Katze. "Kaiba... hallo? Hörst du mich? Auf-ste-hen." Mit großem Kraftaufwand gelang es Joey, sich auf den Rücken zu drehen und sich vorzuhieven, bis er das Kinn auf die Bettkante stützen und hinabschauen konnte. Vor dem unteren Bett stand wirklich der Junge und redete mit einer unglaublichen Geduld weiter. "Kaiba? Kaiba... hey?" Joey blinzelte verschlafen, ließ die Arme hinunterbaumeln und verfolgte das Geschehen mit trüben Augen. "Moin", begrüßte ihn Duke, der dabei war, seine Kleider in einen Schrank zu stopfen. "Mmm... oin", nuschelte Joey zurück, ohne den Blick von Yugi abzuwenden. Dieser begab sich in jeder Sekunde seiner Geduld mehr in Gefahr, beugte sich nach vorn und schien vorsichtig zu rütteln, worauf sich immer noch nichts im unteren Bett regte. Joey gähnte erneut, hatte große Lust, sofort wieder einzuschlafen. Auf der anderen Seite jedoch... Yugi war sein Freund, es war also seine Pflicht, dass er ihn auf eine gewisse Sache hinwies. "Ähm...", er begann träge mit den Armen zu baumeln, "Yugi... ich würde das nicht tun." "Hm?" Der Junge blickte verwundert zu ihm auf, sein Arm beging noch immer den Fehler. Ja, er rüttelte. "Warum?" "Na ja..." Plötzlich schnellte ein Kissen aus dem unteren Bett hervor, traf den Jungen im Gesicht und beförderte ihn flink auf den Boden, wo dieser überrascht sitzen blieb. Joey blinzelte müde und legte den Kopf schief. "Deshalb." Somit war Joey kurz davor, auch den Rest der Schlaftrunkenheit loszuwerden. Kurze Zeit später, stieg er von dem Bett und machte sich bequem auf den Weg hinunter in das Bad. Tapsig zog er seine Shorts zu Recht. Er wollte duschen. Träge öffnete er die Tür des Bades, warf sein Kleiderbündel hinein und wurde dann auf die andere Tür aufmerksam. Es gab etwas noch Wichtigeres, als diese Dusche. Ohne Umschweife machte er sich auf den Weg, öffnete die Tür und trat auf die flache Terrasse hinaus. Der Anblick, der sich ihm dort bot, war schlichtweg hinreißend. Und hinreißend war sicher nicht die Quelle des Radaus, der ihn geweckt hatte. Joey blickte sich um. Jetzt sah er den Zielort seiner Klassenfahrt zum ersten Mal in vollem Licht. Die pure Natur umgab ihn, sie war gesund und erstrahlte in ihrem vollen Glanz. Verspielt schlängelten sich die Strahlen der Sonne durch die Kronen der hohen Bäume, warfen leuchtende Schatten auf das Gras und den Kiesweg. Vögel zwitscherten, die Blätter der Bäume raschelten im leichten Wind. Es war eine herrliche Gegend, Joey konnte sich kaum satt sehen. Während seine Augen begierig und begeistert durch die Umgebung schweiften, kratzte er sich am Bauch. Nun hatte er noch weniger Zweifel daran, dass es sich hier zwei Wochen ertragen ließ. Er besah sich die sauberen Bungalows, die Schüler, die lachend und scherzend ihrer Wege gingen. Dann jedoch, wurde er auf einen Mann aufmerksam, der für das grausame Geschrei verantwortlich war. Er trug einen Jogginganzug, fuchtelte mit den Fäusten und ließ seiner Wut freien Lauf. Neben ihm prangte ein gewisses Loch im Boden, das einiges an Tiefe zugenommen hatte und mit einigen Stöcken und Gras abgedeckt worden war. Diese Stöcke waren nun zerbrochen und an dem Jogginganzug des Mannes haftete unschicke Erde. Joey legte den Kopf schief. Da musste es Schurken gegeben haben, die im Schutz der Nacht ihr bösartiges Werk vollendet hatten. "Das wird Konsequenzen haben! Ich lasse das nicht mit mir machen!!" Der Mann knirschte mit den Zähnen, in sicherer Entfernung von ihm stand ein gewisser junger Mann, der nun schützend die Arme vor das Gesicht hob und sich leicht nach vorn duckte. "Bitte... schrei'n Sie nich so!", wimmerte er und schluchzte geschauspielert. "Ich war's nich! Ich hab's Loch nich gegraben, das müssen Sie mir glauben!" "Als ob ein anderer dazu imstande wäre, Osfordt! Ich verstehe nicht, wie man nur so..." Er schrie und zeterte weiter, Joey jedoch, lauschte auf. Osfordt? So hieß der junge Mann also. Der Blonde legte den Kopf schief - der Name sagte ihm nichts. Er blieb stehen und verfolgte das aufregende Szenario. Der Mann schrie, der junge Mann jammerte und dann wandte sich der Mann ab und stampfte zum weißen Haus zurück. Und sobald er dem jungen Mann den Rücken zugewandt hatte, richtete sich dieser auf, fuhr sich durch den Schopf und grinste sich halb tot. Heute trug er sein schwarzes Haar offen, nur eine weiße lange Feder war mit einem kleinen Gummi in einer der Strähnen befestigt. Gekleidet war er in eine lockere Jeans und ein einfaches Hemd, das ein großes Tattoo freilegte, das sich über die linke Schulter zog. Um die Handgelenke trug er viele geknotete Bänder, um den leicht muskulösen Oberarm schlang sich ein breites Lederband. Mit düsteren Hintergedanken suchte Joey die Umgebung kurz mit den Augen ab. Die Kumpel schienen nicht da zu sein und hoffentlich würde es auch so bleiben. Als er so herumstand, wurde der junge Mann auf ihn aufmerksam. Er drehte das Gesicht zu ihm, legte den Kopf schief und erwiderte die Beobachtung. Und nach wenigen Sekunden schlenkerte er mit den Armen und kam auf den Blonden zu. Dieser hob locker die Hand. "Morgen." Der Angesprochene antwortete nicht. Er schlenderte weiter, blieb vor ihm stehen und musterte ihn von Kopf bis Fuß. Joey hob die Augenbrauen. "Was ist?" "Man!" Der junge Mann schüttelte tadelnd den Kopf und wies mit einem knappen Nicken auf Joeys nackten Oberkörper. "Wie kann ma nur so rumlaufen!" "Mm." Joey kratzte sich die Stirn. "Das geht ganz einfach." "Ja, isses denn die Möglichkeit!" Der junge Mann weitete die Augen. "Erstens: Es is mein Job, so rumzulaufen. Und zweitens", er blähte die Wangen auf, "Langschläfer gehören verboten. Die verpassen den ganzen schön' Tag! Dann schleppen sie sich aus'm Bett und jammern. Das tut dem Körper nich gut." Er streckte sich protzig und seufzte genüsslich. "Schau mal, das is nen Body, der gepflegt wird." Als er sich so zur Schau stellte und langsam drehte, verzog Joey skeptisch die Augenbrauen. "Meiner ist genauso schön." "Gar nich wahr!", widersprach der junge Mann sofort und bearbeitete das Lippenpiercing mit den Zähnen, worauf es leise klackerte. "Okay, okay." Grinsend stützte Joey die Hände in die Hüften. "Wir können uns jetzt den ganzen Tag über unsere Körper unterhalten." Der junge Mann nickte zustimmend. "Aber..." "Was, aber? Ich könnt mich darüber n'ganzen Tag unterhaltn." "Ist mir klar. Aber bevor wir so intim werden, würde ich gern deinen Namen wissen." "Warum, willste mich heiraten?" "Reine Routine." Joey winkte ab und der junge Mann bearbeitete das Piercing weiterhin mit den Zähnen. "Wenn du artig bist, sage ich dir auch, wie ich heiße." "Aber das interessiert mich doch gar nich. Ich nenn dich lieber Blondi." "Ne, ehrlich." Joey bereitete sich auf eine lange Diskussion vor. Warum zur Hölle sträubte sich der Typ! "Immerhin verbringen wir jetzt beide Zeit hier. Und wenn wir uns mal und mal über den Weg laufen, dann würde ich gern wissen, wie ich dich anzusprechen habe." "Du willst mich heiraten", schlussfolgerte der junge Mann argwöhnisch. "Pass auf, du!" Joey streckte ihm die Faust entgegen. "Es ist ja wohl das Mindeste, den Namen des Anderen zu kennen, oder? Ich bin jedenfalls Joey Wheeler." Hoffnungsvoll streckte er den Kopf nach vorn, der junge Mann jedoch, runzelte lediglich die Stirn. "Was'n das für'n Name?" "Jetzt sag mir deinen blöden Namen!" Joey stöhnte. "Chill." Der junge Mann lachte. "Bin Daniel." "Aha?" "Ray." "Oh. "Willis." "Häh?" "Osfordt." "Willst du mich für blöd verkaufen? Ich wollte wissen, wie du heißt! Die Namen deiner Freunde interessieren mich einen Kuchen!" "Hey, Dude!", wurde er von jenen Typen unterbrochen, die immer auftauchten, wenn man sie nicht brauchte. Die beiden wandten sich ab und erspähten die heitere Gruppe, die winkte und rief. "Lust auf ein zweites Frühstück?!" Joey schnitt eine Grimasse und der junge Mann führte eine lässige Handgeste aus. "Warum nich?", rief er zurück. "Dann los!" Die Jungs trödelten davon und Joey grabschte nach dem jungen Mann, bevor er es ihnen gleichtun konnte. "Wie - heißt - du", stellte er die Frage noch einmal langsamer, damit er es auch wirklich verstand. Der junge Mann jedoch, grinste nur und befreite sich aus dem Griff. "Hab's doch gesagt!", rief er nur, bevor er sich davonstahl. Erschöpft sah Joey ihm nach und als die schäkernde Gruppe hinter einem Bungalow verschwand, wandte auch er sich ab und kehrte in das Haus zurück. Träge setzte er den Fuß über die Schwelle und hielt inne. Moment? Entsetzt blickte er auf. Das konnte nicht wahr sein! Sollte dieser junge Mann wirklich Daniel Ray Willis Osfordt heißen? So viele Namen... Trotz alledem - der Name sagte ihm noch immer nichts. Kurz blieb er stehen und nachdem er sich seiner Einsicht bewusst wurde, schüttelte er den Kopf und verschwand im Bad. Er war jedoch nicht mehr der Einzige, der darauf einen Anspruch hatte. Mit schläfrigem Blick lehnte Kaiba am Waschbecken vor dem Spiegel und putzte sich die Zähne. "Morgen." Joey zog die Tür hinter sich zu, lehnte sich gegen sie und kreuzte die Beine, nachdenklich auf den Boden starrend. "Ich kenne jetzt seinen Namen", murmelte er in seine Grübeleien vertieft, Kaiba hielt kurz in den Bewegungen inne, starrte in den Spiegel und putzte weiter. Der Blonde seufzte unterdessen, verschränkte die Arme vor dem Bauch. "Kommt dir der Name Daniel Ray Willis Osfordt bekannt vor?" Wieder legte Kaiba eine Pause ein, verzog die Augenbrauen und schüttelte langsam den Kopf, bevor er sich wieder seinen Zähnen zuwandte. "Ach man." Joey schlüpfte aus den Shorts und stieg in die Dusche. Nun, da er mit seinen Recherchen vorankam, stieg diese Neugierde in ihm ins Unermessliche. Kurze Zeit später betraten Joey und Kaiba den Speiseraum. Wieder einmal ließen sich die Anderen Zeit und würden später folgen. >Woher kenne ich ihn nur!< Joey kratzte sich am Bauch, den das offene Hemd preisgab. Auch, als er sich einen Teller schnappte und an der Tafel entlang trödelte, wirkte er noch immer abwesend und Kaiba entging es nicht. Nachdem sie ihre Wünsche erfüllt hatten, suchten sie nach freien Plätzen. Aber die gab es nicht. Sie waren zu spät, als das es hätte anders sein können. Joey sah sich suchend um, schien etwas zu entdecken und biss sich auf die Unterlippe. Er grübelte kurz und lugte zu Kaiba. "Da sind noch Plätze frei", sagte er. Kaiba nickte und wirkte dabei mehr, als unzufrieden. Ja, an einem der Tische war noch Platz. Die Gesellschaft war es, die ihm missfiel. "Na komm." Joey schlenderte los und bat ihn mit einer lockeren Kopfbewegung, ihm zu folgen. "Bevor wir stehen müssen, setzen wir uns dorthin. Nur heute, versprochen." Kaiba gab mit einem weiteren missmutigen Nicken seine stumme Zustimmung. Sie durchquerten die Reihen und ließen einen langen Weg hinter sich, bevor sie an einem großen Tisch stehen blieb, den einige Jungs für sich allein beanspruchten. Kaiba musterte diese "Jungs" mit düstrer Miene, Joey jedoch, stellte einfach seine Teller ab und wandte sich an einen der beschäftigten, jungen Männer. "Hallöle", begrüßte er diesen und erlangte dessen Aufmerksamkeit. "Dürfen wir uns zu euch setzen?" Natürlich. Vor ihnen saßen Daniel Ray und der ebenso verrückte Rest der Clique. Und Daniel Ray blickte nun auf und musterte die Neuankömmlinge flüchtig. Seine Wangen waren aufgebläht und dennoch musste er noch etwas Müsli nachschieben, bevor er mit einem lässigen Nicken seine Erlaubnis gab. Joey warf Kaiba ein triumphierendes Grinsen zu, zog sich einen Stuhl zurück und ließ sich auf ihm nieder, direkt gegenüber dem jungen Mann. Kaiba setzte sich neben ihn und ohne den Anwesenden auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen, ließ er sich das Frühstück schmecken. Doch Joey tat etwas anderes. Er hielt nicht etwa den Mund, nein, er sprach Daniel Ray ohne zu Zögern an. "Du hast vielleicht einen merkwürdigen Namen." "Häh?" Daniel Ray ließ das Butterdöschen sinken, das er soeben nach einem seiner Freunde schmeißen wollte. "Das weiß ich selber, du Keks!" Er schnitt eine Grimasse, holte aus und warf das Döschen nach einem jungen Mann, der sich gekonnt darunter hinwegduckte und weiteraß. "Der Name klingt typisch amerikanisch." Joey rührte in seinem Kaffee, während er den Schwarzhaarigen musterte. So konnte er nicht den Blick bemerken, den er von Seiten Kaibas empfing. Der Brünette lugte scharf zu ihm, schien nicht positiv überrascht von dem Interesse seines Freundes zu sein. Scheinbar schien es Joey nicht zu stören, hier zu sitzen. Kaiba fixierte ihn. Er schien sich sogar recht wohl zu fühlen. "Bist du Vollblut-Amerikaner?", erkundigte sich Joey weiter. "Nope, nich ganz!" Daniel Ray winkte hochnäsig ab und lehnte sich zurück. "Nur zur Hälfte." "Ach?" Joey hob die Augenbrauen. "Und die andere Hälfte?" "Deine Nationalität, du Gurke", kam die prompte Antwort. "Halb Amerikaner, halb Japaner", schlussfolgerte Joey und Daniel Ray nickte zustimmend, bevor er sich wieder seinem Teller zuwandte und seinem Mund etwas zu tun gab. Und Joey überlegte bedacht, bevor er gelassen weiterfragte. "Ist... deine Mutter Japanerin?" "Bist'n neugieriges Bürschchen." Daniel Ray blickte flüchtig auf, doch Joey zuckte nur mit den Schultern. "Fragen schaden doch nicht." "Hm... stimmt auch wieder." Kaiba wandte sich ab und hob die Tasse zum Mund, langsam, drohend, aufmerksam. "Also?" "Was also?" Daniel Ray schob sich ein halbes Brötchen in den Mund und klaute sich eine Tomate vom Teller seines Nachbarn. Er beteiligte sich nicht sehr an dem Gespräch, es lag nur an Joey, sich durchzusetzen... "Wer ist der Japaner unter deinen Eltern?" ... und er tat es auch. "Mein Va… hey, gib mir die Tomate, du hässlicher Clown!" Er begann einen kurzen Kampf mit seinem Kumpel, der sein Essen verbissen verteidigte. "Niemand nennt mich so! Mach dich bereit, zu sterben!" Während sich die beiden richtig in die Haare bekamen, ließ Joey grübelnd den Blick sinken. Sein Vater war also Japaner und die Mutter Amerikanerin. Eine lustige Kombination, wie er fand. Er kaute langsam, rollte die Gabel in der Hand und lugte prüfend zu Kaiba, doch dieser schien sich durch nichts und niemanden stören zu lassen. Joey wandte er sich wieder nach vorn. Er wusste nicht, weshalb er so viele Fragen stellte, allzu interessant war die Lösung des Rätsels sicher nicht, doch etwas, das sich tief in ihm verbarg, zwang ihn regelrecht dazu, weiterzustochern. Offene Fragen wurden allmählich zu gefährlich und hinzukommend wusste Joey nicht, in welche Richtung sie gehen sollten. Er kam nicht immer nicht weiter und wollte auch kein Misstrauen erregen. Aber nun, da er ihn so redefreudig antraf, musste er es einfach ausnutzen. "Meine Eltern sind geschieden", sagte er also nach weiteren Überlegungen in einem abgestimmten traurigen Ton. "Ich will die Tomate!", keifte Daniel Ray. "Stirb!" Sein Kumpel verteidigte sein Eigentum mit Messer und Gabel, die er wie zwei Schwerter bewegte. Diese Unaufmerksamkeit kam Joey nicht gelegen, dennoch fuhr er fort, in der Hoffnung, bemerkt zu werden. "Ich lebe bei meinem Vater, habe aber einen guten Draht zu meiner Mutter, auch wenn sie einige Dinge getan hat, die mir nicht gefallen." Kaiba stoppte und ließ die Gabel sinken, die er soeben noch zum Mund gehoben hatte. Seine Miene verzog sich säuerlich, bevor er wieder zur Seite linste. "Mein Beileid. Gib auf!" "Vergiss es!" Joey stöhnte unauffällig und wandte sich seinen Tellern zu. Er musste wohl warten, bis einer der tapferen Krieger kapitulierte. Und das dauerte eine ganze Weile. Daniel Ray trat als der stolze Gewinner hervor. Auch wenn die Tomate zerfetzt und zermatscht war - er hatte sie errungen und sein Kumpel machte sich fluchend auf den Weg, um sich eine Neue zu besorgen. "Findest du es nicht auch traurig, dass so etwas heutzutage so oft vorkommt?", erkundigte sich Joey sofort. "Was?" Daniel Ray stopfte seine Errungenschaft in den Blumentopf. "Dass man sich nich mal mehr in Ruhe ne Tomate klauen kann? Klar, traurig." "Nein." Joey schüttelte den Kopf. "Dass sich so viele Eltern trennen." Daraufhin wandte sich Daniel Ray mit wehleidiger Miene an seine Kumpel. "Ohh, wir brauchen ein Taschentuch! Schnell, der Kleine weint gleich. Also ehrlich." Er runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. "Biste nich n'bissl zu alt, um wegen so nem Kram zu jammern?" >Klar, und ich jammere nur, damit du endlich mit der gottverdammten Sprache rausrückst!< Joey gab sich noch immer etwas melancholisch. Und dann schlug er in einen anderen, einen trotzigen Ton um. "Wie willst du denn nachempfinden, wie man sich da fühlt. Deine Eltern sind sicher noch zusammen!" "Gott behüte mich!" Plötzlich weitete Daniel Ray die Augen und schnappte nach Luft. Joey hob die Augenbrauen und auch Kaiba verharrte reglos. "Mein Vater is ne Niete und bevor ich mich irgendwie anstecke, hab ich mich lieber zu Mom verzogen!" Und während er dann erleichtert stöhnte und sich an seine Kumpel wandte, saugte Joey konzentriert an seinen Zähnen. Eltern: Geschieden. Vater: Japaner und Niete. Das roch nach einem Erfolg. Er biss sich auf die Unterlippe und Daniel Ray brach mit seinen Kumpels in lautes Gelächter aus. Und während der Krieg auf der anderen Seite des Tisches erneut begann, lugte Joey wieder zu Kaiba. Dieser hatte sich erneut an ihn gewandt und ihre Blicke trafen sich flüchtig. Joey glaubte, eine leise Wut in dem Blau seiner Augen zu erkennen, doch Kaiba drehte sich zu schnell weg, als dass er sich dessen sicher sein konnte. In dieser merkwürdigen Atmosphäre vergingen weitere Minuten, dann ertönte hinter Joey eine nur allzu bekannte Stimme. "Hi, ist noch Platz?" Der Blonde drehte sich um und erkannte Duke, Tristan und Tea, die mit ihrem Frühstück hinter ihm standen. "Sicher." Joey wies auf die freien Plätze. "Wo sind Yugi und Bakura?" "Auf der Toilette." Duke schlenderte um den Tisch herum und ließ sich direkt neben Daniel Ray nieder, da ihm keine große Auswahl blieb. Dieser wurde auf die weiteren Neuankömmlinge aufmerksam, grabschte schnell nach der Tomate seines schreienden Nachbars und stopfte sie sich in den Mund. Dann musterte er die drei flüchtig. Tea, Tristan... Duke schien sein besonderes Interesse zu wecken. Dieser bemerkte schnell, wie er angestarrt wurde und drehte kauend das Gesicht zur Seite. Kauend hob Daniel Ray die Augenbrauen. Sie kauten beide. "Was ist?" Duke lehnte sich zurück, worauf Daniel Ray ihm prompt folgte. Er musterte ihn auch weiterhin, dann riss er die Augen auf und freute sich wie ein kleines Kind. "Ey! Wo zur Hölle hast'n den Ohrring her?!", rief er begeistert und fuchtelte mit den Fäusten. "Ich will den auch haben!" "Öhm." Duke schluckte hinter, wurde dann jedoch ebenfalls auf etwas aufmerksam, das man kaum übersehen konnte. Er neigte sich nach vorn, den Blick stets auf einen gewissen Punkt fixierend. "Hey, ein Lippenpiercing! Tat das weh?" "Quatsch mit Ketschup!" Daniel Ray lachte aufbrausend. "Bin doch'n Mann!" "Klar." Duke schloss sich seinem Lachen an und Joey runzelte die Stirn, bevor er endlich weiteraß. "Hast nen verdammt pumpliges Outfit", fuhr Daniel Ray in seinem Fachchinesisch fort und Duke winkte gerührt ab. "Ne, nu ma ehrlich! Die Schminke is total genial! Weißte." Er lehnte sich zu Duke und legte in seinem aufdringlichen kameradschaftlichen Benehmen den Arm um dessen Hals, worauf dieser kurz um Balance kämpfte und anschließend nach dem Salat stocherte. "Hab mich auch ma geschminkt." "Roter Lippenstift und blauer Lidschatten?", erwiderte Duke gewitzt und Daniel Ray reckte grunzend den Kopf nach hinten. "Quatsch, hältste mich für nen beschissenen Homo?!" Joey verschluckte sich beinahe und Kaiba machte den Anschein, als fühle er sich nicht angesprochen. Duke lugte flüchtig und prüfend zu den Beiden. "Nein, nein, nein", sagte er dann und Daniel Ray neigte sich wieder nach vorn, stets auf der Suche nach etwas Neuem, das er sich von anderen Tellern klauen könnte. "Du scheinst mir aber auch nicht der Typ zu sein, der sich viel mit Frauen abgibt, oder?" "Wie heißte eigentlich?", unterbrach Daniel Ray ihn beinahe nebenbei. "Duke Devlin." "Geiler Name! Duke, der Hellseher!" Daniel Ray rüttelte an ihm und Duke fiel es allmählich schwer, den Salat mit der Gabel zu erwischen. "Hast Recht, hab zuviel zu tun, als dass ich mich mit Weibern abgeben könnte. Böse Pläne schmieden, schlafen, essen." Er grunzte. "Bin außerdem Daniel, Daniel Ray Willis Osfordt. Nenn mich Ray." "Na so was?" Duke verlor das Interesse an dem Salat und drehte das Gesicht zu seinem aufdringlichen Nachbarn, worauf dieser ihn sofort etwas aus der kameradschaftlichen Umarmung löste, sich jedoch noch in seine Schulter krallte. "Da konnte sich aber jemand nicht entscheiden, was?" "Zehn Punkte!", juchzte Daniel Ray. "Wennde Tausend hast, bekommste nen Plüschtier! Daniel Ray und Osfordt hab ich von meiner Mum, der grausige Name Willis wurde mir von der Kreatur verliehen, die sich mein holder Vater schimpft." Joey hielt inne, Kaiba kaute weiter. Autsch! Da schien es einen Mann zu geben, der seine Vaterrolle nie gut gespielt hatte. Vielleicht lag es ja daran, dass er eine Niete war? In dieser lustigen Atmosphäre vergingen weitere Momente und dann tauchten auch Yugi und Bakura auf. Daniel Ray musterte Bakura flüchtig, schien ihn zu akzeptieren. Yugi konnte er jedoch nicht in Frieden lassen, bevor er eine Bemerkung losgeworden war. Der kleine Junge kam mit seinem Teller und dem lieblichen Lächeln angedackelt und wurde scharf ins Visier genommen, als er sich an den Tisch setzte und sich auf dem Stuhl zurechtrückte. Und während er dann gemächlich zu essen begann, neigte sich Daniel Ray nach vorn, langsam, drohend, die Fiesheitsmotoren in seinem Kopf begannen zu arbeiten und er schwieg nicht lange. "Whoope!", rief er und weitete die Augen, worauf Yugi aufblickte. "Ein kleines Waldwuffelchen hat sich verlaufen! Schaut, es is so süß un klein, rutscht fast unter'n Tisch!" "Ich bin kein Waldwuffelchen!", rief Yugi sofort empört. "Was ist ein Waldwuffelchen?" Joey musste über den Scherz ungewollt grinsen, doch Kaiba benahm sich noch immer, als säße er allein an dem Tisch. Er kümmerte sich lediglich um sein Frühstück, obwohl man bei solch einem Scherz auch ein Grinsen seinerseits erwartet hätte. So ging das Frühstück dann seinem Ende zu. Daniel Ray war größtenteils dabei, Duke vom Essen abzuhalten. Und wenn er sich nicht an ihn hängte, dann belästigte er seine Kumpel und versuchte ihnen das Essen zu klauen. Joey schwieg größtenteils und der Rest der Clique begann heitere Gespräche. Letzten Endes waren sie unter den Wenigen, die noch in dem Speisesaal hockten. "Schau ma." Eilig stieß Daniel Ray Duke an und schob die Hand näher an die Tasse heran, die er gerade geleert hatte. "Die machen das immer so." Er griff mit drei Fingern nach dem schmalen Henkel, winkelte den Ringfinger an und spreizte den kleinen Finger vollends ab. Dann lehnte er sich zurück, streckte den Rücken durch und hob eitel die Nase. "Oh... James?", schnupfte er dann eingebildet in einer quietschigen Frauenstimme und blinzelte, als hätte er Probleme mit den Augen. "Please, I need sugar. Everything I’ve to tell you! Feel ashamed, James!" Daraufhin gelang es ihm, schrecklich schrill zu quietschen und Duke brach in Lachen aus. Auch die Kumpel schrien beinahe übertrieben und Yugi versuchte ebenfalls, etwas belustigt dreinzublicken, doch an seinem Gesicht konnte man deutlich erkennen, dass er noch nie so etwas erlebt hatte. So einen jungen Mann, bei dem man sich fragen musste, aus welchem Käfig der entkommen war. Kaiba ließ sich nicht stören, zuckte nicht einmal mit der Wimper und Joey starrte mit gerümpfter Nase auf seinen leeren Teller. Na wundervoll, es hatte zwar lustig geklungen, aber er hatte andere Sorgen... und außerdem verstand er kein Englisch, was ihm nun wieder zu schaffen machte. Er blähte die Wangen auf. "So... wat mach'n wir'n heut so?" Nachdem sich das Gebrüll und Gelächter etwas gelegt hatte, lehnte sich Daniel Ray zurück und rieb sich den Bauch. Noch immer lachend wandte sich Duke seinem Teller zu, der Rest der großen Truppe schüttelte unschlüssig den Kopf. "Hm..." Tristan gestikulierte mit dem Löffel. "Auf dem Programm steht nichts. Vermutlich haben wir heute Freizeit." "Halleluja." Joey verdrehte mit größter Hingabe die Augen und stützte das Kinn in die Handfläche. "Wie sieht's bei dir aus?", erkundete sich Duke bei seinem Nachbarn. "Was steht auf deinem Plan?" "Plan? Ach, Käse." Daniel Ray rieb sich die Schläfen. "Hab kein' Plan." Er wies mit einer knappen Kopfbewegung zur Seite, auf seine Kumpel. "Die Halunken haben auch kein'. Das is keine Klassenfahrt für uns... nur so'n Ferienausflug." "Ferien?" Yugi zog die Augenbrauen zusammen. "Aber in Japan sind doch keine Ferien." "Ich verrat dir ma was, Wuffelchen", erwiderte Daniel Ray lässig und streckte die Beine von sich. "Zurzeit leb ich nich in Japan, sondern in Amerika. Dort geh ich auf'ne Schule, die sich sowieso nicht an vorgegebene Ferienzeiten hält. Die Sommerferien sin eigentlich die einzigen Ferien, dafür aber drei Monate lang, was recht lustig is, wa?" Er runzelte die Stirn und wies mit einer knappen Kopfbewegung zu seiner Clique. "Hatte kein Bock Zuhause rumzuhängen, dachte mir, ab nach Deutschland. Jordas dachte's auch, nur Morfrey mussten wir zwingen. Un Eddie? Der geht nich auf meine Schule, hat sich nen Attest geholt und wird vielleicht noch'n paar Tage schwänzen. Nich wahr, Eddie?" Der Angesprochene, ein großer hübscher Brünetter, blickte auf. "Whatever", brummte er jedoch nur und fuchtelte gelangweilt mit der Hand, so, dass die vielen Ketten um seinem Handgelenk klimperten und rasselten. Yugi hob erschrocken die Augenbrauen. "Aber wenn er schwänzt, bekommt er doch Ärger, oder?" "Ja." Daniel lenkte einen enttäuschten Blick auf den Jungen. "Und wenn du nochma sowas rausdrückst, is Eddie nicht der Einzige, der Ärger bekommt." "Häh?" "Also." Daniel atmete genüsslich ein, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und sah sich flüchtig um. Nun waren sie wirklich die Einzigen, die noch hier saßen, nur die Putzfrau schlürfte mit ihrem Mobb umher. "Zurück zur Frage des Tages." Und somit drehte er sich zu seinen Kumpels. "Hey, ihr hässlichen Frösche, Augen auf! Vorschläge für den Tag? Wir müssen irgendetwas unternehmen, sonst sterbe ich an Langeweile." "Mm, wir könnten ja gemeinsam was machen", mischte sich da Duke ein und wenn es um ihn ging, lieh Daniel gern sein Gehör. "Wir kennen uns hier noch nicht aus. Ihr könntet uns ja irgendetwas zeigen." Kaibas Miene verfinsterte sich binnen weniger Sekunden. "Genau." Yugi nickte beipflichtend. "Wie lange seid ihr denn schon hier?" "Seit zwei Wochen", antwortete Daniel Ray. "Seit zwei Wochen?" Joey kratzte sich am Kinn. "Mein Gott, was macht ihr denn den lieben langen Tag?" "Streiche aushecken, rumliegen und essen, Blondi. Un manchma... liegen wir auch nur rum." "Wow." Joey blähte die Wangen auf. "Vorsichtig, sterbt nur nicht an diesem spannenden Leben." Daniel Ray schnaubte amüsiert, schlug sich auf die Knie und kam geschwind auf die Beine. "Is gebongt", verkündete er somit. "Wir zeigen euch was ganz Tolles." "Willst du nicht deine Freunde fragen?", gab Yugi seinen Beitrag. "Vielleicht haben sie ja gar keine Lust da..." "Kein Gelaber", wurde er sofort unterbrochen. "Die Typen sin wie Dackel. Genau so hässlich un sie laufen dir Schwanz wedelnd nach, egal, wohin de gehst." "I heard that!", fauchte Morfrey. So begann der Ausflug. Schwatzend schlenderte die große Gruppe durch die Bungalows und verließ das Gelände. Es war eine wundervolle Gegend, die sich Joey an diesem Morgen präsentierte. Er riss sich von seinem Sinnieren los und blickte sich um. Gesunde Bäume umgaben ihn zu allen Seiten. Nur dort, wo sich die Straße über den dicht bewachsenen Berg schlängelte, ragten sie nicht in die Höhe. Und durch diesen Spalt konnte Joey das Dorf erkennen, das am Fuße des Berges lag. Es war nicht sehr groß, die roten Dächer machten unmissverständlich auf sich aufmerksam. Sicher würde man viele Stunden benötigen, um dorthin zu gelangen. Während Daniel Ray und seine Kumpels heitere, sicher zum Teil auch blöde Konversation betrieben, war der Rest der Wandergruppe recht still. Staunend und fasziniert sahen sie sich um. So eine reine Natur hatten sie erst selten erlebt. Die Vögel zwitscherten, die Blätter rauschten. Es war alles so unglaublich friedlich, dass sich Joey nur durch die kurze Betrachtung pudelwohl fühlte. Und er fühlte sich so gut, dass er Kaiba kaum Beachtung schenkte. Lustlos und verbissen hielt sich dieser hinten. Daniel Ray blieb nicht lange auf der Straße, nach wenigen Schritten bog er nach links und betrat den dichten Wald. Sie stapften daraufhin durch weiches Moos und bewegten sich auf die Mitte der ebenen Bergspitze zu. "Guten Tag, mein Name is Osfordt, bin Ihr Reiseführer." Nach wenigen Minuten erhob Daniel die Stimme und reckte einen dicken Stock in die Luft, so wie es alle Fremdenführer mit ihren Regenschirmen tun, damit die Gruppe zusammenbleibt. "Ich bitte Sie, das Augenmerk nach rechts zu richten. Dort sehn'se Bäume. Nun bitte, schaun'se nach links. Da sind auch Bäume. Und vor uns... oh mein Gott! Haben wir'n Glück, das sehen zu dürfen: Bäume! Hinter sich sehn'se... ach, vergessen Sie's." Er schmiss den Stock bei Seite, blieb stehen, und wandte sich zur Gruppe, von der einige ganz schön verwirrt dreinblickten. "Eigentlich is das ne total öde Gegend. Hier gibt's nur Bäume und so'n Zeugs." "Ich finde Bäume schön", warf Yugi ein. "War mir irgendwie klar." Daniel Ray kratzte sich die Stirn. "Das ist mehr nen Feriendorf für Naturfreaks, wisst schon. Die, die sich im Moos suhlen und die Bäume knutschen. Aber", er hob den Zeigefinger, "hier gibt's was, das ist echt total...", er schnappte nach Luft, "... abgefahren!" "Ach ja?" Tea legte den Kopf schief. "Klar, und das zeig ich euch jetzt. Los, folgen." Somit machte er einen eleganten Umschwung und führte seinen Weg fort. Sie wanderten ungefähr eine halbe Stunde und nachdem Joey während dieser Zeit lediglich Bäume, Bäume und wieder Bäume gesehen hatte, verlor auch er die Lust daran und vertiefte sich wieder in Grübeleien. Er kehrte erst in die Realität zurück, als er Daniel Rays Ruf vernahm. "Wir sind da! Augen auf, Münder auf! Staunen erlaubt!" Da blickte er auf und sah, dass die Bäume hinter einem kleinen Hügel endeten. Keine waren mehr zu sehen, soweit das Auge reichte. Er hatte etwas getrödelt und so war er es nun, der ganz hinten lief. Die anderen hatten den Hügel beinahe schon erreicht. Und als sie es taten, blieben sie sofort stehen. Tea hob beschwörend die Hände, Kaiba zupfte am Ärmel seines Hemdes und Yugi beugte sich nach vorn. "Wow!!" Das machte auch ihn neugierig und so verschnellerte er seine Schritte und erstieg den Hügel. Und was er dort sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Nur wenige Meter vor ihm fiel ein steiler Abhang viele Meter in die Tiefe. Und dahinter, man glaubte es kaum, ging es senkrecht in eine grauenhaft tiefe Schlucht hinab. Ja, vielmehr war es ein Krater, dessen Boden nur schwer zu erkennen war. Sein Durchmesser belief sich wohl auf knapp fünfzig Meter. Und die Tiefe? Sie war schwer mit dem Auge zu schätzen. Achtzig Meter, oder sogar neunzig? Joey hatte jedenfalls keine Zeit, um sich weitgehend damit zu beschäftigen, denn sobald er in die unendlich erscheinende Tiefe hinabgeblickt hatte, brach ein furchtbarer Schwindel in seinem Kopf aus. Das übertraf den Ausblick vom Firmengebäude der Kaiba-Corporation bei weitem! Der Krater war nicht viel tiefer, doch die Umstände waren schrecklicher. Er verdrehte die Augen, stolperte einen Schritt zurück und sank nach einem eleganten Umschwung auf die Knie. Dort hockte er nun, verdeckte die Augen mit den Händen und ließ den Kopf sinken. Diese Überraschung war zuviel! Die anderen drehten sich zu ihm um und Kaiba war der erste, der dem Blonden Gesellschaft leistete. Er war sicher auf den Beinen, als er in gemächlichen Schritten zu ihm ging. "Oh." Daniel Ray verzog mitleidig das Gesicht und seufzte. "Warum hat mir keiner gesagt, wohin wir gehen?!", keifte Joey hinter vorgehaltenen Händen. "I-Ich... ich hab für so was nichts übrig!" "Oh! Whoope, ganz langsam!" Daniel Ray weitete die Augen. "Da hat mich meine Nase wohl im Stich gelassen! Sonst rieche ich so was!" Kaiba fasste Joey unter den Armen und war ihm bei dem Aufstehen behilflich. "Ich will hier weg...! Weg... aber ganz schnell!" Kaiba stützte ihn und auch Tristan eilte herbei, um ihm eine Hilfe zu sein. "Mann, dass so ein Anblick nicht gerade der Herzenswunsch von unserem guten Joey ist, habe ich gewusst." Duke schüttelte grinsend den Kopf, Daniel Ray lugte zu ihm. "Aber so etwas? Der Arme." Während Kaiba den Blonden in Sicherheit brachte, betrachteten sich die anderen weiterhin dieses Naturwunder. Halt, war es wirklich ein Naturwunder? "Was ist denn hier passiert?", erkundigte sich Tea nach langem Grübeln. "Vielleicht ist hier ja mal was eingeschlagen?", fragte sich Yugi. "Klar." Daniel Ray kicherte höhnisch. "Das war bestimmt im zweiten Weltkrieg. Thüringen vs. Hamburg! Thüringen zieht die Alliierten zusammen! Ilmenau, Saalfeld, Pösneck und Großbreitenbach sammeln ihre Truppen! Kurz nach Kriegsbeginn ne Seeschlacht im Stausee Bleiloch! Oh, schwerer Beschuss der hamburgischen Flotten! Da greift Hamburg nach schweren Geschützen! Oh mein Gott!" Er fuchtelte mit den Armen. "Kriegsbomber auf'm Weg nach Thüringen! Boom!! Bomben werden abgeworfen!" Plötzlich wurde er ruhig, ließ die Arme sinken und starrte mit genervten Augen um sich. "Einer lässt die Bombe zu früh fallen und sie trifft diesen Berg... ups, war was?" Yugi kratzte sich verlegen. "Thüringen hatte zwar auch unter'm zweiten Weltkrieg zu leiden, aber sicher hatte es niemand auf diesen Berg abgesehen, du Schlumpf! Außerdem schafft's keine Bombe, so nen Ding in den Berg zu reißen. Was zur Hölle soll hier runtergekomm sein! Ein Ufo?! Auweia, Sprit alle... huuuuii... kaboom! Autsch!" "Dass ich so einen noch einmal kennenlerne", murmelte Tristan und war Kaiba dabei behilflich, Joey auf einem Stein abzusetzen, der weit genug von dem Krater entfernt war. Der Blonde fuhr sich mit dem Ärmel über die Stirn, winkelte die Beine an und legte die Hände auf den Oberschenkeln ab, sich verunsichert umschauend. "Scheiße", keuchte er tief durchatmend und rieb sich die Augen. "Geht's?" Kaiba hockte sich neben ihn und Tristan sah zu den anderen zurück. "Mm... einigermaßen." Somit tätschelte Tristan seine Schulter. "Ich schau mir noch mal den Krater an", erklärte er, bevor er loströdelte. Joey sah ihm nach, Kaiba ließ sich im Gras nieder und zückte eine Zigarettenschachtel. Während er sie aufklappte und sich einen Klimmstängel zog, waren seine Augen stets mit einer Mischung aus Verachtung und Skepsis auf Daniel Ray gerichtet. Dieser scherzte nun mit seinen Kumpels und machte ein herabstürzendes Ufo nach. "Jetzt mal ehrlich!", hörte er Yugi keifen. "Wie ist das passiert?!" Joey linste zur Seite. "Bekomme ich eine?" Ohne seinen Blick zu erwidern, reichte Kaiba ihm eine Zigarette und kurz darauf ein Feuerzeug. Joey beugte sich leicht nach vorn, schützte die Zigarette mit beiden Händen und entfachte den Tabak. Anschließend richtete er sich auf, ließ die Zigarette zwischen den Lippen klemmen und nahm mit geschlossenen Augen einen langen Zug. Nebenbei reichte er Kaiba das Feuerzeug zurück und streckte die Beine von sich. So blieben sie eine Weile sitzen und rauchten. Kaiba hatte die Beine angewinkelt und gespreizt, die Arme hatte er darüber gelegt. Und während er Daniel Ray weiterhin mit einem unglaublichen Durchhaltevermögen beobachtete, bearbeitete er die Unterlippe mit den Zähnen und rümpfte die Nase. Hier oben wehte ein kühles angenehmes Lüftchen, mal und mal nahm es zu und zerzauste seinen Schopf. Joey genoss dieses Klima und schien sich schnell zu entspannen. Für einige Sekunden verlieh ein sanftes Lächeln seinem Gesicht Ausdruck. Dann wurde es wieder nachdenklicher, die Zigarette rollte er langsam zwischen den Fingern. Die Atmosphäre war wundervoll, genau richtig, um melancholisch zu werden. Doch dazu hatte er keine Lust. Daniel Rays Lachen, das wilde Quasseln und das Keifen des kleinen Jungen drang an seine Ohren. Und wieder dachte er über diesen jungen Mann nach, der so unmöglich heiter und unbesorgt war. Hatte er denn überhaupt gar keine Sorgen? Joey nahm einen langen Zug. Oder versteckte dieser übertriebene Humor vielleicht eine bekümmerte Seele? War sie ein Schutzschild? Ja, vielleicht litt dieser junge Mann sogar unter Trauer und war des Lebens müde? Vielleicht sah er seine einzige Hoffnung darin, sich zu verstellen, sich selbst zu belügen und vorzugeben, dass er glücklich war? Langsam atmete Joey den Rauch aus. Möglich. Er blinzelte, schloss die Augen eine kurze Zeit und lugte dann zur Seite, zu Kaiba. Auch dieser hatte sich kaum bewegt. Das Interesse an Daniel Ray schien er verloren zu haben. Nun waren seine Augen abwesend auf einen nicht existierenden Punkt gerichtet und als Joey ihn sich so besah, wünschte er sich, dass sie alleine hier oben säßen. Ein weiteres Mal betrachtete er das wohlgeformte Gesicht, die ebenen, weichen Züge. Das brünette Haar, die feinen Strähnen, die durch den Wind zerzaust, die Stirn unter sich verbargen. Joey hielt lange den Blick auf sie gerichtet, dann hob er die Hand, streckte sie nach dem Haar aus und durchkämmte es mit den Fingern. Kaiba zwinkerte kurz, regte sich jedoch noch immer nicht. Nicht einmal einen leichten Gegendruck auf seiner Hand konnte Joey spüren. Er grübelte nicht darüber. Viel zu sehr gab er sich den Freuden und sinnlosen Grübeleien hin, als das er auf den Fehler aufmerksam werden konnte, der sich durch sein Handeln allmählich aufbaute. >Warum zur Hölle mache ich mir solche Gedanken über einen Menschen, den ich nicht kenne?< Joey kraulte Kaiba kurz und zog die Hand dann zu sich auf den Schoß zurück. >Warum zerbreche ich mir den Kopf über so einen blöden Kram, wenn es doch jemanden gibt, mit dem ich mich viel lieber beschäftigen möchte?< Er richtete den Blick wieder nach vorn, ließ die Zigarette fallen und tastete kurz mit dem Fuß nach ihr. >Ich darf ihn auf keinen Fall vernachlässigen. Er hat mich nie vernachlässigt.< Wieder drifteten seine Pupillen nach rechts. "Nu hört auf zu schreien!" Daniel Ray verdrehte die Augen. "Das is echt nen Naturwunder! Wisst doch, wie Berge entstehn, oder? Un da muss halt was schief gelaufen sein, so einfach is das! Ufos? So'n Salat!" "Das ist unglaublich!" Noch immer fasziniert schüttelte Duke den Kopf. "Ja, ne?" Daniel Ray knuffte ihn kameradschaftlich in die Seite. "Wirklich unglaublich." "Ist da schon einmal jemand reingefallen?" Tristan zeigte hinab in die Tiefe und warf Daniel Ray einen fragenden Blick zu. "Noch nicht." Daniel Ray drehte sich zu Yugi um, der auf seinem Zeigefinger kaute und mit dem Fuß Kreise auf dem Boden zog. Und nachdem er dies getan hatte, drehte er sich weiter und entdeckte Joey und Kaiba, die nebeneinander saßen und sich nicht bewegten. Er musterte sie flüchtig, wandte ihnen wieder den Rücken zu und näherte sich Duke unauffällig. Als er ihn erreicht hatte, stieß er ihn leicht an und wies mit einer Kopfbewegung nach hinten. "Die beiden sind nen Herz und ne Seele, was?" "Mm?" Duke hob die Augenbrauen, folgte der Aufforderung kurz und nickte. "Ja, unzertrennlich." Nicht lange blieben sie an diesem Ort. Sie sahen sich etwas um, plapperten und plauderten, sponnen und scherzten und traten dann den Rückweg an. Der Anführer der Reisegruppe hatte noch immer eine Laune, um die man ihn beneiden musste. Er schunkelte mit seinen Kumpels und stellte dann Mr. Baum und Mrs. Gebüsch vor. Anschließend begann er mit Duke ein Gespräch. Kaiba und Joey hielten sich hinten, während Tea, Yugi, Tristan und Bakura über den Rest des Tages schwatzten. Irgendetwas wollten sie noch unternehmen. Nach demselben Weg durch den Wald, erreichten sie wieder das Camp. Und sobald sie das hübsche Tor hinter sich gelassen hatten, wurde noch wilder durcheinander gequatscht. Jeder hatte Vorschläge zur weiteren Verplanung des Tages. "Wir sonnen uns", meinte Tea. "Faulenzen ist gut", stimmte Tristan zu. "Wir gehen noch etwas durch den Wald", schwärmte Yugi. "Ich möchte in die Schülerbibliothek", murmelte Bakura. "Ich hab keinen Vorschlag", gab Duke Schulterzuckend zu. "Das is gut!" Daniel Ray stürzte sich schon wieder auf ihn. "Dann gehen wir halt Basketball spielen!" "Basketball!", stimmten die Kumpel grölend zu. "Hm..." Yugi legte den Kopf schief, augenscheinlich war er nicht gerade begeistert. Ganz im Gegenteil zu Tristan, der das Faulenzen binnen einer Sekunde vergaß. "Basketball ist in Ordnung!" "Japp." Duke nickte grinsend. Auch Joey stimmte ohne lange Überlegung zu. "Ich sonne mich." Tea blieb bei ihrem Entschluss und so wurde Daniel Ray auf Kaiba aufmerksam, die überhaupt nichts gesagt hatte. "Was'n mit dir?", erkundigte er sich heiter. "Steht da wie'n Gartenzwerg. Biste dabei?" "Der Gartenzwerg wird dir gleich zeigen, was mit ihm ist!", fauchte Kaiba feindselig und Joey spürte, wie ein erschrockenes Zucken durch seinen Körper fuhr. Perplex und gleichermaßen ungläubig starrte er Kaiba an. Was war denn plötzlich mit ihm los? Gerade war er doch noch guter Dinge gewesen? Besorgt verzog er die Augenbrauen. "Whoope!" Daniel Ray weitete die Augen, wieder machte er den Anschein, als würde er Kaiba nicht wahrnehmen und dieser erweckte seinerseits den Anschein, ihm die Pest an den Hals zu wünschen. "Na, auch gut." Unbeschreiblich schnell verlor Daniel Ray das Interesse an Kaiba und fuchtelte befehlerisch mit den Armen. "Also denn, umziehen und ab zum Spielfeld!" "Alsooo." Daniel Ray stützte die Hände in die Hüften. In kurzen Hosen und einem ärmellosen Shirt stand er vor seiner kleinen Gruppe und hatte den Fuß auf dem Basketball abgestellt. "Der Ball wird nich getreten, auch mit Kopf wird nich gespielt. Er wird gedauzt und muss dann irgendwie", er drehte sich um und fuchtelte in Richtung des Korbes, "irgendwie in das runde Ding da." "Wir wissen, wie man Basketball spielt!", stöhnte Joey und pulte sich im Ohr. "Keep your trap shut!!" Morfrey drohte Daniel Ray die Fäuste an. "Da will man ma höflich sein und dann sowas!" Der Schwarzhaarige kickte den Ball gekonnt in die Luft, schnappte ihn weg und gesellte sich zu seinen Untertanen. Und während dann das Spiel begann, streckte sich Tea genüsslich auf ihrem Handtuch und genoss die herrliche Sonne. Bakura saß im Schneidersitz neben ihr und las. Kaiba hatte sich im Gras niedergelassen, etwas abseits von dem Trubel. Auf seinen Knien hielt er einen Laptop, auf den er konzentriert starrte, auf dem er flink tippte und arbeitete. Seine schlechte Stimmung schien geschwunden zu sein. Er vergaß aber auch alles, wenn es Arbeit gab. Yugi kauerte auch irgendwo und rupfte deprimiert an den Grashalmen. So hatte er sich das nicht vorgestellt. Nach einigen Minuten voll trüber Miene, blickte er dann auf und verfolgte das Spiel. Und da trafen sich vielleicht die Giganten. Die vier Amerikaner gingen mit dem Ball um, als wären sie mit ihm geboren. Sie beherrschten das Spiel unglaublich gut, doch auch die drei Japaner schlugen sich wacker. Der Ball kam nicht nur Ruhe, wechselte schnell den Besitzer und wurde mal und mal durch einen der Körbe gerammt. Es verging keine Minute, in der das nicht passierte. Das Spiel dauerte nicht sehr lange, dann war die höchste Punktzahl erreicht... und die Spieler am Ende ihrer Kräfte. "Juchhu!" Trotz des schweren Keuchens gelang Joey ein eleganter Luftsprung. Duke, der in seiner Gruppe gewesen war, schlug mit Morfrey ein und führte ebenfalls einen Freudentanz auf. Tristan zupfte keuchend an seinem Shirt. Daniel fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht, wischte sich den Schweiß weg und sah sich nach dem Ball um. "Die zwei Punkte!", schnauzte er, während er noch immer suchte. "Gewonnen ist gewonnen!", freute sich Duke, der nun den Boden bevorzugte und erschöpft die Beine von sich streckte. "Und zwei Punkte sind zwei Punkte!" Joey schlug sich ins Fäustchen. "Ich bin im falschen Team gewesen!", murrte Tristan, der unter der Niederlage litt. "Mann!" "Jetzt roffle hier nich rum!" Daniel Ray stieß ihn an. Und während Morfrey dann eine kameradschaftliche Prügelei mit einem der anderen beiden Typen begann und sich Joey gründlichen Dehnübungen hingab, gesellte sich Daniel zu Duke. Er taumelte auf ihn zu, ließ sich vor ihm auf die Knie und anschließend unter einem müden Stöhnen zur Seite fallen. "Is verdammt gefährlich, bei so ner Hitze derart rumzuhüpfen", keuchte er dann, als er flachlag und der gnadenlosen Sonne entgegenblinzelte. Ja, da war etwas dran. Duke rann der Schweiß ebenfalls über die Stirn und er wischte ihn weg, bevor er ihm in die Augen geriet. "Es war deine Idee", bemerkte er, als er sein Shirt höher zog und es sich auf das Gesicht presste. "Wenn was passiert, bist du schuld." "Klar." Daniel Ray grinste und spätestens jetzt ließ sich der Rest der sportlichen Truppe ebenfalls fallen. So lagen sie alle herum und keuchten in der heißen Sonne. Doch da gab es jemanden, der etwas gegen diese Pause hatte. "Ich will Revanche!", verkündete Daniel und hob den Kopf, um musternd in die Runde zu schauen. "Ihr auch?" "Och nö." Joey winkte eitel ab und Morfrey brach in Gelächter aus. "Stow it, Morfy!", fauchte Daniel Ray daraufhin. "Ich frag euch gar nich! Auf die Beine, Revanche!" "Aber nur noch ein Spiel." Duke raffte sich langsam auf. "Dann bin ich gar." "Macht mal." Joey kämpfte sich auf die Beine. "Ich zieh mich kurz zurück." Kurz winkte Daniel Ray ihm und Joey schlenderte durch das Gras auf Kaiba zu. Dieser blickte nicht auf, als er neben ihm stehen blieb, schien ihn nicht einmal zu bemerken. Der Blonde begutachtete ihn kurz von oben, bevor er ihn ansprach. "Was machst du da?", erkundigte er sich. Kaiba tippte weiter. "Ich arbeite", antwortete er, ohne innezuhalten. "Ah." Joey legte den Kopf schief. "Gut. Ich ähm... komme gleich wieder." "Mm." Joey nickte, streifte den brünetten Schopf mit der Hand und machte sich auf den Weg zum Bungalow. Er brauchte einen Schluck Wasser. Wenige Minuten später verließ er den Bungalow wieder. In der rechten Hand hielt er eine Flasche Wasser, in der Anderen eine Sonnenbrille, die er sich nun auf die Nase setzte. Die meisten der Schüler durchkämmten wohl den Wald oder hockten im weißen Haus, beschäftigt mit sonst etwas. Jedenfalls gingen nicht viele zwischen den Bungalows spazieren. Der Blonde ließ sich alle Zeit der Welt, schlenkerte mit der Flasche und sah sich um. Es dauerte nicht lange, da erreichte er den Sportplatz. Er trat hinter zwei Bäumen hervor, blieb stehen und legte den Kopf schief. Das gab es doch nicht! Irgendetwas schien schief gelaufen zu sein. Jedenfalls lagen Duke und Daniel Ray auf dem Boden. "Ich hab's dir gesagt…!", ächzte Duke und streckte kraftlos den Arm nach Daniel Ray aus, der nicht weit von ihm entfernt lag. "Ich hab's dir gesagt!" "Ach...!" Der Angesprochene verdrehte die Augen. "Keep quiet!" Morfrey wedelte ihm mit dem eigenen Shirt Luft zu. "Bei diesen Temperaturen ist Sport wirklich Mord!" Tristan hatte die Aufgabe bei Duke übernommen und sich zur Zufuhr der frischen Luft Bakuras Buch geklaut, mit dem er so sehr fuchtelte, dass dem Besitzer ganz bange wurde. Und während das Gejammer dann weiterging, schlürfte Joey näher. Er betrat den Sportplatz, blieb zwischen den Beiden stehen und sah auf sie herab. "Und?", erkundigte er sich schadenfroh, während er seine Flasche aufschraubte. "Wer hat gewonnen?" "Wir!", keifte Daniel Ray sofort. "Klar, mit vier Punkten Rückstand!", keuchte Duke. "Nicht anstrengen!", rügte Tristan ihn, der mit dem Wedeln alle Hände voll zu tun hatte. "Da habe ich ja Glück, dass ich mich aus dem Staub gemacht habe." Joey hob die Flasche über Daniels Gesicht, drehte sie und ließ dem jungen Mann somit eine schöne Erfrischung zukommen. Vorerst erschrak dieser, fuhr in die Höhe und ließ sich letzten Endes doch unter einem befreiten Stöhnen auf den Boden zurückfallen. Den Rest der Flasche leerte Joey über Duke. Und während sich die beiden Gequälten wieder erholten, ließ er die Flasche neben sich austropfen und spähte zu Kaiba. Dieser hatte sich kaum bewegt, machte den Anschein, nur körperlich anwesend zu sein. Nichts und Niemanden schien er wahrzunehmen und Joey entschloss sich dazu, ihn nicht zu stören. Die nächsten Stunden des Tages verbrachte die Gruppe damit, den Basketballplatz zu beschlagnahmen. Die erste Stunde lagen sie nur noch herum und erholten sich. Anschließend warfen sie aus Jux ein paar Körbe. Joey rollte den Ball zwischen den Händen, fixierte den Korb an und hob den Ball langsam über den Kopf. Dann machte er einen kleinen Sprung, warf den Ball... und traf sauber! "Ver...!" Daniel Ray flüsterte einen leisen Fluch und schnippte Morfrey eine Münze zu, die dieser schadenfroh grinsend weg fing. "Von noch weiter hinten schaffst'es aber nich!" Joey trödelte zum Ball, stellte den Fuß darauf ab und begann ihn etwas zu kicken, bevor er ihn nach oben beförderte und nach ihm schnappte. "Da hast du Recht", grinste er geschlagen. "Haa haa!" Ein höhnischer Finger richtete sich auf ihn. "Du hast schon nach vier Metern versagt!", bemerkte Tristan. "Na und?" Daniel Ray drehte sich beleidigt zu ihm um. "Lass mir doch ma meinen Spaß!" "Hey", mischte sich Duke ein. "Ich habe Hunger. Gibt's nicht gleich Mittag?" "Yo!", stimmte Daniel heiter zu. "Auf geht's, dudes!" Da das Essen verlockender wirkte, als frische Kleidung, machten sie sich so, wie sie waren, auf den Weg zum Speisesaal. Auch Kaiba klappte seinen Laptop zu und folgte ihnen. Sofort gesellte sich Joey zu ihm und wieder war ihm deutlich anzusehen, dass er mit der gesamten Situation zufrieden war. Er lächelte, grinste und schäkerte mit Kaiba, der sich all das nur murrend gefallen ließ. Joeys gute Laune drohte jedoch in eine tiefe Schlucht zu stürzen, als sie den Speiseraum betraten. Scheinbar hatten sie sich etwas zuviel Zeit gelassen, jedoch erblickte er eine lange Schlange vor der Selbstbedienung. Doch die Bekanntschaft mit Daniel schien auch ihre Vorzüge zu haben, denn die freche Clique drängelte sich vor und zog sie mit. Die Schüler machten ihnen kleinlaut Platz und Joey wollte gar nicht wissen, welche Strapazen sie schon hinter sich hatten. Da standen sie nun wieder, doch auch das kurze Warten wurde mit Daniel Ray zu einem saftigen Vergnügen. Joey beobachtete ihn aufmerksam, als er sich tänzelnd einem Jungen näherte, sich schnurrend an ihn schmiegte und übertrieben blinzelte. Morfrey, Eddie und Jordas, die stets an seiner Ferse hingen, lachten laut und der Junge bekam einen Schreck und machte, dass er wegkam, worauf Daniel mit Eddie einschlug und noch ein Stückchen weiter vor rückte, um sich an den nächsten Jungen heranzumachen. Das konnte doch nicht wahr sein! Auf diese Art und Weise wurde die Schlange vor ihnen immer kürzer und Joey hatte sein Essen, bevor er sich versah. Auch um einen Tisch musste er sich keine Sorgen machen. Auf unglaublich dreiste und freche Art und Weise überredete Daniel ein Mädchen, den großen Tisch zu verlassen, den sie allein hütete. So ließen sie sich also nieder und als Joey bequem saß, wurde er auf das Essen aufmerksam. Er rümpfte die Nase, drehte den Teller und besah sich den Berg von allen Seiten. "Was'n das?", fragte er letzten Endes, als er schon dabei war, mit der Gabel in einem merkwürdig aussehenden Gemüse zu stochern. "Deutsche Küche." Daniel Ray ließ es sich schon längst schmecken. "Sieht komisch aus, is aber lecker." "Ist mir klar. Aber was ist das?" "Weiß ich doch nich." Daniel Ray verdrehte die Augen. "Hauptsache lecker." Ja, das musste man der deutschen Küche lassen. Ungewohnt aber lecker. Und es war auch egal, was es war... Joey war fleißig dabei, seinen Teller zu leeren. Wie gewohnt brach auf der anderen Seite des Tisches eine brutale Schlacht aus. Essen konnte man zumindest nicht ruhig. Öfter beobachtete Joey den Brünetten. Doch Kaiba erwiderte keinen der Blicke, beschäftigte sich nur mit dem Essen und ließ nicht einmal im Entferntesten erahnen, an was er dachte. Seine Miene wirkte recht zufrieden und so lenkte Joey seine Beobachtungen zurück auf Daniel Ray, der scheinbar nicht zum Essen hier war. Unerwartet waren sie sich nun näher gekommen und Joey kam zu der Einsicht, dass dieser junge Mann nicht unsympathisch war. Er war sehr amüsant und nicht ernstzunehmend, wenn man es recht bedachte. Doch ein verzogener Bursche schien er doch nicht zu sein, dagegen sprach das lässige Auftreten und die Tatsache, dass er nicht besonders wählerisch war. Ja, er aß alles, wenn er nicht gerade dabei war, den dritten Weltkrieg mit seinen Freunden zu beginnen. Abwesend rührte Joey in dem Essen und Daniel Ray bemerkte nicht, dass er insgeheim beschattet wurde. Wenn man es recht bedachte, war es nicht von großer Wichtigkeit, woher Joey ihn zu kennen glaubte. Sie verstanden sich gut, was konnte er sich mehr wünschen? Er rümpfte die Nase und besah sich das Gemüse von neuem. Wenn er doch nicht so neugierig wäre! Hinzukommend machten diese Grübeleien und das geheimnisvolle Flair des jungen Mannes die Klassenfahrt noch spannender. Letzten Endes entschied er sich dafür, nichts zu essen. Um ehrlich zu sein, hatte er keinen Hunger und aus einem ihm unbekannten Grund musste er immer und immer wieder zu Kaiba schauen. Joey hatte das Gefühl... ja, er glaubte, dass mit diesem etwas nicht stimmte. Es war nur eine leise undefinierbare Ahnung, die Kaiba jedoch schnell bestätigte. Joey beobachtete ihn, wie er aufaß, den Teller von sich schob und sich erhob. Es machte den Anschein, als hätte er sich spontan zu etwas entschieden. Er nahm den Laptop unter den Arm und wandte sich flüchtig an Joey. "Komm, wir gehen." "Hm?" Der Blonde sah ihm nach, wie er sich umdrehte und in langsamen Schritten auf den Ausgang zusteuerte. Das kam so überraschend, dass er erst nach kurzem Zögern reagierte. Er erhob sich ebenfalls. "Okay... ich bin dann mal weg. Wir sehen uns." Er klopfte gegen die Lehne des Stuhls und folgte Kaiba. Daniel beobachtete ihn, wie er an seinem Hemd zupfte, die Tür erreichte und durch sie verschwand. Seine schmalen Augenbrauen verzogen sich, eine merkwürdige Grimasse folgte. "Der, mit dem Blondi immer zusammen is", murmelte er daraufhin an Duke gewandt, "der Mister Cool mit dem Todesblick... wie heißt der eigentlich?" "Seto Kaiba", verriet Duke ohne zu zögern und Daniel Ray nickte langsam und nachdenklich. "Kalt wie'n Fisch... nich grad der perfekte Typ, um die Langeweile totzukriegen." Duke zuckte mit den Schultern. "So übel ist Kaiba gar nicht. Fremden gegenüber ist er immer abweisend aber wenn man ihn besser kennt, bemerkt man, dass er..." "Ey!!" Mit Entsetzen stellte Daniel Ray fest, dass etwas von seinem Teller entwendet worden war. Wütend krallte er sich in Morfreys Schulter, der neben ihm hockte. "Was fällt dir ein?! Gib mir die Karotte zurück!" "Screw you!" Morfrey versuchte sich zu befreien. Duke hob überrascht die Augenbrauen, schüttelte dann jedoch grinsend den Kopf und griff nach seiner Tasse. Kaiba öffnete die große Eingangstür und verließ das Gebäude, dicht gefolgt von Joey, der etwas verdutzt wirkte. Er stolperte hinter ihm her, den schmalen Schotterweg hinab. Und als sie die kleine Wegkreuzung erreichten, blieb Kaiba plötzlich stehen, drehte sich zu ihm um und musterte ihn scharf. Sofort hielt auch Joey inne und erwiderte seinen Blick überrascht. "Was... was ist denn los?" "Du hast gesagt, dass wir keine Zeit mit ihm verbringen müssen!" Kaibas Stimme war nicht wieder zu erkennen, jagte Joey einen kalten Schauer über den Rücken. Verstört verzog er die Augenbrauen. "Was meinst..." "Nur einmal, das hast du gesagt!", unterbrach Kaiba ihn barsch. Joey war nicht wohl bei dem Gedanke, dass Kaiba eine rege Ansammlung von Wut mit sich herumtrug und sie nun ausbrechen ließ. Und danach hatte es den Anschein. "Ich habe darauf gehofft, dass wir kein Wort mehr mit diesem gottverdammten Idioten wechseln müssen! Dann setzen wir uns zu ihm an den Tisch und sofort beginnst du ihn mit Fragen zu bewerfen!" Kaiba trat an ihn heran, seine Augen verengten sich, bis er Joey wirklich bohrend anstarrte. Dieser wich vor ihm zurück. "Dir scheint seine Gesellschaft nicht zu missfallen aber denkst du vielleicht auch einmal an mich? Ich bin nur hier, weil du mich darum gebeten hast, Joseph! Und nun muss ich mich mit solchem Abschaum abgeben!" "Hey, einen Moment!" Beschwichtigend hob Joey die Hände. "Ich... ähm... warum hast du mir das nicht eher gesagt...? Ich meine...", er geriet ins Straucheln, wusste nicht, was er zu seiner Verteidigung nutzen sollte. Denn, genau gesehen, hatte Kaiba das Recht auf seiner Seite. Ja, er hatte Daniel Ray ausgefragt, aber Kaiba hatte nicht so ausgesehen, als würde es ihn stören. Und nun hatte er Zeit mit ihm verbracht, da er ihn nicht bei der Arbeit stören wollte. Kurz darauf konnte er gar nichts mehr sagen und seine Lippen bewegten sich stumm. "Du weißt genau, dass ich ihn nicht ausstehen kann!" Kaiba übernahm das Sprechen gern für ihn. "Und seit wir hier sind, haben wir nichts, aber auch gar nichts ohne ihn unternommen! Überall ist er, überall taucht er auf, ständig labert er, kann nie seine Klappe halten! Er nagt an meinen Nerven, Joseph! Und du..." "Aber... so unsympathisch finde ich ihn eigentlich gar nicht", murrte Joey kleinlaut. "Ja, das bemerke ich!" Kaiba schnaubte, stemmte die Hand in die Hüften und blickte sich verbissen um. "Ich meine, er ist verrückt... aber irgendwie auch lustig, oder...?" "Das ist es!" Kaibas Augen richteten sich bohrend auf ihn. "Er ist ZU verrückt! Er ist so geistig umnachtet, dass er die Realität nicht mehr sieht! Er ist abgehoben, unernst... ich ertrage seine Anwesenheit nicht! Seine Sprüche sind geprägt von unglaublicher Sinnlosigkeit und Dummheit und sein ganzes Benehmen... Joseph!" Kaiba stöhnte erschöpft. "Ich habe keine, ich wiederhole, KEINE Lust darauf, auch nur einen weiteren Tag mit ihm zu verbringen!" Der Blonde öffnete den Mund, ohne etwas hervor zu bekommen. "Und seit wir ihn getroffen haben…", Kaiba stach mit dem Zeigefinger nach Joey, legte diesem des Rätsels Lösung offen vor die Füße, "… bist du abwesend und anders, als sonst! Du gibst dich zu vielen Grübeleien hin und wenn er anwesend ist, dann bist du nur damit beschäftigt, ihn anzustarren!" "Bist... bist du eifersüchtig?", platzte es aus Joey heraus, doch Kaiba schüttelte sofort den Kopf. "Das hat nichts mit Eifersucht zu tun! Ich fühle mich durch dein Benehmen einfach gestört und eingeschränkt!" "Oh mein Gott." Joey rieb sich die Wangen. "Du bist eifersüchtig." "Hörst du mir zu?" Kaiba knurrte. "Wenn dieser Spacken nicht hier wäre, würde ich dein Benehmen akzeptieren aber er droht die Klassenfahrt zu einem einzigen Desaster zu machen! Und ich will nicht, dass er..." "Okay, okay." Beschwichtigend trat Joey an ihn heran. "Es tut mir Leid, ja? Du hast Recht, ich habe dir Daniel aufgezwungen... aber ich habe nicht gemerkt, dass es dich so stört. Ehrlich." Beschwörend sah er Kaiba an und war erleichtert, als dieser ruhiger zu werden schien. Seine Miene verlor nicht an Verbissenheit, doch er schrie nicht weiter und das war als erfreulicher Fortschritt anzusehen. "Wenn du ihn nicht leiden kannst, dann kann ich wohl nichts daran ändern." Er wandte den Blick ab, zupfte an Kaibas Ärmel. "Und... ich bin wirklich froh, dass wir endlich mal zusammen auf einer Klassenfahrt sind. Das will ich auf keinen Fall zunichte machen. Ich verspreche dir, dass wir genug Zeit für uns haben werden und nicht jeden Tag mit Daniel verbringen müssen. Aber... ich will mich auch nicht völlig von ihm fernhalten, verstehst du?" Kaiba antwortete nicht und Joey schnappte auch nach dem anderen Ärmel und lächelte. "Jetzt sei bitte nicht mehr sauer, ja? Ich verspreche, dir keinen Anlass mehr dazu zu geben." Er lugte hoch, das Lächeln wandelte sich zu einem verspielten Grinsen. "Aber... dass du eifersüchtig bist, finde ich irgendwie cool." "Ich - bin - nicht...!" Kaiba wurde unterbrochen. Das Handy meldete sich und er wandte sich von Joey ab, um nach ihm zu suchen. Er tastete in den Hosentaschen, wurde dann fündig und zog das Handy hervor. "… eifersüchtig!", zischte er in Joeys Richtung, bevor er abnahm. "Ja." Joey umfasste die Hände auf dem Rücken, begann etwas auf den Fußballen zu wippen und die Unterlippe mit den Zähnen zu bearbeiten. Gut, er stand zu seinen Versprechen und verstand auch Kaibas Einstellung Daniel gegenüber. Wenn man es recht bedachte, war dieser das direkte Gegenteil des professionellen und ernsten Geschäftsmannes. Er würde sich bemühen, das Versprechen einzuhalten, Kaibas Zorn wollte er unter keinen Umständen ernten und um ehrlich zu sein, freute er sich auch jetzt noch mehr über Kaibas Anwesenheit als über die Scherze von Daniel. Die Zeit nur mit ihm zu verbringen, wäre sicher herrlich. Zwei Wochen ohne Anstrengung und Anspannung, ohne Zeitknappheit und Termine. Ferien, sozusagen. Joey grinste wieder. Und Kaiba war sehr wohl eifersüchtig! "Bitte was?" Als Kaiba aufzischte, erwachte er sofort aus seinen Grübeleien. Der Brünette schüttelte zornig den Kopf, drehte sich um die eigene Achse und stöhnte. "Er hat nicht das Recht dazu! Der Vertrag endet erst in zwei Jahren, gottverdammt! Hast du ihn darauf aufmerksam gemacht, Pikotto?" Er lauschte und seine Miene verfinsterte sich zusehends. Um ehrlich zu sein, das hatte Joey gerade noch gefehlt! Er hätte ihm verbieten sollen, das Handy mit auf Reisen zu nehmen. "Warum jetzt! Scheint so, als hätte dieser Mistkerl nur darauf gewartet, dass ich außer Landes bin! Was wir jetzt machen sollen? Das ist eine gute Frage!" Kaiba brummte auf die gewohnte Art und Weise, ging in die Knie und legte den Laptop vor sich im Gras ab. Geschwind klappte er ihn auf. "Woher sollen wir jetzt dieses verfluchte Material bekommen! Was? Möglich. Ich könnte mir sogar vorstellen, welche Firma ihn uns abgekauft hat!" Er öffnete einige Dateien, fluchte und schimpfte. "Ruf Anderson an, Pikotto! Hm... ja, genau! Wir brauchen ihn, nimm ihn sofort unter Vertrag und pass auf ihn auf! Wenn wir über Jefferson Bescheid wissen, können wir ihn jederzeit feuern oder den Vertrag verlängern! Aber bei Gott, sorg dafür, dass das Material in den nächsten drei Tagen eintrifft. Kümmere dich darum, ganz egal, wie!" Er tippte über die Tasten und auf dem Bildschirm erschien eine komplizierte Anzeige. Kaiba überflog sie nur flüchtig und zischte leise. "Ja, ich sehe es gerade. Wir haben noch zwei Wochen und drei Tage, um das Projekt zu beenden! Und es muss unbedingt beendet werden - erfolgreich, verstehst du?" Er lauschte, musterte die Anzeige und ließ letzten Endes nach einer knappen Verabschiedung das Handy sinken. Er stöhnte erneut, als es in der Hosentasche verschwand und sich sein Blick erneut auf den Bildschirm richtete. Joey trat näher. "Was ist?", erkundigte er sich. "Probleme in der Firma?" "Kann man so sagen." Kaiba ließ den Kopf hängen, schüttelte ihn und schaltete den Laptop aus. "Wie schlimm?" "Es hält sich in Grenzen." Kaiba griff nach dem Laptop und erhob sich. "Das hörte sich aber gar nicht so an." Joey runzelte die Stirn. "Du musst aber nicht zurück, oder?" "Wäre nicht schlecht, mache ich aber nicht." Kaiba fuhr sich durch den Schopf und blickte sich flüchtig um. "Das ist gut." Um ein Lächeln kam Joey nicht herum. Durch Kaibas Abreise wäre der Reiz dieser Klassenfahrt doch sofort verloren. Als sich Kaiba umwandte und weiterging, folgte Joey ihm gemächlich. "Pikotto macht das schon. Er hat die Firma beinahe ein Jahr lang geleitet und nichts ging schief." Wieder schnappte er nach Kaibas Ärmel. "Jetzt ziehen wir uns zurück und machen uns einen schönen Tag, hm?" "Heute Abend!" Daniel stieß die Tür auf und trat auf den Kiesweg hinaus. Ihm folgten acht Jugendliche, die zufrieden dreinblickten und sich die Bäuche hielten. "Was ist heute Abend?", erkundigte sich Duke, der maßlos mit dem Essen übertrieben hatte und nun unter den Folgen litt. "Heute Abend!" Daniel Ray hob wichtigtuerisch den Zeigefinger, saugte die frische Luft in sich ein und grinste genügsam. "Heute Abend... wird's toll!" "Ach ja?" Duke stöhnte. "Und warum?" "Lauft doch nicht so schnell!", ertönte von weiter hinten eine verzweifelte Stimme und Daniel lugte kurz zurück, blieb dann jedoch bei dem Neugierigen hängen. "Wir haben nen Lagerfeuer durchgeboxt", raunte er und ließ sich zurückfallen, um den überanstrengten Duke in den Schwitzkasten zu nehmen. "Eigentlich is sowas totaaal öde, aber..." "Wir schmeißen Dynamit ins Feuer!", unterbrach Morfrey ihn gehässig. "Und dann den Idioten. Wie hieß der...", Eddie stockte, "... ey, wie hieß der?!" "Keine Ahnung." Jordas ließ einem herrlichen Rülpsen freien Lauf. "Du weißt, wen ich meine." "Jaja!" Daniel Ray lachte laut auf und ließ von Duke ab, der sogleich nach Luft schnappte. "Wir binden das Dynamit um seinen Körper und schmeißen ihn ins Feuer! Boom! Kawoom!" Er streckte die Arme von sich, schien schon jetzt den Triumph zu genießen. "Eine Stange in seinen Mund", träumte Jordas. "Zwei Stangen in seine Ohren." Eddie seufzte schwärmerisch und auch Morfrey lieferte seinen Beitrag. "Einen in seinen Ar..." "Schäm dich!", tief Daniel Ray empört. „Verunreinige nicht meine unbefleckte Seele!“ "Genau!" Eddie stieß den jungen Mann in die Seite. "Du böser... böser Junge!" Morfrey lachte, winkte geschmeichelt ab. "Eigentlich ist so etwas total öde, aber?" Duke drängelte sich in die verrückte Gruppe. "Könntest du mal einen Satz beenden, bevor du dich anderen Dingen zuwendest?" "Och." Jordas tätschelte Dukes Schopf. "Ach... hör auf!" "Na, was wohl?" Daniel Ray weitete enttäuscht die Augen. "Wir machen was Besonderes draus'! Also...", sie schlenderten zu den Bungalows zurück und Daniel Ray begann aufzuzählen, "… zuerst halten wir alle Kackvögel von der Feier fern, dann machen wir's uns gemütlich und... ja." "Cool." Duke legte den Kopf schief. "Klingt richtig verlockend." "Ja, ne?" "..." Den Rest des Tages verbrachten die beiden Gruppen, die größere und die Zweimanngruppe, voneinander getrennt. Daniel Ray und Co. beschlagnahmten den Volleyball-Platz und wenn sie nicht faul im Sand lagen oder spielten, dann ließen sich die vier Amerikaner gern auf sinnlose Streitereien mit Fünfklässlern ein, die in brutalen Sandschlachten und verheulten Gesichtern endeten. Von Joey und Kaiba fehlte jegliche Spur, ja, die Beiden waren verschwunden. Sie machten sich eine schöne Zeit im Wald, erforschten ihn und fanden so manches angenehme Plätzchen, an denen die Zeit wie im Flug verging. Den ganzen Tag waren sie außerhalb des Camps und erst als es Zeit für das Abendbrot wurde, kehrten sie zurück. Joey musste zugeben, dass es hin und wieder sehr erfrischend war, keinen verrückten Amerikaner um sich zu haben und da sich die beiden mit allem was sie heute taten, Zeit ließen, konnten sie auch ein ruhiges Abendbrot genießen. Denn als sie den Speisesaal betraten, war die bekannte Gruppe soeben dabei, ihn zu verlassen. Daniel Ray wünschte den beiden einen schönen Tag und wandte sich anschließend vertraulich an Joey. "Ich steck dir was", tuschelte er. "Heute Abend, nachher, Lagerfeuer, kommste, wird lustig, bringste Mister Cool mit." Na, darauf war Joey sehr gespannt. Er ließ es sich schmecken und kehrte anschließend in den Bungalow zurück. Dort versuchte er von Duke mehr über das Vorhaben zu erfahren, doch dieser wusste nicht viel mehr. Manche Leute von Feier fernhalten, gemütlich... das war alles. Es dauerte nicht all zu lange, da trat die völlige Finsternis ein und ein Morfrey in einem bequemen Pyjama stand vor der Tür des Bungalows. Sie folgten ihm zu der großen Wiese neben dem Basketballfeld, auf dem Holz angestapelt worden war. Auch viele Bänke und Decken befanden sich dort und als sich Joey auf eine von diesen hockte und neugierig beobachtete, wie das Holz zu Brennen gebracht wurde, freute er sich auf einen wundervollen Abend. Merkwürdigerweise waren es nur knapp dreißig Schüler, die sich an dem Spektakel beteiligten. Andere beschäftigten sich anderweitig, oder wurden, wie Daniel Ray gesagt hatte "ferngehalten". Den Anwesenden kam das jedoch sehr gelegen, da es nicht zu voll wurde. Auch die Anderen fläzten sich auf die Decken oder auf nebenstehende Bänke und Jeder von ihnen schien sehr zufrieden mit sich und der Welt. Auch Kaiba saß still neben dem Blonden, seine Augen waren auf die hellen Flammen gerichtet, die sein Gesicht in einen warmen Schein hüllten. Daniel und seine verrückte Bande waren bereits anwesend und dann wurde ganz unvorhergesehen Knüppelteig ausgegeben. Daniel und Co ließen sich auf der gegenüberliegenden Seite der Clique auf einer Bank nieder und Joey staunte nicht schlecht, als Daniel Ray und Jordas Gitarren zückten und etwas klimperten. Zuerst war es wirklich nur Geklimper, dann jedoch, einigten sie sich auf ein Lied, begannen richtig schön zu spielen und zu singen. Daraufhin wurden die Anwesenden noch ruhiger und während die beiden Jungs ausdrucksstarke, beinahe schon melancholische Songs sangen, wurde nur leise geflüstert. Es war eine herrliche Atmosphäre und Joey wünschte sich, dieser Abend würde nie enden. Die Songs passten, das Holz knackte und die Flammen loderten hoch, spieen Funken aus, die sich drehend gen Himmel bewegten und schnell erloschen. Joey wippte mit dem langen Stock, hielt seine Spitze über die Flammen und lehnte sich genüsslich zurück. Er lehnte sich an Kaibas Schulter, der seinen Teig bereit von dem Stock piepelte und leise fluchte. Joey lächelte, blinzelte zufrieden und beobachtete dann Daniel durch die Flammen hindurch. Grinsend und schunkelnd kratzte er die Saiten mit dem Plektrum an, entlockte dem Instrument wundervolle Töne. Auch singen tat er nicht schlecht und seine Miene verzog sich theatralisch, als er von dem Winter sang, der stets so schnell ins Land zog. Passte nicht, war aber trotzdem schön. Auch über Jordas konnte man nicht sich beschweren. Stets war er synchron mit dem anderen Musikanten und jeder Schüler lauschte. Der Blonde beobachtete Daniel weiterhin, wie er eine kurze Pause einlegte, Jordas kameradschaftlich anstieß und mit ihm tuschelte. Wieder lachten und blödelten sie, bevor sie zu dem nächsten Song kamen. Morfrey und Eddie hockten neben ihnen und pieksten sich mit den Stöcken. Und aus dem harmlosen Pieksen wurde bald ein gnadenloser Fechtwettbewerb, den Morfrey gewann, denn Eddie verdrehte die Augen, warf den Stock bei Seite und ließ sich nach hinten fallen. Er war tot. Das Lächeln des Blonden wurde flink zu einem Grinsen. Diese Schurken würde er gern öfter um sich ha... "Hey!" Ein deftiger Schlag an der Schulter brachte ihn in die Realität zurück und ließ ihn aufblicken. Tristan starrte ihn an. "Wenn du den Teig noch länger ins Feuer hältst, kannst du ihn als Faustkeil verwenden!" "Was? Oh." Flink zog Joey den Stock zurück und besah sich den Teig, der im wahrsten Sinne des Wortes äußerst düster dreinblickte. "Muss er denn nicht schwarz sein?" "Kannst du gern machen." Duke grinste. "Aber dann kannst du ihn nicht mehr essen, es sei denn, du willst sterben." "Verkauf mich nicht für blöd." Joey runzelte die Stirn. "Kann man echt...?" "Quatsch." Also begann Joey den Teig abzupiepeln und ließ ihn sich schmecken. Stunde um Stunde verging und bald war es beinahe zehn Uhr. Schüler, die keinerlei Durchhaltevermögen besaßen oder die Lust verloren hatten, ruhig dazusitzen, das Feuer zu genießen und sich wohl zu fühlen, hatten sich bereits vom Acker gemacht. Nun waren es nur noch knapp zwanzig, die an dem Feuer saßen. Jordas spielte noch immer und Daniel Ray sang dazu, wobei er oft den Text vergaß und nur vor sich hinnuschelte. Joey hatte sich in dieser Zeit mit sich selbst beschäftigt, doch nun wurde er wieder auf den Schwarzhaarigen Amerikaner aufmerksam. Er beobachtete ihn lange, stocherte dann mit dem Stock im Boden und rührte etwas in dem brennenden Holz. Ja, das Feuer brannte noch immer. Die Flamme war kleiner geworden und dennoch war es ein herrlicher Anblick. "Okay." Daniel drehte die Gitarre auf den Rücken und atmete tief durch. "Jetzt reichts mir." Er knabberte kurz auf der Unterlippe, legte das Instrument bei Seite und verpasste Jordas einen deftigen Schlag auf die Schulter. Dieser verschluckte sich, die Gitarre gab einen grausamen Ton von sich und die Schüler stöhnten. Der Song war gerade so schön gewesen! Ohne sich darum zu kümmern, langte Daniel nach hinten und zog eine Stereoanlage hervor. Überrascht verfolgten die Anwesenden das Geschehen und Daniel begann zu tippen, irgendetwas einzustellen. Joey legte den Kopf schief und plötzlich ertönte ein klassisches Lied. Was war denn jetzt los? Klassik? Jordas begann sofort einen nicht dazugehörigen Takt auf der Gitarre zu trommeln und Daniel erhob sich. Er richtete sich auch auf, richtig edel und wohlerzogen. Und dann kam er in langsamen Schritten um das Feuer herum, steuerte direkt auf Joey zu und blieb vor ihm stehen. Der Blonde traute seinen Augen nicht, als er einen Knicks machte und ihm die Hand reichte. "Darf ich bitten, Madame?" "Was? Wo?" Irritiert sah sich Joey um. "Ich?" "Klar du." Daniel verdrehte die Augen und Joey richtete sich auf. "Öhm... okay?" Er griff nach der Hand, ließ sich auf die Beine ziehen und zum Feuer führen. Dort griff Daniel nach seiner anderen Hand und legte die andere auf seinen Rücken. "Ich führe, klar?" Moment - das roch doch verräterisch nach einem Walzer. Joey verzog skeptisch die Augenbrauen, dann jedoch, legte er ohne zu zögern die Hand auf Daniels Schulter. "Du führst, großer Meister." Die Clique weitete ungläubig die Augen, Duke lehnte sich nach vorn und Kaiba war der einzige, der überhaupt nicht begeistert wirkte. Und sie waren nicht die einzigen, die starrten, als sich das Tanzpaar gekonnt zu der Musik zu bewegen begann und einen fantastischen Walzer hinlegte. Eine gespenstische Stille trat ein, alle Augen waren auf die Beiden gerichtet, dann jedoch, erhoben sich zwei Jungs, fassten ihre Mädels an der Hand und führten sie ebenfalls zur Tanzfläche. "Open finish." Joey verzog professionell die Miene, hielt die stolze Haltung und schwang sich zur Seite. "Was'n das", erkundigte sich Daniel mit eitler Miene. "Weiß nich." Joey grinste, trat zurück. "Hab ich mal im Fernsehen gesehen." "Tse..." Daniel folgte ihm, trat zur Seite und führte ihn mit sich. "Woher kannst du den Walzer?" Joey bettete die Hand auf der Schulter neu. "Hab ich mal im Fernsehen gesehen... öfter. Du?" "Mein Paps mag das... hab öfter mitgeschaut." Duke lehnte sich zurück, blähte die Wangen auf und schüttelte den Kopf. "Man, die führen sich ja auf." Er brummte und lugte zur Seite, wo Tea saß. "Jetzt reicht's. Das schaffen wir genauso gut!" Mit diesen Worten grabschte er nach der Hand des Mädels und zog sie auf die Beine. "Was hast du vor?", erkundigte sich Tea irritiert. "Du tanzt doch gern, hopp, hopp." So mischten sie sich unter die bisher wenigen Tänzer und taten ihr Bestes. "Warum forderst du mich zu einem Walzer auf." Joey sah sich um, versuchte Kaiba zu erspähen. "Wann haben wir denn schon Zeit, miteinander zu quatschen", antwortete Daniel leichthin. "Gar nich. Hängst doch dauernd mit Mister Cool rum und ich glaub, der reißt mir den Kopp ab, wenn ich mich nähere." Joey hob die Augenbrauen, schwang herum und suchte erneut nach ihm. >Oh man<, dachte er sich nebenbei. >Du machst es mir nicht gerade leicht, Junge. Wie soll ich mich unter diesen Umständen von dir fernhalten?< "Hab ja nichts gegen dich." Daniel trat zur Seite, näherte sich langsam Morfrey, der seinen Stock wie einen Dirigentenstab bewegte. >Danke!< "Aber deinen Kumpel... sorry, den kann ich nich aussteh'n." "Musst du auch nicht", antwortete Joey etwas wortkarger. Daniel hörte ihm schon gar nicht mehr zu. Er kicherte leise, erreichte Morfrey und erteilte diesem einen Tritt gegen das Knie. Er trat nicht kräftig zu und dennoch genügte es, um Morfrey hinterrücks von der Bank fallen zu lassen. Und während der junge Mann schrie und nach seinem Stock suchte, mischten sich Daniel und Joey wieder unter die Tanzenden. "Ich halte mich nicht von dir fern, weil ich dich nicht ausstehen kann", erklärte Joey, als Daniel Ray nicht mehr abgelenkt war. "Du hältst dich von mir fern, weil er mich nich aussteh'n kann." Daniel rollte ganz merkwürdig mit den Augen. "Springste auch von nem Hochhaus, wenn er's sagt?" "Was?" "Vergiss es." "Nein, was hast du gesa..." Plötzlich endete das Lied und die Tänzer blieben stehen. Auch Daniel und Joey lösten sich voneinander. Daniel kehrte tänzelnd und klatschend zu seinem Platz zurück und Joey sah ihm irritiert nach. >Springst du auch einem Hochhaus, wenn er es dir sagt?? Was zur Hölle...< "Hey!" Plötzlich erschienen Tea und Duke neben ihm und der Blonde erwachte aus seinen Grübeleien. "Toller Walzer!" Duke lachte und Joey gelang lediglich ein langsames Nicken. "Ja... danke..." In dieser Sekunde begann das nächste Lied, nicht klassisch und doch für das Tanzen geeignet. Sofort eilte Tea los und zog Duke mit sich. "Was? Noch ein Ta..." "Du tanzt doch gern, hopp, hopp!" Joey blieb noch etwas stehen und als er zur Decke zurückkehrte, setzte er sich nur und starrte vor sich auf den Boden. Er achtete nicht auf Kaiba, er achtete auf niemanden. >Wie zur Hölle hat er das gemeint?!< Er griff nach einem Grasbüschel. >Er denkt doch nicht etwa, dass ich nach Setos Pfeife tanze, oder? So ein Blödsinn! Es ist mir nur wichtig, dass Seto diese Klassenfahrt genießen kann!< Er rupfte das Büschel aus und bewegte es in den Händen. >Als ob ich keine eigene Persönlichkeit hätte!< Er rupfte hier und da, warf das Büschel letzten Endes zur Seite und erspähte Daniel kurz durch eine Lücke hindurch. >Nein... das muss er anders gemeint haben.< Somit musterte er kurz Kaibas Miene und als er ein anerkennendes Nicken seinerseits empfing, lehnte er sich zur Seite, lehnte sich an seine Schulter und schloss die Augen. Lange verbrachten sie noch an diesem Feuer. Es wurde getanzt und gesungen. Daniel hatte nicht zu viel versprochen. Als das Feuer erlosch und nur die glimmende Asche zurückblieb, bewegten sich noch immer wenige Tanzpaare auf dem Rasen. Und erst als es Mitternacht schlug, lösten sich die Gruppen voneinander und kehrten in ihre Bungalows zurück. In dieser Nacht wechselte Joey nicht mehr viele Worte mit Daniel. Er befasste sich mit Kaiba und als er endlich in seinem Bett lag, dachte er lange nach, bevor er einschlief. ~*~ Flink stülpte sich Joey ein weites Shirt über, schlüpfte in eine kurze dünne Hose und stieg in zwei bequeme Sportschuhe. Ja, heute stand Sport auf dem Plan! Sport von Morgens bis Abends und was freute er sich darauf. Er begann leicht zu hüpfen, streckte sich und zupfte an seinen Kleidern. "Auf, auf!" Heiter wandte er sich an die anderen. "Wir haben keine Zeit!" "Wir sind doch gerade erst vom Frühstück zurückgekommen." Duke rollte mit dem Kopf. "Ich bin hundemüde und soll schon Sport machen?" "Klar, das macht dich wach!" "Natürlich, wenn ich bis dahin noch lebe." Joey drehte sich zur Seite und beobachtete Kaiba, der auf einem der Hocker kauerte und sich gemächlich die Schuhe band. Nun, auch er schien nicht fasziniert von dieser "Pflicht", die sie vor sich hatten. Genau, dieser Sporttag war Pflicht... warum auch immer. Der Blonde sah sich weiterhin um, zog kurz darauf einen Haargummi aus der Hosentasche und band sich ein kleines Zöpfchen. Nach dem tagelangen Herumsitzen kam dieser Sporttag mehr als gelegen. Wenige Minuten später, verließ die Gruppe den Bungalow und machte sich auf den Weg zu der Lichtung, auf dem der Sport stattfinden sollte. Joey drängelte, aber trotzdem ließen sie sich Zeit, als sie durch das Camp schlenderten und kurz darauf das Gelände verließen. "Los, los, los!" Joey sah sich zappelig um. "In fünf Minuten fängt es an! Hey, wo lang ging es noch mal?" "Da lang." Tristan wies nach links. "Da muss es irgendwo einen kleinen Weg geben, der zu der Lichtung führt." "Worauf warten wir dann noch?" "..." "Wegen dir wachsen mir noch graue Haare." Duke betastete stöhnend seinen Schopf. Nach einem kurzen Fußmarsch erreichten sie jene Lichtung. Sie war sehr groß, viele Teilnehmer tummelten sich bereits auf ihr. Bälle flogen umher, Springseile schwangen und heiteres Lachen drang aus allen Richtungen zu ihnen. Kaiba schien dieser Anblick nicht zu belustigen. Träge stand er dort und musterte die Schüler finster. Kein Fünkchen Begeisterung versteckte sich in seiner Miene, eher eine rege Langeweile und Verachtung. Sport als Pflicht? Auf der Klassenfahrt...? "Hier sind so viele Menschen", bemerkte Yugi unruhig. "Machen wir wirklich den ganzen Tag Sport?" Duke war nicht wohl bei dem Gedanke. "Mir kommt es ganz gelegen", bemerkte Tea und betastete ihren Bauch. "Das Essen hier ist aber auch zu lecker." Bakura kratzte sich am Kopf. "Mm..." Joey sah sich suchend um. "Wo ist denn..." "Vorsicht!" Plötzlich kam ein Ball auf ihn zugeflogen und er konnte ihn gerade noch auffangen, bevor er ihn an den Kopf bekam. Verdattert hielt er ihn in den Händen und blickte auf. Schnaufend und schwitzend kam Daniel angerannt, blieb vor der Gruppe stehen und stützte sich nach Atem ringend, auf die Knie. "Der Ball...!" Joey hob die Augenbrauen. Daniel schien jedenfalls in keiner Hinsicht säuerlich gestimmt zu sein. Diese Bemerkung am vorherigen Tag musste ihm nur so herausgerutscht sein. Während er den Ball an Daniel zurückgab, musterte Kaiba diesen mit säuerlicher Miene. Sein Alptraum wurde zu Realität, und das tagtäglich! "Ham grad nen bissl gespielt." Daniel warf den Ball nach hinten, wo Morfrey nach ihm schnappte und Jordas ihn kurz darauf gegen den Rücken bekam. "Ey, man!! That beats everything!!" Schnell bekamen sich die beiden in die Haare und Eddie schlichtete den Streit, in dem er sich drüber warf. Joey beobachtete das Spektakel nachdenklich und Daniel fuhr sich durch das offene Haar. Auch er hatte sich passend gekleidet, die Hose bedeckte gerade mal die Hälfte seiner Oberschenkel, das ärmellose Shirt ließ das Tattoo bestaunen. Sein Gesicht war rot und seine Stirn glänzte vor Schweiß, als er tief Luft holte. "Dacht scho, das ihr gar nich mehr kommt, so'n Glück. Auf, auf... folgt mir, edle Herrschaften." Er grinste verspielt, machte einen merkwürdigen Umschwung und trödelte auf die Mitte der Lichtung zu. Mit einem sanften Tritt löste er das sich wälzende Bündel von Armen und Beinen auf dem Boden und drehte sich kurz um. Die Gruppe Japaner folgte ihm teils heiter teils schweigend und finster dreinblickend. Nun, finster dreinblicken tat eigentlich nur einer. Spätestens jetzt schien auch die Lust in Duke zu erwachen. Daniel würde schon dafür sorgen, dass dieser Tag zu einem Erfolg wurde. "Die Sportlehrerin is nen Knaller!" Daniel weitete die Augen. "Echt?" Tristan hob die Augenbrauen. "Ohoho!" Daniel wandte ihnen den Rücken zu, begann mit den Armen zu schlenkern. "Aber holla!" Während sie ihren Spaziergang fortsetzten, begannen sich auch die anderen Teilnehmer zu bewegen. Allmählich fanden sie sich alle in der Mitte der Lichtung ein und kauerten sich in das Gras. Joey hockte sich neben Daniel, Kaiba blieb neben ihm stehen und der Rest der Clique machte es sich ebenfalls auf dem Boden gemütlich. Lautes Geschnatter und zufriedenes Lachen herrschte, bevor sich die Sportlehrerin aufrichtete und sich an ihre Gruppe wandte. Soeben war sie damit beschäftigt gewesen, kleine Bälle einzusammeln und in einem Korb zu verstauen. Daniel lugte erwartungsvoll zu Tristan und dieser blähte die Wangen auf. "Boah." "Alles klar bei euch? Meine Name ist Katagawa, nennt mich Kati." Die junge Frau fuhr sich durch das blonde Haar und lächelte freundlich. "Wir haben einen ganzen Tag voller Sport und Spaß vor uns." Kaiba verdrehte die Augen und wandte den Blick ab. Und während die junge Frau lächelte und sprach, sprach und lächelte, stieß Daniel seinen Nebenmann an. "Na? Na?" Provozierend rückte er näher an Joey heran, blinzelte ihm schelmisch zu. "Die würdest du nicht von der Bettkante schubsen, oder?" "Öhm...", der Blonde legte einschätzend den Kopf schief, musterte den schlanken Leib, den wohlgeformten Busen, den man durch das enge Shirt deutlich betrachten konnte. Er verzog skeptisch die Augenbrauen. "Du kannst es mir ruhig sagen." Daniel kicherte. "Verrat mir deine schmutzigen Fantasien." "Hat schöne Haare... die Frau." "Die Haare?" Daniel legte irritiert den Kopf schief. "Die Haare?" "Hey." Joey zuckte mit den Schultern. "Sie hat doch wirklich hübsche Haare, oder?" "Haare!" Daniel Ray stöhnte erschöpft und wandte sich ab. Nachdem Kati wenige Minuten für ihre Ansprache vergeudet hatte, bat sie die Schüler, die sie lieblich mit "Süßen" oder "Zuckerherzchen" bezeichnete, Runden zu laufen, um sich aufzuwärmen. Sofort kam die große Gruppe auf die Beine. "What a beauty!" Morfrey verdrehte schwärmerisch die Augen, während er neben Daniel einher lief. "Good Lord!" "Wie findest du ihre Haare?" Daniel kämpfte sich vor, lief locker neben Tristan. "Die Haare?" Tristan lugte verwirrt zu ihm. "Na ja... auf die habe ich jetzt gar nicht so geachtet." Daniel runzelte die Stirn und drehte sich zu Joey um, der in nicht all zu weiter Entfernung neben Kaiba lief. Er musterte ihn nur flüchtig, lachte leise und wandte sich wieder nach vorn. Kaiba ließ sich Zeit. Mit einer unglaublich lustlosen Miene ließ er die Bäume hinter sich und fiel immer weiter zurück, bis er am Ende der großen Gruppe lief. Und nach fünf Minuten, als Joey schnaufte, verschnellerte sich sein Atem nicht einmal auffällig. Sein Gesicht hatte sich nicht geregt, die Augen waren abwesend nach vorn gerichtet. Joey grabschte nach dem Ärmel seines Shirts und zerrte heftig daran. "Hich... ich bin warm genug! Lass uns aufhören, ja?" Also verlangsamte Kaiba das Tempo, kam zum Laufen und streckte die Arme vor sich. Er schüttelte auch seine Beine, rollte mit dem Kopf und wischte sich dann den Schweiß von der Stirn. Hechelnd stützte sich Joey auf die Knie. Da tropfte etwas von seiner Nasenspitze. "Oh... man! Es ist zu heiß, um Sport zu machen. Da habe ich mich wohl zu früh gefreut." Kaiba rieb sich den Nacken, lugte flüchtig zu ihm und drehte sich dann zu der Gruppe um, die in diesen Sekunden die andere Seite der Lichtung erreichte und die Aufwärmung ebenfalls abbrach. Joey zwinkerte, blähte die Wangen auf und zog sein Shirt hoch, um sein Gesicht zu trocknen. Dann wurde er auf Kaiba aufmerksam. "Hey, warum bist du so schweigsam?" "Wüsste nicht, was es zu erzählen gäbe", erwiderte Kaiba scheinbar lässig und zuckte mit den Schultern. „Ich erlebe gerade nicht viel mehr, als du.“ Joey verzog die Augenbrauen. "Ach... na ja, okay. Kommst du?" Er trödelte los, kehrte zu den Anderen zurück. Kaiba nickte und folgte ihm. In langsamen Schritten ließen sie die Wiese hinter sich und setzen sich, da Kati wieder etwas zu erzählen hatte. "So." Sie schlug die Hände zusammen, besah sich den röchelnden und glühenden Haufen von Schülern zufrieden. "Ich habe mir gedacht, wir machen ein paar Disziplinen, die euch gefallen. Ich dachte da an Springseilspringen, Weitsprung, Ausdauerlauf und Sprint." "Wuahh!" Daniel erschrak. "Aus… what?", raunte Morfrey in seine Richtung. "Persistency workout." "..." "What the hell?!" Jordas fuchtelte mit den Fäusten. "We’ll die!", jaulte Eddie. "Is das Pflicht?!", meldete sich Daniel sofort lauthals zu Wort, um die quatschenden Schüler zu übertönen. "Ja, warum?" "Nur so." Daniel wandte sich an Joey. "Schau ma, da drüben sin Bäume... da könn wir uns verstecken." "Darauf kannst du dich verlassen!" Joey blähte die Wangen auf. Der Sport wurde mit Kati wirklich zu einer großer Freude. Sport? Moment. In einer Hinsicht schienen sich alle Teilnehmer des Pflichtprogramms einig zu sein. Bewegung - ja, Sport - nein. So kam es, dass die Springseile als Fesseln benutzt oder zu anderen Dingen missbraucht wurden. Morfrey wurde verschnürt, bis er sich nicht mehr bewegen konnte, Daniel, Eddie und Jordas waren die Übeltäter und Duke, Joey und Yugi war das belustigte Publikum, obwohl Yugi darauf aufmerksam machte, das es möglich war, das es Morfrey nicht gefiel. Ja, es war gemein! Bakura hockte im Gras und hatte keinerlei Lust sich zu bewegen und Tristan versuchte alles, um das "zufällige" Gespräch mit Kati zu verlängern. Er stand nur bei ihr und tat alles, um die arme junge Frau von ihrem Job abzulenken. Kaiba hatte sich das Seil um den Hals gelegt und saß mit ausgestreckten Beinen in sicherer Entfernung zu Joey. Langsam und intensiv schweiften seine Augen durch die Gegend, er bewegte sich nur selten, um einen Käfer wegzuwischen, der ihm über die Beine krabbelte. Joey schien so von Daniels Stänkereien und unlustigen Späßen beraubt zu sein, dass er nur selten zu dem Brünetten lugte. Und wenn er es tat, dann sehr flüchtig und unaufmerksam. Während sich die Gruppe vor Lachen auf dem Boden wand, war Tea die Einzige, die ihrer Pflicht nachging. In nicht all zu weiter Entfernung sprang sie Springseil. Der halbe Vormittag verging also, ohne dass etwas Großartiges geschah, dann jedoch, riss sich Kati von Tristan los und veranlasste den Sprintwettbewerb. Über die halbe Lichtung führte dieser, das waren ungefähr einhundert Meter. Schnell fanden sich Paare zusammen. Das Auffälligste war das Pairing Daniel/Yugi. Der Halbamerikaner hatte sich den Jungen geschnappt, bevor sich dieser einen Anderen hatte suchen können. Jetzt grinste er irgendwie siegessicher. Nun gaben die Teilnehmer alles und es wurde zu einem unglaublichen Erfolg. Es wurde gejubelt, angespornt und gefeiert und nachdem Yugi und Daniel gelaufen waren, wurde sogar gejammert, ja. Als eine der Letzten der ersten Runde gingen Kaiba und Joey an den Start. Der Blonde wirkte sehr angespannt, als er seine Beine ausschüttelte und in den Tiefstart ging. Kaiba jedoch, hatte nicht mehr Lust auf all das als zu Beginn des Tages. Er hob gelangweilt die Augenbrauen, bevor auch er zurücktrat und in die Position ging. Joey knabberte auf der Unterlippe, fixierte den langen Weg, der vor ihm lag. Dann lugte er feindselig zu Kaiba. Er musste unbedingt gewinnen! Er war noch nie gegen Kaiba gerannt, wusste nur aus dem Sportunterricht, dass er unglaublich schnell war - der Schnellste aus der ganzen Klasse! Jetzt wollte er ihn unbedingt schlagen. Endlich ertönte das Signal und sofort stieß er sich ab. Und mit all seinen Kräften sprintete er los, sah sich nicht um und bewältigte den Weg in einer Rekordzeit. Schnaufend erreichte er die Markierung, geriet ins Stolpern und kam zum Stehen. Kaiba hatte ihn nicht überholt!! Er grinste stolz, stützte die Hände in die Hüften... und drehte sich um. Kaiba hatte ihn nicht überholt, weil er in diesen Sekunden erst die Hälfte der Strecke hinter sich ließ. Und er rannte so schnell, das es bereits mit einem langsamen Gehen zu vergleichen war. Mit gelangweilter Miene dackelte er näher, ging die letzten Schritte bis zu der Markierung und blieb vor dem Blonden stehen. "Glückwunsch." "Och... boah!" Joey blähte wütend die Wangen auf. "Das war fies!" Bis das Mittagessen stattfand, brachten die Schüler noch den Ausdauerlauf hinter sich. Nach fünfzehn Minuten war Joey aus der Puste und hatte zu kämpfen. Kaiba schien da eine unvergleichbare Kondition zu besitzen. Das einzige, das auf die Anstrengung aufmerksam machte, war der Schweiß auf seiner Stirn. Ungewollt fiel Joey zu Daniel zurück und verhedderte sich in einem scheinbar unendlichen Gespräch. Nun, unendlich war es nicht. Nach einer Minute brachen die beiden in solch ein Gelächter aus, das sie keinen Schritt mehr machen konnten und sich in das Gras warfen. Wie eine Erlösung erschien da das Mittagessen. Die kühlen Getränke waren binnen kürzester Zeit alle. Tea begnügte sich mit einem Salat und Joey versuchte vergeblich, Kaiba zum Sprechen zu bringen. Dieser jedoch, war so unglaublich lustlos und gelangweilt, das Sorgen angemessen waren. Die machte sich Joey auch, bis er später auf der Lichtung von Daniel Ray weg gefangen, und gnadenlos belästigt wurde. Nach dem Mittagessen standen Spiele auf dem Plan und an diesen nahmen die Schüler mit größtem Entzücken teil. Schnell wurden Gruppen gebildet und Ballspiele begonnen, bei denen Reflexe und Schnelligkeit zählten. Die ganze Palette rauf und runter. Kaiba nahm an dem ersten Spiel teil, lustlos lief er umher und verließ das Spielfeld, ohne abgeschossen worden zu sein. Er setzte sich in das Gras, bei dem nächsten Spiel blieb er auch sitzen und bei dem übernächsten auch. Natürlich wurde Joey darauf aufmerksam, doch er vertiefte sich so in diese Spiele und die Freude, dass er nicht darauf achten konnte... oder wollte. Er tobte sich aus, lachte wie noch nie zuvor und war für einige Stunden der glücklichste Mensch auf Erden. Doch jede Zeit geht zu Ende und als es bereits dämmerte, endete dieser Sporttag. Erschöpft und bei bester Laune kehrten die Gruppen zu dem Camp zurück und verschwanden in ihren Bungalows. Dort wurden sogleich die Duschen beansprucht und man musste nicht damit rechnen, einen der Sportteilnehmer in geraumer Zeit im Essenraum begrüßen zu können. Als die erfrischende Kühle seinen Körper durchströmte, schloss Joey die Augen, stützte sich an den Wänden der Duschkabine ab und legte den Hinterkopf in den Nacken. Er würde alles dafür geben, diesen Tag noch einmal erleben zu dürfen. Er war herrlich gewesen, frei von jeglicher Sorge und Anspannung. Er hatte sich prächtig amüsiert und sich in der Gesellschaft der Amerikaner so wohl gefühlt. Langsam trat er zurück und ließ den Kopf singen. Lange blonde Strähnen fielen in seine Stirn, über sein Gesicht liefen Rinnsäle von Wasser. Zu Beginn des Tages hatte er sich vorgenommen, Abstand zu Daniel und seinen Freunden zu halten. Doch nun? Nun war er wieder bei ihnen gelandet... und er bereute nichts. Joey hob die Hand, strich das Haar zurück und wischte sich flüchtig das Wasser aus dem Gesicht, bevor er sich etwas umblickte. Er hatte doch keinen Fehler gemacht, oder? Kaiba hatte nicht den Anschein gemacht, in jeglicher Hinsicht wütend zu sein. Gelangweilt, ja. Doch darüber musste sich Joey keine Sorgen machen. Immerhin hatte Daniel Kaiba nicht angesprochen und so musste sich dieser nicht angegriffen oder belästigt fühlen. Es könnte schlimmer sein. Genüsslich streckte sich Joey, stellte die Brause ab und schob die Tür der Kabine auf. Platschend setzte er den Fuß auf die warmen Fliesen und drehte sich sogleich nach links, wo ein junger Mann reglos und ausgestreckt in der Badewanne lag. Wieder fuhr sich Joey über das Gesicht und durch den Schopf, auf seinem Nacken verblieben die Hände ineinander gefaltet. Er musterte Kaiba eindringlich, dann schnappte er nach einem Handtuch und schlenderte näher. Der Brünette hielt die Augen geschlossen, wirkte doch recht entspannt, wie er da so die Hände im Freien baumeln ließ. Stets sein Gesicht fixierend, begann sich Joey abzutrocknen. >Kaiba hat keinen Grund, sauer zu sein. Auf mich oder wen auch immer<, dachte er sich und schlang sich das Handtuch um die Hüften. >Der Sporttag hat ihm nicht gefallen... etwas anderes habe ich ehrlich gesagt, nicht erwartet.< Ein flüchtiges Lächeln huschte über seine Miene, bevor er sich umdrehte, sich die Wangen rieb und auf das Fenster zuschlenderte. >Merkwürdig, heute habe ich wieder darüber nachgedacht, woher ich ihn kenne... und noch immer komme ich nicht auf eine zufrieden stellende Lösung.< Wieder lugte Joey zur Badewanne. >Allmählich werden diese Grübeleien wirklich nervig.< Da sich Kaiba nicht mehr bewegte, verließ Joey das Bad allein und leistete den Anderen, die bereits erfrischt und munter im Wohnzimmer hockten, Gesellschaft. "Mit jedem Tag macht diese Klassenfahrt mehr Spaß!" Er schwang sich auf die Lehne eines Sofas, stellte die Füße auf Dukes Schultern ab und neckte diesen. "Ja, da hast du re... kannst du das mal lassen?!" "Hier stimmt alles!" Freute sich Tea, die umherschlenderte, scheinbar von Bewegung noch immer nicht genug hatte. "Das Essen ist herrlich!" Sie streckte theatralisch die Arme von sich. "Die Unterkunft... die Gesellschaft!" "Ach, hör doch auf." Duke winkte gerührt ab. "Nein, Tea hat Recht." Strahlend erhob sich Yugi aus dem Sessel und blickte sich stolz um. "Es ist schön, das wir alle zusammen hier sind. Die Menschen hier sind sehr freundlich und wir können schöne Dinge tun. Wir festigen unsere Freundschaft, indem wir auch außerhalb der Schule Zeit miteinander verbringen. Ich finde es... hach... so toll!" "Ja." Bakura rieb sich das Kinn. "Mir gefällt es hier auch sehr... obwohl ich noch nicht in der Bibliothek war. Aber das werde ich in den nächsten Tagen nachholen, haben ja noch genug Zeit, nicht wahr?" Er erhielt keine Antwort, von allen Seiten wurde er angestarrt. "Wa... was ist denn los?" "Mensch, Bakura...", Joey weitete die Augen, "… bist du krank?" "Warum?" "Das waren einunddreißig Worte!", bemerkte Duke ungläubig. "Häh...? Ich..." In dieser Sekunde erreichte Tristan ihn und verpasste ihm einen derben Schlag gegen die Schulter. "Selbst unser Baku taut hier auf!" Joey grinste und Yugi nickte zustimmend, beinahe übertrieben. "Diese Klassenfahrt ist wirklich schön, ich hoffe nur, dass wir die kommenden Tage genau so genießen können. Hoffentlich", er zog die Augenbrauen zusammen, "hoffentlich gehen sie nicht zu schnell vorbei." "Es sind noch elf Tage, Yugi", machte Joey ihn auf eine wichtige Tatsache aufmerksam. "Oh ja, und diese Tage werden wir noch mehr genießen. Mit unseren neuen Freunden und..." "Seto." "Ja." Yugi lächelte warm. "Und Kaiba auch. Ich glaube, auch ihm gefällt es hier sehr und vielleicht werden wir in der Zukunft auch Freu..." "Yugi." Joey hob die Hand. "Er steht hinter dir." "Oh?" Sofort drehte sich der Junge um. Und da stand er wirklich: Kaiba! Um seine Hüfte ein Handtuch, unter seinem Arm die zerknitterten Sportkleider. Seine Miene - düster wie die Nacht. Von diesem Vortrag schien er nicht begeistert zu sein. "Bitte?" "Wir... wir sollten zum Abendbrot gehen." Tristan zerstörte die mulmige Atmosphäre, bevor irgendetwas passieren konnte. Er grinste und drängelte Yugi direkt an dem jungen Mann vorbei. "Ja." Auch Tea und Bakura machten sich auf den Weg und Duke erhob sich von dem Sofa. "Kommt ihr nach?" Erkundigte er sich, bevor er den Anderen folgte. "Klar." Joey winkte. "Bis dann." Somit schloss sich die Tür und die Beiden waren allein im Wohnzimmer. Kaiba runzelte missbilligend die Stirn, raffte das Kleiderbündel höher und drehte sich zur Treppe um. "Seto." Flink kam Joey auf die Beine und folgte ihm. Der Angesprochene hielt inne. "Hey, alles klar bei dir? Du warst heute so still." Bei ihm angelangt, legte Joey den Kopf schief und stützte die Hände in die Hüften. Kaiba starrte ihn nur an. "Du... du hattest nicht so richtig Lust darauf, hm?" "Ich finde es nur sinnlos, auf einer Klassenfahrt zu schulähnlichem Unterricht gezwungen zu werden", antwortete Kaiba endlich und schüttelte den Kopf. Joey nickte verständnisvoll. "Morgen machen wir uns einen Ruhigen, okay?" "Mm." Somit wandte sich Kaiba wieder ab, doch Joey hielt ihn zurück. "Warte mal." Der Blonde seufzte, drehte ihn zu sich und sah ihn geradewegs an. Er zögerte kurz, schien in den blauen Augen nach etwas zu suchen und seufzte erneut, als er scheiterte. "Ist zwischen uns wirklich alles in Ordnung? Muss ich mir wegen irgendetwas Sorgen machen oder sollten wir uns über irgendetwas unterhalten? Du musst es mir sagen, wenn dich etwas stört." Kaiba antwortete nicht, sah ihn nur an. "Ich weiß, dass ich mich heute nicht besonders zurückgehalten habe oder... ach, was rede ich denn da? Wenn dich etwas stört, dann mime bitte nicht den Beleidigten, sondern sag es mir." "Was spielst du dich so auf." Kaiba verzog die Augenbrauen, ohne das sein Gesicht einen freundlicheren Ausdruck erhielt. "Ich bin lediglich müde und habe keine Lust, über irgendetwas zu sprechen." "Weil es nichts gibt, worüber wir zu sprechen hätten?", hakte Joey nach. Kaiba nickte und wandte sich erneut ab. Noch einmal hielt Joey ihn nicht zurück. Er sah ihm nach, wie er gemächlich die Treppe hinaufstieg. "Soll ich auf dich warten? Gehen wir zusammen zum Abendbro..." "Nein, geh ruhig." Kaiba verschwand in der ersten Etage. "Ich habe keinen Hunger." Joey öffnete den Mund, oben schloss sich die Tür des Schlafraumes. Er stand lange da und starrte auf den Punkt, an dem Kaiba verschwunden war, bevor er sich langsam umdrehte und zur Tür ging. Nur langsam griff er nach der Klinke und als er sie berührte, hielt er inne. Musste er sich wirklich keine Sorgen machen...? Abwesend musterte er die feinen Strukturen des Holzes, dann schüttelte er den Kopf, verdrehte die Augen und verließ den Bungalow. Er grübelte zuviel! Als er knapp eine Stunde später mit den Anderen zurückkehrte, fand er Kaiba schlafend vor. Er konnte also nicht mehr mit ihm sprechen und da er auch müde war, legte er sich schlafen. Der Sporttag war sehr anstrengend gewesen und so schlief die ganze Clique bereits bevor es dunkel wurde. Als ein leises Signal ertönte, schlug Kaiba die Augen auf, griff nach der Decke und schlug sie zur Seite. Beinahe schon automatisch richtete er sich auf, schob sich aus dem Bett und erhob sich. Mit wenigen Schritten erreichte er seine Tasche, beugte sich zu ihr hinab und zog sein Handy hervor, das sich meldete. "Ja?" Er nahm ab, rollte verschlafen mit den Schultern und ging zur Tür. "Hm." Träge tastete er nach der Klinke, öffnete sie und trat in den Flur hinaus. "Hm... ja." Das Licht des Tages schien bereits durch die Fenster, um Kaiba herum herrschte eine Helligkeit, die die schlaftrunkenen Augen blendete. In langsamen Schritten steuerte dieser auf die Treppe zu, seine Hand tastete nach dem Geländer, er stieg hinab. Und wieder nickte er. "Ja... hm?" Er wurde langsamer, bis er stehen blieb. "Bitte was?" Seine Augen weiteten sich, die Hand löste sich vom Geländer, ballte sich zu einer Faust. "Das kann doch nicht wahr sein!" Etwas schneller führte er seinen Weg fort, erreichte das Wohnzimmer und begann um die Sofas herumzuspazieren. "Geht denn alles schief, nun, da ich nicht da bin?! Wie konnte das passieren?! Ich meine... das System! Es hat doch gearbeitet, oder?!" Er rieb sich die Stirn, stützte sich auf die Lehne eines Sessels und stöhnte. "Bis jetzt hat es uns noch nie im Stich gelassen und jetzt hackt sich irgendein Idiot in unser System und sofort gibt es den Geist auf! Hm... ja... ja!! Das ist es gerade! Das Programm selbst kann nicht infiziert..." Kaiba hielt die Luft an, schloss die Augen und lauschte. Und nach wenigen Sekunden nickte er. "Gut, ich denke, es wäre das Beste, wenn ich zurückkomme. Ja... die Sache ist mir zu heiß und ich will auf keinen Fall, dass irgendetwas passiert, das schwere Auswirkungen auf unsere weitere Arbeit haben kö..." "Du willst zurück nach Domino?", ertönte plötzlich eine schläfrige Stimme und Kaiba blickte auf. Joey stand auf der Treppe und rieb sich die Augen. "Warum?" Kaiba wandte sich ab. "Ich rufe zurück", sagte er nur, bevor er auflegte. Joey gähnte herzhaft, tastete nach dem Geländer und ließ die letzten Stufen hinter sich. Kaiba wendete das kleine Handy flink in der Hand, ließ es sinken und biss sich auf die Unterlippe. Wenige Sekunden stand er dort, dann stieß er einen wütenden Schrei aus und schleuderte das Handy auf eines der Sofas. "Verflucht noch mal!" "Was ist denn los?" Joey hockte sich auf die Lehne eines Sessels und musterte ihn mit trüber Miene. "Wieder Probleme in der Firma?" Kaiba stützte sich wieder auf der Lehne ab, trat zurück und ließ den Kopf hängen. Ungläubig schüttelte er ihn. "Ich habe keine Lust, dir alles zu erklären! Du verstehst es ja doch nicht." "Ach." Joey legte den Kopf schief. "Aha." Der Brünette stöhnte, krallte sich in das zarte Leder und biss die Zähne zusammen. "Kurz bin ich nicht da und schon geht alles schief, das nur schief gehen kann! Da taucht irgendein gottverdammter Hacker auf und dann..." er fluchte weiter, der Blonde jedoch verzog grüblerisch die Augenbrauen. Hatte sich Alfons, das verrückte Genie, eine zweite Chance gegeben? Mensch, zuerst hatte er Kaiba unwissend das Leben gerettet und nun machte er ihm genau dieses zur Hölle. Joey blähte die Wangen auf und Kaiba verstummte, die Flüche gingen ihm aus. "Und deshalb willst du jetzt nach Domino zurück?", erkundigte sich Joey etwas spitz, als er endlich wieder zu Wort kam. "Denkst du nicht, dass Pikotto das auch alleine schaffen kann?" "Ach!" Kaiba schnitt eine Grimasse. "Du hast doch keine Ahnung vom Geschäftswesen!" "Möglich." Joey zuckte mit den Schultern. "Aber ich kenne Pikotto. Du musst doch nicht wegen jedem Problemchen springen. Pikotto hat die Firma ein Jahr lang geleitet und sie existiert immer noch, also bleibst du fein hier und überlässt Pikotto das Lösen des Problems. Er kommt auch ohne dich zurecht." "Willst du damit sagen, er ist fähiger als ich?" "Aber natürlich!" Stöhnend legte Joey den Hinterkopf in den Nacken und betrachtete sich die Decke des Raumes. "Hättest du jetzt mal die Güte, nicht jedes meiner Worte umzudrehen? Du bleibst auch der Inhaber und Leiter der Kaiba-Corporation, wenn du die Verantwortung in Pikottos Hände legst. Er ist alt genug, Seto, braucht kein Kindermädchen. Und du bist auf der Klassenfahrt!" Kaiba starrte ihn an, seine Miene verzog sich säuerlich. "Es geht hier nicht um einen blöden kleinen Schreibfehler!", fauchte er dann und trat auf Joey zu, dieser sah ihn unbeeindruckt näherkommen. "Du weißt überhaupt nicht, worum es geht, bist nicht einmal im Entferntesten dazu imstande, die Gefahr dieses Problems einzuschätzen! Und trotzdem hältst du mir Vorträge von wegen Kindermädchen?!" Vor Joey kam er zum Stehen und dieser verdrehte die Augen. "Zwei Wochen, Seto. Ist es zuviel verlangt, dass du zwei Wochen nicht an dein Handy gehst und..." "Ich habe eine Firma zu leiten, Joseph! Weißt du, was das für eine Verantwortung ist? Und ja, es ist zuviel verlangt!" "Hey!" Jetzt hatte Joey keine Lust mehr, unten zu hocken. Er stöhnte und erhob sich, worauf Kaiba zurücktrat. "Stimmt, es fällt mir vielleicht schwer, so etwas einzuschätzen!" Er stach mit dem Zeigefinger nach Kaiba und ohne, dass sie es bemerkten, erschienen Duke und Tristan auf der Treppe und hielten inne, sobald sie die Zustände bemerkten. "Tut mir ja leid, dass etwas schief gegangen ist aber deshalb musst du mich nicht anbrüllen! Ich kann nämlich nichts dafür, also reiß dich mal zusam..." "Darum geht es mir überhaupt nicht!", fiel Kaiba ihm scharf ins Wort. "Es ist nur meine Pflich..." "Natürlich ist es deine Pflicht!", unterbrach Joey ihn genervt. "Aber Pikotto kann die Firma genauso gut leiten wie du, also reiß dir nicht den Kopf ab! Du tust ja so, als würde während deiner Abwesenheit in Domino eine Atombombe in die Luft gehen!" "Warum rede ich eigentlich mit dir über solche Sachen!" Kaiba wandte sich ruppig ab, trat gegen einen Sessel. "Du verstehst es ja sowieso nicht!" "Hey toll!" Joey weitete die Augen. "Das ist wirklich toll!" "Was!" "Du solltest dir in deinem Büro Bildschirme einrichten, auf denen du genau sehen kannst, was in jeder Sekunde in jedem Winkel des Gebäudes passiert!" "Was soll das heißen!" Kaiba verengte die Augen. "Ach, mach doch was du willst!" Joey winkte ab, drehte sich um und schlenderte zur Treppe zurück. "Morgen", begrüßte er die Beiden, die dort standen, freundlich und zog an ihnen vorbei. Verdattert sahen sie ihm nach, wie er gemächlich die Stufen hinter sich ließ. Die Letzte schien er zu übersehen, er stolperte über sie, ruderte mit den Armen und ging beinahe zu Boden, bevor er sich den Nacken rieb, nervös grinste und im Schlafraum verschwand. Tristan weitete verblüfft die Augen, Duke legte den Kopf schief und musterte den Brünetten, der brummend den Kopf schüttelte und sich in einen Sessel warf. Wow, das war das erste Mal, das er einen richtigen Streit zwischen den Beiden erlebte. Während Tristan dann weiterging, durch das Wohnzimmer schlenderte und im unteren Bad verschwand, legte er den Kopf schief. Es gab also Probleme mit der Firma? Er zögerte lange, bevor auch er die letzten Stufen hinab stieg und vor einem der Sessel stehen blieb. "Fährst du jetzt zurück?", erkundigte er sich. Kaiba warf ihm einen flüchtigen Blick zu, verdrehte die Augen und rieb sich die Stirn. Dann brummte er wieder und schloss die Augen. Lange ließ er Duke warten, bis er antwortete. "Weiß nicht." Seine Stimme war mit der eines zänkischen Weibes zu vergleichen, seine Miene ebenso. "Lass mich in Ruhe." Duke zuckte mit den Schultern, trommelte mit den Fingern über das Leder und machte sich ebenfalls auf den Weg in das Bad. "Du hast keine Ahnung vom Geschäftswesen... bla bla!" Joey schnitt eine Grimasse, hockte sich vor seine Tasche und begann in ihr zu wühlen. In dieser Sekunde erwachte das Bett neben ihm zum Leben. Die Decke bäumte sich auf, ein Fuß schob sich ins Freie, dicht gefolgt von einem zerzausten Schopf. Bakura kämpfte sich frei, ließ sich träge in das Kissen fallen und beobachtete Joey, der fluchte und wühlte. "Er tut fast so, als wäre er mit der blöden Firma verheiratet!" Ruppig zerrte Joey eine kurze Hose hervor und warf sie neben sich auf den Boden. "Man kann es auch übertreiben." Er hielt kurz inne, blickte grimmig auf und pustete sich eine lange Strähne aus dem Gesicht. "Und ich kann sehr wohl einschätzen, wie das mit der dummen Verantwortung ist! Holla, obwohl ich keine Firma habe!" Er schüttelte den Kopf, suchte weiter. "Manchmal ist er so... kompliziert!" Als ein lautes Gähnen ertönte, wandte er sich zur Seite. Auch Tea kehrte aus dem Traumland zurück, richtete sich elegant auf und streckte sich genießerisch. Joey wurde auch auf Bakura aufmerksam, der faul dort lag und jede seiner Bewegungen schläfrig verfolgte. "Morgen." Joey grinste. "Gut geschlafen?" "Hm." Bakura wackelte mit dem Kopf. "Guten Morgen." Tea schenkte ihm ein süßes Lächeln, schlug die Decke zur Seite und schwang die Beine ins Freie. "Mm." Joey rümpfte die Nase, griff nach einem lockeren Shirt und kam auf die Beine. Er kehrte zu dem einen Hochbett zurück, trat die Hose vor sich her und schlüpfte nebenbei in das Shirt. "Alles in Ordnung?" Tea erhob sich, Bakura blähte die Wangen auf, in Yugis Bett herrschte noch kein Leben. "Ach." Joey bückte sich nach der Hose. "Hab mich gerade mit Seto gestritten. Er will vielleicht nach Domino zurück. Aber...", er hielt kurz inne, grübelte und stieg in die Hose, "... ich will das nicht." In schlendernden Schritten näherte sich eine kleine Gruppe dem Bungalow. Im Gegensatz zu den Einwohnern jenes Bungalows wirkten diese vier jungen Männer alles andere als, müde. Sie lachten aus vollem Hals, stießen sich kameradschaftlich an und blieben letzten Endes vor der Tür stehen. Daniel Ray nahm Haltung an, räusperte sich und klopfte an. "Drogenfahndung! Sofort aufmachen!" Morfrey, Jordas und Eddie kicherten hinterhältig, Daniel Ray wartete. Kein Geräusch folgte auf diesen strengen Befehl. Bald verging ihnen das Kichern, sie wechselten Blicke, dann klopfte Daniel Ray erneut. "Bombenalarm! Hey! Macht mal jemand auf?!" Wieder begannen die drei zu kichern, Daniel Ray stöhnte. "Shut up!" "Oh!" "Thihi!" Erst nachdem sie das dritte Mal geklopft hatten, nahmen sie etwas wahr, das ein Innenleben bewies. Langsame, schlürfende Schritte... die vier blähten die Wangen auf. Es war gemein, sie so lange warten zu lassen, wo sie doch diesen strapaziösen Weg auf sich genommen hatten. Die Schritte kamen immer näher, dann ertönte ein lautes "Klack" und die Tür wurde schwungvoll aufgerissen. Drei der Besucher setzten sofort ein begrüßendes Grinsen auf, nur Daniel Ray wirkte nicht sehr erfreut. Mit düstrer Miene stand Kaiba vor ihnen, in der linken Hand das Handy, die Rechte auf der Klinke. Und auch er schien in geraumer Zeit keine Luftsprünge machen zu wollen. Da standen sie also voreinander und Morfrey war es, der das eisige Schweigen durchbrach. "Good morn..." Bevor er ausgesprochen hatte, stöhnte Kaiba, wandte sich ab und beförderte die Tür in das Schloss zurück. Boom! "Dieser...", Daniel Ray ballte die Hände zu Fäusten, "aufgeplusterte, verzogene..." In dieser Sekunde öffnete sich die Tür erneut und jemand streckte den Kopf hinaus, der wesentlich angenehmer war als der vorherige Türöffner. "Oh... hi!" Duke grinste, schob die Tür weiter auf und trat zur Seite. "Wir sind gleich fertig, kommt doch rein." Murrend zog Daniel Ray an ihm vorbei, nur seine Freunde begrüßten Duke auf ihre Art und Weise. Während unten das laute Lachen ertönte, öffnete Kaiba die Tür zum Schlafraum und trat ein. Tea schlüpfte soeben in ein enges Shirt, Bakura hockte gähnend in seinem Bett und juckte sich innig am Kopf. Yugi regte sich noch immer nicht und Joey saß auf dem Hochbett, ließ die Beine baumeln und bearbeitete verbissen ein kleines Gerät mit den Händen. Dann blickte er jedoch auf. Kaiba musterte seine Umgebung flüchtig, warf das Handy in die Tasche und ging in die Knie, um in genau dieser zu wühlen. Er benötigte kürzere Zeit als Joey, suchte sich flink seine Sachen zusammen und kam auf die Beine, der Blonde beobachtete ihn erwartungsvoll, wütend schien er nicht mehr zu sein. Kaiba schlüpfte in ein Hemd, knöpfte es lässig zu und warf einen flüchtigen Blick zu Joey. Dieser hob die Augenbrauen und legte den Kopf schief. Der Brünette wandte sich ab, schlüpfte in die Hose und zog die Kleider kurz zu Recht, bevor er sich wieder zu seinem Freund wandte. Er schien sich zu etwas entschlossen zu haben. "Gut", meinte er. "Ich bleibe." Sofort erhellte sich Joey Gesicht. Auch Kaiba schien sich schnell wieder eingekriegt zu haben, der Streit war so gut wie vergessen. "Danke." ~*~ "Was war das nur für eine Soße." Joey rieb sich grüblerisch das Kinn, Duke schob die Tür auf und die Gruppe trat aus dem weißen Gebäude auf den Kiesweg hinaus. "Worcester sauce", half Daniel Ray aus, der soeben damit beschäftigt war, an Morfreys langem Haar zu rupfen. "Amerikanische Erfindung! Deshalb ist's so lecker!" "Worcester sauce." Joey lief bei der bloßen Erinnerung das Wasser im Mund zusammen. Er machte den Anschein, als wäre er neu verliebt, faltete die Hände und seufzte. "Wow." Kaiba ließ sich zurückfallen, bis er am Ende der Gruppe ging. Die Hände hatte er tief in den Hosentaschen versenkt, sein Blick streifte düster durch die Umgebung. Das gemeinsame Frühstück und das Mittagessen in der netten Gesellschaft jener Amerikaner hatten an seinen Nerven gezehrt. Vor ihm brachen heitere Gespräche aus, jeder tratschte mit jedem... bis Eddie stehen blieb. Morfrey stieß gegen ihn, Daniel Ray rannte ihm in den Rücken und Jordas lief ihm in die Ferse. Der Rest der Gruppe hielt inne, bevor es zu einem Massencrash kommen konnte. "What the heck...!" Daniel Ray ließ von Morfreys Haaren ab und dieser rieb sich den schmerzenden Rücken. "Oh... scheiße. Schaut euch das an." Eddie stöhnte schmerzvoll und zog eine komische Grimasse. "Hä?" Daniel Ray lehnte sich an ihm vorbei und bereits nach kurzer Suche erspähte er einen gewissen Mann, der an sicherer Entfernung im Jogginganzug seiner Wege ging. "Dieser... Mann!", stieß Jordas angeekelt aus. "Och ne." Daniel Ray klammerte sich in die Schulter des jungen Mannes und ließ den Kopf hängen. "Der Tag ist im Eimer. Mit so nem Anblick...?" Spätestens jetzt wurde auch der Rest der Gruppe auf das Zielobjekt aufmerksam. Reglos standen sie dort, nur ihre Köpfe drehten sich langsam nach rechts. Der ältere Mann bemerkte nichts von der ‚heimlichen’ Beobachtung, blieb stehen und versuchte verbissen ein kleines Ästchen zu entfernen, das sich, ach herrje, in seinem Schnürsenkel verfangen hatte. Von Sekunde zu Sekunde verfinsterten sich die Mienen der Beobachter, nur bei Kaibas Miene war keine Steigerung möglich. "Der erinnert mich immer an irgendjemanden." Daniel Ray verzog das Gesicht, als hätte er auf eine Zitrone gebissen. "Igitt igitt... nicht dran denken, Ray... das bringt Unglück." Duke musterte den Mann genauer, die Statur, die Bewegungen. "Mir kommt da auch jemand in den Sinn", murmelte er nach kurzem Sinnieren. Joey verzog die Augenbrauen. "Katagori?" Prüfend lugte er zu Duke und dieser nickte. "Hm." "Och ne." Der Blonde stöhnte. "Du hast Recht." "Wer?" Daniel Ray drehte das Gesicht zu ihnen. "Katagori?" Einstimmig nickten Duke und Joey, Kaiba betrachtete sich gelangweilt die Rinde eines Baumes, der ihm nicht gefiel. Heute gefiel ihm aber auch gar nichts. "Was soll's." Joey zuckte mit den Schultern, fuhr sich durch den Schopf und schlenderte weiter. So geriet die Gruppe wieder in Bewegung, nur Daniel Ray blieb stehen und ergriff das Wort, als Joey an ihm vorbeischlendern wollte. "Woher kennt ihr Katagori?" "Was?" Sofort hielt der Blonde inne und auch der Rest der Gruppe kam zum Stehen. Kaiba riss sich von dem Baum los und verfolgte das Geschehen mit scharfem Blick. "Woher kennt ihr Katagori?", wiederholte Daniel Ray die Frage und löste sich von Eddie, beinahe schon misstrauisch musterte er ihn. Joey lehnte sich verwirrt zurück, hob die Hand. "Kennst du ihn etwa... auch?" "Klar." Daniel zuckte mit den Schultern. " Jetzt sag mir endlich, woher ihr'n kennt." "Ne, ne, ne." Joey geriet aus dem Konzept, schüttelte beirrt den Kopf. "Woher kennst DU ihn?" Duke hob langsam die Arme, verschränkte sie vor dem Bauch und trat vorsichtig näher. Da schien sich etwas äußerst interessantes anzubahnen. "Is'n Bekannter meines holden Vaters", erklärte Daniel Ray endlich. Es hatte wirklich den Anschein, als wäre er etwas nervös, von seinem Humor war keine Spur. "Hab'n unfreiwillig kennengelernt, dies'n Kackvogel... abscheuliche Ratte! Könntest du mir jetzt endlich mal..." "Ein Bekannter deines Vaters?", unterbrach Joey ihn - ihm war die Anspannung deutlich anzusehen, Kaiba rührte sich nicht vom Fleck, während der Rest der Anwesenden mit angehaltenem Atem lauschte. "Ja!" Daniel Ray verdrehte die Augen. "Yasojiro... zufrieden. Is'n alter Schulkumpel von ihm und..." "Yasojiro Hirayama?!", brach es entsetzt aus Joey heraus. Jetzt wusste Daniel Ray nicht mehr, was er sagen sollte. Sein Gesicht war wie zu Eis erstarrt, als er dort stand. "Wovon redest du", erkundigte sich Morfrey irritiert, blitzartig streckte Daniel Ray ihm dem Arm entgegen. Ohne Worte, er sollte die Klappe halten. Hier handelte es sich um eine ernste Angelegenheit. "Hirayama?" Yugi war es, der zuerst zur Sprache zurückfand. Er runzelte die Stirn, kratzte sich am Kinn und drehte sich nach hinten. "Ist das nicht der Mann, der dich vergiftet hat, Kaiba?" Mit einem Mal erwachte die Gruppe zu neuem Leben. Jeder drehte sich zu Kaiba um, nach einem flüchtigen Blick zu diesem wandte sich Joey wieder an Daniel Ray. Dessen Augen waren geweitet auf den brünetten jungen Mann gerichtet, der die Hände noch immer in den Hosentaschen hielt und seinen Blick erwiderte. Seine Miene wirkte eisig, versteinert, wie immer. Nur ein leiser Hauch von Verachtung war in ihr zu erkennen, der sich nur langsam anbahnte. Diese Tatsache gefiel Joey nicht und doch befasste er sich mit dem Gesicht des Halbamerikaners. "Verg...", diesem blieben die Worte aus, stumm bewegte er die Lippen, blinzelte und trat stockend einen Schritt zurück. Man hatte ihn überrumpelt, er wusste nicht, was er denken sollte. Eine lange Zeit stand er wieder reglos dort, die Anwesenden begannen flüchtige, verunsicherte oder gar fragende Blicke zu wechseln. "Mo... ment." Daniel Ray leckte sich die Lippen, schüttelte den Kopf, als wolle er so seine Empfindungen und Gedanken ordnen. Augenscheinlich schaffte er es nicht und doch richtete er sich auf und sah Kaiba erneut an. "Mein Vater..." "Deswegen sitzt er ja im Gefängnis", half Yugi freundlich aus. "Yugi!" Duke schickte ihm einen verbietenden Blick. Spätestens jetzt brach die völlige Verwirrung über Daniel Ray hinein. Verunsichert betrachtete er sich die Gesichter der Anwesenden. "Mein Vater...", sagte er wieder, seine Stimme klang heiser, "... hat ihn vergiftet und sitzt deshalb erneut im Knast...?" Joey schwieg, angestrengt versuchte er zu erahnen, was in diesen Sekunden in Daniel Ray vorging, doch zugegeben, auch er fühlte sich überrumpelt. Das war zuviel. Das sonnige Kerlchen, mit dem sie heitere Tage verbracht hatten, war Hirayamas Sohn? Er öffnete den Mund, schloss ihn und ertappte sich dabei, wie er ein leichtes Nicken hervorbrachte. "Warum...", Daniel hob ungläubig die Hände, "... warum zur Hölle hat mir das niemand gesagt?! Verflucht noch mal!!" Er wandte sich ab, raufte sich verbissen die Haare und drehte sich einmal um die eigene Achse, bevor er stöhnend zum Stehen kam. Wieder fiel sein Blick auf Kaiba... dieser hatte sich in Bewegung gesetzt. Die Hände in den Taschen steuerte er gemächlich auf Daniel Ray, Jeder machte ihm den Weg frei, angespannte und zum Teil auch ängstliche Blicke folgten ihm. Auch der Halbamerikaner verblieb reglos, starrte auf den jungen Mann, der sich ihm näherte. In Kaibas Miene war kein Zucken auszumachen, selbst als er kurz vor Daniel Ray stehen blieb, bewegte sich nichts. Kalt und erbarmungslos waren seine blauen Augen auf die aschgrauen des Anderen gerichtet, dieser schien sich in seiner Gegenwart nicht mehr so wohl zu fühlen. Die Zeit, in der sie voreinander standen, wirkte wie eine Ewigkeit. Ihre Blicke hafteten aneinander, Daniel Ray verzog die Augenbrauen, lehnte sich langsam zurück, das Gesicht, das stets in einem frechen Grinsen erstrahlte, wirkte nun totenbleich. Das Entsetzen steckte in allen Gliedern des jungen Mannes. Und während Kaiba aufgerichtet vor ihm stand, schien er kleiner und kleiner zu werden. Wie eine Ewigkeit erschien es, in Wirklichkeit waren es nur wenige Sekunden, dann erkannte Daniel Ray ein krampfhaftes Zucken im Gesicht des Brünetten. Kaibas Augen verengten sich, schnell und lodernd spiegelte sich der Hass in ihnen wieder und bevor man realisieren konnte, was geschah, drehte er sich in einer Bewegung zur Seite, wandte sich ab und ging in gemächlichen Schritten davon. Jeder sah ihm nach, Joey glaubte nicht, was er sah. Verdattert öffnete er den Mund, setzte an, um ihm zu folgen und hielt nach einem Schritt inne. "Seto...?" Ungläubig hob er die Hand, streckte sie ihm nach. "Hey? Seto!!" Der Angesprochene reagierte nicht. Lässig schlenderte er davon, die Hände in den Hosentaschen. Dukes Lippen bewegten sich stumm, auch er war im wahrsten Sinne des Wortes überfordert mit der Situation. "Scheiße!" Das Fluchen des Blonden riss sie alle in die Realität zurück. Joey raufte sich die Haare, beugte sich nach vorn und zischte angespannt. "Was zur Hölle...!" "Was ist los!" Morfrey rieb sich den Bauch, stieß Daniel Ray unsanft in die Seite. "Hey, könntest du mir mal..." "Nichts ist los!" Daniel Ray fuhr zu ihm herum. "Es ist mein Problem, also halt dich raus!!" "Okay." Morfrey zog eine säuerliche Grimasse. "Chill... was geht denn mit dir ab?" "Hey." Beschwichtigend trat Duke an ihn heran. "Ich denke, wie sollten gehen, hm?" "Äh?" Eddie legte den Kopf schief. "Du hast Daniel gehört." Duke drängte ihn bei Seite, forderte auch Yugi und die Anderen mit einer flüchtigen Kopfbewegung dazu auf, ebenfalls zu gehen. "Fragt nicht, geh." Nur widerwillig ließen sich die Amerikaner wegdrängeln. Die anderen folgten zögerlich und tuschelnd. "Ich glaube, es ist das Beste, wenn ihr euch in Ruhe unterhaltet." Duke schob Bakura zur Seite. "So wird das nichts." "Ja...", unentschlossen holte Joey Atem, Daniel Ray rieb sich die Stirn, "aber ich... Seto... ich meine, er kann doch nicht..." "Ich kümmere mich um ihn", beschwichtigte Duke. "Das Gespräch zwischen euch hat Vorrang. Regelt das, in Ordnung?" "Ja... ähm... gut." Joey war nicht wohl bei dem Gedanke und doch nickte er. Duke erwiderte die Geste, blähte die Wangen auf und wandte den Beiden langsam den Rücken zu. Seine Knie waren etwas weich, so viele Neuigkeiten auf einem Schlag waren nicht gesund. Stumm sah Joey ihm nach, wie er den Anderen folgte und lange starrte er auch auf den Bungalow, hinter dem er nach kurzer Zeit verschwand. Er sollte mit Daniel Ray sprechen? Warum gerade er? Er fühlte sich nicht wohl in dieser Rolle, wollte nicht der Überbringer solcher bedeutenden Nachrichten sein. Verunsichert biss er sich auf die Unterlippe, bevor er scheu zu Daniel Ray lugte. Auch dieser wünschte sich in diesen Minuten sicher, woanders zu sein. Überall, nur nicht hier. "Was geht hier vor sich!" Morfrey raufte sich die Haare, als sie den Basketballplatz erreichten. Die anwesenden Japaner waren besser informiert und tauschten sich mit vielsagenden Blicken aus. "Yeah!" Jordas stöhnte. "Ich sehe hier große Probleme!" "Warum brüllt Ray so herum?", raunte Eddie. "Seit wann sieht er aus wie 'ne Leiche! Ray ist verrückt und der Rest dieser verdammten Gruppe auch!" "Wer zur Hölle ist Katagori!" Duke blieb bei ihnen stehen, rieb sich die Schläfen und sah sich flüchtig um, bevor er antwortete. "Ist doch egal." "Aber Natürlich!" Jordas weitete sarkastisch die Augen. "Ey man!" Eddie trat an Duke heran, überragte ihn um einen halben Kopf und wirkte verdammt Furchteinflössend. "Willst du uns echt sagen, dass uns das nichts angeht? Vergiss es! Wir kennen ihn seit fünf Jahren... und so wie heute ist er nur selten!" "Genau! Was ist mit seinem Vater!" Auch Morfrey trat an Duke heran und dieser rieb sich verzweifelt den Nacken. "Rede, verdammt!" "Kann ich nicht." Duke richtete sich auf, erwiderte jeden der wütenden Blicke bittend. "Es ist eine ernste Sache... verdammt ernst, okay? Also fragt Daniel und nicht mich. Nur er kann euch eine Antwort geben. Ich verstehe eure Wut, aber..." "Okay, okay, wir haben verstanden. Und weißt du was?" Jordas klopfte ihm beruhigend auf die Schulter. "Wir gehen einfach und warten auf ihn." Duke seufzte erleichtert. "Danke." Jordas, Eddie und Morfrey wechselten flüchtige Blicke, sie brummten, rollten mit den Schultern und zogen leise murmelnd von Dannen. Mit gemischten Gefühlen sah Duke ihm nach. "Jetzt haben wir den Salat", stöhnte er leise, als er sich den Anderen zuwandte. "Man, hätte ich Joey nur nicht auf Katagori angesprochen!" "Hey, bleib ruhig ja?" Tristan trat näher, legte den Arm um seinen Hals. "Es ist nun einmal so gekommen... klar, es hätte nicht sein müssen aber wir können es nicht rückgängig machen, müssen es so nehmen wie es ist." "Hm." Wieder sah Duke sich so nervös um. "Aber was ist in Kaiba gefahren?", meldete sich Tea besorgt zu Wort. "Warum hat er so reagiert?" "Hat beinahe den Anschein gemacht, als würde er Daniel Ray die Schuld an alledem geben", murmelte Tristan und Duke riss sich los. "Sprecht nicht einmal davon, ja?!" Er fuchtelte fahrig mit den Händen. "Das wäre ausgemachter Blödsinn, das darf er nicht! Das...", er stockte, "... wäre das Letzte!" "Und was sollen wir jetzt machen?", fragte Yugi aufgeregt. "Joey und Daniel sind weg, Kaiba auch und wir..." "Wir machen uns jetzt nicht verrückt!", zog Duke einen rabiaten Schlussstrich. "Wir machen einfach weiter... ja, weiter..." "Jetzt beruhige du dich erstmal." Tristan verzog skeptisch die Augenbrauen. "Der Einzige, der sich verrückt macht, bist du. Warum zur Hölle bist du so nervös?" "Warum?" Duke wirkte ungläubig. "Warum? Plötzlich haben wir Hirayamas Sohn vor uns, der lustige und sympathische junge Mann erfährt, dass sein Vater beinahe einen Menschen umgebracht hat, den er seit einigen Tagen um sich hat. Er ist konfus und dann tritt das Opfer ihm gegenüber, als wäre er es gewesen, der das Gift gemischt hat! Anschließend macht sich Kaiba aus dem Staub, überlässt uns der Ungewissheit und wir mussten Joey zurücklassen, damit er diese Sache regelt! Glaubt ihr, ich fühle mich gut dabei? Auch Eddie, Jordas und Morfrey waren kaum wiederzuerkennen... versteht ihr das nicht? Ein Zweitagesgespräch wäre nötig, um all das zu regeln, wir müssten uns die Münder fusselig reden. Und denkt ihr, dass die Klassenfahrt jetzt so heiter weitergeht? Ich weiß nicht, was in Kaiba gefahren ist!" Er schnappte nach Luft. "Diese Klassenfahrt ist toll, herrlich! Ich habe nichts gegen Daniel Ray, meinetwegen könnte er auch der Sohn vom Teufel höchstpersönlich sein, damit ändert sich nichts. Aber... ich habe einfach keine Lust zu debattieren, zurechtzuweisen, zu erklären und zu schlichten! Das ist eine Klassenfahrt, verdammt noch mal!" "Das musst du auch nicht", mischte sich Tea ein. "Joey macht das schon und Daniel erscheint mir auch geduldig und vernünftig genug, um kein Drama daraus zu machen. Natürlich ist es sehr schwer für ihn, aber es ist nicht der Weltuntergang." "Solange sich Kaiba nicht querstellt, ist es das wirklich nicht", bemerkte Tristan und Duke bearbeitete erneut seine Schläfen. "Okay." Er kam zu einem Entschluss, ließ die Arme sinken und holte tief Luft. "Wir kehren jetzt zum Bungalow zurück, es dauert nicht mehr lange, das steht Umweltkunde auf dem Plan. Wir gehen da hin, hören es uns an und werden sehen, wie es weitergeht." "Genau." Damit war Tristan einverstanden. "Jetzt mach dich nicht verrückt, Duke", bat Tea besorgt und tätschelte die Schulter des jungen Mannes. "Es ist wirklich kein Weltuntergang." ~*To be continued*~ Kapitel 2: Die scharfen Kontraste der Sonne ------------------------------------------- Leise öffnete Duke die Tür des Bungalows und trat ein. Sofort suchten seine Augen nach Kaiba und als er das Wohnzimmer betrat, erblickte er ihn. Der Brünette saß gemütlich in einem Sessel, hatte die Beine von sich gestreckt und blätterte in einer Zeitschrift. Duke blieb stehen, Kaiba blickte nicht auf. "Wir gehen dann erstmal hoch", flüsterte Tristan, als er an Duke vorbeizog. Die Gruppe folgte ihm und der Schwarzhaarige musterte Kaiba genau. Er fühlte sich merkwürdig, verunsichert, fürchtete sich vor einer Enttäuschung. Was war, wenn Kaiba Daniel Ray wirklich die Schuld zusprach? Was sollte er dann tun? Die Schritte auf der Treppe verstummten, die Tür des Schlafraumes schloss sich und die Stille kehrte zurück. Kaiba tat noch immer, als wäre er allein, blätterte um und rückte sich kurz zurecht. Duke trat zögerlich näher und blieb in einem sicheren Abstand stehen. Er räusperte sich, verschränkte unentschlossen die Arme vor dem Bauch und biss sich auf die Unterlippe. "Was ist mit dir?", erkundigte er sich dann leise. Kaiba reagierte nicht, hielt nicht einmal in den Bewegungen inne und schien sich in einen Artikel zu vertiefen. Duke starrte ihn an. Er wartete lange und nach wenigen Minuten des Schweigens wusste er, das er noch hier stehen konnte, bis es zum Abend dämmerte. "Was denkst du jetzt von Daniel?", fragte er also. Kaiba befeuchtete den Zeigefinger flüchtig mit der Zunge und blätterte um. Noch immer nahm er Duke nicht wahr und nach einem weiteren langen Warten, wandte sich dieser ab, kehrte zur Treppe zurück und stieg sie hinauf. Seine Augen waren verbissen auf die Stufen gerichtet, dann erreichte er die erste Etage, öffnete die Tür des Schlafraumes und trat ein. Die Gruppe hatte es sich auf den Betten und dem Boden bequem gemacht und blickte auf, als der junge Mann das Zimmer betrat und die Tür hinter sich schloss. "Das ging ja schnell." Tristan legte den Kopf schief. Duke wandte sich ihnen zu, stützte die Hände in die Hüften und biss sich auf die Unterlippe. "Sieht nicht gut aus, Leute." "Was sieht nicht gut aus, Duke?", erkundigte sich Tea erschrocken. "Was hat er gesagt?" "Gar nichts." Duke schloss die Augen, schüttelte langsam den Kopf. "Wir sollten ihn in Ruhe lassen und auf Joey warten. Mit ihm wird er bestimmt sprechen." In langsamen Schritten schlenderten Joey und Daniel über den schmalen Kiesweg, nur langsam ließen sie die Bäume hinter sich. Beide hatten die Hände in den Hosentaschen versenkt, Joey starrte auf den Boden, Daniel holte tief Atem. "Katagori is nen gottverdammter Idiot." Meinte er dann kopfschüttelnd. "Äußerst zynisch un hinterhältig, nich grade der Typ, mit dem man gern seine Zeit verbringt." Er lugte zu Joey. "Meinen Vater hast du also ins Gefängnis gebracht. ihn auch?" Der Blonde blieb stehen und auch er hielt inne. "Oder ist er noch auf freiem Fuß?" "Mm." Joey biss sich auf die Unterlippe, nur langsam blickte er auf und sah den Anderen an. "Da ist noch eine andere Sache, die du... vielleicht wissen solltest." "Nur raus damit." Daniel Ray trat lässig einen Stein zur Seite. "Schlimmer kann's nich mehr werden." "Da muss ich dich enttäuschen." Irritiert hob Daniel die Augenbrauen. "Na hoi, noch schlimmer als das, was mein Vater angestellt hat?" "Gar nicht damit zu vergleichen", erwiderte Joey und Daniel grinste. "Man, du tust ja grad so, als hättest du ihn umgebracht." Joey verdrehte die Augen, pustete sich eine lange Strähne aus dem Gesicht und begann leicht zu wippen. "Bingo." "Ha!" Der Schwarzhaarige lachte amüsiert. "Ne, jetzt mal ehrlich." "Noch ehrlicher geht's nicht." Joey musterte ihn ernst. "Natürlich." Daniel winkte ab und rollte einen Stein unter dem Fuß. "Du hast ihn umgebracht und ich bin Gott. Was haste gemacht? Überfahren, verbrannt, ersäuft?" "Erschossen." "Oho." Daniel Ray kaufte ihm diese Geschichte nicht ab. Er weitete gespielt die Augen. "Könnten wir diese Scherze jetzt ma lassen un Klartext reden?" "Daniel!" Joey trat mit ernster Miene an ihn heran. "Ich rede jetzt Klartext, also hör zu." Daniel wartete. "Ich habe Katagori erschossen! Drei Kugeln habe ich gebraucht, wenn du es genauer wissen willst!" Daniel setzte an, um zu grinsen, brach es dann jedoch ab und wirkte etwas verunsichert. Lange sahen sie sich an, der Halbamerikaner runzelte die Stirn und rümpfte die Nase. All der Witz hatte sich aus seinem Gesicht verloren und mit jeder Sekunde, in denen er die braunen Augen des Anderen musterte, wurde er ernster, beinahe schon erschreckend ernst. "Das ist ein Witz.“ "Ich wünschte es wäre so." "Du hast...", er brach ab, bewegte stumm die Lippen und rieb sich den Nacken, "du hast ihn erschossen. Er ist tot." Joey nickte. "Es war Notwehr, okay? Ich hätte es sicher nicht getan, wäre ich klar bei Sinnen gewesen. Ich bin nicht der Typ, der mal irgendjemanden umbringt, das musst du mir glauben. Und er hat mir wirklich keine andere Wahl gelassen." Nervös kauerte Duke im Gras, neben ihm die Anderen, die keinen besseren Eindruck vermittelten. Tristan zog ein unglaublich langes Gesicht, während er an den Grashalmen rupfte, Tea wippte auf ihrem Platz und beobachtete ein Vöglein, das heiter von Ast zu Ast sprang. Yugi kratzte sich seit einigen Minuten am Kopf und Bakura blätterte in einem Buch. Gemeinsam mit anderen Klassenkameraden hatten sie es sich auf dem Boden gemütlich gemacht und lauschten den Worten zweier Naturfritzen. Nicht nur die Tatsache, dass dieser Vortrag einem Anschlag auf die Nerven ähnelte, zwangen Duke zu dieser Nervosität und der schlechten Laune. Nein, auf der anderen Seite der Gruppe kauerte auch Kaiba im Gras. Er konnte ihn genau sehen, wenn er zur Seite lugte. Er verstand das Benehmen des Brünetten nicht. In Daniels Gegenwart hatte er wie ein Mörder ausgesehen, dann verschwand er, hockte sich lässig in einen Sessel, blätterte in einer Zeitschrift und sprach kein Wort. Und nun hatte er sich doch wirklich zu diesem Referat gesellt. War er nun wütend und verbissen oder hatte sich Duke in ihm geirrt? Hegte er seit dem merkwürdigen Vorfall vielleicht gar keinen übertriebenen Hass für den Halbamerikaner? Hatte Duke sein Benehmen in den falschen Hals bekommen? Wieder lugte er zur Seite. Er war nicht nur nervös, sondern auch sehr angespannt. Joey und Daniel Ray waren seit knapp einer Stunde fort und Kaiba ließ nicht einmal im Entferntesten erahnen, was in ihm vorging. Die Ruhe vor dem Sturm oder nicht? In dieser misslichen Lage interessierte es ihn kein bisschen, was es für Bäume gab, welche kleinen Krappeltierchen im Wald lebten und wie es um die Natur Thüringens stand! Die beiden Typen hatte eine kleine Tafel an einen der Bäume gelehnt und kritzelten etwas auf ihr. Nebenbei plapperten sie sich die Münder fusselig und um ehrlich zu sein, gab es nur wenige, die sich für dieses Zeug interessierten. Manche der Anwesenden versuchten Puppen und andere Gebilde aus Gras zu binden, andere hatten sich zurückgelegt und machten den Anschein, als würden sie schlafen. Wieder lugte Duke zu Kaiba. Dieser bewegte sich kaum, saß dort und schien dem Vortrag zu lauschen. Seine Miene wirkte entspannt, kein wütendes Zucken, jedoch auch nichts, das sich mit einem Grinsen gleichsetzen ließ. Sein Gesicht wirkte wie eine ausdruckslose Maske und nur seine Pupillen bewegten sich, hafteten an den beiden Naturfritzen und folgten ihnen scheinbar aufmerksam. Er machte Duke Angst. Hatte er sich zu etwas entschieden? Was ging nur in ihm vor?! Der Schwarzhaarige leckte sich die Lippen und wandte sich wieder nach vorn. Dieses Gelaber konnte Kaiba unmöglich interessieren! "Du bist nich der, der du zu sein scheinst." Daniel Ray lächelte. "Mensch, ich hab dich für nen durchschnittlichen Teenager gehalten." "Tja, so kann man sich irren." Joey wackelte mit dem Kopf. "Okay." Daniel hob die Hände. "Jetzt muss ich erstma kurz nachdenken. Soviel Neuigkeiten auf einma verkraft ich nich. Puh." Er atmete tief durch. "Du hast'n erschossen... gut. Gift, Foto... klar. Aber sachma... du hast'n erschossen, weil er'n Auftrag gab?" "Oh nein." Joey schüttelte den Kopf. "Das war nur das I-Tüpfelchen. Ich habe ihn schon früher kennen gelernt, er hat in der Kaiba-Corporation gearbeitet, er war zu faul und Seto hat ihn gefeuert. Daraufhin... tja, daraufhin ist er irgendwie ausgerastet und begann Rachepläne zu schmieden, als hätte Seto seine Familie auf dem Gewissen." "Ja." Daniel nickte. "Das is er." "Zuerst hat er Seto angefahren, aber da er glücklicherweise nicht einmal das konnte, hat er überlebt. Daraufhin hat er versucht, seinen kleinen Bruder umzubringen... hat aber jemanden erwischt, der auf diesen aufgepasst hat. Kaiba war sehr vorsichtig in dieser Zeit. Und letzten Endes hat Katagori ihn aufgespürt und wollte ihn erschießen. Katagori hat sich also nicht nur diesen Auftrag zuschulden kommen lassen." "Er wollte ihn erschießen un dann?" "Dann?" Joey brummte. "Dann habe ich mich vor ihn geworfen." "Un wurdest getroffen?" Daniel weitete entsetzt die Augen und als Joey nickte, rieb er sich erschöpft die Stirn. "Okay, du wurd'st angeschossen, hast jemanden erschossen, hast nem Menschen zweimal das Leben gerettet und einen ins Gefängnis gebracht. Komm scho, das kann doch nich alles gewesen sein." "Ist es auch nicht." "Nich dein Ernst." Daniel schüttelte ungläubig den Kopf. "Also, was haste nebenbei noch so erlebt?" "Nichts besonderes, wenn man es mit diesen Vorkommnissen vergleicht." "Gut, ich kann's mir vorstellen." Der junge Mann fuhr sich durch den Schopf und nahm Joey anschließend etwas mitleidig in Augenschein. "Verdammt, du hast mehr durchgemacht als nen Mensch in drei Leben! Un dennoch hebste dich nicht von anderen Teenagern ab. Dein Benehmen... alles an dir erscheint so normal." "Das liegt daran, dass ich alles hinter mir gelassen habe", antwortete Joey ruhig, beinahe schon triumphal. "Natürlich hat es mich fertig gemacht aber ich kann mir mein Leben nicht durch so etwas zerstören lassen, oder?" Duke rückte sich kurz zurecht und betrachtete sich die Zeichnungen, die auf die Tafel gezaubert worden waren. Die beiden Naturfritzen laberten und laberten, schienen nicht vorzuhaben, das herrliche Referat in geraumer Zeit enden zu lassen. Er hielt die Luft an, weitete überfordert die Augen und fuhr sich durch den Schopf. Die Frau war verdammt schnippisch und mit jeder Minute, in denen sich die Schüler Gesprächen zuwandten und nicht darauf bedacht waren, dies leise zu tun, wurde sie verbissener. Zurzeit sprach sie über die Blätter von irgendwelchen Bäumen. Und sie sprach darüber, als wären diese Blätter Wurfsterne, die sie am liebsten um sich schleudern wollte. Der Mann war eher schüchtern und piepelte an einem Ästchen, während seine Kollegin die gesamte Arbeit übernahm. In dieser entspannten Atmosphäre fühlte sich Duke mit jeder Sekunde wohler. Er biss sich auf die Unterlippe, warf einen flüchtigen Blick auf die Uhr. Jetzt fehlten Joey und Daniel bereits seit anderthalb Stunden und dieses Referat schien nie zu enden! Der Schwarzhaarige schloss die Augen und holte Atem. Herrlich, das war wirklich ganz toll! Als er Bewegungen ausmachte, blickte er auf und drehte sich zur Seite. Gemächlich und ruhig rappelte sich Kaiba auf, schlug sich kurz die Hose sauber und wandte sich ab. Dadurch fühlte sich Duke nicht negativ überrascht, nur weil er ging, musste er nicht gleich wütend sein, oder? Als sich der Brünette durch die Schüler drängte, ließ die zickige Frau das Blatt singen und starrte ihm mit finsterem Blick nach. "Ach!", rief sie kurz darauf und wedelte mit dem Blatt. "Langweile ich dich etwa?!" Duke lugte nur flüchtig zu ihr und nahm Kaiba wieder in Augenschein. Dieser war stehen geblieben, er konnte sein Gesicht nicht erkennen. Langsam richtete er sich, neugierig und ebenso angespannt wartete er auf Kaibas Reaktion... und die bekam er! Nur langsam drehte sich der junge Mann um, Schüler, die nahe bei ihm saßen, lehnten sich in die entgegengesetzte Richtung. Und Duke war über die Entfernung, die zwischen ihm und Kaiba lag, sehr froh, als er endlich dessen Gesicht erkannte. Kaiba war es wohl, der die Wut am besten zum Ausdruck bringen konnte. Sein Gesicht zuckte verbissen und in seinen Augen brannte ein Feuer, das sich nicht beschreiben ließ. Wieder hielt der Schwarzhaarige die Luft an, seine Augen hafteten befürchtend an Kaiba, als dieser einen Schritt zurück trat und langsam die Hand hob. Seine Miene begann krampfhaft zu zucken, bevor er das Wort erhob. "Sie fragen... ob Sie mich langweilen?" Er sprach nur leise, so leise, dass er nur mit seiner Stimmung eine tödliche Drohung hervorbrachte. Die Schüler lauschten, niemand wagte es, sich zu bewegen. "Oh ja, aber sorgen Sie sich nicht darum, Ihr grässlicher Anblick ist erschreckend genug, um diesen Vortrag abenteuerlich zu gestalten!" Die Frau schnappte entsetzt nach Luft und wurde binnen einer erstaunlichen Zeit rot im Gesicht. Ihr Kollege starrte Kaiba ebenso entrüstet an und Duke spürte einen eiskalten Schauer, der ihm durch Mark und Bein lief. "Was... fällt dir ein!!" Die Frau schloss beide Hände zu Fäusten, das Blatt der ihr so wichtigen Natur wurde gnadenlos zerdrückt. "Ich werde mich über dich beschweren!!" "Sie beschweren sich über mich?!" Kaiba lachte verbissen, tat alles, um die Frau auf grausamste Art und Weise zu verhöhnen. "Wie können Sie es wagen, mich zu duzen?! Wissen Sie nicht, wen Sie vor sich haben?!" Seine Stimme schwoll an, bis er schrie. Es hatte den Anschein, als hätte er eine günstige Gelegenheit gefunden, der Wut freien Lauf zu lassen. Infolgedessen reagierte er beinahe schon übertrieben zornig. "Und überlegen Sie sich genau, wie Sie mit mir sprechen!! Ich habe Ihren inhaltslosen Worten lang genug gelauscht!! Stecken Sie sich Ihre bescheuerte Natur sonst wohin!!" Mit diesen Worten, wandte er ihr wieder den Rücken ab, trat grob das Bein eines Schülers zur Seite, das ihm im Wege war und ging. Der Rest der Gruppe wich ihm schnell aus und die Frau wirkte wie eine Salzsäule, als sie dem jungen Mann nachsah. Duke duckte sich langsam, seine Miene verfinsterte sich und bevor sich einer seiner Freunde an ihn wenden konnte, schüttelte er ungläubig den Kopf und rieb sich verzweifelt die Stirn. "Die Klassenfahrt... ist im Arsch!" "Ich muss ehrlich sagen...", Daniel Ray rieb sich das Kinn. Die Beiden hatten sich am Wegesrand niedergelassen, Joey rupfte an den Grashalmen, "... ich kann diesen Kaiba nicht ausstehen. Er hat etwas unglaublich Hartes und Kaltes an sich." "Ja, so wirkt er manchmal." Joey nickte. "Mich scheint er aber auch nich grad ins Herz geschlossen zu haben." Er streckte die Beine von sich und legte den Kopf schief. "Er wird mich doch nich hassen, weil ich der Sohn dieses Mannes bin, oder?" Der Blonde hielt in den Bewegungen inne und blickte auf. Daniel fuhr fort. "Ich meine, bleiben wa ma vernünftig. Ich hatte garnix damit zu tun un ich gebe dir ja auch keine Schuld, weilde mein' Vater dorthin gebracht hast, wo er jetzt is." Joey seufzte leise. "Er ist manchmal richtig zickig, aber ich glaube nicht, dass er das tut. Er ist auch ein sehr vernünftiger Mensch... na ja, manchmal nur etwas vorschnell und unüberlegt in seinem Handeln. Aber...", wieder stoppte er verunsichert, "... wenn er dir die Schuld zuweist, wäre ich auf jeden Fall enttäuscht von ihm... das würde gar nicht zu ihm passen. Aber ich werde mit ihm sprechen, da kannst du dich drauf verlassen." "Hm." Daniel Ray nickte, zupfte einen Grashalm und begann mit ihm zu spielen. Ein Schweigen brach über sie herein und es endete erst nach langer Zeit. Der Schwarzhaarige rümpfte die Nase und lugte zu Joey. "Hat er sehr gelitten? Hat er immer noch drunter zu leiden? Gibt's Nachwirkungen?" Joey erwiderte seinen Blick. "Sag die Wahrheit." Nun wirkte Daniels Miene wieder ernsthafter. "Erzähl's ungeschönt." Joey saugte an seinen Zähnen. "Wenn du dir deshalb Vorwürfe machst, dann kriegst du Ärger mit mir. Es ist schlimm genug, was passiert ist und wir haben es hinter uns gelassen. Ich will auf keinen Fall, dass du diese Geschichte zu sehr auf dich einwirken lässt und unter deinem Vater leidest. Er hat es nun einmal getan und du trägst keine Schuld daran. Du bist zu vernünftig um das zu tun. Versprich mir, dass du dir nicht die Schuld gibst, sonst verliere ich kein einziges Wort darüber." "Ne ne... das is in Ordnung." Daniel schüttelte den Kopf. "Es fällt mir nur schwer, einzusehen, so nen Vater zu haben. Nen Vater, der dazu bereit is, andre Menschen umzubringen. Für was? Für Geld natürlich! Geld is sein Gott, den er sich erschaff'n hat. Er macht alles, egal, ob's ne pimplige Summe ist" Joey nickte. "Nett, das de dir Sorgen machst aber mit Schuldzuweisungen kämpf' ich mich nich mehr rum, seit ich weiß, was für'n Aas er is." Er atmete tief durch. "Beantworteste mir nu meine Frage? Und vergiss nicht, ich will alles wissen, verheimliche mir nichts." Joey nickte, setzte sich in einen gemütlichen Schneidersitz. "Ja, er hat sehr gelitten. Anfangs war es Übelkeit, Fieber, Verwirrung und Orientierungslosigkeit. Er hat sogar vertraute Menschen nicht mehr erkannt. Dann, nach nicht allzu langer Zeit, kamen Schmerzen hinzu, die sich schnell gesteigert haben. Fieber, Krämpfe. Seine Leber versagte fast ihren Dienst. Ungefähr zwei Wochen hat er unter diesen Schmerzen gelitten, wurde schwächer und schwächer. Er hat wirres Zeug geredet, erkannte niemanden mehr und seine Worte waren verletzend, ganz gleich, an wen sie gerichtet waren. Kurz bevor er endlich das Gegengift injiziert bekam, war er kaum noch ansprechbar und hat im Fieber gelegen. Dann wurde er bewusstlos und nachdem das Gegengift zu wirken begann, erholte er sich nur langsam. Er begann Menschen wieder zu erkennen. Seine Kraft kehrte nur langsam zurück und es war eine verdammt harte Zeit für die, denen er wichtig ist. Nach knappen drei Wochen hatte er den größten Teil seiner Kraft zurück, wusste sich jedoch nicht zu kontrollieren. Er später fiel ihm auch das Denken leichter, doch eine leichte Verunsicherung... blieb zurück. Sie fällt nur den Menschen auf, die ihm nahe stehen, die ihn gut genug kennen, um zu bemerken, dass manche Bewegungen, Worte und manches Handeln anders sind als früher. Bis heute hat er sich fast vollständig von dem Gift erholt. Der Arzt verbot ihm für eine lange Zeit, zu arbeiten. Er muss die Kaiba-Corperation führen, weißt du? Dieses Verbot verlor erst vor einigen Monaten an Kraft." Somit verstummte er und Daniel Ray rieb grüblerisch die Hände aneinander. "Die Kaiba-Corporation... hm, kenn' ich. So is das also gewesen." "Ja, ich habe nichts ausgelassen." In dem Schlafraum des Bungalows herrschte eine gedrückte Stimmung. Nervosität ging herum, Schweigen herrschte. Tea ging umher, hatte den Ellbogen in die Hand gestützt und rieb sich nachdenklich das Kinn. Sie war besorgt. Tristan lehnte an einer Wand, hatte die Arme vor dem Bauch verschränkt und starrte seit langer Zeit vor sich auf den Boden. Er war verbissen. Auch Yugi und Bakura verhielten sich still. Sie saßen auf ihren Betten, zupften unentschlossen und verunsichert an den Decken und blickten öfter auf, um die Anderen zu mustern. Duke stand am Fenster, hatte beide Hände in die Hüften gestützt und bearbeitete seine Unterlippe mit den Zähnen. Er bewegte sich kaum, trat nur selten von einem Bein auf das Andere und sah nach draußen. Dort herrschte reges Treiben, der Anblick der heiteren Schüler ließ ihn beinahe wütend werden. Nicht ein Fünkchen Hass hegte er für Daniel Ray, nichts hatte sich geändert und er sprach es ihm auch nicht zu, das die Klassenfahrt zur Zeit alles andere als entspannt und freudig verlief, so wie es geplant war. Nein, ein Anderer trug daran die Schuld, jemand, der unten im Wohnzimmer saß. Kaibas Benehmen machte ihn wütend. Durch dieses Benehmen waren sie alle angespannt und im Ungewissen, was auf sie zukam. Durch dieses Benehmen war Joey verunsichert. Nun waren sie seit drei Stunden fort. Duke machte sich keine Sorgen um sie, war sich sicher, dass sie alles regeln, sich aussprechen würden. Niemand würde jemandem die Schuld zuweisen. Es gäbe keine Probleme... würde Kaiba sich nicht querstellen! Abwesend betrachtete sich Duke die Gardinen. Er spürte, wie sich etwas anbahnte. Etwas, das er nicht beschreiben konnte, sich davor fürchtete, sich auch nur damit zu beschäftigen. Ein Wunder müsste geschehen... In langsamen Schritten kehrten Joey und Daniel zum Camp zurück. Seit einigen Minuten drehte sich ihr Gespräch nicht mehr um jene Vorkommnisse, nein, sie wandten sich anderen Themen zu und so erfuhr Joey sehr viel über den gebürtigen Halbamerikaner. Seine Mutter war eine berühmte Rechtsanwältin in Amerika, und ja, sie war sehr wohlhabend, was den jungen Mann keinesfalls eingebildet und arrogant werden ließ. Warum sie sich auf Hirayama eingelassen hatte? Dieses Geheimnis wurde an diesem Tag nicht mehr gelüftet. Sie gingen weiter, bemerkten, dass sie eine lange Strecke hinter sich gelassen hatten. Doch der lange Fußmarsch wurde zu einem süßen Genuss für beide. "Der Blödheini hat gesagt, ich soll den Kram allein machen un da hab ich den ganzen Schutt hingeschmissen un bin abgehaun!" Daniel Ray lachte und Joey wischte sich die Tränen aus den Augen. "Ind'n nächsten Tagen ham wa dann kein Wort miteinander gesprochen!" "Wie kann man nur so nachtragend sein!" Joey schnappte nach Luft, fuhr sich mit beiden Händen durch den Schopf und blickte sich flüchtig um. "Dem hätte ich aber was erzählt!" "Ja ja... diese Schule ist wirklich lustig!" Daniel winkte ab. "Da erlebt ma echt ne ganze Menge." "Und da sagst du, ich hätte ein spannendes Leben? Ich habe noch nie einen Lehrer auf dem Dach stehen gesehen, der dazu bereit war, zu hopsen, war auch nicht dafür verantwortlich, das sich eine Putzfrau das Bein gebrochen hat. Und...", er hielt kurz inne, "... ganz sicher bin ich noch nie aus dem Fenster gesprungen, um mich vor einer Arbeit zu drücken!" "Ach, lass gut sein." Der Schwarzhaarige grinste. "Prinzipiell scheinst du mir ein verdammt verrückter Typ zu sein." Joey wechselte das Thema, das Tor des Camps sah er bereits näher kommen. "Wie alt bist du eigentlich?" "Öhm...", Daniel rollte mit dem Kopf, "...zwanzig zarte Jährchen." "Zwanzig...!" Joey blieb stehen, starrte Daniel ungläubig an. "Das meinst du nicht ernst! Komm schon, sag mir, dass das nicht wahr ist!" "Warum sollte es nicht wahr sein?" Er grinste und streckte beide Arme von sich. "Ich habe dich... auf siebzehn geschätzt", gab Joey beschämt zu. "Oh, nur weiter, nur weiter. Komplimente liebe ich!" Sie gingen weiter. "Weil ich so lustig bin? Oder sehe ich so aus?" "Weiß nicht... beides?" "Oho!" "Dir hat man scheinbar übermäßigen Humor in die Wiege gelegt?" Joey verzog die Augenbrauen. "Du bist so lustig, das... das..." "Sprich's ruhig aus." "Das... du manchmal total durchgeknallt erscheinst." "Ich mag es nun einmal, zu lachen", antwortete Daniel locker. "Ich habe keine Lust, mich von Problemen runterzieh'n zu lassen und nen langes Gesicht zu ziehen. Dadurch wird's auch nich besser." "Wenn man dich so sieht, könnte man denken, du hättest gar keine Probleme." "Ach... meinst du." Daniel rieb sich das Kinn, besah sich einen Baum und atmete tief durch. "Da kommt er!" Duke fuhr in die Höhe, zog die Gardinen zur Seite und starrte nach draußen. Sofort waren auch die Anderen auf den Beinen, drängelten sich um Duke und beobachteten den jungen Mann, der in schlendernden Schritten und einer äußerst zufriedenen Miene auf den Bungalow zukam. Stumm folgten ihre Augen ihm, bis Duke das Wort ergriff. Nun, vielmehr stöhnte er. "Er muss durch das Wohnzimmer", sagte er leise. "Ich habe kein gutes Gefühl dabei." "Die beiden werden sich sicher aussprechen", meinte Tea schnell. "Bisher haben sie sich noch nie arg gestritten und Probleme haben sie immer früh genug aus der Welt geschafft... glaube ich zumindest." "Mm." Duke wirkte nicht all zu erleichtert. Er runzelte die Stirn und ließ den Kopf sinken, als Joey den Bungalow erreichte und aus ihrem Blickfeld verschwand. "Wenn das mal gut geht." Joey seufzte leise, ließ die Hand auf die Klinke fallen und öffnete die Tür. Das lange Gespräch hatte doch an seinen Kräften gezehrt, er war etwas müde und sein Hals vom langen Sprechen ganz rau. Er schloss die Tür hinter sich, streckte die Arme und schlenderte auf das Wohnzimmer zu. Doch diese Müdigkeit war nichts im Vergleich zu dieser Erleichterung. Daniel mochte ein verrückter Hund sein, und doch hatte er sich in den letzten Stunden mehr als vernünftig benommen. Beinahe wirkte es schon so, als hätte auch er seine ernsten Seiten. Joey trödelte durch das Wohnzimmer, schüttelte den Kopf und kam nicht um ein Grinsen herum. Er war schon in Ordnung. Er erreichte die Treppe, tastete nach dem Geländer und wollte soeben den Fuß zur ersten Stufe heben, da hielt er inne. Kaiba saß auf seinem gewohnten Platz, auf dem Sofa, die Beine von sich gestreckt, blätterte er in einer Zeitschrift. Er blickte nicht auf, hatte dem Blonden nicht einmal einen Teil seiner Aufmerksamkeit geschenkt, als dieser den Raum betreten hatte. Seine Haltung wirkte entspannt, seine Miene gleichermaßen und er las in aller Ruhe einen Artikel. Langsam und stockend drehte sich Joey um. Überrascht war er nicht, als er ihn dort sah. Kaibas Anwesenheit spürte er schnell. Die Hand noch immer auf dem Geländer, entfernte er sich einen Schritt von der Treppe und musterte die Miene des Brünetten genau. Zugegeben, jetzt war er etwas verunsichert. Was ging in Kaiba vor? Hatte Duke bereits mit ihm gesprochen? Gab es keine Probleme mehr, die er aus der Welt schaffen musste? Nach einem langen Zögern, löste er sich endgültig von der Treppe und näherte sich Kaiba langsam. Die Augen stets auf dessen Gesicht fixierend, strich er über die Lehne des Sessels, als er an ihm vorbeiging. Letzten Endes blieb er vor Kaiba stehen, warf der Zeitschrift einen flüchtigen Blick zu und biss sich auf die Unterlippe. Noch immer schien Kaiba woanders zu sein, jedenfalls beachtete er ihn noch immer nicht. Man musste keine außergewöhnlichen Fähigkeiten besitzen, um zu wissen, dass etwas nicht stimmen konnte. So benahm sich Kaiba nie. Nie zuvor hatte er sich so zurückgezogen und den Beleidigten gespielt. Langsam hob Joey die Hände und stützte sie in die Hüften. "Hey", sagte er leise und keinesfalls unfreundlich. Kaiba blätterte um. Wieder verfing sich Joey in einem unsicheren Zögern, bevor er ihn erneut ansprach. "Alles in Ordnung bei dir?" Eine Antwort war von Kaiba nicht zu erwarten und Joey erhielt sie auch nicht. "Ich... ähm...", er löste eine Hand und rieb sich das Kinn, unentschlossen, was er sagen sollte, "... ich habe mit Daniel gesprochen." Keine Reaktion, Kaiba begann zu lesen und Joey starrte ihn an. "Sorry, dass es so lange gedauert hat", fuhr er etwas sicherer fort. "Er... na ja, er war sehr einsichtig und wir haben uns gut ver...", er stoppte, begann kurz zu grübeln, "... er hat sich auch nach dir erkundet, nach deinem Befinden nach diesem Vorfall." "Interessiert mich nicht, was er gesagt hat", murmelte Kaiba endlich in die Zeitschrift vertieft. Mit diesen Worten gab er sich wieder dem Schweigen hin und Joey verzog ungläubig die Miene. "Du... du bist doch nicht etwa wütend auf ihn, nachdem du das erfahren hast. Ich meine, noch wütender." Er legte den Kopf schief, stützte die Hand in die Hüfte zurück. "Was ist denn mit dir los? Warum bist du einfach gegangen? Du hast Daniel einen ganz schönen Schreck eingejagt." Kaiba hielt in den Bewegungen inne, hielt auch den Atem an und wandte sich erst wieder der Zeitschrift zu, nachdem er einen verächtlichen Blick zur Seite geworfen hatte. "Ist ja schön, dass du dich so um ihn sorgst. Aber hast du vielleicht auch nur im Entferntesten daran gedacht, wie ich mich gefühlt habe?" "Wie du dich ge...", Joey hob die Augenbrauen, "... hey, es tut mir ehrlich leid, Seto. Aber ich war auch überfordert und konnte nicht mit der Situation umgehen." Kaiba nickte unglaublich sarkastisch und blätterte um. "Wie hast du dich denn gefühlt?" Joey trat noch näher und Kaiba zuckte lässig mit den Schultern. "Warum interessiert dich das plötzlich?" "Ach, jetzt hör doch mal auf." Der Blonde verdrehte die Augen. "Ich habe dir doch schon einmal gesagt, dass du nicht eifersücht..." "Ich - bin - nicht - eifersüchtig!" Plötzlich ließ Kaiba die Zeitung sinken, blickte auf und fixierte ihn mit messerscharfem Blick. "Ich habe dir den wahren Grund genannt, also rede nicht so einen Blödsinn!" "Okay, okay." Abwehrend hob Joey die Hände. "Das Problem ist nur, das ich deine wahren Gründe zurzeit nicht kenne." Er weitete die Augen. "Und das liegt daran, dass du sie mir nicht sagst. Du benimmst dich wirklich blöd, ich habe doch keine Ahnung, wie ich mit dir umzugehen habe und was du denkst. Und um ehrlich zu sein, glaube ich nicht, dass du nur wütend bist, weil dich Daniels Anwesenheit stört!" "Bist ja ein ganz Schlauer." Kaiba schmunzelte humorlos und Joey stöhnte. "Ich befürchte sogar, dass du ihm die Schuld geben könntest, an diesen Vorfällen und so. So weit ist es also schon gekommen. Also bevor ich jetzt noch etwas ganz falsches von dir denke, könntest du so gütig sein und mir endlich sagen, was in dir vorgeht? Wir sind hier nicht bei einem Quiz! Du könntest es mir wirklich etwas leichter machen!" Nur leise hörte Duke Joeys Stimme. Er hatte sich in den Türrahmen gelehnt, die Anderen standen nahe bei ihm und lauschten angespannt. Nicht jedes Wort konnten sie verstehen, doch die Atmosphäre verriet deutlich, dass gleich etwas ausbrechen würde. "... du könntest es mir wirklich etwas leichter machen!", hörten sie Joey stöhnen. Darauf folgte eine Stille, die erst nach langer Zeit durch ein leises Flüstern unterbrochen wurde. Dieses Flüstern drang nur gedämpft zu ihnen. Scheinbar versuchte es Joey auf die sanfte Art und Weise. Er sprach lange, Duke biss sich auf die Unterlippe, sein Blick war düster auf den Boden gerichtet. Er musste sich also um nichts kümmern? Alles würde sich bereinigen und die Klassenfahrt war nicht verloren? Na, ganz toll! Yugi rückte näher an ihn heran und streckte den Kopf in den Flur hinaus. Nun verstummte Joey und eine weitere Stille brach unten im Wohnzimmer aus. Yugi klammerte sich in den Türrahmen, richtete sich etwas auf und trat zurück. "Au!", zischte Tristan. "Du bist auf meinen Fuß..." "Tscht!" Hastig hob Duke die Hand, doch es war zu spät. Kaiba hatte etwas gesagt und er hatte kein Wort verstanden. Während sich der kleine Junge weiter zurückschob und Tristan ihn anstieß, wartete Duke. Und nach wenigen Sekunden des leblosen Schweigens, hörte er Joey schreien. Die Gruppe zuckte zusammen, das kam zu plötzlich. "Du machst mich fertig!!", hörten sie Joey fluchen. "Ich versuche auf dich einzugehen und du spielst den Beleidigten! Das ist wirklich mies von dir, wo ich doch..." "Ich spiele den Beleidigten?!", ertönte Kaibas laute Stimme, die Gruppe verharrte reglos. "Dass ich nicht lache!! Ich habe..." "Du hast gar nichts gemacht!!", unterbrach Joey ihn. "Du bist einfach abgehauen!! Soll ich mir meinen Teil jetzt denken oder was!! Schön, wenn du das willst, dann bereite dich darauf vor, dass nichts Tolles dabei herauskommt!!" "Ich habe keine Fehler gemacht!" Kaiba lachte verbissen. "Aber du bist nicht widerzuerkennen, seit dieser Mistkerl aufgekreuzt ist!" "Den Teufel habe ich getan!!" "Du bist so abgedriftet, dass du es nicht einmal mehr bemerkst!!" "Mach Daniel nicht für deine dummen Stimmungsschwankungen verantwortlich!! Du ruinierst mir alles mit deinem blöden Gehabe!!" "Was gibt es an dieser Klassenfahrt noch zu ruinieren?!" "Ach... vergiss es!" "Schön!!" "Ja, toll!!" "Dann geh doch!!" "Tu ich auch!!" Die Treppe vibrierte unter stampfenden Schritten. "Scheiße!!", ertönte es von unten, ein dumpfes Geräusch folgte. Eilig drängelte Duke die Anderen in das Zimmer zurück und lehnte die Tür an. Und sobald sie etwas auseinander gegangen waren, erreichten die polternden Schritte die Tür und sie öffnete sich. Joey trat ein, blickte kurz in die Runde und schloss die Tür hinter sich. "Scheinbar hattest du nicht viel mehr Erfolg, oder?", wandte er sich dann im Vorübergehen an Duke. Er steuerte auf sein Bett zu. "Ich...", Duke sah ihm nach, "... um ehrlich zu sein, bin ich nicht einmal ansatzweise soweit gekommen wie du." Tea schluckte und wechselte besorgte Blicke mit Yugi, der durch all dies auch mitgenommen zu sein schien. "Aha." Joey fuhr sich durch den Schopf, streckte sich und schlüpfte aus seinem Shirt. Verwundert verfolgte die Gruppe das Geschehen. "Ja, willst du uns denn nicht erzählen, wie es mit Daniel gelaufen ist?" Erkundigte sich Duke verdattert, als Joey auch aus der Hose schlüpfte und den Anschein machte, sich in seinem Bett verkriechen zu wollen. "Kein Problem, alles in Ordnung." Joey schob die Kleider mit dem Fuß zur Seite und warf einen flüchtigen Blick aus dem Fenster. "Einsichtig, vernünftig, neugierig und sympathisch." Er tastete nach der Leiter. "Ich erzähle euch morgen die Einzelheiten, hab jetzt keinen Bock, will schlafen, ist spät, wird bald dunkel." Somit brummte er leise, stieg hinauf und warf sich in sein Bett. Und ohne ein weiteres Wort, verschwand er unter der Decke und blieb still. Mit langen Gesichtern standen sie dort und wussten nicht, was sie nun denken sollten. Okay, der ausführlichen Beschreibung nach zu urteilen, musste das Gespräch mit Daniel Ray wesentlich angenehmer gewesen sein, als das, das er soeben hinter sich gebracht hatte. In diesem Falle konnten sie also beruhigt sein. Die andere Sache jedoch...? Tristan war der erste, der nach wenigen Minuten zum Leben erwachte und einen flüchtigen Blick auf seine Uhr warf. "Das Abendbrot hat längst begonnen", meinte er. "Ich habe keinen Hunger", antwortete Duke. "Ich glaube, ich lege mich auch hin... der Tag war zu spannend." "Mir ist auch nicht nach essen", seufzte Tea und rieb sich den Arm. "Mir ist es nicht danach, da runter zu gehen." Bakura warf der Tür einen vorsichtigen Blick zu. "Ja." Yugi nickte schwermütig. "Wir sollten schlafen gehen." "Daniel ist sicher gerade dabei, seinen Freunden Rede und Antwort zu stehen", grübelte Duke laut. "Mit ihm können wir heute nicht mehr rechnen." Tristan zuckte mit den Schultern. "Gehen wir schlafen." Duke brummte, rollte sich zur anderen Seite und streckte sich verschlafen aus. Allmählich wachte er auf und als er die Augen öffnete, bemerkte er sofort, dass es gut gewesen war, am vorherigen Tag so früh schlafen zu gehen. Er war schnell wach, doch die Gemütlichkeit des Bettes zwang ihn dazu, liegen zu bleiben. Er kuschelte sich in das Kissen, schloss die Augen und ließ die Hand im Freien baumeln. Um ihn herum herrschte angenehme Stille, nur selten hörte er, wie sich eine der Decken bewegte, wie die Schlafenden genügsam brummten. So ließ es sich aushalten... Weitere Minuten vergingen in dieser gemütlichen Atmosphäre, dann wurde die Tür aufgerissen und Duke verzog die Augenbrauen. Wer machte denn da so einen Radau? Er vergrub das Gesicht im Kissen, an seinem Bett zogen laute Schritte vorbei. Er brummte und eine Sekunde später, ertönte leises Gepolter. "Verfluchter Mist!! Wer hat diese gottverdammten Schuhe hier liegen gelassen?!" Mit einem Mal fuhr Duke in die Höhe. Was war er erschrocken! Schnaufend stützte er sich ab und erblickte Kaiba, der nach einem Schuh trat und ihn durch den gesamten Raum beförderte. Oh verdammt... das war zuviel! Auch in den anderen Betten begann es sich zu regen. Tea öffnete die Augen, Tristan richtete sich auf und auch Joey kämpfte sich aus der Decke. Auch den anderen Schuh trat Kaiba zur Seite, bevor er sich vor seine Tasche hockte, ruppig in ihr suchte und eine dicke Mappe hervorzog. Somit erhob er sich wieder und kehrte ebenso laut, wie er gekommen war, zur Tür zurück. Bevor er sie aufriss, schickte er Duke einen funkelnden Blick. Dann verschwand er und die Tür flog hinter ihm in die Angeln. Boom! "Aah!" Duke warf sich in die Kissen zurück, Tea richtete sich langsam auf und Tristan fuhr sich durch den Schopf. "Was zur Hölle sollte das denn!", raunte er unzufrieden. Joey schüttelte den Kopf, rieb sich die Schläfen und verkroch sich wieder unter der Decke, nachdem er kurz nachdenklich inne gehalten hatte. "Scheiße!", drang seine Stimme leise unter der Decke hervor. "Häh...?" Auch Yugi erwachte. Verschlafen hockte er sich hin und rieb sich die Augen. "Was war denn los...?" Duke schnitt eine leidende Grimasse und sah hoch zu Joey. Joey rollte sich langsam zusammen, winkelte die Beine an und presste beide Hände auf das Gesicht. "Oh verdammt", flüsterte er leise bei sich. "Das war's dann wohl..." "Verdammt noch mal!" Duke schlug die Decke zur Seite und kam auf die Beine. "Ich wäre ihm sehr dankbar, wenn er seine Wut nicht an uns auslassen würde!" "Mann!" Tristan schnitt eine Grimasse. "Das ist wirklich toll!" Tea seufzte und schob sich ebenfalls aus dem Bett. Und spätestens jetzt wachte auch Bakura auf. Duke streckte sich, gähnte und trödelte dann langsam auf Joeys Bett zu. Als er es erreichte, legte er die Arme verschränkt auf die Matratze und besah sich die blonden Strähnen, die aus der Decke lugten. "Hey Joey, alles klar?" "Mm." Ein leises Brummen ertönte, unter der Decke bewegte sich etwas. Duke schloss die Augen und stützte das Kinn auf die Arme. "Spätestens jetzt können wir die Klassenfahrt vergessen!" Tristan schob Yugi’s Schuhe an ihren alten Platz zurück. "Warum zur Hölle spielt der sich so auf!" "Das frage ich mich auch", sagte Duke schwermütig. "Joey?" "Ach!" Endlich tauchte dieser wieder auf. Er trat die Decke bei Seite, hockte sich hin und starrte finster um sich. "Er kann Daniel nicht ausstehen und wurde dazu gezwungen, Zeit mit ihm zu verbringen! Außerdem habe ich wohl zuviel mit ihm gesprochen, ich Böser!" "Das ist der Grund?" Tristan hörte sich mehr als ungläubig an. "Ich versteh's doch auch nicht!" Joey stöhnte und kam auf die Beine. Er stieg an Duke vorbei auf die Leiter und stieg hinab. Unten angelangt, verschränkte er die Arme vor dem Bauch. "Er ist eben einfach nur sauer, weshalb auch immer! Ich habe nichts falsch gemacht und habe keine Lust, ihm nachzulaufen!" Er sah sich nach seiner Tasche um. "Soll er doch machen, was er will!" Irritiert starrten die Anwesenden den Blonden an und dieser wurde darauf aufmerksam. "Ich werde erst mit ihm reden, wenn er sich wieder beruhigt hat!", sagte er schnell, bevor er zu wühlen begann. "Glaubst du, dass das so schnell passieren wird?" Tea war skeptisch. "Klar, ich gebe ihm einen Tag, dann wird er wieder mit sich reden lassen." Joey zuckte mit den Schultern. "Er hat keinen Grund, sauer zu sein. Und da er nicht gerade der Blödeste ist, wird er es bald bemerken!" Mit diesen Worten schnappte er nach seinen Sachen, stand auf und trödelte zur Tür. Und ohne noch etwas zu sagen, verschwand er im Flur und stieg die Treppe hinab. Er warf Kaiba, der vor seinem Laptop hockte und sich scheinbar ganz seiner Arbeit widmete, nur einen flüchtigen Blick zu, wurde selbst jedoch nicht beachtet. Er wandte sich ab, ging zum Bad und verschwand in dem Raum. Wenige Minuten später, war er wieder bei den Anderen und spürte deutlich, wie sich sein Magen meldete. Gestern kein Abendbrot? Die Stimmung, die an diesem Tag in der sonst so heiteren Clique herrschte, war heute etwas gedrückt. Es wurde weniger miteinander gesprochen und als sie die Treppe zum Wohnzimmer hinab stiegen, sagte niemand etwas. Kaiba saß noch im Sessel, tippte auf seinem Computer und blätterte nebenbei in der Mappe. Viele Blicke trafen ihn flüchtig und nur Joey blieb kurz stehen, um sich an ihn zu wenden. Er hatte keine Lust, den Beleidigten zu spielen und unter allen Umständen kein Wort mit Kaiba zu sprechen. Also seufzte er leise und stützte die Hände in die Hüften. "Kommst du mit zum Frühstück?" Seine Stimme klang mehr als gelangweilt und lustlos und als er nach wenigen Sekunden keine Antwort erhielt, wartete er nicht länger und folgte den Anderen. "Wie konnte so etwas nur passieren?", fragte sich Tea, als sie sich dem weißen Gebäude näherten. "Es hat doch alles so schön begonnen und vor dem gestrigen Tag ist mir überhaupt nicht aufgefallen, das Kaiba in jeglicher Hinsicht unzufrieden war." Joey ließ die Hände in die Hosentaschen rutschten und trat griesgrämig nach einem besonders langen Grashalm. Er hatte keine Lust, darüber zu debattieren - es war schon schlimm genug. Kaibas Benehmen machte ihn wütend, auf der anderen Seite suchte er jedoch verzweifelt nach einem Grund, den er bisher vielleicht außer Acht gelassen hatte. Die Eifersucht allein konnte es doch nicht sein, oder? Wegen so etwas drehte sich Kaiba doch nicht um einhundertachtzig Grad! Wenn er wegen jeder Kleinigkeit derartig ausrasten würde, dann wären sie längst schon nicht mehr zusammen. Moment! Stand ihre ganze Beziehung vielleicht auf dem Spiel? War es möglich, dass... nein! Joey schüttelte den Kopf! Daran durfte er nicht einmal im Entferntesten denken! Wegen so einer Kleinigkeit doch nicht! Aber... in so einer Situation hatte Joey noch nie gesteckt, nicht während der ganzen zwei Jahre, in denen sie zusammen waren. Natürlich, sie hatten sich gestritten, doch private Gründe waren nie der Anlass dafür gewesen. Katagori... dies und das, die Anspannung aller. Doch so etwas? Joey wusste nicht, wie er in dieser Situation mit Kaiba umzugehen hatte. Kaiba erschien ihm prinzipiell unberechenbar. Er wusste nicht, zu was er in dieser Situation fähig war. Und das machte ihm Angst! Er ließ die Anderen diskutieren und schwieg. Dann erreichten sie den schmalen Schotterweg, der zu dem weißen Gebäude führte. Noch immer starrte Joey auf den Boden, er grübelte und zweifelte. Vielleicht hätte er sich doch prinzipiell von Daniel fernhalten sollen? Nein, warum?! Er war doch nicht Kaibas Hündchen und tanzte nach seiner Pfeife! Und er würde sich ganz sicher nicht seinetwegen von einem Menschen fernhalten, der ihm unglaublich sympathisch war, mit dem er sich verbunden fühlte! Hatte ihn Kaiba darum gebeten? Hatte Kaiba wörtlich gesagt, er solle sich fernhalten? Nein... doch was war es dann?! Was hatte er falsch gemacht!! "Hey, Joey!", ertönte da plötzlich eine bekannte Stimme und sofort blieb der Blonde stehen. Auch der Rest der Clique hielt inne und drehte sich um. Sie erspähten Daniel, Morfrey, Eddie und Jordas, die schnell näher kamen. Scheinbar hatten sie sich beeilt, denn Daniel atmete etwas schwer, als er vor Joey stehen blieb und ihm freundlich auf die Schulter klopfte. Ein unsicheres Lächeln zog an Joeys Mundwinkel, doch die richtige Kraft dazu fand er nicht. Daniel hingegen, schien bei guter Laune zu sein, ebenso wie seine treuen Kameraden. Diese winkten und grinsten, jedoch nicht im übertriebenen Maße, wie man es von ihnen gewohnt war. Ja, auch Daniel überraschte Joeys Freunde. Er war merkwürdig ruhig und vernünftig. "Es is erst acht." Er richtete sich auf, musterte Joey, und achtete auf niemanden sonst. "Wie kommt's das ihr schon wach seid?" Joey blähte überfordert die Wangen auf und ein unentschlossenes Murmeln ging durch die japanische Gruppe. "Wir konnten eben nicht mehr schlafen", antwortete der Blonde nach einem kurzen Zögern und sah sich kurz prüfend um. "Lasst uns reingehen, ja?" So setzte sich die Gruppe in Bewegung und Joey ließ sich etwas zurückfallen, bis er mit Daniel hinten lief. Dieser musterte ihn erneut und zog die Augenbrauen zusammen, als er im Gesicht des Japaners etwas sah, das ihm missfiel. "Hey... is alles in Ordnung?" "Hm...?" Joey kratzte sich die Stirn, sah flüchtig zu ihm und wandte sich nach vorn. "Mm." "Das Gespräch mit dei'm Kumpel, mit dies'm Kaiba." Daniel hielt Schritt, wirkte sehr neugierig und besorgt. "Is es schief gegang'?" "Könnte man so sagen." Sie erreichten den Esssaal, Daniel blieb stehen, hielt auch Joey zurück. "So wie du aussiehst, muss es ganz schön in die Hose gegang' sein." Er beugte sich nach vorn. "Was hat er gesa..." "Nein, nein, nein." Joey fuchtelte mit den Händen, zwang sich zu einem Grinsen. "Es ist ein privater Streit, hat nichts mit dir zu tun, Ray." "Ach?" Daniel legte den Kopf schief. "Ein privater Streit." "Ja." Joey nickte. "Wir haben uns in die Haare bekommen, bevor ich ihn irgendwie auf dich ansprechen konnte. Aber ich kann dir versprechen, dass er dir keine Vorwürfe macht, okay?" Mit diesen Worten wollte er sich abwenden und weitergehen, Daniel jedoch, griff ihn am Arm und zog ihn zurück. "Kannst du...", er sah Joey direkt und unausweichlich in die Augen, wirkte so ernst, das es dem Blonden bereits Angst machte, "... mir das auch schwören?" Joey starrte zurück, unentschlossen öffnete er den Mund und wandte letzten Endes den Blick ab. Er schwieg lange und räusperte sich, bevor er leise antwortete. "Nein." "Na gut." Daniel ließ ihn los, nickte entschlossen und stützte die Hände in die Hüften. "Bei Gelegenheit werd' ich ihn ma zum Sprechen bring. Jetzt komm." Sie gingen weiter und nach wenigen Schritten schüttelte Joey den Kopf. "Nein, das wirst du nicht." "Was?" "Ich will erst den Streit hinter mich bringen, bevor ich ihn damit belästige. Ich sage dir, wenn du ihn jetzt aufsuchst und mit ihm redest, dann kann ich das gleich vergessen." "Was vergessen?" Joeys Miene verfinsterte sich. "Unsere Freundschaft!" Das Frühstück verlief so herrlich, das Joey etwas auftaute. So, als wäre es eine Selbstverständlich, setzten die vier Amerikaner alles daran, die Clique aufzumuntern. Sie rissen keine dämlichen Späße, verwickelten sich auch nicht in einen Kampf um das Essen. Auf äußerst freundlichem Wege brachten sie den Japanern bei, das alles in Ordnung war und das sie diese Klassenfahrt genießen sollten. Sie grinsten, waren überaus herzlich und brachten die Japaner nach wenigen Minuten zum grinsen. Kurz darauf wurden auch Gespräche geführt und der einzige, der lustlos in seinem Kaffee rührte und sich den Gesprächen nicht anschloss, war Joey. Oft warf Daniel ihm musternde Blicke zu, er versuchte, auch ihn aufzuheitern, als dies nach dem ersten Versuch jedoch scheiterte, ließ er den Blonden in Frieden. "Kommt ihr heut' mit?" Daniel knabberte an seinem Brötchen. "Fahr’n zum See, baden un so. Wird sicher lustig." "Baden?" Tea freute sich. "Das ist toll." Auch Duke war einverstanden. "Klar sind wir dabei, nicht wahr, Joey?" "Hm?" Der Angesprochene blickte auf, zog den Löffel aus dem Kaffee und nickte, als er sich wieder seinen Essen zuwandte. "Mm." Duke seufzte, die Gruppe wechselte vielsagende Blicke. Nach einer halben Stunde erhoben sie sich und machten sich auf den Rückweg. Sie verließen den Saal und näherten sich der Tür. "Hab irgend so nem Typen den Plan geklaut." Daniel grinste, schob mit dem Rücken die große Tür auf. "Um neun geht's los." "Das hätten wir verschlafen", bemerkte Tristan und kratzte sich an der Stirn. "Da hatte das Frühaufstehen also doch sein Gu..." Er verstummte und blieb stehen, auch der Rest der Gruppe hielt inne. In eiligen Schritten kam Kaiba den schmalen Weg zum Gebäude hinauf. Vor sich trug er einige Zettel, in die er sich vertiefte. Und er wurde erst auf die Gruppe aufmerksam, als er fast in sie rannte. Vor ihr blieb er stehen, blickte auf und ließ die Zettel sinken. Dies alles tat er äußerst langsam und als er die bekannten Gesichter erblickte, verzog sich seine Miene unglaublich säuerlich. Er wirkte, als würde ihn dieser Anblick regelrecht anekeln. Sie starrten sich an und keiner von ihnen wusste, was Kaiba jetzt tun würde. Dieser musterte jeden von ihnen und als er damit fertig war, wandelte sich die finstere Miene zu einem höhnischen Grinsen. "Ach." Er legte den Kopf schief und trat schlendernd näher. Joey fühlte, wie sich all seine Glieder vor Wut verkrampften. Dieses Gehabe! Was zur Hölle war mit ihm los?! Nun erreichte Kaiba Daniel, blieb direkt vor ihm stehen und starrte ihn unausweichlich an. "Wen haben wir denn da? Einen armen Jungen mit dem größten Scheißkerl der Welt als Vater?" Sprachlos öffnete Joey den Mund. Er wusste nicht, was das zu bedeuten hatte. Was wollte Kaiba damit sagen?! Eine böse Befürchtung beschlich ihn. Niemand bewegte sich, nur Morfrey drängelte sich durch die Gruppe nach vorn. "What's wrong with you?!", zischte er und wollte an Daniel vorbeiziehen. Dieser jedoch, streckte ihm den Arm entgegen, hielt ihn zurück. Joey beobachtete nun ihn. Daniel schob seinen Kumpel zurück, erwiderte das höhnische Grinsen. "Vielleicht?", raunte er dann an Kaiba gewandt. "Doch... ich habe wenigstens einen Vater." Ein schmerzhaftes Zucken raste brennend durch Joeys Körper. Seine Augen weiteten sich und er fühlte sich, als würden seine Knie weich werden, als sich Kaibas Blick unausweichlich auf ihn richtete. Sofort hob er die Hände, schüttelte den Kopf erst langsam, dann schneller. "Von mir...", er schnappte nach Luft, "... ich habe nichts gesagt!" Bevor er ausgesprochen hatte, wandte sich Kaiba wieder an Daniel, doch zu dem Grinsen fand er nicht zurück. Er funkelte ihn an, verengte die Augen und formte die Lippen zu einem stummen Fluch auf den Halbamerikaner und den Rest der Welt. "Sei stolz drauf!", zischte er dann, stieß den Schwarzhaarigen grob zur Seite und drängelte sich durch die Gruppe. Joey wich ihm aus, bevor er ihm irgendwie in die Quere kam, nur Yugi steckte einen schroffen Schlag ein, obwohl er in keiner Weise im Wege stand. Kaiba schubste ihn zurück, ließ die Gruppe hinter sich und verschwand in dem Gebäude. Joey fuhr herum. "Kaiba!!" Doch der Brünette war bereits verschwunden. Joeys Atem raste, seine Hände ballten sich zu Fäusten und letzten Endes trat er den Mülleimer aus seinem Gestell. "Man!" Duke tätschelte Yugi’s Schulter. "Der soll sich mal wieder einkriegen!" "So ein Idiot!" Daniel schüttelte den Kopf, fuhr sich durch das Haar und ging weiter. Seine Kameraden folgten ihm, doch bevor sie fünf Schritte gegangen waren, holte Joey sie ein. Er packte Daniel am Shirt und zog ihn zu sich. "War das wirklich nötig?!", schrie er ihn an. "Du hättest auch etwas anderes sagen können!!" "Jetzt beruhig dich ma." Daniel verzog die Augenbrauen, schien die Rage des Japaners nicht zu verstehen. "Es war nur fair. Er hat mich auf mein’ Vater angesprochen un ich hab nur dasselbe getan." "Und woher weißt du davon?!" "Seto Kaiba is nich grad nen' unbekannter Mann. Du bist nich der einzige, der über ihn informiert is." Daniel zuckte mit den Schultern. "Jetzt lass mich los und beruhig dich, kay?" "Ach, Scheiße!" Joey löste die Hände aus dem dünnen Stoff und biss die Zähne zusammen. "Hoffentlich denkt er jetzt, dass ich dir das alles verraten habe, damit die Sache perfekt ist!" "Joey." Duke löste sich aus der Gruppe und kam auf ihn zu. "Kaiba ist eine Berühmtheit, das weißt du doch. Und sicher ließ und lässt es sich nicht verhindern, das mal und mal etwas über ihn in der Zeitung steht. Gerüchte verbreiten sich schnell. Er müsste starrköpfig sein, um so etwas auch nur zu denken." "Ach, ist er das etwas nicht?!" Eine kurze Zeit später, saßen sie im Bus, der sie zu einem herrlichen Badessee fuhr, der sich ganz in der Nähe befand. Eine lange Fahrt würde es nicht werden. Joey hatte sich tief in den Sitz rutschen gelassen, den Blick hielt er gesenkt, das Handy knetete er verbissen in den Händen. Er war sauer und seit jenem Vorfall nicht sehr gesprächsfreudig. Neben ihm saß Daniel in einem gemütlichen Schneidersitz und blätterte in einem englischen Manga. Scheinbar hatte er keine Lust, winselnd am Bein des Blonden zu hängen und um Vergebung zu flehen. Er war sich keiner Schuld bewusst und wenn Joey schlechte Laune hatte, dann wollte er sich keinesfalls davon anstecken lassen. Er grinste, blätterte um und lehnte sich in den Gang, um Jordas anzustoßen. "Look at this!" Kurz darauf hörte Joey sie beide lachen. Er hielt in den Bewegungen inne, blinzelte und sah aus dem Fenster. Toll, das war wirklich toll! Das war so unglaublich herrlich!! Es kotzte ihn an! Er gab Kaiba also einen Tag, um sich zu beruhigen?! Heute Abend würde er wieder mit sich reden lassen?! Pustekuchen! Danach sah es nicht aus! Jetzt hatte er den Beweis! Er konnte Kaiba nicht einschätzen, denn scheinbar hielt dieser das beleidigte Getue wesentlich länger durch als einen Tag! Was sollte nur aus dieser Klassenfahrt werden?! Mit einem grimmigen Kaiba, der über jeden und alles herzog, das ihm in die Quere kam?! Wie sollte er jetzt auch nur noch eine Stunde dieser Klassenfahrt genießen?! Er war angespannt und wünschte sich, Kaiba überhaupt nicht mehr über den Weg zu laufen! Wäre zu schön, wenn dieser ihm diesen Gefallen täte! Nach zehn Minuten hielt der Bus auf einem schmalen Weg und die Schüler drängten sich ins Freie. Am heutigen Tag war es wieder verdammt heiß und jeder freute sich auf diese herrliche Erfrischung. Vor dem Weg knüpfte eine große grüne Wiese an, hinter der sogleich ein wunderschöner, sauberer See lag. Kein Mensch war hier, nur auf der anderen Seite des Sees erkannten die Schüler wenige Menschen, die faul in der Sonne lagen. Joey stieg aus, setzte sich die Sonnenbrille auf die Nase und musterte kurz die Umgebung. Tea lachte heiter, streckte sich und ging sofort los. Der Rest der Gruppe folgte ihr. Die Vögel zwitscherten, in den Ästen der Bäume herrschte reges Treiben. So eine Landschaft gab es in Domino nicht, und doch musste Joey zugeben, alles andere als zufrieden und glücklich zu sein. Lustlos schlappte er hinterdrein und schmiss seine Tasche neben die große Decke, die Tea flink im Gras ausbreitete. Und während seine Freunde umherliefen, sich umzogen und es sich gemütlich machten, schlüpfte er aus seinem Hemd und der Hose, unter der er knielange Shorts trug. Und ohne sich um irgendetwas zu kümmern, setzte er sich auf sein Handtuch, stützte sich ab und starrte vor sich hin. Tea präsentierte einen ihrer Neuerworbenen Pikinis und Morfrey zeigte sich sehr interessiert. Er quatschte und faselte und Tea lachte, obwohl es ein Kauderwelsch aus Englisch und Japanisch war und sie nicht immer verstand, was der Amerikaner da sagte. Letzten Endes wurde sie von Jordas und Morfrey gepackt und in hohem Bogen in das kühle Nass geschmissen. Die beiden Amerikaner warfen sich in voller Kleidung hinterher und nur Daniel fand noch die Zeit, sich von seinem Shirt zu befreien, bevor er ihnen Gesellschaft lieferte. Joey biss sich auf die Unterlippe, kreuzte die Beine und legte den Hinterkopf in den Nacken, um zum Himmel aufzuschauen. Es dauerte nicht lange, da war er der Einzige, der trocken war und auf der Wiese hockte. Eddie und Jordas machten sich daran, den See zu durchschwimmen, Morfrey war nur unter der Wasseroberfläche anzutreffen und Daniel versuchte alles, um Duke zu ertränken. Yugi ging am Strand entlang und blieb öfter stehen, um einen hübschen Stein zu bestaunen. Bakura stand etwas unentschlossen im Wasser und Tristan tat alles, um Duke das Leben zu retten. Na, die schienen ja schnell darüber hinweggekommen zu sein. Joey richtete sich auf, rückte die Sonnenbrille zurecht und atmete tief durch. Warum sollte er jetzt eigentlich den Miesepeter spielen? Wenn er keine Fehler begangen hatte, dann konnte es ihm doch egal sein, was Kaiba für Probleme hatte. Außerdem brachte es ihm nichts, ein langes Gesicht zu ziehen. Und... wenn er es recht bedachte, hatte er auch keine Lust darauf. Lange blieb er noch dort sitzen, dann zog er sich die Brille von der Nase und erhob sich. Diese Gegend wirkte, als sei sie aus einem herrlichen Traum heraus geboren. Er musste sie auf sich einwirken lassen, hoffte auch, dass sich seine Laune besserte. Wenigstens für wenige Stunden wollte er sich keine Sorgen machen und grübeln. Das hatte er in seinem Leben schon genug getan! In schlendernden Schritten stieg er die Böschung hinab und erreichte den See. Er setzte einen Fuß in das Wasser, ditschte etwas und stieg dann hinein. Es war wirklich herrlich warm, perfekt um all den Schweiß loszuwerden. "Wuah!" Tristan stürzte sich auf Daniel, riss ihn mit sich und erlaubte es Duke somit, aufzutauchen und nach Luft zu schnappen. "Heeey Hoo!" Zwei kleine Gestalten in der Mitte des Sees winkten. "Interesting patter." Morfrey beugte sich nach vorn, musterte den Bikini ganz genau. "Wo schaust du denn hin?!" Tea wandte sich ab und ruderte davon. Joey blieb stehen, beugte sich hinab und betrachtete sich seine Füße, die er immer noch genau sehen konnte. "Hey!" Daniel tauchte auf und kämpfte mit Tristan, der ihm um die Gurgel hing. Dennoch erspähte er Joey. "Los, schmeiß dich rein! Is Zauberwasser, spült alles weg, das nich in nen' heiteren Tag gehört!" "Ach ja...?" Joey runzelte die Stirn. "Dann kann ich's ja gebrauchen." "Klar, brauch jed... uärks!" Tristan zerrte ihn wieder hinunter und platschend verschwanden die Beiden. Joey seufzte leise und bewegte die Hände im Wasser. Da nahm er plötzlich ein leises Geräusch wahr und blickte auf. Sein Handy meldete sich. Sofort machte er kehrt, stieg aus dem Wasser und kehrte zur Decke zurück. Nur kurz zog ihm die Wunschvorstellung durch den Kopf, Kaiba würde ihn anrufen um mit ihm zu reden. Doch es war sein Vater, der sich nach seinem Befinden erkundigte. "Hast du Spaß?" "Ja, ja natürlich!", antwortete sofort und kehrte zum Wasser zurück. "Thüringen ist herrlich!" "Ja, ich war auch schon öfter dort! Im Sommer ist es am schönsten, im Winter kann man aber..." Und während er erzählte und erzählte, stieg Joey wieder in das Wasser. "Aha? Oh. Echt? Ja, ja... ja." Lust auf ein langes ausführliches Gespräch hatte er nicht. Der Rest des Tages verlief zugegeben nicht schlecht. Nur selten verließ einer der Gruppe das Wasser, die meiste Zeit verbrachten sie wirklich mit tauchen, schwimmen, titschen und raufen. Joey hatte keine Lust, beinahe ertränkt zu werden, also machte er sich davon und durchschwamm ebenfalls den See. Es war eine gute Gelegenheit, sich etwas auszutoben und als er das andere Ufer nach einer Rekordzeit von sechs Minuten erreichte, waren seine Arme schwer und die Knie weich. Also legte er sich etwas hin, genoss die Ruhe und kehrte erst spät zurück. Er ließ sich etwas aufheitern, nahm an spaßigen Spielen teil und verdrängte die Probleme für diesen einen Tag. Erst spät am Abend kehrten sie zurück. Joey war etwas angespannt, doch an diesem Tag traf er Kaiba nicht mehr an. Er war nicht im Bungalow, nicht im Camp, nirgends war er. Joey vermutete, das er hinunter in das Dorf gegangen war, dort war beileibe mehr los, als hier oben auf dem Berg. Joey kam seine Abwesenheit nicht ungelegen. Er genoss das Abendbrot, ließ sich anschließend in den Bungalow der Amerikaner einladen und blieb so lange dort, bis es bereits finster, und er selbst hundemüde war. So verabschiedeten sie sich also voneinander und zur Krönung des Tages war Kaiba noch immer nicht da. Joey kam es nicht einmal in den Sinn, sich um ihn zu sorgen. Kaiba war alt genug, um auf sich aufzupassen und wenn er sich etwas Zeit nahm, um nachzudenken, dürfte vielleicht etwas Positives dabei herauskommen. Am nächsten Tag wachten sie erst spät auf. Kein Kaiba kam in den Raum gestürmt und schrie, auch keine anderen Störungen veranlassten die Gruppe dazu, eher aufzuwachen als nötig. Um ehrlich zu sein, verschliefen sie das Frühstück, das doch spät genug stattfand. Erst halb elf erwachte das Zimmer allmählich zum Leben. Tea erwachte zuerst und ging sofort hinunter, um sich das Bad zu sichern. Und bevor sie dort verschwand, ertönten unten leise Geräusche und Stimmen. Außer Tea war noch niemand auf den Beinen. Duke wälzte sich von einer Seite zur anderen, Yugi nuschelte Verworrenes und im Bett des Blonden regte sich noch gar nichts. Leise Schritte näherten sich der Tür, heimliches Tuscheln, dann sank die Klinke hinab und die Tür öffnete sich. Ein junger Mann streckte den Kopf in das Zimmer, sah sich flüchtig um und trat dann ein. Er schlich auf Zehenspitzen, ihm folgten drei andere Schurken. Leise lachend, schloss der Letzte die Tür hinter sich. Daniel Ray atmete tief ein, betrachtete sich die Langschläfer und schüttelte tadelnd den Kopf. Er war schon seit sieben Uhr wach, der halbe Tag war vorbei und hier oben wurde noch gedöst! Er gab seinen Kumpel ein flinkes Zeichen und näherte sich dann dem Hochbett. Das untere war leer, heute Nacht war es nicht benutzt worden, doch Daniel Ray interessierte sich vielmehr für das Obere. Schnell erreichte er es und erspähte einen Fuß, der unter der Decke hervorlugte. Er grübelte nicht lange, Gemeinheiten fielen ihm ein, ohne dass er nachdenken musste. Er stellte sich auf die Fußballen, streckte die Hand nach dem Fuß aus und begann ihn zu kitzeln. Nach nicht all zu langer Zeit, ertönte ein leises Murren unter der Decke und der Fuß verschwand unter ihr. Daniel grinste, Morfrey, Eddie und Jordas begannen in der Zwischenzeit die übrigen Schlafmützen zu necken. Daniel ging zum Kopfende des Bettes und freute sich, als er einige blonde Strähnen erspähte. Natürlich begann er an ihnen zu zupfen und wieder murrte es. "Mm... lassss mich..." "Aufsteh'n", flüsterte Daniel daraufhin und piekste mit dem Zeigefinger in die Decke. "In ner Stunde wird's dunkel. Wie lange willste noch penn'?" "Häh...?" Endlich waren auch Bewegungen auszumachen. Die Decke bäumte sich auf, nahm merkwürdige Formen an und wurde dann zurückgekämpft. Mit verzotteltem Haar und blassem Gesicht erschien Joey im Freien und nachdem er den ungewohnten Besucher kurz angestarrt hatte, sah er sich irritiert um. "Wie spät... isses?" "Halb elf?" Daniel grinste schelmisch und schlug Joey gegen die Schulter, worauf dieser eine Grimasse schnitt und sich die Stirn rieb. "Wenn ihr's Mittagessen nich auch noch verpenn' wollt, dann solltet ihr ma auf'de Beine komm, Leutschas!" Guter Laune klatschte er in die Hände und die Japaner richteten sich langsam auf. Morfrey, Eddie und Jordas hatten gute Arbeit geleistet. Duke richtete sich verschlafen die Frisur, schob sich aus dem Bett und streckte sich genüsslich. Dann wurde er wieder auf die Amerikaner aufmerksam und legte den Kopf schief. "Was macht ihr'n hier?" "Wir besuchen euch?" "Wie seid ihr rein gekommen?" Duke gähnte. "Durch die Tür?" "Ah." Duke ließ die Arme sinken und bemerkte das leere Bett. Einer fehlte. Er starrte es nur kurz an und Daniel wurde schnell darauf aufmerksam. "Wenn ihr euch fragt, wo euer Freund is", hob er an und erlangte sofort die Aufmerksamkeit aller, "heut Nacht gab's Stunk im Camp. Er is abgehaun'." "Abgehauen?" Joey schloss überfordert die Augen und verzog die Brauen. "Wohin denn." "Na, vermutlich runter ins Dorf. Hat sich abgemeldet, aber die wollt'n ihn nich gehn' lassen un da gabt's nen Mordsärger. Die Sekretärin hat geheult und er is gegang'." "Oh man." Stöhnend wühlte sich Tristan frei. "Das wird ja immer besser!" Joey hob abwehrend die Hände und rutschte langsam zur Bettkante. "Hab keine Lust, mich damit zu beschäftigen." Tapsig tastete er nach der Treppe, blinzelte und drehte sich langsam um. Unsicher stellte er den Fuß auf eine Sprosse und stieg langsam hinab. Auf der dritten Sprosse jedoch, fand er keinen Halt und Daniel konnte ihn gerade noch fassen und so vor einem äußerst unbequemen Sturz retten. "Vorsicht." Er war ihm dabei behilflich, Balance zu finden und sich aufzurichten. Und sobald Joey sicher stand, stützte er sich ab und rieb sich erneut die Stirn. "Aaah..." "Was'n los?" Daniel beugte sich zu ihm. "Kopfschmerzen." Joey schloss die Augen, stöhnte und trottete schlürfend an Daniel vorbei. Stöhnend tastete er dann nach der Türklinke und verließ das Zimmer. "Wovon zur Hölle hat er Kopfschmerzen?", wunderte sich Tristan. "Was weiß ich denn?" Nur langsam setzte Joey ein Bein vor das andere. Am liebsten hätte er sich wieder hingelegt, doch dazu war er zu hungrig. Also waren sie nun auf dem Weg zum Speisesaal. Die Gruppe hielt einfühlsam mit ihm Schritt und Joey betastete seine Schläfen. "Kann man hier irgendwo eine Aspirin herbekommen?" "Klar." Daniel nickte. "Besorg ich dir." "Mm..." Joey nickte dankbar, blinzelte und sah sich etwas um. Er blinzelte zu oft, seine Augenbrauen verzogen sich, es schien, als vertrügen seine Augen das helle Licht nicht. Nach wenigen Sekunden stöhnte er und starrte auf den Boden zurück, das war wesentlich erträglicher. Duke legte eine Hand auf seine Schulter, musterte ihn besorgt. Nach wenigen Minuten erreichten sie ihr Ziel und Joey kam in den Genuss der absoluten Verwöhnung. Er wurde dazu gezwungen, sich sofort zu setzen und das Frühstück stand vor ihm, ohne das er etwas tun musste. Und während er dann langsam und lustlos zu essen begann, rannte Daniel sogar noch nach einer Aspirin!! Bevor sich einer der Jungs versah, kehrte er mit dem lebenswichtigen Medikament wieder. Joey leerte das Glas mit wenigen Zügen, ließ sein Frühstück stehen und lehnte sich zurück. Es waren nicht die Kopfschmerzen, die Joey kannte, nein, es fühlte sich anders an. Wie ein schmerzhaftes Zucken, das mal hier und da auftauchte. Und seine Augen taten auch weh. Ausdruckslos besah er sich die weiße Decke des Saals und nach wenigen Sekunden schien er zu grübeln. Er besah sich die unauffälligen Strukturen, verzog die Miene und richtete sich nach kurzer Zeit auf, als gäbe es etwas, über das er nicht grübeln wollte. Er besah sich seine Gesellschaft flüchtig, leckte sich die Lippen und griff nach seiner Tasse. "Ihr habt heute frei." Daniel grinste. "Steht nischt auf'm geklauten Plan. Woll'n wir die Zeit gemeinsam umbring'?" "Klar." Duke nickte sofort. "Und was wollen wir machen?", erkundigte sich Tristan. "Basketball?", schlug Duke vor. "Alright!", meldete sich das Morfrey zu Wort. "Basketball fetzt!" "Richtig, richtig." Eddie stocherte verbissen nach einer Weintraube. "Wir spielen Basketball!" Jordas traf die Entscheidung und die Anwesenden nickten, teils glücklich, teils wehleidig. "Und was mach ich?", fragte Yugi. "Spielst mit!", entschied Daniel Ray. "Ich kann das aber nicht." Gesagt, getan. Nur eine knappe halbe Stunde später trafen sie sich auf dem Feld. Und nachdem die Amerikaner kleine Kinder verscheucht, und ihnen ihren Ball nachgeworfen hatten, wurden Gruppen gebildet. Und Yugi konnte tun was er wollte, Daniel zwang ihn, in seiner Gruppe mitzuspielen. So begann also ein äußerst spannendes Spiel und nur drei hatten es sich wieder auf der danebenliegenden Wiese gemütlich gemacht. Tea streckte sich auf ihrer Decke aus und sorgte dafür, das Morfrey öfter als nur einmal abwesend war und den Ball gegen den Kopf bekam. Bakura blätterte in einem Buch und Joey lag neben Tea auf der Decke. Ausgestreckt, auf seinem Gesicht lag ein nasses kühles Tuch. Die Wirkung der Aspirin ließ zu wünschen übrig. Außerordentlich toll hatte sich in seinem Kopf nichts gebessert, dafür war er jedoch zu der Einsicht gekommen, dass es erträglicher war, wenn er die Augen geschlossen hielt. "Yes!" Morfrey schlug sich ins Fäustchen. "Gewonnen!" Daniel machte einen Luftsprung und stürzte sich auf Yugi, der sein Glück noch nicht so recht fassen konnte. Tea klatschte und Bakura blickte nur kurz auf. "Warum bin ich immer in der falschen Gruppe!", murrte Tristan und wurde daraufhin von Duke in einen zärtlichen Schwitzkasten genommen. "Der Spaß ist das Entscheidende!!" "Au! Ist ja gut!" Tea schob die Sonnenbrille höher und rollte sich zur Seite. "Wie geht's dir, Joey?" "Hm?" Der Blonde hob die Hand, zog sich das Tuch aus dem Gesicht und blinzelte müde in ihre Richtung. "Geht schon." "Haben sich die Kopfschmerzen gebessert?" "Ein bisschen." "Du Armer." Tea seufzte und tätschelte seine Schulter. "Tea?" Plötzlich stand Bakura neben ihnen und das Mädel wandte sich ihm zu. "Ja? Was ist?" Bakura lächelte sanft und hockte sich neben sie, Joey verfolgte das Geschehen. Bakura reichte Tea das Buch und diese richtete sich auf. "Hier." Bakura wies auf eine Stelle und Tea nahm die Sonnenbrille ab. "Du hast das Buch doch schon gelesen, oder?" Tea betrachtete sich kurz den Titel und nickte. "Verstehst du diese Zeilen?" "Hm." Tea vertiefte sich und Joey rappelte sich auf. Er bewegte sich nur langsam und, betastete seine Stirn und warf einen beinahe schon zögerlichen Blick in das Buch. Seine Augen schweiften über die Zeilen und sofort als er sie erblickte, wirkte sein Gesicht so, als würde es auch den Rest der Farbe verlieren. Der Blonde schien innerlich zu erschrecken, beugte sich etwas nach vorn und verengte konzentriert die Augen. Seine Lippen bewegten sich kurz und dann ließ er sich vorsichtig zurückfallen, schüttelte ungläubig den Kopf und legte das Tuch auf das Gesicht zurück. Diese Zeilen... Zeilen? Nein, seit einiger Zeit war er nicht mehr dazu imstande, zu lesen. Wörter waren in seinen Augen nur schwarze Flecke und Zeilen wurden lediglich zu größeren Flecken. Alles verschwamm... und das schon seit knapp zwei Wochen! Die letzten Schultage hatte er nur mit viel Hinterlist und Anstrengung überstanden. Alles, nur nicht lesen! Das war ein Geheimnis, das er seit langem vor den Anderen verbarg. Selbst Kaiba hatte er nichts davon erzählt, hatte nur vorsichtige Andeutungen gemacht. Doch wenn er wieder in Domino war... ja, da würde er sich eben eine Brille besorgen. Er legte sich gemütlicher und atmete tief durch. War es normal, dass die Sehfähigkeit binnen so kurzer Zeit derartig nachließ? Nein, er wollte sich keine Gedanken darüber machen. Den gesamten Nachmittag verbrachten die fleißigen Sportler damit, sich brennende Matches zu liefern. Ihr Kampfgeist wuchs mit jeder Minute und nach zwei Stunden war auch Yugi mit Herz und Seele dabei, sich den Ball zu erkämpfen. Tea redete lange mit Bakura über jenes Buch, verwickelte sich mit ihm in ein richtig professionelles Gespräch. Joey jedoch, bewegte sich kaum und wusste später nicht einmal, ob er er eingeschlafen, oder nur mit Gedanken abwesend gewesen war. Jedenfalls kam er wieder zu sich, als man vorsichtig an seiner Schulter rüttelte. Da begann er sich wieder zu regen und zog sich das Tuch aus dem Gesicht. Neben ihm hockten Morfrey und Jordas, die freundlich grinsten und verdammt schwitzten! "Willst du was essen?" "Was?" Irritiert sah sich Joey um. "Wie spät ist es denn?" "Halb sieben!", rief Tristan vom Spielfeld zu ihm rüber. "Bist du hungrig?" Auch Eddie erschien plötzlich über ihm. "Than come on." "Öh... ja ja." Joey stöhnte, kämpfte sich umständlich auf die Beine und machte sich auf den Weg zum Abendbrot, das so unglaublich schnell auf ihn zugekommen war, dass er eigentlich gar keinen Hunger hatte. Er musste eingeschlafen sein, der Tag war viel zu schnell an ihm vorbeigezogen und als er den Speisesaal betrat und unter dem lauten Geschnatter der Anwesenden die Miene verzog, wünschte er sich, bereits friedlich in seinem Bett zu liegen. Während des Schlafes spürte er die Kopfschmerzen wenigstens nicht. Und die hatten sich in der Zwischenzeit wieder nur etwas gebessert, um das zu erwähnen. Als sie sich einreihten, blickte sich Joey suchend um. Um ehrlich zu sein, Kaibas Anwesenheit war das Letzte, das er heute brauchte. Es ging ihm nicht gut, also wollte er seine Ruhe haben und auf keinen Fall wollte er sich in dieser Verfassung mit ihm in die Haare bekommen. Er war etwas gestresst und befürchtete, zu leicht reizbar zu sein, wenn man ihm blöd kam. Doch Kaiba war nicht hier und Joey wünschte sich, daran würde sich vorerst nichts ändern. Zu lange sollte er jedoch auch nicht wegbleiben... schon jetzt neigte Joey dazu, wieder über ihn zu grübeln, sich beinahe schon Sorgen zu machen. Wenn er wirklich im Dorf war... was machte er dort? Vielleicht hatte er ja nachgedacht? Vielleicht wollte er ja jetzt mit ihm sprechen? Joey begann seine Schläfen zu massieren. Nachher würde er sich gleich hinlegen... auf diesem Wege konnte nichts schief gehen. Und am morgigen Tag, wenn es ihm wieder gut ging, dann konnte er über all das nachdenken und seinen gesunden Kopf durch übermäßiges Sinnieren strapazieren. Dann würde er vielleicht auch die Kraft finden, mit Kaiba zu sprechen, vorausgesetzt, dieser kehrte bald zurück. Eher als gedacht, erreichten sie das Ende der Schlange, bedienten sich und suchten sich Plätze. Auf Joeys Teller herrschte eine gähnende Leere, nur zwei Oliven rollten einsam und verlassen von einer Seite zur anderen. Verwunderte und besorgte Blicke trafen ihn von allen Seiten, doch ansprechen und nerven tat ihn niemand. Und so war Joey dazu imstande, reglos dort zu sitzen und abwesend mit der Gabel nach den Oliven zu stochern. Und so ließ es sich leben. Er musste nicht sprechen, niemandem Rede und Antwort stehen oder sich anderweitig anstrengen! Und während er eine Olive vom Teller schubste und sie unter den Tisch rollen ließ, sah er vor seinem geistigen Auge ein herrliches Bett. Neben dem Bett stand ein blumiges Schild mit der Aufschrift: Hüpf doch rein! Ein lustloses Grinsen zog an seinen Lippen, bevor er die letzte Olive mit der Gabel durchbohrte und zum Mund hob. >Hoffentlich kann ich das irgendwie regeln<, dachte er sich, als er kaute und mit der Zunge nach dem Kern tastete. >Zuerst dieser blöde Streit, der mich beinahe um den Verstand bringt und so unglaublich wütend macht...< Er schloss die Hand verkrampft um die Gabel, biss die Zähne zusammen. >Und das noch diese herrlichen Kopfschmerzen...? Halleluja! Wenn die Kopfschmerzen nicht wären, wäre alles noch halbwegs erträglich. Aber so? Hab keine Lust mehr!< Unter einem leisen Jammern beugte er sich nach vorn und schüttelte den Kopf, was er äußerst vorsichtig tat. Die Anwesenden hoben verdattert die Augenbrauen. An diesem Abend wurde es im Esssaal einfach zu laut und so hielt es niemand lange dort aus. Nach einer Rekordzeit verließen sie das Gebäude und kehrten zu den Bungalows zurück. Wieder starrte Joey auf den Boden, das Tuch presste er sich auf die Stirn. Irgendwie war ihm mulmig zu mute. Er blickte flüchtig auf, lugte nach beiden Seiten und biss sich auf die Unterlippe. Wenn er nicht sofort in sein Bett kam, dann rastete er noch aus! "Kommt ihr noch mit zu uns?", erkundigte sich Daniel guter Laune, als sie eine kurze Pause einlegten. "Ich weiß nicht..." Duke lugte zu Joey. "Gnade... nein, ich will in mein Bett." "Na gut." Duke zuckte mit den Schultern und wandte sich an die anderen. "Unserem Joey geht's nicht gut. Ihr könnt ja noch zu Daniel gehen, ich passe auf ihn auf." "Häh?" Joey warf ihm einen überraschten Blick zu. "Ich brauche keinen Aufpasser." "Heute Morgen wärst du beinahe die Leiter hinunter gestürzt", erwiderte Duke, doch Joey schüttelte den Kopf. "Ich werde es ja wohl schaffen, mich hinzulegen", protestierte er mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete. "Amüsiert euch ruhig, ich kann mich am besten erholen, wenn ich allein bin!" Die Gruppe wechselte flüchtige Blicke, Duke runzelte skeptisch die Stirn. "Wirklich...?" "Ja." Joey weitete genervt die Augen. "Es sind bloß Kopfschmerzen." "Na gut." Kurz darauf öffnete Joey die Tür des Bungalows und trat ein. Schlürfend trat er in den Flur, ließ das Tuch sinken und hob die Hand zur Badtür. Er wollte noch duschen, bevor er sich hinlegte. Träge schloss er die Tür hinter sich, schlürfte auf das Waschbecken zu und stützte sich darauf ab. Wer auch immer da oben saß - er schien ihm nicht sympathisch zu sein. Joey seufzte, warf das Tuch zur Seite und richtete sich auf, um in den Spiegel blicken zu können. Ein junger Mann mit wüstem Haar und trüben Augen starrte ihn an. Lange ließ er sich anstarren, dann stöhnte er erschöpft, löste die Hände vom dem Keramik und betastete seine Wangen. Na, wenigstens Fieber schien er nicht zu haben. Dann war ja alles in Ordnung. Tollpatschig öffnete er seine Hose, ließ sie samt Shorts über die Beine rutschen und stieg hinaus. Die Dusche wirkte so verlockend. Das kalte Wasser würde ihm sicher gut tun. Wieder blinzelte er angestrengt und befreite sich mit umständlichen Verrenkungen aus dem Hemd. Wie froh würde er nur sein, wenn er diesen abscheulichen Tag endlich hinter sich hätte! Er lehnte sich gegen die Tür der Kabine, schob sie auf und verschwand somit hinter ihr. Die Dusche sagte Joey so zu, das es ihm schwer fiel, sie zu verlassen. Länger als geplant, hielt er sich in ihr auf und als er dann endlich wieder auf den trockenen Fliesen stand, bemerkte er mit Entzücken, das seine Schlafsachen oben lagen. Er zögerte lange und grübelte, was er nun tun sollte. Letzten Endes schlüpfte er wieder in die Shorts und stülpte sich das leichte Shirt über. Und ohne dem Rest der Kleidung, der verstreut auf dem Boden lag, Beachtung zu schenken, schlürfte er auf die Tür zu und griff faul nach der Klinke. Plötzlich war es schwerer, sie hinabzudrücken. Er stöhnte, drückte die Tür mit der Schulter auf und trottete schwerfällig durch den Flur in das Wohnzimmer. Dort nahm er kurz darauf Geraschel wahr, es schien da jemanden zu geben, der irgendetwas suchte. Müde fuhr er sich durch den Schopf und verlangsamte seine Schritte. "Wo zur Hölle sind die Unterlagen!" Als Joey jene Stimme hörte, hielt er inne. Er hatte das Wohnzimmer erreicht, ließ die Hand sinken und weitete überrascht die Augen. Kaiba kauerte mit dem Rücken zu ihm vor dem flachen Tisch und durchsuchte den hohen Berg von Zetteln und anderen Mappen und Folien. Er fluchte, suchte weiter und warf nebenbei eine dünne Akte auf den nebenstehenden Sessel. "Ich habe es doch hier..." Plötzlich verstummte er, hielt auch in den Bewegungen inne. Joey regte sich nicht, stand nur da und starrte ihn an. Er war so früh wieder hier? Nach nur wenigen Sekunden drehte sich Kaiba ruckartig zu ihm um und starrte ihn an. Nach einer kurzen Musterung wandte er sich jedoch wieder ab und suchte weiter. Joey verzog die Augenbrauen, legte den Kopf schief. Er blinzelte und warf der Treppe einen sehnenden Blick zu. Da oben war sein Bett. Doch hier unten? Er stand lange da, ohne weiterhin beachtet zu werden und trat erst nach einer langen Zeit des Zögerns näher. Seine Schritte waren noch immer etwas unsicher, als er sich dem Brünetten von hinten näherte. Beinahe schon unbewusst hielt er einen gewissen Abstand und rieb sich die Stirn, hinter der es wieder rumorte. "Hab gehört, du warst im Dorf...?", nuschelte er. "Richtig gehört", kam die knappe Antwort. Joey verdrehte die Augen, senkte den Kopf und setzte zum Gähnen an. Eigentlich war er zu müde, um zu debattieren, doch er befürchtete, dass er in den nächsten Tagen keine Gelegenheit mehr dazu hätte. Sicher würde Kaiba wieder im Dorf verschwinden und sich kaum noch blicken lassen. Also brachte er es jetzt einfach hinter sich. "Das ist cool... das ist richtig cool." Wieder legte Kaiba eine kurze Pause ein und warf Joey einen drohenden Schulterblick zu. "Hast du ein Problem?" "Problem?" Joey blickte auf. "Ähm... ja, könnte man so sagen. Und du scheinst auch ein Mächtiges zu haben, hm?" "Pah!" Kaiba begann wieder zu wühlen. "Ich finde es jedenfalls nicht sehr lustig, angeschnauzt zu werden, obwohl ich nichts getan habe." Joey zuckte mit den Schultern. "Und noch weniger lustig finde ich, wie du dich aufspielst." "Ach!" Kaiba schmiss eine Mappe zur Seite. "Wie spiele ich mich denn auf!" Joey grübelte nur kurz. "Total... bescheuert? "Besch...!" Kaiba erhob sich, nun, vielmehr sprang er auf und fuhr zu Joey herum. Dieser hob unbeeindruckt die Augenbrauen. "Der Einzige, der sich bescheuert aufspielt, bist du!" "Ach." Joey verschränkte langsam die Arme vor dem Bauch und atmete tief durch. "Ich drehe sicher nicht durch und benehme mich wie ein Schlägertyp, der grundlos über Andere herfällt und..." "Grundlos!", wiederholte Kaiba ungläubig. "Grundlos??" "Ja." Joey rieb sich die Stirn. "Würdest du bitte nicht so schreien. Ich habe verdammte Kopfschmerz..." "Ich sage dir jetzt mal, welche Gründe ich besitze!" Mit wenigen Schritten stand Kaiba vor ihm, gelangweilt blickte Joey auf. Das Gesicht des Brünetten zuckte verbissen, als er die Hand hob. Er machte den Anschein, als wäre er kurz davor, auszurasten. Laut schreien tat er ja jetzt schon, was überaus übertrieben wirkte. Joey verstand es nicht, hatte auch keine Lust, darüber nachzudenken. Es ist nun einmal wie es ist, dachte er sich nur, versteh den einer. "Das fände ich nicht schlecht", erwiderte er, als er Kaibas brennenden Blick unbeeindruckt erwiderte. "Aber denkst du nicht, dass du das schon eher hättest tun können? Ich habe keine Lust, unter diesen beschissenen Umständen zu leiden und nicht zu wissen, warum es so i..." "Du!", unterbrach Kaiba ihn schroff. "Du hältst es wohl nicht für nötig, deine Nase aus meinen Angelegenheiten herauszuhalten! Dauernd mischst du dich ein und versuchst alles besser zu wissen, obwohl du keine Ahnung von alledem hast! Du nimmst alles zu locker und wenn ich mich dir nicht füge, dann wirst du wütend!" "Wo... wovon zur Hölle redest du?", entrüstet ließ Joey die Arme sinken. "Wenn ich Probleme mit meiner Firma habe, dann ist es mein alleiniges Problem! Und es liegt auch nur bei mir, ob ich nach Domino zurückkehre oder nicht! Du hast das nicht zu entscheiden! Ich habe trotzdem auf dich gehört und nun droht ein unglaublich wichtiges Projekt in sich zusammenzustürzen!!" "Moment mal!" Joey fuchtelte mit den Händen. "Du meinst jetzt nicht die Angelegenheit vor..." "Und dieses ganze Getue!!" Wieder ließ Kaiba ihn nicht aussprechen. Hinzukommend wurde er lauter und lauter und Joey schnitt unter einem stechenden Schmerz in seinem Kopf eine Grimasse. "Es ist immer so! Wenn ich keine Lust auf diese und jene Sache habe, dann hat man mich nicht zu ihr zu zwingen! Ich entscheide, was ich mache, nicht Andere! Wo kommen wir denn hin, wenn ich nach der Pfeife anderer tanze!!" "Was?!" Joey traute seinen Ohren nicht. Das musste er jetzt falsch verstanden haben! Kaiba trat auf ihn zu und ohne dass er es seinen Beinen befahl, wich er vor ihm zurück. "Außerdem halte ich diese Gesellschaft nicht länger aus! Yugi, für den die Welt immer in Ordnung ist!!" Kaiba weitete die Augen. "Ich kann sein Gesicht nicht mehr sehen! Und gib verdammt noch mal den Versuch auf, mich in diese Gruppe zu integrieren! Ich habe noch nie dazugehört, gehöre jetzt nicht dazu und werde auch nie dazugehören! Du hast mir verdammt viele Menschen aufgebrummt, die ich auf den Tod nicht ausstehen kann!!" Als Joey die Lehne des Sessels hinter sich spürte, blieb er stehen. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Er fühlte sich überrumpelt, konnte nicht schnell genug realisieren, was Kaiba da sagte, um reagieren zu können. Er starrte ihn ungläubig an und dieser holte aus, zum letzten vernichtenden Schlag. "Daniel Ray Willis Osfordt!!", schrie er. "Ich habe dir gesagt, was ich von ihm halte! Und doch verbrachte ich weitere Tage mit ihm!!" "Was zur Hölle verlangst du von mir?!" Auch Joey wurde laut. "Ich kann ihn verdammt gut leiden! Und du kannst mir nicht befehlen, mich gänzlich von ihm fernzuhalten, weil es bei dir anders ist! Er hat dich kaum angesprochen, also stell dich nicht so an! Du tust, als wäre schon sein Anblick unerträg..." "Und was, wenn dem so ist?" Wieder näherte sich Kaiba ihm und Joey schob sich an dem Sessel vorbei, trat weiterhin zurück. "Was hast du von mir erwartet?!" "Auf jeden Fall nicht, dass du dich an die Fersen eines Typen hängst, dessen Vater mich beinahe umgebracht hat!!" Das waren sie! Diese Worte ließen Joey zu Eis erstarren. Er blieb stehen. "Dir scheint es ja herzlich egal zu sein! Aber mir nicht!" Kaiba schlug sich gegen die Brust. "Du hast es nicht am eigenen Leib erlebt! Du weißt nicht, wie es war!!" Joey entfloh seinem Blick, starrte mit ausdrucksloser Miene auf den Boden. "Du kannst dir nicht einmal im Entferntesten vorstellen, was ich durchgemacht habe!!" "Mein Beileid." Joey biss sich auf die Unterlippe. "Aber vergiss nicht, auch ich hätte den vergifteten Kaffee trinken, und das alles durchmachen können. Die Chancen standen fünfzig zu fünfzig. Aber ich bin trotzdem froh, dass ich es nicht getan habe, damit du meine Leiden nicht erlebt musstest, während du im Krankenhaus lagst und dein Schicksal in meinen Händen lag." Kaiba hielt inne, seine hastige Suche nach Worten endete erfolglos. Doch Joey übernahm es. Langsam richtete er sich aus der zusammengesunkenen Haltung auf und als sich ihre Blicke trafen, wirkte keiner von ihnen in jeglicher Art und Weise unterwürfig. Joey musterte Kaibas Züge gemächlich. "Du fühlst dich sicher gut, hm Kaiba? Jetzt, wo du einen guten Grund gefunden hast, um ihn zu hassen." "Was...", Kaibas Augen weiteten sich, eine Wut, die sich durch nichts aufhielten ließ, schien von ihm Besitz zu ergreifen. Kurz starrte er den Blonden schweigend an, "... was meinst du damit!", zischte er dann scharf und verengte die Augen. In dieser Situation sollte Joey seine Worte genug durchdenken, bevor er sie aussprach, doch er tat nichts dergleichen. Seit langem war er Kaiba ebenbürtig, durch nichts zu erschüttern. "Du hast mir eine Menge gesagt." Wieder zuckte er mit den Schultern. "Die wahren Gründe kenne ich jedoch nicht... nur Ausflüchte, um die Wahrheit zu verschweigen. Wie lange hast du gebraucht, um dir all das zurechtzulegen? Ich glaube einfach nur, das du durch die Probleme in deiner Firma sehr gestresst und besorgt bist, deshalb angespannt. Und jetzt kommt noch so einer wie Daniel. Erzähl mir was du willst, ich kenne dich zu gut, um mich blenden zu lassen." Auch Joey senkte die Stimme. "Allerdings... ich kenne dich so gut, dass ich bemerke, dass du unmöglich derselbe Kaiba sein kannst, mit dem ich zu dieser Klassenfahrt aufgebrochen bin. Binnen kürzester Zeit hast du dich verändert, weißt du das? Was ist nur mit dir los." "Nicht ich habe mich verändert!" Kaiba lachte verbissen, schüttelte selbstsicher den Kopf. "Du bist es doch, der auf so unglaubliche Art und Weise zu diesem..." "Bind mir keinen Bären auf!" Joey stöhnte, ließ den Kopf sinken und rieb sich die Schläfen. "Ich sag dir jetzt mal, was ich von alledem denke! Selbst unter den grausamten Umständen würdest du nicht nach solchen Mitteln greifen, um etwas gegen Daniel in der Hand zu haben. Du weißt genau, dass er nichts damit zu tun hatte und wenn du dir dessen nicht bewusst bist, dann weißt ich auch nicht weiter." "Nimm dieses Schwein ruhig in Schutz!" Kaiba machte eine abwertende Handgeste. "Diesem verdammten Heuchler ist doch dasselbe zuzutrauen!" "Was?" "Aber dir ist es ja gleichgültig, denn er ist ja so lustig!" "Zieh ihn nicht in den Dreck!" Joey hob drohend den Zeigefinger und trat langsam zur Seite, um sich Freiraum zu verschaffen. Kaiba folgte ihm lauernd. "Du kennst ihn doch überhaupt nicht!!" "Oh ja, denn im Vergleich gebe ich mich nicht mit solchem Abschaum ab!" "Noch ein Wort...!!" Joey schnappte nach Luft. "Er ist eine Gefahr für die Menschheit... das größte Übel neben der Pest!!" Kaiba hörte nicht und augenscheinlich genoss er es sehr, sich über den Rivalen auszulassen. "Er und seine dümmlichen Freunde haben hier..." "Halt's Maul!!" Joey blieb stehen, seine Hände ballten sich zu verkrampften Fäusten. Sein Körper überzog eine eiskalte Gänsehaut und mit einem Mal blieb er stehen. "Du bist so jämmerlich, Kaiba!!" "Ich?!" Kaiba blieb vor ihm stehen, blickte verächtlich auf ihn herab. Ein entsetzliches Grinsen zerrte kurz darauf an seinem Mundwinkel und er sprach den Satz, der ihm seit langem auf der Zunge lag. "Dieser Kerl ist um keinen Deut besser als sein Vat..." Weiter kam er nicht. Mit voller Wucht traf eine Faust sein Kinn und er verlor die Balance. Er stolperte zur Seite, krallte sich jedoch rechtzeitig in der Sofalehne fest, bevor er zu Boden gehen konnte. Dort verharrte er mit gesenktem Kopf und in diesen Sekunden war der hastige Atem des Blonden das einzige, das man vernahm. Kaiba blinzelte, begann sich zu bewegen und richtete sich langsam auf. Er bewegte den Unterkiefer, hob auch die Hand, um ihn zu betasten. Joey starrte ihn an, noch immer hielt er die Hände zu Fäusten geballt, schien jedoch von sich selbst entsetzt zu sein, nicht zu glauben, was er gerade getan hatte. Gemächlich fuhr sich Kaiba über die Unterlippe, wischte das Blut fort und atmete tief durch. Er atmete leise ein, als er ausatmete, entrann seinem Hals jedoch ein leises Knurren und bevor sich Joey versah, stürzte er auf ihn zu, packte ihn grob an den Armen und stieß ihn hinterrücks gegen die Wand. Einer dumpfer Laut ertönte, die Vase auf dem flachen Tisch vibrierte kurz. Joey zischte auf, als ein unglaublicher Schmerz seinen Kopf durchzuckte. Er wand sich in dem brutalen Griff, kam nicht frei. "Du bist der Jämmerliche!!" Kaiba zog ihn zu sich, stieß ihn erneut zurück. Er war nicht bei Sinnen. "Wie kannst du es wagen...!!" Mit aller Kraft rammte er sich Joey gegen ihn, gemeinsam stolperten sie in den Flur und Kaiba stieß kurz darauf hart mit der Schulter gegen die Wand. Sofort richtete sich Joey auf, seine Hände schlugen sich in Kaibas Schultern, dieser packte ihn erneut und nach einer kurzen Rangelei gingen sie beide zu Boden. Sie räkelten sich nur kurz, bevor sie sich wieder aufeinander stürzten. Hart schlugen sie die Finger in den Kragen des Anderen und wirbelten herum. Als Joey jedoch plötzlich stolperte und sich seine Hände lösten, glitt auch Kaiba ab. Ebenso wie der Blonde, verlor er das Gleichgewicht und so entfernten sie sich voneinander. Eilig krallte sich Kaiba an die Lehne eines Sofas, Joey jedoch, schien keinen rechten Halt zu finden, taumelte, kippte zur Seite und lehnte an der Wand. Ein gedämpftes Stöhnen entrann seinem Hals, als er benommen die Hände hob und sich gegen das Holz stützte. Kaiba richtete sich langsam auf und Joey stieß ein ersticktes Ächzen aus, schloss verkrampft die Augen und presste sich eine Hand auf die Stirn. Stockend drehte er sich, tastete sich weiter und beugte sich nach vorn. Sein Kopf! Der Schmerz, der wieder auflebte, brachte ihn um!! Ein unerträgliches Stechen... ein abscheuliches Rumoren, als würde ein Unwetter in seinem Schädel toben. Krampfhaft krallten sich seine Finger in die blonden Strähnen, er versuchte ein Bein vor das andere zu setzen, doch in dieser Sekunde ließen seine Knie nach und er rutschte hinab. Kaiba verfolgte das Geschehen mit verwirrter Miene, wusste nicht, was er denken geschweigedenn tun sollte. Keuchend stand er dort und starrte auf den Blonden, der auf dem Boden in sich zusammenkroch, mit beiden Armen den Kopf umschlang und gemartert stöhnte. "Ahh... verdammt!" Kraftlos biss Joey die Zähne zusammen, beugte sich tiefer und stützte die Stirn auf den Boden. Er bewegte sich unkontrolliert und stockend, brummte vor Schmerzen und zischte leise Flüche. Kaiba blinzelte, wandte den Blick ab und sah sich flüchtig um. Irritiert besah er sich die Umgebung, verzog die Augenbrauen und bewegte stumm die Lippen. Seine geballten Hände lockerten sich, seine Finger spreizten sich und er atmete tief ein, bevor er wieder auf Joey aufmerksam wurde. Es schien, als erwache er aus einer Hypnose, als verstünde er nicht, was in seiner Gegenwart geschah. Der Blonde atmete stoßweise, verschluckte sich und löste eine der Hände aus seinem Schopf. Zittrig tastete sie sich hervor, schob sich über die Fliesen und näherte sich Kaiba. "Seto..." Die Stimme war gedämpft, besaß keinerlei Kraft und dennoch trat der Angesprochene zögerlich einen Schritt näher. "Bitte..." Die Finger krümmten sich, die Hand ballte sich zu einer Faust. "Hilf m... mir... bitte!" Kaiba erreichte ihn, verwirrt schweifte sein Blick über den zitternden Körper, bevor er langsam die Hände hob und in die Knie ging. Er kauerte sich vor Joey, stützte sich ab und beugte sich über ihn. "Was ist mir dir...?" Die Hand ertastete Kaibas Hose, schnappte nach ihr und krallte sich in ihr fest. Kaiba selbst, schien nun vollends in die Realität zurückgekehrt zu sein. Als wäre soeben nichts passiert, neigte er sich tiefer und versuchte einen Blick auf Joeys Gesicht zu werfen. Schnell hob und senkte sich dessen Leib unter hastigen Atemzügen. Die Finger bohrten sich fester in den Stoff, wieder ein schmerzvolles Zischen. "Hilf mir!" Kaiba richtete sich auf, sah sich suchend um und wandte sich Joey zu. Nun wirkten seine Bewegungen flüssig und sicher. Mit einer unerwarteten Vorsicht griff er nach dem Arm, löste die Hand aus seiner Hose und tauchte unter ihr hindurch, um sie sich über die Schulter zu ziehen. Joey räkelte sich vor ihm, ächzte unter den Bewegungen und wurde kurz darauf in eine aufrechte Haltung gezogen. Er versuchte, erneut in sich zusammen zu kriechen, die andere Hand verblieb verkrampft auf seinem Gesicht. Kaiba warf nur einen knappen Blick darauf, stützte ihn und zog ihn auf die Beine. Der Blonde konnte sich dort kaum halten und so raffte Kaiba ihn höher, legte den Arm um seinen Rücken und drückte ihn an sich. Deutlich spürte er das krampfhafte Zucken, das den Körper durchlief, die Hand, die über seiner Schulter lag, krallte sich schmerzhaft in seine Haut und Kaiba vergeudete keine Zeit, trug ihn mich sich und erreichte schnell eines der Sofas. Behutsam ließ er ihn auf den Polstern sinken und stützte ihn auch, als sich Joey zurückfallen ließ. Er hielt eine Hand unter seinen Nacken, ging mit ihm in die Hocke und zerrte kurz ein Kissen zu Recht. Unter einem erschöpften Stöhnen blieb der Blonde daraufhin liegen, hob beide Arme und verdeckte mit ihnen das Gesicht. "Was ist mit dir los!", erkundigte sich Kaiba erneut, als er die Hand zurückzog und langsam auf die Beine kam. All die Wut hatte sich aus seiner Stimme verloren, das einzige, was aus ihr sprach, war Besorgnis. Verdattert wartete er auf eine Antwort. Unter den Armen blinzelte Joey kurz und schloss sogleich wieder die Augen. Der Schmerz hörte nicht auf. "Mein Kopf... mein verdammter..." Somit biss er die Zähne zusammen und knurrte angestrengt. Kaiba runzelte die Stirn, öffnete den Mund und schloss ihn, da er keine Worte fand. Noch kurz blieb er stehen, dann wandte er sich ab und steuerte in schnellen Schritten auf das Bad zu. Dort stieß er die Tür auf, grabschte nach dem ersten Handtuch, das er erspähen konnte und warf es in das Waschbecken, um es mit kaltem Wasser zu befeuchten. Seine Augen waren grübelnd auf den Stoff gerichtet, der sich schnell mit der kalten Nässe voll sog. Langsam stützte er sich ab, betrachtete sich kurz im Spiegel und hob die Hand, um mit ihr über die blutige Lippe zu fahren. Daraufhin senkte sich die Hand, stellte das Wasser aus und griff nach dem Handtuch. "Verdammt!" Er wrang es flink aus und kehrte in das Wohnzimmer zurück. Joey hatte die Beine angewinkelt und wollte gerade nach einem Kissen tasten, als er ihn erreichte. "Hier." Kaiba zog das Kissen fort, beugte sich zu ihm hinab und legte das kühle Handtuch auf seine Augen und die Stirn. Sogleich vernahm er ein erleichtertes Stöhnen. Joey drückte den nassen Stoff fester auf seine Haut und sein Mund öffnete sich genüsslich. "Danke...", flüsterte er matt und atmete tief durch. Der Brünette richtete sich auf und warf einen kurzen Blick zu den Beinen, die sich vorsichtig auf dem Sofa ausstreckten. Grüblerisch biss er sich auf die Unterlippe, drehte sich leicht zur Seite und betastete seine schmerzende Wange. Neben ihm ertönte der schwere Atem und er blickte durch das Fenster nach draußen, schob sich die langen Haarsträhnen zurück und schüttelte langsam den Kopf. Joey ließ die Arme sinken, faltete die Hände auf dem Bauch und seufzte leise. Ja, nun wurde es besser. Die Schmerzen klommen ab, bis nach wenigen Minuten lediglich ein unangenehmes Stechen zurückblieb. In dieser Zeit herrschte Schweigen. Kaiba bewegte sich nicht, besah sich abwesend die Stämme der Bäume, die sich vor dem Fenster reihten, Joey behielt die Augen geschlossen, entspannte sich allmählich. Weitere Zeit verging und Joey löste die Hände voneinander. Eine blieb reglos auf dem Bauch liegen, die anderen hob sich matt und tastete. Als Kaiba eine flüchtige Berührung spürte, riss er sich von der abwesenden Beobachtung los und wurde auf die Hand aufmerksam, die sich in den Ärmel seines Pullovers hakte, sich an ihm baumeln ließ, wieder ein Seufzen. "Was ist, Seto." Joey behielt die Augen geschlossen, nur seine Lippen bewegten sich. "Müssen wir uns jetzt schon prügeln, um Unklarheiten zu regeln?" Kaiba besah sich die Hand, blickte dann auf und blinzelte. Die Hand begann leicht zu zupfen. "Lassen wir das... das ist doch nicht unsere Art." Noch immer antwortete Kaiba nicht und Joeys Hand glitt ab, sank hinab. Der Brünette bearbeitete die Unterlippe mit den Zähnen. "Ich... wollte dich nicht schlagen." Nun tastete Joey doch nach dem Handtuch, hob es etwas an und hob die Lider ein Stück, um Kaiba sehen zu können. Es kostete ihn viel Anstrengung, doch er hielt durch. "Mir geht's nicht gut, ich kann mich nicht konzentrieren oder mein Handeln überblicken." Endlich erwiderte Kaiba seinen Blick. Ausdruckslos sah er ihn an, verschränkte die Arme vor dem Bauch und ließ sie sogleich unentschlossen sinken. Seine Lippen bewegten sich stumm und dann wandte er Joey den Rücken zu, stieß einen leisen Fluch aus und raufte sich die Haare. Der Blonde verzog die Augenbrauen, atmete tief durch und versuchte erneut seinen Ärmel zu erreichen. "Hey... was ist mir dir?" Kaiba hielt die Luft an, schloss verbissen die Augen und brummte. Er zögerte lange, bevor er Joey eine Antwort lieferte. "Ich...", er stockte, wagte nicht, dem Blonden in die Augen zu blicken, "... ja, ich habe wohl einen Fehler gemacht!" "Was für einen Fehler...", erkundigte sich Joey nuschelnd. Wieder fuhr sich Kaiba durch das Haar, sah zur Decke des Raumes auf und drehte sich um. Er wollte fortfahren, bekam jedoch kein Wort zustande und rieb sich die Stirn. Joey blinzelte matt, drückte das Handtuch auf die Augen zurück. "Es hat überhaupt nichts mit Daniel zu tun... oder?" "Ich... ähm... nein." Kaiba stockte und blieb hängen. "Nein." Ein kraftloses Lächeln zog an Joeys Lippen. "Und mit mir oder Yugi auch nicht." Kaiba wollte widersprechen, grübelte verbissen und sah letzten Endes wieder keine andere Möglichkeit, als den Kopf zu schütteln. "Nein..." Joey wirkte nicht sehr überrascht, als er das Handtuch erneut zur Seite zog und zu Kaiba blinzelte. "Warum machst du es dir dann so schwer...?", hauchte er. "Glaubst du, das war meine Absicht?" Endlich fand Kaiba Worte. Er sah ihn an, gestikulierte mit den Händen. "Ich hätte es mir auch anders gewünscht, aber es ist einfach alles dazwischen gekommen!" "Was ist dazwischen gekommen..." Endlich erreichte er wieder Kaibas Ärmel und hakte sich in ihn. "Sag es, was ist mit dir." Mit dieser Antwort zögerte Kaiba. Lange stand er schweigend dort, starrte vor sich hin und grübelte. Er schien nach einer Tatsache zu suchen, die sich in einer versteckten Ecke seines Kopfes eingenistet hatte, verdrängt worden war. Er sinnierte und als er auf des Rätsels Lösung gekommen war, wirkte er noch unentschlossener. Er bewegte die Lippen, rollte mit den Augen und gab undefinierbare Laute von sich. Joey wartete geduldig, wartete, bis Kaiba erschöpft stöhnte und den Kopf hängen ließ. "Ich bin überfordert!" Joey hob die Augenbrauen, doch wenn er ehrlich war, hatte er mit nichts anderem gerechnet. Seit Kaiba wieder arbeiten durfte, hatte er es maßlos übertrieben. Nun, eigentlich hatte er so gearbeitet wie früher auch, doch nach jenen Vorfällen, die nicht nur seinen Körper geschwächt hatten, war es unzumutbar, diesen alten Plan zu verfolgen, ihn wieder aufzunehmen. Wochenlang war er nicht ansprechbar gewesen, hatte nur die Arbeit im Kopf gehabt und sich um nichts anderes gekümmert. Natürlich, es gab viel nachzuholen, viel zu berichtigen und viele Träume, die zu Realität werden sollten, doch all dies brauchte seine Zeit und die hatte sich Kaiba nicht genommen. Schon bevor sie zu dieser Klassenfahrt aufgebrochen waren, war Joey aufgefallen, das Kaiba weniger Nerven hatte, die strapaziert werden konnten. Auch um Mokuba hatte er sich wenig gekümmert... Er hatte sich an der Klassenfahrt beteiligt, da andere ihn darum gebeten hatten, nicht aus eigenem Willen. Und dennoch wäre vieles anders gekommen, hätte er das Handy zurück gelassen, ebenso seinen Laptop und Akten, die überarbeitet und kontrolliert werden mussten. Die lange Reise, Daniel Ray... alles, was doch recht harmlos war, hatte schwerere Auswirkungen auf ihn genommen als normal und letzten Endes hatte er sich von all dem Stress in die Knie zwingen lassen, war nicht mehr er selbst gewesen. Deshalb die Aufregung, als Joey ihn auf die Firma angesprochen hatte. Daniel, der dazu auserkoren war, Sandsack zu spielen und alle anderen, an denen er sich abreagieren konnte. Kaiba rieb sich die Stirn und Joey wandte den Blick ab. "Es tut mir Leid." "Wenn es nur das ist?", antwortete Joey leise und tastete nach dem Handtuch, da meldete sich etwas in seinem Kopf, das er überhaupt nicht mochte. Kaiba starrte ihn irritiert an und der Blonde lachte leise. "Für kurze Zeit dachte ich schon, es stecke etwas Schlimmeres dahinter." "Hm?" "Ich sagte dir doch, habe dich sogar darum gebeten und dich angefleht, die Arbeit nur langsam aufzunehmen. Du hast selbst zugegeben, was für Schäden das Gift angerichtet hat. Du übernimmst soviel Verantwortung... warum nicht auch für dich selbst?" Er verzog gequält das Gesicht und presste das Handtuch auf die Stirn zurück. Kaiba wusste nicht, was er sagen sollte. "Hörst du jetzt auf mich? Tust du während dieser Klassenfahrt einmal das, worum ich dich bitte? Für dein eigenes Wohlergehen?" "Was meinst du damit?" Joey seufzte leise. "Handy ausschalten, Akten, Unterlagen und Laptop wegstecken und für niemanden erreichbar sein." Kaiba ließ den Blick sinken, betrachtete sich Joeys Hand, die noch immer an seinem Ärmel hing. "Wenn du so etwas auch nur manchmal einhalten würdest, würde es nicht zu solchen Auseinandersetzungen kommen. Doch nicht wegen so einem Grund, Seto, daran darf es doch nicht scheitern." Wieder zupfte Joey. "Ich weiß... jeder weiß, das dir die Firma verdammt wichtig ist und das du alles für ihren erfolgreichen Fortbestand tun würdest aber du bist wichtiger als diese Firma und wenn es dir nicht gut geht, geht es der Firma auch nicht gut. Lass uns das alles einfach vergessen und schöne Tage erleben. Ich habe schon daran gezweifelt, in diesen Genuss zu kommen aber mir ist es ebenso wichtig wie dir die Firma, stell dir das mal vor." Kaiba schloss die Augen, ließ den Kopf sinken und tastete langsam nach der Hand. Er ergriff sie vorsichtig, umschloss sie mit der eigenen und drückte sie, worauf er sofort einen schwachen Gegendruck spürte und Joey lächelte. "Daniel ist nicht der einzige Mensch, den du nicht leiden kannst. Aber so wie ich dich kenne, hältst du dich von diesen Menschen fern, als dich mit ihnen anzulegen. Versuch das auch bei Daniel und ich schwöre dir bei allem was mir lieb und heilig ist, das ich dich nicht noch einmal vernachlässigen, und mich dir zuwenden werde, ganz egal, was in der nächsten Zeit passiert. Ich habe mich auch nicht korrekt verhalten, das gebe ich offen zu." Joey bewegte Kaibas Hand und endlich rang sich dieser zu einem leichten Nicken durch. "Ja...?" "...Ja." Das Lächeln kehrte auf das blasse Gesicht des Blonden zurück, noch strahlender, obgleich ihm Kraft fehlte. Hätten sie dieses Gespräch nicht führen können, bevor alles außer Kontrolle geraten war? So schwer war es doch beileibe nicht. Langsam zog Joey Kaibas Hand zu sich und zwang ihn somit, näher zu treten, was dieser tat. Den Blick auf den Boden fixiert, erreichte Kaiba das Sofa, ließ sich langsam auf die Knie sinken und zur Seite fallen. Vorsichtig bettete er seinen Kopf auf Joeys Bauch und spürte sogleich Finger, die zärtlich durch seinen Schopf strichen, mit seinen Strähnen spielten und ihn streichelten. Kurz blickte er sich um, dann schloss er die Augen und atmete tief durch. "Ich bereite dir nichts als Ärger, hm, Joseph?" Joey räusperte sich leise, seine Hand erreichte Kaibas Ohr. "Nicht mehr als ich dir." Somit blieb Kaiba reglos kauern und genoss das Graulen sichtlich. Es gab keinen Moment, in dem die Kopfschmerzen unangebrachter wären. Joey sehnte sich nach einer Umarmung, die auch die letzten Zweifel aus der Welt schaffte, mit der alles beendet war. Doch das...? Das war ebenso gut, auch wenn er sich kaum bewegen wollte und Kaiba nicht einmal sehen konnte. Er spürte nur ein leichtes Gewicht auf seinem Bauch, mal einen warmen Atem, der durch das dünne Shirt drang. Kaiba überlegte wieder, das wusste er genau, er kannte ihn zu gut, als das er es nicht bemerken könnte. Er grübelte über die Firma, seine Bitte und Daniel Ray, dem er keine übertriebene Freundlichkeit entgegen gebracht hatte. Und auch über etwas Anderes dachte er nach... "Was ist mit deinem Kopf?", hörte Joey ihn nach langer Zeit des Schweigens fragen. Sogleich brach Joey all seine Gedanken ab, seine Hände hielten in den zärtlichen Bewegungen inne. "Ich habe Kopfschmerzen", sagte er. Daraufhin verschwand das Gewicht von seinem Bauch, Kaiba richtete sich auf und Joey ließ die Hände sinken. "Und weiter?" Nun... scheinbar war er nicht der einzige, der den anderen genau kannte. Unter dem Handtuch konnte er fast unbemerkt eine Grimasse schneiden, dann berührte eine Hand sein Gesicht und schob den schweren Stoff über die Stirn, legte seine Augen frei. Sogleich begann Joey zu blinzeln und erkannte Kaiba über sich, der ihn misstrauisch und erwartungsvoll musterte. Diese guten Kenntnisse hatten also auch Schattenseiten, man musste ein exzellenter Schauspieler sein, um etwas verbergen zu können. Joey starrte nach oben, kalkulierte, ob er darauf wirklich eine ehrliche Antwort geben musste. Und es hatte den Anschein, als wäre genau dies der Fall. Kaiba besah sich seine Augen genau, beugte sich noch tiefer zu ihm, um die Strukturen der Pupillen zu erkennen. "Du kannst nicht das Programmheft lesen, wirst nachdenklich, wenn du ein Buch siehst und fragst mich hinzukommend über Augenprobleme und Brillen aus. Und was sollte dieses Getue in den letzten Schulwochen? Du hast dich vor jedem Lesen gedrückt und hast nicht abgeschrieben, was an der Tafel stand." Joeys Augen weiteten sich. Auch das exzellente Erinnerungsvermögen des jungen Geschäftsmannes hatte seine Nachteile. Und aufmerksam war er! Unentschlossen bewegte der Blonde die Lippen, räusperte sich leise und zog das Handtuch in die Stirn zurück. Warum sollte er Kaiba sein Geheimnis nicht mitteilen? Genau, es gab keinen Grund dazu. "In Ordnung." Unter einem leisen Seufzen schloss er die Augen. "Seit knapp einem Monat habe ich arge Probleme mit dem Sehen." Er blinzelte, um Kaibas Reaktion zu erkennen. Dieser runzelte die Stirn. "Du siehst schlecht." Er nickte. "Zuerst verschwamm die Schrift nur etwas, ich konnte sie noch lesen, wenn sie sehr nah war. Dann wurde es schlimmer und jetzt sehe ich nichts als Flecken und verschwommene Muster." "Aha." Kaiba stützte sich neben Joey auf die Ellbogen. "Und warum hast du es mir nicht eher gesagt?" "Ich nehme es nicht ernst." Joey war ehrlich, hob die Hände und rieb sich die Schläfen. "Ich brauch vermutlich eine Brille, mehr ist es nicht." "Und diese Kopfschmerzen?", hakte Kaiba nach, er nahm die Sache wesentlich ernster. "Seit wann treten sie auf?" "Erst seit wenigen Tagen." Joey stöhnte und zog sich das Handtuch wieder über die Augen. "Mit ein bisschen Ruhe wird das wieder." Kaiba erwiderte das Stöhnen. "Hoffen wir, dass es sich um eine normale Migräne handelt." "Greift so etwas auch die Augen an?", erkundigte sich Joey nuschelnd. "Ja, das Sehvermögen beeinträchtig sie jedoch nicht." "Hoffentlich ist Joey klar gekommen", äußerste Duke seine Ängste, als er mit den anderen den Bungalow erreichte. Es war spät geworden, Finsternis umgab sie. "Mach dir keine Sorgen", beschwichtigte ihn Tea. "Er hat sich sicher sofort hingelegt und schläft jetzt." Tristan öffnete die Tür, tastete nach dem Lichtschalter und trat ein. Alles war wie immer und so ließen sie der Umgebung nicht außergewöhnliche Beachtung zukommen. Tea streckte müde die Arme von sich, gähnte und verschwand im Bad, während sich die anderen auf den Weg nach oben machten. Tea war nicht die einzige, die müde war. Lachen und scherzen schwächte, das hatten sie bei dem Besuch in dem amerikanischen Bungalow gelernt. Schlendernd betraten sie den Flur, erreichten schnell die Tür zum Schlafraum und öffneten auch diese. "Weiß jemand, was für den morgigen Tag auf dem Plan steht?" Duke drehte sich zu den anderen um, tastete nebenbei nach dem Lichtschalter. "Ich glaube, wir fahren wieder an den See", antwortete Tristan. "Das ist schön." Yugi grinste, machte sich auf den Weg zu seinem Bett. "Ich..." "Pscht!" Wurde er plötzlich von Duke unterbrochen. Sofort blieb er stehen und rührte sich nicht vom Fleck. Duke, Tristan und Bakura bewegten sich auch nicht, standen nur da und starrten auf einen bestimmten Punkt. Verwundert folgte Yugi den Blicken, diese führten ihn zum Hochbett, um genauer zu sein, zum unteren Hochbett. Sprachlos öffnete er den Mund, bewegen konnte er sich immer noch nicht. Nur Duke trat langsam näher. Kaiba lag mit dem Rücken zu ihnen, die Decke wärmte ihn erst ab der Hüfte. Daran war nichts unnormales zu finden, außer der Tatsache, das er plötzlich zurückgekehrt war. Nein, das, was jeden in grenzenloses Erstaunen versetzte, war nicht nur er, sondern das, was sich hinter ihm verbarg. Knapp vor dem Bett blieb Duke stehen und neigte sich leise nach vorn. Zwischen Kaiba und der Wand lag Joey, zusammengerollt wie ein Igel, schmiegte er sich an Brust des jungen Mannes und schlief friedlich. Kaiba hatte den Arm um seine Schulter gelegt, hielt die Decke so, das sie den Blonden vom Hals an bedeckte. Duke wusste nicht, was er davon halten sollte. Verwirrt runzelte er die Stirn, bewegte die Lippen und richtete sich auf, um sich zu den anderen umzudrehen, die nicht viel gläubiger dreinblickten. Sie sahen sich an, zuckten mit den Schultern. "Haben sie sich heute Morgen nicht noch angeschrieen?", murmelte Tristan und kratzte sich am Kopf, all dies überforderte ihn sichtlich. "Ja, haben sie", bezeugte Duke schulternzuckend. "Wir müssen wohl irgendetwas verpasst haben." Nach einem weiteren Blick zu dem Bett musste sich Tristan eingestehen, dass er wirklich das Richtige sah. "Für mich hat es jedenfalls nicht so ausgesehen, als hätte Joey Lust, über irgendetwas zu debattieren." "Scheinbar haben sie sich trotzdem ausgesprochen." Yugi seufzte. "Wenn man sich streitet, muss man so etwas tun. Und dann wird alles wieder gut." "Diese 'kleinen' Streitereien machen mir Angst", gab Duke zu. "Ich dachte, sie würden sich bei dem nächsten Treffen an die Gurgel fallen. Tja, so kann man sich irren." "Morgen erwartet Joey ein umfassendes Interview." Tristan ließ sich auf sein Bett sinken. "Ich muss wissen, wie sie das angestellt haben. Und jetzt bin ich hundemüde." "Ja, legen wir uns schlafen." Als Joey eine langsame Bewegung spürte, erwachte er aus dem tiefen Schlaf, hob matt die Lider und befreite die Hände aus der Decke, um lahm mit ihnen zu tasten. Er schmuste mit etwas, das war glatt und hart, etwas anderes, als das, mit dem er eingeschlafen war. Tapsig glitten seine Hände über die Tapete, dann schloss er die Augen, brummte leise und rollte sich zur anderen Seite. Und dort ertastete er etwas Bequemeres. Kaiba lag auf dem Rücken und hielt die Augen ebenfalls geschlossen, als sich ein Arm unter der Decke über seinen Bauch schob, sich Finger etwas in sein Shirt krallten. Schläfrig rutschte Joey näher an ihn heran, bewegte sich, bis er gemütlich lag und verblieb reglos. Nun jedoch, begann Kaiba zu blinzeln. Er wirkte ebenso müde, als er die Augen einen Spalt öffnete und flimmernd auf das obere Bett starrte. "Baaaden", vernahm er da eine leise Stimme. "Genau das richtige an so einem heißen Tag." Langsam drehte er das Gesicht zur Seite und erspähte Duke, der nur in Shorts auf dem Boden hockte, die Füße umfasste und leicht nach vorn wippte. Müde zwinkerte er und setzte zum Gähnen an. Duke kratzte sich am Kopf. "Wie warm ist es?", erkundigte er sich. Tristan stand bereits angekleidet am Fenster, zog die Gardine zur Seite und lugte zu dem Thermometer, das an der Außenfassade angebracht war. "30 Grad", brummte er unzufrieden. "In dieser Frühe! Wie kann das sein?" Duke zuckte überfordert mit den Schultern und wurde dann auf Kaiba aufmerksam, der das Geschehen mit trübem Blick verfolgte. Er sah ihn an, hob die Augenbrauen und rang sich zu einem unentschlossenen Grinsen durch. Die auffälligen Gesichtsverzierungen der Beiden hatte er erst bemerkt, nachdem er aufgestanden war. Gestern hatte er sie übersehen und so war die Verwunderung umso größer gewesen. "Morgen." Kaiba verzog die Augenbrauen, brummte leise und drehte sich zur Seite. Er drehte sich zu Joey, tastete nach der Decke, zog sie über sich und den Blonden und legte den Arm über dessen Rücken. Er rutschte auch näher an ihn heran, bis sie eng beieinander lagen. Dann schloss er die Augen und regte sich nicht. Nur Joey murmelte etwas Abstruses und gähnte. Duke blähte die Wangen auf, drehte sich um und traf auf Tristans Blick, dieser zuckte mit den Schultern, was er gern erwiderte. Die Geschehnisse am gestrigen Tag waren ihnen ein Mysterium. Während die Beiden wieder zu schlafen schienen, erwachten die Anderen. Gemächlich schob sich Tea aus dem Bett, fuhr sich durch das Haar und verzog die Miene. "Stickig, macht bitte mal das Fenster auf." "Oh, das willst du sicher nicht." Duke grinste. "Hm?" "Zu heiß, das bringt dich um." Lässig erhob sich er Schwarzhaarige und schlenderte auf die Tür zu. "Ich gehe mal schnuppern." "Mm." Tea nickte, fuhr sich über das Gesicht und streckte sich ausgiebig. Dann fiel ihr Blick auf das Bett, indem sich zwei fest aneinander schmiegten und keine Lebenszeichen von sich gaben. Sie besah sich dieses Bild lange, da jedoch nichts Ungewöhnliches daran zu finden war und man sich allmählich daran gewöhnte, erhob sie sich kurz darauf und machte sich auf den Weg zum Bad. Duke war in der Zwischenzeit kurz davor, die Tür zu erreichen. Gemächlich griff er nach der Klinke, drückte sie hinab und öffnete die Tür. Die Hitze war wirklich unerträglich... das glaubte er zumindest, denn so recht konnte er nicht auf sie achten. Beinahe erschrak er, als er plötzlich die vier Amerikaner vor sich stehen sah. Alle trugen lediglich Hosen, Sonnenbrillen und viel Schweiß. Japsend und keuchend standen sie dort in der glühenden Hitze und brachten es nur zu einer begrüßenden Handgeste. "Lass uns rein, ja?" Eilig trat Daniel auf Duke zu und dieser wich aus, damit sich die Vier retten konnten. "Was zur Hölle ist das!" Morfrey stöhnte entkräftet und fächelte sich mit den Händen Luft zu. "Das kann doch nicht normal sein!" "Richtig, richtig." Eddie stützte sich auf die Knie. "Ich will 'nen kühlen See!", quengelte Jordas, der ganz rot im Gesicht war. Duke schloss die Tür hinter sich und folgte ihnen in das Wohnzimmer. "Bekommst du bald." Guter Dinge klopfte er Jordas auf die Schulter. Daniel atmete tief durch, zog sich die Sonnenbrille von der Nase und sah sich um. "Weilt Joey schon unter'n Lebenden?", erkundigte er sich scherzend und wandte sich an Duke, dieser wackelte mit dem Kopf. "Nur ein bisschen, er liegt noch oben." Daraufhin rieb sich der Amerikaner die Hände und lachte gehässig. "Dann werde ich ihn ma wecken gehn." "Versuchen kannst du es ja." Duke winkte ab und ließ sich in einen der Sessel fallen. "Am liebsten würde ich hier bleiben und gar nicht erst rausgehen", stöhnte er. Daniel war in der Zwischenzeit schon damit beschäftigt, die Stufen hinaufzusteigen und auf die Erlösung von seiner stetigen Schadenfreude zu hoffen. Duke warf sich gegen die Lehne, schloss die Augen und lauschte den langsamen Schritten. Irgendetwas störte ihn an diesen Schritten, störte ihn an der Tatsache, dass Daniel nach oben gehen, und Joey wecken wollte. Während die Amerikaner stöhnten und murrten, blinzelte er und verzog nachdenklich die Augenbrauen. Daniel stieg höher und höher und als beinahe das Ende der Treppe erreicht hatte, fuhr der andere Schwarzhaarige aus dem Sessel in die Höhe. "Nein, warte!" Hastig hob Duke die Hände und gestikulierte wild mit ihnen. "Geh da nicht hoch!" Verwundert hielt Daniel inne. "Why?" "Ähm...", Duke kratzte sich an der Stirn, grinste und schlenderte auf die Treppe zu. Jetzt musste er sich etwas einfallen lassen!! Für die japanische Clique war es keine Besonderheit, wenn sich Kaiba und Joey ein Bett teilten. Für andere jedoch...? "Waaaarum?" Daniel lehnte sich über das Geländer, legte den Kopf schief. "Öhm...", Duke dachte angespannt nach, "... na ja... Yugi hat, nein... Tea! Ja, genau! Sie zieht sich gerade um!" "Was tut sie?" Sofort war Morfrey ganz Ohr. "Ach so." Der Amerikaner verdrehte die Augen, machte selbstverständlich kehrt und stieg hinab. Duke dankte ihm für die gute Erziehung. Mit einem Satz ließ er die letzten Stufen hinter sich, setzte sich die Sonnenbrille auf die Nase und grinste auf seine schräge Art. "In ner halben Stunde gibt's Futter. Is sie bis dahin fertig?" "Ja, ganz sicher." Erleichtert klopfte Duke ihm auf die Schulter und nahm die Treppe in Angriff. Verwirrte Augen folgten ihm, als er schnell hinaufstieg und winkte. "Bin gleich wieder da." Daniel runzelte die Stirn und wandte der Treppe den Rücken zu. "Warum darf er hochgehn und ich nich? Was'n das für'n Gentleman!" Da niemand es wagte, Kaiba zu wecken, mussten sie die Beiden wohl oder übel zurücklassen und sich allein auf den Weg machen. Auch daran war nicht Außergewöhnliches zu finden und dennoch fühlten sie sich dabei nicht so gut wie sonst. Die beiden hatten sich vertragen, das stand in der Zwischenzeit fest und jeder in der japanischen Clique würde es bevorzugen, wenn sie sich wieder zu ihnen gesellten. Immerhin wollte sich jeder an dem erneuerten Frieden erfreuen. Während sie sich also auf den Weg machten, wirkten alle etwas nachdenklich und als Daniel Duke darauf ansprach, kratzte sich dieser an der Wange. "Sieht so aus, als hätten die beiden den Streit beigelegt." "Joey un dieser Kaiba?" Überrascht hob Daniel die Augenbrauen, so in der Art hatte jeder der Japaner reagiert. Es grenzte an der Unmöglichkeit. "Wie'n das?" "Das fragen wir und auch", seufzte Tea. "De beiden sah'n aus, als wollten se sich anfall'n." Grübelnd legte Daniel den Kopf schief. Daraufhin wechselten die Japaner verstohlene Blicke. "Sieht aus, als hätten sie das getan", murrte Tristan. Um der gnadenlosen Hitze schnell zu entgehen, beeilten sie sich und waren umso glücklicher über die herrlichen Klimaanlagen, die sich im Speisesaal erwartete. Während sie sich dann etwas Essbares besorgten, debattierten sie ausgelassen über das Mysterium: Joey - Kaiba! Sie diskutierten, rätselten und kamen zu keiner Lösung. Eine Prügelei und daraufhin die Versöhnung...? "Wir müssen Joey ausquetschen, wenn er mal allein ist", erklärte Duke mit vollem Mund, die Japaner nickten zustimmend und Eddie, Jordas und Morfrey runzelten die Stirnen. Sie fanden es ganz toll, dass man sich lediglich auf Japanisch unterhielt, hatten jedoch keine Lust, Fragen zu stellen. Also schwiegen sie und bewahrten sich davor, beleidigt zu sein. "Bei Kaiba will ich mich nur ungern informieren", trug Tristan zu dem immer noch anhaltendem Gespräch bei. "Ich habe ja keine Ahnung, wie er jetzt drauf ist. Vielleicht ist er nur mit Joey im Klaren und würde uns gern gebraten auf seinem Teller sehen." "Ojemine." Yugi seufzte und somit wandten sie sich dem Essen zu, um nicht weiterhin über all diese verwirrenden Dinge zu grübeln. Das strengte nur an und Anstrengung während der Klassenfahrt mochte niemand. Also ließen sie es sich schmecken und ließen sich erst nach knapp zehn Minuten ablenken. Duke und Tristan blickten auf, Yugi, Tea und Bakura drehten sich um und auch die Amerikaner wurden aufmerksam. In ein scheinbar amüsantes Gespräch vertieft, betraten Joey und Kaiba den Saal. Beide hatten mit der Kleidung gespart und sich mit dünnen Hemden und kurzen Hosen zufrieden gegeben. Kaiba hatte die Hände in den Hosentaschen verstaut, sah vor sich auf den Boden und schmunzelte belustigt, während der Blonde mit den Händen gestikulierte und schnatterte. Duke schluckte hinter und verblieb reglos, so wie der Rest der großen Gruppe. Schlendernd kamen die Beiden näher und als Joey die fleißigen Beobachter erspähte, hob er heiter die Hand und winkte. Das war vielleicht merkwürdiges Bild... Da waren zwei junge Männer, deren Gesichter von hübschen Prellungen geziert waren. Und die beiden lachten und schienen sich exzellenter Laune zu erfreuen! Kaiba blickte nur kurz auf, musterte die am Tisch sitzenden und folgte Joey zu den Selbstbedienungsplatten. "Was ist mit deren Gesichtern passiert?", wandte sich Morfrey verwirrt an Daniel. Der Angesprochene räusperte sich und begann zu erklären. "Hat Kaiba böse geschaut...?", hauchte Yugi in die Gruppe und die Schultern wurden gezuckt. Dann ging die Beobachtung in die zweite Runde. Nebeneinander blieben Joey und Kaiba stehen, steckten die Köpfe zusammen und schienen zu flüstern. Währenddessen klauten sie sich dies und das von den großen Tellern und wanderten weiter. Anschließend sah es so aus, als würden sie sich über das Essen unterhalten. Joey wies auf die Käseplatte, Kaiba legte den Kopf schief. Auf diese Art und Weise verging eine lange Zeit, bis sie sich alle Wünsche erfüllt hatten und sich zu dem viel besessenen Tisch begaben. Kaiba zeigte weder Freude, noch Abneigung, als er sich neben Tristan niederließ, nur Joey grinste, als er sich neben ihm platzierte. Unsicher erwiderten die Anwesenden diese Geste, Daniel kratzte sich die Stirn und nahm Kaiba unter die Lupe. Dieser wandte sich seinem Essen zu, ohne ihm oder jemand anderem Beachtung zu schenken. Er musterte ihn kurz jedoch eindringlich, stocherte mit der Gabel in seinem Essen und verlor nach kurzer Zeit die Lust an dieser Beobachtung. Die beiden waren wieder froh, mehr nicht. Heimtückisch verengte er die Augen, duckte sich und linste zur Seite, wo Morfrey unbekümmert sein Essen zu sich nahm. Entschlossen umfasste er die Gabel fester und ließ sie langsam in Richtung des benachbarten Tellers wandern. Da lag etwas, das äußerst lecker aussah. "An bem Wee?" Joey weitete die Augen. "Efft?" "Kau erst einmal hinter." Duke stöhnte. "Ja, wir gehen wieder baden." Yugi strahlte über das ganze Gesicht. "Und danach fahren wir hinunter in das Dorf und können..." "Shoppen!", rief Tea triumphierend. "Ja... shoppen." "Klasse!" Auch Joey freute sich darüber und wandte sich sofort an Kaiba. "Hey, hast du das gehört? Endlich bekommen wir mal das Dorf zu Gesicht, sieht sicher schön aus da unten!" "Es ist ein Dorf", erläuterte Kaiba etwas gelangweilt und griff nach seinem Kaffee. "Was soll es da schon geben." "Na, mal schau..." In dieser Sekunde schrie Morfrey auf, zückte das Messer und drückte die fremde Gabel, die ein leckeres Stück Käse aufgespiest hatte, damit auf den Tisch hinab. Daniel stieß gegen dessen Kante und der gesamte Tisch erzitterte so sehr, dass das Geschirr schepperte. Kaiba stellte die Tasse zurück und hielt seinen Teller fest, Joey hob die Augenbrauen und verfolgte das gewohnte Spektakel wie (fast) jeder andere. "Give me the cheese!" Daniel versuchte seine Gabel zu befreien. "Noooo!!" Morfrey stocherte mit der eigenen Gabel nach dem Käse, um ihn zu retten. Kaiba saugte an seinen Zähnen und starrte auf den Tisch. Doch sagen tat er nichts und nicht einmal ein ungehaltener Blick traf den tollwütigen Amerikaner. "Lass ihn!!" Jordas kam Morfrey zur Hilfe, warf eine Olive nach Daniel, die dieser gegen den Kopf bekam. "Ahh... hey! Why you?!" Kurz darauf wurde Jordas von dem daneben sitzenden Eddie in den Schwitzkasten genommen. Kaiba hob den Teller an, das Geschirr schepperte. "Halt die Klappe, silly jerk!!" "Jerk!? Wait, nobody calls me that!!" Daraufhin brach der gewohnte Krieg aus, Jeder gegen Jeden. Essen konnte man jedenfalls nur schwer bei diesem Tumult. Dennoch griff Kaiba nach der Gabel, hielt den Teller mit der anderen Hand oben und aß weiter, worauf er einen knappen Blick vonseiten Joeys erhielt. Nun, scheinbar hielt er durch. Die Stühle rutschten quietschend herum, die Getränke schwappten beinahe aus den Tassen und die Amerikaner waren kurz davor, sich zu Boden zu reißen. "Auf jeden Fall", wandte sich Joey locker an Duke, der ihm sofort Gehör schenkte, "muss es doch irgendwelche Läden geben, oder? Ich brauche etwas Herzhaftes." "Frag mich nicht", antwortete der Schwarzhaarige. "Ich war noch nie in Thüringen." "Haa haa!" Als sich die Gruppe auf den Rückweg zu den Bungalows machte, konnte es sich Daniel nicht nehmen lassen, triumphierend mit dem zermatschten Käse zu fuchteln. Ganz recht, er hatte gesiegt, jedoch nur, weil Jordas und Eddie unbarmherzig die Seiten gewechselt, und mit ihm gekämpft hatten. "Ach, shut up!" Morfrey schnitt eine Grimasse, fächelte sich mit einer zerknitterten Broschüre Luft zu. "Das wäre nie passiert, wenn du..." "Aber er IST passiert!", rief Daniel und warf das Käsestück ins nächste Gebüsch. "Fine, freu dich und stirb!" Duke grinste amüsiert und wandte sich zur Seite, wo Kaiba und Joey schlenderten. Er konnte es nicht richtig erkennen, doch scheinbar hatte sich Joey hinterrücks in Kaibas dünnes Hemd gehackt. Und wo Kaibas Hand war, konnte er überhaupt nicht sehen. Scheinbar hatte dieser Streit etwas Abgeschwächtes ins Leben zurückgerufen. Mit den Beiden würde es wohl nie enden... "Wir haben nicht mehr lange Zeit, bis der Bus fährt", erklärte er und Joey blickte auf. "Ihr kommt doch beide mit?" "Natürlich." Joey zeigte seine Zähnchen und zupfte an Kaibas Hemd, wodurch auch dieser in die Realität zurückkehrte. "Was?" "Du kommst mit baden, Seto?" "Warum nicht." Kurz darauf trennten sich die beiden Gruppen, um ihr Dinge zusammenzupacken. Als die Japaner ihren Bungalow betraten, stoben sie sofort auseinander. Duke wühlte im Wohnzimmer, Tea, Yugi und Bakura stiegen die Treppe hinauf und Tristan folgte ihnen, nachdem er unentschlossen herumgestanden hatte. Währenddessen hatten sich Joey und Kaiba in das Bad verflüchtigt. "Ich mag diese Hitze nicht." Joey grabschte nach seinen Handtüchern und fuchtelte mit ihnen, als würden sie sich von allein falten. "Aber Kälte mag ich auch nicht." "Was magst du überhaupt." Mit einem Handtuch über der Schulter, trat Kaiba von hinten an ihn heran, schlang die Arme um Joeys Bauch und schunkelte etwas, wobei er die Wange an seinen Schopf schmiegte. "Ich habe einen Traum!" Theatralisch ließ Joey das Handtuch sinken und blickte auf, eine Augen leuchteten. "Es soll warme Winter geben und kühle Sommer! Temperaturen stets im mittleren Bereich! Kein Frieren, kein Schwitzen!" Er ballte die Hände zu Fäusten und seufzte leidend. "Seto, wäre das nicht toll!" "Ewiger Frühling", murrte Kaiba und Joey trat nach vorn, zwang ihn somit dazu, die Arme von ihm zu lösen. Er entfernte sich etwas von ihm, drehte sich um und atmete tief ein. "Kaiba! Stell dir das vor! Man muss sich keine etlichen Kleider mehr besorgen, keine Angst vor einzelnen Monaten haben! Im Sommer wird man nicht mehr mit Schokolade verwechselt, im Winter nicht mit einem starr gefrorenem Schneemann!" "Okay." Kaiba kratzte sich am Kopf. "Unter Frühlingsgefühlen scheinst du schon chronisch zu leiden." "Ich versprühe lediglich gute Laune." Joey zuckte mit den Schultern und zog sich das Handtuch über den Kopf. Dann biss er sich bedächtig auf die Unterlippe, atmete tief ein und schlenderte verspielt näher. "Was meinst du." Er keckes Grinsen zeichnete sich auf seinen verschrammten Lippen ab, als er beide Hände hob und nach den Enden des Handtuches griff, das um Kaibas Hals seinen Platz gefunden hatte. "Würdest du mich immer noch lieben“, er umfasste das Handtuch, zog Kaiba langsam zu sich hinab und schmiegte sich an ihn, "wenn ich wirklich unter chronischen Frühlingsgefühle leiden würde?" Kaiba erwiderte das Grinsen hinterhältig und ließ sich ziehen. "Nur... wenn ich Vorteile daraus ziehen könnte", murmelte er, bevor er vorsichtig nach Joeys Mund schnappte und die Arme hob. "Böser Junge", schnurrte der Blonde, bevor er die Augen schloss und sich auf einen zärtlichen Kuss einließ. Flink hockte sich Joey auf die Knie, rückte sich zurecht und beugte sich nach vorn. Schräg vor ihm lag Kaiba ausgestreckt in der heißen Sonne, hinter ihm im Wasser tobte das volle Leben. Tea kicherte, Morfrey grunzte, Daniel schrie und Duke lachte. Jeder hatte seine Beschäftigung, der er nachgehen konnte. Sobald sie das Ziel erreicht hatten, waren alle in das kühle Nass gesprungen. Fast alle. Kaiba und Joey waren auf der Wiese geblieben. "Sagt Euch dies zu, Hochwohlgeboren?" Untertänig fächelte Joey dem Brünetten mit Bakuras Buch Luft zu und Kaiba schien es redlich zu genießen. Ein flüchtiges Grinsen huschte über sein Gesicht, die Augenbrauen über den schmalen schwarzen Gläsern der Sonnenbrille verzogen sich kritisch. "Fuchtel mir bloß nicht das Lesezeichen ins Gesicht, Untertan." "Huh?" Verwundert hielt Joey inne und hob das Buch. Genau in dieser Sekunde fiel das Lesezeichen heraus. Es landete auf der Decke und Joey starrte es mit großen Augen an, bevor er sich hastig zur Seite wandte und einen prüfenden Blick zu Bakura warf. Gut, dieser schien nichts bemerkt zu haben. "Ups." Er lachte leise und auch Kaiba grinste schadenfroh, rückte sich die Sonnenbrille zurecht und verschränkte die Arme unter dem Kopf, so dass er Joey bequem anschauen konnte. Dieser erwiderte seinen Blick flüchtig, streckte die Hand nach dem dünnen Lesezeichen aus... und verfehlte es! Er grinste und tastete, runzelte dann die Stirn und hielt Ausschau nach dem blöden Ding! Da lag es doch! Angestrengt lenkte er die Hand in die richtige Richtung, spürte eine Kante und grabschte danach. Kaiba blähte die Wangen auf. "Was ist?" Joey verengte die Augen, biss sich auf die Unterlippe und führte das Lesezeichen konzentriert in einen kleinen Seitenspalt ein. "Tadaa! Siehst du?" "Findest du das in Ordnung?" Kaiba richtete sich auf, rückte etwas näher an heran und räusperte sich. "Schau mich mal an." "Hm?" Verwundert blickte Joey auf und befolgte den Befehl. "Jetzt kannst du also nicht einmal mehr Gegenstände erkennen", schlussfolgerte Kaiba ernst und begann seine braunen Augen zu mustern. "Also hat es sich in der letzten Zeit weiterhin verschlechtert." "Och." Joey zuckte mit den Schultern. "So lange ich noch sehe, wohin ich lauf..." "Ich glaube, du nimmst diese Sache etwas zu leichtfertig", unterbrach Kaiba ihn unzufrieden und Joey hob die Augenbrauen. "Ich habe gesagt, dass es nicht normal sein kann und trotzdem sprühst du vor Optimismus und Ruhe." "Soll ich etwa schreiend herumrennen?" Kritisch legte der Blonde den Kopf schief und Kaiba nahm ihm das Buch aus der Hand, hielt es ihm direkt unter die Nase und zeigte auf das große Bild, das auf dem Unschlag abgedruckt war. "Was ist das?" "Ach, lass das doch." Joey wandte trotzig den Blick ab. "Joooseph", murrte Kaiba drohend. Daraufhin verdrehte der Blonde die Augen und besah sich das Bild. Dieses bestand aus einer grünen fruchtbaren Gegend und in der Mitte kauerte ein großer brauner Hund. Es war irgendein Roman. Kaiba wartete geduldig und Joey starrte lange auf das Bild, bevor er etwas sagte. "Etwas... Grünes. Und? Hab ich Recht?" Kaiba verdrehte die Augen und zeigte auf den Hund. "Und das?" Wieder begann Joey konzentriert zu beobachten und kam wieder erst nach langer Zeit auf eine Lösung. "Das ist...", er verengte die Augen und beugte sich so sehr nach vorn, bis er fast die Nase gegen das Papier drückte, "ja, das ist... ein Baum!" "Ja, du solltest schreiend herumrennen." Kaiba ließ das Buch sinken und stöhnte. "Wenn wir im Dorf sind, schauen wir bei einem Optiker vorbei und lassen einen Sehtest machen." "Wozu soll das denn gut sein." Joey blähte die Wangen auf. "Was stellst du dich so an?" Gemächlich kam Kaiba auf die Beine. "Weißt du etwas, das ich nicht weiß? Mit einem Sehtest haben wir Gewissheit und können uns sicher sein, das es nur ein normales Problem ist, nicht irgendetwas anderes. Und in Domino hast du dann weniger Arbeit." "Was, außer einen normalen Problem, sollte es denn sonst sein." Auch Joey kam auf die Beine und wischte sich das Gras von den Knien. "Das werden wir noch herausfinden." Kaiba lächelte und wies mit einer knappen Kopfbewegung zum See. "Komm, wir gehen schwimmen." Joey freute sich über diesen Themenwechsel, rieb sich kurz die Augen und folgte dem Brünetten. "Heey!" Daniel stieß Eddie in das Wasser und winkte. "Na endlich! Hüpf rein!!" Da warf sich Morfrey auf ihn und Eddie tauchte japsend auf. "Aaah!! Get of from me!!" "Die!!" "Wait!!" Jordas sprintete an Kaiba und Joey vorbei, sprang in das Wasser und beteiligte sich an der Kampelei. Teils amüsiert teils lustlos verfolgten die Beiden die wilde Schlacht. Nun, das war zwar recht spannend, wie sich die Amerikaner ditschten... aber ihnen rann der Schweiß über die Haut. Joey wandte sich ab und stieg tiefer, wobei er genüsslich mit den Händen ruderte. Kaiba befeuchtete sich die Arme, den Hals und die Stirn, bevor er ihm folgte. "Joey!" Yugi winkte, nicht weit entfernt, paddelte er. "Genießt du auch diese herrliche Frische?!" "Bin kurz davor, Yugi!", rief Joey locker zurück und winkte. Dann sah er zu dem anderen, nicht all zu weit entfernten Ufer hinüber, verzog nachdenklich die Augenbrauen. Nun blieb Kaiba neben ihm stehen und folgte seinen Beobachtungen. Dieser See war wirklich herrlich, das musste selbst er zugeben, obgleich er mit dem Baden so wenig an der Mütze hatte wie ein Zoologe mit der Kernphysik. Der Blonde kratzte sich an der Wange und lugte zu Kaiba, um ihn herausfordernd anzugrinsen. "Was meinst du." Er wies auf das andere Ufer. "Schaffst du das, alter Mann?" "Dieser alte Mann wird dir gleich Manieren beibringen, Bengel." "Na, dann komm." Joey hob die Hand, streifte flüchtig seine Schulter und stieg noch tiefer. "Dort sind wir ungestört." Somit ließ er sich sinken und schwamm los. Kaiba runzelte die Stirn. Aha, darauf war er also aus! Langsam schob sich Kaiba über ihn, seine Hände glitten über seine Arme, hielten sie am Boden und unter einem leisen Brummen schmiegte er sich an die weiche Brust, hob den Kopf und biss nach dem zarten Hals. Langsam räkelte sich Joey unter ihm. Er hielt die Augen geschlossen, genoss die provokanten Berührungen der Zähne und die angenehme Kühle, als das nasse Haar seine Wange streifte. Er ließ das Gesicht sinken, schmiegte sich an den Schopf und erwiderte das Brummen wohlig. Langsam arbeitete sich Kaiba höher, auch seine Hände glitten nun die Oberarme des Blonden hinauf, bis sie die Handgelenke erreichten, die sie zärtlich umfassten und in das Gras hinabdrückten. Verspielt neckten seine Lippen die weiche Haut, fanden schnell das Ohr und bearbeiteten auch dieses. Joeys Finger spreizten sich, als er sich erneut räkelte, das Bein anwinkelte und das Gesicht zur Seite drehte, um Kaibas böses Spiel zu beenden. So fanden sich ihre Lippen und schnappten nacheinander, als wollten sie jede der Berührungen auskosten. Sie hatten es sich nahe dem Ufer auf einem versteckten Plätzchen gemütlich gemacht, zu allen Seiten von hilfreichen Gebüschen abgeschottet. Niemand war hier, doch die lauten Schreie vom anderen Ufer konnten sie noch immer hören, wovon sie sich nicht stören ließen. Endlich lockerten sich die Hände von Joeys Gelenken und dieser fing Kaiba sogleich in einer festen Umarmung. Sie öffneten die Münder weit, schmiegten sich aneinander und einigten sich schnell auf flüssige Bewegungen. Währenddessen richtete sich Kaiba langsam auf und zog Joey mit sich, ohne das sich ihre Lippen voneinander lösten. Sie gelangten in eine aufrechte Haltung und Joey stieg auf seinen Schoß, auf dem er sogleich von zwei starken Armen gehalten wurde. Seine Hände machten sich währenddessen auf einen anderen Weg. Sie strichen über die feste Haut der Arme, glitten höher über die Schultern und verblieben erst reglos, als sie den Nacken erreichten und sich auf ihm ineinander falteten. Als Kaiba gekonnt mit seiner Zunge spielte und mal und mal auch die Lippen bearbeitete, durchfuhr ein Schauer seinen Körper, ein kalter Schauer, der die grausame Hitze, die sie umgab, zu einer Nebensache machte. Er schloss sich den Bewegungen an, drängte sich vor und atmete tief durch die Nase ein. Seine Hände gaben sich nur kurz der Faulheit hin, gemächlich vergruben sie sich in den nassen Strähnen, strichen vor zum Gesicht und legten sich auf Kaibas Wangen. Erst jetzt lösten sie sich voneinander, schöpften Atem und wandten sich sofort wieder dem Anderen zu. Joey lehnte sich an Kaibas Schulter, umfasste die Handgelenke auf dessen Rücken und spürte sogleich die Lippen, die sich nun etwas sachter mit seinem Hals beschäftigten. Mit geschlossenen Augen tastete sich Kaiba vorwärts, seine Arme hatten sich um die Hüfte des Blonden gelegt, der nun die Augen öffnete, das Gesicht zum See hin wendete und genüsslich blinzelte. Durch eine kleine Lücke des Gebüsches konnte er schwarze, sich bewegende Punkte erkennen, die ausgelassen planschten oder sich noch immer bekriegten. Wieder blinzelte er, atmete tief aus und spürte, wie Kaiba langsam von ihm abließ und sich mit der innigen Umarmung begnügte. "Weißt du, was toll wäre?", flüsterte Joey nach einer kurzen Zeit nachdenklich. "Mm?" Kaibas Hände schoben sich gekonnt unter die kurze Badehose des Blonden und verweilten auf dessen Hintern. "Wenn wir den See nur für uns hätten", fuhr Joey fort. "Nachts." "Mm." Kaiba gefiel dieser Gedanke. "Wie in diesem Hotel, in das du mich nach der Gerichtsverhandlung entführt hast." "Ja." Kaiba schloss die Augen, sein Kinn bettete sich auf Joeys Schulter. "Das war toll." "Die schönste Nacht, die ich je erlebt habe." "Und was ist mit der Nacht, die wir im Pool verbracht haben?" Kaiba runzelte die Stirn. "Der Champagner war gut", schwärmte der Blonde. "Und der Rest?" "Der?" Joey richtete sich auf, lehnte sich zurück und sah Kaiba verspielt an. "Der war noch besser." Der Brünette schmunzelte. "Wenn mich je jemand anfassen soll, dann du", fuhr Joey fort. "Kein Chester und kein anderer Mensch der Welt." "Und wenn ich alt und schrumpelig bin?", erkundigte sich Kaiba misstrauisch. "Dann werde ich dir mit größter Liebe das Gebiss putzen." Joey lachte und platzierte einen zärtlichen Kuss auf seiner Nasenspitze. "Gut." Kaiba war zufrieden. "Und wenn dich ein anderer anfasst, dann würde ich ausrasten." "Das hast du bereits eindrucksvoll unter Beweis gestellt." Die beiden ließen sich Zeit, bevor sie den See wieder auf dem kürzesten Weg durchquerten und sich zu den anderen gesellten, die vom Toben und Titschen so erschöpft waren, das sie ausgestreckt auf den Decken oder im Gras lagen und keuchten. Bei den Amerikanern war es zumindest der Fall. Tea sonnte sich, Yugi starrte auf einen hübschen Stein, den er gefunden hatte, Duke und Tristan unterhielten sich heiter und Bakura blätterte etwas verloren und verwirrt in seinem Buch. "Wo wart ihr so lange?" Als die Beiden die Decke erreichten, wandte sich Duke ihnen zu. "Wir haben uns die Gegend da trüben betrachtet." Joey grinste und wies auf die Stelle. "Tolle Bäume gibt's da." "Ah, verstehe." Duke zog seinen Rucksack zu sich und begann in ihm zu wühlen. Das bedurfte keiner weiteren Worte. Nebenbei ließen sich die beiden nieder. Synchron setzten sie sich Sonnenbrillen auf und während sich Joey nach hinten fallen ließ und sich ausstreckte, zog Kaiba eine Zigarette hervor. Als er auch ein Feuerzeug zückte und den Tabak verbrannte, richtete sich Daniel auf und beobachtete ihn aus sicherer Entfernung. Zwischen ihnen fläzte die gesamte Gruppe. Kaiba nahm einen Zug, winkelte die Beine an und legte die Ellbogen auf die Knie, dann blickte er auf den See und bearbeitete seine geschundene Unterlippe mit den Zähnen. Verborgen durch die eigene Sonnenbrille, konnte Daniel die Beobachtung lange fortsetzen, ohne bemerkt zu werden, nun, jedenfalls achtete Kaiba nicht auf ihn. Zwischendurch lenkte Daniel den Blick auch öfter auf Joey, sah von ihm zu Kaiba und zurück. Er schien zu grübeln. "Kommt ihr dann mit ins Dorf?", wurde er nach wenigen Minuten von Tristan abgelenkt. "Hm." Der Schwarzhaarige nickte und lugte erneut zu Joey, der zu dösen schien. "Ha'm aber noch einige Erledigungen zu machen, werden uns wo erst am Bus wieder sehen." "Erledigungen?" Duke hob einen Kaugummi zum Mund. "Tja, Erledigungen halt." Daniel zuckte mit den Schultern, wollte diese Sache aus irgendeinem Grund nicht vertiefen. "Ha'm was vor, hat nichts mit euch zu tun." "Okay." Duke steckte sich den Kaugummi in den Mund und legte sich ebenfalls lang. Der heutige Aufenthalt an diesem See fiel kürzer aus, da anschließend noch die Fahrt ins Dorf anstand und die Schüler dort sicher einige Zeit verbringen wollten. Nach insgesamt zwei Stunden, packten sie ihre Sachen zusammen und kehrten in den Bus zurück, auf den sich niemand freute. Denn der war stickig, nicht gelüftet worden, was nichts Schlimmes war, vorausgesetzt, man mochte Busse, die wie Saunen waren. Joey freute sich sehr auf dieses Dorf und so entging ihm die Tatsache, dass die vier Amerikaner schweigsam auf ihren Plätzen saßen. Sie schrieen nicht, blödelten nicht, taten nichts von alledem, was man von ihnen gewohnt war. Binnen weniger Minuten hatte sich ihre Stimmung scheinbar schlagartig geändert. Nach einer Fahrt von einer halben Stunde, erreichten sie das Dorf. Der Bus hielt auf einem größeren Platz und scheinbar hatte Kaiba Unrecht gehabt. Hier gab es so einige Läden, in denen man sich tolle Sachen besorgen konnte. Quatschend und lachend strömten die einzelnen Gruppen also auseinander, bereit, sich dem vierstündigen Aufenthalt hinzugeben. Daniel und seine Freunde waren wirklich schnell verschwunden, ohne dass jemand wusste, wo sie diese "Erledigungen" machen wollten. Joey und die Anderen ließen sich dadurch nicht von einer Dorfbesichtigung abhalten. In gemütlichen Strandlatschen schlappte Joey neben Duke einher. Die Hände hatte er in den Hosentaschen versteckt, hinter der Sonnenbrille schweiften seine Augen begierig durch die Gegend. Kaiba schien weniger fasziniert, wenn nicht sogar desinteressiert. Er besah sich dieses und jenes Straßenschild, lugte in ein Schaufenster und ging dann doch weiter. Joey begann derweil ein heiteres Gespräch mit Duke und Tea. Es wurde viel gelacht. Nur wenige Menschen kamen ihnen entgegen, Männer die wie Landwirtschaftler aussahen, Hausfrauen mit ihren Kindern, alte Leute saßen auf gemütlichen Bänken vor der grünen Natur und warfen Brotkrümel zu den hungrigen Spatzen. Joey gefiel diese Umgebung. Hier war nicht so viel los wie in Domino, kein Gedränge, keine Menschenmasse, keine Stimmen, die einen von jeder Seite beschallten. Es war herrlich, doch... nach einer halben Stunde genügte ihm das Herumlaufen nicht mehr. Nachdenklich fuhr er sich durch den Schopf. "Ich will ein Eis." "Eis?" Tea lauschte auf. "Eis." Tristan nickte zustimmend. "Eis!" Yugi grinste. "Bleibt nur die Frage, wo man hier welches findet." Joey sah sich um und Duke drehte sich zur anderen Seite. Zufälligerweise schien es da so einen Laden zu geben. Dieser befand sich auf der anderen Straßenseite und war durch ein Schild gekennzeichnet mit der fantasievollen und übergroßen Aufschrift: "Eis" "Da." Er zeigte auf den Laden und die Gruppe wurde darauf aufmerksam. "Gott sei Dank." Tea begann nach ihrer Brieftasche zu suchen. "Ein Eis ist jetzt genau das Richtige." "Was ist da?" Joey starrte auf die andere Straßenseite und Tristan wandte sich ihm flüchtig zu, bevor er über die Straße trottete. "Mach die Augen auf, Joey." "Sind offen", murrte dieser. Bakura, Tea und Yugi folgten Tristan, nur Duke und Kaiba blieben zurück und der Schwarzhaarige wandte sich an den Blonden. "Da hängt ein grooooßes Schild", sagte er sarkastisch. "Mit der groooßen Aufschrift 'Eis'. Mensch, manchmal bist du wirklich etwas schwer von Begriff, mein Lieber." "Das Schild", mischte sich Kaiba mit ausdrücklichem Unterton ein. "Das Schild über dem Geschäft, Joseph." "Ach, das meint ihr!" Der Blonde lachte, kratzte sich den Nacken und schlenderte über die Straße. Kaiba und Duke blieben stehen und sahen ihm mit gerunzelten Stirnen nach. "Joey!", rief Duke, als dieser die Straße hinter sich gelassen hatte. "Das Eisgeschäft ist da drüben." Kurz blickte sich der Angesprochene um, zuckte mit den Schultern und folgte Tristan ebenfalls. Soeben war er vor einem Antiquitätenladen stehen geblieben. Duke warf Kaiba einen fragenden Blick zu, doch dieser brummte nur etwas Unverständliches und ging los. Nachdem Kaiba als Dolmetscher herhalten musste, erfüllten sich die Wünsche der Japaner und mit einer leckeren Waffel machten sie sich auf den weiteren Weg. Sie schlenderten vorbei an herrlichen Gärten, hübschen Häusern oder hoffnungslosen Bruchbuden, die es überall zu geben schien. Und während dieses gemütlichen Spazierganges... stolperte Joey zweimal über unübersehbar hohe Bordsteinkanten und wäre beinahe gegen einen Laternenmast gelaufen, hätte Tristan ihn nicht rechtzeitig zur Seite gezogen, wobei Joey außerdem sein Eis verlor. Und wann, wenn nicht jetzt, begann die Clique Verdacht zu schöpfen. Sie erkundigten sich, ob alles in Ordnung sei, wunderten sich doch sehr über das merkwürdige Verhalten ihres Freundes, der jedenfalls immer abstritt und kurz darauf das nächste Hindernis übersah. Tristan machte sich einen kleinen Scherz daraus, Kaiba jedoch, grübelte ernsthaft. Am gestrigen Tag erst, hatte Joey gesagt, er würde lediglich die Schrift nicht mehr erkennen. Dass er jedoch Bordsteinkanten, Laternenmäste und Gebüsche übersah, hatte er nicht erwähnt, oder? Sie verbrachten eine schöne Zeit in dem Dorf und bald fanden sie heraus, dass es hier trotz der scheinbar geringen Einwohnerzahl doch so einige Läden gab. Sie erreichten einen kleinen Platz, an dem viele Läden anknüpften, dort trennten sie sich, um sich etwas umzuschauen und sich nach zwei Stunden wieder zu treffen. Tea verschwand in einem Kleiderladen, Yugi zwang sie mitzukommen. Bakura verschwand in einem Büchergeschäft und Duke und Tristan suchten sich eine Kneipe, in der sie etwas gegen ihren Hunger tun konnten. Und Kaiba? Auch der nutzte das Kaufangebot und schlug erbarmungslos zu. Zuerst kaufte er sich zwei teure deutsche Bücher über irgendetwas, das Joey nicht verstand. Dann besorgte er sich eine neue Sonnenbrille, die Alte schien ihm nicht mehr so recht zuzusagen. Darauf folgten zwei Terminplaner und aus dem Antiquitätenladen kaufte er eine Bernsteinfigur. Ein Mitbringsel für Mokuba, meinte er, der mochte so etwas. Dann gab es da noch ein teures eingerahmtes Bild, das ihm gefiel. Aber das war zu groß. Joey besah sich das fleißige Einkaufen mit sehnsüchtigen Augen. Wie gerne würde er das auch können. Einfach losgehen und sich alles kaufen, das ihm gefiel. Sogar für Pikotto besorgte Kaiba etwas. Hätte er das auch vor zwei Jahren getan...? Er hatte sich schon verändert, auch wenn es so aussah, als kaufe er all das nur, weil er gerade Lust dazu hatte, womöglich dem Kaufwahn verfiel. Nun, warum nicht, wenn man es sich leisten konnte? Jedenfalls besorgte er Pikotto ein echt amerikanisches Feuerzeug, das soviel kostete wie die neueste Spielekonsole, soweit Joeys Vergleich. Sich selbst kaufte er auch gleich eins und nachdem er sich noch einige Zeitschriften gekauft hatte, schien er zufrieden zu sein. Dann gingen sie essen und somit hatten sie letzten Endes nur noch eine halbe Stunde Zeit. Gesättigt und zufrieden hielten sie nun nach einem Optiker Ausschau, den sie nach kurzem Herumfragen fanden. Joey machte den Anschein, etwas nervös zu sein, als er sich von Kaiba in das Geschäft ziehen ließ. Eine junge Frau grüßte sie höflich und Kaiba begann seine Probleme auf akzentfreiem Deutsch zu erläutern, wobei er immer wieder auf Joey wies und die Frau die Augenbrauen hob. Der Blonde lauschte seinen Worten aufmerksam und kam wieder zu der Einsicht, dass die deutsche Sprache schrecklich kompliziert war. Er verstand kein bisschen und blieb stehen, als sich die Frau an ihn wandte und daraufhin nach hinten ging. "Folgen Sie mir bitte." Kaiba warf ihm einen flüchtigen Blick zu. "Komm mal mit." So gingen die Beiden in einen hinteren Raum und Joey musste sich einigen Sehtests unterziehen, wobei Kaiba aufmerksam daneben stand. Nun, der Blonde erkannte überhaupt nichts, obwohl die junge Frau ihm japanische Zeichen zu sehen gab. Selbst ein Zeichen, das fünfzig Zentimeter groß war, sah er nur als schwarzen Punkt an. Kaiba runzelte die Stirn. Knapp fünfzehn Minuten musste sich Joey alle möglichen Dinge betrachten und meinte immer nur: "Das ist ein schwarzer Fleck." Letzten Endes besah sich die junge Frau seine Pupillen und kam zu einem merkwürdigen Ergebnis. "Seine Sehstärke ist ungewöhnlich schlecht", wandte sie sich dann an Kaiba. "Das ist sehr ungewöhnlich für einen Menschen in seinem Alter. An seinen Augen kann ich jedoch nichts Ungewöhnliches feststellen." "Was schlagen Sie vor?", erkundigte sich Kaiba. "Sie kommen aus Japan?" Die junge Frau begann in einigen Unterlagen zu blättern und Kaiba nickte. "Und wie lange bleiben Sie noch hier? "Vier Tage." "Gut, dann würde ich Ihnen raten, sofort einen Augenspezialisten aufzusuchen, wenn Sie wieder zu Hause sind." Sie seufzte hilflos. "So etwas habe ich noch nie gesehen. Haben Sie schon einmal daran gedacht, dass es vielleicht eine Krankheit sein könnte?" Kaiba drehte sich zu Joey, der etwas verloren dort stand. Er musterte ihn kurz, der Blonde hob die Augenbrauen. "Was ist?" Kaiba biss sich auf die Unterlippe, schüttelte grübelnd den Kopf und wandte sich der Frau zu. "Das ist möglich." "Nun, ein Augenspezialist wird das sicher sagen können." Die junge Frau schloss die Unterlagen. "Ich könnte ihm eine Brille verordnen, bis es so weit ist, aber ich befürchte, dass so etwas nichts bringen würde." "Vorausgesetzt es ist wirklich eine Krankheit." Kaiba nickte nachdenklich und rieb sich das Kinn. "Versuchen wir es." Doch... mit einer Brille sah Joey noch weniger als zuvor und so mussten sie das Geschäft nur mit dem Rat der jungen Frau verlassen. Nachdem Joey über die Türschwelle gestolpert war, kehrten sie zu dem Treffpunkt zurück und waren als erste dort. Kaiba lud all die Taschen und Beutel ab und ließ sich auf einer hölzernen Bank nieder. Joey setzte sich neben ihn, streckte die Beine aus und blähte die Wangen auf. So ein Reinfall, aber er hatte nichts anderes erwartet. Kaiba schien noch immer zu grübeln und Joey gefiel es überhaupt nicht, dass er sich jetzt seinetwegen den Kopf zermarterte. Gemächlich zog sich der Brünette eine Zigarette und lehnte sich zurück. "Sag mal", er entzündete den Tabak und schlug locker die Beine übereinander, "deine Schwester. Hast du nicht einmal gesagt, auch sie hätte ein Augenproblem gehabt?" Joey lugte zu ihm, seine Miene wirkte nicht sehr grüblerisch, es schien, als hätte Kaiba ihn auf eine Sache angesprochen, die er schon längst wusste. "Mm, ist ne' Erbkrankheit, die wir von unserer Mutter haben", meinte er lässig. "Und was ist, wenn dasselbe jetzt bei dir beginnt?" Kaiba nahm einen langen Zug, blies den Rauch durch die Nase und erwiderte seinen Blick ernst. "Das kann nicht sein." Ohne zu zögern verneinte Joey mit einem Kopfschütteln. "Ich wurde schon untersucht und der Arzt meinte, dass mir das nicht passieren könnte. Serenity hat es getroffen, beide Kinder bekommen das nicht." "Und wie erklärst du es dir sonst?" Joey schwieg und Kaiba richtete sich stöhnend auf. Die Sache beschäftigte ihn und das mit Grund. "Hast du dir eigentlich schon einmal richtig darüber Gedanken gemacht?" Nun hörte er sich richtig vorwurfsvoll an. "Wundert es dich gar nicht, wenn du binnen zweier Monate kaum noch etwas sehen kannst und in Gebüsche rennst?" "Ich werde schon nicht blind." Joey biss sich auf die Unterlippe und wandte sich trotzig ab. "Und weil du das hoffst, verdrängst du es einfach." Kaiba nickte sarkastisch und lehnte sich zurück. "Das ist toll! Du hättest gleich zu einem Spezialisten gehen müssen, als es begann." Wieder antwortete Joey nicht. Verbissen starrte er auf die sauberen Pflastersteine. "Soweit ich das richtig verstanden habe, wurde deine Schwester mit einer OP vor dem Erblinden gerettet. Es wurde rechtzeitig gehandelt und du hast dich sehr dafür eingesetzt, dass es geschehen konnte. Warum kümmerst du dich so sehr um andere aber vernachlässigst dich selbst?" Joey murmelte etwas Abstruses. "Serenitys Sehstärke ließ binnen einem halben Jahr nach", brummte er. "Bei mir dauerte es nur zwei Monate, also kann es wohl kaum dasselbe sein." "Erbkrankheiten können bei jedem andere Auswirkungen haben, was nicht bedeuten muss, dass es nicht dasselbe nicht", widersprach Kaiba. "Was tust du, wenn du in den nächsten Wochen blind wirst? Vielleicht schon in den nächsten Tagen? Sagst du dann wieder: 'Bei meiner Schwester hat's länger gedauert, es kann nicht das gleiche sein.'?" "Ich werde nicht blind." "Woher willst du das wissen!" Kaiba knurrte. "Du bist doch so ein Realist, schau der Wahrheit in's Gesicht. Und die Wahrheit ist, dass wir großes Pech haben könnten und vor allem du! Dann wirst du blind und bleibst es vielleicht, weil nicht rechtzeitig Maßnahmen ergriffen wurden! Willst du vielleicht für den Rest deines Lebens blind sein?" Joey blinzelte, atmete tief durch und rieb sich überfordert das Gesicht. Der Gedanke, blind zu sein, jagte ihm Angst ein. "Ja... gut." Er seufzte. "Also was schlägst du vor?" "Wenn es nach mir ginge, würde ich schon heute mit dir nach Domino zurückkehren." Kaiba schnippte die Asche zur Seite. "Sag mal, hast du es eigentlich Charles gesagt?" "Meinem Dad? Nein." "Warum nicht!" Kaiba traute seinen Ohren nicht. "Kannst du mir das mal sagen?!" "Nein, kann ich nicht!" Joey erhob sich. "Ich habe es eben für mich behalten. Außerdem hätte es ja auch besser werden können und dann wären die ganzen Sorgen sinnlos gewesen." "Aber leider ist es nicht besser geworden." "Was ist nicht besser geworden?" Plötzlich erschienen Tristan und Duke, schlendernd hatten sie sich von hinten der Bank genähert. Joey blickte auf, Kaiba drehte sich um. "Ist nicht so wichtig." Joey machte eine abwertende Handgeste. "Na gut...?" Duke zuckte mit den Schultern und warf sich neben Kaiba auf die Bank. Dann wurde er auf dessen Einkäufe aufmerksam und musterte sie überrascht. "Da war aber jemand fleißig." Joey ließ die Hände in die Hosentaschen rutschen und wandte der kleinen Gruppe den Rücken zu. Er hatte keine Lust sich über dieses Thema zu unterhalten, das Eintreffen der Beiden kam ihm sehr gelegen, anders Kaiba, dieser wirkte unzufrieden und nachdenklich. Es dauerte nicht lange, da trafen auch die anderen ein und sie machten sich auf den Rückweg zum Treffpunkt. "Hübsche Kleider gibt es hier!" Glücklich schlenkerte Tea mit einem großen Beutel. "Hm..." Yugi seufzte. "Warum gibt es hier keine japanischen Bücher?", jammerte Bakura. "Das deutsche Essen habe ich immer lieber." Duke rieb sich den Bauch und Tristan stimmte heiter zu. Nur Kaiba und Joey schwiegen. Dann erreichten sie den Bus. Die Hälfte der Klasse war schon da und die Lehrerin war wieder damit beschäftigt, konzentriert durchzuzählen. Sie gesellten sich zu ihnen und ließen sich auf einer Bank nieder. Diese Erkundungstour hatte augenscheinlich jedem gefallen. Es wurde viel gelacht, die Schüler präsentierten stolz über die Einkäufe oder unterhielten sich über jene Gebäude, die besonders schön zu betrachten waren. Joey sah sich suchend um. Waren Daniel und seine Freunde schon da? Da es ihm schwer fiel, die Gesichter der Anwesenden zu erkennen, hatte er Schwierigkeiten. Doch scheinbar waren sie noch nicht da und so hockte er sich neben Kaiba auf die Bank, streckte die Beine von sich und schwieg deprimiert. Die Tatsache, dass er kaum etwas sehen konnte, belastete ihn schon. Und nun, da Kaiba ihn direkt darauf angesprochen hatte, wurde es noch schlimmer. Allmählich kehrten die Schüler zurück und dann stiegen sie ein und suchten sich ihre Plätze. Wieder hielt Joey nervös nach Daniel Ausschau. Wo war er nur? Kurz bevor der Bus anfuhr, trafen die vier Amerikaner dann ein, schoben sich durch den schmalen Gang und warfen sich auf ihre Sitze. Daniel und Morfrey ließen sich vor Kaiba und Joey nieder, es blieb bei einer flüchtigen und trägen Begrüßung. Das wunderte Joey sehr. Scheinbar waren die Vier nicht gut drauf. Als die Fahrt begann, schwiegen sie und Joey ließ sie in Frieden. Sie sahen nicht so aus, als hätten sie Lust auf große Unterhaltungen und so wollte Joey sie nicht belästigen. Wenn er schlechte Laune hatte, wollte er auch nicht, dass man ihn störte. Dennoch suchte er nach ihren Problemen und verdrängte die Sorgen um seine Augen vorerst. Nach zehn Minuten, hörte Joey, wie sich Morfrey an Daniel richtete. "I dont like the way he looks", flüsterte er und lehnte sich zu ihm. "Mm." Daniel nickte langsam. "It seems, he've fever. He's badly off." Morfrey kratzte sich die Stirn und Kaiba blickte auf. "The end is not far off." Es sah aus, als würde sich Daniel nach vorn lehnen. Er sprach leise, seine Stimme schien zu zittern und Morfrey legte tröstend den Arm über seinen Rücken. "We are flat on one's back." Verwirrt sah Joey zu Kaiba, dieser jedoch lauschte konzentriert und verzog die Augenbrauen. "Let's get down to brass tacks. We can't do anything, Ray. This world's cruel." "I have to abide with him, can't back to america." "We too", erwiderte Morfrey und neigte sich zu Daniel vor. "Why do I want to meet him over and over again, if I can't stand his look?" Daniel schüttelte den Kopf, schob die Hände über den Hals und stöhnte leise. Dann richtete er sich auf und warf sich zurück gegen die Lehne. "We have to be strong, Ray. We must stick together." Irritiert öffnete Joey den Mund, doch Kaiba hob die Hand, ohne Worte, er sollte leise sein. So hatte Joey die Amerikaner noch nie erlebt. Somit schwiegen die Beiden wieder und als sie das Camp erreichten, verabschiedeten sie sich mit einem knappen "Bis morgen" und gingen ihrer Wege. Da Yugi, Tea, Tristan, Bakura und Duke ein tolles Gesprächsthema gefunden hatten, fiel es ihnen nicht sonderlich auf, doch Joey wandte sich sofort an Kaiba, nachdem die Amerikaner gegangen waren. "Worum ging es in dem Gespräch?", erkundigte er sich besorgt. "Warum ist Daniel traurig?" "Huh?" Verwundert hob sein brünetter Mitschüler die Augenbrauen. "Wer ist traurig?" "Na, Daniel." Joey musterte ihn eindringlich. "Du hast es doch gehört, oder?" "Was habe ich gehört?", erkundigte sich der junge Mann verwirrt, wurde dann jedoch von Kaiba zur Seite geschoben. Irritiert sah Joey ihm nach. "Kaiba? Wo gehst du denn hi..." "Ich bin hier." Endlich stand der Richtige vor ihm. "Oh." Joey grinste beschämt, zupfte an Kaibas Ärmel und zog ihn zu sich. Dieser sah den vier Amerikanern kurz nach und runzelte nachdenklich die Stirn. "Sie haben über irgendjemanden gesprochen, dem es nicht gut zu gehen scheint", meinte er dann. "Über wen?", erkundigte sich Joey sofort. Kaiba zuckte mit den Schultern. "Sie haben keinen Namen genannt." "Vielleicht haben sie jemanden besucht, der hier wohnt?" "Möglich." "Na ja, den Abend werden wir wohl kaum mit ihnen verbringen können. Essen wir Abendbrot und ziehen uns zurück." "Mm." Auch zu dem Abendessen kamen die Amerikaner nicht und so war es eine recht ruhige Atmosphäre. Der Tag war so anstrengend und spannend gewesen, dass sie alle nun ihre Ruhe brauchten und sich nach ihren Bungalows sehnten. Als Joey und die Anderen in diesen zurückgekehrt waren, veranlassten sie einen Treff im Wohnzimmer. Kaiba hatte es sich auf einem Sofa gemütlich gemacht, Joey lag ausgestreckt neben ihm und hatte den Kopf auf seinem Schoß gebettet. Die anderen saßen auf den Sesseln oder auf deren Lehnen und Duke eröffnete die Verhandlung. "Alsooo." Sagte er und ließ die Beine baumeln, er kauerte auf der Lehne des anderen Sofas. "Ich dachte vielleicht, wir holen uns nachher einen Film und schauen ihn uns an." Tristan, Tea und Bakura waren sofort einverstanden, nur Yugi zögerte mit der Antwort. "Was denn für ein Film?" "Kein Film." Joey stöhnte. Er konnte doch sowieso nichts erkennen. "Kaiba?", erkundigte sich Duke. Der Angesprochene zuckte mit den Schultern, enthielt sich der Stimme. "Okay." Der Schwarzhaarige grinste. "Ich hätte Lust auf einen Horrorfilm." "Nach diesem anstrengenden Tag?" Tea zweifelte. "Ich würde mir lieber einen ruhigen Film anschauen." "Eine Doku wäre schön", murmelte Bakura. Tristan hob die Hand. "Actionfilm!" "Keinen Film!", ertönte es wieder aus Joeys Richtung. "Wie schön, dass wir uns so einig sind", stöhnte Duke überfordert. "Wir können ja erst einmal in die Videothek des Camps gehen", schlug Tristan vor. "Vielleicht haben die hier nur ätzende Filme und wir gehen sowieso leer aus." "Hoffentlich." Joey brummte und drehte sich zur Seite, so dass er Kaibas Bauch vor sich hatte. "Okey dokey!" Duke schwang sich von der Lehne. "Wer kommt mit?" Sofort waren Tristan und Tea auf den Beinen. Yugi blähte die Wangen auf und Bakura spielte mit seinen Haaren. Verwundert wandte sich Tristan an Joey. "Du nicht?" "Nö." Eine Hand wühlte sich frei und winkte ab. "Na schön." Kurz darauf schloss sich die Tür und die drei machten sich auf den Weg. Joey kuschelte sich an Kaiba und schloss die Augen. "Erzählst du mir dann, worum es ging?" Kaiba schüttelte verzweifelt den Kopf. Am nächsten Tag erwartete die Schüler etwas, das etwas unangenehmer war: Eine Tageswanderung! Einmal um den Berg, sehr sinnvoll. Gleich nach dem Frühstück sollte es losgehen. Seit Joey aufgewacht war, litt er wieder unter Kopfschmerzen und wollte am liebsten im Bungalow bleiben, worauf die Veranstalter dieser Tageswanderung es verboten und in einen gandenlosen Streit mit dem brünetten Geschäftsmann gerieten, den dieser nur knapp verlor. "Was soll's", hatte Joey nur gemeint. "So schlimm ist es ja nicht." Bei dem Frühstück war wieder keine Spur von den Amerikanern zu sehen und so fragte sich Joey immer mehr, bei wem es um den gestrigen Gespräch im Bus gegangen war. Ein Mensch, dem es nicht gut ging? Er kam zu keiner Lösung. Nach dem Frühstück zogen sie sich noch einmal kurz in den Bungalow zurück. Sie alle hatten Lunchpakete bekommen, da sie erst am Abend zurückkehren würden. Sie beeilten sich, verließen den Bungalow und fanden sich am Treffpunkt ein, der sich direkt vor dem Tor des Camps befand. Und während die beiden fleißigen Wanderer des Camps wieder irgendeinen Blödsinn vom Stapel ließen, zog Joey einen Haargummi hervor und band sich einen Zopf. Er stand irgendwie leicht schräg dort und war nur mit Blinzeln beschäftigt. Außerdem rollte er öfter mit den Augen oder rieb sie sich. Kaiba war noch immer über die dreisten Regeln des Camps erzürnt und plante bereits die Abreise. Er hielt es hier nur schwerlich aus und Joeys Zustand schien sich in jeder Stunde, die verging, zu verschlechtern. Im Bungalow hatte er sich konzentriert die Treppe hinabgetastet und die Badtüre erst öffnen können, nachdem er nach mehreren Versuchen endlich die Klinge erreicht hatte. Auch er wirkte nun nachdenklich. Dann begann die Wanderung. Noch waren die Schüler bei guter Laune und auch Joeys Clique sah an der Wanderung noch keinen Gräuel. Über einen kleinen Waldweg stiegen sie den Berg hinab und Joey hakte sich bei Kaiba ein, da er Stöcke und Wegunebenheiten übersah. Manchmal verzog sich sein Gesicht unter einem stechenden Kopfschmerz und er rieb sich die Schläfen. Wie gern würde er nun in seinem Bett liegen und sich nicht bewegen, doch die Regeln waren nun einmal Regeln und bevor er sich auf eine weitere Auseinandersetzung einließ, kam er lieber mit. Der Abstieg war weniger Kraft raubend, jedoch von langer Dauer. Erst nach einer Stunde betraten sie wieder ebene Fläche, erreichten eine kleine Lichtung. Noch immer wurde viel geschwatzt und den beiden Reiseleiter auf diesem Weg gezeigt, dass sie keine Pause brauchten. "Thüringen besteht beinahe nur aus Wäldern", erklärte einer der beiden, ein junger Mann mit bequemen Wanderhosen und einem grünen Hut. Yugi und einige andere Schüler lauschten gespannt, während sich Kaiba und Joey am Ende der großen Gruppe hielten. Sie gingen etwas langsamer und schwiegen. Nur manchmal stöhnte Joey leise und bedeckte beide Augen mit der Hand. Die weitere Wanderung verlief über einen etwas breiteten Kiesweg. Umgeben von gesunden Bäumen schlenderten die Schüler einher, besahen sich die Gegend und gaben ihre Meinungen zu diesen und jenen Dingen ab, die sie zu Gesicht bekamen. Nebenbei schienen es die Beiden nicht für nötig zu halten, den Mund zu schließen und die Schüler einfach nur schauen zu lassen. "Das da sind Buchen!" "Das da sind Fichten, seht ihr's? Die gibt's hier nicht so oft!" "Diesen Weg gab's schon lange vor uns!" "Im Sommer besteht hier hohe Waldbrandgefahr!" "Oh, schaut mal da - ein Specht!" Kaiba brummte einen leisen Fluch und starrte düster auf den Weg. Das schlimmste an dieser Wanderung war dieses ständige Geplapper! Joey kümmerte sich nicht darum, hatte andere Sorgen. Die meiste Zeit hielt er die Augen geschlossen und blinzelte nur selten. Die Sonne schien er kaum zu ertragen. Die nächste Stunde verging, ohne dass etwas Außergewöhnliches geschah, nur Kaiba spürte, wie sich Joey immer fester an ihn klammerte. So kam es, dass er öfter stehen blieb und Joey ausruhen ließ. Und wenn der Blonde nicht strikt dagegen gewesen wäre, hätte er schon längst unerlaubt kehrt gemacht und wäre zum Camp zurückgegangen, ohne auf die Konsequenzen zu achten. Wieder hielt er inne und Joey wandte sich stockend zu ihm. Nur langsam bewegte er sich, als er sich unter einen leidenden Stöhnen nach vorn lehnte und die Stirn auf Kaibas Schulter stützte, seine Hand tastete nach dem dünnen Shirt des Brünetten und krallte sich hinein. Kaiba atmete tief durch, hob die Hände und legte sie auf Joeys Nacken. Dieser atmete unnormal schnell, hielt sich das Gesicht und zuckte verkrampft. "Joseph." Kaiba umarmte ihn fester, der Blonde keuchte und schmiegte sich an ihn. "Wir sollten umkehren. Ich veranlasse, dass man uns abholt. So kannst du nicht weitergehen und ich will es nicht verantworten." "Ein Fehler...", brachte Joey mit gedrückter Stimme hervor. "Das war ein... ich hätte dableiben sollen." "Morgen werden wir nach Domino zurückkehren." Kaiba besah sich den blonden Schopf mit verbissener Miene. "Das ist mir zu gefährlich, ich mache mir zu große Sorgen um dich." Somit hielt er Joey fester und blickte auf. Knappe fünfzig Meter weiter vorn, schien die Klasse auf einer wiesigen Wegbreite eine Pause zu machen. "Auu... verdammt..." Joey drehte das Gesicht zur Seite, schmiegte es an Kaibas Hals. "Joey?" Duke löste sich aus der Gruppe und eilte auf sie zu. Er war vorne gegangen, hatte das Dilemma erst jetzt bemerkt. Kurz darauf folgten auch Tristan und Tea. "Hey." Vorsichtig rüttelte Kaiba an ihm. "Schaffst du es bis zu dieser kleinen Lichtung da vorn?" Benommen wühlte sich Joey frei, klammerte sich um Kaibas Oberarm und blinzelte in die Richtung, aus der drei verschwommene Gestalten näher eilten. "Mm." Er nickte matt. "Was ist denn los?" Nun erreichte Duke die Beiden. Besorgt legte er eine Hand auf Joeys Schulter und beugte sich etwas nach vorn, um sein Gesicht sehen zu können. "Was ist mit Joey?" "Er hat Kopfschmerzen", antwortete Kaiba nur. "Hilf mir, ihn zur Lichtung zu bringen." "Klar." Flink griff Duke nach Joeys linkem Handgelenk und zog es sich über die Schulter. Durch diese Bewegungen zischte Joey leise auf, schloss verkrampft die Augen und biss die Zähne zusammen. Vorsichtig hielt Duke seinen Arm und legte den eigenen um Joeys Rücken. "Das sieht mir eher wie eine Migräne aus", meinte er, als er sich das Gesicht des Blonden betrachtete. Schnell trafen auch Tea und Tristan ein. Für sie schien es so, als hätte all das erst heute begonnen. Zuvor hatte Joey es recht gut verbergen können, niemand hatte Verdacht geschöpft. Mit der Hilfe der Drei war es eine Leichtigkeit, den Rest des Weges zu bewältigen. Und als sie die Lichtung erreicht hatten, luden sie Joey vorsichtig an einem Baumstamm ab und lehnten ihn dagegen. Selbst in diesem Schatten öffnete dieser die Augen nicht, verdeckte das Gesicht mit beiden Händen und fluchte gedämpft. Es dauerte nicht lange, da fanden sich auch Yugi und Bakura ein und die Vielzahl der anderen Schüler gaffte. Kaiba kauerte sich vor dem Blonden in das Gras, suchte in seiner Tasche und zog kurz darauf ein Tuch hervor. Unachtsam warf er es neben sich in das Gras und holte auch eine Wasserflasche hervor, die er flink aufschraubte. "Joey... Joey?" Yugi kauerte auf der anderen Seite des Leidenden und tätschelte dessen Schulter. "Was ist mit dir?" Kaiba verdrehte die Augen, hob die Flasche über das im Gras liegende Tuch und durchnässte es. Anschließend drückte er Duke die Flasche in die Hand, wrang das Tuch aus und berührte damit Joeys Stirn. Sofort tastete dieser danach und presste sich den kühlen Stoff auf das Gesicht. "Es reicht", erklärte er, als er die Flasche wieder in seiner Tasche verstaute und Joey flüchtig das Haar von der Stirn strich. "Wir kehren um." "Wenn er wirklich Migräne hat, dann solltet ihr das wirklich tun", pflichtete Duke bei. "Mit so etwas sollte man nicht scherzen." "Mensch." Tristan schüttelte den Kopf. "Das ihm so etwas gerade auf der Klassenfahrt passiert...?" Tea seufzte und Yugi tätschelte weiterhin die Schulter, die sich schnell hob und senkte. Somit blieb Joey still liegen, verrückte nur manchmal das Tuch und stöhnte. "Das sind Findlinge." Die beiden Oberwanderer standen etwa zehn Meter weiter weg und wiesen stolz auf einige große Steine, die dort im Gras lagen. "Wenn man sie sieht, dann wundert man sich. Was machen Steine mitten im Wald?" Sie lachten richtig doof, als wäre das lustig gewesen. "Nun, die Erklärung ist ganz einfach. Diese Steine wurden von gewaltigen Eismassen hertransportiert, die sich vor langer Zeit über dieses Land erstreckten. Dann ist das Eis geschmolzen und..." "Verzeihung!" Plötzlich stand Kaiba bei ihnen und sie unterbrachen ihre humoristische Erläuterung. Der Brünette wies mit einer knappen Kopfbewegung nach hinten. "Falls es Ihnen nicht aufgefallen sein sollte, dort hinten liegt jemand, der Schmerzen hat." Sofort wurden sie ganz Ohr und erspähten den Blonden, der sich nicht regte und von seinen Freunden umstanden wurde. "Haben sich seine Kopfschmerzen nicht gebessert?", erkundigte sich der eine mit einer großen Unverschämtheit, Kaiba gegenüber war er nicht der fröhliche Wandersmann. Mit ihm hatte er sich in den Haaren gehabt. "Sieht's denn so aus?", zischte Kaiba zurück. "Er muss zurück ins Camp und braucht dort einen Arzt." Der ältere Mann hob die Augenbrauen und der Andere machte sich auf den Weg zu Joey. "Wie soll das gehen?", fragte er etwas spitz. "Wollt ihr ihn den weiten Weg zurückbringen?" Kaiba verengte die Augen, hatte große Lust, einen gandenlosen Mord zu begehen. Dann begnügte er sich mit einem drohenden Blick und kehrte zu Joey zurück, der vom den anderen Wanderer gemustert wurde. Mit dem konnte man scheinbar besser reden. "Gibt es hier in der Nähe eine Straße, die zum Camp zurückführt?" Er hockte sich neben ihn, legte die Hand auf Joeys Knie. "Nicht in der Nähe." Der junge Mann schüttelte den Kopf, rückte näher an Joey heran und betastete dessen Stirn. "Es ist ungefähr ein Fußweg von einer viertel Stunde. Ich weiß nicht, ob er das in seinem Zustand schaffen würd..." Doch Kaiba hatte sich schon erhoben. Zielstrebig griff er nach seiner Tasche, zog sein Handy hervor und wandte sich ab. "Was hat er?" Erkundigte sich der junge Mann, nachdem er Kaiba kurz nachgeschaut hatte. Duke zuckte mit den Schultern. "Vermutlich Migräne." "Ah." In diesen Sekunden ließ Joey das Tuch sinken und öffnete den Mund, um tief durchzuatmen. "Ist es besser geworden?", erkundigte sich Yugi sofort und der Blonde nickte matt. Tristan lugte zu Kaiba. Dieser telefonierte mit irgendjemandem. Er diskutierte, gestikulierte mit der Hand und legte nach knapp einer Minute auf. "Sie schicken ein Auto", wandte er sich dann an den jungen Mann. "Erklären Sie mir, wo diese Straße ist und ich bringe ihn hin." "Ich helfe dir", meldete sich Duke sofort und Kaiba nickte. "Hilfe kann ich gebrauchen." "Dann komme ich auch mit", entschied sich Tristan. "Ich möchte auch helfen!", rief Yugi. "Ich kann doch nicht tatenlos herumstehen", seufzte Tea. Bakura kratzte sich am Kopf und Kaiba winkte genervt ab. "Ich brauche nur ein..." "Wegen diesem Zwischenfall wird sicher nicht die halbe Gruppe zurückkehren!" Auf einmal stand auch der andere Wandersmann bei ihnen und schüttelte ergrimmt die Fäuste. "Es reicht, wenn einer mit ihm zurückkehrt!" "Das können Sie nicht machen!", protestierte Tristan. Joey brummte, verzog die Augenbrauen und hob das Tuch zum Gesicht. Das war ihm hier alles zu laut. "Wie stellen Sie sich das vor!" Kaiba schien sich gern auf einen neuen Streit einzulassen. "Ich kann ihn nicht alleine..." "Warum nicht? Sie sind doch so ein starker junger Mann?" "Dieser starke junge Mann wird Ihnen gleich Manieren beibringen!", zischte Kaiba. "Hören Sie doch." Auch Duke erhob sich und trat an den gehässigen Mann heran. "Es ist einfach sicherer, wenn zwei auf ihn aufpassen! Es geht nicht darum, dass wir uns vor der Wanderung drücken wollen! Sie verstehen den Ernst der Lage nicht!" "Ach ja?" "Ja!" "Bitte, bitte." Der junge Wanderer hob nervös die Hände. "Bitte erlauben Sie es." Jammerte Yugi. "Fassen Sie sich ein Herz." Auch Tea mischte sich ein. "Sie sehen doch, wie schlecht es Joey geht!" "Trotzdem genügt nur einer!" "Streiten wir jetzt wegen dieser blöden Sache?!" Duke konnte es nicht fassen. "Au... bitte Leute...", Joey stöhnte gepeinigt. Kaiba drehte sich zu ihm, runzelte die Stirn und packte Duke entschlossen am Arm. "Du kommst mit!" "Okay!" "Hey!" "Beruhige dich doch." Der junge Mann versuchte seinen Partner zu beschwichtigen. "Die Wanderung hat doch so herrlich begonnen." "Ich will das aber nicht!" "Von Ihnen lassen wir uns nichts vorschreiben!" Auch Tristan wandte sich ab und folgte Duke und Kaiba zu Joey. "Ich trage ihn." Kaiba beugte sich zu dem Blonden hinab, schob die Hand unter seinen Nacken und richtete ihn auf. Sie brachten ihn in eine aufrechte Haltung und sogleich zischte Joey auf und wollte in sich zusammen kriechen. "Na komm, mein Junge." Vorsichtig hielt Duke ihn aufrecht und Kaiba wandte sich an Tea. "Gib mir dein Tuch, Gardner." "Ja, natürlich." Sofort band sich die junge Frau den seidigen Stoff vom Hals und reichte ihm dem Brünetten. Dieser nahm Joey kurz das nasse Tuch weg, faltete es und legte es auf seine Augen zurück. Anschließend band er ihm noch das Tuch um den Kopf und befestigte es so. Dann hockte er sich vor ihn und Duke hob Joeys Arme über seine Schultern, lud ihm den Blonden auf den Rücken. Vorsichtig erhob sich Kaiba, zog Joey mit sich und schob beide Hände unter seinen Hintern, um ihn gut halten zu können. Sogleich sackte das Gesicht des Blonden auf Kaibas Schulter, die Arme baumelten kraftlos vor dessen Bauch. "Wo ist diese Straße?" Duke schwang sich die eigene Tasche über die Schulter und griff auch nach denen von Joey und Kaiba. Der junge Mann wandte sich von dem Streithahn ab und wies auf eine Stelle, bei der der Berg begann. Sie war nicht sonderlich steil. "Wenn ihr diese Anhöhe hinaufgeht, trefft ihr bald auf einen Waldweg, dort geht ihr nach rechts und erreicht so die Straße." "Okay." Duke verabschiedete sich mit einer knappen Handgeste von seinen Freunden und ging los. "Keine Bange, wir kümmern uns gut um ihn." "Ja." Tea seufzte und winkte. Sie hörten den älteren Reiseführer noch fluchen, kümmerten sich jedoch nicht darum und steuerten auf die besagte Anhöhe zu. Kaiba hievte Joey kurz höher und blickte sich flüchtig um. "Fünfzehn Minuten, ja?" "Mm." Duke nickte, trat näher an ihn heran und besah sich Joeys Gesicht. Es sah aus, als würde der Blonde schlafen, sein Mund war leicht geöffnet, nur manchmal zuckte seine Miene unter den stechenden Schmerzen. Kaiba konnte seinen schnellen Atem deutlich an seinem Hals spüren, so bemerkte er auch, wenn Joey ihn anhielt und sich verkrampfte. Nach wenigen Minuten erreichten sie die Anhöhe, dort standen wieder Bäume und viele Stöcke und Äste erschwerten den Aufstieg. Vorsichtig setzte Kaiba einen Fuß vor den anderen und tastete, bevor er höher stieg. Er konnte es sich nicht leisten, Halt zu verlieren und zu stürzen. Duke ging vor ihm und setzte ihn von störenden Stöcken in Kenntnis, auch von Stellen, die vom Morgentau noch feucht waren und zum Ausrutschen einluden. Kaiba hatte keine großen Schwierigkeiten, Joey zu tragen, nur sein Zustand bereitete ihm Sorgen, denn während sie stiegen, begann der Blonde wieder zu keuchen und leise zu jammern, die Hände, die im freien baumelten, ballten sich zu schwachen Fäusten. Nach kurzer Zeit erreichten sie den besagten Waldweg und gingen nach rechts. Dies war bei weitem leichter, als Berg zu steigen. Sie mussten nur einen geringen Anstieg bewältigen, erreichten die Straße früher als geplant und wurden dort bereits erwartet. Vorsichtig luden sie Joey in das Auto und fuhren zurück zum Camp. Der Weg war nicht sonderlich holprig und so war Joey meistens leise - die Kopfschmerzen schienen nachgelassen zu haben. Nur Kaiba band kurz das Tuch von seinem Kopf, um das Tuch zu wenden. Das Camp erreichten sie nach einer halben Stunde und wieder lud sich Kaiba den Blonden auf. "Hol einen Arzt", schickte er Duke fort und machte sich selbst auf den Weg zu dem Bungalow. Er ging zügig, wollte Joey endlich hinlegen und ihm Ruhe zukommen lassen. Einige Schüler, die an ihm vorbeizogen, blieben stehen und sahen ihm verwundert nach. Allmählich wurde Joey doch schon etwas schwer, der Weg zum Bungalow erschien länger als sonst. Kaiba blähte die Wangen auf, hievte Joey höher und ging weiter. Hoffentlich konnte der Arzt ihm helfen. Und... hoffentlich gab es in diesem Camp einen ordentlichen. Endlich sah er das Ziel näher kommen, verdrehte die Augen und ließ die letzten Meter hinter sich. Vor der Tür jedoch, hielt er inne und brummte leise. Wie sollte er diese blöde Tür aufschließen, wenn er nebenbei Joey halten musste? "Verdammt.“ Er fluchte leise und beugte sich weit nach vorn, bis Joey wagerecht auf seinem Rücken lag und seine Arme nach unten hingen. Erst dann konnte er die Hände von ihm lösen. Während er flink in seinen Hosentaschen tastete, musste er sich sehr auf die Balance konzentrieren. Sicher wäre es nicht all zu angenehm für Joey, einen Sturzflug zu unternehmen. Er tastete, ertastete den Schlüssel, kam jedoch nicht an ihn heran, ohne sich aufzurichten. Er stöhnte, gab den ersten versuch nach kurzer Zeit auf und schob die Hände wieder nach hinten, um sich aufrichten zu können. Mein Gott, warum war das so umständlich?! Verbissen wandte er sich ab und blickte sich um. Es sah so aus, als bräuchte er Hilfe. Am besten wäre es, wenn Duke mit dem Arzt vorbeikäme. Er rollte mit den Schultern, packte Joey fester... und erspähte jemand anderen. Nachdenklich blieben seine Augen an jenem Punkt hängen, drifteten nur langsam nach rechts. Er wollte Joey hineinbringen, da konnte er sich die Hilfe nicht aussuchen. Er lehnte sich etwas zur Seite, bis Joeys Gesicht wieder sicher an seinem Hals lehnte, dann holte er tief Luft. "Daniel!" In nicht all zu weiter Entfernung blieb der Angesprochene stehen, es sah aus, als wäre er gerade spazieren gegangen, ohne ein Ziel zu verfolgen. Kurz blickte er sich um, nahm die Hände aus den Hosentaschen und erspähte Kaiba. Er beobachtete ihn irritiert, legte den Kopf schief und trat langsam näher. "Beeilung...!", brummte Kaiba leise bei sich und hievte Joey höher. Seine Hände schwitzten, er war kurz davor, abzurutschen. Daniel jedoch, schien den Ernst der Lage schnell zu begreifen. Seine Schritte verschnellerten sich und kurz darauf legte er zwei Finger an die Lippen, drehte sich um und pfiff laut. "Was is los?" Endlich erreichte er Kaiba und musterte Joey überrascht. "Wir müssen ihn hinlegen", erwiderte Kaiba eilig. "Es geht ihm nicht gut, du musst mir helfen." "Klaro." Mit großen Augen wandte sich Daniel ab und Kaiba erspähte die anderen drei Amerikaner, die ebenfalls zu ihm eilten. "Was is...?!" "Nehmt ihn mir ab!" Kaiba drehte sich um und sofort griffen sechs Hände zu. Vorsichtig hoben sie Joey von dem Rücken des jungen Mannes und Morfrey und Eddie fassten ihn sicher und trugen ihn. Kaiba hatte sich sofort der Tür genähert, den Schlüssel hervorgezogen und aufgeschlossen. Flink stieß er die Tür auf, hielt sie kurz offen und eilte durch den Flur, durch das Wohnzimmer zur Treppe. "Bringt ihn in's Schlafzimmer!", rief er, bevor er die Stufen hinauf sprang. Im Schlafraum angekommen, eilte er zu Joeys Bett, griff nach der Bettwäsche und warf sie hinter sich auf den Boden. Auch die Matratze zog er heraus und schob sie zur Mitte des Raumes, um sie dort abzulegen. Dort war Joey besser zu erreichen. Schnell warf er das Kissen auf die Matratze und hörte schon die Schritte im Flur. Kurz darauf betrat Daniel den Raum und hielt die Tür offen. Ihm folgten Eddie und Morfrey, die Joey herein trugen. "Legt ihn hier hin!" Kaiba wies auf die Matratze und die Amerikaner befolgten den Befehl. Joey regte sich nicht, sackte matt auf das weiche Polster. Fürsorglich bettete Morfrey seinen Kopf auf dem Kissen und richtete sich auf. "Was ist mit ihm los?", erkundigte sich Daniel und kauerte sich neben Joey. Kaiba ließ sich auf der anderen Seite nieder, beugte sich über den Blonden und schob die Hand unter seinen Nacken, um den Kopf anzuheben. Mit wenigen Handgriffen lockerte er das Tuch, zog es hervor und hob das Tuch von Joeys Augen. "Sieht wie Migräne aus." Flink erhob er sich mit dem Tuch und verließ den Raum, um das gegenüberliegende Bad aufzusuchen. "Ich verstehe es nicht!", fauchte er verbissen, als er den Raum betrat, gegen den Lichtschalter schlug und zum Waschbecken eilte. "Das kann doch nicht sein!" Eilig stellte er das Wasser an, stellte es kalt und hielt das Tuch hinein. Von drüben hörte er die Stimmen der Amerikaner, die wild durcheinander quasselten. Sie diskutierten über Migräne und die besten Mittel dagegen. Kaiba stöhnte, ließ das Tuch fallen und stützte sich auf das Waschbecken. Erschöpft ließ er auch den Kopf sinken, schüttelte ihn langsam und fluchte bei sich. "Das muss etwas damit zu tun haben...", sagte er leise, während das Wasser rauschte, "... das ist nicht normal." Stille trat ein... die Amerikaner verstummten ihm Nebenraum und Kaiba hob langsam die Hand, stellte das Wasser aus. "Das ist nicht normal", hauchte er erneut, als er nach dem kalten Tuch griff und es auswrang. "Ich..." Plötzlich ertönte ein leiser Schrei und Kaiba zuckte zusammen. Joey schrie! Hastig wandte er sich ab und eilte ihn das Schlafzimmer zurück. Dort wand sich Joey auf der Matratze und gab grausame Laute von sich. "Shit!" Vorsichtig hielt Eddie ihn fest. Joey verdeckte wieder die Augen, seine Zähne bissen verkrampft aufeinander. "Wir brauch'n nen Arzt!" Daniel blickte hektisch zu ihm auf. "Kommt bald." Kaiba warf sich auf die Knie und neigte sich nach vorn. "Nehmt seine Hände weg!" Vorsichtig griffen die Amerikaner nach Joeys Händen und es war ihnen ein Schweres, sie von dessen Gesicht zu entfernen, da sie sich verkrampft darauf pressten. Doch es gelang ihnen und Kaiba legte das kühle Tuch auf seine Augen zurück, wodurch Joey zusammenzuckte. Und bevor er sich winden konnte, legte Kaiba die Hand auf das Tuch und hielt es. Verkrampft öffnete der Blonde den Mund und stieß einen zittrigen Atem aus, doch die Schmerzen schienen dennoch nicht nachzulassen, denn kurz darauf wimmerte er leise und biss wieder die Zähne zusammen. Kaiba blickte sich um. "Wo bleibt dieser verfluchte Arzt?!" "Er hat Schmerzen." Vorsichtig drückte Eddie Joeys Arm auf die Matratze zurück. "Klar hat er", antwortete Daniel. "Hattest du je Migräne?" "Joseph?" Wieder neigte sich Kaiba über ihn. Joey bewegte stumm die Lippen, zischte leise und begann sich zu bewegen. Er wand sich kraftlos unter den Händen, stöhnte und ächzte. "Seto... das tut so... so verflucht weh!", keuchte er kurz darauf. "Der Arzt kommt gleich", erwiderte Kaiba tröstend. "Halt durch, okay?" "Ich...", Joey presste kurz die Lippen aufeinander, "... ich kann nicht mehr... meine Augen...!" Kaiba hob das Tuch etwas an, die Lider waren verkrampft geschlossen, das Gesicht zuckte, wirkte hinzukommend etwas blass und kränklich. Vorsichtig betastete Kaiba seine Stirn mit den Fingerkuppen, strich einige Strähnen zurück. "Wo sitzt der Schmerz, Joseph." "Meine Augen...!" Kaiba stöhnte leise, schüttelte den Kopf und richtete sich auf, wobei er das Tuch zurücklegte. "Verdammt! Warum gerade die Augen!" "Wie meinst'n das?", erkundigte sich Daniel. Kaiba lugte zu ihm, ihre Blicke trafen sich. "Er hat Probleme mit den Augen", antwortete er dann. "Wegen der Migräne?" Daniel hob die Augenbrauen. "Mm." Kaiba wandte sich ab und in diesen Sekunden ertönten endlich schnelle Schritte im Flur und kurz darauf trat Duke in Begleitung eines älteren Mannes den Raum. "Da sind wir!" Kaiba nickte erleichtert und der ältere Mann trat an das spontane Lager heran. Er trug einen dunkelbraunen Arztkoffer mit sich, den er nun abstellte. Bereitwillig machte Daniel ihm Platz und er hockte sich mit professioneller Miene vor den Blonden, der mit offenem Mund keuchte. "Migräne." Ohne Kaiba einen Blick zuzuwerfen, wandte er sich an Joey und nahm ihm das Tuch von den Augen. "Ja." Kaiba nickte. Daraufhin tastete der Arzt kurz das Gesicht des jungen Mannes ab und stellte wenige Fragen an ihn, die Kaiba ins japanische übersetzte und Joey leise und angespannt beantwortete. Die Amerikaner standen um die Matratze herum und verfolgten das Geschehen. Nur Daniel war die meiste Zeit über damit beschäftigt, Kaiba zu beobachten. Nachdenklich musterte er dessen Miene, während der Arzt Joey untersuchte, auch seine Gesten verfolgte er mit Adleraugen. Es dauerte nicht lange, da nickte der Arzt und öffnete seinen Koffer. "Es sieht wirklich nach einer schlimmen Migräne aus", meinte er, während er in dem Koffer suchte. "Ich werde ihm eine Spritze geben, die die Schmerzen lindert und ihn schläfrig macht. Sorgen Sie bitte dafür, dass er sich nicht übermäßig bewegt und das seine Augen verdeckt und gekühlt werden." Kaiba nickte und als der Arzt die Spritze und das Zubehör hervorholte, wirkte auch er nachdenklich. Ruhig stach der Arzt die Spritze in die Ampulle, zog sie auf und setzte anschließend die dünne Nadel auf den Ansatz. Kaiba biss sich auf die Unterlippe und der Arzt entblößte Joeys linken Arm, desinfizierte die Stelle über seinen Andern in der Armbeuge und stach die Nadel hinein. Joey rührte sich nicht, schluckte nur kurz, bevor er weiterhin keuchte. "Doktor", erhob Kaiba die Stimme wieder in der deutschen Sprache. "Es gehört doch nicht zu einer Migräne, dass die Sehfähigkeit rapide abnimmt, oder?" Der Arzt zog die Spritze heraus, presste ein kleines Tuch auf die Stelle und zuckte mit den Schultern. "Etwas, doch. Die Augen werden empfindlicher gegen jede Art von Licht und sind weniger belastbar." "Aha." Kaiba atmete tief durch, blinzelte verbissen und setzte sich zurück. "Dieser verfluchte Typ!" Erschöpft schlenderte Tristan mit den anderen durch die Bungalows. "Er hat den Rest dieser tollen Wanderung wirklich toll gestaltet!" "Herumgejagt hat er uns!" Tea schüttelte empört den Kopf. "Ich bin hundemüde." Endlich hatten sie die schreckliche Tageswanderung hinter sich und schleppten sich durch die Dämmernis zu ihrer Unterkunft. Ihnen allen schmerzten die Beine und niemand wollte etwas anderes, als sich hinzulegen. "Eine Frechheit, dass wir nicht mit Kaiba, Joey und Duke mitgehen durften!" Tristan wischte sich den Schweiß von der Stirn. "Kaiba und Duke haben sich sicher gut um unseren Joey gekümmert." Tea klopfte ihm auf die Schulter. Auf sie ist Verlass und sicher geht es ihm schon besser." "Hoffentlich." "Gott sei dank, da vorn ist es." Yugi seufzte. "Ich mag Tageswanderungen nicht." Unbemerkt verschnellerten die Vier ihre Schritte, kamen ihrem Ziel schnell näher. Die Taschen waren so schwer, die Beine fühlten sich an wie Gummi und all der Schweiß brachte sie fast um. Duschen - Bett! Kurz bevor sie den Bungalow erreichten, wurde Yugi auf etwas aufmerksam, das auf dem Boden lag. Verwundert blieb er stehen, starrte nach unten und ging in die Hocke, die anderen erreichten währenddessen das Ziel und öffneten die Tür. Yugi’s Augen weiteten sich triumphierend, als er nach dem außergewöhnlichen Stein griff und ihn zwischen den Fingern rieb. Na so etwas...? Der war wirklich außergewöhnlich schön! Langsam erhob er sich und betrachtete sich seinen Fund von allen Seiten. Nach wenigen Sekunden wollte er weitergehen. "Yugi!" Ertönte das plötzlich eine bekannte Stimme und der Junge drehte sich überrascht um. In schlendernden Schritten näherte sich ihm Daniel. Auf seinen Lippen - ein liebliches Grinsen. "Mein Lieblingskumpl!" "Hallo." Yugi lächelte begrüßend und verstaute den Stein in seiner Hosentasche. Daniel blieb vor ihm stehen, mit den Händen in den Hosentaschen schunkelte er und grinste weiterhin. Yugi grinste zurück. "Sag ma." Daniel verzog ganz merkwürdig die Miene, legte die Hand auf Yugi’s Schulter und zwang ihn so, ein paar Schritte mit ihm zu gehen. "Hm?" Yugi wartete geduldig und Daniel täuschte ein Grübeln vor. "Yugi, mein Lieber, wie lange kennst'n Joey eigentlich scho?" "Joey?", antwortete Yugi nichts ahnend. "Weiß nicht, vielleicht vier Jahre?" "Vier Jahre, echt?" Daniel hob die Augenbrauen und klopfte Yugi auf die Schulter. "Das is ne lange Zeit, nech?" "Oh ja." Yugi lachte. "Und", Daniel blieb stehen, trat vor Yugi und hockte sich gemütlich in das Gras, "wie lang kennste Kaiba schon?" "Auch vier Jahre", antwortete Yugi guter Laune. "Wir haben uns alle kennen gelernt, als wir auf die Domino-High kamen, weißt du? Wir haben recht schnell zusammengefunden und wurden Freunde." Der Junge strahlte. "Wir sind gute Freunde, Kaiba kam erst später zu uns, aber er war schon immer in meiner Klasse. Na ja und jetzt ist er auch unser Freu..." "Ja, schon gut." Lachend winkte Daniel ab. "Ich mein nur, Freunde sagen sich doch eigentlich alles, hm? Jedes Geheimnis? Und se wissen sicher auch alles über'n anderen." "Wir sagen uns alles, ja." Yugi war stolz. "Wenn man Probleme hat, muss man doch darüber sprechen, sonst werden sie noch schlimmer. Und wenn man Freunde hat, kann man ihnen alles anvertrauen und alle sind dann wieder glück..." Daniel räusperte sich, unterbrach den Jungen somit. "Und Joey sacht dir auch seine Geheimnisse?" "Huh?" Yugi hob die Augenbrauen. "Aber natürlich!" "Das is ja schön." Daniel rieb sich das Kinn und der Junge nickte in begeisterter Zustimmung. "Und Joey und Kaiba? Sind die auch schon seit vier Jahren so dicke miteinander?" "Wie meinst du das...?", erkundigte sich Yugi und kratzte sich an der Stirn. "Na ja." Er fuchtelte lässig der Hand. "Sie sitzen dauernd bei'nander und verschwind'n einfach ma, schott'n sich nen bissl ab, wie mir scheint." "Och nö." Hastig schüttelte der Junge den Kopf, er wurde langsam nervös. "Sie wollen einfach nur Zeit füreinander haben." "Ach?" Als hätte Daniel eine Erkenntnis gewonnen, weitete er die Augen. "Sie wollen Zeit füreinander haben? Das könn'se doch auch, wenn'se bei euch sin." "Na ja." Unentschlossen zuckte Yugi mit den Schultern. "Sie wollen eben auch mal allein sein, das... versteht man doch, oder?" "Klar." Mit großem Verständnis nickte Daniel, das sonnige Grinsen verlor allmählich an Kraft. "Un was machen'se, wenn'se allein sin?" "Äh..." Yugi kratzte sich am Kopf, ein verunsichertes Grinsen zerrte an seinem Mund. Darum hatte er sich nie Gedanken gemacht... eigentlich wollte er das auch gar nicht. "Öhm... sie... sprechen miteinander?" "Und über was?" Begann Daniel unverschämt zu stochern. Nun begann das Verhör und der Halbamerikaner ließ scheinbar jede Freundlichkeit fallen, musterte den Jungen nun scharf. "Weiß ich nicht." Yugi fühlte sich plötzlich alles andere als wohl. "Über Dinge eben." "Haben wohl die selb'n Hobbys", sagte Daniel. "Ja!" Sofort nickte Yugi. "Sie sprechen über ihre Hobbys!" "Und wie lang kennse sich nu scho? Darauf haste noch nich geantwortet." "Warum stellst du all diese Fragen?", erkundigte sich Yugi vorsichtig. "Frag ihn doch selbst, wenn du dich dafür interessierst." "Würd ich gern." Daniel zuckte mit den Schultern und begann mit ernster Miene am Gras zu zupfen. "Leider is er grad nich so ansprechbar, weißte?" "Es geht ihm also nicht gut?" Yugi seufzte. "Nein, tut's nich." Daniel erhob sich stöhnend, klopfte sich die Hose sauber und fuhr sich durch das offene schwarze Haar. Von dem netten jungen Mann war keine Spur zu sehen. Yugi schwieg und Daniel blickte sich kurz um, bevor er sich wieder an ihn wandte. "Und Kaiba kümmert sich rührend um ihn!" Seine Stimme verschärfte sich. "Glaubt ihr, ich bemerk's nich? Ich weiß, wie sich Freunde verhalt'n un die Beiden...!" Er wies mit finstrer Miene auf den Bungalow. "Das sind nich nur Freunde!" Erschrocken öffnete Yugi den Mund, kam jedoch nicht dazu, etwas zu sagen, denn Daniel fuhr fort und sein Ton wurde immer barscher, bis er verächtlich und wütend sprach. "Finds'te so was etwa okay? Ihr seid ja alle sooo verständnisvoll, aber ich sach dir ma was, Yugi!" Seine Augen begannen feindselig zu funkeln, so kannte man Daniel nicht! "Das-is-das-Letzte! Das Allerletzte! Abscheulich, widerwärtig!" Verstört wich Yugi einen Schritt zurück. "Ich veracht' es aufs Schärfste, vertrag'n Gedanke nich!! Sach das meinetwegen den Beiden, ich steh zu meiner Meinung!" Daniel stach mit dem Zeigefinger nach Yugi. "Ich versteh' euch nich, wie könnt ihr so was Abscheuliches gutheiß'n?! Seid ihr total blöd?!" Er schnitt mehrere Grimassen, fuchtelte mit den Händen und wandte sich ruppig ab. "Un ich Idiot hab noch mit denen gesprochen!!" Somit ging er in schnellen Schritten fort und ließ Yugi zurück, der sterbensblass dort stand und ihm verwirrt nachstarrte. Gemütlich hockte Kaiba neben dem Lager, hatte die Beine gekreuzt und das Kinn in die Handfläche gestützt. Tristan, Tea und Bakura waren gerade erst eingetroffen und hatten sich über Joeys Zustand informiert, von Yugi fehlte jede Spur. Dieser Zustand schien sich gebessert zu haben - der Blonde lag still und schien keine Schmerzen mehr zu spüren. Sein Gesicht war entspannt, nur die Lippen bewegten sich hin und wieder stumm. Die Spritze schien gut zu wirken. Kaiba bearbeitete seine Unterlippe vorsichtig mit den Zähnen, er war geistig abwesend, nicht ansprechbar. Hinter ihm lag Bakura im Bett und vertiefte sich in sein Buch. Duke hatte es sich ebenfalls auf seinem Bett gemütlich gemacht und hörte Musik. Tristan schien schon zu schlafen und Tea war unten im Bad. Scheinbar mussten sie sich keine Sorgen mehr um Joey machen. Der Arzt hatte versichert, dass es ihm am morgigen Tag besser gehen würde, außerdem hatte sich Kaiba vorgenommen, morgen den Abbruch der Klassenfahrt zu arrangieren und mit Joey nach Domino zurückzukehren. Diese ernsthafte Planung verstanden sie nicht so recht. Joey hatte nur Migräne und musste sich lediglich etwas ruhig verhalten. Er könnte sich doch auch raus legen und sich sonnen? Alles ganz locker. Die Migräne würde bald nachlassen und dann ginge es ihm wieder gut. Doch wenn Kaiba nach solchen Maßnahmen griff, dann sicher nicht ohne Grund. Nun waren sie jedoch alle müde. Nach nicht allzu langer Zeit öffnete sich die Tür und Yugi trat in den Schlafraum. Kaiba bewegte sich nicht, nur Bakura achtete auf ihn, lächelte und wandte sich wieder seinem Buch zu. Etwas blass um die Nase, schloss Yugi die Tür hinter sich, seine Augen hafteten nachdenklich an dem Brünetten, der reglos dort kauerte. Er wirkte etwas unentschlossen, als langsam näher trat, hinter ihm stehen blieb und die Wangen aufblähte. Er sollte es ihm doch sagen, oder...? Lange stand er dort und hoffte, Kaiba würde ihn ansprechen, doch das tat dieser nicht und selbst fand der Junge keinen Mut dazu. Kaiba würde wütend werden, ganz sicher. Mehrmals öffnete er den Mund und schaffte es letzten Endes zu einem leisen Räuspern, doch Kaiba bewegte sich immer noch nicht und bevor sich Yugi überwinden konnte, kehrte Tea zurück. In einem süßen rosa Schlafanzug trat sie in den Raum, warf Joey einen besorgten Blick zu und streckte sich ausgiebig. Dann schlürfte sie auf ihr Bett zu und kroch unter die Decke. Auch Duke erwachte zum Leben und Yugi wandte sich von Kaiba ab, um zu seinem eigenen Bett zu trotten. Träge zog sich Duke die Kopfhörer aus den Ohren, wälzte sich herum und blinzelte zu Kaiba. "Hey Kaiba, du solltest jetzt auch schlafen." Nur langsam regte sich der Angesprochene. Zuerst blinzelte er nur, schien aus dem Reich der Gedanken zurückzukehren und richtete sich auf. "Schau, Joey tut es auch schon, du musst dir keine Sorgen machen. Leg dich hin und morgen wird es ihm besser gehen." Langsam rieb sich Kaiba die Stirn, fuhr sich durch den Schopf und kam langsam auf die Beine. Stimmt, Joey schien wirklich zu schlafen, friedlich und entspannt. Er musterte ihn lange, bevor er sich auch den Nacken rieb und auf sein Bett zusteuerte. Er durfte sich nicht verrückt machen. Auch Joeys Augen würde es besser gehen und wenn sie morgen wieder in Domino wären, würden sie sich um die Sache kümmern. Er wurde sicher nicht blind... Als Kaiba am nächsten Tag die Augen öffnete, erwachte sogleich die Angst in ihm, etwas verpasst zu haben. Bevor er richtig wach wurde, drehte er sich von der Wand fort und richtete sich auf. Duke kauerte bereits auf seinem Bett, ebenso Tristan. Yugi und Tea waren nicht da und Bakura war der einzige, der noch schlief. Doch Kaibas Blick richtete sich erst einmal auf Joey. Gut... auch er schien noch zu schlafen. Er musterte ihn etwas länger, um sich sicher zu sein, dann ließ er sich in sein Kissen zurückfallen und blickte sich etwas im Raum um. "Schläft wie ein Baby." Duke grinste und wies auf den Blonden. "Hat keinen Mucks von sich gegeben." "Wir haben das Tuch noch einmal nass gemacht", fügte Tristan hinzu. "Nicht einmal da hat er sich gerührt." Kaiba brummte anerkennend und Duke schob sich von seinem Bett und blieb neben Joey stehen. Das Tuch lag auf dessen Augen, an der Haltung hatte sich nichts geändert. Er lag gemütlich auf dem Rücken, bis zur Brust unter der wärmenden Decke. "Willst du wirklich mit ihm zurück nach Domino?" Endlich äußerte Duke seine Zweifel. "Ich denke, das es ihm wirklich besser geh..." "Nachher werde ich es in die Wege leiten", erwiderte Kaiba nuschelnd und schloss die Augen. Duke hob die Augenbrauen, wechselte einen flüchtigen Blick mit Tristan und schlenderte schulterzuckend zur Tür. "Wird schon richtig sein." Er griff nach der Klinke. "Vielleicht ist es ja wirklich besser, wenn er wieder in seiner vertrauten Gegend ist. Da kann man sich doch gleich viel besser erholen." "Ja." Tristan stimmte zu und Kaiba verkroch sich unter der Decke. Der gestrige Tag hatte ihn angestrengt - er war noch müde. "Wie spät ist es?", erkundigte sich Kaiba nachdem Duke den Raum verlassen hatte. "Kurz vor neun", antwortete Tristan. "Bald gibt es Frühstück." "Mm." Wenn er noch heute in Domino sein wollte, dann musste er langsam mit der Planung beginnen. Mit einem Jet der KC würde die Rückreise nicht all zu lange dauern. Langsam schob er also die Decke zur Seite, kam auf die Beine und steuerte auf seine Reisetasche zu. Nach einem weiteren kurzen Blick zu dem schlafenden Joey, hockte er sich auf den Boden, kratzte sich am Hals und zog seinen Laptop hervor. Tristan verfolgte gespannt, wie er auf dem Schoß ablegte, ihn aufklappte und hochfuhr. Das ging sehr schnell von statten und kurz darauf schrieb Kaiba scheinbar eine Mail. Er tippte schnell, schrieb nicht viel und schickte sie ab. Anschließend saß er kurz reglos vor dem Laptop, lehnte sich dann zur Seite und zog sein Handy aus seiner Reisetasche. Nur kurz hielt er es in der Hand, dann meldete es sich und er klappte es auf. Flink hob er es zum Uhr und begann nebenbei schon wieder zu tippen. "Pikotto." Er ging ins Netz und suchte dort nach etwas. "Joseph und ich werden noch heute nach Domino zurückkehren... nein, das erzähle ich dir später, es gab nun einmal einige Probleme. Jedenfalls...", er knabberte auf seiner Unterlippe, Tristan hob beeindruckt die Augenbrauen. Dieses 'in die Wege leiten' ging ja sehr schnell vonstatten. "Ich will, dass sechzehn Uhr ein Jet für uns auf dem Flughafen in Halle wartet, und zwar der schnellste, den wir haben, verstanden? Ja, genau der. Ich werde vermutlich ein Reisetaxi bestellen müssen, um dorthin zu gelangen, den Leiter des Camps werde ich kaum dazu bewegen können, uns zu bringen. Ähm... bis wir gegen... zweiundzwanzig Uhr in Domino ankommen, will ich, dass ein Platz für Joseph im Krankenhaus am Nusashi-Platz frei ist. Setz dich mit Doktor Johnson in Verbindung." "Krankenhaus?" Überrascht richtete sich Tristan auf. Er traute seinen Ohren nicht! "Und bis morgen brauche ich eine Liste der besten Augenspezialisten. Nein... später Pikotto, wir haben jetzt keine Zeit, kümmere dich einfach darum, ja? Sechzehn Uhr, genau, wir versuchen pünktlich zu sein. Trommle die Besten zusammen, es ist mir verdammt wichtig mit dieser Sache, ja... ja, natürlich. Also, dann, bis heute Nacht." Somit legte er auf, legte das Handy bei Seite und wandte sich seinem Laptop zu. Tristan kam auf die Beine. "Warum muss Joey in ein Krankenhaus?", erkundigte er sich irritiert, Kaiba winkte ab. "Keine Zeit. Ich weiß schon, was ich mache." "Ja, aber... hey, wenn es da etwas Ernstes gibt, dann haben wir das Recht, es zu erfahren!" Kaiba reagierte nicht und tippte weiter. "Warum muss er ins Krankenhaus!", stocherte Tristan weiter und trat näher. "Sag schon, Kaiba. Das ist nicht lustig!" "Find ich auch und wenn du mich jetzt von meinen Vorbereitungen abhältst, dann geht es vielleicht schief und wir stehen dumm da. Also stör mich nicht, wirst schon noch erfahren, worum es geht." Nun begann sich Bakura in seinem Bett zu räkeln. "Kaiba!" Tristan blieb neben ihm stehen und warf einen irritierten Blick zu Joey. "Ist es mehr als eine Migräne? Wozu braucht er einen Augenspezialisten?" >Ich mache mir soviel Sorgen, dass es für euch alle reicht!< Kaiba tippte weiter. >Ganz sicher werde ich euch nicht auch noch damit belasten! Es reicht, wenn die Klassenfahrt für uns beide verloren ist!< "Kaiba!" Tristan verschränkte die Arme vor der Brust. "Ich warte!" "Migräne greift die Augen an", murmelte Kaiba endlich. "Jetzt bleib auf dem Boden, ich will nur sichergehen." "Ach!" Tristan kaufte es ihm nicht ab. "Und dazu brauchst du den besten Augenspezialisten?" "Ich will sicher gehen", wiederholte Kaiba mit geschauspielerter Geduld. "Das glaube ich dir nicht! Hier geht es doch um etwas anderes, oder? Ich finde es mies, dass du uns das vorenthältst!" In dieser Sekunde öffnete sich die Tür und Duke, Tea und Yugi traten ein. "Duke", wandte sich Kaiba klug an den Schwarzhaarigen. "Ich möchte, dass Joseph in einem Krankenhaus untersucht wird, mehr nicht. Könntest du Taylor mal in die Realität zurückholen? Er macht ein Theater daraus." Duke trat näher. "Krankenhaus?" "Ja und um Migräne genau behandeln zu können, braucht man unter anderem einen Augenspezialisten." Duke nickte zustimmend. "Taylor meint natürlich, dass mehr dahinter steckt." Somit wandte sich Kaiba seelenruhig seinem Laptop zu und tippte weiter. "Hm?" "Ist es nicht etwas übertrieben, dass er Joey nur wegen der Migräne nach Domino zurückbringen will?" Tristan gab sich nicht geschlagen. "Tristan." Ohne dass Duke es bemerkte, deckte er Kaibas Pläne und dieser war zufrieden. "Joey wird sich besser erholen können, wenn er zu Hause ist, das verstehe ich schon." "Ja, da hat Kaiba recht." Tea spielte auch mit. Yugi schwieg. "Komm schon." Duke schlug Tristan kameradschaftlich gegen die Schulter. "Gehen wir Frühstücken? Komm, Baku. Aus den Federn!" "Ja, aber..." Verwirrt sah sich Tristan um und Bakura kämpfte sich aus dem Bett. "Man, bin ich hungrig." Duke war schon wieder an der Tür und verließ den Raum. Yugi folgte ihm und Bakura stülpte sich schläfrig ein Shirt über. "Ich bleibe hier", erklärte Kaiba in den Laptop vertieft. "Okay." Auch Tea wandte sich ab, fasste Tristan am Arm und zog ihn mit sich. "Komm schon, es ist alles in Ordnung." "Nein, ich denke wirklich, dass..." Draußen im Flur verstummte er. Kaiba hielt inne und wartete, bis Bakura in eine Hose geschlüpft war und ebenfalls aus dem Raum schlürfte. Dann richtete er sich auf, fuhr sich durch den Schopf und kam langsam auf die Beine. In schlendernden Schritten näherte er sich Joey, kauerte sich neben ihm auf die Matratze und schlang die Arme um die Knie. So wie der junge Mann dort lag, schien es, als sei wirklich alles in Ordnung. Doch... das war es nicht, ganz sicher. Kaiba blieb sitzen und betrachtete sich das blasse Gesicht, das Tuch, das seit langem über den geschlossenen Augen lag. Diese Augen... was war nur mir diesen Augen los! Kaiba stand unter Zeitdruck, musste schnell handeln, nun, da Joey nicht mehr so recht dazu imstande war. Außerdem glaubte Kaiba auch nicht, das es ihm plötzlich besser ging, dazu hatte er am vorigen Tag zu große Schmerzen gehabt. Er musste etwas unternehmen, bevor etwas Schlimmes, etwas unbeschreiblich Grausames geschehen konnte. Wenn wirklich die Gefahr bestand, das Joey erblindete, so musste er es unbedingt verhindern! Wie würde sich Joey, der freiheitsliebende Rebell nur fühlen, wenn ihn Dunkelheit umgab, wenn seine Augen all ihre Fähigkeiten verlieren würden? Kaiba ließ den Kopf sinken und stützte ihn auf die Knie. Daran wollte er nicht denken, das durfte nicht passieren! Er atmete tief ein, richtete sich auf und beugte sich etwas nach vorn, um die Hand nach Joey auszustrecken. Vorsichtig berührte er die Wange - sie fühlte sich normal an, nicht unnormal kühl oder warm. Langsam strich er tiefer zu den Lippen, die entspannt geschlossen waren. Und mit jeder Sekunde, die er dort saß, fühlte er sich merkwürdiger. Er wusste dieses Gefühl nicht zu definieren, nicht damit umzugehen. Es machte ihm nur Angst und so zog er flink an seinen Laptop zurück um nach Reisetaxis zu suchen, die in dieser Gegend ihren Dienst anboten. Es dauerte nicht all zu lange, da kehrten die anderen zurück. Viel Zeit blieb ihnen jedoch nicht, denn am heutigen Tag würden sie erneut hinunterfahren und einen alten Steinbruch besichtigen. Darauf waren alle sehr neugierig und niemand kam auf den Gedanke, sich davor zu drücken und hier zu bleiben. Joey ging es sicher besser, Kaiba war da. Was sollte da schief gehen? Auch Kaiba meinte, das sie ruhig fahren sollten, er wollte in Ruhe planen, niemandem Rede und Antwort stehen. "Kommst du auch wirklich klar?", erkundigte sich Duke noch, bevor er als Letztes den Raum verließ. Kaiba nickte nur, er war sonderlich still und angespannt, hatte Probleme, diese Tatsachen zu verbergen. Somit verließ die heitere Gruppe den Bungalow. Sie gingen, ohne etwas zu befürchten... Sie gingen. Durch das leicht geöffnete Fenster hörte Kaiba noch ihre Stimmen. Noch immer saß er vor seinem Laptop und wurde kurz darauf fündig. Er hatte verdammt lange suchen müssen, bevor er endlich eine brauchbare Telefonnummer erhielt und sie sich notierte. Anschließend vergeudete er keine Zeit. Er suchte kurz in Joeys Tasche, fand dessen Handy und schrieb sich auch aus dem Telefonbuch eine Telefonnummer ab. Zu diesem Zeitpunkt schlief Joey noch immer und Kaiba blieb lange vor seinem Bett stehen, bevor er zum nächsten Schritt seiner Planung kam. Scheinbar schlief Joey sehr tief, vermutlich dauerte die Wirkung der gestrigen Spritze immer noch an. Verunsichert stöhnte Kaiba und sah sich flüchtig um. Er musste kurz den Bungalow verlassen um mit den Leitern des Camps zu sprechen. Er müsste Joey unbeaufsichtigt lassen. Würde er wirklich weiterschlafen? Nun bräuchte er doch Hilfe, die Hilfe eines weiteren, der auf Joey aufpasste. Er wusste nicht, ob er es wirklich wagen, ihn allein lassen sollte. Nach angestrengtem Grübeln entschloss er sich, den Arzt noch einmal vorbeizuschicken. Während er die letzten Vorbereitungen traf, könnte ja dieser auf ihn aufpassen, dann wäre Joey nicht länger als fünf oder zehn Minuten allein. "Ach verdammt." Überfordert rieb er sich die Augen und verdrehte sie. Hatte er denn eine andere Wahl? Bevor er sich auf den Weg machte, hockte er sich erneut zu Joey, streichelte über seine Wange und fuhr mit den Fingern durch das blonde Haar. "Bis gleich." Somit verließ er den Bungalow, schloss die Tür hinter sich und steuerte in eiligen Schritten auf das weiße Gebäude zu. Sobald er sein Ziel erreichte, suchte er das Büro des Chefs auf. Eigentlich wollte er sich dort nur nach dem Zimmer des Arztes erkundigen, doch der Leiter des Camps, ein korpulenter ernster Mann, wollte die Hintergründe erfahren. Und Kaiba wollte sie ihm erst mitteilen, nachdem er den Arzt zu Joey geschickt hatte. So entstand ein kurzer impulsiver Wortwechsel und wenige Minuten später verließ Kaiba das Büro und fand den Arzt im obersten Stock. Als er das Arztzimmer betrat, hockte der ältere Mann vor einem Mädel und verband diesem das Handgelenk. Als er den weiteren Gast bemerkte, blickte er auf. "Sie? Was wünschen Sie?" "Nun, ich wollte Sie bitten, noch einmal nach meinem Freund zu schauen." Kaiba gestikulierte mit seinem Handy. "Ich habe mich gerade um andere wichtige Dinge zu kümmern und würde es sehr begrüßen, wenn Sie ihn noch einmal untersuchen. Die anderen Mitbewohner sind auf dem Ausflug und ich möchte ihn nur ungern über längere Zeit allein lassen." "Ich kann zu ihm gehen." Der Arzt nickte bereitwillig, schnitt die Binde ab und befestigte sie mit einem Klebeband. "Doch Sie müssen sich noch etwas gedulden, ich habe noch etwas zu tu..." "Wann." Unterbrach Kaiba ihn. Das Mädel nickte dankbar, erhob sich von dem Stuhl und ging hinaus. "In zehn Minuten?" Kaiba grübelte kurz, dann nickte er und trat in den Flur zurück. "In zehn Minuten, ich verlasse mich auf Sie." Der Mann nickte und Kaiba schloss die Tür, um sich wiederum auf den Weg zu jenem Büro zu machen. Hoffentlich wurde es nicht all zu schwer, dessen Einverständnis einzuholen. Als er wieder dem Mann gegenüberstand, wollte er unter keinen Umständen Zeit vergeuden und kam sofort zum wesentlichen. Er übertrieb etwas, verschlimmerte Joeys Zustand und war der festen Überzeugung, dass er sofort ärztliche Hilfe bräuchte. Und das in Domino, nirgendwo sonst. So entstand eine Unterhaltung, auf die sich Kaiba nur ungern einließ. Während der Mann sprach und sprach, warf er immer wieder Blicke auf die Uhr und trieb den Leiter zur Eile an. Dieser meinte, es bräuchte die Erlaubnis des Erziehungsberechtigten und so zückte Kaiba sein Handy und rief einfach Herrn Wheeler an. Ganz direkt, ganz unkompliziert. Zu ihm meinte er, das es Joey nicht gut ging und eben das, was ihm auf dem Herzen lag. Herr Wheeler war verwundert, gab jedoch seine Erlaubnis, nachdem Kaiba ihn von seinen Vorbereitungen informiert hatte. Kaiba besaß Herr Wheelers Vertrauen, die Rückreise würde gelingen und reibungslos verlaufen. Somit war der vorerst letzte und wichtigste Schritt getan und Kaiba spürte eine große Erleichterung in sich, nun, da ihm nichts mehr im Wege stand. Binnen fünfzehn Minuten hatte er erreicht, worauf er aus gewesen war. Er fühlte sich besser, als der Leiter seine eigene Erlaubnis schriftlich erteilte und die von Herrn Wheeler bestätigte. Wieder lugte er zu der Uhr. Nun müsste der Arzt schon bei Joey sein. Sicher hatte er Wort gehalten. Nun könnte er sich eigentlich auch auf den Rückweg zum Bungalow machen, doch er blieb sitzen, dachte kurz nach und bat darum, das Telefon benutzen zu dürfen. Der Mann nickte, griff nach seiner leeren Kaffeetasse und verließ das Büro. Kaiba hatte den kleinen Zettel hervorgezogen, auf dem er sich die Telefonnummer notiert hatte. Flink griff er nun nach dem Hörer und wählte die Nummer, inklusive der Vorwahl für Japan. Der Mann würde sich sicher über die Telefonrechnung freuen. Es dauerte nicht lange, bis die Verbindung aufgestellt war und das leise Tuten ertönte. Kaiba lehnte sich zurück, leckte sich die Lippen und atmete tief durch. Er musste sich etwas entspannen - es brachte nichts, wenn er sich verrückt machte, denn noch hatte er genügend Zeit. Es dauerte nicht lange, bis sich eine weibliche Stimme meldete. "Ja, Hallo?" "Guten Abend, Frau Wheeler. Mein Name ist Kaiba. Dürfte ich kurz mit Serenity sprechen?" Eine kurze zögerliche Stille, dann die nette Antwort. "Natürlich, warten Sie kurz." Kaiba hörte Geräusche. Der Hörer wurde abgelegt, Schritte. Sie wurden leiser, dann lauter, der Hörer wurde angehoben. "Hallo?" "Serenity?" "Ja? Kaiba? Seit wann rufen Sie mich an?" "Tut mir leid, dass ich zu dieser späten Stunde noch störe, aber ich würde dir gern einige Fragen stellen." "Fragen?" Serenity wunderte sich doch sehr. "Es geht um dein früheres Augenproblem." "Ach?" "Es ist sehr wichtig für mich, verstehst du?" "Warum interessiert Sie das? Ist etwas passiert?" Serenity hustete leise, im Hintergrund schepperte Geschirr. "Nein", beschwichtigte Kaiba sie. "Ich habe nicht viel Zeit, brauche die Antworten schnell." "Ähm... na gut...?" "Also." Kaiba grübelte kurz. "Ich habe gehört, es dauerte ein halbes Jahr, bevor deine Sehstärke nachließ?" "Ja." "Hast du mitunter auch unter migräneartigen Schmerzen gelitten?" Eine kurze Stille, genau bei der Frage, deren Antwort Kaiba am meisten bedeutete. Ein leiser Takt erhob sich in Joeys Kopf, ein dumpfes Geräusch, weit entfernt. Schritte... Sie führten von ihm weg. Er fühlte sich, als erwache er aus einem langen Schlaf, als tauche er aus der unendlichen finsteren Tiefe des Meeres auf, dem Licht der Oberfläche entgegen. Herrliche Wärme durchflutete seinen ganzen Körper, schoss bis in jede kleinste Zelle seiner Haut. Noch fühlte er sich, als sei ein Stoff fest um ihn geschlungen, der ihn an Bewegungen hinderte und ihm das Gefühl gab, noch immer zu schlafen, dennoch gelang ihm ein tiefer, befreiender Atemzug. Er regte sich nicht, nur kurz zuckten seine Lider unter dem kühlen Tuch. Er spürte keine Schmerzen, nichts, das unangenehm war. Diese Wärme - er wollte sie genießen, auskosten, bis es nicht mehr möglich war. Er glaubte zu träumen. Joey fühlte sich so gut, stark, gesund, körperlich wie auch psychisch. Das Tuch zog sich geschmeidig enger, er driftete wieder ab. Keine Qualen, keine Gedanken, keine Ängste... Er genoss die Stille, die ihn umgab, die ihn beruhigte und sogleich einen gewissen Schutz darstellte, eine Geborgenheit. Die Geräusche, die Schritte... verstummt. Sein Kopf... klar und bei bester Gesundheit. Langsam begannen sich seine Finger unter der Decke zu bewegen, gemächlich über das weiche Laken zu tasten. Ein leises Brummen entrann seinem Hals. Er hatte wieder Kraft in den Armen, nicht so wie gestern, wo all seine Kräfte ihn im Stich gelassen hatten. Er wollte es ausnutzen, auch die andere Hand begann sich zu regen und nach einem langen Weg über Bauch und Brust, tauchten sie unter der Decke auf und schoben sich höher, bis sich die Arme bis zu den Ellbogen befreit hatte. Nun öffneten sich die Lippen einen Spalt weit, wieder ein tiefer Atemzug - der Dämon des Schmerzes hatte von ihm gelassen. Abwesend und nebenbei bekam er das Tuch zu fassen, zog es sich vom Gesicht und ließ es fallen. Er hatte merkwürdige Dinge geträumt, ein mattes Lächeln zog an seinem Mundwinkel. Er hatte auf einer herrlicher Steppe gestanden, überall waren Grashüpfer, Eichhörnchen und Hunde umher gesprungen. Und eine Mücke hatte ihm gestochen. Wieder brummte er, streckte die Arme weit von sich und winkelte die Beine an. Wieder begannen seine blassen Lider zu zucken... Und dann hoben sie sich etwas. Schläfrig kamen die Pupillen zum Vorschein, langsam drifteten sie nach rechts und nach links, bevor sich die Lider wieder schlossen. Das Tuch. Joey löste eine Hand vom Boden, führte sie träge zum Gesicht und tastete. Da war kein Tuch! Als die Fingerkuppen das Nasenbein berührten, hielten sie in jeglicher Bewegung inne. Joey regte sich nicht. Moment! Erst nach einer langen Zeit tastete er weiter. Lag das Tuch nicht über seinen Augen? Er tastete schneller, die Bewegungen wurden hektischer und nach wenigen Sekunden der erfolglosen Suche, öffnete der junge Mann die Augen erneut. Zögerlich hoben sich die Lider, ängstlich blickten die Pupillen durch die Lücken zwischen den Fingern. Sie richteten sich geradeaus, angestrengt verzogen sich die Augenbrauen, er blinzelte, die Pupillen wanderten nach rechts... die Augen weiteten sich. Stockend hob er die Hand, bewegte sie hektisch von einer Seite zur anderen. Die Pupillen folgten ihr nicht, schweiften verirrt durch die Gegend. Die Hand wurde langsamer, bis sie reglos verblieb, ebenso reglos wie die Pupillen in den geweiteten Augen. Joey konnte sich nicht bewegen, stocksteif lag er dort und starrte auf einen nicht existierenden Punkt an der Decke. Sein Mund stand offen, der einst so ruhige Atem verschnellerte sich, begann nach wenigen Sekunden zu rasen, ein schmerzhaftes Zucken fuhr durch den jungen Körper. Und mit einem lauten Aufschrei fuhr Joey in die Höhe. Seine Hände tasteten, fanden die Decke und krallten sich in ihr fest. Panisch starrte er geradeaus, holte Luft und schrie erneut. Er konnte nichts sehen!! Er schrie solang, bis seine Lungen streikten. Hustend neigte er sich nach vorn und rang nach Atem. Heftig blinzelte er, seine Hände suchten nach den Augen, rieben sie. Doch als er sie erneut öffnete, erblickte er wieder nichts als endlose Schwärze. "Nein..." Zitternd glitten seine Hände über sein Gesicht. Er drehte sich nach links, drehte sich nach rechts, keuchte entsetzt und schüttelte den Kopf. "Nein!" Fahrig grabschte er nach der Decke, zerrte sie zur Seite und sprang auf. Zuerst gaben seine Knie nach, er strauchelte nach vorn, streckte die Arme von sich und tat einige hastige Schritte. In seiner Panik stieß er gegen eines der Betten und wich sofort zurück. "Nein!!" Aufgelöst verdeckte er die Augen mit der rechten Hand, wankte zurück und streckte die linke Hand zur Seite. Dort ertastete er festes Holz. Er japste auf, ließ die Hand sinken und starrte mit großen Augen um sich. Nebenbei begann seine Hand weiterhin zu tasten. Orientierungslos flüchtete sie sich über die derben Strukturen, erreichte plötzlich eine Klinke und schlug sich um sie. Hastig drückte er sie hinab, riss die Tür auf und schwankte in den Flur. Dort ertastete er die Wand, zu beiden Seiten konnte er sie fühlen. Mit bebendem Herzen ging er vorwärts, seine Fingerkuppen wanderten über das saubere Laminat, unsicher setzte sich ein Fuß vor den anderen. "Seto...?" Nun ließ ihn seine Stimme im Stich, nur zitternd und gebrochen kam sie über seine Lippen. "Seto?!" Er näherte sich der Treppe, bald setzte sich sein Fuß ins Leere und bevor er sich versah, rutschte er nach vorn. Er schlitterte über die spitze Kante, bekam das Geländer zu fassen und krallte sich daran fest. Der Schreck steckte ihm in Mark und Bein und so verblieb er kurz reglos. Erst nach einigen Sekunden begann er sich auf den Stufen zu räkeln, ein leises Wimmern drang aus seinem Hals, als er die Beine anzog, nach sicherem Halt tastete und sich benommen aufrichtete. "Verdammt!!" Er presste das Gesicht gegen seinen Arm und lehnte sich gegen das massive Geländer. Was sollte er tun?! Aufgeregt biss er die Zähne zusammen, atmete tief ein. "Seto!!" Keine Antwort, die Stille, die er soeben noch genossen hatte, wirkte nun gnadenlos und kalt - Joey fühlte sich ausgeliefert. Keuchend und schnaufend kämpfte er sich wieder in eine aufrechte Haltung, beugte sich zögerlich hinab und tastete mit der linken Hand nach der nächst unteren Stufe, während sich die andere um das Geländer klammerte. Er ertastete sie, begann die Beine zu bewegen und schob sich auf den Knien hinab. Vorsichtig, Stufe um Stufe. Bald darauf ertastete er unter sich das Laminat des Bodens. Er war im Wohnzimmer! Von hier aus war es kein schwerer Weg nach draußen. Hektisch schob er sich nach rechts, streckte die Hände nach der Wand aus und schob sich vorsichtig an ihr hinauf. Dann tastete er sich an ihr entlang, strauchelte auch an der Badtüre vorbei und erreichte die Ausgangstür. Zittrig suchten seine Hände nach der Klinke und fanden sie. Langsam öffnete sich die Tür und Joey schob sich zögerlich ins Freie. Seine Pupillen drifteten aufgeregt durch die Gegend, sein Mund stieß keuchenden Atem aus. Schlürfend entfernte er sich von der Tür, seine Hand löste sich von ihr, streckte sich wie die andere auch, nach vorn. So ließ er allmählich die tiefe Terrasse hinter sich, unsicher setzten sich seine nackten Füße auf den warmen Boden und dort blieb er stehen. "Seto?!" Er drehte sich. Nicht nur die japanischen Schüler waren neugierig auf den Steinbruch gewesen und hatten infolgedessen an der Fahrt teilgenommen. Nein, es hatte mehrere Interessenten gegeben und nur wenige waren im Camp geblieben, hatten es sich vor dem Fernseher gemütlich gemacht, oder tobten, laut schreiend, auf dem Basketballplatz. Joey hörte ihre Rufe aus weiter Entfernung, doch kein einziger Schüler war zu sehen. Erneut drehte sich der Blonde um die eigene Achse, erneut schrie er, laut, lauter, bis er nicht mehr konnte. Wo war Kaiba?! Erschöpft keuchend, fuhr er sich über das Gesicht, blinzelte und schluckte schwer. Wo war er nur?! Und wenn nicht er, irgendjemand musste ihn doch sehen, ihm helfen!! Nach einem ängstlichen Zögern hob er erneut die Arme, biss die Zähne zusammen und ging zögerlich vorwärts. Er ging einfach in die Richtung, die ihm recht erschien, er wollte nicht nachdenken, wollte nur jemanden finden! Und er wählte die Falsche... Das Geschirr schepperte, wieder hustete Serenity, sie hörte sich etwas heiser an, war vermutlich erkältet. "Solche Schmerzen schon", meinte sie dann. "Na ja, jedenfalls dachten alle, es wäre eine Migräne, weil die Symptome genau übereinstimmten. Aber es war keine, es war nur die letzte Stufe vor dem Erblinden. Die Augen waren irgendwie... nun ja, es gingen ihnen eben nicht gut, ich bin kein Experte. Dadurch kam es zu den Kopfschmerzen und..." "... auf diese Schmerzen folgt das unmissverständliche Erblinden", unterbrach Kaiba sie verbissen. "Genau." Serenity räusperte sich. "Sagen Sie mir jetzt, weshalb Sie das wissen wo..." "Nein, später." Kaiba richtete sich auf. "Danke, du hast mir sehr geholfen. Auf Wiedersehen." Somit legte er auf, nun, vielmehr rammte er den Hörer auf das Telefon zurück, grabschte nach dem Zettel und erhob sich schnell. In schnellen Schritten verließ er das Gebäude und kehrte zu dem Bungalow zurück. Wenn es stimmt, was Serenity sagte, und warum sollte es nicht stimmen, dann hatte er keine seiner Vorbereitungen zu bedauern. Er würde die Sachen packen, sofort ein Taxi rufen und sich mit Joey auf den Weg machen! Als er die Hälfte des Weges hinter sich gelassen hatte, erspähte er den Arzt, der auf ihn zukam. Und mit dessen Anblick fühlte er sich etwas erleichterter. Er ging weiter, dann hob der ältere Mann die Arme und schüttelte aufgeregt den Kopf. "Er ist nicht da!", rief er, als sie sich beinahe erreichten. "Der Bungalow ist leer, die Türen stehen offen!" "Wie bitte?!" Ein eiskalter Schauer jagte durch Kaibas Körper. Er ging schneller und eilte an dem Arzt vorbei, dieser folgte ihm. "Wie kann das sein?!" "Ich weiß es nicht!" Der Arzt war nicht weniger perplex als Kaiba. "Zur abgesprochenen Zeit war ich da, doch ich habe niemanden vorgefunden." Nun erreichten sie ihr Ziel, Kaiba riss die Tür auf und stürmte in das Wohnzimmer. "Joseph!" "Er ist nicht hier." Entrüstet rieb sich der Arzt die Stirn und der Brünette fuhr zu ihm herum. "Haben Sie wirklich überall nachgesehen?!" "Ja, doch... natürlich!" "Verflucht...!" Kaiba drehte sich um die eigene Achse, keuchte entsetzt und rieb sich den Mund. Kurz blieb er stehen, dann kehrte er zur Tür zurück und verließ den Bungalow, um ihn draußen zu rufen. "Joseph!!" Er schrie so laut er konnte, sah sich hektisch um und raufte sich die Haare. Er wollte noch einmal rufen, hielt jedoch inne und drehte sich um. Hinter dem Bungalow... die Lücke im Zaun!! Schnell erreichte er sie, trat in den dichten Wald hinaus und blickte sich erneut um. Das Herz in seiner Brust raste so stark, das er die Schläge im gesamten Körper spürte. Er wusste nicht, was geschehen war, nur eine düstre Vorahnung machte ihm Angst. Was war, wenn... "Suchen Sie im Camp weiter!!" Wandte er sich flink an den Arzt, der unentschlossen und zögerlich dort stand. Anschließend kämpfte sich Kaiba durch den Wald. Wenn Joey nur zehn Minuten Zeit gehabt hatte, dürfte er nicht all zu weit gekommen sein! Mit zitternden Knien quälte sich Joey vorwärts, all sein Glieder bebten und nicht selten tasteten seine Hände knapp an den Bäumen vorbei, gegen die er anschließend stieß. Dieser Boden unter seinen Füßen war recht weich, die Bäume in großer Zahl. War er noch... im Camp? Wo sollte er sonst sein?! Nirgends hatte er einen Zaun gefühlt. Aber... warum hörte er die Stimmen der Schüler nicht mehr...? Er war zu panisch, um nachzudenken, sein Handeln zu überdenken. Er wollte nur vorwärts! Seit ungefähr zehn Minuten war er unterwegs, blind und orientierungslos. Er ging schnell, harte Rinde schürfte öfter seinen Schultern, durchdrang den dünnen Stoff seines Shirts. Äste schlugen ihm entgegen, er sah sie nicht kommen. Keuchend und müde schob er sich an einem breiten Stamm vorbei, seine Füße versanken im Moos und als er den nächsten vorsichtigen Schritt machen wollte, verfing er sich in einem Gewirr aus Ästen. Erschrocken schrie er auf, als er plötzlich den Halt verlor und zur Seite kippte. Hektisch streckten sich seine Hände aus, doch sie erreichten nichts, woran man sich festhalten könnte. Er rutschte, stolperte und stürzte. Glücklicherweise landete er auf dem Moos, das einen etwas steileren Abhang überzog. Dort überschlug er sich, rutschte weiter und überschlug sich erneut. Er konnte nichts tun, stürzte immer tiefer und erst am Rande eines breiten Kiesweges, der sich vor dem Abhang entlang zog, endete der Sturz. Ächzend schlitterte er über das feine Gestein und blieb benommen auf dem Bauch liegen. Und genau in dieser Sekunde ertönte ein lautes, beinahe ohrenbetäubendes Quietschen und ein Landrover konnte gerade noch bremsen, bevor er über den am Boden liegenden jungen Mann hinwegrollte. Der Fahrer, ein älterer Herr mit kurzem schwarzen Haar und schmalem Gesicht, kippte leicht nach vorn, klammerte sich um das Lenkrad und richtete sich zögernd auf, nachdem er nach Luft geschnappt hatte. Er beugte sich nach vorn, erspähte den Blonden und hob erschrocken die Augenbrauen. Dann, ohne zu zögern, öffnete er die Tür, stieg aus und eilte auf ihn zu. "Mein Gott!", rief er auf Deutsch und raufte sich die Haare, als er Joey erreichte. Dieser begann sich langsam zu regen. "Wo kommst du denn plötzlich her?!" Aufgeregt warf er sich neben ihm auf die Knie, beugte sich zu ihm hinab und rollte ihn auf den Rücken. Joey stöhnte, hob kraftlos die Hand und verdeckte mit ihr die Augen. Rötliche Striemen zogen sich über seine Arme und das Gesicht. Der ältere Mann musterte ihn flüchtig, schob die Hand unter seinen Nacken und richtete ihn etwas auf. Unter Schmerzen verzog Joey das Gesicht, öffnete jedoch gleich die Augen und starrte perplex um sich. "Du siehst ja furchtbar aus." Der Mann strich ihm das Haar von der Stirn und besah sich sein Gesicht. Er musterte ihn auf eine merkwürdige Art und Weise, betrachtete sich seine Haut und die Arme, bevor er den Kopf schüttelte und auf die Augen aufmerksam wurde, die sich auf keinen bestimmten Punkt richteten, und am wenigsten auf ihn, so wie man es eigentlich erwartete. Er runzelte die Stirn. "Bist du etwa blind?!" Joey hustete leise, gestikulierte wirsch mit der Hand und schloss die Augen. Wer sprach da mit ihm? Und vor allen Dingen, was sprach man da?! Er verstand kein einziges Wort!! "Ich...", fand er leise zur Stimme zurück, "ich muss... ins Camp... ins..." Der Mann lauschte seinen Worten und an seinem Gesichtsausdruck konnte man deutlich erkennen, dass er auch nichts verstand. "Ich spreche nicht deine Sprache, mein Junge." Er lächelte und tätschelte Joeys Schulter. Dieser wusste gar nicht, wie ihm geschah, da wurde ihm schon auf die Beine geholfen. "Aber ich kümmere mich trotzdem gern um dich. Komm mit, bald wird es dir besser gehen." "Ich muss zurück zum Camp", presste Joey hervor und hielt sich den schmerzenden Bauch. "Wo bin ich?!" "Ganz ruhig." Hilfsbereit stützte ihn der Mann, drehte sich mit ihm um und stützte ihn auf dem Weg zum Auto. Joey jedoch, stemmte sich etwas gegen ihn. "Hören Sie, ich muss... ich muss in das Camp!" "Du brauchst keine Angst zu haben", erwiderte der Mann tröstend und zwang ihn mit einem unauffälligen Druck, an seiner Seite zu bleiben. "Ich bringe dich in Sicherheit." "Wa-warten Sie..." In dieser Sekunde öffnete der Mann die Beifahrertür. "Na komm, steig ein, meine Junge." Verwirrt ertastete Joey die Fensterscheibe, tastete sich weiter zu einem kleinen Hebel und hielt sich an ihm fest. Er wusste nicht, was hier vor sich ging, konnte doch nicht einfach zu einem fremden Mann, den er nicht sehen oder gar verstehen konnte, ins Auto steigen! Die Vorsicht hatte er sich in den letzten Jahren angeeignet. Er sträubte sich also und der ältere Mann hielt inne. "Ich muss...", Joey wies nach oben, irgendwo dort musste doch die Spitze des Berges sein, "Camp, verstehen Sie?!" "Wie bitte?" Der Mann lächelte höflich. "Camp!", wiederholte Joey verzweifelt und wollte sich etwas von der Tür entfernen. Doch der Mann trat nicht zurück und so stieß er etwas gegen ihn. "Oder... oder ein Telefon! Verstehen Sie, Te-le-fon!" Er spreizte den Daumen und den kleinen Finger ab und legte die Hand an das Ohr - das war ja wohl unmissverständlich, dennoch runzelte der Mann nach einem kurzen Grübeln die Stirn und schüttelte den Kopf. "Mein Gott, Junge, du bist ja völlig verstört." Er hob die Hände, rieb Joeys Schultern und senkte die Stimme zu einem beruhigenden Flüstern. "Ich tu dir doch nichts, du musst wirklich keine Angst vor mir haben. Wir kümmern uns erst einmal um dich, du kannst dich etwas ausruhen und dann schauen wir, was wir machen können." Dieses unverständliche Geschnatter! Verwirrt starrte Joey geradeaus, starrte nur knapp am Gesicht des Mannes vorbei und schüttelte langsam den Kopf. "Nein..." "Komm." In der netten Ausdauer verharrend, löste der Mann Joeys Hand von dem Hebel und drängte ihn vorsichtig zu dem Sitz. Joey wich vor ihm zurück, klammerte sich in seine Schultern und starrte um sich. "Tsch... alles ist gut." Der Mann streichelte seinen blonden Schopf und Joey spürte bereits das lederne Polster im Rücken. "Beruhige dich." "Aber... aber... nein, ich..." Der Mann drängte ihn weiter, unbewusst stieg Joey hinauf, stieg in den Wagen. Er war mit seinen Nerven am Ende! Und bevor er richtig im Wagen war, half der Mann etwas nach, drückte ihn vorsichtig in den Sitz. Die Tür schlug zu und Joey verharrte kurz reglos. Er war schrecklich müde und erschöpft, obwohl er erst vor knapp einer viertel Stunde aufgewacht war. Eilige Schritte führten am Wagen vorbei, dann öffnete sich die Fahrertür und der ältere Mann stieg neben ihm ein, warf ihm einen flüchtigen Blick zu und griff nach dem Gangschalter, als wolle er keine Zeit verschwenden. Joey blinzelte zur Seite. Er hatte keine Lust mehr, panisch zu schreien und sich aufzuregen, das änderte nichts an der Situation, die im wahrsten Sinne des Wortes "beschissen" war. Er war blind... Schwärze umgab ihn und er lebte nur von den Geräuschen. Es war neu, es war ungewohnt... doch immerhin lebte er, nur um etwas zu nennen, das besser als diese Erblindung war. Matt öffnete er den Mund und atmete tief durch. Der Wagen setzte sich in Bewegung. Er musste ruhig bleiben, ihm konnte überhaupt nichts passieren und die Stimme des Mannes, der neben ihm saß und nachdenklich auf den Weg starrte, wirkte doch auch recht sympathisch und einfühlsam, wenn man das Gedränge mal außer Acht ließ. Mit offenen Augen saß er dort, streckte nach wenigen Sekunden die Beine von sich und löste eine Hand von seinem Schoß. Er hob sie, bewegte sie vor den Augen hin und her, versuchte, ihr mit den Pupillen zu folgen, zu erahnen, wo sie war. Wieder lugte der Mann zu ihm, musterte ihn und räusperte sich leise. "Ich habe ein kleines gemütliches Haus am Rande des Dorfes." Erklärte er dann, Joey ließ die Hand sinken und rieb sich mit der anderen die Augen. Worüber sprach er denn jetzt schon wieder? Es war so verwirrend und anstrengend, diesem gnadenlosen Gequassel zu lauschen. Außerdem könnte der Mann sich das ersparen, wo er doch wusste, dass er kein Wort verstand! "Ich wohne mit ein paar Freunden dort, in Frieden und Harmonie." Er grinste. "Du wirst dich dort gut erholen können. Wir kümmern uns um deine Wunden und du schläfst dich erst einmal aus." Er verstummte kurz und fuhr nach einem Grübeln fort. "Do you want to eat something?" Joey blickte auf und der Mann hob die Augenbrauen. "Verstehst du englisch, mein Junge?" "Eat...", hauchte Joey leise. Wenn man tagelang mit vier Amerikanern zusammenhockte, dann bekam man schon eine Menge mit. "Yes." Der Mann nickte hastig, wartete auf eine Antwort, doch Joey schüttelte nur den Kopf, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Und ohne ihm auch nur die geringste Ruhepause zu gönnen, quasselte der Mann auf Englisch weiter. Das überstieg seine Fähigkeiten - er verstand kein Wort und mit einem leisen Brummen, zeigte er es. "Englisch verstehst du also auch nicht sonderlich gut." Der Mann legte nachdenklich den Kopf schief. "Das könnte ein Problem darstellen." Er rieb sich das Kinn und in diesen Sekunden erreichten sie eine asphaltierte Straße, die das letzte Stück des Berges hinabführte. "Obwohl...", ihm schien eine Idee zu kommen. "Ja... das könnte funktionieren." Joey stöhnte leise und verblieb wieder reglos. Das einzige, das er nun annehmen würde, wäre ein Bett! Vermutlich schlief er während der Fahrt kurz ein, jedenfalls kam der Wagen früher als erhofft zum Stehen und die gesamte Fahrt wirkte nicht länger als wenige Minuten. Schläfrig öffnete Joey die Augen. "Wir sind da." Der Mann grinste zufrieden, stellte den Motor ab und stieg aus. >Aha...< Joey fuhr sich über das Gesicht, hustete leise und setzte zum Gähnen an. Der Landrover hatte vor einem weiß gestrichenen Haus gehalten, das nicht sonderlich 'gemütlich' wirkte, eher etwas heruntergekommen und äußerst unauffällig. Der kleine Vorgarten machte den Anschein, nie gepflegt worden zu sein, nur in die Tür hatte man scheinbar viel Geld investiert - sie war mit zwei großen Schlössern bestückt. Die Fensterläden waren zugeklappt, die Fassade bröckelte bereits vor Altersschwäche. Schnell hatte der Mann die Beifahrertür geöffnet und Joey hinaus geholfen. Die Beine des jungen Mannes schienen keiner großen Belastbarkeit mehr ausgesetzt zu sein. Joey strauchelte, als er zum Stehen kam, landete jedoch in den stützenden Armen. Der Mann hielt ihn sicher, schloss die Tür und wandte sich dem Haus zu. "Und?", murmelte er nicht an Joey gerichtet, beinahe abwesend. "Wie findest du es." Daraufhin lachte er leise und ging los, den jungen Mann stützend. Sie durchquerten den Vorgarten, stiegen die wenigen Stufen zu der gesicherten Tür hinauf und blieben vor ihr stehen. Mit geschlossenen Augen hielt sich Joey auf den Beinen, während der Mann hastig nach seinem Schlüssel zu suchen begann. Bald klimperte es in der Tasche seiner schwarzen Jacke und er zog einen großen Bund hinaus, mit dem er die beiden Türschlösser entsicherte und die Tür öffnete. Der Flur, in den er Joey daraufhin schleppte, war keine besondere Schönheit. Die Tapeten waren vor Tabakrauch gelblich gefärbt, die Möbel wirkten alt und fantasielos, nur der schwarze Teppich war noch recht ansehnlich. In diesem schmalen Flur angelangt, blieb der Mann stehen und lauschte auf. Er lauschte, lauschte prüfend in die Stille und wandte sich dann der Tür zu, um sie zu schließen. Joey hörte den Schlüssel mehrmals rascheln, dann verschwand der Bund wieder in der Jackentasche des Mannes und dieser machte sich daran, den Flur zu durchqueren. Er schleppte Joey durch eine schlicht eingeräumte Küche, geradeaus weiter in den nächsten Flur, an dem viele Zimmer anknüpften. Er ging bis zum hintersten Zimmer; die Tür bestand aus altem, jedoch massivem Holz. Er öffnete sie und betrat ein Zimmer, das ebenfalls recht spärlich eingerichtet war. Nur ein Bett, ein Schrank und ein Regal, zu wenig für einen Raum dieser Größe. Auch vor diesem Fenster waren die Läden geschlossen und er schlug gegen einen Schalter, damit eine alte Deckenlampe aufleuchtete und den Raum etwas erhellte. "So." Er ließ die letzten Meter hinter sich, blieb vor dem Bett stehen und ließ Joey darauf sinken. Sogleich kippte der Blonde zur Seite und mit einer schnellen Bewegung legte der Mann seine Beine nach oben. "Hier kannst du schlafen." Mit dem Erreichen dieses Hauses hatte sich sein Tonfall geändert. Nun war nichts einfühlsames mehr in ihm, seine Stimme klang dumpf und routiniert, doch Joey achtete nicht mehr darauf. Die Matratze war weich, das Kissen bequem. Er blieb liegen und regte sich nicht. Er war zu müde und bevor der Mann sich nach einer weiteren, etwas intensiveren Musterung umdrehte und zur Tür zurückkehrte, war er dabei, einzuschlafen. Er glaubte nur noch ein leises Geräusch zu hören, als wenn sich ein Schlüssel im Schloss drehte. In langsamen Schritten schlenderte Kaiba durch die Bungalows, die Arme hatte er vor dem Bauch verschränkt, sein Blick war kraftlos und verzweifelt auf den Boden gerichtet. Um ihn herum herrschte reges Treiben. Viele Mitarbeiter eilten umher, suchten in jedem Winkel des Camps. "Wo ist er nur?!" "Wie kann er verschwunden sein?!" Es war unverantwortlich, eine Tragödie, das ein Besucher des Camps verschwunden war - einfach so! Kaiba achtete nicht auf die Rufe und das angestrengte Debattieren, nicht auf die umher rennenden Leute. Langsam näherte er sich dem hübschen terrakottafarbenen Häuschen. Vor der tiefen Terrasse blieb er stehen, drehte sich langsam um und ließ sich auf die sauberen Balken hinabsinken. Dort blieb er kauern, verbarg das Gesicht zwischen den Armen und sank in sich zusammen. ~*To be continued*~ Kapitel 3: Zurück in die Realität --------------------------------- Langsam räkelte sich Joey auf der Matratze, rollte sich matt auf den Bauch und vergrub das Gesicht tief im Kissen. Erst vor wenigen Stunden war er eingeschlafen und doch kam er allmählich wieder zu sich. Seine Sinne erwachten langsam, doch eine marternde Schwäche steckte in all seinen Gliedern; er spürte sie deutlich, blieb also reglos liegen und ruhte sich aus. In seinem Kopf tummelten sich keine Gedanken, keine Erinnerungen an die vergangene Zeit, nichts. Er atmete gleichmäßig, schob nach kurzer Zeit auch die Arme unter das Kissen und bewegte stumm die Lippen. Das Bett war nicht all zu bequem, doch er war vom Schlaf noch zu benommen, als das er dies bemerken konnte. Lange blonde Strähnen verdeckten sein Gesicht, als er tief einatmete und bequem die Nase rümpfte. Um ihn herum herrschte beruhigende Stille. Unter einem leisen Seufzen atmete er aus und war kurz davor, erneut im Tiefschlaf zu versinken, da ertönten leise Geräusche. Es hörte sich an wie Schritte, laut und dumpf. Den Lärm schienen mehrere Füße zu verursachen. Dann ein metallenes Quietschen, ein Kratzen, der Schlüssel im Schloss. Die Tür öffnete sich, jemand betrat das Zimmer. Durch diese Geräusche gestört, begann sich Joey erneut zu räkeln. Die Schritte näherten sich. Erneut öffnete Joey den Mund und brummte leise. Er wollte schla... Plötzlich klammerte sich eine große Hand schmerzhaft um seinen Oberarm und bevor er wach werden konnte, wurde er aus dem Bett gezerrt. Er rutschte über die Matratze, wurde weiter gezogen und stürzte vom Bett. Hart schlug er auf dem Boden auf und räkelte sich dort benommen. Die Hand hatte sich von seinem Arm gelöst, weitere Geräusche ertönten und spätestens jetzt kam Joey zu Bewusstsein. Ein unangenehmer Schmerz pochte in seinem Schädel, als er stockend die Hand hob und nach seinem Gesicht tastete. Doch sie erreichte ihr Ziel nicht, denn erneut wurde Joey gepackt. Er spürte, wie sich eine Hand in seinen Nacken klammerte, zu schnell, als dass er es realisieren und reagieren konnte. Bevor er sich versah, wurde er auf den Boden hinabgedrückt und mit einem Tritt gegen die Knie, zwang man ihn, dort die Beine auszustrecken. Er stieß ein entsetztes Stöhnen aus, seine Hände tasteten ziellos über die rauen Holzplanken des Bodens und seine Lider hoben sich hektisch. Nur kurz erblickte er die Dunkelheit, dann zuckte er zusammen und schloss die Augen. Die Hand in seinem Nacken klammerte sich noch fester, drückte ihn hinab, als wolle sie ihn dort fixieren. Und beinahe gleichzeitig schlugen sich zwei weitere Hände in sein ramponiertes Shirt und mit einer schnellen Bewegung wurde ihm regelrecht der Stoff vom Leib gerissen. Ein erschrockenes Zittern fuhr durch den Körper des Blonden und er regte sich. Seine Wange wurde auf das raue Holz gepresst, seine Hände suchten vergeblich Halt. Vom Schlaf benommen und von der vorigen Tortour geschwächt, fand er sich hilflos und überfordert wieder. Noch immer konnte er nicht realisieren, alles ging zu schnell und noch ehe man ihm das Shirt gänzlich weggerissen hatte, spürte Joey die Kälte vieler Finger unter dem Bund seiner Hose. Erneut zuckte er zusammen und wollte sich reflexartig aufbäumen, da schlossen sich auch Finger um seinen Hals und schnitten ihm die Luft ab. Ein hektisches Murmeln kam über seine Lippen, dann wurde ihm die Hose samt Shorts über die Hüfte gestreift, nun, vielmehr gerissen. Ein eiskalter Schauer raste durch Joeys Glieder, als er diese Berührung spürte, die Hände fühlte, die ihn gänzlich wehrlos machten, ausgeliefert an jemanden, den er nicht sah. Erneut erzitterte er unter einer abscheulichen Angst, die reflexartig in ihm aufgestiegen war. Augenblicklich meldete sich etwas in seinem Kopf, eine Stimme, wie es schien, die sich säuselnd erhob. 'Ich habe etwas nachzuholen', vernahm er leise, jedoch gefährliche Worte. Sie hallten wider und wider, wandelten sich schnell zu einem entschlossenen 'Schrei doch.' Joey glaubte, ein leises Lachen zu hören. Seine Glieder ermatteten und er lauschte reglos, mit rasendem Atem in die Stille. Flink rutschten die Kleidungsstücke bis zu seinen Knien, über die Waden und letzten Endes über seine nackten Füße. 'Wenn du artig bist, werde ich zärtlich sein. Lieber Junge.' Langsam öffnete Joey den Mund, seine Augen starrten ins Leere. 'Ich wusste doch, dass es dir gefallen würde...' Der Druck der Hände an seinem Hals ließ kurz nach, er konnte besser atmen. Eine schwarze, endlos erscheinende Leere breitete sich rasend schnell in ihm aus, eine Leere, in der nur Erinnerungen an jenes Geschehnis zurückblieben. Ja, plötzlich kam alles wieder. 'Ich bekomme dich, egal, wie.' Röchelnd schnappte der Blonde nach Luft, verschluckte sich beinahe am eigenen Atem und fuhr gehörig zusammen. Was machte man da mit ihm?! Hektisch versuchte er den Kopf zur Seite zu drehen, doch augenblicklich packte die Hand wieder zu. "Fasst mich nicht an!" Unter dem Druck gelang Joey nur ein heiseres Krächzen. Eigentlich wollte er diese Worte schreien, doch das Zittern, das fest in seinem Körper saß und der brutale Griff, ließen dies nicht zu. Erneut begann er sich zu regen, versuchte sich mit den Beinen abzustützen, doch bevor er den Erfolg auch nur sehen konnte, rammte sich ein Knie auf seinen Steiß und presste ihn grob auf den Boden hinab. Joey stieß ein gedrungenes Keuchen aus, biss die Zähne zusammen und kämpfte gegen den eigenen Atem, der stoßweise und rasend über seine Lippen kam. "Finger weg...!", fauchte er erneut, diesmal nachdrücklicher. "Fasst mich nicht an!!" Raue Finger krallten sich in seinen Hals, machten ihn restlos bewegungsunfähig und ließen seine Panik umso mehr steigen. Keuchend lag er dort, nackt und aufgeliefert, verkrampft schlugen sich seine Fingernägel in den groben Holzboden, die braunen Pupillen wechselten angstvoll von einer Seite zur anderen, ohne sich auf einen bestimmten Punkt richten zu können. Da war nur Dunkelheit! Eine eiskalte Gänsehaut zog sich über Joeys Körper, als dieser nach Atem rang. Was hatte man mit ihm vor?! "Nehmt...", er war kaum noch dazu imstande, zu sprechen, selbst das Atmen bereitete ihm Schwierigkeiten, "... die Pfoten... weg!" "Was meinst du?", vernahm er plötzlich eine tiefe Stimme, die sich beiläufig, beinahe schon professionell erhob. Er hielt in jeglichen Bewegungen inne und lauschte den fremdartigen Worten. Drei Männer befanden sich bei ihm. Ein Brünetter, der ihn mit dem Knie und der Hand fixierte und zwei andere. Ein hünenhafter Kerl mit kurzem struppigem Haar ging neben Joey in die Knie, rieb sich das Kinn und besah sich den vor Angst bebenden Körper mit finsterer Miene. Der dritte, der kein geringerer als der hilfreiche ältere Mann war, stand zu Joeys Füßen und rümpfte die Nase. Alle drei wirkten recht groß und stark gebaut, jedoch gepflegt und sauber. Ihre Blicke, die sich einschätzend nach unten richteten, ließen jedoch auf einen scheußlichen Charakter schließen, geprägt von Hinterhältigkeit und Brutalität, die Joey nun am eigenen Leib zu spüren bekam. Wer waren diese Männer?! "Sehr guter Körperbau." Der Hockende legte beurteilend den Kopf schief, ließ nach einer kurzen Pause die Hand vom Schoss sinken und betastete Joeys Rippen, worauf dieser erneut von einem kalten Schauder heimgesucht wurde. Ein leises Brummen, vermischt mit dem gehetzten Keuchen und dem konfusen Kratzen der Fingernägel im Holz. "Schlank." "Mm." Der Schwarzhaarige, der Joey hergebracht hatte, kratzte sich an der Wange. "Schönes Haar." Daraufhin schob der Hockende die Hand in den blonden Schopf des jungen Mannes und rieb die Strähnen zwischen den Fingern. Joey biss die Zähne zusammen und schloss die Augen. Er versuchte, in sich zusammen zu kriechen, sich vor weiteren Berührungen zu retten, doch jeglicher Versuch scheiterte bereits bei jeder geringsten Regung. "Nur etwas schwitzig", murmelte der Hockende. "Das lässt sich beheben", raunte der Brünette, der auf Joey hockte, kühl. "Das jedoch...", unweigerlich fiel sein Blick auf die längliche, auffällige Narbe, die sich knapp unter dem rechten Schulterblatt des jungen Mannes befand. Sogleich wurden auch die anderen beiden darauf aufmerksam. Naserümpfend und stirnrunzelnd nahmen sie den Schandfleck unter die Lupe. "Gibt's noch mehr davon?" Der Schwarzhaarige musterte Joeys Oberkörper genauer und erspähte eine weitere, weniger hervorstechende Narbe unterhalb des linken Ellbogens. "Wer weiß?" Der Brünette zuckte gelassen mit den Schultern. "Vielleicht kommt das ja an." Mit rigidem Nicken stimmte man ihm zu. "Sonst ist an ihm nichts auszusetzen", meinte der Stehende und wies mit einer entspannten Kopfbewegung auf den am Boden liegenden jungen Mann. "Er ist schlank, auch sonst gut gebaut, hat gute Haut, gutes Haar." Sein Blick richtete sich auf Joeys Hintern. "Und er scheint mir sehr temperamentvoll zu sein", fügte er hinzu, als er ein verbissenes Fauchen von unten wahrnahm. "Nicht mehr lange." Endlich begann sich der Brünette zu bewegen. Gemächlich nahm er den Druck von dem Knie, löste die Hand von dem zarten Hals und erhob sich. Und sobald Joey nicht mehr auf dem Boden gehalten wurde, rappelte er sich auf. Keuchend und zitternd kämpfte er sich in eine aufrechte Haltung, erlangte jedoch nicht das Gleichgewicht. Er begann zu wanken, als er auf den Knien hockte und sank zurück. Ein amüsiertes Grinsen zerrte an den Lippen der Männer, als sie sich etwas von dem jungen Mann entfernten und ihn weiterhin musterten. Hektisch und schreckhaft schob sich Joey zurück, seine Augen suchten angstvoll die Umgebung ab. Als er mit dem Rücken gegen das Bett stieß, kroch er in sich zusammen, winkelte die Beine an, schlang die Arme um die Knie und verblieb reglos. Nur seine Schultern hoben und senkten sich unter dem schwerfälligen Keuchen. "Braune Augen hatten wir noch nie", bemerkte der Schwarzhaarige, während er sich das blasse Gesicht betrachtete, die geweiteten Augen. Der Brünette stimmte mit einem knappen Nicken zu und der Dritte im Bund kehrte in gemütlichen Schritten zur Tür zurück. Als er sie erreichte, lehnte er sich durch den Rahmen hinaus in den Flur. "Lee, schieb deinen Arsch runter!!" Durch dieses unerwartete Geschrei, fuhr Joey erneut in sich zusammen. >W-was ist hier los?!< Beinahe schmerzhaft rasten die Gedanken in seinem Kopf. >Wo bin ich?! Wer sind die?!< "Machen wir aus Aschenputtel erst einmal eine Prinzessin." Der ältere Mann kehrte grinsend in den Raum zurück. "Dann sehen wir weiter." "Was denkst du, wie lange brauchen diese Schrammen, um zu heilen", brummte der Schwarzhaarige und warf der zerkratzten Haut des Blonden einen missmutigen Blick zu. "Woher soll ich das wissen", antwortete der ältere Mann stöhnend und rückte kurz an seinem Hemd. "Sehe ich aus wie ein Arzt?" In dieser Sekunde ertönten leise, schlürfende Schritte im Flur, die sich nur langsam näherten. Die drei Männer schenkten dem keine Beachtung. "Die Blindheit könnte nicht passender sein", bemerkte der Brünette hämisch. "Wie sollte der eine Gefahr darstellen?" Die anderen beiden schlossen sich seinem höhnischen Lachen an und als sie sich triumphierende Blicke zuwarfen, tastete sich eine blasse Hand um den kantigen Türrahmen und kurz darauf erschien dort ein junger Mann, der in lahmen Schritten und zusammengesunkener Haltung aus dem Flur trat. Er war größer als Joey, wirkte im Gegensatz zu diesem jedoch eher schmächtig. Gekleidet war er in einer schwarzen Hose und einem lässigen Shirt, unsicher und kraftlos setzten sich die nackten Füße voreinander und hielten inne, nachdem er den Raum betreten hatte. Nahe bei der Tür blieb er stehen und sogleich suchte die rechte Hand nach dem linken Ellbogen, um den sie sich scheinbar stützend legte. Sein Gesicht, auf dem eine kränkliche Blässe lag, versteckte sich teilweise hinter den wirren Strähnen des langen schwarzen Haares, das zu einem geflochtenen Zopf über seiner Schulter lag. Weit reichte dieser Zopf hinab, sein Ende baumelte vor der schmalen Hüfte. Noch immer nahmen die Männer keine Notiz von ihm und führten ihr Fachgespräch fort. Obgleich sich das blasse Gesicht verdeckt hielt, war doch die weiche Schönheit, das dieses ausstrahlte, nicht zu übersehen. Anmutige Gesichtszüge lugten zwischen den Strähnen hervor, wohlgeformte, jedoch trockene und spröde Lippen standen einen Spalt weit offen, so als benötige er auch den Mund, um genug Sauerstoff zu bekommen. Die schmalen Augen, die einen leichten chinesischen Hauch hatten, waren gerötet und schimmerten kraftlos, beinahe schläfrig und abwesend, ganz anders die pechschwarzen Pupillen, die eisig und emotionslos, gefühlskalt und gleichsam desinteressiert durch den Raum schweiften und sich dann geradlinig auf den nackten jungen Mann richteten, der zusammengekauert vor dem Bett hockte. Das fahle Gesicht zeigte keine Regung, als er den Fremden registrierte, dennoch wandte er den Blick nicht ab, fixierte ihn teilnahmslos und stoisch. Unter einem weiteren, scheinbar äußerst glücklichem Lachen, wandten sich die drei Männer endlich ab und machten sich auf den Rückweg zur Tür. Nacheinander verließen sie den Raum, nur der andere schenkte dem Schwarzhaarigen, der sich nicht bewegt hatte, seine geschätzte Aufmerksamkeit. "Kümmere dich, Hundesohn!", fauchte er, während er nach der Türklinke griff. "Zu etwas anderem bist du ja nicht mehr zu gebrauchen!" Somit trat er in den Flur, fand schnell zu dem Lachen zurück und schloss die Tür geräuschvoll hinter sich. Joey zuckte zusammen, als er das Donnern hörte, der Andere jedoch, schloss langsam die Augen, öffnete den Mund weiter und kämpfte um einen langen Atemzug. Dabei drang ein leises Röcheln aus seinem Hals, das Joey jedoch nicht wahrnahm, denn das eigene Keuchen übertönte diesen Laut. Mit großen Augen starrte der Blonde vor sich hin. Noch immer raste sein Atem, ebenso wie das Herz in seiner Brust. Er wagte es nicht, sich zu bewegen, verharrte reglos und hielt den Atem an, worauf dieser kurz darauf doppelt so gehetzt hervorplatzte. Was war passiert?! Verwirrt blinzelte er und verzog die Miene. Waren sie weg?! Erneut stoppte er den Atem und lauschte angespannt. Nichts. Sie mussten fort sein! Langsam und matt ließ er den Kopf sinken, schloss die Augen und stieß ein lautes Stöhnen aus. Was zur Hölle war gerade passiert?! Man zerrte ihn auf den Boden, riss ihm die Kleider weg und fügte ihm Schmerzen zu?! Hinzukommend sprach man Worte, die er nicht verstand! Und dann verschwand man plötzlich?! >Das kann nichts Gutes bedeuten.< Joey schnitt eine leidende Grimasse und versuchte, seinen Atem beruhigen. >Das ist nicht gut!< Langsam öffnete der andere junge Mann die Augen. Leblos kamen die Pupillen zum Vorschein, die sich jedoch nicht erneut auf Joey richteten. Benebelt schweiften sie zur Seite. "Verdammt..." Nur zitternd kam die Stimme über Joeys Lippen. Der Schock saß noch zu tief verankert, seine Stimme zitterte wie der Rest seines Körpers und sein Hals schmerzte. Zögerlich und benommen löste er eine Hand von seinen Beinen und hob sie zum Hals, um den sie sich vorsichtig legte. Diese riesige Hand hatte verdammt brutal zugedrückt. Langsam begann er die Haut zu reiben. >Was zur Hölle... ist passiert?< Allmählich ließen sich seine Gedanken wieder ordnen. >Ich bin erblindet...< abrupt stoppte er und die Hand hob sich stockend weiter zu den Augen. >verdammte Sch... Das kann doch nicht sein!< Erneut ächzte er leise. >Ich hätte auf Seto hören sollen!< Langsam betastete er die geschlossenen Lider. "Es ist also wahr...", murmelte er kraftlos. Er atmete tief ein, musste sich unbedingt entspannen. Matt schüttelte er den Kopf und presste die Lippen aufeinander. "Das kann doch nur ein Alp..." Plötzlich vernahm er ein leises Geräusch und nachdem sein Herz einen entsetzten Sprung gemacht hatte, fuhr er erschrocken in die Höhe und starrte zur Seite. Von dort war es zum ihn gedrungen! War einer der Männer etwa noch hier?! Benommen bewegte er die Lippen, blinzelte fahrig und suchte angespannt nach der Geräuschquelle. Diese nahm nicht ab. Nicht darauf aus, unbemerkt zu bleiben, durchquerte der Schwarzhaarige den Raum. Seine Schritte wirkten unsicher, als er sich lahm auf den alten Tisch zu bewegte. Langsam drehte Joey das Gesicht mit, verfolgte die Laute und spürte die wilden Schläge seines Herzens im gesamten Leib. Als der junge Mann sein Ziel erreichte, löste sich die Hand von dem Ellbogen, streckte sich nach der dünnen Decke aus und zog diese träge vom Tisch. Während er dies tat, machte ein verkrampftes Zucken in seinem Gesicht auf sich aufmerksam. Schnell erschien es und ebenso schnell war es verschwunden. Verspannt pressten sich die Lippen aufeinander, als er sich abwendete, auf Joey zutrottete und die Decke hinter sich her zog. Joey hörte, wie sich die schlürfenden Schritte näherten, nervös lehnte er sich in die andere Richtung und biss die Zähne zusammen. Der Reaktion keine Beachtung schenkend, erreichte der Schwarzhaarige ihn und in derselben Bewegung hob er lahm die Decke und ließ sie auf Joey fallen. Danach kehrte die Hand sogleich zum Ellbogen zurück und er wandte sich ab. Joey erschrak, als er den weichen Stoff spürte, wie er über seine Schultern hinwegrutschte und letzten Endes auf seinem Schoss liegen blieb. Irritiert hielt er inne, öffnete den Mund und lauschte den Schritten, die sich nun entfernten. "Komm mit", ertönte dann plötzlich eine Stimme, die nicht mehr als ein heiseres Nuscheln war und dennoch ausreichend, damit Joey in die Höhe fuhr. Japanisch! Da sprach also doch jemand seine Sprache?! Nervös blinzelte er, seine Hand tastete nach dem Stoff, presste ihn zittrig gegen den Körper. "Wer... bist du?" Nun, seine Stimme brach ebenfalls nicht besonders laut hervor, ähnelte der anderen, ohne dass Joey dieser Tatsache Beachtung schenkte. Angespannt und reglos wartete er auf eine Antwort. Doch die erhielt er nicht. Als hätte er die Frage überhört, gelangte der Schwarzhaarige zur Tür, tastete lahm nach der Klinke und drückte sie mit großem Kraftaufwand hinab. Ohne einen Blick zurückzuwerfen, verließ er das Zimmer und blieb im Flur stehen. "Du sollst kommen." Diese, mit genervtem Nachdruck ausgesprochenen Worte, waren das einzige. Den Blick trübe nach vorn gerichtet, umklammerte der junge Mann den Bauch mit beiden Armen, blähte verausgabt die Wangen auf und schloss die Augen. Nur zögerlich begann sich Joey zu bewegen. Die Pupillen suchend auf die Geräuschquelle gerichtet, zog er stockend die Decke höher und umschlang mit ihr seinen nackten Körper. "Wohin...?" Er suchte nicht lange nach Worten, sprach nur aus, was ihm auf der Zunge lag. Und das verunsichert und gedrungen. "Wohin soll ich... wer bist du?" Die leblosen Augen des jungen Mannes blieben starr nach vorn gerichtet, so als dürften ihm gewisse Bewegungen nicht entgehen. Antworten tat er auf die verworrenen Fragen nicht. Er blinzelte matt, zog die Nase hoch und ließ einem zitternden Atem freien Lauf. Unterdessen kämpfte sich Joey stockend auf die Beine. Er fühlte eine marternde Schwäche in seinen Knien, benötigte mehrere Versuche, um aufzustehen, ohne dass er dabei Hilfe erwarten konnte. Schwankend richtete er sich alsbald auf, zog die Decke zitternd um sich und trat verunsichert einen Schritt nach vorn. War der, der da mit ihm gesprochen hatte, noch da? Er hörte nichts. Verunsichert hielt er inne, schluckte schwer und zog die Decke enger um sich. Sein Körper hatte sich noch immer nicht von diesem Schock erholt. Der junge Mann blieb weiterhin im Flur stehen und erst als Joey weitere Sekunden dort stand, wanderten die schwarzen Pupillen zur Seite und richteten sich drohend auf ihn. "Bewegung!", fauchte er scharf. Ja, er war noch da. Vorsichtig wankte Joey weiter in die Richtung, aus der die nette Aufforderung gekommen war. Er konnte nichts dagegen tun, erneut musste er schwer schlucken und die kalte Gänsehaut kehrte zurück. Er fühlte sich mehr als unsicher. Nach wenigen Schritten löste er eine der Hände aus der Decke und streckte sie tastend nach vorn. Er sah nichts, überhaupt nichts! Gleichzeitig verlangsamte er seine Schritte. Wo war die Tür? Plötzlich spürte er, wie eine warme, beinahe schon glühende Hand, seinen Unterarm umfasste und ihn nach vorn zog. Erschrocken stolperte er hinaus in den Flur und bevor er sich versah, wurde er gedreht. Zwei Hände legten sich von hinten auf seine Schultern und schoben ihn nach vorn. Unbewusst stemmte sich Joey gegen diesen Druck und murmelte undefinierbare Worte. Wohin wurde er gebracht?! "Wohin gehen wir...?", stammelte er, als er erneut gedreht und in einer anderen Richtung weiter geschoben wurde. Und das mehr als grob und unliebsam. Der junge Mann schob ihn durch den schmalen Flur und erreichte kurz darauf einen zur Küche umgebauten Raum, in dem sich gleichermaßen die Treppe befand, die in die erste Etage hinaufführte. Zu dieser schob er ihn und da er es nicht für nötig hielt, den Blonden über die folgenden Stufen in Kenntnis zu setzen, stieß Joey mit dem Fuß gegen das harte Holz, ächzte kurz auf und wurde die Treppe hinaufgedrängt, bevor er eine kurze Pause einlegen konnte. Unsicher setzte er einen Fuß vor den anderen, ertastete die Stufen und spürte immer wieder, wie man ihn ungeduldig nach vorn drückte. "Wohin gehen wir?", fragte er erneut und versuchte sich umzudrehen, was schnell vereitelt wurde. Flüchtig sah sich der junge Mann um, dann erreichten sie die erste Etage. "Halt die Klappe!" Unsanft schwenkte er Joey nach rechts und drängte ihn durch einen weiteren Flur. Erneut sah der Schwarzhaarige zurück, bevor er Joey mit einem Ruck zum Stehen brachte und eilig, beinahe gehetzt, eine der Türen öffnete. Flink drückte er sie auf, hustete leise und schob den Blonden in den dahinter liegenden Raum. Dieser spürte die Kälte blanker Fliesen unter seinen Füßen, blieb irritiert stehen und raffte die Decke höher. Hinter ihm betrat auch der junge Mann das Zimmer, schloss die Tür hinter sich und schlürfte in seiner zusammengesunkenen Haltung auf ihn zu. "Wo sind wir...?" Joey drehte das Gesicht zu ihm und starrte an ihm vorbei, seine Lippen bewegten sich anschließend stumm. Der Schwarzhaarige zog desinteressiert an ihm vorbei. Sie befanden sich in einem kleinen, sauber erscheinenden Bad, das jedoch keine Fenster vorzuweisen hatte. Ohne auf den verunsicherten Blonden zu achten, hob der Schwarzhaarige die Hand. Scheinbar mit großer Anstrengung zog er ein Schubfach auf, begann träge in ihm zu wühlen und zog die Nase hoch. Nun schwieg Joey und lauschte den Geräuschen. Im Augenblick schien er in gewisser Sicherheit zu sein und brauchte keine Angst haben, auch wenn dieser Mensch, der ihn freundlich hinaufbegleitet hatte, nicht sehr gutmütig zu sein schien. Dieser wühlte immer noch, hielt dann in den Bewegungen inne und drehte kraftlos das Gesicht zur Seite, um zu einem Schemel zu linsen. Daraufhin zog er die Hand aus dem Schubfach, streckte sie nach dem Schemel aus und zog ihn zu sich, um sich auf ihm niederzulassen, so als könne er seine Beine keiner großen Belastung aussetzen. Unter einem gedrückten Stöhnen ließ er sich also sinken und wandte sich erneut dem Schubfach zu. Joey regte sich nicht und kurz darauf schien er fündig zu werden. Schleppend zog er eine Tube Salbe hervor, warf sie lahm zur Seite und drehte den Kopf, um Joey durch die wirren Haarsträhnen hindurch, mustern zu können. Missfällig, beinahe höhnisch richteten sich die schwarzen Pupillen auf den jungen Mann. Dieser ließ langsam den Kopf sinken, zog die Schultern hoch und ließ sich nach einem tiefen Atemzug wieder fallen. Der Schwarzhaarige rümpfte die Nase, hob den Arm und schob das Schubfach mit dem Ellbogen zurück. Als Joey dieses Geräusch vernahm, richtete er sich auf und verschränkte fröstelnd die Arme vor dem Bauch. Wenige Sekunden vergingen in dieser Atmosphäre. Joey, der verloren dort stand und nicht wusste, wie er angestarrt wurde. Das Schweigen machte ihn jedoch nervös und so rang er sich zu einer weiteren Frage durch. Verzweifelt versuchte er, den Anderen im Raum anzuschauen, was jedoch nicht gelang. Wieder starrte er an ihm vorbei. "Wer bist du?", hauchte er leise. Als hätte Joeys Stimme ihn aus den Grübeleien gerissen, blinzelte der Angesprochene müde und streifte sich träge die langen Strähnen zurück. "Lee", antwortete er dann nuschelnd und merkwürdig kooperativ. Sogleich spürte Joey eine milde Erleichterung. Sein blasses Gesicht erhellte sich etwas und Lee kam schleppend auf die Beine, wobei er sich abstützen musste. "Lee", wiederholte Joey leise und linste zur Seite. "Ich bin Joey." "Mm." Das schien Lee nicht besonders zu interessieren. Teilnahmslos rieb er sich den Bauch, zupfte an seinem Shirt und erreichte Joey nach wenigen Schritten. Langsam hob er die Hände, um nach der Decke zu greifen. "Lee...", meldete sich da Joey zu Wort und sogleich hielt dieser in der Bewegung inne. Reglos blieb er stehen und besah sich die verunsicherten braunen Augen mit nicht weniger Abneigung als zuvor. "Wo sind wir hier...?" Lee lehnte sich etwas zurück, verzog die Augenbrauen und rümpfte die Nase. Er schien kurz zu grübeln, vielleicht auch nur abzuschätzen, wie er es sagen sollte. Die Antwort erbrachte er dennoch sehr schnell und in seiner Stimme, die sich endlich richtig zeigte, lag keine Emotion, nichts, das mit einem leisen Mitgefühl zu vergleichen wäre. "An einem Ort, der dein Tod sein wird", meinte er heiser und kraftlos. Gleichzeitig griff er nach der Decke und bevor Joey sie festhalten konnte, wurde sie ihm fortgezogen. Sogleich spürte Joey die Gänsehaut noch deutlicher. Nicht nur das Verschwinden der Decke, nein, auch die Worte... Konfus verzog er das Gesicht. "Mein..." Er verstummte, als er wieder die zärtlichen Hände spürte. Die Hände, die ihn in eine andere Richtung drehten und ihn dabei nicht mehr berührten, als dringend nötig. "Mein Tod...?" Lee antwortete nicht und drängte ihn nach vorn, direkt in die Dusche. Verwirrt hob Joey die Hände, als er den glatten Boden spürte. Er wollte wieder fragen, immer und immer wieder, bis er die Antwort hatte! Doch über seine Lippen kam nur ein ungewisses Murmeln. >Mein Tod?!< "Das ist ein billiges Bordell." Lee beugte sich mühsam an ihm vorbei und tastete nach einem der Hebel. Ohne zu zögern stellte er ihn um und warmes Wasser prasselte auf Joey herab, der höllisch erschrak und den Kopf vorerst mit beiden Armen verdeckte. "Hier kommst du nicht raus", vernahm er die entkräftete Stimme durch das laute Rauschen des Wassers. "Hier wirst du zu Grunde gehen." Somit griff Lee nach der Tür und schloss sie. Joey bewegte sich nicht. Reglos stand er dort und spürte, wie das warme, beinahe heiße Wasser über seinen Körper glitt, spürte das Brennen, als es über die Schrammen hinweg lief. Seine ausdruckslosen Augen starren in die endlose Schwärze, die sich vor ihm auftat. Erst, als das Wasser auch über sein Gesicht rann und die blonden Strähnen nass auf seiner Stirn hafteten, blinzelte er. Anschließend fanden seine Pupillen den Weg nach unten, die Lider hielten sich leicht gesenkt und das Wasser tropfte von seinen Wimpern. Bordell... Er konnte sich nicht regen, fühlte sich, als hätte sich Stein durch all seine Glieder gefressen. Die Hände hingen entspannt hinab. Die Schmerzen der Verletzungen, die seinen gesamten Körper überzogen, schienen sich zu lindern, kurz darauf waren sie kaum mehr wahrnehmbar. Bordell...? Langsam begannen sich seine Lippen zu bewegen. Sie formten stumme Worte, ungläubige Worte, erneut blinzelte er, ein Druck bildete sich in seinem Hals und er bekämpfte ihn mit einem erneuten Schlucken. Das Rauschen in seinen Ohren wurde lauter, stärker, glich einer reißenden Flut. Bordell?! Joey zuckte zusammen. Mit einem Mal fuhr er in die Höhe. Hastig hoben sich seine Hände, zittrig legten sie sich gegen die Tür der Dusche. "Lee!" Die Stimme kam nur gedrungen über seine Lippen, zu schnell raste sein Herz, als dass er sie kontrollieren könnte. Gehetzt atmete er aus, schnappte nach Luft und ballte die Hände an der dünnen Tür zu Fäusten. "Lee!!" Was hatte das zu bedeuten?! Wie konnte das sein?! Joey biss die Zähne zusammen, winkelte das rechte Bein an und ließ sich keuchend nach vorn sinken, bis seine Stirn zwischen seinen Fäusten an dem kühlen Glas lehnte. Verbissen schloss er die Augen, seine schmalen Schultern hoben sich unter einem entsetzten Ächzen. >Das ist nicht wahr!< Zog es ihm rasend schnell, beinahe schmerzhaft durch den Kopf. >Heißt das... heißt das...< "Lee..." Nun versagte seine Stimme ihm den Gehorsam. Sie brach, glich einem kraftlosen Keuchen. "Was heißt das...?" Seine Worte verloren sich im Rauschen des Wassers, keine Antwort drang zu ihm. Es herrschte Stille. Langsam stützte Kaiba die Ellbogen auf die Knie, faltete die Hände ineinander und stützte die Stirn auf sie. Seit nunmehr einer Stunde saß er dort, ohne sich groß zu bewegen. Die meiste Zeit über, hatte er auf nicht existente Punkte gestarrt, nun hielt er die Augen geschlossen und gab sich den Gedanken hin, die er bereits unzählige Mal durchlaufen hatte. Was war geschehen? Wo war Joey? Wie ging es ihm? War das Befürchtete eingetreten? Langsam öffnete er den Mund einen Spalt weit, atmete tief ein und richtete sich langsam auf. Noch immer wurde gesucht, nur, dass sich wenigere Menschen beteiligten. Nur hie und da sah Kaiba einen Mitarbeiter des Camps von Bungalow zu Bungalow huschen. Phlegmatisch folgten seine Augen ihnen. Sie würden Joey nicht finden. Es war bereits jeder Winkel des Camps auf den Kopf gestellt worden und nun befassten sich die Suchenden lediglich damit, einen jeden dieser Orte noch einmal zu überprüfen. Kaiba ließ die Arme baumeln und atmete erneut tief durch. Er hatte von Anfang an nicht geglaubt, dass Joey noch hier war. Nein, etwas musste passiert sein. Müde schloss er die Augen, stieß ein leises Stöhnen aus und rieb sich die Stirn. 'Weshalb?', fragte er sich immer und immer wieder. Weshalb konnte nichts nach Plan laufen? Er war kurz davor gewesen, mit Joey nach Domino zurückzukehren und nun war dieser verschwunden...? Nicht gerade das Beste, das ihnen passieren konnte. Allmählich kam er wieder zu sich, kehrte in die Realität zurück und blinzelte. Auch wenn er es sich nur ungern eingestand, Herumsitzen würde zu nichts führen. Er musste etwas tun. Irgendetwas! In seinem Kopf tummelten sich bereits die grausamsten Fantasien, auch deshalb musste er sich ablenken, die furchtbaren Sorgen und Ängste loswerden, auch wenn es triftige Gründe für sie gab. Er räusperte sich, begann sich träge zu bewegen und warf einen gezielten Blick auf die Uhr, die er am Handgelenk trug. Bald würden Duke und die anderen zurückkehren. Er nagelte den Blick an den goldenen Zeiger, der sich unablässig fortbewegte. Was sollte er ihnen sagen? Dass Joey fort war? Vielleicht sogar blind und hilflos...? Beinahe reflexartig schüttelte er den Kopf und ließ den Arm auf das Knie zurücksinken. Nein. Es war nicht die Tatsache, dass er sich schämte, da er die Verantwortung für Joey getragen und augenscheinlich versagt hatte. Er fürchtete sich auch nicht vor Vorwürfen. "Warum hast du uns nichts gesagt?!" oder: "Joey geht uns auch etwas an!". Nein, es war etwas anderes, das ihn zu dieser Entscheidung trieb, etwas, das sich ohne Vorwarnung in seinen Kopf eingeschlichen hatte, etwas Ungewohntes. Für Joey und ihn hatte es schon seit längerem festgestanden, dass diese Klassenfahrt kein Erfolg war. Für sie war sie eher verloren gegangen, nicht so wie für Duke, Yugi, Tea, Bakura und Tristan. Die litten noch nicht unter all zu großen Sorgen. Joey hat Migräne, Joey hat Kopfschmerzen... mehr nicht und das war keine Besonderheit. Kaiba ballte die Hände zu Fäusten, beobachtete einen jungen Mann, der, sich umblickend, an ihm vorbeieilte. Aus irgendeinem Grund wünschte er sich, dass die Fünf die Klassenfahrt auch weiterhin genießen konnten. Vor allem Duke, den er schon zu oft in eigene Angelegenheiten hineingezogen hatte, der Spaß und Erholung nötig hatte, um all das Vergangene endlich zu vergessen. Doch wie sollte er das anstellen? Wie sollte er dafür Sorge tragen, dass sie nicht unter den gleichen Ängsten und Sorgen litten, wie er? Bevor er diesen Gedanken beendet hatte, begann sein Kopf zu arbeiten, in kürzester Zeit nach einer Lösung zu suchen. Sollten sie ihn doch dafür hassen. Er tat, was er als das Beste ansah, zu ihrem eigenen Schutz. Sollten sie doch mit ihren Vorwürfen kommen. Er musste sich nicht rechtfertigen! Wieder verharrte er reglos und betrachtete sich den Kies, der einen schmalen Pfad zu dem hübschen Bungalow bildete. Er grübelte, grübelte verbissen und kam so zu einer Möglichkeit. Finster blickte er auf und blinzelte unter der Sonne. Oh, sie würden ihn hassen! Und sie würden ihm Vorwürfe entgegenbringen! Er biss sich auf die Unterlippe und spreizte die Finger. Weshalb zur Hölle machte er sich solche Gedanken um die anderen! Seine Miene verzog sich zu einer Grimasse. Was die dachten und wollten, konnte ihm doch gleichgültig sein! Erneut linste er zu seiner Uhr, gleichzeitig kam er auf die Beine. Wann kamen sie zurück? In zwei Stunden? Oder war es nur noch eine? Er wusste es nicht, was er jedoch wusste, war, dass er keine weitere Zeit verschwenden sollte. Flüchtig drehte er sich zu dem Bungalow um, bevor er in sicheren Schritten auf das weiße Gebäude zusteuerte. Ohne auf jemanden zu achten, erreichte er es, ließ die Tür hinter sich und machte sich auf den Weg zum Büro des Campleiters. Die Tür, die zu diesem Raum führte, stand angelehnt. Schon von weitem hörte Kaiba aufgeregte Stimmen, die wild durcheinanderquasselten. "Das ist ein Skandal!", hörte er den Campleiter rufen. "Hören Sie, wir müssen aber...", ertönte auch eine zweite Stimme, die von einer Dritten und Vierten schnell unterbrochen wurde. Kaiba verlangsamte seinen Gang nicht, dieses Gespräch hatte nichts mit seiner Entscheidung zu tun! Mit einer bestimmten Bewegung hob er die Hand und drückte die Tür auf. Ohne zu Zögern betrat er das Büro und die Anwesenden verstummten durch sein Erscheinen. Drei Mitarbeiter des Camps drehten sich zu ihm um, der Leiter blickte auf. Nur beiläufig musterte Kaiba seine verzerrte Miene, ließ die Tür hinter sich und bahnte sich einen Weg durch die drei Männer, direkt auf den Schreibtisch zu. "Dürfte ich Sie bitten, den Raum zu verlassen?", murmelte er nebenbei, jedoch nicht bittend, nein, auch ihm fehlten die Nerven, um sich mit drei Mitarbeitern anzulegen. Die Nerven fehlten einem jeden von ihnen. Die drei wechselten erschütterte, beinahe wütende Blicke doch mit einer zögerlichen Handgeste bestärkte der Campleiter Kaibas Befehl und murrend drehten sie sich um. Vor dem Schreibtisch blieb Kaiba stehen, umfasste die Hände auf dem Rücken und machte den Anschein, auf etwas gestoßen zu sein, dass sie alle rettete. Auch dem Campleiter fiel diese Tatsache auf und sein Blick wirkte recht hoffnungsvoll, als er ihn von der geschlossenen Türe auf den jungen Mann richtete. "Was wollen Sie?", murmelte er. "Ich will eine Bitte an Sie richten", antwortete Kaiba ohne zu zögern. "Und ich hoffe, dass Sie dieser Bitte stattgeben, wie schwerwiegend sie auch ist." Die Augen des älteren Mannes weiteten sich befürchtend und Kaiba blieb energisch, beinahe kühl und unbeteiligt. Mit dem nächsten Satz sprach er alles aus, was er verlangte. "Ich will, dass Sie Josephs Verschwinden vertuschen. Befehlen Sie Ihren Männern Stillschweigen und lassen Sie keinen der Campbesucher erfahren, was geschehen ist." Er legte keine Pause ein, ließ dem Mann keine Zeit, um die Zweifel zu äußern, die sicher in geraumen Mengen vorhanden waren. "Noch heute werde ich mit Josephs und meinem Gepäck das Camp verlassen und hinunter in das Dorf gehen, wo ich eine Suchaktion starten werde. Sie werden verkünden, dass ich mit ihm nach Japan zurückgekehrt bin, außerdem, dass sich sein Zustand gebessert hat." "Das...", das Gesicht des älteren Mannes verlor an Farbe, die Lippen bewegten sich entsetzt, "... das ist unerhört!" "Nicht nur das", erwiderte Kaiba. "Es ist kriminell." "Und deshalb kann ich dieser Bitte nicht nachgeben!!" Der Mann fuhr in die Höhe, der gepolsterte Stuhl rutschte zurück und Kaiba hob unbeeindruckt eine Augenbraue. "Ich werde mich an die Polizei wenden, ohne auf das Camp zu sprechen zu kommen, das scheinbar durch die hohen Besucherzahlen floriert. Sicher kann es sich keinen Skandal leisten und das unerklärliche Verschwinden eines Besuchers, für den Sie die Verantwortung tragen, ist ein solcher Skandal, meinen Sie nicht?" Der Mann wollte erneut schreien, nun wurde sein Gesicht rot, doch Kaiba schnitt ihm das Wort ab. "Ich erwarte, dass diese Suche erfolgreich enden wird." >Irgendwann ersticke ich an diesen Lügen.< "Wir werden Joseph finden, allzu weit kann er von hier nicht entfernt sein. Und sollten wir diesen Erfolg erreicht haben, so wird der Name Ihres Camps nie gefallen sein." Mit ausgestreckten Beinen hockte Lee auf einem kleinen Schemel, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Heizung und wendete abwesend die Hände, die ineinander gefaltet waren. Teilnahmslos verfolgten seine schwarzen Augen die stockenden, schwachen Bewegungen, während neben ihm die Dusche rauschte. Seit fünf Minuten verharrte er in dieser zusammengesunkenen Haltung, seit vier Minuten rauschte das Wasser, ohne ein Ächzen durchdringen zu lassen. Stille. ~*To be continued*~ Kapitel 4: Der einzige Halt --------------------------- Mit ausgestreckten Beinen hockte Lee auf einem kleinen Schemel, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Heizung und wendete abwesend die Hände, die ineinander gefaltet waren. Teilnahmslos verfolgten seine schwarzen Augen die stockenden, schwachen Bewegungen, während neben ihm die Dusche rauschte. Seit fünf Minuten verharrte er in dieser zusammengesunkenen Haltung, seit vier Minuten rauschte das Wasser, ohne auf ein Ächzen aufmerksam zu machen. Joeys Beine hatte versagt. Nun kauerte er auf dem Boden, geduckt und reglos. Nur seine Schultern hoben und senkten sich im schnellen Takt. Nass hing das blonde Haar vor seinem Gesicht, die Lider waren gesenkt, der Mund öffnet. Noch immer prasselte das warme Wasser auf ihn hinab. Es vermittelte ihm ein Gefühl der Geborgenheit, der Sicherheit. Doch... hier war er nicht sicher! Als erwache er aus einer tiefen Benommenheit, bewegte er die Lippen, hustete leise und hob den Kopf. Leeds Worte hatten alles gesagt. Weshalb er hier war... Der Mann... Joey hatte seine Stimme wieder erkannt. Sie war mit der besorgten und freundlichen, die er zuerst gehört hatte, nicht zu vergleichen. Langsam holte Joey Luft, stieß ein leises Stöhnen aus und fischte das Haar aus seinem Gesicht. >Ich verstehe es nicht<, dachte er sich erschöpft. >Wie habe ich das jetzt wieder geschafft?< Matt ließ er die Hand sinken, zögerlich begann er zu blinzeln und lehnte sich nach vorn, lehnte sich aus dem warmen Wasserstrahl. Zu viele Gefühle, zu viele Ängste tummelten sich in ihm, zu viele Gedanken und Befürchtungen. Er konnte sie nicht ordnen. Nur eines wusste er... >Verprügelt mich, jagt mich, haltet mir eine Pistole an den Kopf, schießt auf mich, aber... tut mir das nicht an! Alles, nur das nicht!< Unentschlossen richtete er sich auf den Knien auf und rieb sich die Oberarme, als würde es ihm frösteln. >Dagegen ist niemand immun... dagegen kann man nicht immun sein!< Nach einem kurzen Zögern, schob er sich zurück in das warme Wasser und kauerte sich dort hin. Er winkelte die Beine an, schlang die Arme um die Knie und ließ den Kopf sinken. >Seto... sicher sucht er bereits nach mir. Und ich Blödmann hätte ihm die Sorgen ersparen können, die er sich in diesen Minuten sicher macht! Warum habe ich es immer noch nicht gelernt, geistesgegenwärtig zu handeln?! Ich bereite ihm nichts als Sorgen! Ebenso hätte ich meine Augenprobleme ernster nehmen müssen! Weshalb fällt das mir immer erst ein, wenn es zu spät ist?!< Joey stützte die Stirn auf die Knie, sein verschrammter Leib hob sich unter einem tiefen Atemzug. >Was ich jedoch gelernt habe, ist, vergangenen Fehlern nicht nachzutrauern. Ich muss mich auf das Hier und Jetzt konzentrieren, so beschissen die Gegenwart auch aussieht.< Langsam drehte er das Gesicht zur Seite. >Tatsache ist, dass ich diesmal nicht auf seine Hilfe bauen kann. Ich muss selbst mit den Zuständen fertig werden... und das dürfte ich nach all den Erlebnissen doch bewerkstelligen! Ich kann auf keinerlei Hilfe warten. Doch... ich habe Angst! Ich habe in diesen Minuten mehr Angst, als in der Fabrikhalle, in der wir Katagori gegenüberstanden... dabei ist eine Vergewaltigung doch etwas, das ich überleben kann.< Stockend ballten sich seine Hände zu Fäusten. >Als Chester sich an mir verging, konnte ich mich vor Angst kaum regen! Nur durch wenige Berührungen fühlte ich mich so unglaublich hilflos und panisch! Auch, als mich die Typen auf den Boden drückten... Warum nur ist etwas Derartiges schlimmer, als in den blanken Lauf einer Pistole zu blicken, als dem Tod gegenüberzustehen! Eine Schussverletzung verheilt, doch so etwas...? So etwas brennt sich zu tief in die Seele eines Menschen! Das lässt sich nicht so einfach wegstecken! ... Vielleicht kann ich ja abhauen? Vielleicht sind diese Typen genau so blöd wie Katagori? Vielleicht finde ich einen Weg, das Schlimmste zu verhindern?< All seine Gedanken endeten abrupt, als eine kühle Brise Joey erreichte. Die Tür der Dusche öffnete sich und der Blonde richtete sich etwas auf. Ohne ihm eines Blickes zu würdigen, stellte Lee die Brause ab und griff hinterrücks nach einem Handtuch. Dieses warf er träge nach Joey und es landete auf dessen Kopf. Während er irritiert nach dem weichen Stoff tastete, wandte sich Lee ab. Dabei legte sich die Hand auf den Bauch, als würde er dort Schmerzen verspüren. In langsamen, schleppenden Schritten erreichte er ein kleines Regal, griff in das oberste Fach und holte ein kleines Fläschchen heraus, mit dem er sich auf den Rückweg zur Dusche machte. >Joseph Wheeler! Jetzt reiß dich gefälligst zusammen!< Langsam zog sich Joey das Handtuch vom Kopf. >Es bringt dir nichts, wenn du vor Angst schlotterst! Also zeig etwas Optimismus und wenn das nicht funktioniert, dann sei wenigstens entschlossen, dich zu wehren! Du lässt doch sonst nicht alles mit dir machen! Die sollen bloß nicht glauben, dass sie leichtes Spiel mit dir haben!< In diesen Sekunden schlürfte Lee an der Dusche vorbei und warf auch das kleine Fläschen nach ihm. Mehr als lustlos und desinteressiert und Joey bekam es zum Glück nicht ab. "Haare waschen", hörte er nur den nuschelnden Befehl. "Wa...?" Irritiert starrte Joey ihm nach. Lee war bereits wieder verschwunden und Geräusche ertönten, als wäre er auf der Suche nach etwas. Eine Antwort erhielt Joey jedenfalls nicht. >Dieser Mann.< Er blinzelte und rieb sich die Augen. >Vielleicht kann man mit dem reden? Vielleicht gibt es doch einen Fluchtweg?< Nach einem kurzen Zögern begann er nach dem kleinen Fläschen zu tasten, das neben ihm gelandet war. >Dann wasche ich mir eben die Haare. Dann werde ich der Bestie wenigstens sauber zum Fraß vorgeworfen!< Endlich wurde er fündig, tastete den Gegenstand ab und fand endlich einen Schraubverschluss. Flink hievte Kaiba die Reisetasche auf die Rücksitze des Autos, das vor dem Tor des Camps bereitstand, ihn hinunter in das Dorf bringen würde. Er hatte es sehr eilig, bald würden die anderen von ihrem Ausflug zurückkehren. Schnell schob er den Koffer über die Sitzpolster, schlug die Tür zu und wandte sich ab. Noch ein einziges Mal musste er zum Bungalow zurück. Sofort machte er sich wieder auf den Weg. >So gehe ich also mit Verantwortung um!<, dachte er sich verbissen, als er durch das Gras stampfte. >Ich habe wirklich gut auf Joseph aufgepasst! Warum zur Hölle bin ich nicht im Bungalow geblieben?!< Er schob sich durch zwei eng beieinander stehenden Bäume und erspähte das Ziel in nicht allzu weiter Entfernung. >Jetzt reiß dich zusammen! Ich darf keinen vergangenen Fehlern nachtrauern! Ich muss mich darauf konzentrieren, was ich jetzt tun kann!< Seine Miene verfinsterte sich, als er den Haus erreichte und in ihm verschwand. >Joseph! Verdammt, wo bist du nur?!< Behände sprang er die Stufen hinauf, erreichte das Schlafzimmer und erblickte Joeys Reisetasche, die gepackt und fertig zum Abtransport vor dem Hochbett stand. Er starrte sie an, verlangsamte seine Schritte und blieb stehen, um sie weiterhin zu mustern. Ausdruckslos blieben seine Augen auf sie gerichtet. Nur die Augenbrauen verzogen sich allmählich, bis eine leise Furcht, beinahe eine Niedergeschlagenheit dem jungen Gesicht Ausdruck schenkte. In diesen Sekunden plagten ihn mehr Sorgen, als zu dem Zeitpunkt, als Joey mit der Schussverletzung im Krankenhaus gelegen hatte. Ungewissheit war bei weitem schlimmer als das! Sie erlaubte, an mehrere grausame Geschehnisse zu denken, alles als möglich anzusehen. Joey liegt im Krankenhaus. Ja, er ist dort! Die Wunde heilt. Ja, es wird ihm besser gehen! Doch nun? Kaiba legte den Kopf schief, verengte sinnierend die Augen. Joey ist verschwunden. Niemand weiß, wo er ist! Ob es ihm gut geht? Keiner weiß es! Ist er verletzt? Niemand kann das sagen! Die Miene des jungen Geschäftsmannes begann zu zucken. Zögerlich trat er einen Schritt näher. Hätte Joey doch zumindest sein Handy dabei! Dann könnte die Kaiba-Corperation ihn orten! Würden doch wenigstens kleine Hinweise existieren! Kaiba verdrängte diese sinnlosen Grübeleien über das "hätte, könnte, würde", erreichte die Tasche und griff nach ihr. Nichts von alledem war geschehen! Keine Hinweise, kein Handy! Nicht einmal die leiseste Ahnung, wo Joey sich befand! Ein letztes Mal blickte sich Kaiba in diesem Raum um und besah sich die Matratze, die neben ihm auf dem Boden lag. Die verwühlte Decke, das Kissen, das er nahe der Tür gefunden hatte. Würde er je wieder den schlafenden Joey sehen? Würde er je wieder durch das leise Grunzen aufwachen? Würde er je wieder schlaflose Nächte verbringen, weil Joey ihn durch Herumrollen aus dem Bett drängte? Er biss sich auf die Unterlippe, umfasste den Griff der Tasche fester und wandte sich ab. An solche Zweifel durfte er nicht denken! Er würde tun, was in seiner Macht stand! Und er, Seto Kaiba, besaß eine große Macht! Wenn nötig, würde er ganz Thüringen auf den Kopf stellen! Mit Joeys Tasche verließ er den Bungalow, schloss die Tür hinter sich und machte sich eilig auf den Rückweg zum Auto. Er würde Jahre hier verbringen! Er würde hier bleiben, bis die Suche erfolgreich endete! Er würde nicht locker lassen, wenn nötig, sogar all seine Angestellten einfliegen lassen, damit sie sich an der Suche beteiligten! Und wenn es Menschen geben sollte, die an Joeys Verschwinden die Schuld trugen, würde er sie bestrafen! Und wenn man Joey auch nur ein Haar gekrümmt hatte, dann würde es den Verantwortlichen zehnfach zurückzahlen! >Niemand darf Joseph etwas antun, so lange ich lebe!< Nach kurzer Zeit durchschritt er das Tor zum letzten Mal, warf die Tasche zu der anderen auf die Rückbank und richtete sich auf, um die Tür zu schließen. Er tastete nach ihr, linste zufällig zur Seite... und erstarrte. Nur wenige Meter entfernt, trat Daniel Ray schlendernd aus dem Wald. In seinen Händen hielt er einen kleinen Stock, den er gedankenverloren wendete und mit den Fingernägeln bearbeitete. Kaiba starrte ihn an. Der hatte ihm gerade noch gefehlt... er konnte es sich nicht leisten, von jemandem gesehen zu werden, mit dem die anderen zu tun hatten. Langsam richtete er sich auf und als Daniel auf ihn aufmerksam wurde, verlangsamte er seine Schritte und blieb stehen. Binnen kürzester Zeit verzog sich sein ausdrucksloses Gesicht verächtlich, den Stock ließ er sinken. Kaiba atmete tief ein, brach den Blickkontakt ab und schlug die Tür zu. In dieser Sekunde verließ der Mitarbeiter, der ihn in das Dorf fahren würde, das weiße Haus und kam näher. Daniel verzog die Augenbrauen, musterte den Wagen flüchtig und lenkte den Blick erneut auf Kaiba. Dieser drehte sich flüchtig zu dem Fahrer um. "Du reist ab?", erkundigte er sich leicht irritiert und rollte das Stöckchen zwischen zwei Fingern. Kaiba konnte und wollte sich nicht auf ihn einlassen. Er hatte keine Zeit und konnte nur hoffen, dass Daniel den anderen nicht von diesem Treffen berichtete. Von dem Treffen, bei dem Joey nicht anwesend war, obgleich doch jeder erfahren würde, dass Kaiba mit ihm abgereist war. "Was geht's dich an", antwortete er knapp und öffnete die Beifahrertür des Autos, als der Fahrer das Tor hinter sich ließ. Somit stieg er ein. Der Mann tat es ihm nach wenigen Sekunden gleich und als der Motor gestartet wurde, schickte Kaiba Daniel einen kurzen, mahnenden Blick. >Vermassle es mir bloß nicht!< Dann setzte sich der Wagen in Bewegung und Daniel trat zur Seite, sah dem Auto nach und runzelte die Stirn. >Was zur Hölle soll das...?< Vorsichtig tastete sich Joey aus der Dusche. Als er sicheren Boden unter den Füßen hatte, schlang er sich das Handtuch um die Hüfte und band es fest. Gerade hatte er dies geschafft, da spürte er die Kante eines gepolsterten Hockers an seinem rechten Knie. "Hinsetzen." Auch Lee zog sich einen Stuhl heran, ließ sich kraftlos auf ihm nieder und zückte, leise hustend, die Salbe. Nachdem Joeys Hände das Polster gefunden hatten, setzte er sich vorsichtig darauf und blickte sich sogleich um. Er hörte Leeds schweren Atem, spürte ihn sogar etwas auf seiner Haut, als sich der junge Mann etwas nach vorn lehnte. Wieder hustete Lee, bevor er all seine Kräfte aufwendete, um die kleine Tube aufzuschrauben. Währenddessen schenkte er Joey keine Aufmerksamkeit, starrte nur nach unten. Joey jedoch, blinzelte in seine Richtung, die Arme hielt er vor dem Bauch verschränkt. Lange grübelte der Blonde und ebenso lange benötigte Lee, um die Tube aufzuschrauben. "Bist du Chinese?" Mit gesenktem Kopf hielt der Angesprochene kurz in jeglichen Bewegungen inne. Er starrte auf die Tube, zog die Nase hoch und richtete sich etwas auf. "Mm." Somit tunkte er die Fingerspitzen in die Salbe, hob die Hand und näherte sie der verschrammten Schulter zögernd. Er ließ sich Zeit, erweckte den Anschein, als wäre ihm alles lieber als dieser Befehl, den er befolgen musste. Kurz darauf spürte Joey eine flüchtige Berührung an seiner Schulter. Die Finger, die ihn streiften, glühten. Er hielt still. Mit ernster, beinahe schon übertrieben verbissener Miene, begann Lee die Wunden zu versorgen. Die Berührungen waren stets von sehr kurzer Dauer und alles andere als intensiv. Gleichermaßen waren es stets nur die Fingerspitzen, die Joey spürte. Dennoch entging ihm das auffällige Zittern der Hand nicht. Es registrierte es sehr früh und lauschte kurz dem geräuschvollen Atem, bevor er eine weitere Frage stellte. Er wollte sich mit ihm unterhalten. "Warum sprichst du japanisch?" Diese Frage war nicht mit einem "ja" oder "nein" zu beantworten. Joey hatte sie bedacht ausgesucht und wartete nun aufmerksam. Und er wartete lange, ohne dass es sich lohnte. "Schule", ertönte die gebrechliche Stimme. "Lernt man in chinesischen Schulen die japanische Sprache?", erkundigte sich Joey sofort verwundert. Dieses Gespräch, so knapp es bisher auch war, tat ihm gut. Es lenkte ab, ließ ihn die grausamen Tatsachen vergessen. Dem anderen jedoch, schien dies weniger zu gelingen. Wieder stoppte Lee in den Bewegungen, schnappte nach Luft und hielt den Atem an, während er auf die Tube starrte. An seinem Gesicht konnte man deutlich erkennen, dass ihm sogar die Lust an einem Gespräch fehlte. Langsam rümpfte sich die Nase, die trockenen Lippen pressten sich aufeinander und letzten Endes antwortete er nur mit einem leisen Murren. Joey räusperte sich, seine Hände falteten sich ineinander. Nun entschied er sich für direktere Fragen. "Haben die dich auch weg gefangen?" Daraufhin zeigte die bleiche Miene des jungen Mannes keine Regung. Er befasste sich weiterhin mit Joeys zerkratzter Haut, als hätte dieser die Frage nie gestellt. "Weißt du, ich bin hier auf Klassenfahrt, in einem Jugendcamp und...", als er spürte, wie die Hand auf seiner Schulter abrupt in jeglicher Bewegung stoppte, verstummte er und wandte das Gesicht zur Seite. Noch immer starrte Lee nach unten, ein kurzes Zucken fuhr durch seine Miene, bevor er die Hand weiterführte und Joeys Rücken erreichte. Dieser schaute noch immer in seine Richtung, plötzlich hatte er sich in Grübeleien verheddert, Gedanken und Ideen, die er zuerst ordnen musste, um sie zu verstehen. Infolgedessen schwieg er eine Weile. Hin und wieder hustete Lee, immer wieder spürte Joey das Zittern der kühlen Hand. Nach wenigen Minuten blickte er auf. "Was macht ein Chinese in Thüringen?", murmelte er leise, seine Augen weiteten sich. "Sag bloß, du warst hier auch auf Klassenfahrt und..." "Hast du nichts Besseres zu tun, als mich zu belappen?", meldete sich die andere Stimme ganz unverhofft. Sie klang genervt, annähernd sogar aggressiv. Joey atmete tief ein, schloss die Augen und stieß ein leises Brummen aus. "Ob ich nichts anderes zu tun habe?", antwortete er leise und angespannt. "Doch. Am liebsten würde ich schreien und in Panik ausbrechen. Ich würde auch gern jammern und ängstlich um Gnade winseln aber Gespräche beruhigen mich." "Das ist idiotisch", meldete sich Lee verbissen zu Wort, auch seine kraftlose Stimme vermochte seine Gefühle recht gut auszudrücken, wenn auch leise. "Das ist total idiotisch." Endlich redete er. Joey hob die Augenbrauen. "Ich weiß, es ist nichts anderes als Verdrängung, aber in solchen Fällen braucht man einfach jemanden, mit dem man...", er stoppte abrupt, schluckte und zögerte lange mit den nächsten Worten, "... du... du hast dich lange nicht mehr mit jemandem unterhalten, oder...?" Unsicher drehte er das Gesicht zu Lee und, er hatte es gewusst, erhielt keine Antwort. Schwerfällig stand Lee auf, tastete konfus nach dem Stuhl und zog ihn hinter sich her, um sich hinter Joey zu setzen. Dieser lauschte den Geräuschen, spürte einen leichten Luftzug auf dem Rücken und verblieb reglos. Nach einem verausgabten Stöhnen fühlte er jene Finger auf seinem Rücken. Natürlich wurde Lee auf die auffällige Narbe aufmerksam, schenkte ihr jedoch kaum Beachtung. "Wie lange bist du schon hier?", erkundigte sich Joey leise. Er würde Lee beweisen, dass Gespräche ihre positiven Wirkungen hatten, vorausgesetzt, dieser würde es zulassen. Erneut löste sich die Hand von der Haut des Blonden. Sie senkte sie hinab zu der kleinen Tube und legte sich, wie die andere auch, darum. Noch immer war sie die einzige, für die sich Lee zu interessieren schien. Teilnahmslos betrachtete er sie sich, nach kurzer Zeit zwinkerte er müde. "Drei Jahre." Joey konnte es nicht verhindern. Ein kalter Schauer fuhr durch seinen Körper, machte ihn bewegungsunfähig. Starr saß er dort, seine geweiteten Augen waren auf einen nicht existenten Punkt gerichtet, sein Mund stand einen Spalt weit offen. Apathisch begann Lee mit dem linken Zeigefinger in der Salbe zu rühren, als wolle er sich selbst bestätigen, nickte er. "D... drei..." nur abgehackte Silben kamen über Joeys Lippen, als er gegen das Entsetzten ankämpfte. >Drei Jahre?!<, schrie es in ihm. "Drei Jahre?!" Erschrocken fuhr er in die Höhe und drehte sich um, worauf Lee reflexartig und übereilt zurückwich. "Drei Jahre..." Keuchend saß Joey vor ihm und Lee tastete zittrig nach dem Stuhl, um ihn zurückzuziehen, den Abstand zwischen ihnen zu vergrößern. Diese Reaktion entging Joey, nur knappe Geräusche konnte er vernehmen. Er sah weder das schreckensbleiche Gesicht, noch die geweiteten Augen oder gar die hektischen, beinahe konfusen und unkontrollierten Bewegungen des jungen Mannes, als er samt Stuhl zurückrutschte. "Das... das kann doch nicht sein!" Joey schüttelte ungläubig den Kopf. "Weshalb hast du nicht versucht, zu fliehen?!" "Meine... meine Aufenthaltsdauer...", fauchte Lee mit rasendem Atem und hob die Hand zu einer verworrenen Geste. Das Entsetzen, der Schrecken über die plötzliche Nähe schien ihn nicht loszulassen, "... hat nicht zu bedeuten... dass ich das nicht versucht habe!" "Aber..." "Wie kannst du mir das vorwerfen...!" Unter einem gedrückten Ächzen drehte sich Lee auf dem Stuhl zur Seite, krallte die Hand in das Shirt und rang nach Sauerstoff. Die Tube hatte er bei der ersten schnellen Bewegung des Blonden fallen gelassen. "Das habe ich...", verwirrt hob Joey die Hände, "... Lee, das habe ich nicht so gemeint. Ich kann nur nicht glauben, dass..." Sobald Lee die Hände bemerkte, kämpfte er sich keuchend auf die Beine, stolperte zurück und stützte sich auf einem Regal ab, bevor er stürzen konnte. Entkräftet ließ er den Kopf sinken und aus seinem Hals drangen Geräusche, als würde sich seine Lunge zuschnüren. "Ich habe es einmal versucht!", fauchte er dennoch. "Seitdem hab ich eine verdammte Kugel im Bein, die bei jeder Bewegung scheißweh tut! Behaupte nicht, ich hätte es nicht versucht!" "Lee!", unterbrach Joey ihn verstört. Ohne zu zögern kam er auf die Beine. Dies alles ging zu schnell, als dass er es verstehen könnte. Als das er Leeds impulsive Reaktion verstehen könnte. "Beruhige dich doch...", angetrieben durch große Besorgnis, trat er einen Schritt vor, näherte sich Lee, "... hey, ich habe doch nicht gewusst, dass du..." Als er kurz davor war, noch einen Schritt zu tun, hob Lee eilig die Hand und streckte sie ihm entgegen, schützend, zurückweisend. Und das erste Mal blickte er ihm in die Augen. Und das mit einer unglaublichen Ernsthaftigkeit, die beinahe einer drohenden Warnung glich. "Joey, oder wie auch immer du hießt." Mit letzter Kraft schenkte er seiner Stimme Festigkeit, verlieh ihr einen energischen, jedoch vernünftigen Unterton. Joey blieb stehen und Lee ließ allmählich die Hand sinken. "Merk dir eines und merk es dir gut." Lee presste die Lippen aufeinander, unterdrückte den rasenden Atem. "Wenn du mir auch nur einmal zu nahe kommst, dann lasse ich dich sitzen und du kannst sehen, wie du klar kommst. Und wenn du...", die schwarzen Augen verengten sich hassvoll, "... wenn du mich auch nur ein einziges Mal berührst... dann bringe ich dich um!" Langsam öffnete Joey den Mund. Diese Stimme... er schluckte... das... das war keine leere Drohung. Es war, als hätte sich Stahl durch all seine Glieder gefressen - er konnte sich nicht bewegen, der Atem stockte ihm und binnen kürzester Zeit stürzte eine unglaubliche Trauer über ihn herein, eine solche tiefe Betroffenheit, dass sie sich nicht beschreiben ließ. Seine Augenbrauen verzogen sich bedrückt und es war nur ein Gedanke, der schmerzhaft in seinem Kopf hämmerte. >Was hat man dir nur angetan...? Welche Leiden musst du durchlebt haben...< "Lee..." Seine Stimme war nicht mehr als ein kraftloses Flüstern. Langsam und stockend richtete sich der junge Mann auf, die Hand, die er soeben noch erhoben gehalten hatte, tastete sich ebenfalls zum Regal, so als bräuchte er sie ebenfalls, um genügend Halt zu finden. Seine schwarzen Augen waren abwägend und aufmerksam auf Joey gerichtet, der nun zu einem matten Nicken imstande war. >Das verstehe ich, Lee... das verstehe ich gut.< "Ich bin blind", hauchte er leise und senkte den Blick. "Ich weiß nicht, ob ich dir nahe bin oder nicht." "Dann sei vorsichtig, wenn du meine Stimme in deiner Nähe hörst", erwiderte Lee ebenso flüsternd und hob die Hand, um sich einige lange Strähnen aus dem Gesicht zu streifen. Joey nickte betrübt und der junge Mann löste sich langsam von dem Regal, strauchelte zum Waschbecken und stellte das Wasser an. Joey regte sich nicht, während sich Lee hinabbeugte und den Kopf unter den Wasserhahn hielt. Während es rauschte, trat Joey zurück, tastete nach dem Hocker und setzte sich. Er bewegte sich nur stockend, nun beschäftigte ihn eine andere Frage, eine Frage, die ihm noch wichtiger erschien. Nachdenklich und niedergeschlagen blinzelte er und rieb sich die Augen. Zu diesem Zeitpunkt konnte er sie jedoch unmöglich an Lee stellen, das würde an grausamer Taktlosigkeit grenzen. Außerdem... Joey ließ den Kopf sinken und biss sich auf die Unterlippe. Außerdem... hatte er Angst vor der Antwort. In diesen Sekunden verstummte das Rauschen. Lee tastete nach einem Handtuch, zog es sich über den Kopf und bewegte es träge auf dem Haar. Dabei ließ er sich Zeit, trocknete sich auch das Gesicht und warf das Handtuch letztendlich in die nächste Ecke. Als er sich umdrehte, richteten sich seine Augen erneut auf Joey und nun wirkte auch er nachdenklich. Er musterte ihn knapp, zog die Nase hoch und steuerte dann in unsicheren Schritten auf die Tür zu. "Ich hole dir Kleider." Mit diesen Worten tastete er nach der Klinke, drückte sie langsam hinab und verschwand draußen im Flur. ~*To be continued*~ Kapitel 5: Schritt für Schritt ------------------------------ Kurze Zeit später, wurde Joey wieder durch den Flur dirigiert. Auf einmal war es ein merkwürdiges Gefühl, den Druck der glühenden Fingerkuppen auf den Schultern zu spüren. Vorsichtig ging Joey vorwärts, die Hände hielt er vor den Hüften ineinander gefaltet. Nun trug er Shorts und ein weites Hemd, was wesentlich angenehmer war, als halbnackt zu sein. "Treppe", murmelte Lee leise, als er Joey um eine Ecke schob. Aufmerksam tastete dieser mit den Füßen nach der ersten Stufe und stieg sie hinab. Lee's Hände zitterten stärker, seit er mit den Kleidern zurückgekehrt war. Joey spürte es genau und es beunruhigte ihn. Auch der schwere, beinahe röchelnde Atem drang an seine Ohren. Auf ihn konnte Joey jedoch nicht mehr lange achten, denn von unten aus dem Erdgeschoss, hörte er nun die Stimmen jener Männer. Er vernahm Gelächter, ebenfalls andere Geräusche, als wenn Flaschen aneinanderklirrten. Unbewusst stemmte er sich etwas gegen Lee. Nun, da er wusste, wer diese Männer waren, ängstigte ihn deren Anwesenheit umso mehr. Doch Lee zwang ihn mit einem geschwinden Druck zum Weitergehen. Nach wenigen Stufen steigerte sich das Gelächter in der Lautstärke und bald konnte Joey mit Hilfe dieser ausmachen, wann sie die Treppe hinter sich hatten. Erneut lotste Lee ihn um eine Ecke und als Joey nach der nächsten Stufe tastete, verstummte das Gelächter augenblicklich. Leicht nervös hob Joey den Kopf und nach dem nächsten Schritt fühlte er unter seinem Fuß den kratzigen Stoff eines Teppichs. Er wollte weiter, weg von den Männern, weiter in sein Zimmer. Noch ein Schritt gelang ihm, dann plötzlich quietschte ein Stuhl und die Finger, die auf Joeys Schultern lagen, befahlen ihm durch einen schmerzhaften Druck, stehen zu bleiben. Sofort gehorchte Joey, die Finger lösten sich von seinen Schultern und er vernahm ein einschätzendes Murmeln, das aus mehreren Richtungen zu kommen schien. Unsicher streiften seine Pupillen durch die Umgebung und als er einen kühlen Luftzug spürte, richtete er sie direkt nach vorn. Dort war jemand stehen geblieben. Er wusste es... Langsam richtete er sich aus der zusammengesunkenen Haltung auf, ballte die Hände zu Fäusten und runzelte die Stirn. Diese Typen... er konnte sie nicht ausstehen! Hegte tiefste Verachtung für sie, wenn er sich nur vorstellte, zu was sie Lee gezwungen, oder was sie ihm gar selbst angetan hatten! Seine Miene verfinsterte sich. Er spürte regelrecht, wie sich ein Blick musternd auf ihn richtete. Nur flüchtig besah sich der Schwarzhaarige den jungen Mann von Kopf bis Fuß, wurde auf das Haar aufmerksam und hob die Hand, um nach einer der Strähnen zu greifen. Er erwischte eine der vorderen und sobald Joey diese Berührung spürte, zog er den Kopf weg; die Strähne entglitt den rauen Fingern. "Pfoten we..." Weiter kam er nicht, denn unvorhergesehen rammte sich eine geballte Faust in seinen Magen. Von der Wucht erfasst, stolperte Joey zurück und Lee trat zur Seite, bevor er gegen ihn stoßen konnte. So schlug der Blonde auf den Stufen auf, stöhnte schmerzvoll und krümmte sich nach vorn, beide Arme um den Bauch schlingend. >Verdammt, ich hab nur den Kopf zurückgezogen!!< Keuchend biss er die Zähne zusammen und kämpfte um Sauerstoff, den der Schlag ihm geraubt hatte. >Was soll der Scheiß?!< Lee hatte das Geschehen verfolgt, ohne mit der Wimper zu zucken. In sicherer Entfernung zu dem Mann, stand er dort und betrachtete sich Joey ungerührt. "Kleine Mistkröte." Der Brünette, der es sich am Tisch gemütlich gemacht hatte, schüttelte amüsiert den Kopf und hob die Zigarette zum Mund. Der andere, der in einem alten Sessel kauerte, stieß einen argen Fluch aus und fuhr sich durch den Schopf. "Dem werden wir noch Manieren beibringen!", fauchte er. "Und du miese Ratte hast es anscheinend noch nicht für nötig gehalten, ihm unsere Regeln einzubläuen!" Rasend vor Wut, trat der schlagfreudige Mann auf Lee zu, der sofort zurückwich. "Wie bescheuert bist du eigentlich?! Hast du kein Hirn im Schädel, du Arschloch?!" Er näherte sich Lee weiterhin und bevor dieser weiter zurücktreten konnte, hatte er ihn mit einem großen Schritt erreicht. Die wuchtigen Hände schlugen sich brutal in das Hemd und mit einer schnellen und unheimlich kraftvollen Bewegung, rammte er den jungen Mann hinterrücks gegen die Wand. Lee machte den Anschein, als würde er sogleich zu Eis erstarren, als wäre er zu keiner einzigen Bewegung mehr fähig. Geräuschvoll brach der hastige Atem aus ihm heraus, von der Angst ergriffen, richteten sich die geweiteten Augen auf die des Mannes. Dieser schrie weiter und Joey richtete sich benommen auf. "Hast wohl immer noch nicht genug, hä?? Was sollen wir mit dir Hurensohn noch anstellen, damit du endlich unsere Befehle befolgst und..." "Hey!" Joey kämpfte sich in eine aufrechte Haltung und verengte die Augen. "Es ist meine Schuld, okay?? Wenn du ihn nicht sofort in Frieden lässt, dann..." "Halts Maul!", wurde er unterbrochen. Jedoch nicht von einem der Männer, nein... von Lee. Mit bebendem Atem biss dieser die Zähne zusammen und lugte zitternd zu ihm. "Lee, du kannst dir das doch nicht gefa...!!" "Du sollst das Maul halten!!" Bevor Lee ausgesprochen hatte, löste der Mann die Hände aus dessen Shirt und stürzte auf Joey zu. In dieser Sekunde sprang jedoch der Mann am Tisch auf. "Fass ihn nicht an, Rick!!", schrie er wütend, stand mit einem Satz vor diesem und packte ihn. "Welcher Kunde soll ich für ein blaues und blutendes Häufchen Elend interessieren?!" "Ich prügle ihn tot!!" Rick versuchte sich loszureißen. Nun mischte sich auch der Dritte ein und mit vereinter Kraft gelang es ihnen, den Wütenden zurückzudrängen. Gleichzeitig sank Lee von allen Kräften verlassen, zu Boden. Joey lauschte dem Geschrei angespannt. "Jetzt reiß dich zusammen, man!! Denk an den Profit, den wir mit ihm machen werden!! Nach ein paar Freiern wird er genau so um Gnade winseln, wie diese Witzfigur!!" Der Brünette bedachte Lee mit einem flüchtigen Blick. "Du kannst ihn zusammenschlagen, wenn er uns genug Geld gebracht hat und wir ihn nicht mehr brauchen!", fluchte der andere. "Lass deine Wut solange an dem Krüppel aus, wenn es nicht anders geht!! Aber den Frischling rührst du nicht...!!" Er verstummte, als ein leises Zischen an seine Ohren drang. Auch die anderen hielten inne und beinahe gleichzeitig drehten sie sich um. Entkräftet neigte sich Lee nach vorn. Seine Arme umschlangen krampfhaft den Magen und nach einem leisen Würgen, begann er schmerzhaft zu stöhnen. Die langen Strähnen fielen in das blasse Gesicht, als er weiter vorn über sank, bis seine Stirn den Boden berührte. Zusammengekrümmt und betäubt vom Schmerz, verharrte er in dieser Haltung, seine Miene verzerrte sich. Fassungslos öffnete Joey den Mund, seine Augen starrten geweitet ins Leere. >Lee...?!< "Verdammt noch mal!" Der Brünette raufte sich die Haare. "Geht das schon wieder los!" "Warum beseitigen wir den nicht endlich?" Der Schwarzhaarige stöhnte entnervt und gestikulierte mit den Händen. "Was bringt er uns noch, nun, da wir Nachschub haben!" Joey schnappte nach Luft, seine Hände tasteten unsicher nach den Kanten der Stufen, auf denen er kauerte. Der andere Mann näherte sich Lee währenddessen in schlendernden Schritten. "Wenn es doch wenigstens mit ihm zu Ende gehen würde!", fluchte er und stieß die Spitze seines Schuhes in Lee's Seite, worauf dieser laut ächzte. "Dann könnten wir ihn in den Wald werfen und damit wäre es getan!" "Auf der anderen Seite, bringt selbst er uns noch Geld", stellte der Brünette unzufrieden fest. "Wenn auch nicht besonders viel..." "Schleifen wir ihn hoch, damit er uns hier nicht mit seinem Gejammer stört!" Auch der Schwarzhaarige trat näher. "Lee...?" Stockend tastete sich Joey über die Stufen und schob sich tiefer. Bevor er Lee jedoch erreichen konnte, wurde er von einem der Männer am Handgelenk gepackt und auf die Beine gezerrt. "Komm mit!" "Verfluchter Drecksack, lass mich los!!" Joey stemmte sich in die andere Richtung, als er an Lee vorbeigezogen wurde. Doch seine Kraft genügte nicht, um stand zuhalten, nur ein ruppiges Ziehen war von Nöten und schon stolperte er nach vorn, stolperte hinter dem Mann her, der auf den Flur zusteuerte. Keuchend drehte er sich um und schaute zurück. "Lee!", panisch schweiften seine Pupillen von einer Seite zur anderen, als er den Arm ausstreckte. "Lee!!" Selbst, als er bereits durch den Flur gezerrt wurde, vernahm er diese schrecklichen Geräusche. Dieses Ächzen, dieses Stöhnen, als würde Lee vor Schmerzen den Verstand verlieren! Noch einmal schrie Joey seinen Namen, dann erreichte der Mann jene Tür, riss sie auf und stieß ihn in den dahinter liegenden Raum. Joey fand kein Gleichgewicht, er stolperte nach vorn und stürzte. Und noch während er auf dem Boden aufschlug, flog hinter ihm die Tür in die Angeln zurück. "Ich warte jetzt schon seit drei Minuten!!" Am Ende der Nerven sprang Kaiba auf. Er hatte eine Polizeistation aufgesucht, die gleichzeitig auch die einzige Thüringens und von insgesamt zehn einsatzfähigen Polizisten bemannt war. Nun stand er in einer zum Warteraum umgebauten Ecke, schrie in einen schmalen Gang hinein und lenkte so die Aufmerksamkeit der wenigen Anwesenden auf sich. Zwei Polizisten blieben stehen und ließen irgendwelche Unterlagen sinken, aus einem der Büros lehnte sich ein anderer. Die Reisetaschen stehen lassend, steuerte Kaiba auf einen der Polizisten zu. "Ich will sofort mit Ihrem Vorgesetzten sprechen!", fuhr er diesen an. "Es erscheint mir nicht so, als würden hier große Arbeitstätigkeiten herrschen! Weshalb sollte ich länger warten, obwohl ich ein wirklich dringendes Anliegen habe?!" Der Polizist hob die Augenbrauen. "Worum handelte es sich gleich noch mal?" "Um einen Vermissten-Fall!", fauchte Kaiba und ballte die Hände zu Fäusten. "Wie oft soll ich das noch sagen?! Man bringt mir hier eine ungeheure Unverschämtheit entgegen!! Wenn Sie mich nicht sofort zum Vorgesetzten führen, dann..." Der Polizist drehte sich um. "Ist Schmidt da?", wandte er sich lässig an den, der aus dem Büro lugte. "Glaub schon", kam die ebenso ruhige Antwort. Währenddessen stieß Kaiba ein dumpfes Stöhnen aus und fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht. Der Polizist murmelte etwas Unverständliches und wandte sich ab. "Folgen Sie mir." Kaiba atmete tief durch, klammerte sich mit der letzten ihm verbleibenden Kraft an die Geduld und tat es. Hinter dem Mann ließ er den Flur zurück, bog um eine Ecke und schien nach einem kurzen Weg das Ziel zu erreichen. Der Polizist klopfte an eine Tür, öffnete diese sogleich und trat ein. Hinter der Tür erstreckte sich ein kleines Büro, in dem nahezu gähnende Leere herrschte. Nur ein Schreibtisch und wenige Regale, die kaum benutzt wurden. Viel Unterlagen, beziehungsweise Akten, schienen nicht vorhanden zu sein. Hinter dem Schreibtisch lehnte ein korpulenter Mann in einem alten Lederstuhl, der sich genüsslich eine Bratwurst schmecken ließ und von der Störung nicht sehr begeistert zu sein schien. Er runzelte die Stirn und Kaiba folgte dem Polizisten in den Raum, wo er sogleich vorgestellt wurde. Der junge, beinahe zu junge Mann, wies mit einer knappen Kopfbewegung auf ihn. "Er hat ein Anliegen." Der Polizeichef musterte Kaiba flüchtig und desinteressiert, bevor er leise brummte und die Bratwurst sinken ließ. "Ich habe Pause." Der junge Polizist zuckte mit den Schultern und wandte sich an Kaiba. "Tja, wie Sie sehen, werden Sie sich wohl noch einen Moment gedulden mü..." Er verstummte, als Kaiba in schnellen Schritten an ihm vorbeizog, flink den Schreibtisch erreichte und sich förmlich vor dem Polizeichef aufbaute. "Hören Sie!", stieß er drohend aus und rammte die Faust auf das raue Holz hinab. "Ich verlange, dass Sie sich mein Anliegen sofort anhören und entsprechend handeln! Im Gegensatz zu Ihnen habe ich keine Zeit, die ich vergeuden kann! Ich lasse mich nicht vergackeiern... und zur Hölle noch mal, stecken Sie die gottverdammte Bratwurst weg!" "Immer mit der Ruhe." Der Polizeichef kaute weiter, zeigte sich wenig beeindruckt. Jedoch schickte er den jungen Polizisten mit einer trägen Bewegung nach draußen und richtete sich ebenso lahm auf. Anschließend schickte er Kaiba einen mürrischen Blick und biss in die Bratwurst, worauf der Ketschup auf einige wahrlose Blätter tropfte. Die Miene des jungen Japaners verdunkelte sich wutentbrannt. "Sie können hier nicht so einfach auftauchen und verlangen, dass man sich sofort mit Ihnen befasst." Mit einer faulen Bewegung wischte der dicke Mann den Ketschup weg. "Wie heißen Sie eigentlich." "Ich bin Seto Kaiba!", kam die fauchende Antwort. "Und ich habe sehr wohl das Recht, so etwas zu verlangen!" Kaiba presste die Lippen aufeinander und stützte sich auf den Schreibtisch, den Mann scharf fixierend. "Ein Bekannter ist verschwunden! Jemand, der kein Wort Deutsch spricht, sich hier nicht auskennt und möglicherweise sogar blind ist! Sehen Sie das als dringendes Anliegen an?!" Der Polizeichef rümpfte die Nase. "Seto Kaiba... mm... hab schon mal von Ihnen gehört." "Was tut das zur Sache!", stieß Kaiba erschöpft aus. Er wünschte sich, laut schreien zu können, seine Fingernägel bohrten sich in das Holz. "Wie lange ist denn Ihr 'Bekannter' schon verschwunden." Mit einer routinierten, beinahe schon gelangweilten Miene, begann der Mann in einem der fast leeren Schubfächer zu wühlen. Diesmal zögerte Kaiba mit der Antwort. Seine Miene verzerrte sich säuerlich, als er die Augen verengte und die Nase rümpfte. Erneut holte er tief Atem, bevor er sich aufrichtete. "Seit knapp vier Stunden." Daraufhin hielt der dicke Mann in jeglichen Bewegungen inne und wollte anheben, doch Kaiba unterbrach ihn schnell, indem er hastig den Kopf schüttelte. "Jetzt lassen Sie diese bescheuerte Regelung außer Acht! Wenn ich weitere zwanzig Stunden warten muss, bis die Suche eröffnet wird, komme ich um den Verstand!" Der Polizeichef brummte; die Bratwurst wanderte langsam zu seinem Mund zurück. "Verdammt, anstatt hier tatenlos spazieren zu gehen, könnten sich Ihre Männer nützlich machen! Ich kenne mich in diesem Dorf nicht aus und bin auf Ihre Hilfe dringend angewiesen!" Kauend runzelte der Mann die Stirn, Kaiba stand keuchend vor ihm. "Herr Kaiba, ich bin ein Mann, der seinen Job sehr ernst nimmt." Wieder tropfte Ketschup vom Brötchen. Interessiert suchte der Polizeichef nach dem Fleck auf seiner Hose. "Mein Job ist es, die Gesetze zu vertreten und ich werde gegen keines dieser Gesetze verstoßen, es auch nicht 'außer Acht lassen'. Ich bitte Sie, wie würde ich denn da stehen, wenn ich..." "Jedenfalls nicht schlechter, als Sie es bereits tun!", fauchte Kaiba verächtlich. "Mm...", er wurde fündig, wischte kurz und richtete sich auf, "ich sage Ihnen, was Sie jetzt tun können. Suchen Sie sich hier eine Bleibe, entspannen Sie sich und warten Sie die zwanzig Stunden. Danach verspreche ich Ihnen, mich mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln, an der Suche zu beteiligen." "Das ist nicht Ihr Ernst." Kaiba schüttelte ungläubig den Kopf. Der Polizeichef jedoch, zuckte lediglich mit den Schultern. "Wer weiß? Vielleicht ist es gar nicht so schlimm?" "Wie bitte...?" Kaiba erstarrte. "Vielleicht hat sich Ihr Bekannter nur kurz aus dem Staub gemacht? Vielleicht wollte er sich mal zurückziehen und kommt bald zurück. Dazu gibt es ja die Regel mit den vierundzwanzig Stunden." "Er ist möglicherweise erblindet!", fauchte Kaiba. "Manche Menschen sind doch auf ihre Augen überhaupt nicht angewiesen", begann der Polizeichef zu philosophieren. "Manche Blinde kommen sogar besser klar als Sehende. Das ist nun wirklich kein Grund, um..." Einen japanischen Fluch zischend, drehte sich Kaiba einmal um die eigene Achse. Er raufte sich die Haare, beugte sich nach vorn und taxierte den dicken Mann brennend. "Hören-Sie!", stieß er aus. "Es ist mir scheißegal, was Sie davon halten! Wenn er wirklich blind sein sollte, dann ist er es erst vor kurzem geworden! Wer weiß, was er in diesem Schreckensmoment getan hat! Jedenfalls hockt er ganz sicher nicht auf eine Wiese und pflückt Blumen!! Als ein Mann, der seinen Job ernst nimmt, müssten Sie auch dieses Anliegen ernst nehmen!" "Werden Sie nicht frech!" Der Mann schob sich den Rest des Brötchens in den Mund. "Wenn iff fies wär, würd iff fagen, daff mir Ihre Meinung auch feifegal iff, aber..." Donnernd ging Kaibas Faust auf den Schreibtisch nieder, ein vereinsamter Stiftehalter erzitterte. "Ich sehe es schon! Mit Ihnen kann man nicht darüber reden! Ich werde meine Zeit sicher nicht damit vergeuden, mit Ihnen dämliche Gespräche zu führen, die zu nichts taugen, mich um keinen Millimeter voranbringen! Ich will Joseph finden und werde alles tun, damit ich das schaffe!!" Der Polizeichef knurrte wütend. "Viel Glück." Langsam richtete sich Kaiba auf, zitternd ballten sich die Hände und seine Vernunft klammerte sich verzweifelt um das letzte Fünkchen der Geduld, von der er seit vier Stunden sehr wenig besaß. Er stand dort und schwieg verbissen, der Polizeichef erwiderte seinen Blick düster, beinahe unbeteiligt. Mit viel Anstrengung gelang es Kaiba, den Atem zurückzuhalten, der aus ihm herausbrechen wollte, Schimpfwörter und Flüche unausgesprochen zu lassen. Verkrampft biss er die Zähne zusammen, die knirschten. "Gut." Er nickte, erst langsam, dann schneller. "Toll... das ist... wirklich toll." Mit diesen Worten schickte er dem hilfsbereiten Mann einen tödlichen Blick und wandte sich ab. >Das ist nicht wahr!< Zog es ihm durch den Kopf, als er die Tür wütend in die Angeln zurückschmetterte und durch den Flur eilte. >Das kann nicht sein!! Das ist ein Alptraum!!< >Joseph Wheeler! Jetzt reiß dich gefälligst zusammen!!< Zusammengekauert hockte Joey auf dem Bett. Die Beine hatte er angewinkelt und zu sich gezogen, so weit es ihm möglich war. Das Gesicht hielt er zwischen den Knien verborgen, die Hände verdeckten krampfhaft die Ohren. Er zitterte am ganzen Leib. Seit einer unendlich erscheinenden Zeit, zogen Nerven zerreißende Laute durch das Haus. Gellendes Schreien, klägliches Wimmern, gepeinigtes Ächzen... Seit einer unendlich erscheinenden Zeit sah sich Joey dieser Nervenfolter hilflos aufgeliefert. Ob er die Ohren verdeckte oder gar die Decke über den Kopf zog... er hörte alles! >Reiß dich zusammen!! Es bringt dir nichts, wenn du vor Angst schlotterst!< Nur mit großer Anstrengung brachte er diese Gedanken erneut zustande, auch wenn sie sich in diesen Sekunden mehr als unglaubwürdig zeigten. Viel eher wirkten sie wie eine verzweifelte Selbstbelügung. Doch genau das war Joey: verzweifelt! Sie hatten Lee nach oben geschleppt und dennoch hörte er sein Leiden! Nicht selten vernahm er auch das Klirren eines gläsernen Gegenstandes... Das Schlimmste jedoch... war das Lachen der Männer, die sich in der Küche ihrem Bier hingaben!! Sie scherten sich einen Dreck darum, was in der ersten Etage geschah! Sie ließen sich nicht einmal stören! Als wären sie dergleichen gewöhnt!! Verkrampft biss die Joey die Zähne zusammen und unter einem gedrungenen Ächzen, ließ den Kopf noch tiefer sinken, presste das Kinn auf die Brust und schob die Hände weiter zum Nacken, wo er sie hastig ineinander faltete. >Also... also zeig etwas Optimismus...< Gehetzt schnappte er nach Luft, ein Nerven zerreißender Schrei ließ ihn zusammenzucken. >Und... und wenn das nicht funktioniert... dann sei wenigstens entschlossen, dich zu wehren...< Nachdem der Schrei ausgeklungen war, folgte eine ungewohnte, nahezu gespenstische Stille. Joey verharrte reglos und lauschte angespannt. Diese Lautlosigkeit... In der Küche brachen die Männer in schallendes Gelächter aus, in der ersten Etage jedoch, herrschte Stille. Seit einigen Minuten hatte sie nicht mehr so lange angedauert. >Lee...< zitternd lockerten sich die Hände, lagen alsbald entspannt ineinander gefaltet, auf dem Nacken des Blonden. >Wie soll ich zum Widerstand entschlossen sein, wenn ich Zeuge deiner Mutlosigkeit und deines Leidens werde?!< Unter einem gequälten Seufzen, spreizten sich die Finger voneinander. >Wer schenkt mir in so einer Situation Kraft?!< "Pikotto...", langsam ließ Kaiba die Zigarette sinken. Er kauerte in einem großen Sessel, die Füße hatte er auf einen kleinen Tisch gelegt. Er hatte eine "Bleibe" gefunden. Eine Bleibe, anders konnte man es nicht nennen. Nur ein kleines Zimmer und ein Bad. Durch die wenigen Spalten der zugezogenen Gardinen konnte man die Finsternis erkennen, die vor den Fenstern lag. Ja, es war tiefe Nacht. Seit langer Zeit war Kaiba nicht mehr aufgestanden, an seinem Ohr hielt er träge das Handy, die Finger der anderen Hand hielten die Zigarette, die den kleinen Berg des Aschenbechers weiter ansteigen lassen würde. Niedergeschlagen und erschöpft starrte Kaiba auf die dunkle Decke des Zimmers, nur eine kleine Lampe brannte. In der Leitung herrschte Stille. Langsam atmete Kaiba ein, blinzelte müde und hob die Zigarette erneut zum Mund, ein leises Rauschen, ein Atemzug auch in der anderen Leitung. "Was willst du tun?", erkundigte sich eine ruhige Stimme. Als Kaiba den Mund einen Spalt weit öffnete, stieg sogleich der Rauch gen Zimmerdecke auf. Abwesend betrachtete er ihn sich und kurz darauf zog ein Grinsen an seinen Lippen. "Wollen tue ich viel", flüsterte er. "Die Frage ist, was KANN ich tun. Die Polizei ist nicht dazu bereit, sich vorzeitig an einer Suche zu beteiligen. Soll ich das Dorf durchlaufen und dabei jeden, der mir entgegenkommt, Fragen stellen? Zumal es möglich ist, dass Joseph....", er verstummte und seine Miene verlor an Ausdruck, während seine Augen den Strukturen des aufsteigenden Rauches folgten. "Was ist möglich?", meldete sich Pikotto nach kurzer Zeit zu Wort. Als hätte Pikotto diese Frage nie gestellt, regte sich Kaiba nicht. Gemächlich glitten seine Pupillen höher, bis der Rauch an Struktur verlor und die schweren Nebelschwaden verfestigte, die leblos im Raum trieben. "... nicht einmal mehr in diesem Dorf ist", hauchte er beinahe lautlos. "Woher willst du das wissen?" In der Leitung ertönten Geräusche, das Klicken eines Feuerzeuges. "Vielleicht ist er ganz in deiner Nähe und du weißt es nur nicht." "Was ist, wenn ihm etwas zustieß?" Kaiba schloss die Augen und lehnte sich erschöpft zurück. Daraufhin herrschte lange Stille, die hin und wieder nur durch das leise Atmen unterbrochen wurde. "Du meinst wirklich, dass er blind ist?" "Eine andere Erklärung sehe ich nicht", antwortete Kaiba sofort. "Was hätte er für einen Grund, fortzugehen? Keinen, und das ist es! Er hat sogar das Camp verlassen! Ein Moment unüberlegt handeln, sich von der Panik leiten lassen. Dann geht etwas Derartiges schnell. Welche Panik? Die Panik durch das plötzliche Erblinden. Hast du eine bessere Idee?" "Mm..." "Jetzt stehen wir immer noch vor der gottverdammten Frage, was ich unternehmen soll." Beiläufig drückte Kaiba die Zigarette aus und fuhr sich durch das Haar. "Ich kann hier nicht einfach herumsitzen und die zwanzig Stunden abwarten! Zwanzig Stunden, verdammt noch mal! Weißt du, was das für eine lange Zeit ist, wenn man sich in so einer verfluchten Situation befindet? Andere Polizeistellen gibt es in der Nähe des Dorfes nicht! Nicht einmal über fünfzig Einwohner scheint es zu haben! Kaum jemanden, den ich für die Suche vielleicht gewinnen könnte! Aber ich werde nicht vorankommen, wenn ich spazieren gehe und jeden einzelnen frage!" "Falls Josephs Verschwinden wirklich der Mithilfe anderer Menschen zu verdanken ist", begann Pikotto zu grübeln, Kaiba biss sich auf die Unterlippe, "... dann sollten wir versuchen, uns in deren Lage zu versetzen." "In deren Lage?!" Kaiba fuhr in die Höhe. "Wir wissen nicht, ob andere Menschen daran die Schuld tragen, geschweige denn, was sie mit seiner Entführung gedenken würden, zu erreichen! Wie soll ich mich in deren Lage versetzen, obwohl ich keine Ahnung von alledem habe?!" "Beruhige dich", brummte Pikotto grüblerisch. "Ich wollte damit lediglich sagen, dass du abgelegenere Orte aufsuchen solltest. Nur wenige, die einen Menschen entführen, verstecken diesen in ihrem Haus. Zumeist existiert ein geheimes Versteck, das unauffällig genug ist." "Du hast Recht, so beschränkt sich die Suche." Kaibas Blick richtete sich auf eine kleine Wanduhr. "Dann nehme ich mir einen weniger bewohnten Teil des Dorfes vor." Somit richtete er sich auf und erhob sich. Pikotto hatte die Geräusche gehört. "Willst du die Suche sofort fortsetzen?" "Tse." Kaiba war bereits auf dem Weg zur Tür, nebenbei schnappte er nach einem kleinen Schlüssel, der auf einer Kommode lag. "Bis es hell wird, sind es noch fünf Stunden. Die Zeit kann ich nicht mit schlafen verschwenden, geschweige denn, ich schaffe es, in den Schlaf zu finden." Er öffnete die Tür, trat in das dunkle Treppenhaus und schloss sie sogleich hinter sich. "Wenn ich das tue, dann kann ich auch gleich die restlichen fünfzehn Stunden untätig herumsitzen." "Mm." In eiligen Schritten stieg Kaiba die Treppen hinab und erreichte schnell das Erdgeschoss. Dort verlangsamte er den Gang, sein Blick sank nachdenklich, beinahe verbissen auf den düsteren Boden und dann blieb er stehen. "Pikotto", sagte er leise. "Das ist das erste Mal, dass ich das Gefühl habe, meine Macht wäre keinen Pfifferling wert." Bald erhob sich die Sonne hinter den Bergen Thüringens und verdrängte die nächtliche Finsternis aus der waldigen Gegend. Binnen kürzester Zeit erloschen die Sterne am Himmel und dieser färbte sich in einem harmonischen Rot-Ton. Als Joey ein leises Geräusch vernahm, öffnete er die Augen und binnen kürzester Zeit war er wach. Jemand öffnete die Tür zu seinem Zimmer und an der Art, wie dies getan wurde, konnte er feststellen, dass es sich nicht um einen der brutalen Männer handelte. Nein, sie wurde langsam aufgeschoben und nachdem schlürfende Schritte ertönt waren, klackte sie leise in das Schloss zurück. Joey konnte es sich nicht erklären, doch mit dem Erscheinen jenes jungen Mannes verschnellerte sich der Takt, in dem sein Herz schlug. Er war nervös, richtete sich nur stockend auf und starrte zur Tür. Langsam ließ Lee die Hand von der Klinke rutschen, holte tief Luft und drehte sich zu dem Blonden um, der reglos dort kauerte. Zögernd richteten sich die schwarzen Augen auf diesen, um ihn zu mustern, wenn auch nur flüchtig. Dann löste er sich von der Tür und durchquerte in den kraftlosen Schritten den Raum, bis er das Fenster erreichte. Ohne Joey einen weiteren Blick zu schicken, griff er durch die Gitterstäbe, öffnete das Fenster und kippte es an. Sogleich schlängelte sich eine frische Brise durch den Spalt und begann die dicke Luft, die schwer im Zimmer lag, zu verdrängen. Joeys Augen waren Lee gefolgt, machten nicht den Anschein, blind zu sein, als sie sich zufällig direkt auf ihn richteten. Noch immer jagte eine eiskalte Gänsehaut durch Joeys Körper, wenn er an die Schreie letzter Nacht dachte. Wenn er sich nur an sie erinnerte, fühlte er sich, als würde sich sein Herz krampfend zusammenziehen. Langsam tasteten sich die bleichen Hände über die alte Tapete, erreichten das Fensterbrett und legten sich darum. Eine weitere Brise zog zu ihnen hinein und flüchtig schloss Lee die Augen, um diesen Freiheitsgruß mit größtem Genuss zu behandeln. Zögernd presste Joey die Lippen aufeinander. Er wollte, nein, er musste die Frage in den nächsten Sekunden loswerden. Nach den gestrigen Geschehnissen konnte er nicht länger warten, zumal ihn Grübeleien gequält hatten. Er sah sich dazu getrieben, die Frage zu stellen, sah sich dazu gezwungen, die Antwort zu erfahren, so sehr er sich auch vor ihr fürchtete. Als er einen leisen Atemzug vernahm, ließ er den Kopf sinken und faltete beide Hände auf dem Schoss ineinander. "Lee...", hob er leise an, ohne es zu wagen, aufzublicken. Der Angesprochene jedoch, drehte langsam das Gesicht zu ihm. "Was ist mit dir?" Lee's Miene zeigte keine Regung, die schwarzen Augen blieben nahezu ausdruckslos auf Joey gerichtet. Die Hände verharrten an der Kante des Fensterbrettes. Und er schwieg. "Du hast geschrieen", murmelte Joey leise und begann unsicher die Hände zu bewegen. "Ich habe alles gehört." Seine Schultern hoben und senkten sich unter einem tiefen Seufzen. "Das ist grässlich..." Lahm lehnte sich Lee nach vorn und stützte die Stirn auf eine seiner Hände. In dieser Haltung schloss er die Augen. "Ich weiß, dass ich mich falsch benommen habe und es tut mir leid, auch wenn es dir nach dieser Nacht vielleicht nicht viel bedeutet. Aber ich... ich habe mir Gedanken und Sorgen gemacht... die ganze Zeit, bis jetzt. Und..." "Ich sterbe." Joeys Lippen bewegten sich weiterhin, jedoch stumm. Diese Worte... Noch bevor er ihren Wert verstehen und realisieren konnte, was mit ihnen gemeint war, versagte seine Stimme und er war zu nichts mehr imstande, das einer Reaktion ähnelte. Nur einen kurzen, äußerst schmerzhaften Stich in der Nähe seines Herzens spürte er, bevor er reglos verharrte und mit ausdruckslosen Augen in die Finsternis starrte. Auch Lee verblieb kurz in der Haltung, bevor er sich langsam und stockend in eine Aufrechte kämpfte. Seine Lider waren gesenkt, die linke Hand legte sich schützend vor den Bauch, während die andere stützend auf dem Fensterbrett liegen blieb. Er blickte auf den Boden hinab, holte tief Atem und blinzelte müde. "Er dürfte bald im Endstadium sein." Seine Lippen bewegten sich beinahe lautlos, nur ein kraftloses Flüstern kam über sie. "Der... Aids." Somit schwieg er und schien sich in Erinnerungen zu verheddern, er war abwesend, wenn auch nur durch die erneute Einsicht der Wahrheit. Lange Zeit herrschte Stille in jenem Zimmer. Beide bewegten sich nicht, nicht einmal ein Blinzeln gelang Joey. >Aids... Ich sterbe... Aids... Aids...< Immer und immer wieder hörte er diese Worte in seinem Kopf, wie sie sich wiederholten, gleich einer grauenhaften Endlosschleife. Allmählich veränderte sich seine Miene. Die Augenbrauen verzogen sich... ungläubig, beinahe trotzig, als wolle er sich vor der Wahrheit schützen, sich davor schützen, all diese Tatsachen einzusehen. Stockend bewegten sich seine Lippen, zu konfus, um vollständige Worte hervorzubringen und bald senkte er den Kopf. >Endstadium... Aids... Aids...< Er zwinkerte, seine Finger vergruben sich in der Decke und nach einem verworrenen Zögern, schüttelte er den Kopf. Zuerst langsam, dann schnell und verdrängend. Es war zu grausam... um real zu sein. "Aber das kann nicht sein...", murmelte er leise bei sich, "... ich meine... meine, die... die Männer müssen doch aufpassen... das kann doch nicht..." Er verhedderte sich in unbedeutenden Wortfetzen und schüttelte weiterhin den Kopf, bis sich Lee langsam zu regen begann und das Gesicht zu ihm drehte. Kein Ausdruck lag in den schwarzen Augen, als sie sich auf Joey richteten. "Was weißt du denn schon?", murmelte er mit einem leisen Anflug von Verachtung und Joey verstummte augenblicklich. Geduckt blieb er kauern und starrte nach unten, den Kopf noch immer bewegend, abwesend und sachte, als bekäme er es selbst nicht mit. Somit löste sich Lee von dem Fenster, trat in schleppenden Schritten näher und blieb in sicherer Entfernung zu dem Bett stehen. Er glaubte, ein schweres Schlucken zu erkennen, die Hände, die sich immer fester in der Decke verkeilten. "Weißt du, was sie für fünfzehn Minuten mit dir verlangen werden?", fuhr er fort, beinahe kühl und unbeteiligt, als hielte er einen unbedeutenden Vortrag. "Sechzig Euro." Verkrampft zog Joey die Schultern zusammen, erneut bildete sich eine kalte Gänsehaut auf all seinen Gliedern. "Und... weißt du auch, was sie für ungeschützten Geschlechtsverkehr verlangen?" Lee hob den Kopf, blickte von oben auf Joey herab, als läge ihm viel an der Einschätzung der Reaktion, die er sogleich erhalten würde. "Siebzig." Joey zitterte, als er nach Luft schnappte und aus der Benommenheit aufschrak, als wäre ein lauter Knall dafür verantwortlich. Doch er sagte nichts, war noch immer nicht dazu imstande. Stattdessen starrte er ziellos nach oben. Mit Augen, in denen sich deutlich das Entsetzen widerspiegelte. "Kannst du dir auch nur im Entferntesten vorstellen, wie es sich anfühlt, wenn das Leben durch zehn lausige Euro zerstört wird...?" Lee sprach leiser, abwägend, jedoch nicht so, als würde es sich um ihn drehen, als spreche er von einem Bekannten, der all dies erlebte. "D-das kann nicht sein!" Schneller als erwartet, zerrte Joey die Decke zur Seite und schaffte sich somit mehr Freiraum. Sein Gesicht war von schmerzhaftem Mitgefühl befallen, als er sich auf die Knie erhob und entsetzt keuchte. "Lee...! Zehn Euro?!" Wieder ächzte er ungläubig und begann wirr mit den Händen zu gestikulieren, völlig aufgelöst. "Die lassen das zu?? Aber warum?! Ich meine, was besitzen die für ein Recht, dein Leben zu zerstören?! Wie können die all das zerfetzen, wovon du träumst, wie können die alles zunichte machen... wegen zehn Euro!!" Nun schrie er und während er nach Atem rang, trat Lee vorsichtig einen Schritt zurück. Die Hände hatten ihren Platz erneut auf seinem Bauch gefunden, in seiner Mimik schlich sich ein unauffälliges Erstaunen ein, ein Unverständnis, beinahe eine leise Verwirrung. "Was sind das für Menschen?! Lee, sag mir, dass das nicht wahr ist! Sag es!! Das kann nicht sein... das...", er ließ sich niedersinken, schüttelte erneut den Kopf. "Aids ist... ist eine grässliche...", er verschluckte sich am eigenen Atem, während er konfus an der Decke zerrte, "... wegen zehn Euro?! Deshalb die Schreie, deshalb deine Schwäche! Mein Gott, ich verstehe es!" Eilig hob er die Hände und rieb sich das Gesicht, laut und auffallend fiel sein Atem, als er es verbarg. "Aber... aber es gibt doch Heilungsmöglichkeiten!" Wie vom Blitz getroffen, ließ er die Hände sinken und starrte in Lee's Richtung. Dessen Augenbrauen verzogen sich irritiert. "Aids ist doch nicht mehr tödlich, oder...? Ich meine, man kann etwas dagegen machen! Eine Therapie! Medikamente! Irgendetwas! Mein Gott, die medizinische Wissenschaft ist so voran geschritten! Es muss einen Weg geben, den Aids zu überwinden! Warum...", beinahe flehend wirkten seine nächsten Worte, "... warum sprichst du vom Sterben, Lee? Wenn du doch überleben kannst...?" Diesen Worten schenkte Lee keine Beachtung, nein, er wich aus einem anderen Grund einen weiteren Schritt zurück, auf einen nahe stehenden Stuhl zusteuernd. Verwirrt blieben seine Augen auf Joey gerichtet, der keuchend dort kauerte und den Anschein erweckte, mit dem größten Entsetzen zu kämpfen, das auf dieser Welt existierte. Konfus versuchten die braunen Augen den Bewegungen zu folgen. "Lee...?", flüsterte er wieder, als er keine Antwort erhielt. "Du musst dir helfen lassen, bevor es zu spät ist... du musst doch irgendetwas dagegen tun..." "Was... was spielst du dich so auf." Lee schnitt eine flüchtige Grimasse, während seine Hand nach hinten tastete, nach der Lehne des Stuhles suchte. "Hier geht's nicht um dich..." "Denkst du, ich habe kein Herz?!", fiel Joey ihm aufgebracht ins Wort. "Was meinst du, wer ich bin! Ich komme hier her, an diesen scheußlichen Ort und lerne dich kennen! Du, der sich um mich kümmert! Glaubst du, ich denke auch nur eine Sekunde an mich, wenn ich dein Leiden mitbekomme?? Denkst du, ich habe in dieser Nacht auch nur ein einziges Mal an mich gedacht?? Während du schriest?! Ich habe doch ein Herz, verdammt noch mal!! Ich mache mir Sorgen und jetzt erfahre ich so etwas?? Ich erfahre, dass der Aids dir all diese grässlichen Qualen bringt... das du sterben wirst!! Was soll ich deiner Meinung nach tun??" Entkräftet ließ sich Joey nach vorn sinken. "Soll ich dir ein knappes "Mein Beileid" zuwerfen und anschließend nie wieder daran denken?! Verlangst du das von mir? Ja?!" ~*To be continued*~ Kapitel 6: Wahrheit und (Alp-)Traum ----------------------------------- Schweigend starrte Lee auf den Boden, zusammengesunken und niedergeschlagen wirkte die Haltung, in der er dort saß. Er bewegte sich nicht, während Joey dort kauerte, den Blick starr nach vorn gerichtet, die Lippen einen Spalt weit geöffnet, mit dem rasenden Keuchen, welches über sie kam. Er wollte eine Antwort, wollte, das Lee etwas darauf erwiderte! Doch... dieser schwieg. Die Hände, die nun wieder ineinander gefaltet auf dem Schoss des jungen Mannes lagen, begannen sich zu bewegen. Unentschlossen spreizten sich die Finger voneinander, die Augenbrauen verzogen sich irritiert, während die feinen Gesichtszüge verbittert zuckten. Es schien, als würde er gegen etwas ankämpfen, als würde er sich sträuben, etwas anzuerkennen, zu akzeptieren. Weiterhin hielt er den Kopf gesenkt und bald schloss er die Augen, als benötige er jegliche Anstrengungen, um Gedanken zu ordnen, sich zurechtzufinden in dem Gewirr aus Gefühlen und Eindrücken, die Joey in ihm hervorgerufen hatte. Dieser beugte sich unruhig nach vorn, holte tief Luft und presste die Lippen aufeinander. "Lee...?", flüsterte er bittend, während seine Ohren auf Geräusche warteten, seine Augen sich blind durch die Dunkelheit tasteten. "Lee... sag doch was." Der Angesprochene blinzelte, die Schultern hoben sich unter einem tiefen Atemzug und dann richtete er sich aus der zusammengesunkenen Haltung auf. Zielstrebig richteten sich die schwarzen Augen auf den jungen Mann, der Miene fehlte es an jeglichem Ausdruck. Nicht im Geringsten konnte man erahnen, was in ihm vorging, während er Joey ansah, ihn musterte, als täte er dies zum ersten Mal. Bei dieser Musterung blieb es auch für die nächsten Sekunden, ohne dass ein einziges Wort über die blassen Lippen kam. "Lee." Joey rutschte etwas weiter nach vorn, zittrig tasteten seine Hände nach der Kante des Bettes, der er sich langsam näherte, die Decke mit sich ziehend. "Warum sagst du nichts?" Kurz darauf blinzelte Lee und wandte den Blick zur Seite, als wäre er soeben aus einer tiefen Benommenheit erwacht. Und noch während er sich abwandte, schlich sich etwas Unbekanntes in seines Miene ein, ein Ausdruck, den man nie zuvor auf dem blassen Antlitz gesehen hatte. Flüchtig durchzuckte eine leise Niedergeschlagenheit das Gesicht, bevor sich dieses entspannte. Kein Verzerren, kein Zucken, beinahe glich es dem Gesicht eines erleichterten, nahezu glücklichen Menschen. Die Lippen verzogen sich nicht einmal annähernd zu einem Lächeln, nein, in seinen Augen ließ sich lesen. In den Augen, in denen die Gleichgültigkeit und die kühle Härte an Kraft verlor, in den Augen, die beinahe zögerlich, fast schon erkenntlich zu Joey zurückfanden, sich ruhig auf ihn richteten. "Joey." Endlich bewegten sich die Lippen und der Angesprochene erschauderte unter der weichen und feinfühligen Stimme, die er so noch nie zuvor vernommen hatte. "Hast du Hunger?" Verwirrt und zugleich etwas überrumpelt, hob Joey die Augenbrauen. Er wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte, sah die Frage als das Unwichtigste an, das in diesem Satz enthalten war. Diese Stimme... Stets hatte er sie nur verbissen und angespannt zu hören bekommen, drohend oder gar wütend. Doch nun? Was hatten seine Worte in Lee ausgelöst? Konfus bewegte er die Lippen, während seinen Pupillen stockend höher wanderten und sich zufällig direkt auf die Schwarzen des Anderen richteten. Allmählich beruhigte sich der Atem des Blonden und nach einem langen Zögern brachte er ein langsames Nicken hervor. "Ja." Seine Stimme war nicht mehr als ein leises Flüstern. "Ja..." Lee wandte den Blick ab, erwiderte das Nicken matt und kam auf die Beine. Joey lauschte den schlürfenden Schritten, hörte, wie sich die Tür öffnete und wie sie sich schloss. Daraufhin kehrte die Stille in den Raum zurück und er hielt den Atem an. >Was ist mit ihm...?< Unsicher rieb er sich den Oberarm. Es dauerte nicht lange, da nahm er wieder Geräusche wahr. Die Tür öffnete sich... die schlürfenden Schritte, bevor sie sich wieder schloss. Joey blickte auf. Er hatte sich etwas gemütlicher hingesetzt, die Decke lag wärmend über seinen Schultern, seine Miene jedoch und die Haltung, wirkten noch immer überaus niedergeschlagen. Er blinzelte, als er einen schwachen Luftzug spürte. Lee war vor ihm stehen geblieben und reichte ihm ein Stück Brot, ebenso eine Flasche Wasser. Wortlos berührte er Joeys Arm mit der Flasche und dieser tastete vorsichtig nach ihr. Auch das Brot nahm er entgegen, wobei sich ihre Hände flüchtig streiften und sich Lee sofort zurückzog. Er entfernte sich um einen Schritt und musterte Joey noch immer nachdenklich. "Iss", murmelte er. "Du brauchst Kraft, um die nächsten Tage zu überstehen." Unentschlossen hielt Joey das Brot in der Hand, betastete es kurz und hob es zum Mund. Und während er hungrig aß, kehrte Lee lahm zu dem Stuhl zurück. Er ließ sich jedoch nicht auf ihm nieder, blieb vor ihm stehen schien sich erneut in Grübeleien zu verheddern. Jedenfalls verharrte er einige Sekunden regungslos, bevor er Joey einen zögerlichen Schulterblick schickte und die Hand zur Stuhllehne führte. Er griff nach ihr und kehrte zu dem Bett zurück, dabei den Stuhl mit sich ziehend. In nicht allzu großer Entfernung zu dem Bett, ließ er ihn stehen und setzte sich. Während Joey kaute und nebenbei an der Flasche drehte, streckte er die Beine von sich und faltete die Hände auf dem Bauch. Heute schien es ihm besser zu gehen. Seine Miene machte auf keinerlei Schmerzen aufmerksam, die Augen waren nicht Schwäche verhangen, nein, sie waren deutlich auf Joey gerichtet, verfolgten lange die eiligen Bewegungen und fixierten sich dabei stets am meisten auf die braunen Augen, die an nichts teilzunehmen schienen. Er besah sie sich lange, schien zu grübeln und erhob nach einer geraumen Zeit unerwartet die Stimme. "Ich kannte mal ein blindes Mädchen." Sogleich hielt Joey in jeglicher Bewegung inne. Die plötzliche Redebereitschaft des Anderen überraschte ihn, doch wenn er in diesen Sekunden genauer darüber nachdachte, sehnte er sich vielmehr nach Schweigen. Er fühlte sich niedergedrückt durch die grausamen Neuigkeiten, verunsichert durch die Angst um Lee, auf die dieser selbst überhaupt nicht einging. Es verlangte ihm danach, still zu verarbeiten. Er schwieg. Auf der anderen Seite jedoch... "Du bist nicht wie sie", fuhr Lee leise fort, noch immer auf seine Augen achtend. An der Art und Weise wie er sprach, war deutlich zu bemerken, dass dies die erste Konversation seit langem war. Und dennoch trug er dafür Sorge, dass sie ins Rollen geriet. Genau deshalb musste und wollte sich Joey an ihr beteiligen, so schwer es ihm in diesen Minuten auch fiel. Düstre Gedanken und Fantasien kreisten in seinem Kopf, Ängste und vielleicht auch ein bisschen Hoffnung, aus der vielleicht Fluchtmöglichkeiten entstanden. Schwer schluckte Joey hinter, hob die Flasche zum Mund und nahm einige erfrischende Schlucke. Das tat gut, seit langer Zeit hatte er weder getrunken noch gegessen. "Du bist so hilflos." "Kurz bevor ich hierher kam...", antwortete Joey geduckt, nebenbei nach dem Deckel der Flasche tastend, "... konnte ich noch sehen. Das ist... etwas Ungewohntes für mich." >Hilflos.< Dachte er sich nebenbei niedergeschlagen. >Ja, das trifft es.< Lee hustete kurz, rollte mit den Schultern und verzog die Augenbrauen. Sein Benehmen Joey gegenüber, hatte sich binnen der kürzesten Zeit schlagartig geändert. Es schien, als wäre die kränkliche und verbissene Fassade vorerst von ihm abgebröckelt, als wäre ein anderer Mensch hinter ihr erschienen, der offen und interessiert wirkte, gern bereit zu einem Gespräch. Ob es nun zur Erheiterung diente oder nur zur Verdrängung. "Eine Krankheit?", erkundigte er sich gedämpft. "Mm...", Joey wackelte mit dem Kopf, noch immer war er nicht dazu imstande, das Gewirr in seinem Schädel zu ordnen und sich auf die Gegenwart zu konzentrieren. >Weißt du, was sie für fünfzehn Minuten mit dir verlangen werden?< Die Worte entließen ihn nicht aus ihren Klauen, wiederholten sich wie eine Endlosschleife und brachten ihn umso mehr aus dem Konzept. Aus dem Konzept direkt in die ängstliche Verunsicherung. >Kannst du dir auch nur im Entferntesten vorstellen, wie es sich anfühlt, wenn das Leben durch zehn lausige Euro zerstört wird...?< "Nein...", konfus hob er die Hand und fuchtelte mit ihr, "... ich will nicht über mich sprechen, ich will..." Lee bewegte stumm die Lippen und drehte das Gesicht zur Seite, mit einer Miene, als wäre etwas Befürchtetes eingetreten. "Ich meine...", Joey presste die Flasche an sich, starrte nach unten, "... Lee, du musst doch Freunde haben! Menschen, die sich um dich sorgen! Leute, die wissen, dass du noch da bist!" Lee schloss die Augen und runzelte die blasse Stirn. Nebenbei hob er die Hand und streifte sich das lange Haar zurück, das er heute in einem lockeren Dutt trug. Auch er sah nicht so aus, als wolle er über sich sprechen. Doch Joey fuhr fort. "Es muss doch Jemanden geben, der weiß, wo du bist, der gegen deine... deine... Gefangenschaft ankämpft...", Joey atmete tief durch, "... seit drei Jahren." "Du hast Recht", antwortete Lee endlich, wenn auch emotionslos und unbeteiligt. "Viele wissen, wo ich bin." Joey richtete sich auf. "Ja, aber warum tun sie nichts dagegen?!" "Tse." Lees Miene verzog sich verächtlich. "Weil niemand einem Jugendlichen diese Geschichte glauben würde. Hier in Thüringen geht alles ganz friedlich zu. Keine Menschenseele vermutet hier etwas Derartiges und die, die vielleicht eine leise Ahnung haben, schweigen. Einer Persönlichkeit, die großen Einfluss und Prominenz genießt, würde man vielleicht Glauben schenken, aber...", er schüttelte verwerfend den Kopf, "... vergiss es." "Weshalb wenden sich die, die um deine Gefangenschaft wissen, nicht an Menschen solcher Art?!", fiel Joey ihm aufgebracht beinahe ins Wort. "Verdammt, es muss doch etwas zu machen sein! Gerade für Dinge, die von solch einer Grausamkeit sind, muss es Auswege geben! Und die Menschen, die..." "Die Menschen, die Bescheid wissen, können nichts tun!", unterbrach Lee ihn scharf. "Glaubst du wirklich, sie hätten nichts versucht, wenn sie eine Wahl hätten? Wenn auch nur der Hauch einer Chance bestünde? Versteh es endlich, auch wenn es schwer fällt!" "Wie bist du hier überhaupt reingerutscht?" Joey neigte sich nach vorn. Wieder machte seine Stimme auf eine Verzweiflung aufmerksam, die sich durch all seine Glieder fraß, nicht von ihm ablassen wollte. "Ich habe meinen Aufenthalt einem blöden Zufall zu verdanken. Wie ist es bei dir gewesen? Ich meine, so etwas passiert nicht einfach!" Lee nickte in zurückhaltender Zustimmung, presste die Lippen aufeinander und starrte auf das Fenster. Er zögerte mit der Antwort, als würde er sich nicht gern an den Tag erinnern, an dem das Grauen seinen Anfang fand. Joey wartete angespannt und bald vernahm er einen tiefen Atemzug. "Du hattest Recht." Lee blinzelte etwas schläfrig. "Ich war hier auch auf Klassenfahrt... kam aus Amerika hierher." "Aus Amerika? Du bist doch Chinese." "Halbchinese", verbesserte Lee lustlos. "Halb Amerikaner." "Halb..." Joeys Stimme versagte. Regungslos verharrte er und seine Augenbrauen verzogen sich konzentriert, als er zu grübeln begann. Das erinnerte ihn an etwas. Er entsann sich an das Camp, an die Menschen, die er dort kennen gelernt hatte. Sie alle waren Amerikaner gewesen. Und einer...? >Daniel Ray.< Er biss sich auf die Unterlippe. >Auch er ist Halbamerikaner und zur anderen Hälfte Japaner, kam aus Amerika nach Deutschland. Daniel... den ich an einem Tag nicht wieder erkannte...< Langsam atmete er ein. >An dem Tag, an dem wir hinunter in das Dorf fuhren. Er und seine Freunde gingen fort und Kaiba meinte...!!< "Daniel!" Joey schnappte nach Luft. "Lee, kennst du Daniel Ray?!" Der Angesprochene schien sich über diese Frage nicht sonderlich zu wundern. Er betrachtete sich das Fenster weiterhin, spreizte die Finger voneinander und blähte die Wangen auf. Und von einer Sekunde auf die andere, huschte ein unauffälliges Grinsen über seine Lippen, das so schnell verschwand, wie es erschienen war. "Will ist ein Idiot", murmelte er leise. Joey weitete die Augen. "Du kennst..." "Natürlich." Träge ließ sich Lee tiefer in den Stuhl rutschen und legte den Hinterkopf in den Nacken. "Seit dem Kindergarten hockt er mir auf der Pelle." Verdattert runzelte Joey die Stirn. "Und... und Morfrey, Eddie und Jordas...?" "Verschon mich mit diesen Halunken." Lee starrte zur Zimmerdecke. "Sicher sind die immer noch damit beschäftigt, ihren Unfug zu treiben." "Lee!" Joeys Miene erhellte sich. "Das sind deine Freunde?!" "Wir...", der junge Mann blinzelte verträumt, "... wir bevorzugten die Bezeichnung 'Rudel'." Ein glückliches Lächeln schenkte Joeys Miene Ausdruck, verlor jedoch schnell an Kraft. Es wich einer erneuten Nachdenklichkeit und Lee bewegte sich nicht. Eine lange Stille brach über sie herein. Lee starrte nach oben und Joey bearbeitete seine Unterlippe erneut mit den Zähnen, während die Bekümmerung erneut von ihm Besitz zu ergreifen schien. Er rümpfte die Nase, hob unentschlossen an und entschied sich doch für das Schweigen. Die Verwunderung und die Irritation über diese weitere Neuigkeit musste er verdrängen, um Zusammenhänge bilden zu können und so auf eine weitere Möglichkeit zu stoßen. Es schien, als müsse er Mut schöpfen, um die nächsten Worte hervorzubringen. "Sie sind nicht hier, weil sie Ferien haben und ein anderes Land kennen lernen wollen... ist es nicht so?" Daraufhin stieß Lee ein erschöpftes Stöhnen aus. "Natürlich nicht, jedoch auch nicht aus dem Grund, an den du denkst." >Sie kämpfen um dich!< Fragend legte Joey den Kopf schief und Lee linste flüchtig zu ihm. "Sie warten nur auf das Ende." "Wa...?" "Ich sagte doch, Will ist ein Idiot und die anderen erst recht." Lee zuckte gleichgültig mit den Schultern. "Zu diesem Zeitpunkt könnten sie Zuhause sein. Sie könnten mich längst aus ihrem Gedächtnis gelöscht haben. Aber nein, sie sind hartnäckig." "Wie... wie könntest du das von ihnen verlangen?!" Joey war entrüstet. "Verdammt, wenn man sich seit dem Kindergarten kennt, kann man sich nicht einfach aus dem Gedächtnis löschen! Wie kannst du nur erwarten, dass sie dich aufgeben?!" "Sie HABEN mich aufgegeben", erläuterte Lee etwas genervt. "Es wurde ja auch Zeit, dass sie realistisch denken." "Das kann nicht sein!" Joey schüttelte hastig den Kopf. Das konnte und wollte er nicht akzeptieren! "Wenn du dich nicht selbst aufgegeben hast... wie können sie es dann tun?!" Nun richtete sich Lee auf. Mit großer Anstrengung hob er den Kopf und musterte Joey skeptisch, beinahe enttäuscht. "Wie kommst du denn auf den Gedanken, dass ich mich nicht aufgegeben habe?" Fragte er in belustigter Verwunderung und Joey stockte der Atem. Reglos kauerte er auf dem Bett und Lee musterte ihn eindringlich. Anschließend zog er die Beine zurück, schob sich im Stuhl höher und setzte sich sicherer, als würde es ihm von einer Sekunde auf die andere an Kraft mangeln. Die Arme verschränkten sich lahm auf dem Bauch und die Miene des jungen Halbchinesen nahm eine verbitterte Ernsthaftigkeit an, als er den Blick erneut auf Joey richtete, ihn fest fixierte. "Kennst du dieses Gefühl, Joey?", murmelte er leise. "Kennst du dieses Verlangen? Das Verlangen nach dem Tod? Den Wunsch, zu sterben? Nur noch zu sterben und nichts anderes?" Wieder zog ein Grinsen an Lee's blassen Lippen, diesmal jedoch höhnisch, nahezu verächtlich. "Nein, ganz sicher nicht. Also wage es nicht, über mich oder meine Freunde zu urteilen." Joey erzitterte unter einem eiskalten Schauer, der rasend durch seinen Körper zog, ihn selbst am Atmen hinderte. Gleich einer Statue hockte er da, die Pupillen der vor Entsetzen geweiteten Augen, starr nach vorn gerichtet. Lee musterte seine Reaktion genau, bevor er langsam den Kopf schüttelte. "Du hast wirklich keine Ahnung, was hier..." "Lee!!" Drang plötzlich eine raue Stimme an ihre Ohren. Sie kam von draußen, aus dem Flur und während Joey erschrocken zusammenzuckte, schenkte Lee dem Ruf kaum Beachtung. Seine Miene gewann nicht an Ausdruck, als er langsam die Arme sinken ließ und auf dem Stuhl nach vorn rutschte. "Scher dich hoch!!", ertönte sie wieder. "Es gibt Arbeit!!" Nun wandte Lee den Blick von Joey ab, kam schwerfällig auf die Beine und klopfte kurz gegen seine Hose, bevor er sich lahm abwandte und zur Tür schlürfte. Seine Augen tasteten sich ausdruckslos über den rauen Holzboden, die Hand griff nach der Klinke und nachdem Lee die Tür geöffnet hatte und bereits zur Hälfte im dahinterliegenden Flur stand, sah er noch einmal zu Joey zurück. "Nur noch sterben...", hauchte er und schloss die Tür hinter sich. "Ich bin so froh, dass es Joey besser geht." Yugi hockte auf dem Boden des Schlafraumes und verstaute seine ordentlich zusammengelegte Kleidung in der Reisetasche. Es waren nur noch wenige Stunden bis zum Aufbruch. Der Aufbruch nach Domino. "Ob die Migräne schon ganz verschwunden ist?" "Keine Ahnung." Duke stopfte seine Kleidung in den Koffer. "Kaiba kümmert sich schon um ihn." "Und morgen werden wir ihn wieder sehen", lächelte Tea. "Ob er wieder bei Doktor Johnson untergebracht ist?" Duke stemmte sich auf die Kleider, um mehr Platz zu gewinnen. "Zu dumm, dass ich Kaibas Nummer nicht habe. Sonst könnte ich ihn einfach fragen." Tristan hatte seine Tasche bereits gepackt und fläzte gemütlich auf seinem Bett. Bald zog er sich die Kopfhörer aus den Ohren und drehte das Gesicht zur Seite. "Wie lange bleibst du noch, Daniel?" "Hm?" Der Angesprochene wandte sich um. Er stand am Fenster, während sich der Rest des verrückten Haufens unten im Wohnzimmer mit dem Fernseher vergnügte. "Wie lange du noch bleibst", wiederholte Tea die Frage ruhig. "Wo bist du in der letzten Zeit nur mit deinen Gedanken, Daniel?" Der Schwarzhaarige zuckte lässig mit den Schultern und lehnte sich gegen das Fensterbrett. "Weiß nich, noch ne Weile." Somit streckte er die Beine von sich, atmete tief durch und bearbeitete die Unterlippe mit den Zähnen. Wieder schien er abzudriften und Yugi wurde darauf aufmerksam. "Geht es dir nicht gut?", erkundigte er sich besorgt. "Du wirkst so nachdenklich und bedrückt." "Quatsch." Daniel grinste schräg, schüttelte den Kopf und schlenderte auf die Tür zu. "Bin dann ma unten." Meinte er noch, bevor er den Raum verließ. Tristan steckte sich die Kopfhörer in die Ohren zurück und machte es sich gemütlich. Yugi seufzte und Tea blinzelte unter den hellen Sonnenstrahlen, die durch das Fenster fielen. "Ist das nicht ein herrliches Wetter?", seufzte sie. ~*To be continued*~ Kapitel 7: Die Nadel im Heuhaufen --------------------------------- Langsam hob Kaiba den Arm und warf einen Blick auf die Uhr. >Zehn Stunden...<, ging es ihm durch den Kopf. >Zehn Stunden noch... und zehn habe ich bereits mit unsinniger Suche verplempert!< Unter einem erschöpften Stöhnen ließ er den Arm sinken und blickte sich um. Er stand auf einer kleinen Kreuzung und wenn er sich umblickte, sah er keine Menschenseele. Nur eine alte Frau schob in weiter Ferne ihre Gehhilfe vor sich her. Das Dorf glich einer Totenstadt. Kaibas Miene verfinsterte sich, wie so oft in den letzten Stunden, die er damit verbracht hatte, sinnlos umherzulaufen, in noch sinnloseren Hoffnungen verstrickt, vielleicht etwas finden zu können. In Schritttempo rollte ein Trabant an ihm vorbei, ein Opa blickte verschwommen durch die dreckige Fensterscheibe, bevor er sich wieder nach vorn wandte. Der Brünette blähte die Wangen auf, rollte mit den Augen und ließ den Kopf sinken. Währenddessen zog er eine Zigarettenschachtel hervor und klappte sie auf. Wieder stöhnte er. Verlassene Gebäude? Die gab es hier an jeder Straßenecke. Läden existierten, scheinbar gut laufende Geschäfte, obgleich der Eindruck entstand, die Einwohner würden ihre Behausungen nur des Nachts verlassen. "Gott verdamme mich", murmelte er, während er sich einen Glimmstängel zog und ihn direkt zum Mund führte, verbittert den Kopf schüttelnd. In jedem Laden hatte er sich erkundigt, jeden Menschen angesprochen! Sich jedes Haus weitgehend betrachtet, bevor er daran vorbeigezogen war. Und was hatte es genutzt? Weniger als nichts. Er stand am Anfang, nichts hatte er bewirkt und neben der Müdigkeit meldeten sich nun auch die geschwächten Nerven, die sich nach einer Pause sehnten. Träge begann er nach dem Feuerzeug zu suchen. >Pause... wie könnte ich<, dachte er sich, als er fündig wurde. >Zehn Stunden bleiben mir noch für die Suche. Und punktgenau werde ich dann bei der Polizei stehen und mir ihre Mithilfe erzwingen!< Er zündete die Zigarette an, rieb sich den Nacken und steuerte in lahmen Schritten auf eine Bank zu, die in nicht all zu weiter Entfernung stand. Plump ließ er sich fallen und streckte die Beine aus, die alte Frau beobachtend, die sich ihm langsam näherte, sicher eine Stunde benötigen würde, um ihn hinter sich zu lassen. Kaiba bewegte die Zigarette zwischen den Lippen, ließ den Hinterkopf auf die Banklehne sinken und starrte zum Himmel auf. Was fühlte er? Abwesend tasteten sich die blauen Augen über den strahlenden Himmel. Besorgnis. Natürlich... sie war vorhanden. Stark, so stark, dass es schmerzte. Wut? Ja, auch sie hatte sich einen Teil seines Körpers zu Eigen gemacht. Die Wut auf sich selbst, bei der Aufsicht versagt zu haben. Die Wut, hilflos dazustehen, trotz der Tatsache, eine einflussreiche und bekannte Persönlichkeit darzustellen. Hilflos... ja, das war das richtige Wort. Es beschrieb seine Lage vortrefflich. Auf niemanden bauen zu können... keine Angestellten, die gern jede Aufgabe bewältigten. Kein Pikotto, der sich gern um wichtige Anliegen bemühte, eine der wenigen vertrauenswürdigen Personen im Leben des jungen Firmenchefs darstellte. Keine Polizei, die sich nach ihm richtete. Nach seinen Wünschen... Kein System, das Joey binnen kürzester Zeit orten konnte. Kein Knopf, den man drücken müsste, um die erfolgreiche Suche zu beginnen. Kein Knopf, der all dies zum Guten wenden würde. Auf all dies nicht zählen zu können... all dies verursachte die Wut in ihm. Und aus der Wut erhob sich panisch schreiend - die Angst. Die Angst, auf Geliebtes verzichten zu müssen. Und das nur durch eine kleine Unaufmerksamkeit. Nicht die Angst vor den eigenen Leiden, die durch den Verlust entstehen würden. Nein, die Angst vor den Leiden des geliebten Menschen, die stetige Angst vor der Ungewissheit. Litt er...? Sorgte auch er sich...? War er wütend...? Ängstlich...? Phlegmatisch hob Kaiba die Hand, tastete nach der Zigarette und nahm sie sich aus dem Mund, um sie träge sinken zu lassen. Reglos verharrte er, selbst die Augen schienen zu sterben, verblieben nach oben gerichtet, ausdruckslos, sich nur durch ein mattes Schimmern verratend. >Joseph... kannst du in diesen Sekunden den Himmel sehen...?< In langsamen Schritten schlenderte Daniel durch die Bungalows. Die Hände hielt er in den tiefen Taschen der lockeren Hose verstaut, der Blick hing auf dem Boden, während die Füße hin und wieder nach einer Blume traten. Sich aller Freiheit erfreuend, kitzelten die schwarzen Haarsträhnen die schmalen Schultern, die das offene Hemd nicht verdeckte. Abwesend bearbeiteten die weißen Zähne die Unterlippe und bald blieb er stehen. Tief atmete er ein, tief atmete er aus und dann schaute er nach oben, um sich die Baumkronen zu betrachten. Und das noch immer so abwesend, als sei nur seine menschliche Hülle anwesend. Als befänden sich all seine Gedanken an einem anderen Ort, in einer anderen Situation. >Wo steckt Joey.< Er blinzelte, ließ den Kopf sinken und drehte sich einmal um die eigene Achse, bevor er sich in das Gras sinken ließ. >Wenn Joey verschwunden is, is dieser Kaiba auch nich weit! Ich vermute, er is hinunter in's Dorf gefahren!< Eine unauffällige Wut begann die weichen Züge des jungen Mannes zu zeichnen. >Natürlich! Als wenn er nach Hause fahren würde, während sein Liebling verschwunden bleibt! Tse...< trotzig starrte er auf das Gras, rückte nach links, rückte nach rechts und griff letzten Endes nach einem kleinen Büschel, um daran zu zerren. >Für wie blöd hält man mich! Die Japaner haben nichts gesehen un fressen alles, was man ihnen vor de Füße wirft! Doch ich hab Augen! Und se seh'n viel!< Er rupfte und zerrte weiter, bis sich seine Bewegungen verlangsamten, als würde ihm eine Idee kommen, eine Einsicht. Sein Gesicht verzog sich verwirrt. >Weshalb behalte ich das eigentlich für mich?! Was geht'n mich der ganze Kuchen an! Ich steck's ihnen einfach und bin aus der Affäre! Sie sind doch die toleranten Kumpels, also können'se sich auch um die beiden... Typen kümmern! Machen doch immer eins auf Schickimicki und ich verschwende meine Gedanken für so nen Blödsinn!< Er schnitt einer Grimasse. >Mensch, ich fasse es nich! Was soll der Scheiß von wegen: "Sie sind nach Domino zurückgekehrt! Es geht ihm gut! Alles is super!" Was soll'n das bringen?! Und was zur Hölle sind das für Freunde, die sich mit Lügen beschmeißen?! Und dann noch mit so welchen! Er is nicht verschwunden...< "Nein... nich doch." Daniel weitete die Augen und schüttelte den Kopf. "Niemand weiß, wo er is? Ach, so nen Käse! In diesen Sekunden befindet er sich auf der gemütlichen Rückreise nach Japan!" Daniel wackelte verächtlich mit dem Kopf. "Zusammen mit seinem Schnuckiputz von Todesfisch! Buharr!" Er ließ sich zurückfallen und streckte sich aus. Wütend ballten sich seine Hände, die Miene schien zu versteinern, bis sie in jenem herablassenden Ausdruck verblieb. "Soll er krepieren...", kam ein scharfes Fauchen über seine Lippen. "Menschen wie er, haben es nicht verdient, zu leben! Tse... vielleicht irrt er durch'n Wald? Lässt sich nur hoffen, dass er ne Klippe runterstürzt, bevor er verhungert...!" Die aschgrauen Augen verengten sich. "Die Pest an deinen Hals, Jo..." "Hey", ertönte plötzlich eine Stimme. Sogleich verstummte Daniel und ließ das Gesicht zur Seite fallen. Nur wenige Meter entfernt, stand Duke, den Kopf schief gelegt und ihn nachdenklich musternd. "Was", nuschelte Daniel nur lustlos. Duke schnalzte mit der Zunge und schlenderte etwas näher, während Daniel faul liegen blieb. Neben ihm blieb Duke stehen und pustete sich eine lange Strähne aus dem Gesicht. "Führst du Selbstgespräche?" "Ja." Daniel drehte das Gesicht nach oben, starrte gen Himmel. "Is ne psychische Krankheit, mache ich andauernd." Duke nickte langsam. Es war schwerlich zu übersehen, dass der Halbamerikaner keinerlei Muse für ein Gespräch bereit hielt, allein sein wollte. Es tat ihm ja auch leid, aber diesen Wunsch konnte er ihm nicht erfüllen. "Wollen wir mal suchen gehen?", murmelte er nachdenklich. "Wen?", nuschelte Daniel genervt zurück. "Die gute Laune." Duke sah sich um. "Sie ist scheinbar schon vor ein paar Tagen ausgebüchst. Vielleicht treibt sie sich aber trotzdem noch in der Nähe herum?" "Is nich ausgebüchst, hab sie fortgejagt." "Um gewissen Menschen besser die Pest an den Hals wünschen zu können?" Daniel antwortete nicht, nur seine Pupillen richteten sich auf Duke, der seinen Blick ernst erwiderte. "Gewissen Menschen wie Joey?" Noch immer schwieg Daniel und nach einem ungewissen Murmeln ließ sich Duke neben ihm nieder. Gemächlich winkelte er die Beine an, schlang die Arme um die Knie und hielt den Blickkontakt weiterhin aufrecht. "Wenn ich das recht verstanden habe, hast du mit der Pest bisher Besseres anzufangen gewusst, als sie Menschen zu wünschen, mit denen du doch gut ausgekommen bist." Daniel verdrehte die Augen und starrte auf den Himmel zurück. "Und nun erweckst du den Eindruck, als wäre Joey schon immer dein Erzfeind gewesen, dem du ohne zu zögern ein Messer in die Brust rammen würdest." Duke runzelte die Stirn. "Sag mal, habe ich irgend etwas nicht mitbekommen?" "Scheinbar schon", erwiderte Daniel mit einer Kühle, die man von ihm nicht gewohnt war. "Hast wohl vergessen, wie man sich vor ner Überdosis Toleranz schützt." "Verstehe ich nicht", meinte Duke geduldig. "Hat Yugi sich noch nich ausgeheult?", fuhr Daniel unbeeindruckt fort. "Kam er noch nich zu euch, den dollen Freunden, gelaufen und hat erzählt, wie böse Onkel Ray is?" "Nicht, dass ich wüsste", murrte Duke. "Tust du mir den Gefallen, dich deutlicher auszudrücken? Umschreiben ist eine tolle Sache, direktes Beschreiben ist besser. Wie heißt die Laus, die dir scheinbar unermüdlich über die Leber läuft?" "Gibt mehrere Läuse." "Ach." "Schau ma." Daniel baute den Blickkontakt wieder auf. Und das mit einer Lässigkeit, die Duke erstaunte. Zumindest, nachdem er die nächsten Worte gehört hatte. "Ich weiß nich genau, wie's bei euch in Japan so läuft. War die Toleranz im Touristenpacket gen Erde schon inklusive? Oder eignet man sich die im Laufe der Jahre an?" Duke schnitt eine verwirrte Grimasse und Daniel stöhnte. "Tatsache is, dass ich genau weiß, was Joey und sein Kuschelfisch so treiben. Und eine weitere Tatsache", Daniel hob den Zeigefinger, plötzlich gehässig grinsend, "immer wenn ich dran denke, kommt mir fast das kalte Kotzen." "Aha, darauf willst du also hinaus." Duke nickte, die Verwunderung überspielend. Daniels Worte waren es, auf die er eingehen wollte, nicht dessen Meinung. "Joey und Kaiba sind ein Paar, das stimmt. Aber aus einem merkwürdigen Grund überlebten wir dieses Massaker. Also tu nicht so, als hättest du Menschen dieser außerirdischen Art zum ersten Mal gesehen. Es ist dein Recht, etwas dagegen zu haben. Menschen haben nun einmal unterschiedliche Geschmäcker, das ist genau so normal wie diese Sache." "Das ist mir neu." Daniel weitete die Augen. "Du hetzt also die Pest auf Joeys Hals, weil er eine Liebe anderer Art empfindet? Habe ich das richtig verstanden? Zuerst seid ihr dicke miteinander und als dir diese Einsicht kommt, drehst du dich um 180° und erklärst Joey zu deinem Feind?" Duke schüttelte verdattert den Kopf. "Weshalb?" "War mir klar, dass du's nich verstehst." Plötzlich rappelte sich Daniel auf. Ohne Duke einen Blick zu schicken, kam er auf die Beine und klopfte sich flüchtig die Hose sauber. "Weißte, es gibt natürliche Gesetze und es gibt viele Arten, diese Gesetze zu brechen, wobei DAS die Schlimmste von allen is! Ich hab jetzt keinen Bock, zu sagen, was jedem Menschen eigentlich klar sein sollte. Kurz und gut: Ich find's zum Kotzen und bin froh, die Beiden nich mehr sehen zu müssen. Und", er hob die Hand, hielt Duke davon ab, ihm ins Wort zu fallen, was dieser soeben tun wollte, "du musst jetzt nich deine Meinung vertreten, kay? Das wird ne Endlosdebatte und darauf hab ich noch weniger Bock, weilde mir letzten Endes eh meine Meinung lassen musst." Er verschränkte die Arme vor dem Bauch und nickte abschließend, während Duke ihn nur anstarren konnte. "Hab nichts gegen dich, auch wennde auf'm falschen Dampfer fährst." "Was zur Hölle soll das denn wieder bedeuten?" "Ich glaub, euer Bus wartet schon. War schön, dich kennen gelernt zu haben, hier trennen sich aber unsre Wege, also lasst uns die eigenen Leben leben und uns nich weiterhin belappen. Sag Yugi und den anderen Grüße, laufen uns sicher ma über den Weg, wenn ich in Japan bin, um meinen Vater zu besuchen." "Du willst deinen Vater besuchen?" Duke fiel das Sprechen schwer, Daniel das Grinsen jedoch leicht. "Ne." Er schüttelte den Kopf. "Nimm's nich persönlich, man. Sind einfach ein paar Dinge eingetroffen, die nich hätten passieren dürfen. Hast keine Fehler gemacht, is nur alles etwas schief gelaufen. Also...", er wandte sich langsam ab, "... mach's gut, Duke." Somit entfernte er sich in denselben schlendernden Schritten und ließ die Hände in die Hosentaschen zurückrutschen. Stockend richtete sich Duke auf. >Was zur Hölle hat er für ein Problem?! Will er jetzt wirklich gehen??< Als er auf den Knien hockte, verlangsamte Daniel seinen Gang plötzlich. Immer langsamer, bis er zum Stehen kam. >Komm schon!< Duke kam auf die Beine. >Das kann es doch nicht gewesen sein!< Allmählich drehte sich Daniel zu ihm um und Duke erblickte eine nachdenkliche, beinahe verbissene Miene, Augen, die in einen eigenen Kampf verstrickt zu sein schienen, als sie sich auf ihn richteten. "Und außerdem", hob Daniel an, "Joey is gar nicht..." Aus irgendeinem Grund, brach er den Satz jedoch ab. "Was ist Joey nicht?", verwirrt trat Duke näher. Daniel sah ihn näher kommen, musterte ihn aufmerksam und abwägend. "Daniel", bittend legte Duke den Kopf schief. "Was ist mit Joey?" Der Angesprochene wandte finster den Blick ab, streckte trotzig die Hüfte nach vorn und schüttelte kurz darauf den Kopf, die Hände in den Hosentaschen bewegend. "Daniel?" "Alles Lüge", murmelte dieser und wandte Duke erneut den Rücken zu. Wieder ging er, diesmal jedoch ohne erneut stehen zu bleiben. Dies tat Duke. "Alles Fake", hörte er ihn noch nuscheln. "Was?" Duke verstand es nicht. "Was ist eine Lüge?! Hey!!" Und Daniel ging. Verwirrt sah Duke ihm nach, hoffte, bangte, dass er erneut stehen bleiben würde. Regungslos hockte er dort und sah Daniel kurz darauf in lässigen Schritten zwischen den Bungalows verschwinden. >Was zur Hölle...?!< "Duke!" Ertönte plötzlich eine Stimme von weither. Wie aus den Gedanken gerissen, drehte sich Duke um und erspähte Tristan, der zusammen mit den anderen vor dem Bungalow wartete. Die Koffer waren gepackt und zum Abtransport bereit. "Beeil dich! Wir müssen zum Bus!" Duke bewegte stumm die Lippen, blickte noch einmal in die Richtung, in der Daniel verschwunden war und kam langsam auf die Beine. >Was ist mit Joey?!< >Bisher endete jedes meiner Geschäfte und Projekte erfolgreich!< In einer verlassenen Ecke des Dorfes blieb Kaiba stehen. Verbittert suchten seine Augen nach der Uhr. >Nie habe ich einen meiner Geschäftspartner enttäuscht! Ich habe alles geschafft! Planmäßig, in höchsten Maßen zufrieden stellend!< Seine Miene begann verbissen zu zucken, als er einen Schritt nach rechts trat und sich gegen eine brüchige Steinmauer lehnte. Seine Knie hatten den Großteil der Kraft verloren, was der Schlaflosigkeit und den langen Wanderungen zu verdanken war. Das schwarze langärmliche Hemd klebte vor Schweiß an seiner Haut. Es war zu warm. Erschöpft legte er den Hinterkopf gegen das rote Gestein, schloss die Augen und atmete tief ein. >Ich führe einen der erfolgreichsten Weltkonzerne!< Verkrampft verzog sich seine Miene. >Und ich bringe es nicht fertig, einen Menschen zu finden??< Seine Hände ballten sich zu Fäusten, die kurz darauf gegen die Wand schlugen. >Verflucht! Verdammt, zum Teufel mit dieser Hitze! Meine Kräfte neigen sich ihrem Ende entgegen!< Unter einem dumpfen Stöhnen drehte er sich zur Seite, stieß sich ab und ging weiter. Noch immer waren nicht viel mehr Menschen zu sehen! Nur Häuser, deren Läden verschlossen waren! Mit finsterer Miene blickte sich Kaiba um. >Allmählich habe ich das Gefühl...<, er schluckte, >... dass ich überhaupt nichts tun kann! Aber... das kann nicht sein! Irgendetwas muss sich machen lassen!< Plötzlich meldete sich sein Handy und er tastete nach ihm. Während er dann in die Hosentasche griff, trat er in den Schatten eines Baumes. Träge zog er das Handy ins Freie und hob es zum Ohr. "Ja", hauchte er zermürbt. "Ich bin es", meldete sich eine bekannte Stimme. "Wie geht es voran?" "Überhaupt nicht", zischte Kaiba und gestikulierte verworren mit der anderen Hand. "Ich laufe jetzt seit sieben verfluchten Stunden durch dieses gottverdammte Dorf und traf nicht einmal auf einen verteufelten Anhaltspunkt! Und diese Hitze...!" "Beruhige dich." "Pikotto!" Kaiba drehte sich um, rammte die Hand gegen einen Zaun und ließ den Kopf hängen. "Ich - kann - mich - nicht - beruhigen! Wie soll das funktionieren? Hier gibt es überhaupt nichts, das man verdächtigen könnte, als Gefängnis zu dienen! Und... und wir wissen nicht einmal, ob Joseph wirklich entführt wurde! Ich suche hier die Nadel im Heuhaufen und..." Als eine andere bekannte Stimme im Hintergrund ertönte, verstummte Kaiba augenblicklich. "Gib ihn mir, gib ihn mir!", hörte er jemanden rufen. Pikotto zögerte kurz. "Kaiba...?" "Was hast du ihm erzählt?", unterbrach dieser ihn aufgebracht. "Etwas, das ihm keinen Grund zur Sorge gibt", erklärte Pikotto. "Du bleibst länger, weil dir die Gegend sehr zusagt und du außerdem etwas Ferien brauchst." "Oh!" Kaiba weitete sarkastisch die Augen. "Du hast Recht, ich liebe diese Gegend, kann überhaupt nicht genug von ihr bekommen." "Was." Pikotto stöhnte. "Hätte ich ihm die Wahrheit sagen sollen?" "Nein." Kaibas Hand klammerte sich um das grün gefärbte Holz des Zaunes. "Nein, in Ordnung... lass mich mit Mokuba sprechen, ja...?" Daraufhin ertönten leise Geräusche in der Leitung. Tief Luft holend, richtete sich Kaiba auf und gerade als sich seine Augen auf die Straße richteten, die direkt vor ihm lag, meldete sich Mokuba. "Seto?" Rief er freudig in den Hörer. "Seto du..." "Verflucht!" Plötzlich schnappte Kaiba nach Luft, schlug die Hand auf den Zaun und schwang sich mit einer schnellen Bewegung über ihn hinweg, direkt in den dahinterliegenden Garten. Auf dem Rasen duckte er sich und in derselben Sekunde fuhr ein großer Reisebus an ihm vorbei. Keuchend sah er ihm nach, konnte auch kurz die Insassen erkennen, die sich freudig unterhielten und anderen Schabernack trieben. Er hielt sich geduckt, bis er hinter der nächsten Ecke verschwand. Hoffentlich hatte er schnell genug reagiert! Niemand durfte ihn hier sehen! In der Leitung herrschte Stille, als er schwerfällig auf die Beine kam. "Das war knapp", stöhnend stützte er sich auf dem Zaun ab, erinnerte sich dann jedoch an das Handy, das er noch in der Hand hielt. Sofort hob er es zum Ohr. "Ja... ähm..." "Setooo? Freust du dich denn gar nicht?" "Doch, natürlich!", bezeugte Kaiba schnell und nickte, während er sich über den Zaun lehnte und sich umblickte. "Ich war nur kurz abgelenkt." "Ach so." "Mokuba...", Kaiba machte sich daran, erneut über den Zaun zu steigen, was ihm diesmal nur weniger leichtfüßig gelang, "... ich habe gerade zu tun. Also was hast du auf dem Herzen?" "Du hast zu tun? Aber warum? Du machst doch Ferien." "Ja, ich habe auch großen Spaß dabei", erwiderte Kaiba mit verstecktem Sarkasmus und stand mit einem grazilen Satz wieder auf dem Fußweg. Sofort blickte er sich um. "Worum ging es gleich noch mal?" "Wann kommt ihr zurück?" "Wir?" "Na, Joey ist doch auch da geblieben, weil er das Wandern so sehr liebt." "Ach ja... klar." Kaiba schnitt eine finstere Grimasse und rieb sich das Gesicht. "Ich weiß es nicht, noch ein paar Tage vielleicht." "Und dann kommt ihr wieder?" "Jahaaa." "Aber ihr habt doch Schule. Seit wann machst du blau?" "Ich bleibe ja nicht mehr lange." Ungeduldig begann Kaiba auf den Fußballen zu wippen. "Noch etwas?" "Du willst ja gar nicht mit mir reden", stellte Mokuba in einem schmollenden Brummen fest. "Doch natürlich." Kaiba verdrehte die Augen. "Was hast du denn zu tun?" "Ich muss noch einige Besorgungen machen." "Was denn?" "Lebensmittel." "Hast du nicht gesagt, dass es im Camp genug Essen gibt?" "Wir sind nicht mehr im Camp!" "Wo seid ihr denn?" "In einem Hotel!" "Aber da gibt es doch auch..." "Mokuba!" Kaiba stöhnte erschöpft. "Es-tut-mir-leid! Ich kann jetzt nicht mit dir reden. Ich rufe zurück." Daraufhin brach eine unsichere Stille in der Leitung aus. Kaiba ertrug sie nur schwerlich, während er bereits weiterging und seine Augen nach einer Menschenseele suchten. "Ist... alles in Ordnung, Seto?" Mokuba klang besorgt. "Es ist alles in Ordnung", beschwichtigte Kaiba ihn mit ruhiger Stimme, zu der er nur fähig war, indem er die letzte Geduld zusammenkratzte. "Wir sehen uns bald wieder, okay?" "Okay." Mokuba seufzte, er war traurig, akzeptierte es jedoch. "Ich... habe dich ganz toll lieb, Seto." Kaiba wurde auf etwas aufmerksam. "Ja, Tschüss." Somit legte er auf und ließ das Handy sinken. Er verschnellerte seine Schritte, näherte sich der Straße und hielt inne, bevor er sie betrat. Irritiert betrachtete er sich das Handy in seiner Hand und mit jeder Sekunde verzog sich sein Gesicht befürchtend. "Oh Gott!" Zermartert ließ er den Kopf sinken und schüttelte ihn. "Ich habe dich lieb, Seto? So etwas sagt er so selten und ich Idiot...?! Ver...", er raufte sich kurz die Haare, schloss verkrampft die Augen und biss die Zähne aufeinander. "Verflucht!" Dennoch ließ er das Handy in die Hosentaschen zurückrutschen, rollte mit den Augen und ließ die Straße hinter sich. Auf der anderen Seite war ein groß gebauter Mann aus einem Landrover gestiegen. Scheinbar hatte er Einkäufe erledigt und war nun an einem Schaufenster hängen geblieben, das Zeitschriften jeder Art präsentierte. Er hielt einen Beutel in der Hand, während er sich nach vorn lehnte und die Angebote studierte. Kaiba näherte sich ihm in schnellen Schritten. "Verzeihung." Lässig blieb er neben ihm stehen, wischte sich flüchtig den Schweiß von der Stirn und ächzte leise, bevor er fortfuhr. Der Mann hatte sich sofort zu ihm gewandt, wobei der Blick nur kurz an seinem Gesicht hängen geblieben war und sich nun über das schwarze Hemd tastete, das feucht an dem schlanken Leib haftete. Kaiba jedoch interessierte sich mehr für sein Gesicht und sah ihm in die Augen. So konnte ihm deren Interesse nicht entgehen. Er folgte flüchtig den Blicken, sah an sich herab und kam dennoch zum Wesentlichen. "Ich suche jemanden. Etwas kleiner als ich, schlank, blond, braunäugig." Er gestikulierte knapp mit der Hand und stützte die andere in die schmale Hüfte, auf die der Mann in diesen Sekunden sein Augenmerk fixierte. "Seit knapp zwei...", nun brach er doch ab. Dieser Mann hörte ihm nicht zu! Während er ihn argwöhnisch musterte, war dieser noch immer mit der Beobachtung beschäftigt. "Verzeihung!" "Was?" Nun endlich wandte sich der hünenhafte Mann an ihn. Mit freundlichem Blick sah er ihn an. "Sie suchen also jemanden?" "Ja." Kaiba nickte langsam, während er den Augenkontakt ungehalten aufrechterhielt. "Weshalb zur Hölle starren Sie mich an!" "Weshalb?" Fragte der Mann mit unschuldiger Miene. "Ich habe mich nur gewundert. Sie sind sehr gut gebaut. Treiben Sie Sport?" "Was geht Sie das an?", fauchte Kaiba wütend. "Unterstehen Sie sich, mir mit solchen dummen Fragereien zu kommen! Sagen Sie mir, ob Sie mir helfen können oder nicht!" "Vielleicht kann ich das." Der Mann lächelte charmant. "Haben Sie einen Menschen gesehen, auf den diese Beschreibung passt?", erkundigte sich Kaiba genervt. "Das nicht, aber ich würde Ihnen gerne helfen." "Und wie denken Sie, könnten Sie mir eine Hilfe sein?" Kaiba fuhr sich durch den Schopf, der Mann verfolgte die Bewegung interessiert. "Nun, ich könnte mich vielleicht an der Suche beteiligen?" "Ach." Kaiba ließ den Arm sinken, verzog die Brauen und konzentrierte sich auf die Augen des Mannes, die unnatürlich tiefgründig und verheißend auf ihn gerichtet waren. Nur kurz führte er diese Beobachtung fort, da vertiefte sich das Grinsen des Anderen. "Nun starren SIE mich an", bemerkte er anstößig, jedoch alles andere als abgeneigt. "Wie heißen Sie?" "Interessiert Sie nicht", antwortete Kaiba knapp. "Leben Sie in diesem Dorf? Kennen Sie sich hier aus?" "Wissen Sie, ich wohne mit ein paar Freunden in einem gemütlichen Haus. Wir haben auch einen schönen Garten und..." "Schön für Sie und außerhalb meines Interesse", unterbrach Kaiba ihn lässig. "Beantworten Sie meine Frage oder lassen Sie es sein." "Eine scharfe Zunge hast du ja." Der Mann nickte grinsend und rieb sich das Kinn. "Scharf... ist nicht nur meine Zunge." Kaiba verengte die Augen. "Entweder Sie beantworten meine Fragen, ohne sinnlose Umschweife zu nehmen oder wir lassen es sein! Ich besitze keinerlei Zeit, die ich vergeuden kann!" Die Bissigkeit, mit der Kaiba diesen Zustand behandelte, schien nicht auf Abneigung zu treffen. Nein, der Mann lachte, als erfreue ihn diese Art der Unterhaltung, lieferte dann jedoch eine produktive Antwort, als wolle er dieses Gespräch in die Länge ziehen. "Meine Freunde werden sich sicher auch an der Suche beteiligen", meinte er. "Sie können mich gern begleiten. Wir fahren zu meinem Haus und holen sie." Kaiba blähte die Wangen auf und drehte sich kurz zu dem Landrover um, was der Andere sofort nutzte, um sich seinen Hals zu betrachten. Flüchtig musterte Kaiba den Wagen, runzelte die Stirn und schüttelte nach einem zielstrebigen Grübeln den Kopf. "Hören Sie, ich kann wirklich keine Zeit verschwenden. Wo befindet sich dieses Haus." "Mm, das ist schwer zu beschreiben. Kommen Sie doch einfach mit. Was haben Sie zu verlieren? Meine Freunden helfen Ihnen sicher gern." "Ach." Kaiba drehte sich zu ihm um, erneut begann die gegenseitige Musterung. "Sie haben ja hilfsbereite Freunde." "Ja, die habe ich." Der Mann lächelte. "Sie tun alles, um Menschen in der Not eine Hilfe zu sein." "Na schön." Kaiba nickte und die Miene des anderen wurde plötzlich von einer unerklärlichen Heiterkeit befallen. "Sie wollen mich begleiten?" Kaiba lugte lässig zu ihm. "Nein, ich werde schon noch fündig, auch ohne Ihre Hilfe." "Mit meiner Hilfe ginge es aber vielleicht schneller?" Der Mann gab nicht auf. "Wäre möglich", murmelte Kaiba leise. "Ich danke Ihnen für Ihre Kooperation, aber... ach, warten Sie." Er hob die Hand. "Ja?" "Vielleicht entscheide ich mich ja noch anders?" Kaiba hob herausfordernd eine Augenbrauen. "Geben Sie mir Ihre Handynummer?" Der Andere zögerte kurz, bevor er wieder freundlich nickte und den Beutel abstellte. Endlich wandte er den Blick von Kaiba ab und diesmal nutzte dieser die Gelegenheit, um ihn durchdringlicher zu mustern. Schweigend stand er dort und wartete, bis der Mann einen Zettel gefunden und die Nummer darauf geschrieben hatte. Und als sich dieser aufrichtete und ihm den Zettel reichte, lächelte er. "Ich danke Ihnen." Er warf den Zahlen einen knappen Blick zu. "Und... wenn ich wirklich auf Ihre Hilfe angewiesen bin, bekomme ich sie auch?" "Aber natürlich", lachend bückte sich der Mann nach dem Beutel. "Rufen Sie ruhig an. Wir setzen uns in Verbindung und Sie werden nichts bereuen." "Was sollte ich denn aber auch bereuen?" Kaiba schloss sich seinem Lachen an. "Mit uns an Ihrer Seite finden Sie Ihren Freund ganz sicher." Somit schlenderte der Mann an ihm vorbei, schickte ihm ein letztes freundliches Lächeln und wandte sich ab. Kaiba hatte das Lächeln erwidert, sobald er jedoch den Rücken des Anderen sah, verfinsterte sich seine Miene. Er blickte ihm kurz nach, drehte sich um und ging in eiligen Schritten davon. Währenddessen glitt seine Hand in die Hosentasche und holte das Handy hervor. "Ich hab dich am Arsch", fauchte er leise, während er eine Nummer wählte. "Von einem männlichen Vermissten war nie die Rede!" Er erreichte eine Ecke, schlich um sie herum und blieb stehen, das Handy zum Ohr hebend. >Ihn zu begleiten, wäre vielleicht zu gefährlich gewesen<, dachte er, während er angespannt wartete. Es dauerte nicht lange, da nahm Pikotto ab und sofort erhob Kaiba die Stimme. "Du musst etwas für mich tun", meinte er eilig und klappte nebenbei den Zettel auf. "Ermittle den Fahrer eines dunkelgrünen Landrovers mit dem Nummernschild LHH3040. Wenn du das nicht schaffst, dann finde heraus, wer unter dieser Handynummer angemeldet ist!" Während Kaiba diese von dem Zettel ablas, war das Rascheln anderer Zettel in der Leitung zu hören. "Gut." Pikotto wirkte irritiert. "Wie hast du..." "Ich habe gerade jemanden kennen gelernt, der auf jegliche Fallen angesprungen ist, die ich gestellt habe." Kaiba sah sich flüchtig um. "Egal wie, ich will, dass du das bewerkstelligst! Stellt das ein Problem dar?" "Nein nein, ich glaube, das dürfte zu schaffen sein." "Dann beeil dich und ruf mich an, sobald du Ergebnisse erzielt hast!" Kaiba nickte. "Ich glaube, dieser perverse Typ hat seine dreckigen Finger irgendwie im Spiel!" Langsam öffnete sich die Tür des Bades, stockend glitt die blasse Hand von der kühlen Klinke. In kraftlosen Schritten trat Lee in den Flur hinaus, hob die Hand und tastete nach dem Handtuch, das auf seinem Kopf lag. Er hatte geduscht. Träge zog er das Handtuch zum Hals hinab, wo er es hängen ließ. Er ging den Flur entlang, dabei ließ er sich Zeit. Unten hörte er Stimmen. Unter anderem die zufriedene Stimme des Mannes, der ihn soeben besucht hatte. Gern blieb er noch zu einem Plausch, nachdem er sein Geld ausgegeben hatte. Lee hatte es nicht eilig, ihn wieder zu sehen. Doch er wollte zu Joey. Gemächlich näherte er sich der Treppe, da vernahm er auch schon Schritte. Schwere Schritte; der Kunde ging. Eine halbe Stunde hatte er mit den beiden anderen unten gesessen, eine halbe Stunde lang hatte Lee geduscht. Als er die oberste Stufe erreichte, hielt er inne. Er hörte, wie die die Tür geöffnet wurde, hörte, wie sich der Mann heiter verabschiedete und der Dritte des Bundes eintraf. Vermutlich hatte es Besorgungen erledigt. Vorsichtig tastete Lee nach dem Geländer. Es ging ihm nicht gut; er musste sich abstützen. "Hey!", hörte er da den Schwarzhaarigen rufen. Ein schwerer Beutel wurde grob auf dem Tisch abgestellt. "Stellt euch vor, was ich gerade erlebt hab!" "Was denn", raunte ein anderer, das bekannte Klirren der Flaschen ertönte, die aus dem Beutel gezogen wurden. Lee hielt inne. "Ich hatte gerade das Bier gekauft", begann der Schwarzhaarige aufgebracht zu erzählen, "und stand so herum, da tauchte Jemand auf! Ich sag's euch! So Einen habt ihr noch nie gesehen!" "Was denn für einen." "Einen jungen Mann... das glaubt ihr nicht! Eine Schönheit! Unbeschreiblich!" "Hier?!" "Ja, doch!" Der Mann war völlig außer Atem. "Brünettes Haar, stechend blaue Augen und eine Figur, das es einem wie Schuppen aus den Haaren fällt!" "Ja, scheiße man!", fluchte ein anderer. "Warum hast du ihn nicht mitgebracht?! Wen er wirklich so eine Schönheit war, dann hätte er uns reich machen können!" "Oh, das hätte er!" Ein Lachen. "Beine ohne Ende, schlank und muskulös, gepflegtes Äußeres, seidige Haut! Jedoch... nicht ganz so einfach wegzufangen." "Wie meinst du das?" "Na ja, er machte jedenfalls nicht den Anschein, sich verarschen zu lassen. Er war knallhart und so gewieft, dass ich mit meinen Worten vorsichtig sein musste! Ich glaube, das war ein richtig schlaues Bürschchen. Auf vorsichtige Annäherungsversuche sprang er nicht an, sondern reagierte mit scharfer Aggressivität! Nicht einmal die Nette-Mann-Masche hat etwas genutzt und so konnte ich nicht das Mindeste über ihn in Erfahrung bringen." Eine kurze Pause. "Außer einer kleinen Tatsache." "Welche ist das? Raus mit der Sprache!" "Er sucht nach unserem Frischling." "Wirklich??" Ein Stuhl rutschte quietschend zurück. "Warum hast du ihm nicht deine Hilfe angeboten und ihn hierher gelockt?! Wir hätten ihn überwältigen können!" "Was denkst du wohl, was ich versucht habe! Der war zu klug, um sich darauf einzulassen, hab ihm jedoch meine Nummer gegeben. Hoffentlich ist er verzweifelt genug, sich zu melden und doch noch um meine Hilfe zu bitten! Vielleicht bekommen wir den noch? Geld, Leute! Geld, sag ich euch! Und das im Überfluss!" "Scheint nen Bekannter von unserem neuen Häschen zu sein", grübelte ein Anderer. "Wir könnten ihn doch einfach ködern?" "Ah ah ah, da wäre ich vorsichtig. Ich habe keine Ahnung, was dieser Kerl für Asse im Ärmel hat. Ein Niemand schien es jedenfalls nicht zu sein." "Woher willst du das wissen!" "Er hatte eine Art an sich, die darauf schließen ließ!" Während die Männer das aufbrausende Gespräch weiterführten, biss sich Lee auf die Unterlippe. Seine Augen richteten sich auf den Boden und er begann zu grübeln. >Es sucht jemand nach ihm?< Die Finger der auf dem Geländer liegenden Hand, spreizten sich, die Miene verzog sich skeptisch. >Was soll's... nach mir haben sie auch gesucht. Besser ist, ich sage ihm nichts davon. Falsche Hoffnung macht die Sache nicht einfacher.< Somit setzte er sich in Bewegung und stieg die Treppe hinab. Unten war nun eine kurze Stille eingetreten, vermutlich ließen sie sich das Bier schmecken. Langsam bog Lee um die Ecke, tastete nach dem nächsten Geländer und machte sich daran, auch die letzten Stufen hinter sich zu lassen. Als man ihn bemerkte, ertönte Gelächter. "Hey Lee!" Einer der Männern lehnte sich im Stuhl zurück, ein belustigtes Grinsen zerrte an seinen Lippen. "Du scheinst es ja doch noch zu bringen! Ist lange her, seit ich das letzte Mal etwas Gutes über dich gehört habe!" Lee drehte das Gesicht zu ihm, erwiderte seinen Blick sicher und stieg von der letzten Stufe. "Was meinst du?", röhrte der Schwarzhaarige amüsiert. "Nachdem man dich so gelobt hat, könntest du doch wieder den vollen Dienst antreten, oder?" Unbeeindruckt, beinahe unbeteiligt zuckte Lee mit den Schultern und daraufhin brach erneut Gelächter aus. So schnell, wie man auf ihn aufmerksam geworden war, ließ man ihn wieder stehen und wandte sich anderen Themen zu. Lee ging weiter. "Weißt du, was morgen passiert?" "Nein, was?" "Dreimal darfst du raten." Lee hörte auch die nächsten Worte, bog in den Flur ein und näherte sich jener Tür, wobei er das Gespräch noch immer verfolgen konnte. Seine Miene zeigte keine Regung, als er sachte nach der Klinke griff, sie hinabdrückte und die Tür öffnete. Joey war auf den Beinen. Vorsichtig ging er durch das Zimmer und als er die Geräusche vernahm, blieb er stehen und drehte sich um. "Lee?" Eilig suchten seine Augen nach dem jungen Mann. Joey selbst wirkte äußerst nervös und besorgt, als er die Hände ineinander verkeilte. "Bist du es?" Lee entwich seinem Blick, schloss die Tür hinter sich und ging in matten Schritten auf den Stuhl zu. Er zog an Joey vorbei, der ihm das Gesicht nachdrehte, angespannt lauschend. Unter einem entkräfteten Stöhnen ließ sich Lee nieder und streckte die Beine von sich. "Lee?" Joey verzog die Augenbrauen, seine Arme verschränkten sich unsicher vor dem Bauch. "Wo warst du? Geht es dir gut?" Der Angesprochene runzelte die Stirn, fuhr sich träge durch das Haar und schüttelte anschließend den Kopf. Er schien zu grübeln und ließ Joey lange auf eine Antwort warten, ohne dabei auf seine Fragen einzugehen. Bequem blieb er sitzen und blickte bald zu Joey auf. "Um mich solltest du dir keine Sorgen machen", murmelte er und betrachtete sich die besorgten braunen Augen, die sich auf einen nicht existenten Punkt richteten. "Du bekommst morgen Besuch." "Wa...?" Joey öffnete den Mund und erstarrte in der Haltung. Währenddessen wandte Lee den Blick ab, biss sich auf die Unterlippe und verfing sich erneut im Grübeln. Lange Zeit herrschte Stille in dem Zimmer. Lee regte sich nur selten, starrte auf den Boden und fischte hin und wieder nach einer langen Haarsträhne, die ihm ins Gesicht fiel. Joey schien unterdessen damit zu kämpfen, den Sinn der Worte zu verstehen, ihn zu realisieren, zu wissen, was es bedeutete. Irritiert starrte er geradeaus, zwinkerte und drehte sich zur Seite. Flüchtig schweiften seine Augen durch den Raum, bevor er den Kopf sinken ließ. "Scheiße." Er rieb sich die Stirn, verzog die Miene und flüsterte leise vor sich hin. "Ich war überrascht, dass sie dich so lange haben warten lassen", durchbrach Lee die steinerne Atmosphäre. Seine Worten klangen verbissen und aufgezwungen, als spräche er sie nicht gern aus. Joey blickte auf. "Für gewöhnlich lassen sie sich weniger Zeit." "Ah... wirklich." Joey streckte die rechte Hand aus, tastend suchte sie nach etwas, auf das man sich setzen konnte. Lee beobachtete ihn dabei mit finsterer Miene, mit Augen, die auf einen Kampf aufmerksam machten, der im Inneren des Halbamerikaners zu toben schien. "Mm", murmelte er leise und Joeys Hand erreichte den Tisch, auf dem sich der Blonde niederließ, so stockend, als wäre er durch einen derben Schlag benommen. Wieder verfolgte Lee eine jede seiner Bewegung, biss sich langsam auf die Unterlippe und brachte ein leises Räuspern hervor. "Hör zu", meinte er gedämpft und rieb sich den Nacken. "Das erste Mal ist schlimm, aber es lässt sich überleben." Er blickte Joey nicht in die Augen, gestikulierte knapp mit der linken Hand. "Ich rate dir, dir ein kleines Holzstück in den Mund zu stecken, auf das du... beißen... kannst." Somit nickte er unauffällig und starrte auf seine Hände. Langsam öffnete Joey den Mund, atmete tief ein und entschied sich alsbald doch für das Schweigen. Auch er starrte nach unten, seine Hände schlossen sich um die rauen Kanten der Tischplatte, auf der er geduckt hockte. Morgen würde also ein Mann kommen. Ein Fremder, mit dem er schlafen musste? Er blinzelte, presste die Lippen aufeinander und schloss die Augen. Eine rege Angst begann ihn zu beherrschen, gleichermaßen jedoch auch eine gewisse Wut. Man wollte ihn also zwingen, seinen Schwur zu brechen? Seinen Schwur gegenüber Kaiba, sich von niemand anderem berühren zu lassen?! Seine Schultern hoben sich unter einem tiefen Atemzug. Den für ihn heiligen Schwur?! Und das für lausiges, stinkendes Geld?! Seine Miene begann zu zucken, Lee linste zu ihm. Er sah es als Verrat an! Als Verrat und nichts anderes! Als ein Verrat an Kaiba! Was hatte dieser alles getan, um ihn zu schützen?! Vor allem! Vor jedem! Dies alles sollte er nun zunichte machen?! Einfach so?! >Das kann nicht sein!< Er schüttelte den Kopf. >Ich soll Seto hintergehen?! Für jemanden die Beine breit machen, nur, damit sich diese Scheißkerle etwas mehr Bier kaufen können?!< Er fürchtete sich weniger vor den körperlichen Schmerzen oder gar der Demütigung. Nein, diese Faktoren stellten das geringste Problem dar! Vielmehr bestand die Angst aus der Enttäuschung, dem Scham Kaiba gegenüber... vorausgesetzt, er würde ihn je wieder sehen! Joey Gesicht verfinsterte sich verbissen. >Ich wehrte mich mit allen Mitteln gegen Chester! Meine Knie waren weich! Meine Hände zitterten, obgleich er mich nur berührte! Ich entkam ihm... und soll all diese Anstrengungen einfach so zunichte und ungeschehen machen?!< Erneut atmete er tief ein, Lee musterte ihn abwägend und mitfühlend, beobachtete, wie sich ein entschlossener Ausdruck in der Miene des Blonden festsetzte, dieser kurz darauf die Augen öffnete und erneut den Kopf schüttelte. "Lee... hattest du eine feste Freundin, bevor du hierher kamst?" Irritiert hob der Schwarzhaarige die Augenbrauen. "Was?" "Führtest du eine feste Beziehung?", erkundigte sich Joey, wobei seine Stimme weder auf eine Angst, noch auf die leiseste Verunsicherung hinwies. "Nein." Langsam schüttelte Lee den Kopf, auch wenn er nicht wusste, weshalb Joey diese Fragen an ihn stellte. "Ich führe eine." Joey nickte entschlossen. "Und ich stehe zu ihr, so außergewöhnlich sie auch ist." Lee starrte ihn an. "Ich habe keine Freundin, nein... ich habe einen Freund." Lee hob die Augenbrauen, öffnete den Kopf und hob den Kopf. Er sah Joey mit bloßer Verwunderung an, weniger mit Ekel oder gar Wut. Joey jedoch, konnte seine Mimik nicht sehen. Er zögerte kurz. "Was denkst du jetzt über mich, Lee?", fragte er leise. "Ich weiß, gerade du musst etwas Derartiges verachten, da du es unfreiwillig erlebst. Seit drei Jahren...", Joey biss sich auf die Unterlippe, "... und ich verstehe auch, wenn du mich deshalb verachtest. Aber es ist nun einmal so und, wie schon gesagt, ich stehe dazu und bin glücklich, dass es so ist." Lee antwortete ihm nicht, begann ihn zu mustern, als täte er dies zum ersten Mal. "Es geht mir nicht darum, dass ich unter dem morgigen Ereignis leiden werden. Ob nun körperlich oder auch psychisch. Es geht mir darum, dass ich ihn betrügen werde und das ist schwer zu akzeptieren. Vor allem, weil es sich vermutlich nicht vermeiden lässt." Lee schlug die Augen nieder, holte tief Atem und rümpfte die Nase. "Wusste Daniel davon?" "Wie?" Über die plötzliche und äußerst ruhige Frage überrascht, hob Joey die Augenbrauen. "Habt ihr euch gut verstanden?" Lee faltete die Hände ineinander, verfolgte jede der Bewegungen. "Ähm... ja", Joey nickte, "ja, ich denke schon." "Dann wusste er es nicht." "Was...?" "Im Gegensatz zu mir billigt er es nicht, obwohl nur ich einen Grund und das Recht dazu hätte." Lee zuckte mit den Schultern. "Er hat Dinge schon immer gern verallgemeinert." "Heißt das, du denkst jetzt nicht anders von mir?" Ein sanftes Lächeln legte sich auf die blassen Lippen des jungen Mannes. "Wir hatten einmal einen Kumpel, Daniel und ich. Der interessierte sich nicht für Frauen und lebte mit einem Mann zusammen. Eine Liebe sag ich dir", Lee atmete tief ein und rieb sich den Oberarm, das Lächeln hielt an, "so zärtlich und ehrlich, wie ich es bei keinem heterosexuellen Pärchen je gesehen habe." Auch Joey fand die Kraft zum lächeln und als Lee darauf aufmerksam wurde, besah er sich diese Geste aufmerksam, während das eigene Lächeln an Kraft verlor. "Erzähl mir von ihm, Joey", bat er nach einer kurzen Stille leise. "Wie war er so?" Augenblicklich wich jegliche Freude aus Joeys Gesicht, seine Augen richteten sich entsetzt in Lee's Richtung. "Sprich nicht so, als würde ich ihn nie wieder sehen", flüsterte er. "Ich liebe ihn zu sehr, als dass das passieren könnte." Lee machte nicht den Eindruck, als würde er seine Meinung ändern. Er schwieg eine geraume Zeit. >Denkst du, es wäre zu grausam, um real zu sein, Joey? Glaubst du, deine Liebe allein kann dich retten? Vor dem, was du vor dir hast?< Die Miene des Halbchinesen wurde von einem unsicheren Trübsal befallen, bevor er langsam den Kopf schüttelte. "Wie ist er so?" Joey atmete tief durch, schob sich auf dem Tisch zurück und setzte sich bequemer. "Er ist Geschäftsmann, nach außen hin kühl und trotzdem ist er zu einer Zärtlichkeit imstande, die man ihm nicht zutraut, wenn man ihn sieht. Er ist der typische Perfektionist und doch weist er die liebenswürdigen Fehler auf, die ihn zu einem Menschen machen. Er ist um jeden besorgt, der ihm nahe steht, einem kleinen Jungen ist er ein herrlicher Bruder. Er ist...", Joey grübelte, "ein Mensch, der einem in schweren Zeiten immer zur Seite steht und alles tut, um denjenigen zu schützen. Wirklich alles, egal, wie viel er dafür aufopfern muss. Seine bloße Anwesenheit vermittelt das Gefühl unglaublicher Sicherheit, sein Auftreten ist so stolz, vermittelt anderen Menschen bloßen Respekt und erweckt den Anschein, als wäre er unantastbar, unverletzlich. Doch er ist verletzlich und antastbar, zumindest für die Menschen, die ihm nahe stehen. Er ist so anders, als man ihn in der Öffentlichkeit kennt. Er ist ein wundervoller Mensch, wenn auch manchmal etwas launisch." Nachdenklich starrte Lee auf den Boden. "Und... wie sieht er aus?" "Er ist einen Kopf größer als ich." Joey lächelte. "Brünettes Haar... stechend blaue Augen. Herrliche Augen... ich könnte stundenlang hineinsehen." Lee presste die Lippen aufeinander und schloss die Augen. "Ich weiß nicht, was er in diesen Sekunden macht." Joeys Stimme senkte sich schwermütig. "Meine Klasse jedenfalls... dürfte bereits nach Domino zurückgekehrt sein..." "Denkst du", Lee starrte wieder auf seine Hände, "dass ER hier geblieben ist?" "Du meinst, dass er mich sucht?" Lee zuckte mit den Schultern, blickte nicht auf. "Oh", Joey fuhr sich konfus durch den Schopf. "Er weißt doch nicht einmal, weshalb ich verschwunden bin. Vielleicht weiß er nicht einmal, dass ich blind bin!" "Glaubst du es?", hakte Lee nach. Mit gesenktem Kopf verharrte Joey in der Haltung, holte tief Luft und ballte die Hand, die in seinem Schopf versenkt war, zu einer Faust. Nur kurz ließ er Lee warten, dann richtete er sich auf und nickte. "Ja, ich glaube, dass er hier geblieben ist... nein, ich... ich weiß es!" ~*To be continued*~ Kapitel 8: Kein Geld der Welt ----------------------------- Gemächlich griff der Mann in die Tasche seiner zerknitterten Hose, zerrte eine alte Serviette hervor und wischte mit ihr über den Mund, der mit Ketschup verschmiert war. Anschließend lehnte er sich zurück und warf einen flüchtigen Blick zum Fenster, hinter dem es bereits zur Nacht dämmerte. Er beobachtete sich kurz eine alte Laterne, öffnete den Mund und hob die fettige Bratwurst. In dieser Sekunde flog die Tür seines Büros auf. Vor Schreck warf er die Bratwurst weit hinter sich und starrte auf den jungen Mann, der in sicheren Schritten auf seinen Schreibtisch zusteuerte, weit ausholte und keuchend einen Zettel auf eine der verschmierten Unterlagen knallte. "Die Zeit ist um!" Kaiba fixierte ihn brennend. Er wirkte blass und müde, ausgemergelt und dennoch entschlossen. Das brünette gepflegte Haar wirkte etwas zerzaust, der Atem fiel rasend. "Dieser Mann!" Er stieß mit dem Zeigefinger nach dem Zettel. "Rick Schäfer! Er hat etwas mit dem Verschwinden meines Freundes zu tun! Ich weiß es! Und hier ist die Adresse! Zeigen Sie mir, wo das ist!" "Was fällt Ihnen ein?!" Der Polizeichef sprang auf die Beine. "Hier einfach rein zu plautzen und mich..." "Bei einem Fressakt zu stören?!", schrie Kaiba. Nach der langen Suche und den anderen Geschehnissen waren keine Nerven mehr vorhanden, die man strapazieren konnte. "Hören Sie zu, verdammte Scheiße noch mal! Die vierundzwanzig Stunden sind vergangen und Sie haben sich unverzüglich an der Suche zu beteiligen, sonst zeige ich Sie an und ich schwöre Ihnen, Sie kommen nicht nur mit einem blauen Auge aus der Sache raus, dafür werde ich Sorge tragen!!" "Jetzt hören Sie mir mal zu!" Der Polizeichef schnaubte empört. "Das geht nicht so einfach wie Sie denk..." "Oh doch!" Kaibas Fäuste gingen auf den Schreibtisch nieder. "Sie bringen mich jetzt sofort zu dieser Adresse und wagen Sie es...!" Er verengte die Augen. "Wagen Sie es, auch nur eine Sekunde zu zögern, dann verarbeite ich Sie zu Kleinholz und bringe Sie anschließend um!!" Langsam lehnte sich Duke zurück, streckte die Beine von sich und sah aus dem kleinen Fenster. Es war bereits finstere Nacht. Seit zwei Stunden saßen sie nun im Flugzeug und wie auch auf der Herreise, herrschte trotz der späten Zeit eine gute Stimmung. Überall wurde geredet, gelacht und gealbert. Duke blinzelte, schloss die Augen und hob die Hand, um sich träge durch das offene Haar zu fahren. Neben ihm hörte Tristan Musik, hinter ihm unterhielten sich Tea und Yugi über die herrliche Natur Thüringens. Sie machten sich um nichts Sorgen... warum sollten sie auch? Sie hatten keinen Grund. Duke biss sich auf die Unterlippe. Er konnte es sich nicht erklären, doch er hatte ein merkwürdiges Gefühl. Das Gefühl, welches verriet, dass irgendetwas nicht stimmen konnte. Es bereitete ihm Kopfzerbrechen, ja, seit sie los geflogen waren, grübelte er. Wenn Kaiba und Joey einen normalen Linienflug benutzt hatten, um nach Domino zurückzukehren, dann mussten sie dort bereits angelangt sein. Und wenn Kaiba den Flug mit einem firmeneigenen Jet veranlasst hatte, dann erst recht. Weshalb rief er nicht an? Ein Anruf wäre doch das Mindeste. Eine kurze Bescheidgabe, wie es Joey ging! Langsam richtete er sich auf und sah sich um. Er traute es Kaiba nicht zu, so etwas einfach zu vergessen. Nein, Kaiba musste anrufen! Doch bisher...? Wieder begann er die Unterlippe mit den Zähnen zu bearbeiten. Die Tatsache, dass sein Handy schwieg, obgleich Kaiba seine Nummer hatte, bestätigte dieses miese Gefühl nur, verstärkte es sogar. Unter diesen Umständen konnte Duke nicht ruhig bleiben und sah sich dazu gezwungen, etwas zu unternehmen. Nach einem flüchtigen Blick zu Tristan, der die Augen geschlossen hielt und zu schlafen schien, beugte er sich nach vorn, griff in den Rucksack und zog seinen Laptop hervor. Leise klappte er ihn auf, bettete ihn auf dem Schoss und fuhr ihn hoch. "Die Bergluft war einfach wundervoll", hörte er Yugi hinter sich seufzen. "Oh ja", stimmte Tea zu. "Sie wird mir fehlen, wenn wir wieder in Domino sind." "Dort gibt es auch nicht so schöne Vögel", bemerkte Yugi durchaus etwas melancholisch. Nach einer kurzen Wartezeit begann Duke zu tippen, suchte den direkten Eingang in das Internet. "Wenn wir Ferien haben, könnten wir vielleicht noch einmal nach Thüringen reisen?", meinte Tea verträumt. "Einfach in einer kleinen Herberge unterkommen und jeden Tag wandern." "Oder baden", sagte Yugi. "Oder baden", seufzte Tea zustimmend. In die Arbeit vertieft, biss sich Duke auf die Unterlippe, starrte auf den Bildschirm und tippte weiter. "Daniel und seine Freunden werden mir auch fehlen", lachte Tea. "Sie waren mir wirklich sehr sympathisch." "Mm..." Yugi antwortete mit einem undefinierbaren Murmeln. Endlich wurde Duke fündig. Er lehnte sich etwas nach vorn, starrte konzentriert auf den Bildschirm und machte sich kurz darauf wieder daran, den Laptop runter zufahren. Alles ging sehr schnell vonstatten und währenddessen schien Duke gedanklich immer wieder etwas durchzugehen, das er nicht vergessen durfte. "Die Unterkünfte waren wirklich herrlich", schwärmte Tea. "Und das Essen", fuhr Yugi fort. "Alles war so herrlich." Flink verstaute Duke den Laptop wieder im Rucksack, griff unterdessen in eine der kleinen Seitentaschen und zog sein Handy hervor, das er unauffällig in seiner Hosentasche verschwinden ließ. Anschließend erhob er sich und schob sich an Tristan vorbei. "Muss mal vier kleine Jungs", griente er, als Tea ihn fragend ansah. Somit wandte er sich ab, schlenderte durch den schmalen Flur nach vorn und zog einen Gummi, mit dem er sich flink das Haar zu einem lockeren Zopf band. Schnell erreichte er die Toilettenkabine und verschwand in ihr. Sofort verriegelte er die Tür, zog das Handy hervor und tippte eine Nummer. Schnell hob er das Handy dann zum Ohr, schwang sich auf die kleine Ablage neben dem Waschbecken und schickte der Tür einen abwägenden Blick. In der Leitung ertönte leises Tuten; Duke wartete angespannt und schon nach kurzer Zeit meldete sich jemand: Die Rezeption der Kaiba-Corperation. "Guten Abend", sagte Duke leise und verdeckte seinen Mund etwas mit der Hand. Wenn man ihn hier beim Telefonieren erwischte, würde es großen Ärger geben. "Ich hätte gern mit..." >Verdammt, wie hieß er noch!< "Ähm... mit Herrn Pikotto gesprochen." "Darf ich Ihr Anliegen erfahren?", erkundigte sich die eitle männliche Stimme. "Geschäftlich", dachte sich Duke schnell aus. "Mein Name ist Devlin, ich... bin Inhaber eines Spiele-Ladens und muss etwas wichtiges mit Herrn Pikotto besprechen." Eine misstrauische Stille war in der Leitung zu hören, Duke wurde nervös. "Es ist wirklich von größter Wichtigkeit", flüsterte er. "Wurden sie sich bereits persönlich vorgestellt?" Kam die Gegenfrage. "Ähm... ja, ja natürlich! Wir sind uns bereits begegnet." >Wobei ich nur befürchte, dass er meinen Namen vergessen hat.< "Mm... warten Sie bitte einen Moment." Somit ertönte ein leises Geräusch, auf das ein Rauschen folgte. Duke leckte sich über die Lippen, lehnte sich etwas nach vorn und lauschte nach draußen. >Pikotto muss etwas wissen! Immerhin ist er Kaibas Stellvertreter und somit sicher in alles eingeweiht! Er wird mir sagen können, ob Kaiba und Joey bereits in Domino sind... oder nicht.< Duke wartete knapp zwei Minuten, dann meldete sich die Stimme des Rezeptionsmannes. "Es tut mir leid, doch Herr Pikotto ist zur Zeit nicht zu sprechen." "Wie bitte?" Dukes Miene verzog sich verbissen. "Aber... es geht wirklich um ein wichtiges Anliegen, welches ich sofort mit ihm klären muss." "Er befindet sich in einer sicher noch wichtigeren Besprechung." Kam die Antwort. "Verflucht...", Duke atmete tief durch, "... und wann endet diese Besprechung? Wann kann ich wieder anrufen?" "Herr Pikotto wird Ihren Anruf erst am morgigen Tag entgegennehmen können." "Dann... dann...", Duke fuchtelte mit der Hand. "... können Sie mir wenigstens Kaibas Telefonnummer geben?" "Seine Privatnummer?" "Natürlich seine Private." Daraufhin lachte der Mann leise. "Ja, die wollen viele. Auf Wiederhören." Und somit wurde aufgelegt. "Ver...", wütend ließ Duke das Handy sinken, "verflucht! Verdammt!" >Das kann doch nicht wahr sein!< Mit finsterer Miene rutschte er von der Ablage. >Ich hätte ihn gleich persönlich fragen sollen, ob ich sie bekomme! Dann wäre mir all das erspart geblieben!< Reglos stand Kaiba auf der finsteren Straße. Die Hände hielt er neben der Hüfte, die rechte umklammerte das Handy. Nun war es kurz vor Mitternacht... Und er befand sich bei besagter Adresse. Ausdruckslos waren seine Augen auf das sanierungsbedürftige Häuschen gerichtet. Es war klein, der Putz bröckelte von den Wänden, die Fenster wurden von dicken Brettern versperrt. Düster stand es dort, umgeben von einem verwilderten Garten. Nur selten wurde eine Stelle der Fassade in Licht getaucht, wenn einer der beiden Polizisten, die um diese Uhrzeit zur Verfügung standen, mit seiner Taschenlampe leuchtete. Hier wohnte niemand, doch die Adresse... sie musste korrekt sein. Pikotto beging keine Fehler. Die Miene des jungen Mannes zeigte keine Regung, auch seine Augen schienen keinen bestimmten Punkt zu fixieren, waren leblos nach vorn gerichtet, während der dicke Polizeichef, der neben ihm stand, beachtliche Flüche spuckte. "Scheinbar sind Ihre tollen Informationen fehlerhaft!", meckerte er. "Und deshalb bin ich nun hier raus gefahren, ja? In diesem Haus wohnt seit langer Zeit niemand mehr! Tolle Informanten haben Sie! Haben Sie wirklich geglaubt, dass..." Kaiba hörte ihm nicht zu. Die Spur... Die Spur, die all das Grauen in ein hoffnungsvolles Licht getaucht hatte... Sie endete hier. Abrupt. Erfolglos. Dieses Haus... nein, hier wurde niemand gefangen gehalten! Hier lebte keine Menschenseele! Einer der beiden Polizisten hatte sich einen Weg in das Haus gebahnt. Nun verließ er es und fuchtelte mit der Taschenlampe. "Alle Türen sind verrammelt, niemand antwortet auf Rufe!", meinte er. "Hier war seit Jahren niemand mehr!" Somit fühlte sich der Polizeichef bestätigt und schielte grimmig zu Kaiba. "Und? Sind Sie nun zufrieden?", maulte er etwas spitz. Endlich blinzelte Kaiba, schien in die Realität zurückzukehren, wenn auch nur stockend und ungern. Seine Lippen bewegten sich und unter einem ungläubigen Kopfschütteln, wandte er sich ab. Und mit jedem Luftzug, den er in sich ein sog, ergriff die Panik von ihm Besitz. Die letzte Hoffnung... Weg? Benommen setzte er einen Fuß vor den anderen, ging taumelnd wenige Schritte. Er hatte sich darauf verlassen, hier fündig zu werden...! Auf was sollte er sonst hoffen? Dass Joey unerwartet vor seiner Tür stand?? Dass er einfach wieder auftauchte?? "Herr Kaiba!", durchbrach die wütende Stimme des Polizeichefs den nächtlichen Frieden. "Hey, wo wollen Sie hin?!" Langsam senkte sich das bleiche Gesicht, verkrampft verstärkte sich der Druck der Hand, die das Handy umschlossen hielt, die Zähne bissen aufeinander. Joseph... Länger als zwei Tage war dieser bereits verschwunden! Verschwunden, wie vom Erdboden, ohne dass eine Erklärung dafür existierte! "Hey!!" Langsam jedoch stetig breitete sich ein Nerven zerreißender Gedanke in Kaiba aus. Ein Gedanke, zu stark, zu realistisch, um sich dagegen wehren zu können! Sollte es so enden?? War es das?? Auf einer Klassenfahrt! Auf einer einfachen Klassenfahrt nach Deutschland! Eine Klassenfahrt, die zu einem Spaß werden sollte! Stellte sie den brutalen Schlussstrich dar?? Bedeutete eine winzige Unachtsamkeit, dass sie sich nie wieder sehen sollten?? Die zweijährige, glückliche Beziehung... war dies ein geeignetes Ende für sie?? Sollte... würde Joey verschwunden bleiben? Weitere Stunden, Tage, Wochen, Monate, gar Jahre?? Konnte die Realität solche grausame Ausmaße annehmen?? Gab es keine Gerechtigkeit, die dergleichen verhinderte?? Die brünetten Strähnen fielen in das zermürbte Gesicht des jungen Mannes. Er blieb stehen und seine Haltung wirkte kraftlos, zusammengesunken... erschöpft! Nein... zittrig biss sich Kaiba auf die Unterlippe! Das wollte er nicht wahrhaben! Er wollte es nicht realisieren!! Wollte nicht seinen Standpunkt einsehen, die wenigen Möglichkeiten, die blieben, um Joey zu finden! >Ich will ihn nur zurückhaben!!< Ein eiskalter Schauer fuhr durch seinen Körper, eine Gänsehaut bildete sich auf all seinen Gliedern. >Was soll ich noch tun?? Zu was bin ich imstande?!!< Zitternd hob sich die freie Hand zum Gesicht, schob sich lahm durch die Strähnen und verdeckte die Augen. >Zu nichts! Zu gar nichts!!< "Hey! Kaiba!!" >Was nutzt all meine Macht, wenn ich nicht dazu imstande bin, das zu retten, was ich liebe? Was ist all das wert ohne Joseph?! Was ist ein Leben mit Reichtum und Einfluss, wenn ich einen der wichtigsten Menschen meines Lebens verliere??< All seine Gedanken brachen abrupt ab, als sich das Handy meldete. Erschrocken zuckte er zusammen, schnappte nach Luft und starrte auf das Handy, dessen Display hell aufleuchtete. Mit zitterndem Atem und geöffneten Lippen hob er die Hand. "Kaiba, hätten Sie die Güte, mir zu sagen, wie es nun weitergehen soll??", rief der Polizeichef wieder. "Sie verschwenden meine kostbare Zeit, indem Sie mich von einem Ort zum anderen lotsen und nicht mehr dabei herauskommt, als..." Er verstummte, als Kaiba das Handy zum Ohr hob, ihn scheinbar überhaupt wahrnahm. Matt drückte er eine Taste, legte das Handy gegen das Ohr und wartete. "Kaiba?", ertönte Pikottos Stimme in der Leitung. Auch sie klang etwas beunruhigt. Der Angesprochene schwieg weiterhin, starrte auf den Boden und antwortete erst nach langer Zeit. "Ja", hauchte er leise, kaum hörbar. "Kaiba, vor wenigen Minuten rief Devlin in der Firma an." Entsetzt wechselten die eisblauen Pupillen von einer Seite zur anderen. "Was...?" "Ja, aber ich habe ihn nicht zu mir durchstellen lassen", fuhr Pikotto fort. "Was hätte ich ihm denn sagen sollen? Scheinbar rechnet er damit, dass ihr bereits wieder in Domino seid." "Oder auch nicht", flüsterte Kaiba leise und rieb sich die Stirn. "Du meinst, er hat Misstrauen geschöpft?" Wieder zögerte Kaiba mit der Antwort und war letzten Endes nur zu einem gebrochenen Stöhnen imstande. "Die Situation spitzt sich zu, Kaiba", erklärte Pikotto angespannt. "Spätestens morgen wird alles auffliegen. Doch sag... die Adresse! Wann fährst du..." "Vergiss es." "Wie bitte?" Pikotto keuchte entsetzt auf. "Vergiss es." "Kaiba, was ist los?!" Langsam richtete sich der Brünette auf, schleppend sog seine Lunge Sauerstoff in sich ein, die Augen schweiften gedankenverloren durch die Finsternis. "Kaiba! Wo ist Joseph?! Mein Gott, hast du..." Leidend verzogen sich die schmalen Augenbrauen. "Pikotto...", die Stimme des jungen Firmenchefs war nicht mehr als ein schwaches Hauchen, "... die Adresse... sie ist falsch." "Ein Scheinwohnort!", keuchte Pikotto. "Bist du sicher, dass..." "Ja." "Aber... verdammt, was willst du jetzt tun?!" Unter einem schweren Schlucken schloss Kaiba die Augen und schüttelte langsam den Kopf. "Verflucht!" In der Leitung waren hastige Geräusche auszumachen, ein Feuerzeug klickte. "Es muss sich doch irgend etwas machen lassen! Joseph kann nicht einfach verschwunden sein!" "Mm..." "Die Zeit ist verstrichen, die Polizei muss den gesamten Ort durchsuchen! Wozu ist sie sonst da?!" "Mm..." "Soll ich mich mit Herr Lenzich in Verbindung setzen?" "Mm... was?" Kaiba blickte müde auf. "Das wäre das Äußerste!", erläuterte Pikotto aufgebracht. "Weiter können wir nicht gehen! Und wenn ich mit ihm telefonieren würde, dann könnte er sicher..." Erneut verzog sich Kaibas Miene. Diesmal jedoch grübelnd. "Pikotto...?" Unterbrach er diesen. "Ja?" Er leckte sich über die Lippen, stützte die Hand in die Hüfte und blickte langsam zum Himmel auf. Kurze Zeit herrschte Stille in der Leitung, bis Kaiba erneut den Kopf schüttelte, wenn auch zögerlich und etwas unsicher. "Es gibt noch eine andere Möglichkeit." "Die da wäre?", erkundigte sich Pikotto sofort. Abwesend betrachtete sich Kaiba die funkelnden Sterne in der schier endlos erscheinenden Dunkelheit, die sich über ihm erstreckte. "Kaiba?" Doch dieser schwieg, während er zu den hellen Lichtern aufblickte. >So dunkel es auch ist<, ging es ihm durch den Kopf. >So erdrückend die Finsternis auch sein sollte... es gibt immer ein Licht, so klein es auch ist.< "Ruf ihn nicht an", murmelte er leise. "Unternehme nichts, antworte auf keine Fragen, ich werde mich melden." "Kaiba, nein! Verflucht... das kannst du nicht mach..." Gemächlich ließ Kaiba das Handy sinken, verstaute es vorsichtig in der Hosentasche und atmete tief durch. "Verzeihung!" Mit einem großen Schritt stand der Polizeichef neben ihm und plusterte sich auf. "Sind Sie jetzt vielleicht mal fertig mit Ihrem..." "Sie können gehen." Kaiba wandte ihm den Rücken zu, ging ihn müden Schritten davon. "Sie sind zu nichts zu gebrauchen." Somit verschränkte er die Arme vor dem Bauch, ließ den Kopf sinken und suchte sich seinen Weg in die Dunkelheit des Dorfes. Des Dorfes, welches in der letzten Zeit vielmehr wie eine Gegend des Grauens wirkte, als ein Ort der Erholung. Weshalb ich dich liebe, Seto? Ich liebe dich, weil du fester im Leben stehst, als ich. Ich liebe dich, weil du selbstsicher bist und mir Ratschläge geben kannst, als seist du ein alter Mann, der aus seinem langen Leben bereits viele Lehren zog. Ich liebe dich, weil du schön und zärtlich bist. Bei dir finde ich Unterschlupf. Ich kann mir ein Leben ohne dich nicht mehr vorstellen. Weshalb ich dich liebe, Joseph? Ich hätte nie gedacht, das ich so etwas je einmal sagen würde. Ich bin der erfolgreichste und mächtigste Mann Dominos, habe Geld, Ansehen und Erfolg. Das ist es, um was mich viele beneiden. Ich bin dankbar für das, was man mir gegeben hat... doch ohne dich ist dies alles nichts wert. Du symbolisierst die Dinge für mich, zu denen ich trotz alledem nie im Stande bin. Du tust, was ich mir nicht leisten kann, und doch gern tun würde. Du bist rebellisch, achtest nicht auf Gesetze um dich amüsieren zu können. Das kann ich nicht. Du sagst was du denkst, bist zumeist nur am plappern und heiterst andere damit auf. Auch das kann ich nicht, denn ich habe es nie gelernt. Du bist unkompliziert. Wenn es eine Sache gibt, die dich stört, dann bekämpfst du sie. Wenn du traurig bist, dann weinst du. Wenn du wütend bist, schreist du. Du erhellst mein Leben, holst mich aus dem tristen Alltag, heiterst mich auf und bist meistens der Einzige, auf den ich mich wirklich freue, wenn ich die Firma verlasse. Das Geld und all der Erfolg sind mir egal, denn du bist mein wahrer Schatz. Mein Gott, deswegen liebe ich dich so abgrundtief, Joseph! Durch dich habe ich erst angefangen, zu leben. Und ich hätte mir nie träumen lassen, einem Menschen einmal so wichtig zu sein! Was kann uns passieren, wenn wir weder Tod noch Hölle fürchten? Was für eine Gefahr kann Verrat für uns darstellen, wenn wir ihn aufrichtig und gemeinsam bekämpfen? Gemeinsam kämpfen? Wir sind voneinander getrennt. Kann die Unsicherheit nach uns greifen, wenn wir stets die Gegenwart des Anderen spüren? Die Gegenwart des Anderen? Wir spüren sie nicht. Können Sorgen uns zermürben, wenn wir den positiven Prinzipien des Lebens entgegenblicken können? Die positiven Prinzipien des Lebens? Welch ein Sarkasmus, in diesen Zeiten an dergleichen zu denken! Hat die Angst Macht über uns? Was ist schon der Tod, wenn wir gemeinsam sterben? Das Leben erstrahlt in seiner vollen Pracht, wenn wir es gemeinsam genießen. Doch... wir sind voneinander getrennt... ~*To be continued*~ Kapitel 9: Mein Leben für deines -------------------------------- "Du widersetzt dich unseren Befehlen, du mieses Stück Dreck?!" Erneut trat er zu, trat den jungen Mann, der nahezu reglos auf dem Boden lag. Nur der schwere röchelnde Atem, der stockend über die blutigen Lippen kam, verriet, dass er noch am Leben war. Nicht etwa die Augen, denn sie waren entspannt geschlossen, als leide der Körper unter keinerlei Schmerzen. "Verdammt, Rick!" Der Brünette zerrte den Wütenden zurück, wozu er ihn fest packen und viel Kampf aufwenden musste. Der Blonde hingegen, beteiligte sich nicht an dem Spektakel. Mit gekreuzten Beinen und einer Zigarette im Mundwinkel, lehnte er im Türrahmen und verfolgte das Geschehen gelangweilt. "Lass ihn ihn doch kalt machen", murmelte er, als sich Rick gegen seinen Kameraden zur Wehr setzte. "Ich meine, sei mal ehrlich. Nen großen Gewinn bringt uns das Wrack nicht mehr." "Wenn ein Mann nach dir verlangt, Bastard", schrie Rick, ohne auf die Worte des Blonden einzugehen, noch immer wand er sich in den Armen des Anderen, versuchte freizukommen, "dann hast du zu spuren!! Auch wenn es kurz nach Mitternacht ist!!" "Und auch wenn du mal wieder über deine Wehwehchen jammerst." Der Mann im Türrahmen grinste und hob die Hand zur Zigarette. "Er wäre uns gestern beinahe verreckt!", protestierte der Brünette, schob sich an dem Wütenden vorbei und drängte ihn mit aller Kraft zurück. "Ich hab doch gesagt, der macht´s nicht mehr lange", lachte der Rauchende. "Lass mich los!!" Rick stieß sich an der Wand ab, stürzte erneut auf den scheinbar bewusstlosen jungen Mann zu, wurde jedoch schnell genug wieder abgefangen. "Wegen ihm sind uns ein paar hübsche Scheine durch die Finger gegangen! Dem macht es doch Spaß, uns zu trotzen!!" "Verflucht, halt´s Maul!!" Als Rick sich erneut wehrte, schlug der Brünette mit aller Kraft zu und er stürzte. Währenddessen begann sich die bleiche Hand des am Boden liegenden jungen Mannes zu bewegen. Stockend tasteten sich die Fingerkuppen über den rauen Holzboden, der Spalt zwischen den blutigen Lippen schloss sich und die Lider zuckten kurz. Niemand schenkte dem Beachtung, denn die Männer hatten mit sich zu tun. Mit dem Fuß drückte der Brünette Rick auf den Boden nieder und baute sich über ihm auf. "Was bringt es dir, wenn du die kleine Ratte tot schlägst??", brüllte er und der Blonde blies gemächlich den Rauch gen Zimmerdecke. "Benutze deinen gottverdammten Schädel! Wir ziehen das Letzte aus ihm raus, aber sowenig Geld er uns im Augenblick auch bringt, gebrauchen können wir ihn immer noch für kleinere Jobs! Also lass ihm einen Tag Ruhe! Wenn du noch ein paar Mal zu trittst, braucht er zwei!!" "Wow, Tom hat ausnahmsweise mal recht", wisperte der Blonde und weitete die Augen. "Halts Maul!" "Geh sofort von mir runter!" Während das Gebrüll fortgesetzt wurde, öffnete Lee erneut den Mund, atmete tief ein und hielt die Luft an, als er sich stockend und kraftlos mit dem Oberkörper aufrichtete, wobei er sich stets mit den Armen abstützen musste. Der Kopf blieb gesenkt. "Sollen wir uns jetzt nach ihm richten?!", schrie Rick aufgebracht und zerrte den Fuß des Brünetten von seiner Schulter. "Der Bastard hat nicht zu entscheiden, wann er Besuch bekommt!!" "Oder ob auch mehrmals am Tag", schnurrte der Blonde genüsslich. Flüchtig drehte sich der Brünette zu ihm um, bevor er sich an Rick richtete, der nun aufsprang. "Man, er hatte gestern drei Kunden in einem Zeitraum von sechs Stunden! Außerdem..." "Außerdem was?!", brüllte Rick. "Außerdem...", murmelte der Brünette erneut, wobei sich sein Gesicht allmählich triumphierend entspannte, "... außerdem wartet dort unten jemand auf den ersten Freier." "Länger als eine Stunde wird er nicht mehr warten müssen." Der Blonde warf einen knappen Blick zu seiner Armbanduhr und nahm einen langen Zug. "Aber zwei sind besser als einer!", schrie Rick, während Lee sich hinter ihm mit viel Anstrengungen auf die Knie kämpfte und zusammengesunken kauern blieb. "Und zwanzig sind besser als zehn!" Der Brünette verdrehte genervt die Augen. "Was soll das schon wieder heißen?!" "Hey...", meldete sich plötzlich eine heisere kraftlose Stimme. Und so leise und gebrochen sie auch war, augenblicklich verstummten die drei und wurden auf Lee aufmerksam. Keuchend kauerte dieser dort, lehnte sich nun etwas nach vorn und ließ etwas Blut von seinem Mund auf den Boden tropfen, bevor er zittrig die Hand hob und sie den Männern entgegenstreckte. "Ihr dümmlichen Idioten glaubt doch nicht wirklich, dass alles nach eurem Kopf laufen wird, oder...?" Lee verschluckte sich am eigenen Atem, hustete erstickt und biss die Zähne zusammen. Die langen schwarzen Strähnen seines Haares hingen wirr hinab. "Der Neue wird nicht nach eurer Pfeife tanzen, denn im Gegensatz zu euch", matt sank die Hand hinab, die Fingernägel schabten sich durch das Holz, "ist er... keine erbärmliche Memme, die nur einen Arsch in der Hose hat, wenn sie eine Pistole hält!" Die Mienen des Brünetten und des Blonden verzogen sich nur säuerlich, Rick jedoch, schrie laut auf, griff nach hinten unter den Gürtel und zog eine Pistole hervor. In einem Satz hatte er den jungen Mann erreicht, spannte den Hahn der Waffe und richtete deren Lauf direkt auf Lee's Kopf. Und endlich blickte dieser auf und fixierte die Waffe mit begierigem Blick. "Ich bringe dich um, verfluchter Scheißkerl!!" Der Blonde verdrehte genervt die Augen. "Schieß!" Den Blick noch immer auf die Pistole gerichtet, neigte sich Lee weiterhin nach vorn, bis seine Stirn den kühlen Lauf der Waffe berührte, er sich geradezu gegen sie lehnte. "Schieß doch, wenn du den Mumm dazu hast, du erbärmlicher Versager!" In seiner Stimme verbarg sich eine verbissene Sehnsucht, als er die Zähne erneut zusammenbiss und sich gegen die Pistole presste. "Was hast du gesagt?!" Rick schnaubte, die Hand, die die Waffe hielt, zitterte vor Wut. "Ich..." "Wie oft willst du eigentlich noch darauf reinfallen", stöhnend blieb der Brünette neben ihm stehen und rieb sich die Stirn. "Irgendwann tust du ihm den Gefallen noch. Ich seh´s kommen." "Der sehnt sich doch danach." Der Blonde ließ die Zigarette fallen und trat sie gemächlich aus. "Und er nutzt deine Blödheit vortrefflich aus", murmelte der Brünette und stemmte die Hände in die Hüften. Die schwarzen Pupillen jagten gehetzt zur Seite, die Stirn presste sich noch stärker gegen den Lauf. "Du hast doch nur Schiss!", fauchte er nach einem schweren Schlucken. "Komm schon, drück ab! Oder traust du dich nicht?!" "Du miese kleine Kröte!!" "Rihiiick", stöhnte der Brünette entnervt. "Bemerkst du es noch?" "Dumm wie Sau", nuschelte der Blonde, drehte sich um und schlenderte durch den Flur davon. "Schieß endlich!!" "Halt´s Maul!" Mit einem derben Tritt stieß der Brünette Lee zur Seite, wo sich dieser keuchend auf den Rücken rollte und zu ihnen aufblickte. Der Lauf der Waffe war ihm gefolgt, wurde nun jedoch von einer Hand umfasst. "Und du auch!" Flink nahm der Brünette die Waffe an sich und trat zurück. "Weißt du, was diese kleine Ratte tun wird, nachdem du geschossen hast, Idiot?! Er wird sich oben einen ablachen und ne Feier veranstalten und singen: "Danke, dass du mich erlöst hast"!" Rick war noch immer rot vor Zorn, als er von Lee zu seinem Kumpel sah und zurück. Er schien kurz zu grübeln, brachte nach einer kurzen Zeit jedoch nur ein gehässiges Grinsen zustande. Lange starrte er auf Lee herab, der seinen Blick mit geweiteten Augen und rasendem Atem erwiderte. "Tse." Rick schüttelte den Kopf, trat an ihn heran und versetzte ihm einen weiteren Tritt in die Seite, worauf Lee gedrungen ächzte und sich zusammenkrümmte. "Entweder du verreckst endlich oder du arbeitest!" Mit diesen Worten besah er sich das Häuflein Elend erneut, drehte sich um und verließ den Raum. Der Brünette war noch stehen geblieben, hielt die Pistole lässig in der Hand und murmelte nach wenigen Sekunden etwas Verworrenes. "Mach, das du runterkommst!", fauchte er, während auch er sich auf den Weg zur Tür machte. "Und schau, ob unser Frischling bereit ist!" Mit diesen Worten verließ er den Raum, nuschelte einen leisen Fluch und verschwand. Beide Arme um den Leib geschlungen, blieb Lee liegen. Reglos verharrte er, bis die Schritte auf der Treppe zu hören waren und anschließend verstummten. Kurz darauf öffnete er zögerlich die Augen, rang nach Sauerstoff und blinzelte matt. Er konnte sich kaum bewegen, in all seinen Gliedern steckten grausame Schmerzen und als er nur den Arm von seinem Bauch löste, begann er heiser zu husten. "Scheißkerl", stieß er keuchend aus, räkelte sich weiter und schob die Hand über die rauen Bodendielen, bis er sie weit von sich streckte. Erneut spuckte er Blut, streckte die Beine von sich und begann stark zu röcheln, als würde sich seine Lunge zuschnüren. Weitere Sekunden verblieb er in dieser Haltung, bis ein kurzes Zucken durch seinen Körper fuhr. >Ich... ich muss kotzen...< Vor Schmerzen stöhnend, kämpfte er sich in eine aufrechte Haltung, benötigte sogar jegliche Anstrengungen, um sich auf den Knien halten zu können, ebenso, um die Arme durchzustrecken, mit denen er sich abstützte. Stockend und schwankend kroch er vorwärts und näherte sich so der Tür, die zum Flur führte. All seine Glieder zitterten, als er sich weiterkämpfte, bald darauf den Flur erreichte und direkt zur gegenüberliegenden Tür weiter kroch. Der Flur war schmal; er erreichte ihn schnell, hob kraftlos die Hand und näherte sich mit ihr der Klinke, die er stöhnend zu sich hinab zog. Benommen lehnte er sich gegen die Tür, drückte diese somit auf und schob sich in das dahinterliegende Bad, direkt zur Toilette, über die er sich kurz darauf beugte. >Verrecken... ja... das wäre toll.< Langsam und vorsichtig setzte Joey die Füße auf den Boden, schob sich zur Bettkante und kam auf die Beine. In der vergangenen Nacht hatte er keinen Schlaf gefunden und sie damit verbracht, den Raum zu erkunden, nach etwaigen Dingen zu suchen, die ihm vielleicht eine Hilfe sein könnten. Bis kurz nach Mitternacht hatte er dies getan, dann hatten ihn jene Schreie betäubt, ihn jeglicher Bewegung unfähig gemacht. Lee musste wieder Schmerzen gehabt haben, es war unmöglich, nach dem Verstummen dieser qualvollen Laute Schlaf zu finden und so hatte sich Joey in Grübeleien vertieft, bis er glaubte, der Morgen sei angebrochen. Langsam hob er die Hände, streckte sie tastend von sich und ging zögerlich zur Seite, auf das Fenster zu. Vor wenigen Minuten hatte er wieder etwas gehört. Aus der ersten Etage, direkt über ihm. Gepolter, Geschrei... >Lee...< Er drehte sich etwas, ertastete das Fenster und trat näher an dieses heran, bis er die Stirn gegen die Fensterläden lehnen konnte. Dort schloss er die Augen und atmete tief ein. >Sicher haben ihn diese Scheißkerle wieder verprügelt!< Die blasse Miene des jungen Mannes verzog sich qualvoll. >Gottverdammt, wenn ich ihm doch in irgendeiner Hinsicht eine Hilfe sein könnte! Er macht ein unbeschreibliches Leiden durch und muss sich hinzukommend noch um mich kümmern! Das ist beschämend!< Er biss die Zähne zusammen, schob die Hand stockend durch den kleinen Spalt der offen stehenden Läden und umfasste einen der warmen Gitterstäbe. >Diese verfluchten Augen!< Zögerlich öffnete er sie und starrte in die Dunkelheit, die ihn umgab. >Die schränkt mich ein in allem was ich kann! Wäre ich nicht blind, könnte ich Lee eine Hilfe sein, mich um ihn kümmern, wenn es ihm nicht gut geht! Doch ich komme nicht einmal aus diesem beschissenen Raum!!< In dieser Sekunde drang lautes Lachen an seine Ohren und er drehte sich um, blickte in Richtung Tür, mit einer Verachtung und einem Hass, wie man es nicht beschreiben konnte. >Wie soll ich mir wegen dieser Vergewaltigung Gedanken machen, wenn es Lee noch schlechter geht?? Das wäre jämmerlich und das ist nicht meine Art!< Kurz starrte er noch zur Tür, dann drehte er sich wieder um und ließ den Kopf sinken, niedergeschlagen seufzend. >Ich bin nicht einmal dazu imstande, zum Bett zurückzufinden, wenn ich mich im Zimmer verlaufe! Wie kotzt mich diese Hilflosigkeit an... nichts tun zu können, aber auch gar nichts. Einfach nur zu warten und dann diese Geräusche in der Nacht zu hören!< Verkrampft klammerte sich die Hand fester um das leicht verrostete Metall. >Ich will zu Lee! Ich will wissen, wie es ihm geht! Ich will ihm helfen!!< Joey biss sich auf die Unterlippe, zerrte verbissen an dem Gitterstab, trat vom Fenster zurück und rammte die Faust gegen die Tapete der Wand. Sein Atem fiel schnell und wütend. >Macht doch mit mir was ihr wollt! Das ist mir scheißegal! Und glaubt bloß nicht, dass ihr mich durch so etwas fertig machen könnt! Ich habe schon Schlimmeres erlebt! Bei weitem Schlimmeres! Liefert mich doch ruhig irgendwelchen Typen aus! Sterben werde ich dadurch nicht!! Ich hasse euch nicht, weil ihr mich in diese Lage gebracht habt! Ich hasse euch für das, was ihr Lee antatet!! Er ist so freundlich und sympathisch... er hat es nicht verdient, so zu enden! Niemand hat das verdient!! Niemand hat es verdient, zu so etwas gezwungen zu werden, hat er auch tausende von Menschen auf dem Gewissen!!< Plötzlich ertönte ein leises Geräusch! Sofort fuhr er herum und starrte zur Tür, die sich nun langsam bewegte, geöffnet wurde, seine Hand tastete unsicher nach hinten, ertastete die Wand. >Lee?!< Mit geweiteten Augen lauschte er und nahm kurz darauf ein leises Schlürfen wahr, als besäße jemand nicht die Kraft, die Füße zu heben. Sofort setzte er einen Schritt nach vorn. "Lee? Bist du das?!" Geduckt und schwankend schob sich der junge Halbamerikaner durch den Spalt der Tür, hielt sich nahe an deren Rahmen und lehnte sich sogleich mit dem Rücken gegen die Wand, als er den Raum betrat. Joey war stehen geblieben, hörte den schweren Atem, das leise Schaben, als eine bleiche Hand nach der Tür griff und diese unter großem Kraftaufwand ins Schloss lehnte. >Natürlich ist er es!< Wieder machte Joey einen Schritt nach vorn. "Beweg dich nicht von der Stelle!" Ließ ihn ein scharfes Keuchen inne halten. Die Stimme des jungen Mannes war nicht mehr als ein heiseres Kratzen, und dennoch wirkte sie recht drohend. Mit blassem Gesicht, glasigen Augen und zusammengesunkener Haltung blieb Lee an die Wand gelehnt, fixierte Joey nahezu abwesend, schläfrig, als könnte er jede Sekunde das Bewusstsein verlieren und zu Boden gehen. "Hey...", zögernd legte Joey den Kopf schief, "... wie geht es dir?" Schwach ließ Lee das Gesicht sinken, schloss die Augen und schöpfte Atem für die nächsten Worte. "In weniger als einer Stunde kommt er...", flüsterte er und Joeys Miene verzog sich irritiert, "ich wollte nur sagen..." "Ich habe dich gefragt, wie es dir geht!", unterbrach Joey ihn. "Was haben die mit dir gemacht?!" "Tse...", ein ausdrucksloses Grinsen zeichnete sich auf den spröden Lippen ab, "ich sollte deine kleinste Sorge sein." "Pech, du bist meine Größte!" Joey näherte sich weiterhin, Lee blickte auf. "Hast du Schmerzen? Warum haben die das getan?!" "Ich sagte, du sollst stehen bleiben!" Ertönte wieder das Fauchen und Joey gehorchte, wenn auch unwillig. "Wir haben keine Zeit, um lange Gespräche zu führen!" "Ich will auch keine langen Gespräche führen", sagte Joey sofort. "Ich will lediglich wissen, wie es dir geht!" Kurz starrte Lee in die braunen Augen, die so besorgt und gleichermaßen erzürnt dreinblickten. Er besah sie sich genau, wendete lahm das Gesicht ab und schabte mit den Zähnen über die gerissene Unterlippe. Unterdessen wartete Joey angespannt auf die Antwort. "Dir steht so etwas bevor", murmelte Lee auf den Boden starrend. "Und plötzlich machst du den Anschein, als interessiert es dich überhaupt nicht. Als wäre es dir egal, ob der Mann sechzig Euro für dich bezahlt... oder siebzig." Joey stockte der Atem und Lee nickte langsam. "Hast du schon einmal darüber nachgedacht, was passieren würde, wenn dich ein reicher Mann besucht, der positiv ist?" Lee blickte nicht auf, lauschte in die Stille, ohne eine Antwort zu erwarten. Nach kurzer Zeit fuhr er fort: "Das wäre der Beginn und gleichermaßen das Ende deiner Karriere als billige Geldquelle... und das Ende deines Lebens." Joey schluckte schwer, ließ den Kopf sinken und fuhr sich gehetzt über das Gesicht. Erneut brach ein niedergedrücktes Schweigen über sie herein. Lee hielt sich aufrecht, obgleich seine Knie zitterten, obwohl in seinem gesamten Körper eine marternde Schwäche steckte. Er fixierte die rauen Holzdielen und auch seine Miene wirkte nun traurig, nahezu verbittert. Matt stützte er sich mit den Händen an der Wand ab, drückte die Beine durch und holte nach wenigen Minuten tief Luft. "Weißt du Joey, jedem Mann, mit dem ich geschlafen habe, habe ich diese Krankheit gewünscht, wie man Menschen die Pest an den Hals wünscht. Während sie sich mit mir vergnügten, war das einzige, das mich vor dem völligen Zerbrechen schützte, der Gedanke, nein, die Hoffnung, dass auch sie bald erkranken und das gleiche durchmachen würden, wie ich." Wieder nickte er matt, schlug die Augen nieder und presste die Lippen aufeinander. "Ich hoffe, dass du Gedanken und Wünsche dieser Art nie in dir spüren wirst. Aber... das wirst du." Langsam drehte er sich zur Seite, die blasse Hand hob sich zur Klinke. "Hast du Angst, Joey?", murmelte er währenddessen. Der Angesprochene richtete sich auf, atmete ein und bewegte stumm die Lippen, nicht dazu fähig, eine Antwort zu geben. "Was auch immer du gerade fühlst." Lee zog die Tür auf. "Setze dich nicht zur Wehr, das ist mein Rat an dich. Vergiss Stolz und den ganzen Unsinn, der führt in diesem Fall nur zu Knochenbrüchen und anderen Verletzungen. Und glaub nicht, dass man etwas unternehmen wird, wenn der Freier auf dich einprügelt. Wenn er für dich bezahlt, dann gehörst du für geraume Zeit ihm." Schleppend schob sich Lee zurück in den Türrahmen, kurz traf sein Blick noch auf Joey. "Und ich bete für dich, dass er nur Sex von dir will." "Wa...", Joey erschauderte, "Lee...? Lee!" Doch die Tür schloss sich bereits und er blieb alleine zurück. Als er das leise Klicken vernahm, ballte er die Hände zu Fäusten, näherte sich der Tür in strauchelnden Schritten. "Lee!", rief er wieder, diesmal noch verunsicherter und zittriger als zuvor. "Was hat das zu bedeuten?! Komm zurück! Bitte!!" Tief in den Stuhl gerutscht, saß Kaiba an dem Tisch, streckte die Beine aus und starrte auf die dritte Tasse Kaffee, die vor ihm stand, kurz davor war, geleert zu werden. Dennoch war er müde... müde und erschöpft. Und das nicht nur körperlich. Ausdruckslos ruhten seine Augen auf dem Smiley, der auf der Tasse zu sehen war und vermutlich lustig sein sollte. Seine Miene blieb unverändert leblos und verbittert. Er hatte sich in einer kleinen Kneipe niedergelassen, der einzigen, die es hier in der Nähe zu geben schien. In der Nähe? Nein, im gesamten Dorf, welches er bisher sicher zweimal durchlaufen hatte. Die linke Hand hatte er in der Hosentasche verstaut, die andere lag flach neben der Tasse auf dem Tisch. Nur selten hob sich der Zeigefinger und pochte in einem langsamen Takt auf das Holz. Nun war es bereits helllichter Tag. Die Uhrzeit? Vielleicht um neun? Vielleicht um zehn? Er wusste es nicht, achtete nicht mehr auf den Zeiger der Kneipenuhr, der sich unablässig im Kreis drehte. Neben ihm waren nur wenige Besucher anwesend. Zwei Typen hockten zusammengesunken an der langen Theke, schienen allmählich im Vollrausch zu versinken. An einem Tisch in einer der hinteren Ecke hatte sich eine lustige Gesellschaft zusammengefunden. Oft drang Gelächter an die Ohren des jungen Mannes. Dieser jedoch, schien diese Laute nicht wahrzunehmen. Jedenfalls regte er sich nicht, wenn sie ertönten. Erst nach einer weiteren halben Stunde, erwachte die Hand zum Leben, legte sich sicher um die Tasse und hob sie träge zum Mund. Er trank, der Kaffee war bereits kalt und so stellte er ihn alsbald auf den Tisch zurück. Auch die Hand, die in der Tasche der lockeren Hose verborgen war, begann sich zu regen. Sie wurde hervor gezogen, zu einer Faust geballt, ebenfalls auf dem Tisch abgelegt. Sie hielt etwas, wurde vorerst jedoch nicht beachtet. Endlich wandte Kaiba den Blick von der Tasse ab, seine Schultern hoben und senkten sich unter einem tiefen Atemzug, als er das Gesicht zur Seite drehte und durch die große Fensterscheibe nach draußen sah. Sonne, Wärme, nur die glücklichen Menschen fehlten, und der Anblick hätte einen perfekten Sarkasmus widergespiegelt. Nur ein altes Ehepaar schlürfte am Fenster vorbei, auch ein junger Bauer, der es sehr eilig zu haben schien. Nur flüchtig folgten die blauen Pupillen ihnen, bevor sie sich wieder auf einen nicht existenten Punkt richteten. Und während auch ein Auto auftauchte, öffnete sich die Hand langsam. Zum Vorschein kam ein zerknüllter Zettel. Nur zögerlich betrachtete Kaiba ihn sich. Die Telefonnummer... Die Nummer jenen Mannes, den er getroffen, der ihm Hilfe angeboten hatte. Immer und jederzeit... Lange starrte er ihn an, lange benötigte er, um verworrene Gedanken halbwegs zu ordnen und sich unsicher einem Entschluss zu nähern. Rick Schäfer also... Abwesend zwinkerte er, presste die Lippen aufeinander und schloss die Augen. Und gleichzeitig presste er die Hand wieder zu einer Faust, schloss den Zettel in ihr ein. Erneut brachen die Gäste in lautes Lachen aus und spätestens jetzt verzerrte sich die Miene Kaibas gequält, zugleich wütend. Vollends zum Leben erwachend, schnippte er einen Schein auf den Tisch und erhob sich. Unterdessen zog er bereits sein Handy hervor, begann den Zettel zu entfitzen und verließ mit verbissener Miene die Kneipe. "Hey, Lee!" Als der Schwarzhaarige in langsamen Schritten die Küche durchqueren, und zur Treppe wollte, wurde er von dem Blonden gerufen. Zusammen mit dem Brünetten namens Tom, saß dieser gemütlich am Tisch und ließ sich einmal mehr ein kühles Bier schmecken. Den Blick auf den Boden fixiert, die Arme fröstelnd vor dem Bauch verschränkt, hielt der Halbamerikaner inne und der Brünette lachte leise. "So wie es sich anhörte, hast du ihm etwas Schönes erzählt, hm?" Lee antwortete nicht, schwankte unauffällig von einer Seite zur anderen. "In wenigen Minuten dürfte es so weit sein." Der Brünette nahm einen langen Schluck, bevor er der Uhr einen flüchtigen Blick schickte. "Was zur Hölle hast du die ganze Zeit bei ihm gemacht?!" "Keine Einweisung dauert ne dreiviertel Stunde", murmelte der Blonde misstrauisch. Nein, so lange hatte er nicht gebraucht, bestenfalls waren es 5 Minuten gewesen. Den Rest der Zeit hatte er damit verbracht, reglos vor der Tür zu hocken. Dort zu kauern und eigenen Gedanken nachzugehen, zu grübeln, ohne jemanden auf sich aufmerksam zu machen. Die beiden Männer konnten das Gesicht des jungen Mannes nicht erkennen, da es gesenkt, gleichermaßen von den langen Haarsträhnen verdeckt war. Sie starrten kurz in seine Richtung, verloren jedoch augenscheinlich schnell das Interesse an ihm und wandten sich einander zu. "Gehen wir einen Trinken, während sich der Neue amüsiert?" "Klar, was soll schon passieren?" "Tse." Der Blonde grinste herablassend. "Als ob uns dieses Wrack gefährlich werden könnte. Und der Neue wird beschäftigt sein." "Hm." Der Brünette lugte zu Lee. "Mach dich hoch. Wir wollen den Kunden ja nicht mit deinem Anblick abschrecken." Daraufhin folgte leises Gelächter und Lee setzte sich in Bewegung. Mit gesenkten Schultern steuerte er auf die Treppe zu, geriet jedoch mit jedem Schritt mehr ins Schwanken, schlürfte, stolperte... und stürzte. Unsanft kam er auf den kantigen Stufen auf, ächzte leise und räkelte sich benommen, verzweifelt in dem Versuch verstrickt, sich aufzurichten. Vorerst achtete niemand auf ihn, als er nach zwei Minuten jedoch erst eine Stufe hinter sich gebracht hatte, noch immer stöhnte und sich wand, wurden die Männer ungeduldig, vermutlich fühlten sie sich durch die Geräusche in ihrer Unterhaltung gestört. Murrend lehnten sie sich zurück und beobachteten durch das Geländer den zitternden Körper, in dem Schmerzen zu toben schienen. Und nach einem absprechenden Blick, stellten sie stöhnend und fluchend die Flaschen beiseite und erhoben sich. "Müller meinte, es gäbe ne tolle Bar in der Nähe des kleinen Bauernhofes", meinte der Blonde, während er über Lee hinweg stieg und sich bückte, um nach dessen Handgelenken zu greifen. "Dann gehen wir dorthin." Der Brünette packte Lee's Beine. "Und feiern unseren Triumph." "Darauf kannst du dich verlassen!" Lachend hievten sie den schlaffen Körper hoch. Kraftlos ließ sich Lee hängen, als er die Treppe hinauf getragen wurde. "Wir müssen ja nicht lange wegbleiben. Wir trinken unser Bierchen und kommen zurück." Lachend und tratschend erreichten sie die erste Etage, bogen in den schmalen Flur ein und trugen Lee weiter, bis sie dessen Zimmer erreichten. Beiläufig schoben sie die Tür auf, schleppten den reglosen Körper zu dem Bett und warfen diesen lustlos auf die weiche Matratze. Erst dort schien ein Teil des Lebens in den kranken Körper zurückzukehren. Leise ächzend rollte sich Lee auf die Seite, winkelte die Beine an und schlang die Arme um den Bauch. Währenddessen waren die beiden bereits auf dem Weg zurück zum Flur. "Wer weiß?" Hörte Lee den einen sagen. "Wenn es gut läuft und der Neue Geschick zeigt, könnten wir sogar mehr Geld verlangen." Das gewohnte Lachen, die Tür begann sich zu schließen. "Ja, siebzig Euro sind eigentlich zu wenig." Somit ertönte ein dumpfes Geräusch, die Klinke hakte ein und die beiden Männer schlenderten schäkernd zur Küche zurück. Nur der schwere Atem war in dem kleinen Raum zu vernehmen, auch die Schritte verstummten bald und als Lee die Luft anhielt, trat völlige Lautlosigkeit ein. Langsam entspannten sich die verzerrten Gesichtszüge, es schien, als würde jeglicher Schmerz den Körper des Halbchinesen binnen weniger Sekunden verlassen und nach einer kurzen Zeit, hoben sich die Lider und die schwarzen Augen richteten sich ausdruckslos auf das verschlossene Fenster. An eine saubere Hauswand gelehnt, stand Kaiba in einer schmalen Seitengasse, die Beine von sich gestreckt, den Hinterkopf gegen das raue Gestein gelehnt, hielt er die Augen geschlossen. Soeben hatte er die Kneipe verlassen, fest in einem Entschluss verstrickt, fühlte er sich nun doch wieder verunsichert. Verunsichert durch die Gefahren, die auf ihn zukommen würden, wenn er diese letzte Möglichkeit wählte, das Risiko, welches viel zu hoch zu sein schien. Jedoch hielt sich die Verunsicherung in Grenzen. Er verdrängte die stärksten Zweifel, indem er sinnlose Hoffnung aus dem Nichts heraufbeschwor und sich somit selbst belog. Langsam öffnete er die Augen, blickte zum Himmel auf und schluckte schwer. In der linken Hand hielt das Handy, in der Rechten jenen Zettel, der die Rettung, ebenso gut jedoch auch das völlige Versagen mit sich bringen konnte. Den völligen Absturz in die Finsternis, in der keine Hoffnung die Kraft zum Leben fand. Friedlich zogen die Wolken über ihn hinweg, beruhigend schimmerte das Blau durch die wenigen Spalten. All dies wirkte verräterisch in diesen Sekunden, heimtückisch und verleumdend. Alles andere als friedlich und beruhigend. Langsam öffnete er den Mund, atmete tief ein und stieß sich von der Wand ab, so dass er wieder aufrecht stand. Und gleichzeitig hob er beide Hände, wendete das Handy und klappte den Zettel auf. Ohne sich auch nur noch einem zweifelnden Gedanken auszusetzen, begann er die Nummer zu tippen, atmete erneut tief durch und hob das Handy zum Ohr. Das Rufsignal ertönte schnell, zu schnell, als dass es nun einen Rückzug geben könnte. Verkrampft umklammerte Kaiba das Handy, biss sich auf die Unterlippe und ließ den Zettel sinken. Viermal klingelte es, fünfmal... "Ja?" Die Stimme, die sich meldete, riss ihn vollständig in die Realität zurück. Er blinzelte, presste die Lippen aufeinander und sah sich flüchtig um. "Sind Sie der Mann, der mir seine Hilfe angeboten hat?", antwortete er nach einem knappen Zögern, worauf eine kurze Stille in der Leitung ausbrach, als müsse jemand erst seine Gedanken ordnen. "Ähm... ja... Sie?" Merkwürdig überrascht und gleichzeitig erfreut hörten sich die Worte des älteren Mannes an. Im Hintergrund ertönte das leise Brummen eines Motors. "Sagen Sie bloß, Sie haben Ihren Freund immer noch nicht gefunden?" Kaiba schüttelte den Kopf. "Nein." "Das tut mir leid." Wurde sogleich geantwortet. "Und Sie wollen meine Hilfe nun doch annehmen?" Kaiba stemmte die Hand in die Hüfte, bearbeitete die Unterlippe erneut mit den Zähnen. "Ja." Ohne auf die auffällige Gezwungenheit des jungen Mannes zu achten, lachte der Ältere in der Leitung. "Das Angebot steht natürlich noch. Was halten Sie davon, wenn wir uns heute Abend treffen?" "Mm..." Kaiba nickte. "Meine Freunde und ich holen Sie ab und dann können wir sofort mit der Suche beginnen. Wissen Sie, wir kennen so einige Verstecke, wo sich Ihr Freund herumtreiben könnte. Wir finden ihn, das verspreche ich." "Mm..." Finster starrte Kaiba auf den Boden. "Wann?" "Ach, sagen wir, um achtzehn Uhr?" "Wo?", hauchte Kaiba leise. "Befinden Sie sich immer noch in der Nähe, wo wir uns getroffen haben?" "Ja." "Gut, dann müssten Sie doch sicher den kleinen Park kennen? Er ist wirklich klein, fällt jedoch auf, da er der einzige in diesem Dorf ist." "Ich finde ihn schon." "Gut, wir treffen uns am Ufer des kleinen Sees, der sich in der Mitte des Parks befindet. Ist das für Sie in Ordnung?" "Klar..." "Machen Sie sich keine Sorgen. Niemand kennt sich in diesem Dorf besser aus als wir." Nun ertönte in der Leitung das leise Knacken von Kies, kurz darauf verstummte das Geräusch des Motors. "Haben Sie denn gar keine andere Hilfe gefunden? Wie viele beteiligen sich noch an der Suche?" "Niemand", sagte Kaiba nach kurzem Bedenken. "In Ordnung." Es hörte sich an, als würde eine Autotür geöffnet. "Und Sie sind ganz sicher, dass Sie den Treffpunkt finden? Sie können einen anderen bestimmen, wenn Sie möchten." "Nein, der Park ist gut." "Okay, also dann versuchen Sie sich noch etwas zu entspannen und Ruhe zu finden. Spätestens morgen sehen Sie Ihren Freund wieder." "Klar." Kaiba schielte zur Seite, wo eine alte Frau mit einem zotteligen Hund an der schmalen Straße vorbeischlürfte. "Tschüß." "Auf Wiedersehen." Somit ließ Kaiba das Handy sinken, schloss die Augen und atmete leise aus. >Ja... auf Wiedersehen...< Lahm schob sich Joey auf das Bett zurück, tastete nebenbei nach der Decke und zog sie über die Schultern, als er sich zusammengesunken hinkauerte, etwas nach vorn lehnte und die Augen schloss. Seit geraumer Zeit hörte er die beiden wieder lachen, laut und zufrieden, als ob es an dieser Welt nichts gäbe, dass sie störte. Flaschen klirrten, Stühle wurden gerückt und er wartete. Wartete auf einen Mann, einen Unbekannten.. Krampfhaft vergruben sich die Finger in dem weichen Stoff, die Augenbrauen verzogen sich leidend. Bevor Lee zu ihm gekommen war, hatte er jene Angst bei weitem nicht so deutlich gespürt wie jetzt. Die Sorgen um diesen hatten ihn angelenkt und er wünschte, er könnte sich auch jetzt noch einzig und allein auf sie konzentrieren, wenn auch nur, um sich abzulenken, sich selbst eine wuchtige Lüge aufzubrummen und die Angst vor sich her zuschieben. Nun jedoch, brach sie über ihn herein und auch wenn er nur annähernd an das dachte, was ihn in geraumer Zeit erwartete, spürte er eiskalte Schauer, die durch seinen Körper jagten, als wollten sie ihm die Sache zusehends erschweren. Stockend schnappte er nach Luft, zog die Decke höher und verbarg den Kopf unter ihr. Wüsste er doch wenigstens, wie viel Zeit ihm noch blieb! Jegliches Gefühl, um es selbst einzuschätzen, hatte er verloren. Es wirkte wie eine Ewigkeit, seitdem Lee fort war und Joey wünschte, er würde noch ein einziges Mal zu ihm kommen, nur mit ihm reden, wenn auch nur mit Worten, die keine Hoffnung mit sich brachten. Worte... durch die er dennoch nicht allein wäre! Er fühlte sich wie ein Vereinsamter, ein Mensch, der von allen aufgegeben worden war und stillschweigend und hilflos auf den Scharfrichter wartete, der all das, was geblieben war, zerstören würde. Der alles zunichte machte, was er sich aufgebaut hatte. Die Liebe zu Kaiba! Die Treue zu diesem! Der alles zunichte machte, was er sich erkämpft hatte. Den starken Willen, der jegliche Angst verdrängte! Wo war er?! Zögerlich hob Joey den Kopf und zog die Decke ein Stück zurück, als würde er dadurch etwas anderes sehen, als Dunkelheit. Angespannt richteten sich seine Augen auf die Tür. Sie könnte sich öffnen... jederzeit. Er befasste sich mit diesem Gedanken und gerade als er sich in ihn vertiefte, hörte er, wie sich die Eingangstür im Flur öffnete. Wie die Ketten rasselten und sich der Schlüssel drehte. Ein schmerzhaftes Zucken durchfuhr seinen Leib und er verharrte reglos, wie zu Eis erstarrt, kaum dazu fähig, zu atmen. Hastig schloss Rick die Tür des unauffälligen Hauses auf, verstaute das Handy in der Tasche seiner Jacke und eilte zur Küche, wo die beiden anderen fläzten und sich gut gelaunt unterhielten. Und ihre Stimmung sollte sich weiterhin heben, bei dem, was der Schwarzhaarige zu berichten hatte. "Ratet mal, wer mich gerade angerufen, und erneut um meine Hilfe gebeten hat!", rief er aufgeregt, eilte zum Tisch und nahm Tom das Bier aus der Hand, um sich selbst einen erfrischenden Schluck zu gönnen. Tom verzog die Augenbrauen. "Was redest du da." "Meinst du das ernst?" Der Blonde nahm die Füße von dem Tisch und richtete sich im Stuhl auf, seinen Kumpanen ungläubig anstarrend. "Der Typ hat sich wieder gemeldet??" "Ja!" Triumphierend fuchtelte Rick mit der Flasche. "Ist nicht dein Ernst!" Nun verstand es auch der Brünette. "Doch!" "Neeeein!" "Doch!!" Der Schwarzhaarige brach in lautes Gelächter aus. "Wir treffen uns achtzehn Uhr am See im Park! Das heißt, er könnte morgen schon hier anfangen!" "Verdammt, dann dürfen wir es nicht vermasseln!" "Tun wir schon nicht." Der Schwarzhaarige schien sich seiner Sache sicher zu sein, verdrehte die Augen und leerte die Flasche in großen Zügen. "Er hörte sich ziemlich erschöpft an, hat sicher die Nächte durchgemacht, der Idiot." "Schlecht für ihn", schnurrte Tom. "Gut für uns." "Warum können wir uns nicht schon eher mit ihm treffen?" Der Blonde suchte nach einer neuen Flasche. "Wir könnten es hinter uns bringen und wenn wir den hübschen Typen, so wie du sagst..." "Oh ja." "... hier bei uns haben. Dann kannst du dem Wrack endlich die verdiente Kugel in den Kopf jagen und ihn im Wald verscharren." Rick hielt inne, blickte sich flüchtig um. "Klar", gab der Brünette seine Zustimmung. "Mit zwei Frischlingen brauchen wir das Häufchen Elend nicht mehr. Der wäre uns eh nur ein Klotz am Bein." Ein begieriges Grinsen zerrte an dem Mundwinkel des Schwarzhaarigen, als er die Flasche auf den Tisch zurückstellte. "Danach sehne ich mich seit einem Jahr", hauchte er und begann sie auf dem Holz der Tischplatte zu drehen. Die Beiden schlossen sich seinem Grinsen kurz an, kamen dann jedoch auf ein anderes Thema zu sprechen. "Vorbereitungen können wir später treffen. Wir dachten, wir gehen schnell einen trinken, während unser Frischling beschäftigt ist." Damit jedoch, schien Rick weniger zufrieden zu sein. Ein misstrauischer Blick zur Treppe verriet dies. "Um den musst du dir keine Sorgen machen. Der ist gerade zusammengeklappt und döst sich aus." "Vor heute Abend kommt der nicht mehr zu sich." "Ach." "Klar." Der Brünette winkte lässig ab. "Der ist fertig. Lass ihm noch ein bisschen Ruhe, bevor er ins Gras beißt." Plötzlich ertönte ein leises Klopfen und augenblicklich verstummten sie. Langsam ließ der Blonde das Bier sinken, während sich Rick umdrehte und einen Blick zur Tür warf. Kurz beobachtete er sie, wandte sich den Beiden zu und präsentierte ein herrliches Grinsen. "Pünktlich wie eh und je." Hauchte er leise, rieb sich das Kinn und ging, um die Tür zu öffnen. Die anderen blieben sitzen, tranken einen letzten Schluck und verständigten sich durch wenige aussagekräftigen Blicke. Gemächlich drückte Rick die Klinke hinab, öffnete die Tür und trat zur Seite, damit ein Mann eintreten konnte. Dieser war groß gebaut, muskelbestückt und scheinbar nicht der Schwächste. Gekleidet war er in einen schwarzen dünnen Mantel, den er sich von den Schultern streifte und bei Seite legte, als sähe er dieses Gebäude als zweites zu Hause an. Er war schon oft hier gewesen. Mit kleinen, jedoch bissigen und entschlossenen Augen sah er sich um, begrüßte die beiden in der Küche mit einem Nicken und wartete, bis Rick die Tür hinter ihm geschlossen hatte und neben ihm erschien. Er schüttelte ihm die Hand, wandte sich kurz darauf jedoch erneut ab, als suche er nach etwas, als sei er ungeduldig. "Wie geht es Ihnen, Schmidt?" Rick stemmte die Hände in die Hüften und grinste noch immer, der Mann antwortete mit einem verworrenen Murmeln. "Lange her, seit dieser Laden ein ordentliches Angebot hatte", meinte er mit einer rauchigen Stimme und strich sich über das kurze Haar. "Lassen Sie sich überraschen", erwiderte der Blonde nur. "Bald wird das Angebot weiterhin wachsen." "Ach?" "Wollen Sie nen Bier?" "Nein, nein." Schmidt schüttelte den Kopf, biss sich auf die Unterlippe und betrachtete sich flüchtig die Treppe, die zur ersten Etage hinaufführte. "Ich habe es eilig, ihn kennen zu lernen... euren Frischling." "Das kann ich verstehen." Tom kippelte mit dem Stuhl. Schmidt wischte sich die scheinbar feuchten Hände an dem weißen ordentlich geknöpften Hemd ab, nach wenigen Sekunden jedoch, zeichnete sich ein leises Misstrauen auf seiner Miene ab und er wandte sich an den Schwarzhaarigen. "Und... das ist wirklich das erste Mal für ihn?" Fragte er argwöhnisch. Rick lächelte beschwichtigend. "Das versichere ich, Schmidt. Sie werden es spätestens bemerken, wenn Sie ihm gegenüberstehen. Umso mehr Freude dürfte es Ihnen machen, ihn zu zähmen. Sie bevorzugen doch einen rauen Umgang?" Ein schäbiges Grinsen genügte als Antwort. "Schonen Sie ihn nicht, toben Sie sich ruhig richtig aus." "Wo ist er?" Fiel Schmidt dem Brünetten beinahe ins Wort und schob die rechte Hand währenddessen in eine der Hosentaschen. "Im hinteren rechten Zimmer." Erklärte Rick hilfsbereit und trat näher, um die Scheine entgegen zunehmen, die Schmidt ihm reichte. "Wir werden kurz das Haus verlassen. Aber keine Sorge. Mit dem Blinden werden Sie spielend fertig und Lee mimt mal wieder den Halbtoten." "Sorgen? Weshalb zur Hölle sollte ich mir Sorgen machen!" Schmidt rieb sich die Hände und ging los, ohne zurückzuschauen. In sicheren Schritten betrat er den schmalen Flur und steuerte auf das besagte Zimmer zu. Rick und seine Kumpanen sahen ihm triumphierend nach. Mit offenen Augen lag Lee auf dem Bett. Noch immer verharrte er in der zusammengekrümmten Haltung, weder unter Dämmernis noch Schmerzen leidend. Nein, es ging ihm halbwegs gut und seit er hier lag, verfolgte er Gedanken, grübelte und sinnierte, ohne sich zu bewegen. Den Blick noch immer auf das Fenster gerichtet, atmete er ruhig und gleichmäßig. Die Schmerzen der Tritte hatten nachgelassen, nur die Schwäche gewann an Stärke, was kein geringeres Problem darstellte. Ja, sein Körper erlahmte von Tag zu Tag mehr, nicht lange würde es noch dauern, bis er sich kaum noch regen könnte. Nicht lange, bis zum erlösenden Ende... Die rauen Lippen begannen sich zu bewegen, wurden von der Zunge befeuchtet, während in die Augen noch kein Leben zurückkehrte. Nichts an seiner Miene verriet, worüber er sich Gedanken gemacht, beziehungsweise, ob und welchen Entschluss er gefasst hatte. Er ließ nicht nach außen dringen, was in ihm vorging, blieb weiterhin liegen und erweckte bald den Anschein, auf irgendetwas zu warten. Unten hatte sich die Tür gerade zum zweiten Mal geöffnet, er nahm Stimmen wahr, zu leise, als dass er die einzelnen Worte verstehen könnte. Schmidt... seine Stimme hatte er erkannt, seine Stimme war es, die ihm nie aus dem Gedächtnis gehen würde, so sehr er sich auch bemühte. Ein Mann, der ihn oft grün und blau geschlagen hatte, als er sich, durch die Schwäche bedingt, nicht nach seinen Wünschen richten konnte. Ein Mann, der seine Brutalität gern zum Ausdruck brachte, ebenso den Wunsch, dass jeder zu spuren hatte. Er würde schon dafür sorgen, dass Joey diesen Tag nie vergaß. Erneut leckte sich Lee über die Lippen, löste die Arme von dem Bauch und blinzelte. Nun verstummten die Laute, unten trat Stille ein... Konzentriert schweiften die schwarzen Pupillen durch den trostlosen Raum. Schmidt musste nun bereits bei Joey sein und nachdem die Stille knapp eine Minute angehalten hatte, schien unten in der Küche endlich das Leben zurückzukehren. Stühle quietschen, leises Lachen und Schritte, die sich alle in eine Richtung bewegten. Lee regte sich nicht. Stimmen... sie waren es nicht, worauf er wartete. Stockend strich sich der junge Mann eine lange Strähne aus dem Gesicht, die weißen Zähne umschlossen angespannt die Unterlippe, schabten auf ihr. Dann... Es raschelte ein Schlüsselbund, ebenso wie die Vorhängeschlösser klimperten. Eine kurze Pause, dann erneut. Die Eingangstür wurde geschlossen und verriegelt. >Ich bin also keine Gefahr für euch?!< Und mit einem Mal erwachte Lee zum Leben. Hastig rollte er sich zur Seite, rollte sich zur Kante des Bettes und schob die Hand über sie hinweg, hinab zu den Balken, die die Matratze hielten. Gezielt näherte er sich einer von ihr, schob die Hand unter sie und zog ein Handy hervor. Ein Handy, welches Rick vor einem Jahr unerklärlich abhanden gekommen, und bereits in Vergessenheit geraten war. Sobald er es sicher gefasst hatte, schob er sich aus dem Bett, kam auf die Beine und eilte zum Fenster. Noch währenddessen begann sein Daumen eine schnelle Nummer auf den Tasten zu wählen und als er das Handy zum Ohr hob, lugte er bereits durch einen kleinen Spalt zwischen zwei Brettern, durch den er hinausschauen konnte. Er erspähte die drei Männer, die sich dem Landrover näherten, ihn lachend erreichten und die Türen öffneten. Es klingelte... gehetzt suchten die schwarzen Pupillen die Gegend ab und richteten sich noch einmal prüfend auf den Wagen, dessen Motor nun gestartet wurde. Endlich verriet ein leises Klicken, das dass Telefonat entgegen genommen wurde. "In zehn Minuten", keuchte Lee nur, legte auf und warf das Handy beiläufig auf das Bett. Beinahe rennend erreichte er die Tür, riss sie auf und eilte in den Flur hinaus. Kurz meinte er, Gepolter aus dem Erdgeschoss zu hören, konnte dem jedoch nicht Beachtung schenken und erreichte schnell die hinterste Tür des Flurs. Fahrig grabschte er nach dem kleinen Knauf, drehte ihn und öffnete die Tür, hinter der sich eine kleine zugestellte Rumpelkammer befand. Zielstrebig ließ er sich auf die Knie fallen, schob den Arm durch alte Decken und kämpfte sich auch durch andere Gegenstände, bis er das ertastete, wonach er suchte. Er griff zu, wand sich kurz in der Haltung und zog den Arm zurück. Die Decken rutschten zur Seite, die Gegenstände fielen um und lautes Gerumpel ertönte, bis Lee einen Baseballschläger ins Freie zog, sich mit ihm erhob und die Tür hektisch in ihr Schloss zurückdrückte. Erneut ertönten von unten Geräusche, trieben ihn nur noch mehr zur Eile an. Den Schläger entschlossen umfassend, wandte er sich ab und hastete auf die Treppe zu... jedoch ohne sie zu benutzen, sondern nur an ihr vorbeizuziehen. So betrat er den Flur der anderen Seite, erreichte eine weitere Tür und riss auch diese auf, um im dahinterliegenden Raum zu verschwinden. Hastig betrat er ein weiteres Bad, steuerte auf das Waschbecken zu und ging vor diesem erneut auf die Knie, um einen kleinen Schrank vorzuziehen. Den Baseballschläger warf er zur Seite, packte die Kanten des Schränkchens mit beiden Händen und löste es mit einem Ruck von der Wand. Nur ein bisschen, dann beugte er sich nach vorn, schob die Hand in den kleinen Spalt und tastete dort. Er tastete hastig und gehetzt, wurde scheinbar schnell fündig und ließ einen Schlüssel in der Hosentasche verschwinden, bevor er den Schrank an die Wand zurückrammte, nach dem Schläger grabschte und so auf die Beine kam. Erneut trat er in den Flur hinaus, erneut näherte er sich der Treppe... Diesmal jedoch, legte sich die blasse Hand auf das Geländer und er sprang sie hinab. Nach dem zweiten Satz entrann ihm ein angestrengtes Keuchen, nach dem Dritten schien er kurz das Gleichgewicht zu verlieren und es dennoch schnell wieder zu finden. Verbissen rappelte er sich auf, tastete sich an dem massiven Holz hinab und erreichte so endlich das Erdgeschoss. Kein Gepolter drang in diesen Sekunden an seine Ohren, nur andere Geräusche... Geräusche, die ihn befürchten ließen, zu langsam gewesen zu sein... Der Mann schien sein Opfer schnell überwältigt zu haben. Die bleiche Miene des Halbchinesen zuckte verbittert, die Hand klammerte sich mit verzweifelter Kraft um den Schläger und in unsicheren, jedoch schnellen Schritten näherte er sich jener Tür, durch die nun ein leiser Schrei nach außen drang. Gehetzt schnappte Lee nach Luft, erreichte die Tür und schlug die Hand um die Klinke, um sie mit einer schnellen Bewegung aufzureißen. Ohne auch nur die geringste Pause einzulegen, hastete er in den Raum, stolperte weiter und stürzte auf das Bett zu. Und mit einer Stärke, die dem gebrechlichen Körper nicht zuzutrauen war, holte er mit dem Schläger aus und ließ ihn mit aller Kraft auf den breiten Nacken des Mannes niedergehen, der sich auf einem hilflos windenden Körper räkelte. Er schlug nur einmal zu und noch während Schmidt einen lauten entsetzten Schrei ausstieß, löste Lee eine Hand von dem Schläger, schlug diese in die Schulter des Mannes und zerrte ihn von Joey. Er riss ihn von dem Bett, stieß ihn zu Boden und umfasste den Schläger erneut beidhändig, um wieder zuzuschlagen. Und mit einem tief verwurzelten Hass und unbeschreiblicher Wut tat er es weitere Male, bis Blut an dem blanken Holz des Schlägers haftete und sich der nackte Mann nicht mehr regte. Keuchend blickte Lee auf ihn herab, rang nach Sauerstoff und schwankte kurz, bevor er den Schläger zur Seite warf, sich taumelnd umdrehte und auf den jungen Mann zustolperte, der mit rasendem Atem und gelähmten Gliedern dort lag und mit von Panik erfüllten Augen vor sich hinstarrte. Lee konnte ihm keine Zeit lassen, beugte sich zu ihm hinab und fasste ihn grob am Handgelenk, um ihn in eine aufrechte Haltung zu ziehen. Währenddessen langte er mit der anderen Hand aus, erreichte den Tisch und befreite diesen von der Decke. Auffällig zitternd und bis in den letzten Muskel verkrampft, blieb Joey aufrecht sitzen und bekam schnell die Decke über die Schultern gezogen. Nur kurz verknotete Lee diese, verdeckte seine Blöße und griff ihn erneut am Handgelenk, um ihn auf die Beine zu ziehen. Es gelang ihm wirklich, doch sobald der junge Mann halbwegs aufrecht stand, ließen die Beine nach und er ging wie betäubt zu Boden. Lee stolperte zurück, rang nach Sauerstoff und hatte dennoch keine Gelegenheit, eigene Kräfte zu sammeln. "Verdammt, steh auf!!" Hektisch bückte er sich zu Joey hinab, hielt dessen Handgelenk noch immer sicher umfasst und umschlang mit dem anderen Arm den Leib des Blonden. Schon bei der kleinsten Bewegung spürte er, wie dieser bebte und zitterte, umfasste ihn sicherer und hievte Joey mit großer Anstrengung auf die Beine, wo sich dieser aus eigener Kraft nicht halten konnte. Verbissen raffte er ihn höher und presste ihn gegen den eigenen Körper, der selbst nicht viel stärker war. Das einzige, was Lee stärkte, war die Verzweiflung, gleichermaßen die Angst. Wie sonst hätte es ihm gelingen sollen, Joey regelrecht aus dem Raum zu schleifen, da dieser nicht einmal zu Schritten imstande war. Doch schon als Lee den jungen Mann durch den Flur schleppte, spürte er jene marternde Schwäche in den Armen und Knien. Eine Schwäche, die er in diesen Sekunden am wenigstens gebrauchen konnte!! Verkrampft biss er die Zähne zusammen, erreichte schnaufend die Küche und rammte sich dort gegen eine kleine unauffällige Tür, die daraufhin sofort aufsprang. Hinter ihr lag eine schmale steinerne Treppe, die direkt in den Keller hinabführte. Stolpernd und schleppend betrat Lee diese, hievte Joey höher und krallte ihn an sich. "Joey!" Keuchte er erschöpft, als er sich unsicher hinabtastete und allmählich in die Dunkelheit des Kellers eintauchte. "Verdammt!!" Am Klang erkannte er bald, dass er die Treppe hinter sich hatte, wandte sich schwerfällig nach links und quälte sich weiter. Und nach wenigen Schritten spürte er, wie sich Joeys Körper stockend zu bewegen begann, das leise Keuchen an Lautstärke gewann und von einem erstickten Husten unterbrochen wurde. Doch in diesen Sekunden erspähte Lee bereits einen winzigen hellen Punkt, der sich jedoch nur langsam näherte. Erneut hievte er Joey höher, musste jedoch einen Arm von dessen Leib lösen, um eine Hand in die Hosentasche zu schieben, dort nach jenem Schlüssel zu tasten. Er hatte eine alte versteckte Tür erreicht, die mit einem Vorhängeschloss verriegelt war, jedoch kein Hindernis darstellte. Während er hektisch suchte und schnell den Schlüssel zu fassen bekam, drohte Joey durch seinen Arm zu rutschen und erneut zu Boden zu gehen. Gezwungenermaßen ging er leicht in die Knie, zog schnell den Schlüssel hervor und tastete nach dem Schloss. Nebenbei raffte er Joey mit einem kraftlosen Schwung etwas höher und fasste ihn sicherer. Flink fand er das Schloss, fühlte den kleinen Schlitz und versuchte diesen mit dem Schlüssel zu treffen, was nicht einfach war, denn auch seine Hände zitterten. Angespannt verzog er das Gesicht, ächzte ein hektisches Gebet und traf das Ziel. Hastig drehte er den Schlüssel, grabschte nach dem Schloss und schmiss es zur Seite, um anschließend die Tür aufzureißen. Warme Sonnenstrahlen strömte ihnen sogleich entgegen, gleißendes Licht... Lee blinzelte unter dieser Helligkeit, umfasste Joey wieder mit beiden Armen und schleppte ihn nach draußen. Endlich schienen dessen Beine etwas Halt auf dem Boden zu finden und es war eine wahrhaftige Erleichterung für Lee, als dieser spürte, wie sich der Blonde etwas abdrückte, sogar Schritte zustande bekam. Nach einem nervösen Blick nach allen Seiten, eilte Lee weiter, entfernte sich vom hinteren Teil des Hauses und schleppte sich zu einer Wiese, die das Haus von dem Wald trennte. Der Wald, der ihre Rettung darstellte. Doch sobald seine nackten Füße die grünen Halme berührten, ließen die Knie des Halbamerikaners nach und gemeinsam mit Joey ging er zu Boden. Ein lautes Ächzen war von dem Blonden zu hören, als dieser in dem Gras landete und sich dort benommen räkelte. Auch Lee blieb kurz liegen, kämpfte um Sauerstoff und krallte beide Hände in das Gras. "Verflucht..." Stieß er heiser aus und hob etwas den Kopf, um zu Joey blicken zu können, dessen Gesicht in dem Licht des Tages noch viel bleicher wirkte. Erschöpft zwinkerte er, biss die Zähne zusammen und rappelte sich schwerfällig auf. Sie mussten in den Wald! Hier auf dieser Wiese waren sie den Augen Anderer schutzlos ausgeliefert! Röchelnd griff Lee erneut nach Joeys Handgelenk, erhob sich wankend und zog ihn mit sich. Und der Blonde kam auf die Beine! Auch wenn er abwesend und noch immer benommen wirkte, er schaffte es aufzustehen und wurde ohne zu zögern weiter gezogen. Strauchelnd und stolpernd quälte er sich über die Wiese, taumelte und drohte oft zu stürzen, wozu ihm jedoch keine Zeit blieb, denn Lee rannte so schnell, wie die Beine es zuließen. Allmählich überquerten sie die Wiese und näherten sich dem rettenden Wald, den eng beieinander stehenden Bäumen. Immer weiter entfernten sie sich von dem Haus, bis Joey von den letzten Kräften verlassen, erneut zusammenbrach und Lee mit sich zog. Wieder gingen beide zu Boden, doch diesmal erhob sich Lee sofort, richtete sich auf den Knien auf und packte den Blonden grob an den Schultern. "Joey!!" Entkräftet hob dieser den Kopf, rang nach Luft und drohte zur Seite zu kippen, doch Lee hielt ihn. "Verdammt Joey, wenn du etwas für mich tun willst", Lees Stimme zitterte vor Verzweiflung, die Finger krallten sich schmerzhaft in die Haut des Blonden, "dann steh auf!! Wenn sie uns jetzt erwischen, dann war all das umsonst und du wirst den Rest des Lebens hier verbringen!!" Hektisch sah er sich um, bevor er grob an Joey rüttelte. "Dann wirst du so enden wie ich und das will ich nicht!! Also steh sofort auf, verflucht noch mal!!" Erneut kämpfte er sich auf die Beine und zerrte Joey mit sich. Auch dieser schaffte es mit großer Anstrengung, wurde wieder am Handgelenk gefasst und weiter gezogen. Und nach weiteren Schritten spürten sie endlich den rauen Waldboden unter sich. Es schien, als würde Joeys Benommenheit allmählich nachlassen, er hielt sich besser auf den Beinen und als Lee dies bemerkte, ließ er sich nicht auf eine Pause ein. Gehetzt erklommen sie einen Hügel, eilten weiter und stiegen diesen auf der anderen Seite hinab, so dass sie tiefer in dem dichten Wald verschwanden. Erst als sie die Schräge hinter sich gelassen hatten und halbwegs ebenen Boden erreichten, ließ Lee Joeys Handgelenk los, schwankte noch wenige Schritte nach vorn und brach zusammen. Kraftlos ließ er sich nach vorn fallen und landete weich im Moos des Waldes, wo er reglos liegen blieb und röchelnd die Augen schloss. Auch Joey war gestürzt und hockte zusammengesunken auf dem weichen Untergrund. Die Augen geweitet ins Leere gerichtet, die Arme langsam und zitternd um den Leib schlingend. Nur kurz verharrte er so, bevor er sich nach vorn beugte und sich übergab. Eine Weile blieb Lee so liegen, sein eigenes Keuchen übertönte beinahe das gedrungene Ächzen und die würgenden Geräusche, welche hinter ihm ertönten. Das Atmen fiel ihm schwer und so konzentrierte er sich darauf, sich bestmöglich zu beruhigen. Hier war er sicher, hier war er richtig. Hier würde ihn keiner der Männer finden. Mit offenem Mund sog er den Sauerstoff ein, genoss die frische Waldluft, die er so selten roch. Währenddessen richtete sich Joey taumelnd auf, hustete leise und kippte nach hinten, wo er liegen blieb und sich räkelte. Das friedliche Zwitschern der Vögel umgab sie, die Sonnenstrahlen, die sich durch das grüne Geäst der Bäume schlängelten, spendeten Wärme... Langsam rollte sich Lee auf den Rücken, streckte die Arme von sich und behielt die Augen weiterhin geschlossen. Diese geruhsame Atmosphäre ließ ihn die Sorgen stets für wenige Minuten vergessen. Die Sorgen um die nächsten Tage... Wie würden diese verlaufen? Was würde geschehen? Die Sorgen um die Konsequenzen, die diese Handlung mit sich brachte... Einen Bezahlenden niedergeschlagen, einen Geldeinbringenden in die Freiheit entsandt... an all dies dachte er nicht, während er dort in dem weichen Moos lag, nach wenigen Minuten die Augen aufschlug und Gen Himmel blinzelte. Noch immer vernahm er das qualvolle Ächzen neben sich, das inzwischen von leidendem Stöhnen begleitet wurde. Er senkte die Lider, stützte sich ab und setzte sich auf, um sich zu Joey umzudrehen. Zusammengekrümmt lag dieser dort, mit beiden Armen den Bauch umklammert und die Beine angewinkelt. Ob er auch die Augen geschlossen hielt, konnte Lee nicht erkennen, denn Joey hielt das Gesicht gesenkt, verbarg es zwischen den Armen. Er sah ihn weiterhin an, atmete tief durch und streckte die Hand nach ihm aus. Er erreichte ihn jedoch nicht, denn als er ein flüchtige Bewegungen zwischen den Bäumen ausmachte, fuhr er herum. Der Platz auf dem sie sich befanden, war von allen Seiten von Anhöhen umgeben und auf einer dieser Anhöhen glaubte er, es gesehen zu haben. Mit geweiteten Augen starrte er in die Richtung, wagte es kaum, sich zu bewegen. Doch nun war nichts mehr zu sehen. Angespannt hielt er den Atem an, blinzelte und schluckte. Hinter ihm räkelte sich Joey und er entspannte sich allmählich. Er musste sich geirrt haben. Nein... Plötzlich knackten Äste und auf einer der Anhöhen tauchte ein junger Mann auf, der sich durch das Dickicht kämpfte und sich schnell näherte. Zuerst war Lee wieder erschrocken, doch nun, da er ihn erkannte, seufzte er erleichtert, entspannte sich vollkommen und ließ den Kopf sinken. "Lee!!" Daniel stieß sich an einem Stamm ab, schlitterte eilig die Anhöhe hinab und rannte auf diesen zu. Auch er keuchte, hatte sich vermutlich ebenso beeilt, da man ihm nur zehn Minuten gelassen hatte. Vor Lee warf er sich in das Moos, musterte ihn besorgt und umarmte ihn heftig. "Mensch Junge, alles in Ordnung?!" Lee ließ diese Umarmung gern zu, erwiderte sie sogar, soweit es seine Kräfte erlaubten. "Mm...", hauchte er nur, während er sich an seinen Freund lehnte und die Augen schloss. Auch Daniel hatte die Augen kurz geschlossen, Lee an sich gedrückt und sie nach wenigen Sekunden wieder geöffnet. Und das erste was ihm auffiel, war so der junge Mann, der dort lag. Entsetzt weiteten sich die aschgrauen Augen und mit einer schnellen Bewegung löste er die Umarmung, schob sich zurück und sprang auf die Beine. "Was...", Joey anstarrend, trat er etwas näher, "was zur Hölle... Lee, kannste mir das mal erklären?! Was macht er... ich versteh´s nich... war er... war er die ganze Zeit bei dir?? Ham ihn die Schweinepriester etwa auch..." "Ja." Lee nickte matt. "Ja, aber...", überfordert fuhr sich Daniel durch das Haar, gestikulierte wild mit den Händen und rieb sich die Stirn, während er die entsetzten Augen nicht von Joey lösen konnte, der sich nun langsam zu regen begann, "... ich dachte, man, ich fass es ja nich!! Aber warum...", stockend ließ er die Hände sinken und als er sich zu Lee umdrehte, schien sich das Entsetzen in seinen Augen weiterhin zu verstärken. "Du hast ihn da rausgeholt??" Wieder nickte Lee und Daniel schnappte nach Luft. "Sag mir, dass das nich wahr is." Hauchte er ungläubig. "Will", Lee hob die Hand, "hör mir zu, ich..." "Das is nich wahr!" Wieder ließ sich Daniel vor ihm auf die Knie fallen, schüttelte fassungslos den Kopf. "Biste denn des Wahnsinns?!" "Will!" Wiederholte Lee ausdrücklicher und sofort verstummte dieser. "Halt einfach mal die Klappe und hör mir zu. Ich will, dass du dich um ihn kümmerst." Sofort wollte Daniel ihn unterbrechen, um ihn daran zu hindern, genügte es, dass Lee die Hand hob. Ernst traf der Blick auf den Entsetzten. "Ich konnte das Schlimmste nicht verhindern, also sorg dafür, dass er sich untersuchen lässt, sobald er zu Hause ist." "Lee!" "Ich sagte, du sollst die Klappe halten!" Daniel gehorchte und Lee seufzte erschöpft. "Bring ihn in Sicherheit... bring ihn zu seinem Freund, er sucht bereits nach ihm." Wieder schüttelte Daniel den Kopf, fiel Lee jedoch nicht ins Wort. "Ich übergebe ihn dir hier und verlasse mich auf dich." "Sag ma...", verwirrt verengte Daniel die Augen und lehnte sich etwas nach vorn, "...du bist nich dazu bereit, dich selbst zu retten, aber rettest andre?!" Lee starrte auf das Moos, schien nicht vorzuhaben, sich auf diese gewohnte Diskussion einzulassen. Daniels Gesicht verlor binnen der kürzesten Zeit an Farbe. "So wie Joey aussieht, musste direkt dazwischen gegangen sein... und jetzt... jetzt... mensch, sag mir nicht, dass du dahin zurück willst!!" Lee stöhnte leise und Daniel erhob sich stockend, erneut den Kopf schüttelnd. "Die bringen dich um, verdammt nochma!! Die machen dich fertig und diesmal wirklich!! Das kannst du nicht machen... Lee, das verzeihen die dir nie!" "Hoffentlich." Flüsterte Lee kaum hörbar. "Ich lasse nicht zu, dass du dahin zurückgehst!!" Verzweifelt fuchtelte Daniel mit den Händen, trat von einem Bein auf das andere. "Verdammt, jetzt hast du die Gelegenheit!! Komm mit mir, Lee!! Zurück nach Amerika... wir... wir gehen zu den besten Ärzten und..." Als Daniel ein höhnisches Grinsen auf den Lippen des jungen Mannes sah, verstummte er augenblicklich. "Du warst, bist und bleibst ein Idiot." "Nu geht das schon wieder los!!" Daniel raufte sich die Haare, hockte sich kurz darauf jedoch erneut vor Lee und packte diesen an den Schultern. "Ich bin also ma wieder nen Idiot, nur weil ich nich will, dass die dich killn?!" "Nicht doch, du bist ein Idiot, weil du genau weißt, dass du es nie verstehen wirst und mir trotzdem noch mit dämlichen Fragereien kommst!" Sofort wollte Daniel antworten, letzten Endes jedoch, stieß er nur ein scharfes Keuchen aus, löste die Hände von Lee´s schmalen Schultern und starrte verbittert auf den Boden. Lee musterte ihn flüchtig, besah sich seine Miene und senkte ebenfalls den Blick, die blasse Hand tastete sich matt über das Moos, genoss die Weichheit, die seine Haut spürte. Sie saßen nicht lange so voreinander und schwiegen. "Ich gehe jetzt zurück." Murmelte Lee mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete, Daniel presste die Lippen aufeinander, blickte nicht auf. "Und ich vertraue ihn dir hier und jetzt an, vertraue darauf, dass du dich um ihn kümmerst." Aus den Augenwinkeln heraus, sah Lee seinen Freund an, lange und abschätzend. "Will." Sagte er dann. "Das ist das erste was du seit drei Jahren für mich tun kannst." "Das ist nicht fair." Wieder schüttelte Daniel den Kopf, die Worte waren nicht mehr als ein angewidertes Fauchen. "Du hast Recht, ich verstehe es nicht. Ich verstehe es nicht... überhaupt nicht. Aber du könntest es mir doch wenigstens erkl..." Er verstummte, als sich eine Hand auf seine Schulter legte, richtete sich zögerlich auf und ließ endlich wieder Blickkontakt zu. Nur kurz sahen sie sich an, und dennoch schienen sie so mehr Worte zu wechseln, als wenn sie miteinander sprachen. Bald zeichnete sich auf den bleichen Lippen des Halbchinesen ein mattes, jedoch aufrichtig tröstendes Lächeln ab, der Kopf bewegte sich leicht von einer Seite zur anderen. Wie erstarrt kauerte Daniel dort, starrte seinen Gegenüber mit geweiteten Augen an und erweckte den Anschein, als wolle er schreien. Schreien, so laut er konnte. Bebend bewegten sich seine Lippen, doch ein Zeigefinger, der sich sanft auf sie legte, hinderte sie daran, einen Ton hervorzubringen. Langsam neigte sich Lee nach vorn, legte beide Arme um den Hals seines Freundes und atmete tief durch, als wolle er diese Umarmung in sich verewigen, als wolle er sich ihre Wärme einverleiben, auf das sie ihm stets zur Verfügung stand. Daniel hingegen, war nicht dazu imstande, sich zu bewegen, starr waren seine Augen auf die Rinde eines kräftigen Baumes gerichtet. "Lee...", hauchte er erneut an dem Ohr des Anderen, "...die bringen dich um." Kurz darauf löste dieser die Umarmung, lehnte sich zurück und kam auf die Beine, ohne seinen Freund erneut anzuschauen. Stattdessen lenkte er den Blick auf Joey, der die Decke eng um sich gezogen hatte, schnell und schwer keuchte. Er besah ihn sich, und nachdem ein unauffälliges Lächeln über sein Gesicht geschlichen war, wandte er sich zum Gehen ab. In müden und schlürfenden Schritten entfernte er sich von den Beiden, von denen ihm nur einer nachsah. "Lee..." Daniel schnappte nach Luft, begann sich stockend zu bewegen und kämpfte sich auf die Beine. "Lee!" Der Angesprochene ging weiter, schlang fröstelnd die Arme um den Leib und stieg über einige am Boden liegende Stöcke. Den Blick fassungslos auf ihn gerichtet, kam Daniel zum Stehen, ballte beide Hände zu Fäusten und atmete tief durch. "Bleib stehen!" Schrie er von unglaublicher Verzweiflung gepackt. "Hörste mich?! Bleib stehen!!" Kraftlos begann Lee den Hügel zu besteigen, tastete sich durch das Laub und quälte sich vorwärts, Daniel stolperte ihm nach, hielt nach drei Schritten jedoch inne. "Das kannste nich machen!! Bist... biste total bescheuert?! Nach drei Jahren!! Nach drei Jahren schaufelst du dir dein eigenes Grab!!" Er zeigte auf Joey, tat noch einen Schritt. "Wegen so einem?! Bleib stehen!!!" Ohne den aufgelösten Schreien des jungen Mannes Beachtung zu schenken, erreichte Lee die Spitze des Hügels, rang nach Sauerstoff und setzte den Weg unbeirrbar fort. Daniel sah ihn verschwinden. "Du gottverdammtes Arschloch!!!" Er biss die Zähne zusammen, hob die Fäuste und stolperte nach hinten. "Komm zurück!!" Ein leises Knacken, dann verschluckte der Wald den jungen Mann und Daniel verschluckte sich am eigenen Atem. "Komm zurück!" Schrie er wieder, diesmal jedoch kraftloser als zuvor. "Komm zurück." Seine Stimme versagte, die Knie wurden ihm weich und unter einem gequälten Ächzen ging er zu Boden, sank in sich zusammen und schlug die Hände in das weiche Moos. "Komm... zurück..." Keuchend neigte er sich nach vorn, stützte die Stirn auf den Boden und schloss die Augen. "Verdammt..." Fauchte er durch die zusammengebissenen Zähne. "Verdammt." Ein gepeinigtes Knurren drang aus seinem Hals, die Fäuste ballten sich im Moos zu zitternden Fäusten. Nach wenigen Sekunden riss er es aus dem Boden, ließ die Fäuste erneut auf diesen niedergehen und schrie. Langsam begann sich Joey wieder zu regen und ein leises Husten ertönte, als sich eine Hand stockend über das Moos tastete. ~*To be continued*~ Kapitel 10: Entschärfung ------------------------ Den Arm des Blonden über die eigene Schulter gezogen, dessen Leib fest umklammernd, kämpfte sich Daniel durch den Wald. Sein Atem fiel schnell und schwer, sein Gesicht wirkte verbissen und zornig, als verfluche er in diesen Minuten die ganze Welt. Kein einziges Mal schickte er Joey einen prüfenden Blick, kein einziges Wort hatte er bisher an ihn gerichtet. Er starrte stur geradeaus, stieg über hohe Wurzeln hinweg und zog den Blonden mit sich. Dieser war imstande zu laufen, hielt den Kopf jedoch gesenkt und erweckte den Anschein, nur körperlich anwesend zu sein. Die braunen Augen waren nur einen Spalt weit geöffnet, ausdruckslos nach unten gerichtet, während sich seine Beine unsicher und stolpernd bewegten, sein Körper in die wärmende Decke geschlungen war. An seinem Gesicht, an seinem Verhalten konnte man nicht erkennen, ob er sich darüber bewusst war, was in diesen Minuten mit ihm geschah. Ob er wusste, dass nicht Lee ihn hielt, sondern dass Daniel ihn durch den Wald schleppte. Dass der Halb-Chinese nicht mehr bei ihm... oder sogar, dass er frei war. Er regte sich nicht, nur seine Lippen formten hin und wieder stumme Worte, als flüstere er in sich hinein. Seit einigen Minuten waren sie unterwegs, seit einigen Minuten entfernten sie sich weiter und weiter von dem Ort, der Daniel und Lee seit drei Jahren als geheimer Treffpunkt gedient hatte... an dem sie sich vielleicht nie wieder sehen würden. Daniel hielt den Atem an, schloss kurz die Augen und schluckte. Man konnte nicht mit Worten beschreiben, was in diesen Sekunden in ihm vorging, doch der heitere junge Mann, der nur Blödsinn anstellte, stets lachte und sich scheinbar des Lebens erfreute, war verschwunden... war fort, als hätte es ihn nie gegeben. Nur einen gab es noch, der mit den Tränen kämpfte und sich mit jedem Schritt weiterquälte. Nur leises Keuchen war zu hören, als sie langsam eine Anhöhe hinab stiegen und zum Stehen kamen. Sie hatten den Waldrand erreicht, befanden sich in sicherer Entfernung, sicher genug, um die schützenden Bäume verlassen zu können. Hektisch suchten die glänzenden grauen Augen die Umgebung ab, richteten sich auf ein kleines gepflegtes Häuschen, welches von sauberen Büschen umgeben war, etwas abseits von den anderen stand. Er starrte es an, verstärkte den Griff um Joeys Leib und hielt dessen Handgelenk sicherer. Kurz öffnete er den Mund, schnappte nach Luft und musterte die Umgebung mit abwägendem Blick. In dieser Ecke des Dorfes herrschte so gut wie kein Leben, also hielt sich die Gefahr, dass jemand sie sehen würde, in Grenzen. Dennoch ließ er sich bei der Beobachtung viel Zeit, bevor er sich wieder in Bewegung setzte und in schnellen Schritten aus dem Wald auf eine Wiese hinaustrat. Immer wieder sah er sich aufgeregt um, verlangsamte das Tempo nicht und gönnte Joey nicht die geringste Pause. Nahezu reglos hing dieser in seinem Arm, nur die Beine hatten ihren Dienst noch nicht verwehrt, schleifend setzte sich ein Fuß vor den anderen, kraftlos baumelte der Arm über dem Boden. Nach kurzer Zeit verließen sie die Wiese und erreichten einen schmalen unauffälligen Schotter-Weg. Und Daniel steuerte mit Joey genau auf den Eingang des kleinen Häuschens zu, vor dem sich ein kleiner Lattenzaun entlang zog. Die Gegend wirkte recht friedlich, die Vögel zwitscherten und in weiter Entfernung erspähte Daniel einen kleinen Knaben, der mit einem anderen Fußball spielte. Er beobachtete ihn nur kurz, verschnellerte seinen Gang und erreichte den Zaun. Hastig löste er die Hand von Joeys Handgelenk, griff mit ihr über den Zaun und drückte die kleine Klinke hinab, wodurch sich die Tür leicht öffnen ließ. Flink hielt er Joey wieder fest, betrat das kleine Grundstück und duckte sich unter dem tiefen Ast einer kleinen Tanne, als er auf die Eingangstür des Häuschens zuging. Erneut blickte er sich um, erneut raffte er den schwachen jungen Mann höher und drückte die Klingel. Anschließend wartete er ungeduldig, warf Blicke nach allen Seiten und bearbeitete die Unterlippe mit den Zähnen. Und als nach kurzer Zeit nichts geschah, klingelte er erneut. Mit jeder Sekunde wurde er nervöser und endlich ertönten langsame Schritte hinter der Tür. Eilig leckte sich Daniel über die Lippen, presste sie aufeinander und drehte sich kurz um, um den Weg zu mustern. Nun ertönte ein leises Geräusch und die Tür öffnete sich. Eine ältere Frau mit grauem Haar und freundlichem Gesicht trat in den Türrahmen, besah sich den Besucher mit überraschter Miene und beide Hände, als sie auch den Blonden entdeckte. Nun wirkte sie vielmehr entrüstet und ihre geweiteten Augen richteten sich auf den Schwarzhaarigen, der ihren Blick hilfesuchend und flehend erwiderte. "Hi." Hauchte er leise und hinter der alten Frau erschien ein ebenso alter Herr, der sich neben sie schob und nicht weniger entsetzt wirkte. "Daniel?" Die Frau trat einen Schritt näher, sah von ihm zu Joey. "Meine Güte..." "Was ist denn passiert?" Erkundigte sich der Mann besorgt. "Kann ich reinkommen?" Fragte Daniel nervös und sofort wurde ihm mit einem Nicken geantwortet. "Natürlich." Die beiden traten zur Seite und Daniel schob sich flink an ihnen vorbei, brachte sich in Sicherheit. "Ach, du meine Güte wer ist dieser junge Mann?" Die Frau schloss die Tür und anschließend traten sie beide an Daniel heran, der im Flur stehengeblieben war und Joey noch immer hielt, sich allmählich zu entspannen schien und sich flüchtig umsah. "Ich brauchte einen Unterschlupf. Tut mir leid, wenn ich gestört habe, aber..." "Nicht doch." Die Frau tätschelte seine Schulter, schüttelte schnell den Kopf. "Es ist alles in Ordnung." "Wir haben doch gesagt, dass du zu uns kommen kannst, wenn du ein Problem hast." Pflichtete der Mann bei und griff nach Joeys anderem Handgelenk, um es sich ebenso über die Schulter zu ziehen, Daniel etwas zu entlasten. "Ist er verletzt?" Die Frau rieb beide Hände aneinander, trat von einem Bein auf das andere. Daniel grübelte kurz, bevor er antwortete. "Nein, er braucht nur eine Dusche und etwas Ruhe." "Gib ihn mir." Der Ältere legte den Arm um Joeys Rücken, zog ihn zu sich und hielt ihn auf den Beinen. "Wir kümmern uns um ihn." Beschwichtigte die Frau unterdessen, legte die Hand unter das Kinn des Blonden und hob dessen Gesicht etwas an. Joeys Augen waren entspannt geschlossen, nur seine Lider zuckten etwas. "Schau dir diesen armen Jungen an, Paul. Scheinbar hat er viel durchgemacht." Daniel wandte sich ab, rollte verspannt mit den Schultern und rieb sich den Hals. Aufmerksamkeit ließ er Joey nicht mehr zukommen. Nur kurz drehte er sich zu dem älteren Ehepaar um. "Danke." Flüsterte er und die Beiden öffneten eine Tür und verschwanden mit Joey in dem dahinterliegenden Raum. Mit gesenkten Schultern und schleppenden Schritten, schlürfte Daniel durch den schmalen, angenehm eingerichteten Flur und während hinter ihm die Tür in ihr Schloss zurückklickte, bog er nach links und betrat so die Küche. Leer und müde waren seine Augen auf den Boden gerichtet, als er einen kleinen Schrank erreichte, benommen nach einem kleinen Schubfach tastete und dieses aufzog. Ohne einen Blick darauf zu werfen, griff er hinein, zog eine Zigarettenschachtel hervor und wandte sich ab. Ebenso abwesend griff er auch nach einer Flasche Wein, die einsam auf einer kleinen Ablage stand. Matt ließ er sie hängen, drehte sich langsam um und trottete zurück in den Flur, wo er geradeaus weiterging, einen kleinen Gang hinter sich ließ und die Schulter gegen eine Tür drückte, worauf sich diese öffnete und er in den kleinen, mit Liebe gepflegten Garten, hinausschlürfte. Er betrat einen kleinen Weg aus Backsteinen, trat einen Schritt zur Seite und ließ sich nach hinten fallen. So lehnte er mit dem Rücken an der rauen Wand, ließ sich plump zu Boden rutschen und legte die Flasche auf dem Schoss ab. Den Blick abwesend nach vorn gerichtet, hob er die kleine Schachtel zum Mund, zog sich mit den Zähnen eine Zigarette heraus und ließ sie anschließend unachtsam zur Seite fallen. Er starrte weiterhin nach vorn, seine Hand tastete in einer der Hosentaschen und kurz darauf zückte er ein Feuerzeug, mit dem er den Tabak anbrannte. Sogleich nahm er einen langen Zug, blinzelte schläfrig und zog die Flasche näher zu sich. Währenddessen atmete er den Rauch aus, zog den Korken aus der Flasche und hob auch diese zum Mund, um sich einige kräftige Schlucke zu gönnen. Er hustete leise, schloss die Augen und fuhr sich mit der Hand über den Mund. Und dennoch trank und rauchte er weiter und als er bereits die Hälfte der Flasche geleert hatte, öffnete sich neben ihm die Tür und der alte Mann trat zu ihm auf den Weg hinaus. Er musterte ihn flüchtig und überrascht, blieb stehen und ließ beide Hände in den Hosentaschen verschwinden. Zusammengekauert hockte Daniel vor ihm, trübe auf einen nicht existenten Punkt starrend, die Flasche sicher in der Hand haltend und die dritte Zigarette zwischen den Lippen. "Ich dachte, du hättest aufgehört?" Daniel reagierte erst nach wenigen Sekunden. Seine Augen erwachten zum Leben und er sah sich flimmernd um, die Flasche erneut zum Mund hebend. "Was soll´s." Nuschelte er, bevor er wieder trank und das Gesicht verzog. "Mein Leben hat keinen Sinn mehr. Is doch egal, ob ich´s nun mit Saufen oder Rauchen verschwende." Der Mann hob die Augenbrauen, begann zu grübeln und sah sich etwas um, betrachtete sich die herrlichen Blumen, die dennoch keinen Trost spendeten. Er schien Mut sammeln zu müssen, bevor er eine Frage stellte. "Ist etwas... mit Lee?" Sogleich stoppte Daniel in jeglichen Bewegungen, starrte geradeaus und schwieg. Eine kurze Zeit verging in dieser Stille, dann schüttelte der junge Halb-Amerikaner den Kopf, hob die Flasche und trank. Der Mann hatte seine Reaktion aufmerksam verfolgt, griff nun unter einem leisen Seufzen nach einem Stuhl und zog ihn zu sich, um sich auf ihm niederzulassen. "Was ist mit ihm, Daniel?" "Tse." Verbissen ließ Daniel den Kopf sinken und nahm einen langen Zug. "Habt ihr euch wieder getroffen?" Erkundigte sich der ältere Mann vorsichtig. "Hat sich sein Zustand weiterhin verschlechtert?" Er seufzte erneut, faltete die Hände vor den Knien und besah sich den jungen Mann, der langsam in sich zusammen kroch, das Gesicht zwischen den Armen verbarg und tief Luft holte. Weitere Fragen waren nicht angebracht und er stellte sie nicht. Er schloss sich Daniels Schweigen an und lange Zeit saßen sie dort, bis der junge Mann erneut nach Luft schnappte. Die Hand, die die Zigarette hielt, ballte sich zu einer Faust und ein hastiges Schlucken war zu vernehmen. Der Ältere schlug die Augen nieder und von einer Sekunde auf die andere, brach Daniel in leises Schluchzen aus. Sein Körper erbebte, zitterte, die freie Hand krallte sich verkrampft in den dünnen Stoff der Hose und in diesen Sekunden schien alles aus ihm hervorzubrechen, was sich im Laufe der Zeit angesammelt hatte. Er schluchzte lauter, schüttelte den Kopf und kroch weiterhin in sich zusammen, als wolle er sich von den Welt abschotten. Von der Welt, von jedem. Der ältere Mann jedoch, kam auf die Beine, hockte sich langsam neben ihn und legte den Arm über seine Schulter. Mit der anderen Hand griff er nach der Zigarette, zog sie aus den verkrampften Fingern und warf sie neben sich auf den Weg. "Sch... ist gut." Beruhigend rieb er Daniels Rücken und rutschte etwas näher, worauf sich Daniel sofort zur Seite wandte und sich an ihn krallte. Und in einer festen Umarmung, weinte er. Joey lag bequem. Sein Körper wurde von einer angenehmen Wärme durchflutet. Das Gesicht war leicht zur Seite gedreht, die Augen entspannt geschlossen. Leicht zerzaust, verdeckten die blonden Strähnen die blasse Stirn des jungen Mannes. Auf der ebenso bleichen Wange stach eine Schramme hervor, auch die Unterlippe war etwas gerissen, blutete in der Zwischenzeit jedoch nicht mehr. Entspannt lag er in einem weichen Bett, die Decke wärmte ihn vom Hals an, die linke Hand lugte etwas unter der Decke hervor. Sein Atem fiel ruhig und gleichmäßig, seine Lippen waren einen Spalt weit geöffnet. Neben dem Bett stand ein Fenster offen, das friedliche Zwitschern der Vögel drang in den kleinen Schlafraum, ebenso der Duft der Blumen, der Duft der Natur, der Duft der Freiheit. Hin und wieder schlängelte sich ein milder Windhauch durch die dünnen Gardinen. Durch einen etwas stärkeren, fiel eine lange blonde Strähne in das blasse Gesicht und somit schien in den jungen Körper neues Leben einzufließen. Das Gesicht begann etwas zu zucken, die Nase rümpfte sich unter den kitzelnden Haaren und auch die Hand begann sich zu bewegen. Langsam räkelte er sich, streckte die Beine aus und rollte sich zur Seite. Nebenbei erreichte die Hand das Gesicht und streifte die störende Strähne zurück. Anschließend tastete sie auch nach der Decke, erfasste sie und zog sie höher, bis über das Gesicht. Ein leises, undefinierbares Murmeln ertönte. Bald zogen sie Wolken weiter und es dauerte nicht all zu lange, da fiel ein gleißender Lichtstrahl in das Zimmer und warf einen hellen Schatten auf die Dielen des Bodens. Das Zwitschern der Vögel nahm zu, unter einer Brise rauschten die Blätter der Bäume. Einige Blätter lösten sich von den Ästen. Tänzelnd und springend gelangten auch sie in den Raum, wieder regte sich Joey, wieder tauchte die Hand auf und tastete sich stockend über die weiche Matratze. Sie ließ nur eine kurze Strecke hinter sich... verharrte plötzlich reglos. Gekonnt hüpfte ein kleiner Spatz von einem Ast zum anderen, drehte sich und streckte das Köpfchen in die Höhe, um laut und auffallend zu zwitschern. Sogleich wurde ihm geantwortet und eine weitere Wolke schob sich vor die Sonne. Das Haus des alten Ehepaares wurde in leichten Schatten gehüllt. Vorerst verstummten die Vögel, auch die Blätter der Bäume schwiegen unter einer Windstille. Kurz zuckten die Finger der Hand, kurz zuckte der Leib, der sich unter der Decke verbarg, und unter einem lauten Aufschrei, fuhr Joey in die Höhe. Sein Atem raste, seine Augen waren geweitet, während sich seine Hände in das Bettlaken und in die Decke krallten. Keuchend saß er dort, blinzelte und drehte den Kopf zur Seite. Noch immer herrschte diese Dunkelheit um ihn herum... Erneut blinzelte er, vorsichtig entspannten sich seine Hände und eine hob sich kurz darauf, um hektisch über das Gesicht zu wischen. Er hielt den Atem an, lauschte in die Stille und brach kurz darauf wieder in jenes Keuchen aus. Langsam wagte er es, sich weiterhin zu bewegen. Zögerlich tasteten seine Hände nach der Decke, ziellos streiften seine Augen durch das Zimmer. In dieser Sekunde fiel ein warmer Sonnenstrahl durch das Fenster, die Vögel begannen ihr Lied erneut und auch das Rauschen der Bäume setzte ein. Zuerst verwirrt, dann ungläubig, verzogen sich die hellen Augenbrauen des jungen Mannes,die Lippen bewegten sich stumm und er verharrte wieder reglos, während er den ungewohnten Geräuschen lauschte. Zwitschern...? Das Rauschen der Blätter...? Er atmete tief ein. Dieser Duft... Unsicher atmete er aus, drehte das Gesicht zur anderen Seite und löste die Hände aus der Decke, um mit ihnen um sich zu tasten. Die Wand... In den letzten Tagen hatte er dort nur feuchte Tapete gefühlt. Jetzt jedoch...? Zittrig tasteten sich die Hände weiter. Nun spürte er eine saubere Holzmaserung. "Was...", mit einer schnellen Bewegung drehte er sich zur anderen Seite, zischte jedoch laut auf, als sich ein reißender Schmerz in seiner Hüftgegend meldete. Hastig schlang er die Arme um den Leib, biss die Zähne zusammen und beugte sich etwas nach vorn. In dieser Haltung verharrte er lange Zeit mit geschlossenen Augen. Nur langsam zog sich der Schmerz zurück und während Joey dort kauerte, begann sich sein Gedächtnis allmählich aufzufrischen. Es war, als würde sich ein riesiges Knäuel entfitzen, langsam begann er sich zu erinnern und als er die Finger vorsichtig aus dem weichen Stoff des Hemdes löste, kehrte er vollends in die Realität zurück. Er öffnete die Augen, starrte geradeaus und hielt die Luft an, den Unterleib weiterhin umschlingend. Leise Geräusche begannen in seinen Ohren zu schallen. Erst unauffällig, dann lauter. Viele Geräusche... und doch konnte er jedes zuordnen. Stimmen, Schreie, das Kratzen des Schlüssels im Schloss, lautes Keuchen, Rufe... Er würgte ein schweres Schlucken hinunter. Noch eine Stimme... Ja, da war noch eine, die sich zuerst unauffällig mit den anderen Lauten vermischte, sich jedoch schnell von ihnen hervorhob. Das Gesicht des jungen Mannes verlor weiterhin an Farbe. Die Augen weiteten sich... "Was? Du willst nicht?!" Langsam öffneten sich die Lippen des Blonden. "Das werden wir ja sehen!!" Ein eiskalter Schauer raste durch seinen Körper und er zuckte erneut zusammen, drehte den Kopf zur Seite und begann hektisch seinen Bauch zu betasten. Keuchend betastete er auch die Rippen, die Brust, den Hals... Letzten Endes grabschte er nach der Decke und presste sie an sich. Er fühlte sich, als hätte er die letzten Stunden nur in leichter Benommenheit mitbekommen, als wäre all dies nur ein Traum gewesen... Ein Alptraum... Seine Finger pressten sich tiefer in die Decke, wieder schluckte er. Doch diese Schmerzen... Sie waren der Beweis, dass das Erlebte kein Alptraum gewesen war. Nein, alles war Realität. Als stünde er durch diese Einsicht unter Schock, blieb er sitzen, versuchte seinen Atem zu beruhigen und blinzelte nach langer Zeit. War wirklich das passiert, vor dem es ihm so gegraut hatte? War wirklich das eingetroffen, vor dem er solch eine Furcht verspürt hatte? >Das war es also...< Seine Gedanken erwachten zum Leben. >Jetzt ist es passiert. So fühlt es sich also an... Chester, dein Werk wurde vollendet.< Zögerlich lockerte er die Arme, schob sie unter die Decke und begann sich erneut zu betasten. >Habe ich mir das so vorgestellt?< Kurz schloss er die Augen, presste die Lippen aufeinander und schüttelte stockend den Kopf. >Was verändert sich jetzt? Habe ich Seto hintergangen...? Habe ich mich nicht genug gewehrt...?< Er hob eine Hand, betastete die Schramme auf seiner Wange, glitt tiefer zu den Lippen und anschließend zum Hals. Er meinte, er könnte die fremdartigen Berührungen noch immer spüren, als würden sie erst jetzt auf sich aufmerksam machen. Anders als während der Vergewaltigung, bei der er sich verkrampft und all die Geschehnisse nur halbwegs registriert hatte. Ja, er hatte sich geweigert, mit allen Mitteln verhindert, sich in den Augenblick zu vertiefen. Noch immer betastete er seinen Hals und vergrub die Hand anschließend in dem weichen Stoff des Hemdes. >Ich fühle mich dreckig.< Seine Schultern hoben und senkten sich unter einem tiefen Atemzug. >Aber ich lebe... und das ist die Hauptsache... ja, Joey... sieh nur die positiven Dinge.< Er rieb sich das Gesicht, hielt dann jedoch in jeglichen Bewegungen inne lauschte dem Zwitschern, den ungewohnten Lauten, die an seine Ohren drangen. >Wo bin ich?!< Erneut ertastete er neben sich das Holz. Das Bett... alles war anders. Das Hemd, welches er trug... er war angenehm und weich. Verwirrt sah er sich um und rief nach dem ersten Namen, der ihm in den Sinn kam. "Lee?!" Was war passiert?! Er konnte sich nur an das Geräusch erinnern. Als sich die Tür öffnete und die schweren Schritte, die anschließend folgten. Die Berührungen, die Schmerzen... all dessen war er sich bewusst. Doch was war anschließend passiert? Er musste das Bewusstsein verloren haben. All seine Erinnerungen auf die darauffolgenden Geschehnisse... gelöscht, nicht vorhanden. Er schnappte nach Luft. "Lee?!" Plötzlich hörte er Geräusche. Leise Schritte, die sich gedämpft näherten. Sofort verharrte er reglos und kurz darauf drückte sich die Klinke hinab und die Tür öffnete sich. Und Joey lauschte mit angehaltenem Atem. Jemand betrat sein Zimmer! Er konzentrierte sich auf die Schritte, versuchte den Atem des Anderen wahrzunehmen und kam zu einem Entschluss. Langsam neigte er sich zurück. Das war nicht Lee! Den Blick auf ihn gerichtet, lehnte sich Daniel in den Türrahmen und verschränkte die Arme vor dem Bauch. Seine Augen waren noch immer gerötet, als er den Blonden abfällig musterte. Dieser starrte in seine Richtung und so brach ein langes Schweigen über sie herein. Nervös zupfte Joey an der Decke, in seinem Kopf rasten die Gedanken und nach knapp einer Minute verzogen sich seine Augenbrauen verwirrt. "Daniel...?" "Mh-hm." "Du bist es wirklich!" Joey traute seinen Ohren nicht. Konfus, völlig perplex und verwirrt, richtete er sich etwas auf. "Aber du... was machst du... wo ist Lee?!" Daniel wandte den Blick ab, richtete ihn verbissen auf den Boden und schwieg. "Daniel!" Unter Schmerzen kämpfe sich Joey auf die Knie. "Was ist passiert?! Wo ist Lee?!" "Nich hier!" Antwortete Daniel etwas gereizt und nagelte den Blick regelrecht an den Boden, als wolle er Joey nicht in die Augen sehen. "Du bist in Sicherheit, okay?! Also stell keine dämlichen Fragen!" "Was zur Hölle...", hastig streifte sich Joey das Haar zurück. "Kannst du mir mal erklären, was passiert ist?! Warum bin ich in Sicherheit?! Und-wo-ist-Lee?!" "Ts." Daniel schüttelte den Kopf, erweckte den Anschein, als führe er diese Unterhaltung alles andere als gern. "Mach dich frisch, oder was auch immer. Ich bring' dir noch´n paar Sachen un dann machen wir uns auf´m Weg." Mit diesen Worten drehte er sich langsam um. "Auf den Weg?" Joey schnitt eine verwirrte Grimasse. "Wohin...?" "Zu wem wohl." Kurz hielt Daniel noch inne. "Zu deinem Schmusebär!" "Wa...?" "Was dachteste denn. Auf irgendwelche friedlichen Spaziergänge habe ich zur Zeit keine Lust." Somit ging er endgültig und Joey wusste überhaupt nicht mehr, was er denken sollte. Mit offenem Mund hockte er dort, wollte seinen Ohren kein Vertrauen schenken. >Zu... Seto? Das heißt... er ist wirklich noch hier?!< Perplex verengte er die Augen und ließ sich vorsichtig zurücksinken. Nach einer langen Benommenheit kam er zu sich, traf auf jemanden, den er am wenigstens erwartet hätte und befand sich ebenso an einem völlig fremden Ort. Was mit Lee war, wusste er schon gar und der, der dazu fähig war, alles aufzuklären, ging ihn an und hatte darauf keine Lust?! Er war nicht mehr in dem heruntergekommenen Haus?! Er war irgendwo?! Hauptsache in Sicherheit und mehr musste er nicht wissen?! Seine Hände ballten sich zu Fäusten... Und jetzt würde er Kaiba wiedersehen, von dem er sich innerlich bereits verabschiedet hatte?! Ein gequältes Stöhnen drang aus seinem Hals. Was zur Hölle sollte das?! Er ließ sich vornüber sinken, tastete nach der Decke. Das ging alles zu schnell... viel zu schnell, er kam nicht hinterher und das einzige, das er wusste, war, dass er völlig überfordert mit der Situation war! Er dachte nicht an die Vergewaltigung, nicht an Lee, nicht an die drei Männer, nicht an Daniel, nicht an Kaiba! Er dachte nur an dieses riesige Gewirr und kämpfte mit den verhedderten Gedanken, denen er vor Daniels Erscheinen noch halbwegs problemlos nachgehen konnte. Nun konnte er nichts ordnen, nichts schlussfolgern oder nachvollziehen. Das alles hatte einfach keine Sinn! Selbst die scheinbare Freiheit konnte er sich nur mit Verwirrung betrachten. Wieder vernahm er Schritte und kurz darauf betrat Daniel den Raum erneut. Mit einem Kleiderbündel trat er zu ihm ans Bett und warf das Bündel neben ihn. Joey richtete sich etwas auf. "Äh..." Daniel stützte die Hände in die Hüften, rieb sich die Nase und sah flüchtig aus dem Fenster, Joeys Augen wieder geschickt umgehend. Währenddessen regte sich der Blonde nicht, bewegte nur stumm die Lippen und zog konfuse Grimassen. "Beantworte mir eine Frage." Hörte er Daniels Stimme. "Weshalb bist du blind?" "Was...? Blind?" "Jaaaa, blind." Sarkastisch weitete Daniel die Augen. "Ich... ehm... na ja..." Joey begann mit einer Hand zu gestikulieren, doch da schüttelte Daniel schon den Kopf. "Vergiss es." Brummte er. "Steh auf, ich zeige dir das Bad." "Was...?" "Komm schon." Daniel verdrehte genervt die Augen, streckte die Hand nach Joey aus und packte diesen grob am Handgelenk. Sobald Joey diese brüde Berührung spürte, machte sein Herz einen entsetzten Sprung und mit einer hektischen Bewegung zog er die Hand weg, schnappte nach Luft und schob sich etwas zurück, bis er an der Wand lehnte. Daniel hatte die Hand sinken gelassen und starrte den keuchenden jungen Mann mit leichter Irritation an. Aufgeregt schlang dieser die Arme um den Bauch, japste leise und zog die Nase hoch. Konfus starrte er um sich und Daniel richtete sich langsam auf. "Hey... is ja gut." Er hob die Hände, unterdrückte ein ungeduldiges Stöhnen. "Ich wollte dir nur helfen, aber wenndes auch allein schaffst...?" Er zuckte gleichgültig mit den Schultern. Joey antwortete nicht, schien noch in einen eigenen Kampf verstrickt zu sein. Er versuchte die unbeabsichtigte Reaktion zu verstehen, schloss die Augen und rieb sich zittrig die Stirn. Zusammengekauert blieb er hocken und Daniel rollte mit den Augen. "Soll ich dich jetzt zu ihm bringen, oder nich?" "Was...?" Joey blickte auf, ein entsetzter Ausdruck befiel sein Gesicht und nach einem verdatterten Grübeln schüttelte er den Kopf. "Nein." Keuchte er, als hätte er regelrecht Angst vor einem Wiedersehen. "Nein!" "Was heißt hier nein." Daniels Geduld ging ihrem Ende entgegen. "Ich... nein, ich kann das nicht!" "Klar kannste." "Du verstehst du das nicht!" Joeys Stimme zitterte. "Ich kann ihm so nicht gegenübertreten!" "Deswegen sollste ja auch duschen." Murrte Daniel. "Schau, ich hab dir neue Sachen gebracht und scho wirkste wieder fit." Joey verzog die Augenbrauen. "Was?!" "Und wennde ihn nich wiedersehen willst, dann isses nich mein Problem! Dann lade ich dich halt bei der Polizei ab und du kannst selbst entscheiden, wann sie sich bei ihm melden sollen. Jedenfalls kannste nich hierbleiben!" "Verdammt nochmal, Daniel!" Joeys Stimme schien sich zu stabilisieren, wirkte nun annähernd wütend. "Ich verlange kein Mitgefühl von dir! Aber du könntest die Tatsache, dass du meine Anwesenheit nicht erträgst, wenigstens hübsch verpacken! Verflucht! Ich habe Lee auch kennen gelernt und ich verstehe deine Abneigung gewissen Dingen gegenüber! Aber lass es sein, uns alle in dasselbe Boot zu werfen, das ist eine Beleidigung! Denkst du, nur weil ich einen Freund habe, bin ich genauso wie diese Männer?! Ich hasse sie genauso sehr wie du und ich leide auch unter dem, was sie Lee antun, also behandel mich nicht, als wäre ich einer von ihnen!!" "Ts!" Verbissen wandte sich Daniel ab. "Was soll das nun wieder heißen?! Kannst du mir mal normal antworten?? Wenn du mir schon nicht erzählst, was passiert ist, wenn du mich schon der Unwissenheit und der Verwirrung überlässt, dann hör wenigstens auf, zusätzlich noch auf mir herumzuhacken!! Ich bin zur Zeit für so etwas nicht empfänglich und wenn du es genau wissen willst, geht es mir auch verdammt beschissen!" Ruppig zerrte Joey die Decke zur Seite und schob sich zur Bettkante. Er verzog das Gesicht, biss die Zähne zusammen und kam stockend und etwas schwankend auf die Beine. Die Hand legte sich zittrig auf den Bauch. "Dann bring mich zum Bad und schon bin ich weg!" Daniel presste die Lippen aufeinander, holte tief Luft und nickte langsam. Er schien sich etwas beruhigt zu haben, schob sich an Joey vorbei und griff nach den Kleidern. Anschließend griff er nach Joeys Hand. Diesmal vorsichtig, hob er sie an und legte sie sich auf die Schulter. In langsamen Schritten und mit gesenktem Kopf, ging er auf die Tür zu und trat in den Flur hinaus. >Ich werfe niemanden in dasselbe Boot, ich verallgemeinere es nicht!< Dachte er sich währenddessen verbissen. >Es ist Tatsache!< Nach einem kurzen Weg erreichte er das Ziel, öffnete die Tür und trat ein. Joey folgte ihm etwas humpelnd, die Hand krallte sich verunsichert in das Shirt des Halb-Amerikaners. Dieser warf die Kleider auf einen kleinen Stuhl, griff nach Joeys Hand und zog sie von seiner Schulter. Anschließend hob er sie in die Richtung des Stuhles. "Da liegen deine Sachen." Murmelte er, trat einen Schritt zurück und streckte Joeys Hand nach vorn. "Da ist die Dusche." Der Blonde lauschte seinen Worten konzentriert und nickte etwas zögerlich. Währenddessen ließ Daniel ihn los, griff nach einem Handtuch und drückte es Joey in die Hände. Somit murmelte er etwas unverständliches, wandte sich ab und verließ das Bad. Mit dem Handtuch blieb Joey stehen und hörte, wie sich die Tür hinter ihm schloss. Grübelnd waren die braunen Augen nach vorn gerichtet, den dicken Stoff presste er in den Händen. Er stand lange dort, biss sich auf die Unterlippe und kämpfte mit vielen Gedanken. Zuerst versuchte er einzusehen und zu realisieren, dass er nicht mehr in Gefahr war. Und als ihm dies zögerlich gelang, kam er auf Lee zurück, bei dem sich alle Einfälle und Grübeleien im Nichts verliefen. Er wusste nicht, wo Lee war. Er wusste nicht, wie es ihm ging. Er wusste nicht einmal, wie er dort raus gekommen war! Langsam tat er einen Schritt nach vorn, ertastete den Kleiderhaufen und legte das Handtuch neben ihm ab. >Versuch nicht, weiterhin nachzudenken.< Dachte er sich kurz darauf, stützte sich ab und ließ matt den Kopf hängen. Noch immer hatte er Schmerzen, bei jedem Schritt, bei jeder Bewegung. >Denk an nichts! An gar nichts! Nur so behältst du einen kühlen Kopf!< Leidend verzog sich sein Gesicht, die Zähne bissen aufeinander. >Ich dusche jetzt und denke an nichts... ganz ruhig, Joey!< Vorsichtig streifte er sich das Shirt vom Kopf, schlüpfte auch aus der dünnen Hose. Anschließend drehte er sich langsam um, hob unter einem tiefen Atemzug die Hände und gingen tastend voran. Welche Richtung...? Hier...? Ja, er wurde fündig, seufzte erleichtert und trat in die Dusche. Sofort suchte seine Hand nach der Seife und nachdem er die Brause angestellt hatte, ließ er sich vorsichtig auf den Boden der Dusche sinken, hockte sich hin und begann sich zu schrubben. In diesen Sekunden dankte er seiner Blindheit. Er musste seinen Körper nicht sehen... er wollte ihn nicht sehen... er hielt sogar die Augen geschlossen, während er sich wusch. Das warme, beinahe heiße Wasser tat ihm gut. Das Gefühl, dreckig zu sein, erstarb auf diesem Weg für einige Minuten. Zum dritten Mal seifte er seinen Bauch und den Hals ein und griff etwas zittrig nach der Bürste. Und der Plan, an nichts zu denken, scheiterte. >Seto...< Er hielt in jeglichen Bewegungen inne, ließ die Hände sinken und ließ das Wasser auf sich hinabprasseln. >Ich... ich dachte, ich sehe ihn nie wieder.< Er spuckte etwas Wasser aus, krallte sich um das Stück Seife. >Wie soll ich ihm denn gegenübertreten? Ich habe es mir so sehnlich gewünscht, noch einmal bei ihm sein zu dürfen... und nun graut es mir davor!< Er hatte gewartet. Stunde um Stunde hatte er auf den Mann gewartet, der all das, was geblieben war, zerstören würde. Der alles zunichte machte, was er sich aufgebaut hatte. Die Liebe zu Kaiba! Die Treue zu diesem! Der alles zunichte machte, was er sich erkämpft hatte. Den starken Willen, der jegliche Angst verdrängte. Wo war er?! Hatte er sich verzweifelt gefragt. Langsam hob er die Seife, führte sie geistesabwesend über seine Oberschenkel. Immer und immer wieder. Das Leben bestand aus wichtigen Grundsteinen, ohne die es nicht existieren konnte. Einer der Bausteine war Kaiba. Ein großer Baustein, der die Last der anderen auf sich trug. >Ich habe mit einem anderen geschlafen. Ich weiß nicht wie er auf diese Nachricht reagieren würde. Bei Chester... er hätte ihn umgebracht, wäre ich nicht dazwischen gegangen. Und dabei kam Chester nicht weit. Doch nun? Um ehrlich zu sein, will ich seine Reaktion überhaupt nicht erfahren.< In schnellem Takt tropfte das Wasser von seiner Nase, über seine Schultern lief es in breiten Rinnsälen. Nass verdeckte das Haar sein Gesicht. Und seine Hand führte die Seife weiterhin über den Oberschenkel. Und in dieser Sekunde kam ihm ein Ereignis ins Gedächtnis. Wie ein Dejavue, an jedes Wort konnte er sich erinnern. Er hörte sie regelrecht in seinem Kopf. Die Stimme... Seine eigene Stimme... "Wir mussten den Konflikt mit uns allein ausmachen. Wir hatten einander nicht und haben aller Welt bewiesen, das wir nicht den Anderen brauchen, um uns durch zuschlagen! Und das ist gut, denn man sollte es nicht übertreiben und hilflos ohne den Anderen sein!" Ja, er erinnerte sich. Diese Worte hatte er an Kaiba gerichtet. Vor knapp einem Jahr, als dieser nach der erfolgreichen Entgiftung noch im Krankenhaus gelegen und unter großer Mutlosigkeit gelitten hatte. Sprach er sich jetzt selbst Mut zu? Kamen daher diese plötzlichen Erinnerungen? "Du bist das wichtigste, das ich habe." Hörte er sich wieder sagen. "Ohne dich kann ich nicht leben, verstehst du? Und ich flehe dich an, stoße mich nicht von dir, nur weil..." Die Worte verschwammen und bald gab es nur das Rauschen des Wassers. >... ich untreu war.< "Von so einer Kanake können wir uns doch nicht das Leben zerstören lassen." Es stimmt. Katagori hatten sie nicht an ihr Glück heran gelassen. Vor und nach seinem Ableben hatten sie mehr oder weniger zusammengehalten und waren nur kurz getrennte Wege gegangen. Nun, Katagori konnte nichts zerstören... doch vielleicht schaffte es der jetzige Zustand? >Ich will ihn wiedersehen, ich werde verrückt, wenn ich es nicht kann. Dieser Wunsch ist stärker als jede Angst. Und ich werde nichts zerstören! Ich werde dafür sorgen, dass sich zwischen Kaiba und mir nichts ändert!< "Möchtest du noch einen Kaffee?" Zusammen mit dem älteren Ehepaar, saß Daniel an dem gemütlichen Küchentisch, stützte die Stirn in die Handfläche und schüttelte langsam den Kopf. Seit beinahe einer halben Stunde saßen sie nun hier. "Und... hast du vielleicht Hunger?" "Nein." Daniel fuchtelte träge mit der Hand. "Sobald er fertig is, bring ich ihn zu seim´ Freund und kehre ins Camp zurück." Das ältere Ehepaar nickte einsichtig. "Es ist lange her, seit du uns das letzte Mal besucht hast." Die Frau hob eine Tasse zum Mund, ihr Mann nickte beipflichtend. "Warst du vor kurzem noch einmal zu Hause?" Daniel schüttelte den Kopf. "Mh-hm." Brummte er. "Vor nem halben Jahr zum letzten Mal." "Und macht sich Sun keine Sorgen um dich?" Wieder folgte ein knappes Kopfschütteln. "Meine Mum versteht das." "Mm." Die Beiden nickten. Somit schwiegen sie kurz und der Mann erhob erst nach einem zögerlichen Räuspern die Stimme. "Und... wie lange willst du noch bleiben?" "Solange es nötig is." Ertönte ein müdes Nuscheln. Daraufhin wechselten die beiden verständnisvolle Blicke. Plötzlich hörten sie leise Schritte und Daniel ließ plump die Hand sinken. Sofort kam die ältere Frau auf die Beine und ging hinaus in den Flur. Ihr Mann folgte ihr sogleich und auch Daniel stand langsam auf. Vorsichtig tastete sich Joey durch den Türrahmen in den Flur, hielt inne, als er ebenfalls Schritte vernahm. Gekleidet war er in eine schwarze Hose und ein dunkelgrünes Shirt. Auch Schuhe hatte Daniel ihm gebracht. Das blonde Haar war noch etwas nass, die braunen Augen richteten sich verunsichert auf die Richtung, aus der sie auf ihn zukamen. "Okay." Ohne Joey anzusehen, schob sich Daniel durch das ältere Ehepaar. Der Blonde erkannte seine Stimme, entspannte sich etwas und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand. "Ich bringe ihn erst einmal weg." "Kommst du dann noch einmal kurz zu uns?" Erkundigte sich die ältere Frau, die Joey lange und besorgt gemustert hatte. "Mm, kann ich machen." Daniel nickte. "Danke für alles." "Gern geschehen." Die Beiden lächelten und der Halb-Amerikaner griff nach der Hand des Blonden, der den Stimmen leicht irritiert zugehört hatte und sich nun stockend aufrichtete, den Anschein erweckte, als wäre er für diesen Schritt noch nicht bereit. Als würde er sich vielmehr dazu zwingen. Dennoch wirkte seine Miene im Gegensatz zu seinen Bewegungen entschlossen, seine Hand wurde wieder auf der Schulter abgelegt. Somit wandte sich Daniel ab, öffnete die Tür und verließ das Haus in wenigen Schritten. Er hob noch kurz die Hand zum Abschied, während Joey zögerlich hinter ihm einher stolperte. Das ältere Ehepaar trat in den Türrahmen und sah den Beiden nach, bis sie das kleine Tor hinter sich gelassen hatten und auf dem schmalen Weg vor dem Haus verschwanden. Joey fühlte sich etwas gestärkter und wohler. Seine Knie waren kräftiger, hielten sein Gewicht nahezu problemlos. Nur das Herz raste in seiner Brust und vereinzelte Stellen an seinem Körper schmerzten durch übertriebenes Schrubben. Daniel schwieg, während er Joey die Straße hinabführte. Noch immer umgab sie das Zwitschern der Vögel, noch immer schien die Sonne, obgleich es schon in den frühen Abendstunden war. Joey konnte diesen herrlichen Geräusche keine Beachtung schenken. Er wirkte unentschlossen, öffnete hin und wieder den Mund um etwas zu sagen und verblieb doch stumm. Er rieb sich die Nase, streifte sich träge das Haar zurück und holte erst nach einer langen Zeit Atem. "Weißt du... wo er ist?" Fragte er leise. "In diesem Dorf." Murmelte Daniel zurück. "Und dieses Dorf hat nur eine richtige Herberge." Joey nickte, hatte mit dieser Antwort jedoch nicht das erreicht, worauf er aus war, weshalb er zögerte. "Daniel?" "Mm." "Tust du mir einen Gefallen?" Lange starrte Kaiba auf die Uhr, ohne sich zu rühren. Er saß zusammengesunken auf einem Stuhl, hatte die Beine von sich gestreckt und lauschte dem leisen Ticken des Zeigers, der sich unbeständig bewegte, wie eine Zeitbombe wirkte. Es war bereits halb 6... in einer halben Stunde würde das Treffen stattfinden. Das Gesicht des jungen Geschäftsmannes wirkte abwesend, die Lider waren schwer, drohten hinabzusinken. Drei Tage ohne Schlaf. Stattdessen die erbitterte Suche, die erfolglos endete. Und nun das Warten auf die letzte, und zugleich gefährlichste Chance. In dem Aschenbecher, der neben ihm auf einem kleinen Tisch stand, häufte sich ein wahrer Berg aus Zigarettenstummeln, unter dem Tisch lag eine leere Flasche Wein. Flimmrig und trübe starrten die einst so kühlen Augen auf die Uhr. Der Zeiger drehte sich noch weitere dreimal im Kreise. Und erst dann begann sich Kaiba zu regen. Er hob die Hand, die das Handy hielt, wendete es lahm und drückte eine Taste, um es anschließend zum Ohr zu heben. Es klingelte... Noch immer verfolgten die Augen abwesend den Zeiger, vor den Fenstern seines Zimmers verloren die Sonnenstrahlen bereits an Kraft, die Dämmerung war nahe. Es klingelte oft, bevor sich Pikotto in der Leitung meldete. "Ja?" Kaiba schwieg, rieb sich mit der anderen Hand über das gesamte Gesicht und blinzelte schläfrig. "Kaiba? Bist du es?" Kraftlos richtete sich der junge Mann auf. "Pikotto, hör zu, ich..." "Ich dachte, du meldest dich gar nicht mehr!" Wurde er sofort aufgebracht unterbrochen. "Ich mache mir verdammte Sorgen! Was ist los?!" Kaiba zog eine Grimasse, hielt das Handy etwas entfernter vom Ohr und wandte endlich den Blick von der Uhr ab. "Pikotto." Ächzte er erschöpft. "Beantworte mir einfach nur eine Frage, ja? Der kleine Sender... ist er noch aktiv?" "Der, den du stets bei dir trägst?" Kam die Gegenfrage. "Genau der." Kaiba nickte langsam. "Warte kurz." Hektische Geräusche ertönten. Kaiba schloss die Augen und rieb sie. In der Leitung ertönte flinkes Klackern, Rascheln und wenige leise Signale. "Er ist aktiv." Kam kurz darauf die Antwort. "Kaiba? Weshalb hast du ihn mitgenommen?" "Du sagtest es doch... ich trage ihn immer bei mir." Beiläufig streckte Kaiba die freie Hand zum Tisch und griff dort nach einem winzigen Gerät, das einem Knopf ähnelte. Er nahm es, besah es sich und unterdrückte ein Gähnen. "Und du empfängst das Signal?" "Ja... ja, natürlich." Kaiba führte die Hand zum Mund, schob den Sender hinein und griff anschließend nach einem Glas Wasser, das ebenfalls auf dem Tisch stand. So trank er ein paar Schlucke, stellte das Glas auf den Tisch zurück und wartete kurz. "Immer noch?" "Ja." Pikotto stöhnte. "Kaiba, ich bitte dich! Klär mich auf! Ich ertrage dieses tatenlose Herumsitzen und Warten nicht! Du hast doch irgend etwas vor!" "Natürlich habe ich das." Träge kam Kaiba auf die Beine. "Hör mir zu. Mit dem Sender ortest du mich in einem Radius von fünfzig Metern. Behalte mich gut im Auge und wenn ich dich morgen nicht anrufe, dann meldest du dich bei Lenzich und hetzt ihn mit seiner ganzen Meute auf dieses gottverdammte Dorf." "Was hast du vor!" Ertönte Pikottos Stimme wütend. "Willst du dich in Gefahr begeben?!" Wieder lugte Kaiba zur Uhr. "Hast du das verstanden?" "Ja, aber..." "Gut." Somit ließ er das Handy sinken, warf es hinter sich auf den Stuhl und atmete tief ein. Seine Schultern hoben und senkten sich, seine Hände fuhren langsam durch den brünetten Schopf und so setzte er sich wankend in Bewegung. Unterdessen ertönten im Flur Schritte, die sich langsam seiner Tür näherten. Erneut unterdrückte er ein Gähnen, streckte die Hand nach der Klinke aus und drückte diese hinab. Als er die Tür öffnete, erreichten ihn die Schritte und als er aufblickte... hielt er inne. Er bewegte sich nicht, ließ die Hand auf der Klinke liegen und starrte auf den, der ihm da gegenüberstand. Das... das konnte doch nicht wahr sein! Er traute seinen Augen nicht! "Hey Schätzchen... is was?" Die knorrige Oma mit dem Putzeimer pulte sich zwischen den Zähnen, starrte grantig zurück und spuckte etwas zur Seite. "Hab ich vielleicht was im Gesicht?!" Kaiba hob die Augenbrauen und verzog leicht die Miene. Es wäre zu schön, hätte sie etwas im Gesicht gehabt. Nun, ihr fehlte ein Auge... Nachdem sich Kaiba von diesem Schrecken erholt hatte, räusperte er sich leise, schloss die Tür hinter sich und schob sich an der Omi vorbei, die wieder pulte und anschließend den Wischmopp in den Eimer rammte. In zügigen Schritten machte sich Kaiba auf den Weg zu jenem Treffpunkt. Zum Park, der nicht allzu weit entfernt lag. Hier, von seiner Herberge, der einzigen, die in diesem Dorf existierte. Schnell ließ er den Flur hinter sich, erreichte die altersschwache Treppe und tastete sich an dem Geländer entlang. Bereits als er sein Zimmer verlassen hatte, hatte er jegliche Grübeleien abgestellt. Er würde pünktlich sein! Er würde sich mit dem hilfsbereiten Mann und seinen Freunden treffen. Was danach geschehen würde, lag in Gottes Hand. Er wollte es nur hinter sich bringen, sehnte sich nach Klarheit, suchte nach Fakten! Und wenn Joeys Verschwinden nicht etwas mit diesen Männern zu tun hatte... dann... Als er auf die dämmernde Straße hinaustrat, hielt er nach wenigen Schritten erneut inne, blickte sich kurz um und begann in seinen Hosentaschen zu suchen. Flüchtig tastete er sie ab, ballte die Hände zu Fäusten und verdrehte die Augen. Warum zur Hölle hatte er das Handy auf den Stuhl zurückgeworfen? Er biss sich auf die Unterlippe und drehte sich zu der alten Herberge um. Er hatte seine Handy immer dabei. Weshalb sollte er es nun hier lassen? Eilig fuhr er sich durch den Schopf und faltete beide Hände hinter dem Hals. Sollte er es noch holen? Er blähte die Wangen auf, eine kühle Brise erfasste ihn. Nein... weshalb? Er blieb stehen, streifte den Ärmel seines dünnen Hemdes höher und warf einen kurzen Blick auf die Uhr. Noch eine viertel Stunde... "Wie spät ist es...?" "Mm." Daniel verlangsamte die Schritte und besah sich seine Armbanduhr. Er starrte auf das Ziffernblatt, schnitt eine Grimasse und schüttelte das Handgelenk. "Keine Ahnung. Die Uhr hat ne Macke." Brummte er und ließ die Hand zurück in die Hosentasche rutschen. "Vielleicht ist es halb sechs, oder viertel vor oder sogar schon um." Joey nickte matt. Noch immer lag seine Hand auf Daniels Schulter und sie waren seit einiger Zeit unterwegs. Steile Straßen hinauf, steile Straßen hinab, bis sich seine Knie wieder wie Gummi anfühlten und er sich nur nach einer Pause sehnte. Und das sagte er, nachdem sie um weitere zwei Ecken gebogen waren. "Können wir uns kurz ausruhen?" Hauchte er müde und Daniel blieb stehen. "Ich kann nicht mehr, will mich nur kurz setzen." "Meinetwegen." Somit zog Joey die Hand von der Schulter des Halb-Amerikaners. Dieser lehnte sich in der Zwischenzeit um die nächste Ecke und kurz darauf war ein leises Nuscheln zu hören. "Ey." Er streckte die Hand nach Joey aus, zupfte an dessen Shirt. "Die Herberge is gleich hier um die Ecke. Noch fünfzig Meter un wir sin da." "Ja...?" Kraftlos richtete sich Joey auf und Daniel drehte sich zu ihm um. "Jahaa, komm, steh auf. Die wenigen Meter schaffste noch." Der Blonde schloss die Augen, rieb sich die Stirn und brachte ein gebrochenes Nicken hervor. Weshalb das Wiedersehen hinauszögern...? Er war nicht bereit. Bereiter wurde er jedoch nicht. Schleppend kam er auf die Beine und rieb sich kurz den Bauch. Daraufhin wurde seine Hand wieder auf der Schulter platziert und in gemächlichen Schritten bogen sie um die Ecke und betraten einen kleinen unauffälligen Platz, auf dem die kleine, ebenso unauffällige alte Herberge stand. Flüchtig blickte sich Daniel um. Kurz glaubte er, jemanden in eine Gasse verschwinden zu sehen, doch er konzentrierte sich vielmehr auf die Herberge. Währenddessen flüchteten sich Joeys Augen von einer Seite zur anderen. Mit jedem Schritt wurde er nervöser. "Das, worum du mich gebeten hast." Sagte Daniel da plötzlich. "Warum willst du das?" Joey schwieg, Daniel wartete und so erreichten sie die Herberge. Lässig schob Daniel die alte Tür auf und trat in den kleinen Rezeptionsraum, hinter dessen Theke ein älterer Mann mit einer Zigarre hockte und gelangweilt in einer Zeitschrift blätterte. "Hast du schon einmal einen Menschen mehr geliebt, als dich selbst?" Flüsterte Joey beinahe lautlos, als sie durch den Türrahmen gingen. Daraufhin schwieg Daniel, nicht einmal seine Miene verriet eine Antwort und Joey zog seine Schlüsse daraus. "Dann würdest du es sowieso nicht verstehen." Murmelte er, als sie die Theke erreichten. Daniel schickte ihm einen knappen Blick über die Schulter und wandte sich anschließend entspannt an den Mann. "Verzeihung?" Sagte er in beinahe akzentfreiem Deutsch. "Ist hier ein Mann namens Seto Kaiba abgestiegen?" Der Mann blickte auf, nahm sich die Zigarre aus dem Mund und musste nicht lange überlegen. Denn zur Zeit gab es hier nur einen einzigen Besucher. Und er nickte. Joey lauschte währenddessen angespannt, seine Finger klammerten sich fester und fester in Daniels Shirt. "Ja", der Mann sah zur Tür, "aber ich war gerade eine Weile im Hinterraum. Da ist er hier durchgekommen. Weiß nicht, ob er hoch oder raus ging." Joey hielt den Atem an und schloss die Augen. >Bitte lass ihn nicht mehr hier sein.< Dachte er sich verbissen. >Ich brauche noch ein bisschen Zeit!< "Dann schauen wir einfach mal." Daniel zuckte mit den Schultern. "Welche Zimmernummer hat er?" "Die 12." Daniel nickte dankend und drehte sich um. >Bitte, Kaiba, mach nur einmal etwas richtig und sei hier!< So gingen sie auf die altersschwache Treppe zu. Unbewusst ging Joey langsamer, hielt den anderen etwas mit der Hand zurück, der sich wiederum in die andere Richtung stemmte und die Treppe hinaufstieg. >Jetzt reiß dich zusammen, Joey! Du musst ihm nicht einmal in die Augen blicken!< Die freie Hand des Blonden ballte sich langsam zu einer Faust und so erreichten sie die erste Etage. Kurz verschaffte sich Daniel einen Überblick und bog nach links, Joey folgte ihm zögerlich und etwas humpelnd. Das erste, was Daniel auffiel, war eine alte Frau, die damit beschäftigt war, den Gang zu putzen. Leise fluchend und knurrend machte sie ihre Arbeit, bekam jedoch nicht all zuviel Aufmerksamkeit. Hoffend musterte Daniel die Zimmernummern. 9, 10, 11... Als er stehenblieb, machte Joeys Herz einen entsetzten Sprung, hastig drückte sich die Hand auf den Mund und verzweifelt versuchte er den schnellen Atem zu unterdrücken. >Ich kann das nicht! Doch... doch, ich schaffe es!< Er schnappte nach Luft, biss die Zähne zusammen. >Aaah... verdammt, warum muss es gerade jetzt so abgöttisch schmerzen!< Ohne zu zögern und ohne auf Joey zu achten, hob Daniel die Hand, führte sie an das Holz heran... und klopfte. Joey hielt den Atem an und Daniel ließ die Hand sinken, wartete und lauschte. Doch hinter der Tür tat sich nichts. Nur wenige Sekunden wartete Daniel bis zu dem zweiten Versuch. Wieder klopfte er, biss sich auf die Unterlippe und verdrehte die Augen. >Komm schon, du kannst doch nicht weg sein!< >Bitte! Bitte... sei nicht da!< Und plötzlich ertönten schnelle Schritte hinter der Tür. Wieder spürte Joey einen stechenden Schmerz in der Nähe seines Herzens. Das Gefühl der Panik brach in ihm aus. Nun, da es kein Zurück mehr gab. Kaiba war da! Daniel stöhnte erleichtert auf und nur eine Sekunde später, wurde die Tür aufgerissen und ein junger Mann, der augenscheinlich mit den Nerven am Ende war, erschien im Türrahmen. "Was denn?!" Daniel hob die Augenbrauen und winkte lustlos. "Hi." Sobald Kaiba ihn erkannt hatte, hielt er in jeglichen Bewegungen inne, machte den Anschein, zu Eis erstarrt zu sein. Reglos stand er dort, starrte jedoch an Daniel vorbei. Dieser tat das Seinige dazu, trat einen Schritt zur Seite und bot Kaiba somit den völligen Anblick. Dessen Gesicht verlor binnen der kürzesten Zeit den Rest der Farbe, die geweiteten Augen waren auf Joey gerichtet, der Mund leicht geöffnet. Der Blonde unterdessen, hielt die Hände locker in den Hosentaschen, bearbeitete die Unterlippe mit den Zähnen und sah nach unten. Stockend gaben die Finger das Handy frei und als dieses auf dem Boden landete, wurde die Putzfrau auf das Szenario aufmerksam. Schlürfend drehte sie sich um und stützte sich auf den Mopp. Noch immer stand Kaiba dort wie eine Salzstatue, noch immer hielt Joey den Kopf gesenkt und kämpfte darum, einen entspannten Anblick zu bieten. Daniel lehnte sich in der Zwischenzeit seitlich gegen die Wand und verschränkte die Arme vor dem Bauch. Flüchtig sah er von einem bleichen Gesicht zum anderen. Dann holte er tief Luft. "Hab ihn heute Morgen im Wald gefunden." Murmelte er plötzlich. "Hat sich ganz schön verlaufen und hatte Glück, dass ich ma wieder unterwegs war." Kaibas Augen schienen allmählich zu brennen, also blinzelte er hastig. Und er hielt den Blick weitere Sekunden auf Joey gerichtet, bevor er langsam das Gesicht zu Daniel drehte und diesen mit der größten Perplexität und Ungläubigkeit anschaute. "Was...?" Seine Stimme war nicht mehr als ein verstörtes Hauchen. Daniel nickte bestätigend. >Seine Stimme...< Joey schluckte. >Mein Gott... das ist sie!< Kaiba klammerte sich in den Türrahmen, erweckte den Anschein, jede Sekunde zusammenzubrechen. "Nein..." "Doch." Daniel verdrehte die Augen. Erneut richteten sich die blauen Augen auf Joey und dieser zwang sich, das Gesicht zu heben. Zögerlich richtete er sich auf, pustete sich eine kitzelnde Haarsträhne aus dem Gesicht und zwinkerte. Unweigerlich fielen Kaiba die braunen Pupillen auf. Die braunen Pupillen, in denen stets ein kämpferisches Feuer geflackert hatte. Die Pupillen, die nun leer und leblos wirkten, abwesend an ihm vorbeischweiften und sich auf einen unbedeutenden Punkt richteten. Das pure Entsetzen schien Kaiba zu ergreifen. Er schnappte nach Luft, bewegte stumm die Lippen und trat wie benommen in den Flur hinaus. Joey spürte, wie sich Kaiba näherte. Er wusste es, ohne es zu sehen und kurz verlangte es ihm danach, zurückzuweichen, um möglichen Berührungen zu entgehen. Doch er blieb stehen, klammerte sich verzweifelt an die Lässigkeit. "Tja." Meinte er leise und zwang sich zu einem schmerzhaften Grinsen. "Ist ein bisschen blöd, blind durch den Wald zu rennen, nicht?" In dieser Sekunde kam Kaiba direkt vor ihm zum Stehen. Noch immer starrte er in die braunen Augen und benötigte eine lange Zeit, um die richtigen Worte zu finden, oder um überhaupt etwas sagen zu können. "Du... du hast dich verlaufen...?" Hauchte er völlig konfus, Joey spürte seinen warmen Atem auf dem Gesicht. Das Grinsen verlor etwas an Kraft. "Drei Tage lang...?" Daniel verfolgte das Geschehen aufmerksam, scheinbar in eigene Grübeleien vertieft, während sich die Omi weiterhin auf den Mopp stützte und nicht weniger interessiert wirkte. So etwas bot sich ihr nicht alle Tage. "Mm." Joey setzte eine unschuldige Miene auf. "Ich..." "Gott sei Dank!" Kaiba stieß ein lautes Keuchen aus, hob die Arme und schloss Joey in eine feste, beinahe übertrieben starke Umarmung. Der Blonde wurde regelrecht nach vorn gezogen, gegen den anderen Leib gepresst und sobald er die Arme spürte, verkrampfte sich sein gesamter Körper, der Atem stockte ihm und mit panisch geweiteten Augen starrte er ins Leere. ~*To be continued~* Kapitel 11: ... und wir schweigen --------------------------------- "Joseph... verdammt!" Mit geschlossenen Augen senkte Kaiba den Kopf, schmiegte sich an das blonde Haar und atmete genüsslich den vertrauten Geruch ein. Das Herz raste in seiner Brust, seine Finger krallten sich den Stoff des T-Shirts. Völlig erleichtert und aufgelöst spürte er Joeys Reaktion nicht, spürte nicht, wie dieser reglos verharrte, die Hände langsam zu Fäusten ballte und den Atem anhielt. >Reiss dich zusammen, Joey!< Er regte sich nicht, kämpfte dagegen an, sich gegen diese Umarmung zu wehren. Gegen die Umarmung, die er in allen anderen Fällen unbeschreiblich genossen hätte. Die Umarmung, die ihm nun nichts als Qualen bereitete und so unangenehm war, unter der er litt. >Endlich sehe ich ihn wieder! Ich weiß nicht, wie lange es her ist... ich habe ihn doch vermisst? Weshalb wünsche ich mir jetzt, er würde mich sofort loslassen...?< Er spürte ein kaltes Zittern, während Kaiba sich fest an ihn schmiegte, hob nach einem langen Zögern unentschlossen die Hand und tätschelte zurückhaltend seinen Rücken. Und sobald er dies getan hatte, löste Kaiba die Umarmung, trat zurück und packte ihn nervös an den Schultern. Joey biss sie Zähne zusammen. >Lass mich los! Bitte!< "Joseph!" Besorgt starrte Kaiba ihn an, musterte ihn flüchtig von Kopf bis Fuß und schüttelte noch immer konfus den Kopf. "Geht es dir gut?!" "Mm?" Joey blinzelte, wobei er selbst gegen eine große Verwirrung ankämpfte. "Ja... ja, alles in Ordnung." Die Putzfrau seufzte gerührt, während Daniel nur die Nase rümpfte und den Blick abwandte. "Du bist verletzt...?" Vorsichtig streifte Kaiba die Schramme mit der Hand, legte die andere auf den Nacken des Blonden und begutachtete die gerissene Unterlippe. Diese Berührungen...! Joey konnte nichts dagegen tun. Er nickte knapp, drehte das Gesicht zur Seite und wich um einen langsamen Schritt zurück. "Ist nicht schlimm." Murmelte er leise und vergrub die Hände nervös im Stoff des T-Shirts, das Gesicht dabei stets gesenkt haltend. Irritiert verzogen sich Kaibas Augenbrauen und er wollte sofort antworten, vielleicht, um zu widersprechen oder um Zweifel zum Ausdruck zu bringen, doch in dieser Sekunde begann sich Daniel zu regen. Träge löste er sich von der Wand und lenkte somit Kaibas Aufmerksamkeit auf sich. "Also, ich hau´ jetzt ab." Der Halbamerikaner erwiderte Kaibas Blick kurz und ausdrucklos, stieß ein leises Stöhnen aus und zog an den Beiden vorbei. Als würden ihn diese Worte erschrecken, zuckte Joey zusammen und blickte auf. Er wollte etwas hastiges sagen, brachte jedoch kein Wort hervor. Ganz anders Kaiba. "Daniel...?" Dieser verzog die Miene. "Hey, bleib stehen." Das Gesicht des Angesprochenen verfinsterte sich genervt. Letzten Endes tat er es jedoch und drehte sich langsam um. "Was is." Kaiba starrte ihn an, hob etwas unentschlossen die Hände und lugte knapp zu Joey, der etwas perplex dortstand und stumm die Lippen bewegte. >Er will gehen?! Ich... ich will aber wissen, was mit Lee ist! Er hat mir auf keine meiner Fragen geantwortet und will plötzlich verschwinden?! Ich werde ihn nie wiedersehen!! Doch... in Setos Anwesenheit... kann ich nicht mit ihm sprechen! Es geht nicht! Seto würde sofort Verdacht schöpfen! Soll ich schweigen und so tun, als würde mich das alles nichts angehen?!< Verkrampft presste er die Hände, seine Miene verzog sich unauffällig und er schloss die Augen. Daniel wartete ungeduldig und bald sahen sie sich wieder an. Kaiba wirkte etwas verunsichert, schien keine Worte für das zu finden, was er fühlte. Es gelang ihm nur ein einziges. "Danke." Hauchte er leise und Daniel erwiderte nichts. Er musterte ihn desinteressiert, musterte auch Joey und wandte sich unter einem leichten Schulternzucken ab. Man sah ihm kurz nach. Die Putzfrau schmatzte und verfolgte das Geschehen noch immer mit unbeschreiblichem Interesse... bis man auch auf sie aufmerksam wurde. Kaiba linste zu ihr, atmete schnell ein und schloss kurz die Augen. Er schüttelte auch den Kopf, um seine Gedanken zu ordnen und trat anschließend wieder näher an Joey heran. "Komm." Flüsterte er leise, griff sachte nach den Handgelenken des jungen Mannes und trat zurück, wobei er ihn vorsichtig mit sich zog, ihn in das Zimmer führte. In stockenden und langsamen Schritten verließ Joey den Flur, trat durch den Türrahmen und bemerkte bald, wie sich die milden Griffe lösten, hörte, wie hinter ihm die Tür geschlossen wurde, rasch und doch leise. Anschließend nahm er ein erschöpftes Stöhnen war, lauschte angespannt den Schritten, die sich ihm näherten. Kaiba zog an ihm vorbei, ihn erneut besorgt in Augenschein nehmend. Und als er vor ihm stand, besah er sich erneut die braunen Pupillen, die so leblos und starr geradeaus gerichtet waren, ohne irgendwo hängen zu bleiben. Seine Miene wurde von bloßer Schwermut befallen, als er erneut die Hand hob, sie zögerlich zu dem Gesicht des Blonden führte und eine lange Strähne zurückstreifte. Joey zwinkerte daraufhin, biss sich auf die Unterlippe und senkte die Lider. "Du siehst furchtbar aus." Kaiba wurde auf die Schrammen an seinen Armen aufmerksam, die durch das kurzähmliche T-Shirt zu sehen waren. "Du musst völlig erschöpft sein. Besser, du setz dich erst einmal hin." Somit wollte er nach einem Stuhl greifen, doch Joey schüttelte ohne zu überlegen den Kopf. "Ich stehe lieber." Verdattert hielt Kaiba in der Bewegung inne, starrte ihn an und richtete sich stockend auf. "Und mir geht es gut." Fuhr Joey mit beinahe fester Stimme fort und hob kurz die Hände. "Nur ein paar Kratzer. Und die machen mir nichts aus." Kaiba schien einjedes der Worte haarscharf zu durchdenken, stand lange schweigend dort und schien die Mimik des Blonden genau zu studieren. Er sinnierte tiefgründig, blinzelte und holte tief Atem. Und erst nach einer geraumen Zeit, schüttelte er langsam den Kopf. "Es tut mit leid, Joseph." Flüsterte er, senkte das Gesicht und rieb sich die Augen; der Blonde hob die Brauen. "Wenn ich besser auf dich Acht gegeben hätte, wäre das alles nicht passiert." Unscheinbar veränderte sich Joeys Miene, wirkte nun annähernd konzentriert und alsbald etwas skeptisch. "Und ich dachte, ich hätte dir diese ewigen Schuldzuweisungen ein für allemal ausgetrieben." Murmelte er etwas spitz, seine Pupillen wanderten zur Seite. "Es ist nun einmal... passiert..." Kaiba stemmte die Hände in die Hüften und nickte nach einem langen Zögern. "Ja...", hauchte er, "...aber zumindest ist dir nichts zugestoßen." "Mm." Joey rieb sich den Oberarm. "Mein Gott." Sich die Haare raufend, drehte sich Kaiba einmal um die eigene Achse. "Ich habe mir furchtbare Sorgen um dich gemacht und dachte, dir sei sonst etwas passiert! Ich habe mich an die Polizei gerichtet, habe das gesamte Dorf abgesucht! Und nun stehst du plötzlich vor meiner Tür...?" Er ächzte überfordert, Joey bearbeitete unterdessen die Zähne mit der Zunge, saugte an ihnen. "Ich kann es nicht fassen. Das alles erscheint mir so unglaublich unrealistisch und konfus! Ich glaubte sogar, eine sichere Fährte gehabt zu haben, dachte, du seist entführt worden!" Joey hielt in jeglichen Bewegungen inne. "Ich habe mich so auf diesen Typen konzentriert, mich verdammt verrückt gemacht und dabei hast du dich nur verlaufen!" "Auf den Typen...?" Flüsterte Joey leise. "Rick Schäfer." Antwortete Kaiba erschöpft. Stockend blickte der Blonde auf. "Ich war der felsenfesten Überzeugung, er hätte etwas mit deinem Verschwinden zu tun und wollte mich gerade auf den Weg machen, um mich mit ihm und seinen Freunden zu treffen!" "Was...?" Joeys Stimme war nicht mehr als ein entsetztes Keuchen, doch Kaiba hatte so sehr mit der Verwirrung und gleichermaßen mit der Erleichterung zu kämpfen, dass es ihm entfiel. "Joseph." Keuchte er stattdessen und verzog wehleidig die Augenbrauen. "Ich kam beinahe um den Verstand vor Sorge! Für einen kurze Zeit dachte ich sogar, ich würde dich nie wieder sehen! Ich... habe dich verdammt vermisst!" Der Blonde schloss die Augen, seine Schultern hoben und senkten sich unter einem tiefen Atemzug und er antwortete aus tiefstem Herzen. "Ich dich auch." Kaiba presste die Lippen aufeinander, starrte ihn an und schien erneut zu grübeln. "Ich habe das Bungalow verlassen, weil ich eine wage Vorahnung wegen deinen Augen hatte." Meinte er dann. "Ich habe befürchtet, dass du erblindest..." Er senkte die Stimme und Joey murmelte etwas Abstruses. "Mm... ich bin nur dumm drauf los gelaufen, habe lange gebraucht, um es zu verkraften. Aber... man gewöhnt sich daran." "Nein." Ein kurzes erschrockenes Grinsen zerrte an Kaibas Lippen. "Nein, Joseph. Gewöhn dich nicht daran... bitte. Wir kehren nach Domino zurück. Ich besorge dir die besten Ärzte... du wirst wieder sehen können, das schwöre ich!" Bei diesen Worten erwachte eine starke Sehnsucht in Joey. Es verlangte ihm danach, die Arme zu heben, sie um Kaibas Leib zu schlingen, sich an ihn zu pressen und nie wieder loszulassen. Er wollte in Tränen ausbrechen, schreien... und alles beichten. Doch neben dieser Sehnsucht existierte ein anderes, ein stärkeres Gefühl, welches er nicht überwinden konnte. Unentschlossenheit... Angst vor Kaibas Nähe. Er wollte ihn umarmen, doch sein Körper regte sich nicht, nicht einmal das unscheinbarste Zucken, auf das er die Starrheit überwinden könnte. Er blieb stehen, mit gesenkten Armen, ebenso gesenktem Kopf und schwieg verbissen in sich hinein. Er wollte nicht über das Vergangene nachdenken, wollte es verdrängen und hinter sich bringen, ohne dass Kaiba je davon erfuhr. Nein, er sollte es nicht wissen! Er sollte nie von den Empfindungen erfahren. Dem Gefühl, als ob der Körper entwei gerissen, als ob er jeglicher Freiheit beraubt wird. Das Gefühl, zu sterben, kaum atmen zu können... und dennoch bei Bewußtsein zu sein. Die fremdartigen Berührungen... Die Schmerzen... Die Demütigung... Joey wollte all dies vergessen, ohne je ein Wort darüber zu verlieren! Langsam ballten sich seine Hände zu Fäusten. "Seto...", seine Lippen bewegten sich beinahe stumm, "... ich will weg hier." Spätestens jetzt bemerkte Kaiba, wie die Stimme seines Freundes zitterte und nach einem langen Zaudern, nickte er. "Ja, wir kehren nach Domino zurück. Jetzt gleich." Joey erwiderte das Nicken knapp und Kaiba wandte sich ab. Dabei hafteten seine Augen so lange an ihm, wie es möglich war. Dann drehte er sich um, ging in stockenden Schritten zu den beiden Reisetaschen und öffnete die von Joey. Er griff in ein kleines Fach, zog Joeys Handy hervor. Und sofort sah er wieder zu dem Blonden und beobachtete ihn lange, bevor er eine Nummer wählte und das Handy behäbig zum Ohr hielt. Und während er wartete und den Rufsignal lauschte, wendete er den Blick kein einziges Mal von dem Blonden ab. Endlich wurde abgenommen und eine ebenso erschöpfte Stimme meldete sich. "Ja?" Kaiba presste die Lippen aufeinander, fixierte Joeys Miene aufmerksam. "Ich bin es." "Kaiba?!" Es klang, als würde etwas zu Boden gehen. Leises Scheppern ertönte. "Was ist los?!" Der stellvertretende Firmenchef der Kaiba-Corperation klang völlig aufgelöst und Kaiba zwinkerte, hob die Hand und rieb sich das Kinn. "Wir kommen nach Hause." Sagte er leise. "Ihr?" Eine kurze verwirrte Stille. "Kaiba, du hast Joseph gefunden?!" "Ja, er ist bei mir." "Wie hast du das geschafft?!" Verlangte Pikotto sofort zu wissen. "Was ist passiert?! Ist er verletzt?" "Verletzt?" Wiederholte Kaiba leise und Joey wandte sich lahm ab, ging wenige Schritte und blieb stehen. Auch dabei wurde er aufmerksam beobachtet und letzten Endes räusperte sich Kaiba nur leise. "Pikotto, schick den Jet los. Wir werden in zwei Stunden in Leipzig sein." "Gut." Pikotto stellte keine weiteren Fragen, schien von der plötzlichen Erleichterung ebenso übermannt, wie Kaiba. "Ich werde alles veranlassen. Der Jet wird in knapp zweieinhalb Stunden dort sein." "In Ordnung." Somit legte Kaiba auf, warf das Handy auf den Stuhl und fuhr sich müde durch den Schopf. Joey stand noch immer mit dem Rücken zu ihm, er konnte sein Gesicht nicht sehen. >Ich verstehe es nicht.< Dachte er sich verwirrt. >Das ist alles zu einfach. Ich kann nicht glauben, dass ich mir umsonst Sorgen gemacht habe! Dass er sich nur verlaufen hat, während ich dachte, man würde ihn gefangen halten!< Langsam ging er in die Knie und griff nach einer Flasche Wasser, mit der er sich gemächlich auf den Weg zu Joey machte. >Ich darf mich keinen Zweifeln zuwenden! Joseph ist wieder bei mir! Und er ist blind... das Befürchtete ist also eingetreten.< Er erreichte Joey, sprach ihn leise an und legte die Flasche in seine Hände, worauf der Blonde zögerlich und dankbar nickte. >Denk an das Positive!< Er ging zu den Taschen zurück. >Wenn ich in den letzten Tagen auch machtlos war... ich werde dafür sorgen, dass er sein Augenlicht zurückerhält! Wenn es sich um eine abgeschwächte Form der Erbkrankheit handelt, dann ist es sicher möglich. Und lieber sehe ich ihn blind, als gar nicht mehr!< Er hob die Taschen an, trug sie zur Tür. Auch er wollte dieses Dorf verlassen. Dieses Dorf... und Deutschland. Auch er wollte nur weg. >Er spricht wenig, wirkt abwesend und verunsichert. Ich weiß auf all das keine Antwort, kann mir sein Benehmen kaum erklären. Es muss die Überanstrengung sein. Die körperliche und psychische. Natürlich hat auch er unter Ängsten gelitten. Blind und einsam im Wald, ohne die geringste Orientierung, eine andere Sprache sprechend, in einer scheinbar auswegslosen Situation. Ich muss ihm Zeit lassen, seine zurückerlangte Sicherheit zu realisieren. Genau so, wie ich seine plötzliche Rückkehr verstehen muss. Es ging zu schnell, während die letzten Tage nur schleppend an mir vorbeizogen. Auch ich bin müde und überfordert, weiß nicht, was ich in seiner Gegenwart sagen soll. Seiner Gegenwart, die ich so lange vermisste und unvorhergesehen wieder genießen kann. Wir brauchen Zeit... Ja, Zeit, um zu uns selbst zurückzufinden. Zeit, um die letzten Tage und das schlagartige Glück zu begreifen. Zeit, um zu erfassen, dass sich all die Sorgen, unter denen wir litten, verflüchtigt haben. Bis ich das begriffen habe... Und bis du das begriffen hast, Joseph... Bis dahin werde ich für dich sehen. Ich werde dein Augenlicht sein, deine Führung, deine Sicherheit! Ich werde mich um dich sorgen, so wie du es bereits oft für mich getan hast. Ich werde mich für all das erkenntlich zeigen und es genießen, für dich da zu sein! Ich werde deine Ängste verjagen, die Schutz gewähren, dir Sicherheit vermitteln. Alles wird so, wie es einst war. Du musst mir nur vertrauen...< Flink öffnete Kaiba die Tür des Reisetaxis, trat zur Seite und hob die Hand, um sie auf Joeys Schulter zu legen, ihn sicher zu geleiten. Zögerlich und tastend trat dieser an den Wangen heran und schob sich hinein. Vorsichtig schob er sich über die Sitze, rutschte zum anderen Fenster und blieb dort etwas verkrampft sitzen. Währenddessen beugte sich Kaiba leicht zu ihm, legte eine warme Decke auf dem Schoß ab und richtete sich noch einmal auf, um sich an den Fahrer zu wenden, der in diesen Augenblicken ihr Gepäck im großen Kofferraum verstaute. Er schickte ihm einen kurzen Blick, zog den Mantel enger und stieg ebenfalls ein. Hinter sich schloss er die Tür, drehte sich sofort zu Joey und war diesem dabei behilflich, die Decke zu entfalten, sie über ihn zu ziehen. Sobald der Blonde seine Bemühungen spürte, zog er die Hände zurück, als wolle er selbst die kleinsten Berührungen vermeiden. Nicht darauf achten, deckte Kaiba ihn zu. Kurz darauf fuhr das Taxi an und Joey ließ sich versteift und stockend tiefer sinken, drehte das Gesicht zum Fenster und verzog es unter einem zerrenden Schmerz. Unter der Decke krallten sich die Hände in den Stoff des T-Shirts und Kaiba sah aus dem Fenster. Betrachtete sich die kleinen Häuschen, die flink an ihnen vorbeizogen. Besah sich das Dorf... Das herrliche Klassenfahrtsziel. >In diesen Sekunden könnte ich mich mit ihm treffen... mit Rick Schäfer, den ich verdächtigte. Doch auch jetzt noch, bin ich mir sicher, dass er nicht die Unschuld vom Lande ist. Nein, er führte etwas im Schilde. Ich war dazu bereit, mich überraschen zu lassen, blindlings in mein mögliches Verderben zu laufen. Was auch immer er und seine Kumpanen mit mir vorhatten. Dies alles hat mich nun nicht mehr zu interessieren. Es ist mir gleichgültig, welches dreckige Spiel sie spielen. Joseph ist bei mir. Joseph, der den einzigen Grund darstellte, weshalb ich mich für ihn interessierte. Ich muss mir keine Sorgen mehr machen. Es ist abgeschlossen und spätestens wenn wir Domino erreichen, werden wir alles hinter uns gelassen haben.< Die Fahrt war geprägt von tiefem Schweigen. Ein Schweigen, das jedoch nicht unangenehm wirkte. Vielmehr gab es die Möglichkeit, den eigenen Gedanken nachzugehen. Und die Beiden taten es auch. Während Kaiba geistesabwesend aus dem Fenster blickte, hatte sich Joey noch tiefer rutschen gelassen, sich zurückgelehnt und die Decke bis zur Nase hinauf gezogen. Seine Augen blieben beinahe die gesamte Fahrt über geschlossen und während er den Anschein erweckte, entspannt und ruhig zu sein, tobten in seinem Kopf Ängste und Sorgen. Ja, sie verließen Thüringen. Sie verließen den Ort des Grauens. Und auch wenn sie Domino erreicht hatten... er hatte es nicht überstanden, nicht hinter sich gelassen, nicht verarbeitet! Es ging gerade erst los, ohne das ein Ende in absehbarer Ferne zu sehen war. Die Panik beherrschte Joey, sein junger Leib zitterte unauffällig und seine Glieder verblieben so reglos, als wären sie gelähmt. >Ich werde wieder sehen? Werde ich das Licht der Welt wieder erblicken? Werden Ärzte mich heilen können? Und wenn... Will ich es überhaupt? Will ich mir meinen Körper betrachten? Die Wunden sehen? Es genügt, wenn ich sie spüre. Will ich... Seto in die Augen blicken? Kann ich es überhaupt? Bin ich dazu bereit? Schaffe ich es, ohne daran zu zerbrechen? Werde ich weiterhin schweigen können, wenn er mich ansieht? Wenn er mich ansieht, als wäre die Welt in Ordnung. Wenn sein Gesicht so entspannt und erfüllt von Freude ist. Als gäbe es nichts, worunter er leidet. Will ich seine Sorglosigkeit zerstören? Will ich ihn mit meinem Leiden belasten? Und werde ich die Kraft besitzen, es allein für mich zu bewahren? Ich will nicht, dass er traurig ist, will ihm nicht zeigen, nicht offenbaren, was in mir vorgeht, wie dreckig und abscheulich ich mich fühle. Ich will nicht weinen und somit sein Lachen zerstören. Ich will, dass er zufrieden ist. Ich will ihm nicht zumuten, die Wahrheit zu erfahren. Ich will, dass er zufrieden ist... Mehr nicht.< Die Helligkeit des Tages war gerade dabei, sich der Dunkelheit der Nacht zu ergeben, als das Taxi den Leipziger Flughafen erreichte. Es herrschte ein mildes Klima und auf den Parkplätzen waren nur wenige Menschen unterwegs. Geschäftsmänner, die mit ihren Aktenkoffern umhereilten, nur wenige Familien. Ruhig kam der Wagen zum Stehen und das erste Mal seit langem, begann sich Kaiba zu bewegen. Er richtete sich auf und ein weiteres Mal richtete sich sein Blick auf Joey, der reglos dortsaß, die Hälfte des Gesichtes unter der Decke verbarg und zu schlafen schien. Während der Fahrer einige Knöpfe auf einer kleinen Anzeige tippte, streckte Kaiba die Hand nach Joey aus, berührte kurz seine Schulter und sofort öffnete Joey die Augen. Übertrieben schnell richtete er sich auf. "Was?" "Wir sind da." "Wo?" Fragte Joey konfus. "Am Flughafen." Erklärte Kaiba ruhig. "In knapp einer halben Stunde wird uns der Jet abholen." Daraufhin nickte Joey heftig, räusperte sich nervös und kämpfte die Decke zur Seite. "Komm." Kaiba lächelte sanft, öffnete die Tür und trat auf den sauberen Asphalt hinaus. Etwas unbeholfen schob sich Joey über die Sitze, tastete nach draußen... und umschloss reflexartig die Hand, die ihm hilfreich entgegengestreckt wurde. Er griff einfach zu, spürte einen Gegendruck und hielt in jeglichen Bewegungen inne. Mit geweiteten Augen blieb er sitzen und Kaiba verfolgte die Reaktion mit ausdrucksloser Miene. Es schien, als müsse sich Joey zusammenreissen, als würde er sich mit wenigen entschlossenen Gedanken zu etwas zwingen. Und bevor sich Kaiba in die gewohnten Zweifel vertiefen konnte, gelang dem Blonden ein leichtes Lächeln. "Danke." Er ließ sich helfen, löste den Griff jedoch, sobald er aufrecht stand. Anschließend verbarg er die Hände in den Hosentaschen, drehte sich etwas und atmete die Luft frische ein. Keine Waldluft... Hier roch es anders. Währenddessen schlüpfte Kaiba aus dem Mantel und legte ihn vorsichtig über Joeys Schultern, der ihn sofort etwas enger zog und etwas Dankbares murmelte. In der Zwischenzeit hatte der Fahrer das Gepäck aus dem Kofferraum gehievt und Kaiba zückte sein Portmonee, um ihm daraufhin einige Scheine zu reichen. Der Mann nickte zufrieden, verabschiedete sich knapp und schlürfte zur Fahrertür zurück. "Joseph?" "Mm?" Der Angesprochene hatte den Hinterkopf in den Nacken gelegt, stand sicher und ruhig neben ihm. "Hast du Hunger? Sollen wir noch etwas essen?" Bevor er ausgesprochen hatte, wurde ihm mit einem Nicken geantwortet und nachdem sie alsbald einen Gepäckträger auf sich aufmerksam gemacht hatten, bewegten sie sich auf das Flughafengebäude zu. Zurückhaltend hatte sich Joey bei Kaiba eingehakt. Verunsichert blickte er um sich, als sie die riesige Halle mit den vielen Läden betraten. Von überall her, drangen Geräusche an seine Ohren, ohne dass er deren Quellen ausmachen konnte. Er hörte Stimmen, wieder das gewohnte unverständliche Gemenge aus den merkwürdigsten Worten. Es verwirrte ihn, jagte ihm beinahe Angst ein und doch hielt er einen beinahe übertriebenen Abstand zu Kaiba. Dieser sorgte kurz dafür, dass das Gepäck für den Abflug bereitstand, der bereits mit dem Flugpersonal des Flughafens vereinbart worden war. Wie versprochen, Pikotto hatte schnell gehandelt. ~*To be continued*~ Kapitel 12: Ein Tropfen auf den heißen Stein -------------------------------------------- Zaudernd hob Joey die Hand, ertastete den Rand des Tellers und griff nach einer Pommes. Langsam hob er sie zum Mund und obgleich er drei Tage lang so gut wie nichts zu essen bekommen hatte, hatte er keinen Appettit, würgte es vielmehr hinunter und ließ es sich auch ansehen. Etwas geduckt saß er an dem Tisch des Restaurants, bald suchte seine Hand nach dem Glas Wasser und während er auch dieses hob, drohten seine Augen beinahe zuzufallen. Er war so furchtbar müde... und Kaiba bot keinen besseren Anblick. Sterbensblass und zusammengesunken saß er Joey gegenüber, hatte den Ellbogen auf den Tisch, und die Stirn in die Handfläche gestützt. Er blinzelte erschöpft, während er seine Tasse Kaffee immer und immer wieder drehte. Joey hustete leise, schluckte schwer und rieb sich den Mund. Seine Bewegungen wirkten unsicher, das Gesicht hielt er gesenkt, als wolle er unter allen Umständen vermeiden, in Kaibas Richtung zu schauen. Während er erneut vorsichtig nach seinem Teller tastete, blickte Kaiba auf und begann ihn, wie in letzter Zeit so oft, zu beobachten. Er verfolgte die Bewegungen des Blonden lang, trank einen Schluck und unterdrückte ein Gähnen. "Und... du kommst wirklich damit klar?" Fragte er leise. "Womit." Nuschelte Joey kaum hörbar. "Mit der Blindheit." Kurz hielt Joey in jeglichen Bewegungen inne. Die Augen waren auf den Teller gerichtet, seine Finger zogen eine weitere Pommes hervor. "Geht schon." Er räusperte sich leise und aß. Kaiba antwortete mit einem lahmen Nicken, rieb sich die Stirn und kämpfte sich in eine aufrechte Haltung. Er hatte sich mit einem Kaffee begnügt und warf nun einen Blick auf die Uhr. "Der Jet wird gleich hier sein." Daraufhin ließ Joey die Hand sinken; beinahe unberührt stand der Teller vor ihm. Sein Körper hatte sich an wenig gewöhnt, mehr bekam er in diesem Augenblick nicht hinunter. Kaiba wartete kurz. "Wollen wir?" Ein stummes Nicken genügte als Antwort und so legte Kaiba einen Schein auf dem Tisch ab und kam auf die Beine. Auch Joey stand auf, tastete sich an dem Stuhl entlang und spürte kurz darauf, wie Kaiba vor ihm stehen blieb. "Komm." Zögerlich hob Joey die Hand, ertastete den Arm und hakte sich ein. Somit verließen sie das Restaurant und durchquerten die große Halle. Kaiba konzentrierte sich auf das Personal, schenkte Joey somit keine Beachtung und sah nicht, wie der Blonde die Lippen aufeinander presste. Hinzukommend hielt er stets den Kopf gesenkt, um kein Auffallen zu erregen. Kaiba wollte nur zu dem Jet, wollte nur nach Domino und so begann die Reise nach einer kurzen Wartezeit. Flink wurde das Gepäck in der kleinen Luke des Flugzeuges verstaut, langsam traten die beiden Passagiere ein und ohne Verzögerung, hob der Jet ab. Es war ein befreiendes Gefühl, den deutschen Boden nicht mehr zu berühren, zu wissen, japanische Luft atmen zu können, wenn der Jet landete. Joey und Kaiba waren die einzigen in der luxuriösen Kabine. In einer großen Sitzecke bereitete Kaiba ein Lager für seinen Freund vor. Schnell waren einige Sitze zurückgeklappt, schnell ein gemütliches Bett kreiert. Auch warme Decken waren problemlos aufzutreiben und Joey legte sich hin, ohne auch nur ein Wort zu verlieren. Kraftlos rollte er sich zur Seite und wurde kurz darauf zugedeckt. Behutsam zog Kaiba die Decke über seine Beine, zog ihm sogar die Schuhe aus und kontrollierte kurz, ob alles beim rechten war. Es schien so. Sobald Joey gelegen hatte, hatten sich seine Augen geschlossen und wenige Sekunden später, schien es, als würde er bereits tief und fest schlafen. Völlig entkräftet und müde, war nicht nur er dringend auf Erholung angewiesen. Auch Kaiba sah aus, als könne er kaum noch stehen. Dennoch hielt er sich aufrecht, stemmte die Hände in die Hüften und betrachtete sich den Blonden, der in diesen Sekunden so friedlich und unbesorgt dort lag. Nach wenigen Minuten, kauerte er sich vor den Sitzen auf den Boden, verschränkte die Arme auf dem weichen Polster und bettete das Kinn auf den Unterarmen. So saß er entspannt und konnte Joeys Gesicht ohne Anstrengungen ansehen. Beinahe abwesend schweiften seine Augen über die blasse Haut, die geschlossenen Lider, die Schrammen, die dunkel hervorstachen und die rauhen Lippen... Zu lange hatte er diesen Anblick missen müssen. Nun jedoch hatte er Zeit und dennoch übermannte ihn alsbald die Müdigkeit. Sein Gesicht sank hinab, verbarg sich zwischen den Armen und nahe bei Joey, schlief er ein. Doch während des gesamten Fluges blieb es nur bei einem Schlafenden. Es war tief in der Nacht, als der Jet auf Dominos Flughafen landete. Im Gegensatz zu Deutschland, war dieser zu dieser späten Stunde noch viel begangen. Überall saßen Menschen in den Cafes, überall gingen sie ihrer Wege und so fielen die beiden jungen Männer, die in müden Schritten auf den Ausgang zusteuerten, nicht auf. Auf dem Parkplatz stand bereits die Limousine und so konnten sie den Rest des Weges ohne langes Warten oder sonstige Anstrengungen bewältigen. Die Fahrt verlief ruhig, keine Worte wurden gewechselt. Auf der Fahrt, direkt in das Krankenhaus. Es war beinahe elf Uhr, als die Limousine auf dem beleuchteten Parkplatz hielt, als sich eine Tür öffnete und sich Kaiba ins Freie schob. Auch der Chauffeur stieg aus, doch seine Hilfe wurde nicht benötigt. "Warten Sie hier." Murmelte Kaiba nur, bevor er sich Joeys Arm über die Schulter zog und mit ihm auf den Eingang des Krankenhauses zutrottete. Vorsichtig und dennoch sicher, hatte er den Arm um seinen Rücken gelegt und stützte ihn, während sie das Gebäude betraten. Sogleich blickte sich Kaiba suchend um. Hier und da eilten Ärzte von einer Tür zur anderen und erst als Kaiba einen von ihnen rief, blieb er stehen und eilte näher. Schnell war das Anliegen geäußert und nach einem kurzen Überlegen, bot der Arzt an, Joey erst einmal zu stationieren. Es war nicht schwer, dessen Zustand zu erahnen und so sollten die Untersuchungen bis zum nächsten Tag warten. Während sich Kaiba mit dem Arzt unterhielt, schwieg Joey, tat annähernd so, als ginge es nicht um ihn. Doch in seinem Kopf rasten die Gedanken. Er wollte nicht wieder in dieses Krankenhaus... er verabscheute es, verband schreckliche Erinnerungen mit diesem Ort. Er wollte nach Hause, wollte schlafen. Doch bevor er sich versah, stand er mit Kaiba und dem Arzt im Fahrtstuhl. "Wie geht es dir?" Hörte er Kaibas Stimme und hob etwas den Kopf. Was sollte er denn sagen? Dass er Schmerzen hatte? Dass es ihm abscheulich ging? Nach einem langen Schweigen antwortete er mit einem knappen: "Geht schon." Nach kurzer Zeit erreichten sie so ein freies Zimmer und Kaiba war ihm dabei behilflich, sich auf eines der Betten zu setzen. Der Brünette selbst, legte die Hände auf seinen Knien ab und musterte ihn ein weiteres mal tiefgründig und besorgt. "Leg dich hin und schlaf noch ein bisschen." Bat er leise und Joey nickte langsam. "Morgen früh werden die Untersuchungen beginnen. Und bis spätestens Morgen Mittag werde ich einen Augenspezialisten gefunden haben, der dir weiterhelfen wird." Die Augen waren in diesen Sekunden das kleinste Problem. Nein, Joeys Gedanken richteten sich nun vielmehr auf eine andere Sache und so nahm er Kaibas Worte kaum wahr. Abwesend starrte er nach unten, seine Schultern hoben und senkten sich unter einem schwermütigen Atemzug und Kaiba rieb seine Schulter. "Mach dir keine Sorgen, ja? Wir bekommen das hin." Somit wandte sich Kaiba langsam ab. "Ich vertraue in Ihnen an." Sagte er zum Arzt und dieser nickte sofort beschwichtigend. "Wir werden uns um ihn kümmern." "Gut." Kurz rückte sich Kaiba den Mantel zurecht, schickte Joey einen letzten abschätzenden Blick. "Ich werde deinem Vater noch heute Bescheid geben." Versprach er. "Und ich komme Morgen früh sofort zu dir." Joey reagierte nicht und so presste er die Lippen aufeinander, holte tief Atem und steuerte in schlürfenden Schritten auf die Tür zu. Im Rahmen blieb er erneut stehen, drehte sich und machte den Anschein, als wolle er noch etwas loswerden. Kurz stand er da, suchte scheinbar nach Worten und schüttelte letzten Endes nur den Kopf. Mit geschlossenen Augen verharrte Joey in der Haltung, lauschte den Schritten im Gang und begann sich erst zu regen, als er die Stimme des Arztes hörte. "Du siehst sehr erschöpft aus. Ich bringe dir noch ein sauberes Hemd und dann kannst du etwas schlafen." Somit wollte auch er gehen, doch Joey blickte auf. "Doktor?" "Ja?" Der Angesprochene blieb stehen. Unauffällig rutschten die Hände des Blonden unter die Decke, die Finger vergruben sich in dem Laken und erst nach einem schweren Schlucken, fuhr er fort. "Könnten Sie... Doktor Johnson zu mir schicken?" "Johnson?" Joey nickte und der Arzt grübelte kurz. "Ja, natürlich. Er dürfte noch da sein." Mit diesen Worten ging er und Joey hockte allein in dem sterilen kahlen Raum. Zusammengesunken verblieb er einige Sekunden reglos. Erst dann schlüpfte er aus den Schuhen, schob sich stockend nach hinten und tastete nach der Decke. Er wirkte etwas nervös, als er wieder sitzen blieb, die Decke gegen den Leib presste und sie mit seinen Armen umschloss. Unruhig schweiften seine Pupillen von einer Seite zur anderen und außer seinem Atem herrschte völlige Ruhe. Die anderen Patienten schienen bereits zu schlafen und nur wenige Ärzte waren in dieser Etage unterwegs. >Warum läuft alles immer so verdammt beschissen.< Er ließ das Gesicht sinken, vergrub es etwas in der Decke und schloss die Augen. Bald hörte er wieder Schritte und richtete sich auf. Die Geräusche näherten sich schnell, wirkten etwas hektisch. Wer, außer Dr. Johnson könnte es sein? Angespannt starrte Joey in die Richtung der Tür, durch die ein etwas älterer Mann das Zimmer betrat. "Joey?" Ertönte sogleich die bekannte Stimme und das Gesicht des Blonden schien sich etwas zu entspannen. "Doktor?" "Mein Gott." In seiner hastigen Art, trat Johnson an das Bett heran und musterte seinen Patienten mit geschultem Blick. "Habe ich dir nicht gesagt, dass ich dich hier nicht noch einmal sehen will?" "Mm... sorry." "Du bist erblindet?" Johnson weitete entsetzt die Augen, zog kurz darauf eine kleine Lampe hervor und beugte sich zum Blonden. "Lass mich mal sehen. Woran liegt es? Hast du schon einen Verdacht? Das kann doch nicht sein." "Doktor." Joey zog eine Grimasse, neigte sich etwas in die andere Richtung und hob die Hand, um den tatfreudigen Mann zurückzuhalten. Johnson ließ die Lampe sinken und Joey räusperte sich leise. "Es geht um etwas völlig anderes." "Noch etwas?" Johnson hörte sich empört an. "Was hast du wieder gemacht?" "Das will ich Ihnen ja erklären." Nuschelte Joey müde und presste die Decke wieder an sich. "Gut." Somit schien sich Johnson etwas zu beurhigen. Er ließ die Hände in den Taschen seines weißen Kittels verschwinden, konnte es jedoch nicht unterlassen, Joeys Augen anzuschauen und bereits nach Ergebnissen zu suchen. Der Blonde schwieg, rutschte etwas umher und und runzelte die Stirn. Unterdessen zog Johnson einen kleinen Block hervor und machte sich einige Notizen. Und Joey suchte nach Worten, schien seine Schwierigkeiten zu haben und faltete letzten Endes nervös die Hände ineinander. "Kann ich mich auf Ihre ärztliche Schweigepflicht verlassen?" "Natürlich." Johnson grübelte kurz, fügte den Notizen noch etwas hinzu und ließ kurz von dem Block ab, um den Patienten erneut zu beobachten. Dieser leckte sich kurz über die Lippen, senkte die Lider und atmete tief durch. "Ich will... dass Sie mich auf Aids untersuchen." "Mm." Johnson nickte beschäftigt und schrieb weiteres auf den Block. Er schrieb zwei Wörter, dann wurde seine Hand langsamer und er machte den Anschein, zu Eis erstarrt zu sein. Nur stockend richtete er sich auf und starrte den Blonden entgeistert an. "Wie bitte...?" "Sie haben richtig gehört." Joey schloss die Augen und Johnson verlor auch das letzte Interesse an dem Block. Beiläufig warf er ihn auf den kleinen Nachttisch und neigte sich langsam zu Joey. "Aids...?" Hauchte er entrüstet. "Wie kommst du darauf... Joey?" "Darum geht es." Hauchte Joey beinahe lautlos. "Darüber müssen Sie schweigen." Als wäre er benommen, hockte sich Johnson auf die Kante des Bettes. Ihm gelang nur ein zögerliches Nicken. "Alles, was zwischen Arzt und Patient besprochen wird, bleibt geheim." Meinte er etwas heiser. "Der Mensch, der es am wenigsten erfahren darf, ist Seto." Fuhr Joey leise fort. "Sie müssen unter allen Umständen Stillschweigen wahren. So sehr er auch stochert und fragt. Nicht einmal Andeutungen, um mehr bitte ich nicht. Ebenso wenig darf der Test in den Krankenakten auftauchen." "Joey." Johnson kratzte sich nervös am Hals. "Was ist passiert...?" Der Blonde kroch etwas in sich zusammen, verschränkte de Arme fester und zog die Nase hoch. "Ich wurde vergewaltigt." Flüsterte er. "Und Sie sind der Einzige, der es weiß und je wissen wird." "Was...?" Johnsons Augen weiteten sich. "Wie... wie konnte das passieren?" Joey schüttelte matt den Kopf. "Ich weiß es selbst nicht... es ging alles zu schnell." "Und es wurde nicht verhütet?" Das Gesicht des Arztes verlor an Farbe und ein knappes Kopfschütteln brachte die Antwort. "Wie zur Hölle konnte es zu so etwas kommen?!" Johnson wiederholte das Kopfschütteln ungläubig und die Miene des Blonden verzog sich leidend. "Bitte stellen Sie keine Fragen, ja? Es ist passiert und ich kann nichts mehr daran ändern. Führen Sie nur den Test durch und bringen Sie mir Gewissheit." "Joey...", Johnson räusperte sich, "das geht nicht." "Was?" "Adis ist frühestens sechs bis acht Wochen nach der Infektion durch Blutuntersuchungen nachzuweisen." "Wie bitte...?" Stockend richtete sich Joey auf, entsetzt suchten die Pupillen nach dem Doktor. "Heißt das... ich muss zwei Monate warten, bis ich Bescheid weiß??" Johnson seufzte, beugte sich nach vorn und rieb sich die Stirn. "Kurz nach der Infektion kommt es zur HIV-Erkrankung, die ähnlich einer Grippe verläuft und von selbst abklingt. Es folgt ein krankheitsfreies Intervall von mehreren Jahren bis Jahrzehnten. Trotzdem vermehrt sich das Virus in dieser Zeit weiter und zerstört die Immunzellen. Somit beginnt die Krankheit zu wirken. Der Test, den wir jedoch nach knapp zwei Monaten durchführen können, wird entweder keine Auffälligkeiten, oder eine deutliche Abnahme dieser Immunzellen im Blut zeigen. Erst dann haben wir Gewissheit." Er rieb sich die Stirn weiter, ächzte erschöpft und schüttelte den Kopf. Joey hatte sich kaum bewegt, starrte noch immer in seine Richtung. "Es bleibt uns nichts anderes übrig, als die Ungewissheit, Joey." Der Blonde schnappte nach Luft. >Das überlebe ich nicht!< "Es ist alles in Ordnung." Erschöpft ließ sich Kaiba in den gemütlichen Sessel fallen und streckte die Beine von sich. Neben ihm, an der Kante des Schreibtsiches, lehnte Pikotto. "Es geht ihm also gut?" Kaiba nickte und griff nach einem kleinen Kästchen, um sich eine Zigarette zu gönnen. Entspannt zog er sich einen Klimmstengel, klemmte ihn zwischen die Lippen und bekam sofort Feuer. "Ich habe mir sinnlos den Kopf zermartert." Kaiba schloss die Augen, genoss diese Erleichterung, die sorglosen Sekunden, in denen er sich endlich wieder zurücklehnen konnte. "Ich habe wohl eine zu ausgeprägte Fantasie, dachte an Entführungen und Gefangenschaft. Dabei hat er sich im Wald verwirrt." Ein sarkastisches Grinsen zog an den hellen Lippen des Geschäftsmannes und ein amüsiertes, jedoch erleichtertes Kopfschütteln folgte, Pikotto verdrehte die Augen. "Schon etwas ungewohnt, dass alles so ein glimpfliches Ende nimmt, hm?" "Mm." Kaiba fuhr sich entspannt durch den Schopf. "Er ist noch etwas schweigsam und unruhig. Sicher leidet er sehr unter der Blindheit." Ein kurzes Schweigen. "Ich wäre am liebsten bei ihm geblieben und hätte ihm Gesellschaft geleistet, doch ich muss noch einige Telefonate führen. Außerdem wartet ein kleiner Junge auf mich." Er lächelte, nahm einen langen Zug und blies den Rauch durch die Nase. Pikotto brannte sich eine Zigarette an und so verblieben die beiden erneut schweigend. Pikotto rauchte, Kaiba grübelte und nach wenigen Sekunden, richtete sich der Brünette auf. "Außerdem muss ich einen erfahrenen Augenspezialisten aufsuchen." Murmelte er grüberlisch und zog einen Notizblock zu sich. "Die Ärzte im Krankenhaus sind gut, aber sie kennen sich nur im Allgemeinen aus. Und bevor Joseph etwas hört, das nicht stimmt, kümmere ich mich lieber selbst darum." Pikotto nickte verständnisvoll, ließ die Zigarette sinken und sah durch die Fensterfront in die tiefe Nacht hinaus. Auch er grübelte kurz. "Joseph hat mir erzählt, auch seine Schwester hätte unter der Erbkrankheit gelitten." "Mm." Kaiba nickte beschäftigt. "Weshalb wendest du dich nicht gleich an den Arzt, der sie behandelt hat?" Kaiba hielt inne, runzelte die Stirn und blickte auf. "Du hast recht, das werde ich machen." Flink tippten seine Finger über das Notizblatt. "Welches Krankenhaus war das noch?" "Das kann ich ebenso gut herausfinden, wie du." Pikotto löste sich von dem Tisch, schlug seinem Chef kurz auf die Schulter und grinste. "Du solltest dich erst einmal um Mokuba kümmern. Er hat sich große Sorgen gemacht." >Zwei Monate??< Joey kroch in sich zusammen, winkelte die Beine an und umschlang die Knie mit den Armen. Auch das Gesicht ließ er hinabsinken und ein erschöpftes Ächzen ertönte. >Ich soll zwei Monate warten?? Zwei Monate voller Ungewissheit und Schweigen gegenüber Seto?? Ich soll ihm nicht nur verheimlichen, was binnen der drei Tage wirklich passiert ist... sondern auch, dass ich vielleicht Aids habe??< Verkrampft schoben sich die Hände in den blonden Schopf, wo sie sich zu zitternden Fäusten ballten. >Spätestens wenn die Ergebnisse positiv sind, muss ich es ihm sagen! Und wenn sie negativ ausfallen...? Soll ich trotzdem weiterschweigen??< Die Zähne begannen die Unterlippe zu bearbeiten, bissen zu, bis es schmerzte. >Falls ich wirklich infiziert bin... was bringt es mir dann, wieder sehen zu können?! Ich will das nicht! Ich will nicht in die Gesichter derer blicken, die sich sorgen und dennoch belogen werden! Ich will mich einschließen, will niemanden bei mir haben!!< Langsam legte sich Kaibas Hand auf die Klinke, langsam drückte er sie hinab und öffnete die Tür. Er betrat ein großes Zimmer, welches beinahe in der völligen Dunkelheit lag. Nur eine kleine Nachtlampe brannte in einer Ecke und vermittelte dem Raum einen angenehmen Schein. Sogleich richteten sich die blauen Augen auf ein großes Bett, in dem, von Decken umschlungen, einen hellblauen Schlafanzug tragend, ein kleiner Junge lag und laut scharchte. Den Blick fest auf ihn fixiert, trat Kaiba in leisen Schritten näher, betrachtete sich seinen kleinen Bruder und ließ sich vorsichtig neben ihm auf der Bettkante nieder. Ein weiches Lächeln umspielte süß seine Mundwinkel, als der kleine Junge leise grunzte und sich wie ein Igel zusammenrollte. Und sobald Mokuba wieder still lag, hob Kaiba die Hand, streifte ein paar lange Haarsträhnen zurück und besah sich das kleine Gesicht, das so sorglos und entspannt wirkte, das kleine Gesicht, das er ebenso vermisst hatte. Vorsichtig streifte die Hand die Stirn des Jungen und nachdem er kurz seinen Schopf getätschelt hatte, neigte er sich über ihn, griff nach der verwurschtelten Decke und zog sie wärmend über den Jungen. Fürsorglich zog er sie bis über die Schultern, griff auch nach einem Plüschbären und setzte ihn neben dem Kissen hin. Anschließend erhob er sich, berührte kurz Mokubas Schulter und drehte sich um. Leise verließ er den Raum, trat in den breiten Flur hinaus und steuerte auf sein Arbeitszimmer zu. >Wenn ich doch wenigstens wüsste, was mit Lee ist!!< Joey presste die Lippen aufeinander. >Wäre Daniel Ray doch nicht ohne die geringste Erklärung gegangen! Lee... wie geht es dir? Was tust du in diesem Augenblick...? Hast du wieder Schmerzen? Du musst es gewesen sein, der mich befreit hat! Ich bin mir sicher, wie könnte es anders sein? Verdanke ich dir meine zurückgewonnene Freiheit? Hast du mich vor dem gerettet, das du seit drei Jahren durchmachst? Hast du mich vor der Hölle bewahrt? Bist du noch tiefer in ihr versunken, indem du es getan hast...? Weshalb?? Anfangs wirktest du so unbeteiligt, so gleichgültig meiner Situation gegenüber. Und doch hast du alles getan, um mich zu verteidigen. Doch um welchen Preis??< Der junge Körper erzitterte unter einem verkrampften Schluchzen. >Lee... wo bist du?!< Entspannt ließ sich Kaiba in den gemütlichen Stuhl fallen, atmete tief kurz durch und griff kurz darauf nach einem Telefon. Nachdem er kurz in einem Notizbuch geblättert hatte, wählte er eine Nummer, hob den Hörer zum Ohr und räusperte sich leise. Anschließend lauschte er dem Rufsignal und alsbald wurde abgenommen. "Charles? Hier ist Kaiba." Meldete er sich und lauschte kurz. "Ja, es tut mir leid, dass ich dich noch so spät anrufe... es geht um Joseph." Wieder schwieg er kurz, hörte zu und nickte. "Ja, es ist etwas passiert... was? Nein, er wurde nicht angeschossen. Nein, auch nicht entführt. Es geht um die Erbkrankheit, unter der auch Serenity zu leiden hatte. Ja...", er nickte langsam, "ja genau, auch er ist erkrankt. Mm... Vorkehrungen...? Nun, er... er ist bereits erblindet." Er schien unterbrochen zu werden, biss sich auf die Unterlippe und verzog anteilnehmend das Gesicht. "Beruhige dich... Charles. Es ist so, es scheint sich nur um eine abgeschwächte Form dieser Krankheit zu handeln. Es trat binnen kürzerer Zeit ein und... nein, er ist jetzt im Krankenhaus. Ja, genau in dem. Aber ich glaube nicht, dass wir uns Sorgen machen sollten. Was? Nein, es ist eine Ahnung, deren ich mir sicher bin. Sag mal, kennst du den Namen des Arztes, der Serenity behandelt hat? Ja genau, ich werde mich mit ihm in Verbindung setzen. Er scheint sich auszukennen." Kaiba griff nach einem Notizblatt, ebenso nach einem Stift. "Doktor Newcallen, aha. Ja, das Krankenhaus kenne ich. Ich werde ihn sicher für Joseph gewinnen können und dafür sorgen, dass er gleich morgen mit den Untersuchungen beginnt. Charles, ich denke, nein, ich weiß, dass er ihn heilen kann. Ja." Er sprach weiterhin mit Joeys aufgebrachtem Vater und versuchte ihn zu beruhigen, was nur schwerlich gelang. Nach knapp fünf Minuten, erkundigte sich Cahrles nach dem Befinden seines Sohnes, doch da konnte Kaiba ihn erneut beruhigen. "Es geht ihm gut." Sagte er. "Er ist noch etwas verunsichert, aber das wird sich legen. Ja, natürlich, ich kümmere mich um ihn." Wieder schwieg er kurz. "Wenn du kannst, kannst du natürlich nach Domino zurückkommen. Joseph freut sich sicher über Besuch." >Am liebsten würde ich mich irgendwo verkriechen!!< Stockend richtete sich Joey auf, sein Gesicht war gerötet, seine Augen glasig. >Ich will niemanden sehen! Nur so halte ich dieses Schweigen durch!< So verging die Nacht. Einige konnten sie genießen. Wie zum Beispiel ein junger Geschäftsmann, der endlich seit langem einen ruhigen Schlaf finden konnte. Nachdem er Pikotto angerufen, und ihm den Namen des Arztes gesagt hatte, hatte er sich sofort hingelegt und war binnen der kürzesten Zeit eingeschlafen. Andere jedoch, taten kein Auge zu und quälten sich durch die finsteren Stunden. Die Nacht schien kein Ende zu nehmen, ebenso die Dunkelheit. So kauerte Joey während der gesamten Nacht auf seinem Bett, kämpfte mit Ängsten und grausamen Fantasien und konnte sich nicht von ihnen lösen. Müde und erschöpft wie er war, nahmen diese Fantasien und Ängste unbeschreibliche Ausmaße an und Stunde um Stunde kroch er in sich zusammen, versuchte zu verdrängen, sich selbst zu belügen. Doch niemand wusste besser als er, wie die Dinge standen. Niemand wusste besser, was zu tun, und was zu verhindern war. Niemand litt unter solch einer Verzweiflung, wie er... Es glich einer Ewigkeit, bis Geräusche im Flur dem Blonden verrieten, dass die Nacht vorbei war. Für ihn war es immer finster, das Licht des Tages konnte er nicht sehen, die warmen Sonnenstrahlen, die durch das Fenster fielen, spürte er nicht. Sein Körper fühlte sich taub an, seine Augen brannten und sein Gesicht wirkte leichenfahl. Mit den Kräften war er am Ende und als sich die Tür öffnete, reagierte er kaum darauf. Langsam trat Johnson an das Bett heran und räusperte sich leise, um Joey auf sich aufmerksam zu machen. Nur stockend drehte dieser das Gesicht zu ihm und murmelte etwas Verworrenes. "Guten Morgen." Johnson lächelte etwas kraftlos. "Hast du etwas Schlaf gefunden?" Matt schüttelte Joey den Kopf und Johnson reichte ihm einen Becher mit Saft, den er ihm mitgebracht hatte. "Wie spät ist es." Nuschelte Joey, als er nach dem Becher tastete. "Um neun." Somit hockte sich Johnson zu ihm auf die Bettkante, besah sich kurz die braunen Augen und wartete, bis Joey einige Schlucke genommen hatte. "Es ist so." Sagte er dann. "Heute Morgen um sechs Uhr erhielten wir einen Anruf von einem Augenspezialisten namens Newcallen, der uns seine Hilfe angeboten hat." "Newcallen?" Joey hielt in den Bewegungen inne. "Ja, kennst du ihn?" "Weiß nich..." Joey zuckte mit den Schultern und ließ den Becher sinken. "Jedenfalls wird er in einer Stunde hier sein, um deine Augen zu untersuchen. Wir sind über seine Unterstützung sehr erfreut, er soll der Beste in ganz Domino sein." "Ach." Abwesend kratzte sich Joey am Arm. "Wir erhielten auch drei andere Anrufe." Erzählte Johnson weiter. "Zuerst rief Kaiba an und meinte, dass er erst gegen Mittag hier sein, und dich besuchen kann. Anschließend erhielten wir einen Anruf von deinem Vater, der sich nach deinem Wohlergehen erkundigte. Ebenso soll ich dir von ihm ausrichten, dass er seine Arbeit unterbricht und morgen wieder in Domino ist, um nach dir zu schauen." Joeys Miene zeigte keine Regung, es wirkte sogar so, als wäre er über diese Nachrichten alles andere als erfreut. Trübe starrte er vor sich auf die Decke. "Und." Johnson hob den Zeigefinger. "Ebenso hat ein gewisser Devlin angerufen und sich einfach so erkundigt, ob du zufällig wieder hier im Krankenhaus bist." "Mm...?" Joey blinzelte. "Du wirst in der nächsten Zeit also viel Besuch bekommen." Somit tätschelte Johnson vorsichtig seine Schulter und kam auf die Beine. "Bis Doktor Newcallen hier ist, würde ich gern eine andere Untersuchung durchführen. Es geht um die gewisse Sache. Du bist sicher verletzt. Hast du Schmerzen?" Joeys Schultern hoben und senkten sich unter einem tiefem Atemzug und nach einem langen Schweigen, nickte er. "Gut, wir wollen nur kurz schauen, wie du davongekommen bist. Es wird nicht wehtun. Du musst keine Angst haben." >Angst...?< Träge begann sich Joey zu regen, zog die Decke bei Seite und schob sich zur Kante des Bettes. >Von der habe ich langsam genug.< "Warum liegt Joey wieder im Krankenhaus?" Erkundigte sich Yugi besorgt, als er neben Tristan, Tea und Bakura durch die Straßen schlenderte. Tea seufzte, sie hatte einen Blumenstrauß gepflückt. "Hoffentlich ist es nichts Ernstes." "Was wusste Duke, was wir nicht wussten." Grübelte Tristan. "Plötzlich ruft er an und sagt, dass Joey im Krankenhaus liegt. Woher wusste er das?" Bakura kratzte sich am Bauch und Yugi seufzte noch trauriger als Tea. "Hoffentlich geht es ihm gut." "Wo wir gerade von Duke sprechen." Sagte Tea. "Warum kommt er nicht gleich mit?" Tristan blähte die Wangen auf. "Er meinte, er hätte noch etwas zu erledigen." Über den Schreibtisch gebeugt, saß Kaiba in seinem Büro, überflog einige Unterlagen und warf immer wieder Blicke zur Uhr. Newcallen war jetzt seit einer Stunde im Krankenhaus bei Joey. Sicher würden die Untersuchungen nicht mehr lange dauern und er war nervös, hoffte inständig, dass seine Ahnung zutraf. In wenigen Minuten würde er sich auf den Weg machen, um sich nach den Ergebnissen zu erkundigen, vorrausgesetzt, die Tests waren bereits ausgewertet. Er biss sich auf die Unterlippe, drückte die Zigarette im Aschenbecher aus und lehnte sich zurück. Heute Morgen hatte er gemeinsam mit Mokuba gefrühstückt und ihn anschließend zur Schule gefahren. All das fühlte sich nach einem normalen Alltag an und wenn die Untersuchungen positiv ausgingen und es hieß, dass Joey bald wieder sehen könnte, dann gab es nichts mehr, worum sich Kaiba sorgen musste. Ja, dann wäre alles wieder beim Besten. Er atmete tief durch, schloss kurz die Augen und rieb sich das Gesicht. Und nach einem weiteren Blick zur Uhr, beschloss er, aufzubrechen. Er war aufgeregt, hielt es nicht länger aus. Er wollte Ergebnisse, er wollte Gewissheit! Somit erhob er sich, schlüpfte in seinen Mantel und steuerte in gemächligen Schritten auf die Tür zu. Draußen war es ein herrliches Wetter. Die Sonne strahlte warm und es rief geradezu nach einem Spaziergang. Er griff nach der Klinke und öffnete die Tür, völling in Gedanken versunken, trat er durch den Türrahmen. Vielleicht könnte er Joey für einen Spaziergang begeis... Als er aufblickte, erkannte er plötzlich eine geballte Faust, die auf sein Gesicht zuraste, ihn traf und zurückschmetterte. Er stolperte nach hinten, verlor kurz das Gleichgewicht und richtete sich sofort auf, sobald er halbwegs sicher stand. Doch bevor er sich besinnen konnte, schlugen sich zwei Hände in den Kragen seines Mantels und er wurde von einem rasenden jungen Mann zurückgedrängt. "Du gottverdammtes Arschloch!!" Duke war außer sich, als er Kaiba zurückstieß. Dieser war zu perplex, um sich gegen den festen Griff zu wehren, kam nicht einmal dazu, etwas zu sagen. "Treibst du wieder dein beschissenes Spiel mit uns?!! Ich habe es geahnt!!" Sie erreichten den Schreibtisch. Wutentbrannt rammte Duke den Brünetten gegen dessen Kante, trat an ihn heran und verengte die Augen. Sein Atem raste, während Kaiba ihn nur konfus anstarrte. "Da fährt die Klasse in aller Seelenruhe nach Hause und hat keinen Grund, sich Sorgen zu machen! Neeein!" Duke schüttelte aufgebracht den Kopf. "Die kleine harmlose Migräne geht bald vorbei und Joey ist längst im Krankenhaus, nicht wahr?? Aber merkwürdigerweise wusste das Krankenhaus nichts von so einem Patienten, als ich am Tag unserer Rückkehr angerufen habe!!" Kaiba wollte antworten, doch über seine Lippen kam kein Ton und er setzte sich noch immer nicht zur Wehr. Duke klammerte sich an ihn, biss die Zähne zusammen und keuchte. "Und plötzlich erblindet er?? Durch eine Migräne??? Du verfluchter Scheißkerl hältst es wohl nicht für nötig, irgend ein Wort zu sagen, uns aufzuklären!! Was soll der Mist??! Wir haben ebenso ein Recht, uns Sorgen um Joey zu machen, wie du!! Hör auf, ihn für dich allein zu beanspruchen, seine Angelegenheiten nur als deine Angelegenheiten anzusehen!!" Kurz lockerte Duke die Fäuste, seine grünen Augen musterten die Blauen brennend und scharf. "Ich dachte, du hättest es gelernt, aber das hat mir das Gegenteil bewiesen!! Was zur Hölle denkst du dir, kannst du mir das mal verraten?!!" Somit ließ er Kaiba los, entfernte sich einen Schritt von ihm und holte zitternd Atem. "Was geht nur in deinem Kopf vor?!" Er zog eine verächtliche Grimasse. "Ich sollte mich in Zukunft nicht mehr auf dich verlassen und mich selbst um Joey kümmern, falls etwas passiert!! Wenn du es tust, geht wieder irgend etwas hinter meinem Rücken ab und ich erfahre die Wahrheit erst durch einen Zufall!! Was denkst du, wie ich mich dabei fühle?!" Duke war völlig aufgelöst. Er schrie und gestikulierte mit den Händen. Und Kaiba schwieg. "Hast du auch nur die geringste Ahnung, was du uns damit antust??" Somit verstummte er, ballte die Hände zu Fäusten und fixierte Kaiba mit funkelnden Augen. Sein Atem raste noch immer, seine Zähne bissen aufeinander und in dem Büro herrschte Stille... bis er nach wenigen Sekunden langsam den Kopf schüttelte. "Ich gehe jetzt zu ihm und frage ihn selbst, was wirklich passiert ist!" Fauchte er leise und wischte sich hastig über die Stirn. "Von dir erfahre ich nichts als Lügen!" Daraufhin schien er in Kaibas Augen nach einer Antwort zu suchen. Er fand sie nicht, sah auch nichts entsprechendes. Und so wandte er sich langsam ab. Seine Miene war befallen von bloßer Wut und Verachtung, als er erneut den Kopf schüttelte. "Ich hoffe, dass du eines Tages dasselbe erlebst." Flüsterte er leise und wandte Kaiba den Rücken zu. "Hoffentlich wird man dir auch etwas verschweigen. Und hoffentlich schmerzt es schön, wenn du es herausfindest." Somit kehrte er in langsamen Schritten zur Tür zurück, tastete träge nach der Klinke und verließ so das Büro. Reglos lehnte Kaiba an dem Schreibtisch. Mit geweiteten Augen und geöffnetem Mund stand er da, als wäre er zu Eis erstarrt. Auch sein Gesicht hatte an Farbe verloren und nachdem Duke hinter einer Ecke verschwunden war, bewegte er sich noch immer nicht. Stumm formte er die Lippen, blinzelte perplex und würgte ein schweres Schlucken hinunter. Erst nach langer Zeit kehrte die Bewegungsfähigkeit zurück. So hob er langsam die Hand, ließ das Gesicht sinken und stieß ein gepeinigtes Keuchen aus. "Scheiße..." Ächzte er und wischte das Blut fort, welches aus seiner Nase lief. Mit einer Tasse Kaffee in der Hand, saß Joey auf einer Liege in einem der Untersuchungszimmer. Vor knapp einer Stunde hatte er Doktor Newcallen kennengelernt und sich einer tiefgründigen Untersuchung hingegeben. Vor knapp einer halben Stunde war sie beendet worden und seitdem saß er hier und wartete. Die Tasse hielt er zwischen beiden Händen auf seinem Schoß, die Schultern waren gesenkt und er war müde. Bevor Newcallen eingetroffen war, hatte Johnson ihn wie besagt untersucht und verarztet, was sehr unangenehm gewesen war. Doch wenigstens litt er in diesen Minuten unter keinen Schmerzen. Seine Augen waren verbunden, damit er sie nicht zusätzlich anstrenge, hatte Newcallen gemeint, bevor er den Raum verlassen hatte, um sich der Auswertung zu widmen. Langsam holte Joey Atem, stieß die Luft unter einem tiefen Seufzen aus und nippte an der Tasse. Zugegeben, er war nervös und aufgeregt, denn auch, wenn er durch die Blindheit vor einigen Anblicken verschohnt blieb... ein Leben ohne sehen zu können...? Alles ging irgendwann vorbei. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er alles hinter sich gelassen hätte, bis Gras über die Sache gewachsen war und er seinem normalen Leben nachgehen könnte. Und wenn diese Zeit gekommen war, dann wollte er Kaibas Gesicht sehen, er wollte die Gesichter seiner Freunde sehen, sich an der hellen Sonne ergötzen und nicht in allen Tätigkeiten eingeschränkt sein. In den nächsten Minuten würde er Gewissheit haben. Wie würde es mit der Erbkrankheit weitergehen? Nervös rückte er zur Seite, rutschte zurück und rollte mit den Schultern. Es dauerte beinahe weitere fünfzehn Minuten... Dann hörte Joey, wie sich die Tür öffnete. Augenblicklich klammerten sich seine Hände fester um die leere Tasse und etwas zögerlich drehte er das Gesicht zur Seite. Mit einigen Unterlagen betrat Newcallen den Raum, kam gemächlich auf ihn zu und griff nach einem Stuhl, den er mit sich zog und vor Joey hinstellte. Er war ein älterer Mann mit grauem Haar, wirkte erfahren und professionell. Seine Miene jedoch, verriet nichts, sie wirkte nahezu ausdruckslos, was Joey in einem anderen Fall sowieso nichts genutzt hätte. Als sich Newcallen vor ihm niederließ, spürte Joey einen schmerzhaften Stich in der Herzgegend und nach dem schweren Schlucken, hielt er die Luft an. "Also, Herr Wheeler." Newcallen rückte sich kurz zurecht, bettete die Unterlagen auf dem Schoß und sah den Blonden ernst an. "Durch die Untersuchungen bin ich auf ein klares Ergebnis gekommen." Wieder schluckte Joey, bevor er angespannt nickte. Er bekam kein Wort heraus, seine Hände klammerten sich noch fester um das Porzellan. >Bitte!< Flehte er unterdessen. >Bitte lass mich wieder sehen!< Unterdessen räusperte sich Newcallen. Und dann sprach er es aus. "Es handelt sich bei Ihnen nicht um die Erbkrankheit." Völlig konfus, öffnete Joey den Mund. "Was...?" Hauchte er beinahe lautlos. "Die Symptome sind leicht mit ihr zu verwechseln, doch ich habe bei Ihnen eine Art der Xerophthalmie festgestellt." "Xerowas?" Joeys Herz begann zu rasen. "Xerophthalmie ist eine Augenkrankheit, die durch Vitamin-A-Mangel entsteht." "War... warten Sie." Heftig schüttelte Joey den Kopf und stellte hektisch die Tasse neben sich ab. "Es hatte nie etwas mit der Erbkrankheit zu tun?" "Nein." Bestätigte Newcallen und wollte fortfahren, doch Joey unterbrach ihn aufgeregt. "Und... und ist diese Xerodingsda schlimmer als die Erbkrankheit?" Newcallen runzelte die Stirn, biss sich auf die Unterlippe und ließ Joey kurz warten, was diesen beinahe um den Verstand brachte. "Doktor!" Ächzte er. "Werde ich wieder sehen können!" "Beruhigen Sie sich erst einmal, ja?" "Nein!" Wieder schüttelte Joey den Kopf. "Sagen Sie es einfach! Ich werde es schon überleben!" Newcallen atmete tief durch. "Sie werden das Augenlicht zurückerhalten, ja." "Wiederholen Sie das!" Joey schnappte nach Luft. "Sie werden wieder sehen können." Langsam krallten sich Joeys Finger um die Kante der Liege und er lehnte sich zurück, legte den Hinterkopf in den Nacken und stieß ein erleichtertes Stöhnen aus. Unterdessen fuhr Newcallen fort. "Sie müssen sich eine lange Zeit falsch ernährt haben. Das wichtige Vitamin-A kommt in einigen Gemüsesorten vor. Diese Xerophthalmie ist nur mit der Tatsache zu erklären, dass Sie nichts von alledem gegessen haben und das über einen langen Zeitraum hinweg. Vitamin-A ist lebenswichtig für die Bildung des Epithelgewebes und unentbehrlich für die Funktion der Netzhaut." "Ich bin nur erblindet, weil ich kein Gemüse gegessen habe...?" Joey hörte sich mehr als ungläubig an, doch Newcallen bestätigte diese Tatsache mit einem zustimmenden Murmeln. "Sehen Sie, jeder Mensch ist anders. Der eine ist weniger auf das Vitamin-A angewiesen, während andere bei dem kleinsten Vitamin-A-Mangel erkranken. Zu diesen Menschen scheinen Sie zu zählen." "Und...", Joey kratzte sich am Hals, "wie lange werde ich noch blind bleiben?" "Nun, in der nächsten Zeit müssen wir erst einmal dafür sorgen, dass sich Ihre Netzhaut wieder regeneriert. Sie müssen viel essen, was Vitamin-A enthält, ebenso werde ich Augentropfen verordnen, die bei der Regeneration behilflich sein werden." "Wie lange noch." "Das kann man nicht direkt sagen." Kam die Antwort. "Vielleicht zwei Wochen, vielleicht ein Monat, vielleicht zwei Monate. Es kommt ganz darauf an, wie schnell sich Ihre Netzhaut erholt." ~*To be continued*~ Kapitel 13: Ich lebe, also lächle ich ------------------------------------- >Irgendwie... irgendwie fühle ich mich in diesen Sekunden gut.< Joey schob sich auf sein Bett zurück, griff nach der Decke und zog sie über sich. Gemütlich legte er sich hin, versteckte die Arme unter dem Kissen und räkelte sich kurz. >Es ist, als wäre ich eines der beiden Probleme losgeworden. Und mit einer Sorge lässt es sich besser leben, als mit zweien.< Er holte tief Luft, stieß sie unter einem schweren Seufzen auf und spürte eine warme Brise, die durch das leicht geöffnete Fenster zu ihm in den Raum zog, sein Haar leicht zerzauste. >Ich werde also wieder sehen können. Ob nun in zwei oder drei Wochen, das ist ganz gleich, denn bis dahin wird Gras über die andere Sache gewachsen sein. Ja, das zweite Problem, das ich viel lieber losgeworden wäre, als das erste. Ich... ich sollte es einfach vergessen...< Er blieb liegen, drehte sich nach knapp einer Minute auf den Rücken und rieb sich die Stirn. >Das könnte ich sicher auch, wenn ich mir nicht solche verdammten Sorgen um Lee machen würde!!< Er biss sich auf die Unterlippe und blähte die Wangen auf. >Und auch wenn ich es vergessen sollte, zwischen Seto und mir wird es nie wieder so sein, wie es einmal war. Und es wird nicht lange dauern, da wird er Misstrauen gegen mich hegen. Er ist kein Mensch, dem so etwas entgeht und außerdem...< Als sich die Tür seines Zimmers öffnete, brach er jegliche Gedanken ab und drehte das Gesicht zur Seite. Er vernahm das Flüstern vieler Stimmen, Schritte... "Joey!" Ertönte dann ein freudiger Ruf und der Angesprochene richtete sich sofort auf. "Yugi?!" Antwortete er erfreut. "Joey!" Schnelle Schritte näherten sich dem Bett und dann klammerten sich kleine Hände um seinen Arm. "Wie geht es dir?!" >Auf jeden Fall besser, wenn du mich loslassen würdest!< Er lachte leise und befreite seinen Arm ruhig aus der Umklammerung, um ihn unauffällig unter der Decke zu verstecken. Auch Tristan, Tea und Bakura hatten nun das Bett erreicht und musterten Joey besorgt. "Hier, ich habe dir Blumen mitgebracht." Tea lächelte und legte den Strauß auf Joeys Schoß ab, der sogleich nach ihm tastete. Tristan runzelte die Stirn. "Wenn du mal wieder verschwindest, schauen wir einfach im Krankenhaus nach." Raunte er. "Irgendwie scheinst du dich zu diesem Ort hingezogen zu fühlen." "Duke hat mich gerade auf dem Handy angerufen." Tea schob sich an Yugi vorbei, ihre Hände legten sich auf Joeys Schultern und dieser lehnte sich unter einem undefinierbaren Brummen in die entgegengesetzte Richtung, befreite sich auch von dieser liebevollen Geste. "Er hat uns das mit deinen Augen erzählt. Wie konnte das nur passieren?!" "Das...", Der Blonde klammerte sich an die Blumen, "... das ist nichts ernstes. Nur eine harmlose Krankheit, die bald vorbeigehen wird." "Du bleibst also nicht für immer blind?!" Yugi juchzte laut auf und Tristan rollte erleichtert mit den Augen. "Nein, nein, vielleicht noch ein paar Wochen oder so." Kam die nuschelnde Antwort. "Da bin ich aber erleichtert!" Tea seufzte und tätschelte Joeys Schulter, worauf dieser sich erneut weglehnte. "Und kannst du uns dann auch erzählen, was in Deutschland los war?" Tristan hockte sich auf die Bettkante. "Duke hat am Flughafen gleich im Krankenhaus angerufen und einen Mordsradau gemacht, als die nichts von dir wussten." Joey winkte ab. "Ich hatte mich nur etwas verlaufen und irrte im Wald herum." "Ach?" Tea kratzte sich irritiert an der Stirn. "Ach." Murrte Tristan. "Aber Kaiba hatte doch vor, mit dir nach Domino zurückzukehren? Jedenfalls war er auch nicht mehr da." "Tja...", Joey rümpfte die Nase; diese ganzen Fragereien gingen ihm gehörig auf die Nerven, "... er hat mich eben gesucht. Aber sagt mal, ist Duke nicht hier?" Verwirrt drehte er das Gesicht in alle Richtungen. "Ne." Tristan schüttelte den Kopf. "Der hat sich vor einer Stunde abgeschottet und meinte, er hätte noch etwas zu erledigen." "Etwas zu erledigen?" Joey kratzte sich am Kopf. "Was auch immer." Tristan lachte aufbrausend, holte weit aus und schlug Joey gegen die Schulter. Sonst erkannte der blonde diese Geste als Freundschaftlichkeit an, doch heute schien er es weniger lustig zu finden. Nachdem er zusammengezuckt war und etwas mehr Abstand zwischen ihnen geschaffen hatte, rieb er sich fluchend den Arm. "Hey, Leute... eure Sorgen in allen Ehren, aber zur Zeit stehe ich nicht auf diese Knuddlnummer." "Was ist denn los?" Tristan verzog genervt das Gesicht. "Wir wollen uns doch nur um dich kümmern!" "Ja, das finde ich auch ganz nett, aber...", Joey rollte mit den Schultern. >Mensch, das wird schwieriger, als ich dachte.< "Aber was." Hakte Tea verwundert nach. "Aber ich bin noch ein bisschen angeschlagen und brauche meine Ruhe." "Ach, sollen wir gehen?" "Nein!" Sofort fuhr Joey in die Höhe. "Nein, ich freue mich wirklich, dass ihr mich besuchen kommt! Das... das ist ganz super!" Daraufhin seufzte Tea gerührt und zog sich einen Stuhl näher, auf dem sie sich niederließ. Yugi kauerte sich auf die andere Kante des Bettes und so hatten sie Joey, der die Blumen noch immer etwas nervös an sich presste, bald umzingelt. "Außer deinem klitzeleinen Unfall war es in Thüringen doch ganz schön, nicht wahr?" Tea streckte schwärmend die Beine von sich. "Diese herrliche Luft, die Bäume, die Tiere, diese reine Natur." Joey brummte ewas Abstruses. "Und dieser kleine See." Seufzte die junge Frau. "Ich fand diese Klassenfahrt einfach traumhaft!" "Ja." Tristan grinste. "Und deshalb haben wir uns gedacht, wir fahren mal wieder nach Thüringen, wenn wir Ferien haben, oder so. Wie findest du das, Joey?" "Ähh..." etwas unentschlossen wackelte Joey mit dem Kopf. "Aber weißt du was?" Wieder wurde er von Tristan angestubst. "Daniel Ray hat sich binnen des letzten Tages vielleicht merkwürdig benommen." "Ach?" Erst jetzt schien Joey auf etwas gebrauchbares gestoßen zu sein. Er richtete sich auf. "Hat er irgend etwas gesagt?" Tristan stöhnte. "Das ist es ja. Er hat nichts gesagt, hat sich kaum blicken lassen und wenn wir ihn mal sahen, dann machte er den Anschein, als würde er jeden auffressen, der ihm zu nahe kam." "Aber Morfrey hat mir seine Nummer gegeben." Quiekte Tea errötend. "Ja, mit Morfrey, Eddie und Jordas war wenigstens noch etwas anzufangen!" Stimmte Tristan zu. "Die waren lustig drauf. Mensch, hatten wir einen Spaß!" Joey hielt die Luft an. "Außerdem war das Wetter herrlich." Mischte sich auch Yugi ein. "Es war alles wunderschön. Du hast wirklich etwas verpasst, Joey." Bakura stand hinter Teas Stuhl, rieb sich geistesabwesend den Oberarm und musterte Joey. "Wir waren sogar noch drittes Mal baden." Seufzte Tea und Tristan lugte zu ihr. "Baden? Du hast doch die ganze Zeit mit Morfrey geflirtet." "Na und?" Joey blähte die Wangen auf. "Mm..." "Draußen ist so herrliches Wetter." Bemerkte Tristan plötzlich. "Hey, darfst du kurz raus? Nur ein ganz kleiner Spaziergang." "Ich warne dich auch, bevor du irgendwo gegen läufst." Schlug Yugi vor. Ein unscheinbares Grinsen zog an Joeys Lippen, doch ein Kopfschütteln folgte. "Ich darf nicht raus." "Was?" Tea wunderte sich. "Aber... außer deinen Augen hast du doch keine Probleme." "Trotzdem darf ich nicht." Schukterzuckend neigte sich Joey aus dem Bett und legte die Blumen auf dem Nachttisch ab. "Scheint dich aber nicht sonderlich zu stören." Murmelte Tristan und nachdem der Blonde die Blumen kurz zurechtgerückt hatte, warf er sich in das Kissen zurück und schüttelte den Kopf. "Nehmt es mir nicht übel, ja? Aber vom Herumlaufen habe ich die Nase gestrichen voll." "Wir würden doch nur ein paar Meter schlendern." Bat Tea. "Und uns dann auf eine Bank setzen." Beendete Yugi. "Ähm... nein." Joey machte nicht den Anschein, sich umstimmen zu lassen. Er wirkte sogar recht ruhig und entschlossen, als er den Kopf schüttelte. "Ihr könnt doch auch ohne mich gehen. Wo ist da das Problem?" "Wo das Problem ist?" Tristan hörte sich etwas ungläubig an. "Das Problem ist, dass wir hier sind, um dich zu besuchen und etwas aufzuheitern." "Mir geht es gut, ich muss nicht aufgeheitert werden." Joey zwang sich noch ein kurzes beschwichtigendes Lächeln auf, damit die Worte nicht zu hart klangen. "Bald kann ich wieder sehen und dann gehe ich zur Schule und wir können meinetwegen auch jeden Tag spazieren gehen. Der Aufenthalt in diesem Krankenhaus wird mich schon nicht umbringen, okay?" Daraufhin trat ein kurzes Schweigen ein. Tea, Tristan und Yugi wechselten verwunderte, nahze konfuse Blicke und während Tristan eine verwirrte Grimasse zog, wandte sich Tea an den Blonden, der scheinbar entspannt dort lag. "Joey." Flüsterte sie. "Bei deinem letzten Krankenhausaufenthalt hast du schon nach wenigen Stunden gejammert." "Dann wird es diesmal eben ein paar Tage dauern." Kam die schlagfertige Antwort. "Dafür, dass du soviel durchgemacht hast", ertönte Bakuras Stimme. Bakura, mit dem Joey in diesen Sekunden lieber nicht in einem Raum war, denn der junge Mann neigte dazu, viel zu durchschauen, "wirkst du aber ganz schön heiter." Joey lauschte seinen Worten angespannt und grübelte kurz, bevor er darauf eine Antwort gab. Bei Bakura musste man vorsichtig sein, das hatte er längst gelernt. "Ich bin zwei Tage durch den Wald gelaufen." Meinte er. "Daran ist doch nun wirklich nichts schlimmes. Warum sollte ich nicht heiter sein? Ich bin einfach froh, wieder hier zu sein und die Nachricht, dass ich bald wieder sehen kann, heitert mich außerdem noch zusätzlich auf." "Dann müssen wir uns also wirklich überhaupt keine Sorgen machen?" Hakte Tea erleichtert nach. "Weshalb denn?" Joey gab sich überrascht. Nach einer viertel Stunde gingen die Besucher und sobald sie den Raum verlassen hatten, verkroch sich Joey unter der Decke und gab sich zahlreichen Flüchen hin. >Jetzt muss ich allen Rede und Antwort stehen und lügen, bis ich regelrecht danach stinke!< Dachte er sich verbissen, während er die Ruhe genoss. >Und nicht nur meine Freunde und Seto belüge ich, nein, ich belüge mich sogar selbst. Gut so, Joey, mach ruhig weiter!< Stöhnend rollte er sich auf die andere Seite, klammerte sich in die Decke und bearbeitete die Unterlippe mit den Zähnen. >Was soll´s. Bis der Aids-Test gemacht wird, muss ich einfach nur schweigen und den Glücklichen minen. Wenn der Test negativ ausfällt, kann ich weiterhin schweigen und es irgendwann ganz einfach verdrängen. Ich kann weiterhin eine schöne Bezeihung mit Seto führen und es wird nie jemand von alledem erfahren.< Er blieb reglos liegen und lauschte den eigenen Atemzügen, während sich seine Hände langsam bald zu Fäusten ballten. >Und... wenn ich wirklich infiziert bin...? Dann... dann werde ich gestehen müssen. Aber... hey, als ob das etwas daran ändern würde. Ebenso könnte ich einfach weitermachen und weiterhin schweigen, muss Seto nur dazu bringen, zu verhüten. Dan würde es sowieso bald zuende gehen und...< "Arghh!" Er schnitt eine Grimasse, richtete sich auf und kämpfte die Decke zur Seite. Zerzaust blieb er sitzen, atmete schnell und schüttelte alsbald heftig den Kopf. >Das kotzt mich alles an! Warum sage ich nicht einfach alles! Nach nur einem Tag voller Schweigen bin ich schon total verunsichert und mutlos! Wie soll es erst werden, wenn ich weitere zwei Monate schweige, oder gar mein ganzes Leben, bis man mir ansieht, dass irgend etwas nicht stimmt und der ganze Mist gezwungenermaßen ans Licht kommt!< Unter einem erschöpften Stöhnen warf er sich zur Seite, tastete neben dem Bett nach einer Flasche Wasser und kämpfte sich wieder nach oben, sobald er sie gefunden hatte. >Warum schweige ich eigentlich?< Fragte er sich wieder, während er langsam den Deckel aufschraubte. Und er grübelte nicht lange. >Ich schweige, um meinen Freunden keine Sorgen zu bereiten. Ich schweige, um Seto nicht zu enttäuschen oder mich selbst gar zu beschämen! Ebenso... würde Seto daran zerbrechen. Und das kann ich nicht verantworten. Wenn ich es verhindern kann, dann tue ich es, selbst, wenn ich unter dem Schweigen leide. Besser einer als alle. So sieht´s aus.< Er nickte, hob die Flasche zum Mund und trank. Und während er das kühle Wasser genoss, hörte er, wie sich die Tür erneut öffnete, wie Schritte ertöntne, die geradezu an dein Bett führten. "Hey, alles klar?" Joey ließ die Flasche sinken, schluckte hinter und wischte sich flüchtig mit der Hand über den Mund. "Duke?" "Genau der." Joey spürte, wie die Matratze an der Seite etwas ansank. Duke hockte sich auf den Rand des Bettes, beugte sich kurz nach vorn und musterte die Augenbinde. Nun wirkte er ruhig und kontrolliert, nicht einmal sonderlich besorgt. Vermutlich hatte er sich nach dem Besuch bei Kaiba irgendwo abreagiert. "Hi." "Wie geht´s dir?" Joey zögerte kurz. >Und weiter geht´s!< "Oh, mir geht es gut." Er zuckte mit den Schultern. "Ich kann bald wieder sehen." "Ich weiß." Dukes Gesicht erhellte sich und er grinste breit. "Ich habe Johnson gerade im Gang getroffen. Xeropthalmie, oje oje." "Du kannst dir das merken?" "Tja?" Um ehrlich zu sein, konnte Joey nicht einmal diesen Besuch genießen. Er quälte sich regelrecht durch die Fragen und Antworten, spulte die gleichen Lügen ab und fühlte sich noch schlechter und verunsicherter, nachdem Duke gegangen war. Kurz dachte er darüber nach, die Tür zu verriegeln, um weitere Störungen zu vermeiden. Letzten Endes begnügte er sich jedoch damit, sich erneut zu verkriechen und zu versuchen, etwas Schlaf zu finden. Es gelang nur schwerlich, denn irgend etwas schien ihn daran zu hindern, tief und ruhig im Land der Träume zu versinken, endlich etwas Entspannung zu finden. Mal begann sein Herz schneller zu schlagen, mal pochte es wieder im gewohnten Rhythmus und wenn dies nicht geschah, dann wurde er unruhig und rollte sich von einer Seite zur anderen. Tief in seinem Inneren schien etwas festzustecken. Etwas, dass die äußerliche Lässigkeit zwar erlaubte, und dennoch keine vollständige Selbstbelügung zuließ. Spätestens als sich die Erinnerungen an jenes Geschehnis in ihn fraß, gab er den Versuch auf und hockte schweigsam in dem kahlen Zimmer. Es war nur eine Frage der Zeit. Er umklammerte den Leib mit den Armen, sagte es immer und immer wieder stumm bei sich. Es war nur eine Frage der Zeit... Dann würde es keine Fragen mehr geben, keine Lügen, keine Ängste und Unsicherheiten. Die Zeit würde all die Probleme lösen und das einzige, was er tun musste, war schweigen und ihr die Arbeit zu überlassen. Das konnte doch nicht so schwer sein! Im weiteren Verlaufe des Tages, sah Doktor Newcallen noch einmal bei ihm, sprach über wenige unwichtige Kleinigkeiten und wünschte ihm eine gute Besserung, bevor er in das eigene Krankenhaus zurückkehrte. Und gerade als sich Joey über die seltene Ruhe freute, stattete Dr. Johnson ihm einen Besuch ab. Besorgt und unruhig wollte er ihn auf genau die Geschehnisse ansprechen, die er zu verdrängen versuchte und Joey redete sich wieder um Kopf und Kragen. Und das nur, um dem Doktor klarzumachen, dass er neben dem Test keine Fragen benötigte! Nichts sollte ihn daran erinnern, niemand sollte sich danach erkundigen. Es würde schon genügen, wenn der Test durchgeführt werden musste, der ihm das schreckliche Erlebnis ins Gedächtnis zurückrief. So wehrte er sich gegen Johnson und dieser ging kurz darauf. Und als es allmählich zum Abend dämmerte und er mit der Gabel über das Plastiktablett mit dem Essen kratzte, wünschte er sich, nicht nur blind, sondern auch unsichtbar zu sein. Der Tag hatte ihm nichts gebracht, außer, dass er sich abscheulich fühlte und kein Sterbenswörtchen reden wollte. Er war so in sich selbst vertieft, dass es ihm sogar entfiel, dass es einen Menschen gab, der ihn heute noch nicht besucht hatte. Nach vorn begeugt, im Schneidersitz, vor sich: das Abendessen. Seit einigen Minuten stocherte er mit der Gabel in irgendetwas weichem. Noch immer hatte er keinen Hunger und außerdem war der Geruch, der ihm in die Nase stieg, nicht gerade appetittanregend. Also benutzte er das Essen als Zeitvertreib, stocherte hier, stocherte da und versuchte zu erraten, um was es sich handelte. Seine Gedanken waren am heutigen Tag nicht sehr fantasievoll und so brachten sie nur etwas zustande, bei dem einem der Apetitt erst recht verging. Der Apetitt und gleichermaßen die Lust auf dieses Krankenhaus! Es graute ihm vor dem Rest des Tages, es graute ihm vor der Nacht und vor den darauffolgenden Tagen und Nächten erst recht! Er war nur blind, verdammt nochmal! In knapp zwei Monaten könnte er ja noch einmal vorbeischauen. Er könnte zu Hause sitzen und sich gellend laute Musik um die Ohren schlagen. Und sicher hätte er unter diesen Umständen auch mehr Apetitt! Doch hier? Gott weiß, weshalb Johnson ihn noch hierbehalten wollte. Wie so oft auch, brummte er verdrießlich. "Aaah... wenn es doch wenigstens nicht so stinken würde." Er rammte die Gabel in etwas Festes, hob sie an und roch, um kurz darauf eine Grimasse zu ziehen. "Was zur Hölle soll das sein? Ne Gurke? Bin ich auf Diät oder was... oh, ich könnte ausrast..." Er verstummte, als er wieder jenes Geräusch wahrnahm. Gemächlich betrat Kaiba den Raum, warf Joey einen knappen Blick zu und schloss unter einem leichten Grinsen die Tür. "Seto?" Joey ließ die Gabel sinken. Sich den dünnen Mantel aufknöpfend, trat Kaiba an das Bett heran. "Newcallen hat mir bereits Bescheid gegeben." Meinte er entspannt, blieb neben Joey stehen und verschränkte langsam die Arme vor dem Bauch. "Das muss eine Erleichterung gewesen sein, hm?" Ein keckes Grinsen zeichnete sich auf Joeys Lippen ab und bald nickte er, griff nach dem Tablett und reichte es Kaiba. "So erleichtert, dass ich jetzt nicht Selbstmord begehen will. Stell das weg, ja?" Kaiba musterte das Essen mit säuerlicher Miene, stellte es auf dem Nachttisch ab und ließ sich unter einem tiefen Seufzen neben Joey auf der Bettkante nieder. Dessen Grinsen ließ kurz nach, kehrte jedoch schnell und aufgezwungen zurück. >Bitte nicht.< Doch bevor er die Gedanken beendet hatte, spürte er eine Hand, die sich zärtlich über seinen Nacken schob, sein Gesicht gleichzeitig etwas zur Seite drehte. Gleichzeitig kämpfte Joey gegen ein angstvolles Zittern an, doch als er plötzlich die vertrauten Lippen auf den Seinen spürte, riss er sich mit aller Kraft zusammen und erwiderte den kurzen Kuss zurückhaltend. Nach der kleinen Zärtlichkeit entfernten sich ihre Gesichter etwas voneinander und mit einer liebevollen Bewegung, streifte Kaiba das blonde Haar etwas zurück. "Wie geht es dir?" Nur ein leises Hauchen; Joey spürte den warmen Atem auf dem Gesicht und er versuchte mit aller Verzweiflung, diesen Moment zu genießen. Während der Gefangenschaft hatte sich so nach alledem gesehnt und nun, da sich die Aufregung gelegt hatte, könnte er diese sanften Liebkosungen genießen. Er könnte es... ja, doch mit Gewalt und Krampf konnte er sich nicht dazu zwingen. Wenigstens bewerkstelligte er es, vor den Berührungen nicht zu fliehen, so sehr er auch zitterte, so sehr sein Atem auch stockte und er sich wünschte, woanders zu sein. Ein zweites Mal durchstreifte die Hand sein Haar und nach einem irritierten Zögern, lächelte er erneut. "Es geht mir gut." Antwortete er daraufhin und während er sprach, spürte er einen kurzen stechenden Schmerz in der Herzgegend. Die Worte taten weh und als er daraufhin wieder schwieg, erwachten die Gedanken in seinem Kopf zum Leben, tummelten sich zahlreich und angespannt. >Die Augenbinde ist meine Rettung! Würde ich sie nicht tragen, würde Seto die Lüge in meinen Augen lesen wie ein Wort auf einem weißen Blatt!< "Das freut mich." Kaiba senkte die Lider, nickte langsam und genüsslich. "Das freut mich." "Mm..." Joey presste die Lippen aufeinander und drehte das Gesicht zur anderen Seite. "Und... wie wird es jetzt bei dir weitergehen?" Er stellte die Frage vielmehr, um sich etwas Zeit zu verschaffen, eine Möglichkeit, zu schweigen und dennoch kein Misstrauen zu erregen. Er benötigte die Zeit dringend, denn als er Kaibas Stimme gehört hatte, war ein Gefühl in ihm zum Leben erwacht. Ein Gefühl, welches er kannte, dem er jedoch nicht so einfach nachgeben konnte. "Nun." Kaiba zuckte mit den Schultern, wandte sich vom Bett ab und lehnte sich zurück. Seine Hände sützten sich auf der anderen Seite von Joeys Beinen ab und so verharrte er etwas über ihn gelehnt. "Ich stürze mich wieder in die Arbeit, gehe wieder zur Schule und verfolge den Alltag. In der Firma gibt es viel nachzuholen, ebenso in der Schule, außerdem habe ich Mokuba einen kleinen Ausflug versprochen. Tja, so sieht es aus." "Mm..." Joey kratzte sich am Kinn, ließ die Hand auf die Decke zurücksinken und faltete sie dort in die andere. "Mokuba hat dich sehr vermisst, hm?" "Natürlich." Kaiba legte den Hinterkopf in den Nacken, blickte zur Decke des Zimmers auf. "Nun, er war auch wütend. Aber das ist verständlich." Somit vertiefte sich Kaiba kurz in Schweigen, schien seinen eigenen Grübeleien nachzugehen und beendete diese mit einem langsamen und einsichtigen Nicken. "Ich habe Mist gebaut, Joseph." Flüsterte er. "Was? Mist?" Der Blonde begann sich zu regen. "Wie?" Kaiba stöhnte, richtete sich auf und wandte sich ihm zu. "Als ich in Thüringen nach dir gesucht habe," begann er dann offen zu erzählen und Joey lauschte aufmerksam, "da... da habe ich Duke und die anderen nicht informiert." "Was?" "Mm." Kaiba knabberte auf der Unterlippe. "Ich habe sie belogen, verstehst du? Ich habe sie belogen, indem ich ihnen die Wahrheit verschwiegen habe. Bevor du verschwunden bist, habe ich gesagt, ich würde mit dir zurückkehren, um dich zu einem guten Arzt zu bringen. Ich hatte alles geplant und während du dann verschwunden bist, waren sie auf einer Wanderung. Und...", Kaiba gestikulierte knapp mit der Hand, "... alle, die davon wussten, habe ich gebeten, die Sache zu vertuschen. Sie haben es erst herausgefunden, als sie wieder hier waren." Wieder schwieg Kaiba kurz und Joey saß reglos neben ihm, machte sogar den Anschein, den Atem angehalten zu haben, während sein Gesicht stetig an Farbe verlor. Kaiba starrte auf die weiße Decke, fuhr erst nach einem kurzen Grübeln fort. "Ich habe es nur getan, um ihnen keine Sorgen zu bereiten, weißt du? Ich wollte sie nicht beängstigen, wollte, dass sie die Klassenfahrt genießen können. Und doch habe ich damit das Gegenteil erreicht. Ich habe sie gekränkt und enttäuscht, vor allem Duke. Ich habe geschwiegen und alles unter den Teppich gekehrt, obwohl es sich um eine so ernste Sache gehandelt hat. Eine Sache, die jeden etwas anging, nicht nur mich. Eine Sache, die ich hätte leichter ertragen können, hätte ich sie eingeweiht. Denn ich bin mir sicher, sie wären mir eine Hilfe gewesen und wir hätten das gemeinsam durchgestanden. Dann wäre es erst gar nicht soweit gekommen." Langsam und benommen bewegten sich Joeys Lippen. Sie formten stumme Worte, blieben einen Spalt weit geöffnet und nach einem schweren Schlucken, spürte Joey einen kalten Schauer, der ihm über den Rücken lief. "Bedauerlicherweise kommt man immer erst zu dieser Einsicht, wenn jemand nachhilft. Und um ehrlich zu sein, bereue ich es. Ich hätte es ihnen sagen sollen, doch in manchen Situationen muss man schnell reagieren, schnell einen Entschluss fassen. Ich habe mich für das falsche entschieden und so lagerte die schwere Last allein auf meinen Schultern. Ich habe es in mich hineingefressen und hätte ich anders gehandelt, wäre alles anders gekommen." Somit blickte Kaiba auf und warf Joey einen knappen Blick zu. "Verstehst du das?" Der Blonde bewegte sich nicht. "Tja, jedenfalls ist Duke zur Zeit nicht gut auf mich zu sprechen. Und es wird etwas dauern, bis er wieder besser von mir denkt." Kaiba zuckte mit den Schultern. "So etwas kann man einfach nicht verdrängen, da wächst nicht so schnell Gras drüber. Das habe ich aus diesem Vorfall gelernt." Fahrig befeuchtete Joey die Lippen mit der Zunge; seine Hände hatten sich verkrampft in der Decke festgeklammert und sein Körper fühlte sich an, als wäre er durch viele Schläge betäubt. "Ich bin so ein Idiot." Stöhnend rieb sich die Kaiba das Gesicht, richtete sich auf und holte tief Atem. "Set... Seto...?" Die Stimme kam nur brüchig und zitternd über Joeys Lippen, war nicht mehr als ein heiseres Flüstern. "Um... umarmst du mich...?" Kaiba lächelte etwas kraftlos, schob sich nach vorn und näherte sich Joey. Dieser richtete sich hektisch auf, hob die Arme und zog ihn übertrieben schnell zu sich. Zitternd legten sich seine Arme um den schlanken Leib, erschöpft presste sich sein Gesicht an den zarten Hals und mit allen verbleibenden Kräften, krallte sich Joey an ihn. Kaiba erwiderte die Umarmung etwas vorsichtiger, schloss die Augen und rieb den Rücken des Blonden. "Ich bin dumm, nicht wahr?" Flüsterte er leise an seinem Ohr und atmete tief durch, während Joey regelrecht keuchte, sich seine Finger immer wieder und fester in den Stoff seines Mantels bohrten und er die Umarmung dann dennoch aus heiterem Himmel löste. Er entfloh regelrecht vor Kaiba, drückte sich in das Kissen zurück, verweifelt um Atem ringend, der ihm wegblieb. "Joseph...?" Kaiba verzog die Augenbrauen, als er die Reaktion studierte. "Geht es dir nicht gu..." "Weißt du", fiel Joey ihm aufgebracht keuchend ins Wort, ein fahriges Grinsen zerrte kurz an den hellen Lippen und die Hände begannen wild zu gestikulieren, "e-es war wirklich schön, dass du da warst. A-aber ich bin jetzt wirklich sehr müde." Hastig wischte er sich über die Stirn. "K-könntest du bitte gehen?" "Warum bist du so aufgewühlt?" Fragte Kaiba leicht irritiert, während er sich erhob. "Aufgewühlt?" Ächzte Joey. "Was? Ich? Neeein... ich... ich will nur schlafen, verstehst du? Ich brauch Ruhe." "In Ordnung." Kaiba nickte. "Das verstehe ich." "Ja." Joey erwiderte das Nicken heftig. "Ja... ja, genau." Somit winkte er, rutschte hektisch herum und warf sich gegen das Kissen. "Ich komme morgen noch einmal vorbei, ja?" "Ja, ja mach das." Wieder nickte Joey heftig. "Aber jetzt..." "Ich bin schon weg." Kaiba grinste flüchtig, wandte sich langsam ab und steuerte auf die Tür zu. Währenddessen kauerte Joey wie versteinert dort und lauschte den Schritten. >Geh schneller... verschwinde!!< >Was ist mit ihm los?< Kaiba griff nach der Klinke, seine Augenbrauen verzogen sich nachdenklich und als er im Türrahmen stand, drehte er sich ein letztes mal um. Joey regte sich nicht. "Bis Morgen." Verabschiedete er sich sanft. "Und erhol dich gut." Somit verließ er auch das Zimmer. Joey hatte nicht reagiert. Wie zu Eis erstarrt, war er nicht einmal zu einem Nicken imstande gewesen. Doch... Als er das leise Klicken der Tür hörte, als er hörte, wie sie sich schloss, erwachte er plötzlich zum Leben. Hastig grabschte er nach der Decke, zerrte sie zur Seite und sprang aus dem Bett. In strauchelnden Schritten stolperte er zur Tür, warf sich regelrecht gegen das Holz und tastete fahrig nach dem Schlüssel. Seine Hand zitterte so sehr, dass es ihr ein Schweres war, den Schlüssel zu drehen. Sobald er dann abgeschlossen hatte, stemmte er sich ab, drehte sich um und tat wenige taumelnde Schritte. Sein Atem raste, sein Körper zitterte und kurz darauf wurden seine Knie weich. Unter einem verkrampften Ächzen brach er zusammen, schlug auf dem Boden auf und begann sich dort zu winden. >Nein...< Zitternd tasteten sich seine Hände über den Boden. >Nein!!< Er biss die Zähne zusammen, presste das Gesicht auf den Boden und hielt die Luft an. >Das kann nicht wahr sein! Das ist nicht wahr!!< Kurz darauf, entrann ihm ein lautes Schluchzen und er rollte sich zur Seite. Verkrampft schlang er die Arme um den Leib, winkelte die Beine an und krümmte sich. Mit aller Kraft unterdrückte er ein lautes Schreien. Mit aller Kraft hielt er sich zurück, räkelte sich stockend und schluchzte laut. ~*To be continued*~ Kapitel 14: Rostige Barrieren ----------------------------- In schnellen Schritten ließ Kaiba den Schulflur hinter sich, betrat den Klassenraum und warf die Tasche auf den Tisch. Nach einem kurzen, orientierenden Blick nach allen Seiten, blähte er die Wangen auf, zog den Stuhl zurück und ließ sich nieder. Alles ging wieder seinen geregelten Gang. Gemeinsames Frühstück mit Mokuba, anschließend eine halbe Stunde Telefonate und letzten Endes die Fahrt zur Schule. Und nach der Schule? Natürlich, da ging es in die Firma und mitten hinein in einen Haufen von Arbeit. Abends würde er dann vielleicht noch einmal zu Joey fahren. Er mochte diesen geregelten Tagesablauf. Bald schlug er die Tasche auf und begann die Bücher auszupacken. Dabei waren seine Gedanken überall. In der Firma, bei Mokuba... Was war es für eine Wohltat, sich keine Sorgen um Joey machen zu müssen. In dem Klassenraum herrschte reges Treiben. Quatschend und lachend trödelten die Schüler von einem Tisch zum anderen, betrieben heitere Konversation und erfreuten sich des Lebens. Auch Tea, Tristan und Yugi waren bereits da. Die kleine Gruppe hatte sich an Yugis Tisch versammelt und Kaiba ihnen nur begrenzte Aufmerksamkeit zukommen lassen. Scheinbar erfreuten sich auch die drei der besten Laune. Tristan saß auf dem Tisch, bewegte die Beine und gestikulierte theatralisch mit den Händen, während er irgendetwas erzählte. Yugi blätterte etwas müde in seinem Hefter und Tea lachte. Kurz bevor es zum Unterricht läutete, betrat auch der Lehrer den Raum, setzte sich hinter seinen Pult und machte den Anschein, noch nicht vollständig aufgewacht zu sein. Etwas schräg saß er dort und gähnte bis zum Stundenbeginn öfter, als Yugi. Der Tag wurde zu keiner Besonderheit. Sieben anstrengende Stunden hieß es, hinter sich zu bringen und die Art und Weise, wie die Schüler dies taten, war ebenso nichts außergewöhnliches. In manchen Stunden beherrschte respektloses Schnattern den Raum, in anderen Stunden hingegen, war kein Mucks zu hören. Lehrer kamen, Lehrer gingen und Kaiba erfüllte seine Pflichten gewissenhaft. Er arbeitete mit, vertiefte sich in den Lernstoff und erzielte exzellente Leistungen, während sich Tristan vielmehr damit begnügte, Fratzen auf seinen Tisch zu kritzeln. Tea schrieb zwei Stunden lang an einem ausführlichen Brief und Yugi erweckte öfter den Anschein, als würde er schlafen. Und da sie nicht die einzigen waren, die an diesem Tag keine Lust auf Unterricht hatten, gab es nicht nur Lehrer, die kamen und gingen, nein, manche schrieen auch, bevor sie die Klasse verließen, während eine Lehrerin regelrecht floh. Das war die Lehrerin der siebten Stunde gewesen und so waren nicht nur die Schüler über das Ende des Schultages glücklich. Auch die Art, wie sich die Klasse trennte, war man gewohnt. Während eine Clique den Treffpunkt des heutigen Ausfluges beratschlagte, verschwand ein junger Firmeninhaber rasch vom Schulgelände, stieg in die Limousine und machte sich somit auf den Weg zur Firma, um die Arbeit dort fortzusetzen. Also ging alles seinen gewohnten Gang. Und das tat es auch weiterhin... eine Woche lang. Fast jeden Tag besuchte Kaiba seinen blonden Freund im Krankenhaus, obgleich diese Besuche nicht nötig zu sein schienen, denn Joey erweckte den Anschein, allmählich wieder der heitere Spaßkeks zu werden. Er grinste viel, lachte oft und verzog nur die Miene, wenn man ihm einen neuen Obstkorb brachte. Auch Gemüse war viel darunter. Gemüse, das reichlich Vitamin-A enthielt und nicht einmal besonders gut schmeckte. Hin und wieder gelang es der Clique, den Leidenden mit Hot Dogs und Hamburgern zu versorgen, selbst Kaiba war einmal gnädig gewesen und hatte ihm Schokolde vorbeigebracht, dabei jedoch auch stets darauf achten, dass der Obstkorb an Gewicht verlor. Diese Tatsachen versüßten den tristen Krankenhausaufenthalt. Ja, Joey schien es gut zu gehen und mit jedem Tag verstärkte sich die Sehnsucht, das Augenlicht zurückzuerhalten, obgleich Joey mit der Blindheit gut zurechtzukommen schien. Im Tasten war er ein Genie und wenn die Ärzte nicht aufpassten, schlich sich der Blinde einfach aus dem Zimmer und war im Garten des Krankenhauses zu finden, weit entfernt von den Obstbäumen auf einer Bank. Dort saß Joey gern. Und viel mehr tat er dort auch nicht. Sitzen und schweigen. Über Besuche freute er sich immer, ob nun die Clique, sein Vater, Mokuba, Pikotto oder Kaiba. Jeder, der ein heiteres Gespräch führen wollte, war willkommen. Als der neunte Tag des Krankenhausaufenthaltes begann, stattete Kaiba seinem Freund einen weiteren Besuch an. Gestern hatte er keine Zeit dazu gefunden, Berge von Arbeit und wichtige Termine hatten ihn davon abgehalten. Gemächlich öffnete er die Tür und sobald er den Raum betrat, zog ihm laute Musik entgegen. Im Schneidersitz hockte Joey auf dem Bett, hatte Kopfhörer in den Ohren und bewegte sich zu verdammt lauter Musik. Mit offenen Augen wippte er von einer Seite zur anderen und sang leise mit, während er mit einer Möhre gestikulierte. So entfiel ihm Kaibas Auftauchen. Dieser schloss die Tür hinter sich, beobachtete den Blonden schmunzelnd und trat schlendernd näher, ohne darauf achtend, leise zu sein. Als er neben Joey stehen blieb, verlor dieser den Faden und nuschelte vielmehr vor sich hin. Den Blick auf ihn fixierend, griff Kaiba hinterrücks nach einem Stuhl, zog ihn näher an das Bett heran und ließ sich auf ihm nieder. "Mm-mm-mmmm...", genießerisch legte Joey den Kopf schief und hob die Möhre, von der er beiläufig ein Stück abbiss, "... weil ich dich immer noch liebe... ohoo... weil ich dich immer noch brauche... uhuu... weil ich mm-mmm..." Amüsiert rieb sich Kaiba die Stirn und ließ sich im Stuhl tiefer rutschen, um das amüsante Schauspiel noch etwas verfolgen zu können. >Ich bin froh, dass es ihm so gut geht<, dachte er entspannt, während er die Arme auf dem Bauch verschränkte. >Ich hatte befürchtet, unter der Blindheit würde er mehr leiden.< "Ohoo... uhuu... ahaa... weil ich..." Wieder biss Joey ein Stück ab und dann war sein Mund so voll, dass man überhaupt nichts mehr verstand. >Ich hatte gedacht, ich müsste jeden Tag den ganzen Tag bei ihm sein aber scheinbar kommt er gut ohne mich zurecht.< "Tamdadam." Joey schloss die Augen, wendete die Möhre in der Hand und verzog ganz merwürdig das Gesicht. "Komm zu mir zu mir zurück... Daaaarling." Kaiba hob die Augenbrauen. "Lass mich nicht allein, uhuuu... und ich werde immer mm-mmm... bla bla bla..." Kaiba schnalzte mit der Zunge, kratzte sich an der Schläfe und kam gemächlich auf die Beine. >Ich lasse ihn noch etwas singen und hol mir einen Kaffee.< Kurze Zeit später trotteten sie nebenbeinander durch den herrlichen Garten des Krankenhauses. Joey hatte sich bei Kaiba eingehakt, setzte sicher und zielstrebig einen Fuß vor den anderen. "Weißt du was?", hob er an und hob die Paprika zum Mund. "Was?" Kaiba beschattete die Augen mit der Hand, blinzelte unter der grellen Sonne. "So schlimm ist es gar nicht, blind zu sein." "Ach nein?" Überrascht lugte Kaiba zu ihm und Joey nickte zustimmend. "Es ist nur das ungewohnte Gefühl, das einem Angst einjagd. Aber irgendwie kommt man trotzdem gut zurecht." "Du bist vorgestern gegen eine Wand gelaufen", erinnerte Kaiba ihn nun etwas spektisch und Joey weitete die Augen. "Hey, ich schwöre, die war am Tag davor noch nicht da." Daraufhin schmunzelte Kaiba still und Joey schloss sich ihm an. Nach wenigen Schritten blieb der Blonde dann stehen und schaute zur Seite. "Hier ist doch die Bank, oder? Komm, wir setzen uns." Er tastete, fand die hölzerne Lehne und ließ sich nieder. Kaiba tat es ihm etwas irritiert gleich. "Du wirst wirklich damit fertig?", erkundigte er sich und nahm ein Stück von der Paprika entgegen, welches Joey ihm großzügig reichte. "Ich könnte mir nicht vorstellen, dass es mir in deiner Lage genauso ginge." "Klar." Joey lehnte sich entspannt zurück und streckte die Beine von sich. "Du hast ja auch mehr Pflichten, als ich. Du musst eine Firma leiten und so, aber in einem Krankenhaus hat man nichts zu tun, also ist das kein Problem." "Hat Johnson irgendetwas über die Entasssung gesagt? Ich meine, du könntest nach Hause gehen. Dort kennst du dich aus und könntest dich besser beschäftigen." Joey wackelte mit dem Kopf und ließ den Rest der Paprika im Mund verschwinden. "Weiß nicht, habe ihn nicht gefragt." "Willst du denn gar nicht nach Hause?" Kaiba fuhr sich über den Mund. "Ach, eigentlich ist es hier ganz okay. Und außerdem", er grinste, "sehe ich das kahle Zimmer nicht." Kaiba blieb nichts anderes übrig, als zu nicken. "Und wegen deinen Augen? Hat Johnson etwas gesagt?", fragte er kurz darauf. "Was sollte er denn sagen? Ich muss Obst und Gemüse in mich reinstopfen und das einzige, was wir tun können, ist warten. Über eine Woche habe ich schon hinter mich gebracht, also kann es nicht mehr lange dauern, nicht wahr? Ich bin ja auch etwas ungeduldig und aufgeregt, aber es würde nichts bringen, wenn ich schreiend herumrenne oder zu Gott bete, er solle die Zeit doch etwas beschleunigen. Den Gefallen würde er mir sicher nicht tun, hat nämlich was gegen mich." "Ach." "Doch." Da war sich Joey sicher. "Wenn er nichts gegen mich hätte, dann wäre alles nach Plan verlaufen und ich könnte noch sehen. Wegen Vitamin-A-Mangel, mensch, etwas Dämlicheres habe ich noch nie gehört. Das ist nicht einmal besonders spannend, findest du nicht?" "Tja." "Und wie geht´s so voran? Neue Nachrichten von der Außenwelt?" "Nicht wirklich, Frau Kandoji hat sich nach dir erkundigt, Herr Koni hat uns mit weiteren Flüchen belegt und Pikotto blieb gestern den ganzen Tag verschwunden. Keiner wusste, wo er war." "Ach du liebe Güte", keuchte Joey. "Aber er ist wieder da, oder?" "Ja, nach zwei durchgearbeiteten Tagen und einer durchgearbeiteten Nacht, lag er in seinem Büro auf dem Sofa und hat geschlafen." "Den ganzen Tag?" "Und die darauffolgende Nacht." "Hui." Joey weitete die Augen, seine rechte Hand verschwand kurz in der Tasche seines Schlafmantels und kurz darauf zog er eine Möhre hervor. "Und noch etwas?" "Mm... Muto hat geträumt und ist die Treppe hinuntergefallen. Außerdem ist Duke immernoch wütend." "Wütend?" Es war Joey entfallen. "Weshalb?" "Du weißt doch, ich habe verschwiegen und die Sache somit noch schlimmer ge..." "Hey, weißt du was?", unterbrach Joey ihn scheinbar beiläufig. "Wenn ich wieder sehen kann, könnten wir doch einen Ausflug machen. Du, Mokuba und ich." "Warum nicht?" Kaiba zuckte mit den Schultern. "Wo soll´s denn hingehen?" "Keine Ahnung." Joey kaute gemächlich. "Das können wir ja entscheiden, wenn es soweit ist." "Klar." Kaiba atmete tief durch, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und streckte sich genießerisch aus. Bald kam es Joey so vor, als zögen die Tage schneller an ihm vorbei. Jeden Arzt, der das Zimmer betrat, fragte er nach der Uhrzeit und wenn er Antwort erhielt, traute er seinen Ohren kaum. Und wenn er gerade nicht fragte, dann hörte er laute Musik, vergriff sich an dem Obstkorb und zeichnete etwas. Genau, er zeichnete einfach drauf los und wenn dann jemand zu Besuch kam, hielt er ihm das Bild unter die Nase und erntete Gelächter. Nun, er konnte nicht zeichnen, da spielte die Blindheit keine Rolle. Hätte er sehen können, wäre auch nichts besser zustande gekommen. Ansonsten machte er kleine Ausflüge und fand Spaß daran, zu erforschen und zu betasten. Und sobald er herausgefunden hatte, welche Taste des Automaten die Taste für Kaffee war, sah man ihn oft in seine Richtung schleichen. Er lenkte sich ab, saß auch oft unten in der Cafeteria und unterhielt sich mit alten Leuten, die nichts gegen einen Plausch einzuwenden hatten, sich sogar regelrecht darüber freuten. Er vermittelte den Eindruck, unbesorgt, ja, sogar übermäßig glücklich zu sein und so kamen Besuche immer seltener vor. Kaiba ließ sich nur aller drei Tage blicken, während sich die Clique nur einen Tag dazwischen freinahm. Doch da auch dies nichts war, das Joey traurig machte, stellte es kein Problem dar. Er beschäftigte sich, besuchte die alte kranke Frau im Nachbarzimmer und erzählte ihr von seinen Abenteuern. Er tat ihr eine unglaubliche Freude damit und wenn er Abends wieder in dem Bett lag, dann war auch er stolz und erfüllt von Freude. Nach zwei Wochen hatte sich an alledem nichts geändert. Nahezu unverändert zeigte sich die Heiterkeit des Blonden und noch besser ging es ihm, nachdem Johnson die Nachricht überbrachte, ihn in drei Tagen zu entlassen. Erst, wenn jener Test anstand, würde ein Arzt ihn abholen. Ein besonderer Service, um ein Geheimnis zu wahren. Ein Geheimnis, das sich so tief in die Seele des Blonden zurückgezogen hatte, dass nichts mehr die Kraft besaß, auf sich aufmerksam zu machen. Ja, binnen zweier Wochen war die Selbstbelügung perfekt und Joey bereit für das geregelte Leben. Er schien es geschafft zu haben! Drei Tage... Er sah diese drei Tage aus irgendwelchem Grund als die Zeit an, die es zu überwinden, die es noch durchzuhalten galt. Nach diesen drei Tagen wäre all das vorbei. Nur eine kurze Fahrt zum Krankenhaus nach den verbliebenen eineinhalb Monaten drohte, Erinnerungen zurückkommen zu lassen. Doch daran dachte Joey schon längst nicht mehr. Einen Tag, nachdem Johnson die freudige Nachricht überbracht hatte, hatte sich Joey entschieden, das Zimmer nicht zu verlassen. Es war noch früh am Morgen, es regnete und Lust auf einen Kaffee hatte er noch weniger. Auch Abenteuer wollte er nicht erzählen... nur in seinem Bett liegen. Während die Decke auf dem Boden knietschte, streckte er sich genüsslich aus, rollte sich auf den Bauch und ließ die Arme über die Kante der Matratze baumeln. In seinen Ohren steckten wieder die Kopfhörer, ein lauter Bass war zu hören und nach einer weiteren Stunde des Herumliegens, schleppte er sich zum inzwischen neuen Obstkorb, zog zwei Möhren hervor und bewegte sie wie zwei Schlegel. Wenn er die Augen geöffnet hielt und dennoch in die Dunkelheit blickte, dann konnten die tollsten Fantasien entstehen. Doch selbst diese Fantasien wurden nach einer halben Stunde langweilig, durch die Musik dröhnten ihm die Ohren und so rappelte er sich auf, warf den Disk-man gezielt auf das Nebenbett und beschloss in seiner Unlust ein Gemüseraten zu veranstalten. Also zog er den Korb zu sich, stellte ihn auf seinem Schoß ab und griff hinein. Er zog das Erstbeste hervor, wendete es flink in der Hand und biss sich grüblerisch auf die Unterlippe. >Ein Apfel! Oder... nein halt, ein Pfirsich. Ein weicher Pfirsich.< Er drehte es weiter, drückte etwas zu. >Sehr weich.< Er drückte fester. "Whuahh!" Eine Grimasse schneidend, lehnte er sich zurück. Unterdessen tropfte die Soße von seiner Hand. "Eine Tomate!" Fluchend warf er sich auf die Seite und tastete neben seinem Bett nach dem Papierkorb. Doch in diesem Augenblick öffnete sich die Tür und so hielt er inne und blickte auf. Er vernahm keinen Laut. "Ja?" "Ups." Eine junge Frau lachte nervös. "Falsches Zimmer." "Aha." Joey verdrehte die Augen und als sich die Tür wieder schloss, warf er die Tomate in den Papierkorb, wischte sich kurz die Hand sauber und wandte sich wieder dem Gemüseraten zu. Erneut griff er in den Korb, zog etwas hervor und begann zu grübeln. >Trauben, nein, Erdbeeren.< Er grinste. "Lecker." Während er sich dann einige schmecken ließ, tastete er weiter. >Was ist das? Ne Gurke...? Zucchini? Quatsch.< Er runzelte die Stirn. >Ne Banane...?< Wieder vernahm er das Klicken der Tür und legte eine kurze Pause bei der aufregenden Beschäftigung ein. Wieder drehte er das Gesicht zur Tür. "Hallo?", vernahm er eine männliche Stimme. "Ja?" Er hob die Augenbrauen. "Oh." Leises Räuspern. "Falsches Zimmer." "Ach." Joey rollte mit den Augen. "Tschuldigung." "Kein Problem." Somit wurde die Tür geschlossen und nach einen ausgiebigen Stöhnen betastete er den Gegenstand weiter. "Banane", murmelte er kurz darauf entschlossen und legte sie zur Seite, um wieder in den Korb zu greifen. >Weintrauben... mm, herrlich.< Auch diese ließ er nacheinander im Mund verschwinden. Daran könnte er sich eigentlich gewöhnen. Weitere Minuten beschäftigte er sich auf diese Art und Weise und nachdem er auch einen Apfel, weitere Erdbeeren, zehn Litschis und zwei Kiwis gegessen hatte, verlor er allmählich die Lust. >Eins noch<, entschloss er sich träge, rieb sich den Bauch und ließ die Hand wieder in dem Korb verschwinden. >Aber das ist eine Gurke<, war er sich sicher, als er das Nächste in der Hand wendete. >Oder doch wieder eine Banane?< In diesem Augenblick öffnete sich erneut die Tür und unter einem lauten Stöhnen ließ er den Kopf hängen. "Falsches Zimmer!", raunte er genervt und wartete auf eine Antwort. Doch... die bekam er nicht sofort. Es herrschte eine kurze Stille, dann leise Schritte. Joey zog eine Grimasse und richtete sich auf. "Ah ja?" Gerade wollte der Blonde zustimmend nicken, dann jedoch, hielt er inne. Das Gesicht zur Tür gedreht, verharrte er reglos. Diese Stimme... Verwirrt verzog er die Miene, ließ langsam die Banane sinken und neigte sich stockend nach vorn. Er konnte kaum eigene Gedanken und Grübeleien entwickeln, da hörte er, wie sich die Tür schloss, wie sich Schritte langsam seinem Bett näherten. "Is vielleicht des falsche Zimmer aber der richtige Patient. Und darauf kommt´s doch an, ne?" Schon nach den ersten Worten hatte das Gesicht des Blonden an Farbe verloren. Die Augen hatten sich geweitet und der junge Mann einen schmerzhaften Stich in der Herzgegend gespürt. Ein erschrockenes Stechen und anschließend ein eiskalter Schauer, der über seinen Rücken und anschließend durch all seine Glieder raste. Sein Herz schien einen Sprung zu machen, seinen Gelenken fehlte es plötzlich an Beweglichkeit und beinahe stockte ihm der Atem. "Daniel...?", krächzte er fassungslos. "Persönlich und in Lebensgröße." Lässig schlenderte dieser bis vor das Bett. Die Hände gelassen in den Taschen der lockeren Hose verstaut, blieb er stehen, legte den Kopf schief und unterzog Joey einer knappen Musterung. Er wirkte recht entspannt, zog kurz darauf eine Hand hervor und streifte sich das offene Haar zurück. Der Blonde kauerte keuchend vor ihm. Die Banane war der Hand längst entglitten. Nun hatten sich die Finger tief in der Decke vergraben und Joey kämpfte damit, die Fassung zurückzuerlangen. Er hatte ihn nicht erwartet... Hätte es sich nie träumen lassen... Hatte mit ihm abgeschlossen! Mit allem, was mit ihn zu tun hatte!! Weshalb stand er plötzlich vor ihm?! Angespannt hielt er den Atem an, schloss die Augen und fuhr sich fahrig über die Stirn. Währenddessen ließ sich Daniel auf dem Stuhl nieder, lehnte sich gemütlich zurück und faltete die Hände auf dem Bauch. "Fragst dich jetzt sicher, was ich hier mache", begann er zu plaudern, während Joey sich zusammenriss, sich allmählich von dem Schock erholte. "Um ehrlich zu sein, frag ich mich das auch. Nu, war einfach hier in der Gegend und dacht mir, ich schau ma vorbei. Gucken wie´s so geht, ob alle noch leben...", er suchte kurz nach Worten, fuchtelte mit der Hand, "... hübsche Stadt habt ihr hier." "Ja...", Joey nickte etwas konfus, zwang sich ein Grinsen auf, das kräftig misslang, "... ja." "Und du bist also immer noch blind." Daniel hob die gefalteten Hände hinter den Kopf, sah Joey an. "Sachste mir jetzt, worans liegt?" "Warum dieses plötzliche Interesse?" Angespannt kroch Joey in sich zusammen. "Ich dachte, es wäre dir scheißegal." "Klar, war´s auch." Daniel zuckte mit den Schultern. "Aber in zwei Wochen kann man ne Menge nachdenken und irgendwie bin ich nu doch neugierig." "Und deshalb kommst du aus Deutschland hierher?", murrte Joey verstohlen. "Nö, ich sach doch, ich war in der Gegend." Daniel verdrehte die Augen. "Also sachstes mir jetzt?" "Harmlose Krankheit, bald vorbei." Somit wandte sich Joey ab. "Schön, dass du da warst. Ist noch was?" Daraufhin runzelte Daniel die Stirn. >Eigentlich hab ich damit gerechnet, dass er mich mit Fragen über Lee bombardiert. Aber scheinbar will der mich nur loswerd´n. Plötzlich interessiert´s ihn nich mehr.< Er rümpfte die Nase. >Das kann nur eines bedeuten.< Kurz räkelte er sich auf dem Stuhl, atmete tief ein und blähte die Wangen auf. Joey saß noch immer abgewandt vor ihm, wippte nervös auf der Matratze und schien sich nichts lieber zu wünschen, als dass er sofort verschwinden würde. Aber diesen Gefallen tat Daniel Ray ihm nicht. Nein, der Schwarzhaarige musterte ihn lange, setzte ihn einem langen Schweigen aus und schien eigene Gedanken zu verfolgen. >Hau ab! Hau ab!!< Verkrampft versenkten sich die Finger in dem blonden Schopf. >Ich will´s nicht wissen! Ich will nichts hören! Ich weiß nichts davon! Hau ab!!< "Sach mal." Daniel richtete sich auf und Joey zuckte zusammen. "Du willst mir nich erzählen, dassde die Geheimtuerei noch immer durchziehst, oder?" "Na und?", antwortete Joey schnell, wobei er sich zwang, nicht daran zu denken, was er geheim hielt. "Ist doch egal. Was willst du noch hier!" "Is nich dein Ernst." Daniel schüttelte ungläubig den Kopf. "Nimm es wie du willst!" Joey zuckte mit den Schultern, biss die Zähne zusammen. "Aha?" Daniel Ray weitete die Augen. "Du willst mir also erzählen, dass du's hinter dir hast? Und die anderen ham keine Ahnung?" "Was geht´s dich an!", fauchte Joey wieder. "Ist doch nicht dein Problem!" "Ne." Da musste Daniel ihm zustimmen. "Aber es is deins." "Ja ja!" "Aha." Daniel ließ sich gegen die Lehne zurücksinken, rieb sich das Kinn und streckte die Beine von sich. Er wirkte recht nachdenklich, nahezu skeptisch und noch immer ungläubig. Doch als sich seine Augen erneut auf den Blonden richteten, war sogar etwas wie Besorgnis in ihnen zu erkennen. "Okay", gab er dann nach. "Hab mir Sorgen gemacht." "Hier gibt’s niemanden, um den du dir Sorgen machen musst!", kam sofort die Antwort. Stockend tasteten sich die Hände durch den blonden Schopf zu den Ohren, als wolle er sie verdecken. "Außerdem wollt ich dir sagen, dass sich Lee nich mehr gemeldet hat." Nun pressten sich die Hände auf die Ohren und Joey schwieg, wobei er aufmerksam beobachtet wurde. "Um ehrlich zu sein", Daniel biss sich auf die Unterlippe, ging nicht auf Joeys Reaktion ein, "... glaub ich nich mal, dass er noch lebt." "Okay!", erhob sich ein zitterndes Fauchen. "Sonst noch was?" Daraufhin antwortete Daniel nicht gleich. Wieder entstand ein langes Schweigen, in dem sich die Miene des Halbamerikaners allmählich verfinsterte. Und dann sprach er aus, was ihm auf der Zunge lag. "Biste bescheuert?" Er verengte die Augen, schüttelte den Kopf. Joey reagierte nicht. Unterdessen kam Daniel auf die Beine, trat an das Bett heran und baute sich vor dem zusammengekauerten Blonden auf. "Ich hätt dir echt´n bisschen mehr Grips zugetraut und dachte, ich würde hier auf ne aufgeklärte Situation treffn! Und was seh ich?!" Daniel gestikulierte mit den Armen, war offensichtlich aufgebracht. "Du bist seit zwei Wochen hier und hältsts nich für nötig, die Klappe aufzumachen?! Hey, ich hab diesen Scheiß mitgemacht, weil ich dachte, dassde noch´n bisschen Zeit brauchst! Aber jetzt hab ich´s Gefühl, dass du’s einfach vertuschen willst, nie nen Wörtchen sagen wirst! Du bist total bekloppt!" Wütend rammte er die Hände in die Hüften und zog eine düstere Grimasse. "Wennde weiter so machst, dann wirste in spätestens nem halben Jahr in die Klapse eingewiesen, weil´s dich fertig macht, verstehste?!" Joey kroch immer mehr in sich zusammen, presste die Hände auf die Ohren und biss die Zähne zusammen. Verzweifelt versuchte er an etwas anderes zu denken, Daniels Worte einfach zu überhören… sie ungeschehen zu machen. Irgendwann würde er schon wieder verschwinden und dann wäre nichts passiert! Doch Daniel war noch nicht fertig. "Als Lee das erste Mal vergewaltigt wurde, hat er mir zwei Stunden weinend ind´n Armen gelegen und du willst mir weismachen, es einfach verdrängen und vergessen zu können?! Hältste dich für irgend nen Supermann oder so?!" "Hey!" Plötzlich fuhr Joey in die Höhe. Sein Atem raste und in seinen Augen funkelte der schiere Zorn, als er sich zu Daniel umdrehte. "Hast du nichts Besseres zu tun, als mir Vorträge zu halten?! Es geht dich einen Scheißdreck an, was ich mache!! Ich will von alledem nichts hören, ich will auch nichts wissen!! Das einzige was ich will, ist, dass du verschwindest!!" "Ach?!" Daniel weitete die Augen. "Du arbeitest also schon am psychischen Krüppel, ja?!" "Ich sagte", Joeys Gesicht verfinsterte sich drohend, "… dass du verschwinden sollst!" "Whoope! Das is super, das is klasse! Du bist echt fleißig!" Daniel trat einen Schritt zurück, drängte den Stuhl zur Seite. "Verlangste jetzt von mir, genauso feige zu sein, wie du?! Soll ich jetzt meine Klappe halten und genauso wie du, tun, als wäre nichts passiert?!" "Ist mir scheißegal!", fauchte Joey. "Hauptsache, du verschwindest!" "Es is dir egal, ob ich dicht halte?", begann Daniel zu stochern. "Nein!" Sofort fuhr Joey in sich zusammen. "Du hast mir versprochen, nichts zu sagen!!" "Pah!" Daniel wandte sich ab, gestikulierte abwertend mit der Hand. "Da musste dir keine Gedanken mach´n. Immerhin bin ich nich dein Affe, der für deine Problemchen zuständig is! Löse die mal fein selbst!" "Verzieh dich!!" Eine schiere Tobsucht schien in Joey zum Leben zu erwachen. Seine Hände schlugen sich in das Laken und er erweckte den Anschein, als wäre er dazu bereit, sich auf Daniel zu stürzen. Dieser jedoch, entfernte sich bereits in langsamen Schritten von ihm. "Okay", meinte er, als er die Tür beinahe erreichte, merkwürdig ruhig und entspannt, obgleich er gerade noch geschrieen hatte. "Wenn du so fest drauf bestehst, dann überlass ich dich fein deinem Schicksal." "Verdammte Scheiße… tu das!!" "Wie du willst." Ächzend griff Daniel nach der Klinke, hob flüchtig die Hand. "Ich komm dich dann in ein paar Jährchen in der Klapse besuchen." "Ver-zieh-dich!" Joey duckte sich. "Wow, die Aggressionen eines Gestörten hast du ja schon." Joey antwortete mit einem dumpfen Knurren, schien sich kaum noch zurückhalten zu können. Somit öffnete Daniel die Tür, hielt jedoch im Rahmen inne und drehte sich noch einmal um. Unbeteiligt richtete sich sein Blick auf den Blonden, der keuchend dort hockte. "Du machst nen Fehler", flüsterte er. "Du machst nen gewaltigen Fehler und hoffentlich siehste das ein, bevor es zu spät is." Joey schnappte nach Luft, setzte an, um erneut zu schreien, doch Daniel schloss bereits die Tür und überließ ihn sich selbst. Sobald Joey das Klicken vernommen hatte, hielt er den Atem an. Entsetzt, nahezu panisch weiteten sich die braunen Augen, die Zähne bissen so sehr aufeinander, dass sie knirschten und verkrampft blieb er kauen. Reglos, als wäre er zu Eis erstarrt. Nun herrschte wieder Stille in dem kahlen Raum. Bin ich egoistisch? Egoistisch, weil ich die Schmerzen für mich behalte? Weil ich ihr Zentrum darstelle, verhindere, dass sie nach außen dringen? Weil ich verhindere, dass sie Andere gleich eines Fluches belegen? Dass Andere unter ihnen Qualen leiden? Bin ich egoistisch, weil ich meine Schmerzen mit niemandem teilen will? Bin ich schwach? Schwach, weil ich nicht dazu imstande bin, diesen Egoismus zu überwinden? Weil ich Angst vor den Folgen habe? Meine Schmerzen deshalb nicht in Worte fasse und ausspreche? Bin ich schwach, weil ich verdränge? Mich vor der Wahrheit fürchte? Bin ich bemitleidungswürdig? Bemitleidungswürdig, weil mein Leben einem Alptraum gleicht? Weil ich nicht die Kraft besitze, mich von ihm zu befreien? Weil ich hilflos bin und mir dieses Schicksal dennoch selbst wählte? Bin ich bemitleidungswürdig, weil ich in einem selbstgeschaufeltem Grabe hocke? Bin ich verräterisch? Verräterisch, weil mein Gesicht eine Maske ist? Eine Maske, die meine wahren Gefühle unter sich verbirgt? Weil ich nicht sage, was ich denke? Weil ich vorgebe, jemand zu sein, der ich nicht bin? Bin ich verräterisch, weil ich ein Geheimnis hüte? Bin ich feige? Feige, weil ich vor der Wahrheit die Augen verschließe? Weil ich die Welt in meiner Fantasie so veränderte? So, dass es sich in ihr zu leben lohnt? Bin ich feige, weil ich mich vor Veränderungen scheue? Oder... Oder bin ich stark? Stark, weil ich Egoismus, Schwäche, Bemitleidung, Verrat und Feigheit auf mich nehme, um Menschen vor den Schmerzen zu bewahren, die mich niederdrücken? Ich weiß es nicht. ~*To be continued*~ Kapitel 15: Wenn man nur noch die Augen schließen will... --------------------------------------------------------- "Pikotto?!" Kaiba lehnte sich aus dem Stuhl, in seinem Büro und dem Vorraum herrschten gnadenloses Gedränge und es war schwer, den Gesuchten zu finden. Genervt rieb sich Kaiba die Stirn, bat die wartenden Angestellten mit einer knappen Handgeste um Geduld und rappelte sich auf. An diesem Tag war unnormal viel Stress auf ihn zugekommen. Jeder Angestellte wollte etwas von ihm und schon nach zwei Stunden war er beinahe mit den Nerven am Ende. "Verzeihung, vorsicht." Eilig drängelte er sich durch die Menschen, stolperte aus seinem Büro und blickte nach beiden Seiten. "Pikotto!", rief er wieder und er musste schreien, um das laute Schnattern und Trampeln zu übertönen. Jedoch mit Erfolg, denn kurz darauf erspähte er den älteren Mann, wie er sich mit einem Aktenberg seinen Weg bahnte. Kaiba verdrehte die Augen, fuchtelte ungeduldig mit der Hand und hob die oberste Akte von dem Berg. "Hast du die andere auch gefunden?", fragte er sofort und klemmte sich das schwere Ding unter den Arm. Pikotto nickte und versuchte auch die unterste Akte hervorzuziehen. Es gelang nur schwerlich und als Kaiba endlich das hatte, was er benötigte, stoben sie in verschiedene Richtungen auseinander. "Lasst mich durch, lasst mich durch." Kaiba blähte die Wangen auf, stöhnte, und warf sich in den Stuhl zurück. "Einen Moment." Während die Angestellten in seinem Büro weiterschnatterten, öffnete er die beiden Akten und begann zu suchen. "Herr Kaiba, ich brauche noch eine Unterschrift. Sie sagten doch, dass der Brief noch heute rausmüsste und..." "Herr Kaiba, haben Sie den Artikel schon gelesen? Sind Sie zufrieden?" "Herr Kaiba, ich müsste noch etwas mit Ihnen besprechen!" Durch jahrelange Erfahrung hatte Kaiba gelernt, die Ohren einfach abzustellen und sich ausschließlich auf die derzeitige Tätigkeit zu konzentrieren. So blieb er halbwegs ruhig, zog kurz darauf einige Unterlagen aus der Akte und reichte sie zwei Angestellten, die sich sofort mit ihnen aus dem Staub machten. Anschließend kämpfte er die riesigen Akten zur Seite und bekam unglaublich viele Mappen und Blätter vorgelegt. Als sich Frau Fukuyoka zu ihm durchkämpfte und einen Kaffee auf dem Schreibtisch abstellte, zückte er einen Füller und nahm die erste Kopie unter Augenschein. Binnen kürzester Zeit musste er wissen, worum es ging und sich erinnern, was er angeordnet hatte. Eine Sache, die nicht immer leicht fiel. Nun setzte er seine Unterschrift und griff nach der Tasse. Sofort wurde die Kopie weggeschnappt und das Büro allmählich leerer. Es dauerte beinahe eine Stunde, bis sich der furchtbarste Rummel gelegt hatte. Dann unterschrieb er die letzten Unterlagen, leerte die zweite Tasse mit wenigen Schlucken und lehnte sich zurück, um sich eine Verschnaufpause und eine Zigarette zu gönnen. Und während er dort saß, rauchte und durch die Glastür die Hektik verfolgte, die draußen herrschte, meldete sich das Telefon. Lahm richtete er sich auf, drückte eine Taste und warf sich wieder gegen das Polster. "Ja?", meldete er sich träge. "Seto?", meldete sich sofort eine heitere Stimme. "Kommst du heute nach Hause? Wann fahren wir denn nun weg? Wohin fahren wir eigentlich? Können wir am Wochenende? Geht das?" "Mokuba." Kaiba zog eine schmerzvolle Grimasse und rieb sich die Stirn. "Können wir das nicht ein anderes Mal besprechen? Ich hab derzeit viel Stress." "Ach, den hast du doch immer!" "Wie einfühlsam von dir." Brummend ließ sich Kaiba tiefer rutschen. "Ich wolle dich nur daran erinnern, damit du es nicht vergisst." Die junge Stimme schlug ins Trotzige um. "Hast du es dir wenigstens eingeschrieben?" Lahm drehte Kaiba das Gesicht zur Seite, lugte zu dem riesigen Kalender, der an der Wand hing. "Sag bloß, du hast es vergessen!" "Mm..." Kaiba nahm einen Zug. "Und kommst du nun heute nach Hause?" "Klar, es könnte aber spät werden." "Also doch erst morgen früh!" "Ja ja, morgen früh." "Und fährst du mich da wieder zur Schule?" "Aber natürlich." Kaiba schloss die Augen. "Aber wirklich!" "Jaaa." "Dann ist ja gut." Mokuba lachte, plötzlich ertönten im Hintergrund Geräusche. "Weißt du, Bikky ist gerade da und wir räumen mein Zimmer um." "Ach wirklich", murrte Kaiba teilnahmlos. "Bikky wollte meinen Schreibtisch auf das Bett stellen", plauderte Mokuba weiter. "Aber das geht schlecht und außerdem ist das eine blöde Idee." "Gar nicht wahr!", meldete sich eine zweite Stimme in der Leitung, leises Rumpeln ertönte. "Hey, du hattest das wirklich vor!", verteidige sich Mokuba entrüstet. "Ja!", rief Bikky. "Aber es sein keine schlechte Idee!" "Werft den Schreibtisch meinetwegen aus dem Fenster", stöhnte Kaiba. "Ups, du bist ja auch noch da." "Ja, aber ich muss jetzt Schluss machen. Ich habe noch eine Menge zu tun." Kaiba richtete sich auf. "Ich versuche doch schon eher da zu sein und schaue noch einmal vorbei, okay?" "Ja, super, mach das!" "Mache ich." Kaiba blähte die Wangen auf. "Tschüss." "Tschüssi!" Somit wurde aufgelegt und Kaiba hob die Zigarette zum Mund, betätigte eine andere Tase und wartete kurz. "Noch einen Kaffee", brummte er, als sich eine Frauenstimme meldete. "Sofort, Herr Kaiba." Somit lehnte sich Kaiba abermals zurück, streckte die Beine von sich und entschied, sich wenigstens einige Minuten Ruhe zu gönnen, bevor er sich wieder in die Arbeit stürzte. Bald drückte er die Zigarette aus und es dauerte nicht lange, da wurde ihm auch ein neuer Kaffee gebracht. Somit blieb er sitzen, faltete die Hände auf dem Bauch und starrte gedankenverloren auf das Bild, welches an der gegenüberliegenden Wand hing. Dennoch blieb ihm nicht lange Zeit, um sich zu entspannen, denn bald öffnete sich die Tür seines Büros erneut. Träge lenkte er den Blick auf den Besucher und reagierte recht überrascht, als er ihn erkannte. Langsam richtete er sich auf. "Daniel?" Ja, der Schwarzhaarige betrat das Büro, schob die Tür mit dem Fuß zu und sah sich orientierend um. Kaiba runzelte die Stirn. "Was hast du denn hier zu suchen?", erkundigte er sich knapp, jedoch nicht abweisend. Es gab einige Dinge, die er ihm zu verdanken hatte. "Schön hast du's hier." Daniel näherte sich seinem Schreibtisch in schlendernden Schritten. Überrascht sah Kaiba ihn näherkommen. Der junge Mann wirkte etwas nachdenklich, als er vor dem Schreibtisch stehen blieb, mit den Fingerkuppen über dessen Kante fuhr und sich auf die Unterlippe biss. Langsam griff Kaiba nach dem Kaffee. "Wie kommt´s?" "Ach." Daniel zuckte mit den Schultern, schob sich einen der gemütlichen Stühle zurecht und ließ sich auf dessen Armlehne nieder. Kein einziges Grinsen war seit einem Erscheinen auf seinen Lippen zu sehen, auch sonst wirkte er sehr ruhig. "Ich war in der Nähe und dacht´ mir, ich schau mal vorbei." "Okay?" Kaiba wirkte nicht abgeneigt. Er nickte langsam, trank einen Schluck und musterte Daniel unterdessen. "Kaffee?" "Ne, ne." Daniel dankte ab, in dem Büro herrschte so eine angenehme Atmosphäre. "Ich wollt´ mir Domino ma anschaun, ma deine Firma sehen. Echt beeindruckend." Er weitete die Augen und Kaiba brummte. "Viel anstrengender, als beeindruckend." "Schon klar." Daniel streckte die Beine von sich, erneut bearbeitete er die Unterlippe mit den Zähnen, starrte auf den Boden. "Und wie läuft´s so?" "Alles geht seinen geregelten Gang", antwortete Kaiba locker. "Stress, Erfolge, Misserfolge, schlaflose Nächte und ein Haufen Arbeit." Nun zog ein unscheinbares Grinsen an den hellen Lippen des Halbamerikaners. Somit schwiegen Beide für geraume Zeit. Kaiba trank die Tasse aus, zündete sich eine neue Zigarette an und schob die letzten Unterlagen zur Seite. Daniel blickte auf, besah sich die Zigarette. "Hey, bekomm ich eine?" "Du rauchst?" Kaiba hob die Augenbrauen. "Gelegendlich." Schulternzuckend neigte sich Daniel vor und griff nach der Schachtel, die ihm bereitwillig zugeschoben wurde. "In manchen Situationen hab ich es auch nötig." Und als er sich den Tabak anzündete, wirkte er etwas nervös. Gerade so, als befände er sich in genau so einer Situation. Einer, die er nur mit Zigarette überstand. Er nahm einige Züge, blies den Raum gen Zimmerdecke und setzte sich bald gemütlicher. "Können wir reden?", fragte er dann. "Aufrichtig? Von Mann zu Mann?" Kaiba schien über diese Wort überrascht zu sein. Vom Schreibtisch blickte er auf, musterte Daniel durchdringlich, bevor er knapp nickte. "Natürlich." Daniel presste die Lippen aufeinander, bewegte die Zigarette zwischen den Fingern und wirkte spätestens jetzt vollends abwesend und grüblerisch. "Joey und du... ihr seid also ein festes Paar." Kaiba stemmte sich mit dem Ellbogen auf den Schreibtisch, erwiderte Daniels Blick nachdenklich. "Woher weißt du das?" "Ich hab´s bemerkt", wurde geantwortet. "Aber das tut nichts zur Sache. Is es so?" "Ja." Kaiba nickte. "Das stimmt." "Du stehst dazu?" "Natürlich." Da brauchte Kaiba nicht zu überlegen. "Und... du liebst ihn wirklich?" "Sonst wäre ich wohl kaum mit ihm zusammen." Kaiba tippte die Asche in den Aschenbecher. "Worauf bist du aus?" Daniel zuckte nur mit den Schultern und atmete tief durch. "Ich war immer dagegen", sagte er leise und senkte den Blick. "Ich hab´s verabscheut, verstehste?" Kaiba nickte, war gern dazu bereit, ihm zuzuhören. Nun, da er ihn von einer ganz anderen und ungewohnten Seite kennenlernte. "Und ich hab mich in Thüringen von euch entfernt, weil ich´s herausgefunden hab. Ich hab immer gedacht, dass es da keine Liebe gäbe, weil´s einfach zu unnormal is." Kaiba schürzte die Lippen, betrachtete sich sein Gegenüber genau. "Ich hätte mich sogar gern dagegen gesträubt, Joey zu helfen aber spätestens als wir dann auf dich trafen, begann ich mir Gedanken zu machen. Nu hatte ich zwei Wochen Zeit un jetzt bin hier." "Was willst du mir damit sagen?" Verständnislos verzog Kaiba die Augenbrauen. "Dass ich mich geirrt hab." Noch immer starrte Daniel nach unten, annähernd beschämt. "Ich hab mich anfangs echt super mit Joey verstanden und will das alles nich zerstören, nur weil er nunmal so tickt. Das is total dämlich. Ich hab auch nichts gegen dich, obwohl wir oft aneinandergeraten sin. Wir sin einfach zu unterschiedlich, aber daran soll´s auch nich liegen." Endlich sah Daniel auf und ihre Blicke trafen sich. "Obwohl du nen driftigeren Grund hast, mich zu hassen. Vielleicht hab ich den Anschein erweckt, als ginge es mir am Arsch vorbei, aber ich hab mir echt Vorwürfe gemacht." "Wirklich?" Kaiba wirkte überrascht und Daniel nickte. "Klar, aber weil es alles zu fix ging, hatt´ ich einfach keine Zeit, mit dir zu reden." "Mm." Nun wandte Kaiba den Blick ab. "Dann sage ich dir jetzt, dass ich dir nur Vorwürfe gemacht habe, weil ich einen Grund brauchte, um etwas gegen dich zu haben." Daniel starrte ihn an und Kaiba rieb sich die Gesicht. "Ja, so kommt es heraus", stöhnte er. "Jedenfalls waren Vorwürfe nie angebracht und ich mache sie dir nicht mehr." Daniel schöpfte tiefen Atem, rieb sich die Schläfe und saugte an den Zähnen. Was bei einem vernünftigen Gespräch doch alles rauskommen konnte? Gemächlich drückte Kaiba die Zigarette aus und Daniel nahm einen weiteren Zug. "Ich bin jedenfalls froh, dass du vorbeigeschaut hast", meldete sich Kaiba kurz darauf wieder zu Wort. "Ich mag keine Dinge, die unausgesprochen begraben werden. Aber sag mal, du warst wirklich ganz zufällig in der Nähe?" Er musterte den Gegenüber etwas skeptisch und Daniel antwortete mit Schweigen. "Sonst hast du wirklich nichts auf dem Herzen?" Daniels Schultern hoben und senkten sich unter einem tiefem Atemzug. "Ich habe mir Sorgen gemacht", murmelte er dann und rieb sich die Stirn. "Sorgen?" Kaiba legte den Kopf schief. "Weshalb?" "Mm...", der Schwarzhaarige rümpfte die Nase, drückte die Zigarette ebenfalls im Aschenbecher aus und faltete die Hände auf dem Bauch. Er zögerte lange, bevor er antwortete, "... Joey und du... ihr führt eine glückliche Beziehung, oder?" "Könnte man so sagen", stimmte Kaiba zu. "Und... ihr sagt euch auch alles?" Kaiba antwortete nach einem leisen Zögern, das Unsicherheit verriet. "Ja... ja, doch, das tun wir." "Also ich gönn´ euch wirklich ne glückliche Beziehung." Auch Daniel war etwas unentschlossen, begann mit den Händen zu gestikulieren. "Ich mein, eigentlich is es ja nich mein Problem, aber..." Kaiba wartete geduldig, wenn auch leicht verwirrt. "Es gibt da einfach was, das auch mein Problem is... etwas, das mit eurer Beziehung zu tun hat." "Was soll das für ein Problem sein?" Kaiba zog sich den Kragen lockerer. "Ich wüsste nicht, dass es da ein Problem gibt." "Genau das isses Problem", murmelte Daniel. "Was?" Kaiba zog eine Grimasse. Der Halbamerikaner räusperte sich, starrte wieder auf den Boden und schwieg. Ein Schweigen, das Kaiba diesmal weniger aushielt. "Daniel", murmelte er leise. "Gibt es da etwas, das ich wissen sollte?" Der Schwarzhaarige nickte langsam. >Es tut mir leid, Joey. Aber das ertrage ich nich...< "Was tust du denn da?!" Flink eilte Mokuba zu Bikky, der gerade dabei war, den Schreibtisch auszuräumen. Den Schreibtisch, den sie letzten Endes doch nur in eine andere Ecke geschoben hatten. "Du haben so viele Mappen", murrte der Blonde Ausländer und grabschte nach einem Stifthalter. "Wollen wir das in das Regal da machen?" "Aber das brauche ich doch alles, um meine Hausaufgaben zu erledigen." Mokuba runzelte die Stirn. "Ich will nicht quer durch das Zimmer laufen." Die beiden drehten sich um und sahen zum weit entfernten Regal rüber, auf der anderen Seite des Raumes. "Aber das sein lustig." Bikky bestand darauf und Mokuba kratzte sich am Kopf. "Na gut, dann räumen wir alles rüber. Aber dafür stellen wir den Schreibtisch in die Mitte des Zimmers." "Okay!" "Und dafür räumen wir morgen DEIN Zimmer um." Darauf bestand Mokuba. "Au ja!" Die beiden jungs lachten und begannen mit der Arbeit. "Ich wusste gar nicht, dass dieses Erdbeereis so vorzüglich schmeckt!" Tea seufzte genüsslich, während sie sich über den großen Becher hermachte. Zusammen mit Yugi, Bakura, Duke und Tristan saß sie in einer gemütlichen Eisdiele und genoss die Freizeit. "Dafür können sich die Preise sehen lassen." Missmutig starrte Tristan auf die Karte. Er war immer noch unentschlossen, während sich Duke bereits über eine große Portion hermachte. "Mäkel nicht herum." Der Schwarzhaarige fischte mit dem Löffel nach der Kirsche. "So oft machen wir das auch wieder nicht." Tristan stöhnte. "Das kann jeder sagen, der Geld wie Heu hat!" "Streitet euch doch nicht", warf Yugi erschrocken ein und ließ von seinem Käsekuchen ab. "Es ist so ein herrlicher Tag, da müssen wir uns alle vertragen." "Mm." Bakura nuschelte etwas Zustimmendes und rührte in seinem Kakao. "Ja." Tea seufzte wieder, diesmal jedoch nicht wegen dem Eis. "Es ist nicht zu heiß, nicht zu kühl und die Sonne scheint. Was könnte es Schöneres geben?" Duke streifte sich das Haar zurück und knabberte an der Waffel. "Wisst ihr was?" Tea zog die Schultern hoch. "Ich bin so glücklich!" "Bist ja auch frisch verliebt", drang es murrend aus Tristans Richtung. "Wie schön", schwärmte Yugi. Tea errötete. "Zur Zeit liebe ich mein Leben!" "Aah..." Genüsslich lehnte sich Herr Wheeler zurück. "Was gibt es Schöneres, als einen herrlichen Kaffee?" Er nahm einen großen Schluck, stellte die Tasse auf dem Küchentisch ab und streckte die Beine von sich. "Dazu zwei Tage keine Arbeit und herrliches Wetter. So liebe ich das Leben." "What are you doing there?" Schelmisch lachend kroch Jordas zu Morfrey, der vor dem idyllischen Bungalow hockte und eifrig auf seinem Handy tippte. "Argh!" Der Schwarzhaarige Amerikaner schnitt eine Grimasse und schob sich etwas zur Seite. "That's none of your damn business!" "Come on, dude." Hartnäckig krallte sich Jordas in die Schulter seines Kumpels und lugte zum Display des Handys. "A love-letter! How cute!" "What did you say?" Mit einem heiteren Sprung stand auch Eddie bei den Beiden. "Morfy is in love!", schnurrte Jordas und rollte sich wie eine Katze über den Boden. "Really?" Auch Eddie versuchte einen Blick auf den Display zu werfen. "Shut up!", lachte Morfrey guter Laune und kam auf die Beine. Neugierig wurde er beäugt. Kurz erwiderte er die Blicke, dann holte er tief Luft und streckte die Arme gen Himmel. "She's so lovely and fantastic!" "Fantastic like this day", seufzte Eddie. "Glorious." Jordas blinzelte unter den warmen Sonnenstrahlen. "Life's wonderful." Das Leben ist wundervoll... Langsam legte sich die Hand auf die Klinke, die zitternden Finger umklammerten sie, der schwache Arm drückte sie hinunter und die Tür öffnete sich. Mit einem leisen Schaben wurde sie aufgeschoben, kraftlos glitt die Hand von der Klinke, der Arm senkte sich. In unsicheren Schritten trat er ein, benommen tastete die Hand nach der Kante der Tür, schloss sie. Dann blieb er stehen. Joey hatte aufgeblickt und das Gesicht zur Seite gedreht. Er starrte gen Tür, wartete wenige Sekunden und verzog irritiert die Miene. "Hallo?" Nicht einmal ein Blinzeln war in dem erstarrten Gesicht zu sehen, auf dem eine entsetzliche Blässe lag. Glasig und starr waren die blauen Augen auf den Blonden gerichtet, der entspannt im Bett saß. Die Lippen verharrten einen Spalt weit geöffnet, zitternder Atem strich über sie. Reglos blieben die Arme gesenkt, ebenso die matten Schultern und weiterhin stand er nur dort, ohne sich zu bewegen, während sich in den glasigen Augen das pure Entsetzen wiederspiegelte. Das unbeschreibliche Entsetzen, die Erschütterung, die in jeder Faser des jungen Körpers steckte. "Duke?" Joey lehnte sich nach vorn. "Daniel? Hey, ist da überhaupt jemand?" Endlich schien die Beweglichkeit zurückzukehren. Wenn auch stockend und langsam... Kaiba zog auf das Bett zu, wobei seine Augen Joey fixierten, als hätte er den Blick regelrecht an ihn genagelt. Sogleich, als die leisen Geräusche ertönten, hatte Joey inne gehalten. Etwas unsicher drehte er sich mit den Schritten, hörte, wie sie sich ihm näherten... und dann direkt bei dem Fußende des Bettes verstummten. Verwundert bewegte er die Lippen und blinzelte. Wenige Sekunden sagte er nichts, doch dann wurde ihm all das zu unheimlich. "Hey, ich kann über solche Späße nicht lach..." Plötzlich verstummte er. Schnell und schwer war der Atem aus Kaiba herausgebrochen. Keuchend stand er dort. Joey vernahm einen jeden der Atemzüge, er hörte es, als hauche man sie direkt gegen sein Ohr, so stark durchschnitten sie die Stille. Irritiert verzogen sich die blonden Augenbrauen, zögernd tasteten sich die Hände über die Decke. "Seto...?" Den Blick noch immer wie perplex auf Joey gerichtet, rang Kaiba nach Atem. Seine Augen begannen zu brennen und so blinzelte er hastig, die Lippen formten stumme Worte, ohne sie aussprechen zu können. Und nach einem bebenden Ächzen schüttelte er fassungslos den Kopf. "Seto?" Spätestens jetzt schien die Unsicherheit nach Joey zu greifen. Er regte sich im Bett, rutschte etwas zur Seite und räusperte sich leise. "Was... was ist denn los? Ist etwas passiert?" Kaiba schüttelte den Kopf weiterhin und würgte ein schweres Schlucken hinunter, um gegen den schmerzhaften Druck anzukämpfen, der sich in seinem Hals aufbaute. Noch immer schwieg er. Seine Finger spreizten sich und trotzdem fehlte seinen Händen die Kraft, sich zu Fäusten zu ballen. Joey ertrug dieses Schweigen nur mit größter Anstrengung, ebenso schwer fiel es ihm, die Fassung zu bewahren, sich unwissend zu präsentieren. Doch nun fehlten auch ihm die Worte. Er stellte keine weitere Frage, starrte geradeaus und lauschte dem Keuchen. Und mit jeder Sekunde befiel ihn das unangenehme Gefühl mehr und mehr. Langsam und beherrschend atmete Kaiba ein, seine Schultern hoben sich und er schluckte weitere Male, um die Heiserkeit loszuwerden. "Sag mir, dass das nicht wahr ist..." Seine Stimme war nicht mehr als ein zitterndes Hauchen und dennoch zuckte Joey auffällig zusammen. Diese Stimme... Als der Blonde sie vernahm, erstarrte der Atem in ser Lunge, doch bei diesem Zusammenzucken blieb es letztendlich auch. Verzweifelt kämpfte er dagegen an, dass sich das Entsetzen in seinem Gesicht offenbarte und mit viel Anstrengung gelang ihm eine fragende Miene. "Sag mir...", Kaiba stieß einen zittrigen Atem aus, blinzelte und presste flüchtig die Lippen aufeinander, "... sag mir, dass du dich in Thüringen nur verlaufen hast." So stand Kaiba nun dort. Verlassen von jeglicher Fassung, aufgelöst und verkrampft bis ins letzte, bot er nun einen Anblick, den man sich nie hätte träumen lassen. Flehend verzogen sich seine Augenbrauen, ein Beben durchzog seinen Körper und sein Hals schien sich zu verengen. Er kannte die Antwort, sah, wie Joeys Gesicht plötzlich an Farbe verlor, wie sich die Antwort deutlich in den braunen Augen offenbarte, die starr auf ihn gerichtet blieben. Es schien etwas zu passieren, das Joey erst realisieren musste. Als würde er die Worte erst jetzt verarbeiten und so dem Entsetzen erliegen, ja, ihm hilflos ausgeliefert sein. Als würde in seinem Kopf ein riesiges Gewirr aus Fragen und Ängsten explodieren, fand er sich völlig überfordert und konfus vor. Nicht dazu imstande, irgendetwas zu tun, irgendetwas zu sagen oder zu denken. Als hätte sich Stahl durch all seine Glieder gefressen, saß er dort und das einzige, was er dachte, war: >Nein! Nein!! Nein!!!< Gleich einer Endlosschlaufe raste dieses Wort durch seinen Kopf. Das war unerklärlich! Das war zu verworren! "Joseph..." Kaiba war kaum noch zu Worten imstande. Mit jedem Atemzug zitterte seine Stimme stärker, mit jedem Atemzug zurrte sich sein Hals enger und die nächsten Worte kamen nur als tonloses Keuchen über seine Lippen. "Sag es...!" Schweigen... Das bleiche Gesicht... Die geweiteten Augen... Die Mimik, die mehr sagte, als jedes Wort. Die Mimik, durch die man auf keine Antwort mehr angewiesen war. Die Mimik, durch die auch die letzte Fassung von Kaiba zu bröckeln schien. Nur eine Sekunde... binnen einer Sekunde veränderte sich die Atmosphäre in dem Raum. Binnen einer Sekunde schlug alles um. Ein fahriges Keuchen brach aus Kaiba heraus, ein Röcheln, als er hastig einatmete, zitternd die Hände hob. "Bin ich...", sein Atem versagte, ein hastiges Schlucken und ein unsicherer Schritt zurück, "... es nicht wert, die Wahrheit zu erfahren?!" Die Stimme erhob sich verzweifelt, so brüchig, als könne sie Kaiba in jedem Augenblick im Stich lassen. Joey bewegte sich nicht. "Oder... habe ich es nicht verdient... dass du es mir sagst...?", flüsterte er bebend und blinzelte aufgebracht zur Seite. Nur beiläufig fuhr er sich mit dem Ärmel über die Wange, folgte dem Kitzeln, das die Nässe auf seiner bleichen Haut hinterließ. "Habe ich... irgendeinen Fehler begangen...?" Ein verbittertes Zucken durchfuhr seine Miene. "Habe ich... etwas Falsches gesagt... unrecht gehandelt...?" Ein gedrungenes Schluchzen ließ seine Stimme erbeben und Joey zuckte zusammen. "Was habe ich getan...?" Das Blau seiner Pupillen schimmerte nass, schien regelrecht in den Tränen zu ertrinken. "Was habe ich getan, dass du mir nicht vertraust!!" Gellend erhob sich sich seine Stimme in dem kahlen Zimmmer und während sich Joey nicht von der Stelle regte, fuhr Kaiba sich fahrig über das Gesicht, schüttelte heftig den Kopf, als wolle er es nicht einsehen. Wieder wich er um einen strauchelnden Schritt zurück, erreichte beinahe die Wand. "Womit habe ich es verdient..." Er tat einen weiteren Schritt, stieß gegen die raue Tapete und suchte sich an ihr seinen Halt. "... warum...", er schluckte, würgte die Worte mit tränenerstickter Stimme hervor, "... warum konnte ich es nicht von dir erfahren?!" Er presste die letzte Luft aus der Lunge, schloss verkrampft die Augen und beugte sich mit zusammengebissenen Zähnen nach vorn. Sein Körper erbebte unter einem lautlosen Schluchzen, zitternd umschlangen die Arme den eigenen Leib und ebenso verkrampft versenkten sich die Finger im dunklen Stoff des Jacketts. Eine Träne tropfte von seiner Nasenspitze und unter einem erstickten Schluchzen schien sich sein Körper nahezu zu kapitulieren. Die Knie wurden ihm weich und sofort rutschte er tiefer, sank auf die Knie und haltlos vornüber. Nur knapp gelang es ihm, sich auf einen Ellbogen zu stemmen, bevor die erhitzte Stirn auf den kühlen Boden des Zimmers traf und so brach alles aus ihm heraus. Gedämpfte Laute erfüllten den Raum... leises, ersticktes Ächzen, Röcheln sowie das Schaben der Finger, die sich verkrampft über den Boden tasteten. Zusammengesunken hockte Seto Kaiba dort und ließ alldem freien Lauf, nicht dazu imstande, sich dagegen zu wehren. Und es war, als würde Joey erst jetzt zur Besinnung kommen. Als sich ein lautes Schluchzen erhob, fuhr er in sich zusammen, rang nach Atem und blinzelte. Konfus starrte er um sich, begann sich stockend zu regen. >Seto...< Nur schleppend drangen die Tatsachen in seine Gedanken. >Seto... Seto weint...?< Er unterdrückte ein lautes Keuchen, ein erneutes Beben zuckte durch seinen Körper und doch blieb er sitzen. >Ich... ich habe Seto zum weinen gebracht...?< Sein Unterkiefer erzitterte und so biss er sich auf die Unterlippe, bis es schmerzte. In seiner Brust raste das Herz, die Schläge spürte er im gesamten Leib und sein Kopf begann sich ungläubig von einer Seite zur anderen zu bewegen. >Nein!< Als würden sie ein Eigenleben entwickeln, tasteten sich seine Hände zur Decke, griffen nach ihr und zogen sie stockend zur Seite. >Das will ich nicht! Das wollte ich nicht!!< Unsicher und benommen schob er sich aus dem Bett, setzte die Füße auf den Boden und stützte sich ab, als er aufrecht stand. ~*To be continued*~ Kapitel 16: Stillstand ---------------------- "Seto." Seine Stimme kam nur als schwaches Hauchen über seine Lippen, als er zögerlich die Hände hob und sich in langsamen Schritten der Geräuschquelle näherte. "Warum...?" Schluchzend schüttelte Kaiba den Kopf, seine Hände ballten sich zu zitternden Fäusten, sein Leib bebte unter heftigen Atemzügen. "Warum?!" Joey näherte sich ihm langsam, blieb direkt neben ihm stehen und ging in die Hocke. Er ertastete den Rücken des jungen Mannes, beugte sich über ihn schob eine Hand weiter zu Kaibas Hals, um die er sie vorsichtig legte. Seine Miene wandelte sich ins Ausdruckslose, als er Kaiba langsam zu sich zog. Völlig aufgelöst, presste sich dieser gegen seinen Leib, während zwei Arme etwas stockend den Seinen umschlangen. Etwas kraftlos hielt Joey ihn fest, spürte den heißen Atem, der alsbald durch den dünnen Stoff seines Shirts drang, sich warm auf seine Haut legte. Zusammengesunken blieb Joey hocken, seine Hände auf Kaibas Rücken und seiner Schulter verblieben reglos und immer wieder presste Kaiba ein Wort hervor. "Warum!" Die Mimik des Blonden verblieb passiv, keine Tränen glänzten in seinen Augen, nicht einmal die geringste Anteilnahme war in ihnen zu erkennen. Warum? Joey senkte die Lider, das lange blonde Haar verdeckte sein Gesicht. Langsam vergruben sich seine Finger in dem Stoff des Mantels, unter einem tiefen Atemzug hoben und senkten sich seine Schultern. Ja, warum... Tief in den Stuhl gerutscht, saß Daniel Ray im Wartezimmer des Krankenhauses. Die Beine von sich gestreckt, die Hände auf der Hüfte gefaltet, den Blick auf den kahlen Boden fixiert. Er war hierhergekommen, nachdem Kaiba aus dem Büro gestürmt war. Und nun? Nun saß er seit knapp einer halben Stunde hier. In nicht allzuweiter Entfernung war Joeys Zimmertür; er konnte sie sehen, wenn er das Gesicht zur Seite drehte. Es war kein Fehler, sagte er sich immer wieder. Er hatte richtig gehandelt und auch wenn es schmerzte, die Barriere war gebrochen, das, was hinter ihr lag, stand der Welt offen, würde mit derer Hilfe gelöst und verarbeitet werden, bis es nicht mehr existierte. Langsam begann er den Lippenpiercing mit den Zähnen zu bearbeiten und wie so oft in den letzten Minuten, schweiften die grauen Pupillen zur Seite, richteten sich auf jene Tür und blieben an ihr haften. Hinter ihr herrschte Stille, er hörte keinen Laut. Als er eingetroffen war, hatte er Kaibas Stimme vernommen, nun jedoch... Er presste die Lippen aufeinander. Seit langer Zeit hörte er nichts mehr. Auch um ihn herum war nicht viel Betrieb. Nur hie und da eilten Ärzte von einer Tür zur anderen, beinahe Lautlosigkeit umgab ihn und diese Tatsache ließ eine wirklich merkwürdige Atmosphäre entstehen. Was taten Kaiba und Joey in diesem Moment? Sprachen sie sich aus? Schwiegen sie sich an? Was geschah hinter jener Tür? Nach wenigen weiteren Minuten kam er stöhnend auf die Beine, rieb sich die Stirn und schlenderte zu einem Getränkeautomaten, der nicht weit entfernt stand. Leise Lippen flüsterten stumme Worte, als er den Kopf schüttelte und in seiner Tasche suchte. Würde Joey ihn hassen? Würde er ihn mit keinem einzigen Wort achten? Wie würde es weitregehen? Daniel wusste, dass diese Entscheidung nicht mehr in seinen Händen lag und dennoch war es schwer, sich als Unbeteiligten zu sehen. Er war nicht unbeteiligt, nein, er war mitten in den Geschehnissen, auch wenn er es nicht wollte. Und dennoch war er gern dazu bereit, zu tun, was in seiner Macht stand, um zu helfen, um daran mitzuarbeiten, dass alles wieder so wurde, wie es vor dieser Klassenfahrt gewesen war. Er holte tief Luft, blähte die Wangen auf und begann Geld einzuwerfen. Und während sich ein Becher mit heißem Cappuchino füllte, drehte er sich wieder um, blickte zu jener Tür. Was taten die Beiden seit einer halben Stunde? Es fiel ihm nicht leicht, sich davon abzuhalten, die Tür zu öffnen und nachzuschauen. Ging es den Beiden gut? Die Augen verdrehend, griff er nach dem Becher, lehnte sich an die Wand neben dem Automaten und blies über das heiße Getränk. Er blieb dort lehnen und betrachtete sich die Menschen, die an ihm vorbeieilten. Nur, um sich abzulenken, um auf andere Ideen zu kommen. Eine alte Frau im Rollstuhl, ein junger Mann in Schlafanzug und Krücken, der sich einen Apfelsaft holte. Ärzte in weißen Kitteln, Krankenschwestern... Er musterte, leerte seinen Becher binnen weniger Minuten und wurde anschließend erneut von der Nervosität überfallen. Händeringend kehrte er zu seinem Stuhl zurück und ließ sich auf diesem nieder. Und nachdem er an dem Versuch, positive Gedanken zu entwickel, gescheitert war, legte er den Hinterkopf gegen die Wand und starrte hinauf zu einer der großen Lampe. Wenn Joey wirklich nicht mehr mit ihm sprach...? Was soll´s, er war sich keiner Schuld bewusst. Obgleich die Gefangenschaft nur drei Tage angedauert hatte, sie war ein tiefer Einschnitt in das Leben des jungen Mannes. Ein Einschnitt, der sich nicht verleugnen ließ. Viel zu schmerzhaft war er, um dies bewerkstelligen zu können. Und wenn man nicht begann, ihn schnell zu versorgen, ihn der Heilung entgegenzuführen, so würde er sich verschlimmern, vergrößern wie eine infizierte Wunde, die sich brennend durch das Fleisch fraß. Daniel hatte es kommen gesehen, wie Joey sein Leben weiterführte, lachend und scherzend, während in ihm eine Wunde brannte. Wie das Grinsen mit jedem Tag aufgezwungener wirkte, wie es mit jedem Tag schwerer herzustellen war, alsbald einer verkrampften Maske glich. Wie er die Lügen an sich krallte, sich selbst im Stich ließ und seine Psyche aus den besorgten Gedanken ausschloß. Wie er sich mit jedem Tag veränderte, sich abschottete, da die innere Kraft abgeschwächt, ihrem Ende nahe war. Und dennoch weiterlog... Log, bis er innerlich zerbrach, bis alles, was er sich bewahrt hatte, einstürzte und er sich aus eigenem Willen der Dunkelheit auslieferte, in der alles und jeder verloren war. Und alles war besser, als das zu durchleben. Schmerzen, Leid, Scham, all dies galt es durchzustehen, um die Wunde zu heilen. Eine schwere Zeit, um besseren Tagen entgegenblick zu können. Tage, die nie endeten, ganz anders als die Pein. Aus den Augenwinkeln nahm Daniel eine Bewegung wahr. Sogleich schreckte er hoch, kehrte in die Realität zurück und drehte sich zur Seite. Mit hängenden Schultern und benommenen Schritten verließ Kaiba den Raum. Als wäre er abwesend, suchte seine Hand nach der Klinke und drückte die Tür hinter sich zu. Daniel blieb sitzen, beobachtete ihn jedoch aufmerksam und wurde sich darüber bewusst, dass nicht nur auf Joey schmerzvolle Tage zukamen. Dann blieb Kaiba in dem Gang stehen, ließ den Kopf sinken und stützte die Stirn in die Handfläche. Den anderen Arm schlang er um den Bauch und so verharrte er einige Sekunden. Länger als eine halbe Stunde war er in dem Raum gewesen und Daniel wurde das Gefühl nicht los, dass binnen dieser Zeit nicht viele Worte gewechselt worden waren. Etwas angespannt lehnte sich der Halbamerikaner nach vorn und stützte die Ellbogen auf die Knie. Kurz ließ er den Kopf hängen und als er nach wenigen Sekunden wieder aufblickte, hatte Kaiba das Gesicht zu ihm gedreht. Ihre Blicke trafen sich, Daniel Ray schürzte die Lippen und nachdem der Brünette ihn eine Weile angestarrt hatte, näherte er sich ihm in langsamen Schritten. Schon aus dieser Entfernung konnte Daniel das bleiche Gesicht erkennen, die erschöpfte Haltung, die kraftlose Mimik mit einem leisen Hauch Verbitterung. Und als Kaiba vor ihm stehen blieb... die geröteten, glasigen Augen. Unentweicht sah Daniel ihn an, faltete die Hände und schwieg. Der junge Geschäftsmann erweckte den Eindruck, als könne er in diesen Sekunden keinen klaren Gedanken bilden, als wüsste er nicht, was er denken, was er tun sollte. Er wirkte unentschlossen, nervös, und brach den Blickkontakt nach kurzer Zeit ab. Schweigend presste er die Lippen aufeinander, stemmte die Hände in die Hüften und drehte das Gesicht zur Seite. Auch Daniel starrte auf den Boden zurück. Kaibas Atem fiel langsam und ruhig, als sich seine glasigen Augen durch den kahlen Gang tasteten, nirgends hängen blieben, sich scheinbar ziellos ihren Weg bahnten. Er schien noch nicht bereit, seine Gefühle in Worte zu fassen, benötigte scheinbar noch etwas Zeit. Doch diese konnte Daniel ihm nicht geben. Die Nervosität und gleichermaßen die Neugierde drängte ihn dazu. So war er also dazu bereit, das lange Schweigen zu brechen. Wieder richteten sich seine Augen auf Kaiba und nach einem Räusern erhob er leise die Stimme. "Habt ihr... gesprochen?" Kaiba reagierte nicht. Als hätte er die Worte nicht wahrgenommen, starrte er weiterhin in jene Richtung. Daniel atmete tief durch, rieb sich das Kinn und erkannte kurz darauf ein unauffälliges langsames Kopfschütteln. Diese Antwort nahm er mit Verständnis auf, kommentierte sie mit einem leichten Nicken und lehnte sich wieder zurück. "Und wie soll´s jetzt weitergehen?" Nach einem langen Hadern wandte sich Kaiba ihm zu. Er ließ die Arme sinken, zog die Nase hoch und erwiderte Daniels Blick ausdruckslos. "Willste bei ihm bleiben?" Flüsterte dieser. ... und wieder schüttelte Kaiba den Kopf. >Was geht in ihm vor?< Der Halbamerikaner schloss die Augen. >Welche Gedanken kreisen in sei´m Kopf? Wie fasst er all dies auf? Will er ihn vielleicht sogar...< Wieder falteten sich die Hände ineinander. >... verlassen...?< Als er ein leises Räuspern wahrnahm, öffnete er die Augen, sah, wie Kaiba die Unterlippe mit den Zähnen bearbeitete. Und die Mimik seines Gesichtes hatte sich verändert. Eine leise Entschlossenheit funkelte in seinen Augen, als er Daniel taxierte. Dieser sagte nichts und machte ein langes Schweigen durch. "Daniel." Auch Kaibas Stimme hatte einen Teil ihrer Festigkeit zurückerlangt, bestätigte den Verdacht auf jene Entschlossenheit, die Kaiba in sich trug. "In diesen Sekunden gibt es nur eine Sache, die ich tun will." Daniel hob die Augenbrauen und Kaibas Gesicht zuckte kurz. "Nein, ich WERDE sie tun!" "Was meinste?" Hauchte Daniel. Kaiba stieß einen schnellen Atem aus, drehte sich zur Seite und fuhr sich kurz durch den Schopf. "Die Geschichte, die du mir erzählt hast...", murmelte er, "hast du jegliche Wahrheiten ausgelassen?" "Nein." Sofort schüttelte Daniel den Kopf. "Weder ausgelassen, noch dazuerfunden." "Aha." Wieder stemmte Kaiba die Hände in die Hüften, sein Blick richtete sich aus den Augenwinkeln auf den Schwarzhaarigen, blieb lange an ihm hängen, ohne das weitere Worte fielen. "Kaiba?" Daniel wurde nervös. "Was haste vor?" "Wem habe ich es zu verdanken, dass Joseph frei ist?" Unterbrach Kaiba ihn fast beiläufig. "Das hab ich dir doch erklärt." Da Daniel sowieso nicht mehr stillsitzen konnte, kam er auf die Beine. "Lee hat ihn..." "Ich werde dafür sorgen, dass seine Gefangenschaft ein Ende findet." Augenblicklich verstummte Daniel. Seine Lippen bewegten sich noch, doch kein Ton kam über sie, während sich die Augen weiteten, Kaiba ungläubig anstarrten. "Du... du willst was?" Flüsterte er beinahe lautlos. "Ich werde ihn befreien." Wiederholte Kaiba mit der gleichen Entschlossenheit. Kurz verharrte Daniel vollkommen reglos. Weder Erleichterung noch Freude waren in seinem Gesicht zu finden, nur bloßes Entsetzen, welches beinahe an Angst grenzte. Zögerlich tat er einen Schritt, trat an Kaiba vorbei und wich etwas zurück. Und nachdem er hastig nach Luft geschnappt hatte, schüttelte er den Kopf. "Nein..." Kaiba hatte sich mit ihm gedreht, musterte ihn mit der selben Ausdruckslosigkeit, mit der er ihm begegnet war. "Nein." Daniel schüttelte den Kopf heftiger. "Hör zu, ich... ich hab gern geholfen, okay? Un ich bin auch froh, dass des jetzt weißt. Aber...", er hob abwehrend die Hand, "... du musst keine Wiedergutmachung leisten." "Ich sehe es nicht nur als Wiedergutmachung an." Erwiderte Kaiba ruhig. "Der Grund, der mich antreibt, heißt Gerechtigkeit. Ich bin nicht dazu bereit, untätig zu sein, wenn ich es weiß und etwas dagegen unternehmen ka..." "Ich will´s nich!" Unterbrach Daniel ihn plötzlich stur. "Nein, ich will´s einfach nich! Das is meine Angelegenheit, nich deine. Du musst dich nich drum kümmern, okay? Es is wirklich alles beim Besten! So wie´s jetzt is, isses gut!" Diese Überzeugung schien Kaiba nicht zu überraschen, brachte seine Entschlossenheit nicht dazu, zu verblassen. Er fixierte Daniel weiterhin, brachte ihm ein leichtes Kopfschütteln entgegen. "Seit drei Jahren, sagtest du? Seit drei Jahren dauert dieser Alptraum an? Waren das nicht deine Worte in meinem Büro?" "Ich-will-es-nich!" Zog Daniel einen strikten Schlussstrich und untermauerte ihn mit einer ebenso entschlossenen Handgeste. "Du hast dich da nich einzumischen, Kaiba!" "Und ich verstehe deine Einstellung." Kaiba ließ die Hände in den Hosentaschen verschwinden und senkte den Kopf. "Nach drei Jahren voller Besorgnis bist du nicht mehr auf Rettung eingestellt. Es tut mir leid, wenn ich es so sagen muss, aber ich glaube, du hast jegliche Hoffnung aufgegeben. Ist es nicht so?" Daniel setzte an, um zu schreien, doch schnell riss er sich mit allen Kräften zusammen. Seine Zähne bissen aufeinander, die Hände ballten sich zu Fäusten und nach einem tiefen Luftholen, entspannte er sich. "Ja, ich hab die Hoffnung verloren." Antwortete er etwas verbissen. "Doch bevor Lee Joey berfreit hat, besaß ich se noch." Er sah Kaiba an. "Und weißte, weshalb?" "Sag es mir." "Weil ich auch an Gerechtigkeit glaube." Daniel verengte bittend die Augen, näherte sich Kaiba zögernd. "Ich hielt´s für unrealistisch, einfach alles! Immer wieder sagte ich mir, wie kann´s sein, dass nen Mensch, der´s gesamte Leben noch vor sich hat, eingesperrt un gequält, ja, gefoltert wird! Es is zu grausam, um real zu sein! Und dennoch ist es seit drei Jahren so? Ich habe immer dran geglaubt, dass es irgendwann vorbei is, dass die Gerechtigkeit siegt! Ich hab alles versucht, wirklich alles, um ihm zu helfen! Ich hab die Hoffnung nie aufgegeb´n, hab versucht, ihn zur Flucht zu überreden. Un Möglichkeiten hatten wir viel. Doch stets ging er zurück. Und weißte warum?" Kaiba schüttelte den Kopf und Daniel hob die geballte Faust. "Weil für ihn die Gerechtigkeit gestorben war!" Seine Stimme begann zu zittern. "Weil er an nichts mehr glaubte, weil er sich nach nichts sehnte... außer nach´m Tod! Weil er mich nich belasten wollte, nich wollte, dass ich seh, wie er stirbt!" Kaiba blinzelte, rieb sich das Kinn und wandte den Blick ab. "Er war vom Aids zerfressen!" Vor ihm blieb Daniel stehen. "Un das einzige, was ich für ihn tun konnte, war, ihm nachzugeben, ihn geh´n zu lassen!" "Du sprichst von ihm, als wäre er bereits tot." Mit scheinbar viel Überwindung sah Kaiba ihn an und er ließ die Hand sinken, schüttelte langsam den Kopf. "Kaiba...", hauchte er, "...er is tot." "Woher willst du das wissen." Auch Kaibas Stimme klang gedämpft und leise. "Indem er Joey rettete, machte er´n letzten Schritt, erreichte sein Ziel." Antwortete Daniel heiser. "Er verabschiedete sich, bevor er ging... er is tot, glaub mir Kaiba, er is tot." Somit ließ er den Kopf hängen und rieb sich den Nacken mit beiden Händen. "Ich... ich spüre es. Sie haben ihn umgebracht." Kaiba atmete tief durch, räusperte sich erschöpft und wandte sich ab. Eine lange Stille brach über sie herein. Mit geschlossenen Augen standen sie dort, schüttelten die Köpfe und versuchten, ihre Gedanken zu ordnen. Ärzte zogen an ihnen vorbei, leise Gespräche wurden geführt, Türen öffneten sich, Türen schlossen sich und sie verharrten reglos. Und diesmal war es Kaiba, der die Stille brach. Er linste zu dem Anderen. "Daniel? Bist du bereit, dich für die Gerechtigkeit einzusetzen?" Der Angesprochene schüttelte den Kopf. "Lee is tot." "Vielleicht ist er es." Kaiba trat an ihn heran. "Doch auch wenn wir nicht mehr retten können... wir können bestrafen." "Was?" Ihre Blicke trafen sich erneut. "Auch Bestrafung ist Gerechtigkeit, Daniel." Kaiba legte den Kopf schief. "Hilf mir, die Männer zu bestrafen, die dafür verantwortlich sind." "Ich... ich weiß nich..." verunsichert schüttelte Daniel den Kopf. "Erzähl mir nicht, dass es keinen Hass in dir gibt." Kaiba musterte ihn aufmerksam, studierte einjede seiner Bewegungen. "Du besitzt Hass, ich die Möglichkeiten, ihn zu tilgen. Hast du Angst, auf Überraschungen zu stoßen?" "Er is tot!" Fauchte Daniel nervös. "Was lässt dich dann zögern?" Fragte Kaiba. "In weniger als einem Tag könnten die Männer dingfest gemacht sein und kurz darauf säßen sie im Gefängnis. Freiheitsberaubung, Entführung, Körperverletzung, Prostitution, vielleicht auch mehrfacher Mord? Vorrausgesetzt, vor deinem Freund gab es schon andere. Such es dir aus. Wenn du willst, mache ich keinen Finger krumm, auch wenn es mir nicht gefällt. Entscheide selbst, ob du zulassen willst, dass sie ihre dreckigen Verbrechen fortsetzen oder lebenslang sitzen. Und ich sage dir, das werden sie, wenn ich den richtigen Anwalt einsetze." Daniel kaute nervös auf der Unterlippe. "Und wie willste das bewerkstelligen?" Murmelte er kurz darauf. "Das ist kein Problem." Kaiba zuckte mit den Schultern. "Der deutsche Polizeipräsident ist ein guter Bekannter, stets dankbar für Informationen und dazu bereit, hart durchzugreifen. Schon morgen könnte er ganz Thüringen auf den Kopf stellen, ich muss ihm nur Bescheid geben. Doch dazu... brauche ich deine Hilfe, Daniel. Wie du weißt, habe ich einen von ihnen kennengelernt, kenne also auch seinen Namen, jedoch nicht ihr Versteck. Bei dir ist es anders." Wieder holte Daniel tuf Luft, wirkte, als müsse er sich überwinden. Nervös drehte er sich um die eigene Achse, rieb sich mit beiden Händen das Gesicht und stöhnte. "Und du bist sicher, dass es klappen würde?" "Ich habe meine Kontakte und den nötigen Einfluss, um gewisse Dinge durchzuringen und in Bewegung zu setzen." Bestätigte Kaiba. "Und", ein Unterton schlich sich in Daniels Stimme ein, "... könnten wir nicht... Selbstjustiz walten lass..." "Nein." Unterbrach Kaiba ihn. "Wenn du das vorhast, stehst du sofort alleine." "Aber..." "Ich apelliere an deine Vernunft." Kaiba sah ihn eindringlich an. "Und ich sage dir, dass Selbstjustiz in jedem Fall die falsche Entscheidung ist. Ich weiß es aus eigener Erfahrung und bevor ich mich auch nur in irgend einer Art und Weise beteiligen würde, würde ich mir die Kehle durchschneiden!" Daniel starrte ihn leicht entsetzt an. "Tote leiden nicht unter Schuldgefühlen." Fuhr Kaiba ernst fort. "Tote sind frei von jeglichen Sorgen, gelöst von dieser Welt. Doch im Gefängnis werden sie leiden! Verstehst du? Sie werden leiden und das zu wissen, ist besser, als jede Selbstjustiz!" "Dann versprich mir, dassde´s schaffst, sie lebenslänglich einzusperren!" Daniels Miene verdunkelte sich. "Sie sollen bis an ihr Lebensende schmoren!" "Also kann ich mit deiner Hilfe rechnen?" Daniel sah ihn an. "Du hast recht, Kaiba. Es gibt Hass in mir. Un auch wenn ich´n nie völlig verbannen werde, kann ich ihn mildern. Und das lieber auf diesem Weg, bevor ich durch die falsche Entscheidung auch noch Selbsthass auf mich lade!" Flink öffnete Kaiba die Tür zu seinem Büro, trat ein und steuerte direkt auf seinen Schreibtisch zu, Daniel folgte ihm, wirkte etwas nachdenklich. Während sich Kaiba hinter dem Schreibtisch niederließ, blieb Daniel auf der anderen Seite stehen, rieb sich die Hände und musterte ihn grüberlisch. Kurz holte der junge Geschäftsmann Luft, bevor er eine Taste des Telefons betätigte und zwei Kaffee´ bestellte. "Setz dich." Bat er anschließend und begann in einem Schubfach zu wühlen. Daniel nickte langsam, zog sich einen Stuhl zurecht und ließ sich nieder. Kaiba zog unterdessen ein schwarzes Adressbuch hervor und kurz darauf traf auch der gwünschte Kaffee ein. Daniel runzelte die Stirn und ließ sich tiefer rutschen. "Und de Polizei würde wirklich noch heute eingreifen?" "Nicht die Polizei." Kaiba blätterte. "Von denen habe ich die Nase voll. Für so etwas ist das SEK zuständig." Daniel hob die Augenbrauen, biss sich auf die Unterlippe und starrte auf eines der vielen Zertifikate. Erneut versank er in Grübeleien und Kaiba wurde alsbald fündig. "Dann wollen wir mal." Der Brünette nahm einen Schluck, wählte eine Nummer und stützte die Ellbogen auf den Tisch. Auch Daniel richtete sich auf und rieb sich das Kinn. Ein knapper Blick traf ihn, während das Rufsignal ertönte. Ales in Ordnung?" "Mm." Der Halbamerikaner nickte. "Ich will´s nur hinter mich bringen." In dieser Sekunde wurde der Anruf entgegengenommen. Ein Mann meldete sich in der Leitung und Kaiba antwortete in aktzenfreiem Deutsch, während Daniel etwas angespannt zuhörte. "Hier Seto Kaiba, stellen Sie mich zu Herrn Lenzich durch." Ein kurzes Rascheln ertönte in der Leitung. "Es tut mir Leid, Herr Kaiba. Doch Herr Lenzich befindet sich in einer Besprechung." "Das ist mir egal." Kaiba zuckte mit den Schultern. "Sagen Sie ihm, dass ich ihn unverzüglich sprechen will." Der Mann zögerte kurz, wieder ertönte Rascheln. "In Ordnung, gedulden Sie sich kurz." Somit ertönte eine von den Wartemelodien und Kaiba rieb sich die Stirn. "Nen guter Bekannter?" Daniel griff nach seinem Kaffee. "Woher kennste den Polizeipräsidenten?" "Wir sind uns öfters begegnet." Erwiderte Kaiba ruhig. "Für kurze Zeit habe ich auch mit seinem Bruder zusammengearbeitet. Lenzich ist ein könnender Mann, hat nur zuviel Arbeit." "Mm." Ein leises Klicken beendete die Melodie. "Herr Kaiba? Ich stelle Sie durch." "Wow." Daniel wackelte mit dem Kopf. Es ertönte ein weiteres Klicken, dann würde abgenommen. "Hier Lenzich." Es meldete sich eine rauhe, sehr streng wirkende Stimme in der Leitung. "Verzeihen Sie, dass ich Sie störe." Antwortete Kaiba professionell und ruhig. "Es handelt sich um ein wichtiges Anliegen." "Kaiba." Die Stimme verlor einen Teil ihrer Härte. "Keine Ursache, bei Ihnen kann ich mir wenigstens sicher sein, dass ich nicht umsonst gestört werde. Worum geht es?" Also schilderte Kaiba die Fakten unmissverständlich. Er holte nicht weit aus, sagte, was er wusste und sorgte so für eine gespenstige Stille in der Leitung. Lenzich unterbrach ihn kein einziges Mal, lauschte seinen Worten genau und schien selbst ertst realisieren zu müssen. "Wir haben Beweise noch und nöcher." Nach knapp drei Minuten zündete sich Kaiba eine Zigarette an. "Wir haben Zeugen, mich eingeschlossen, direkt Betroffene und den genauen Standpunkt des Grundstückes, auf dem sich all das abspielt." "Sie sagten, seit drei Jahren?" Lenzichs Stimme schlug um, hörte sich nun wieder verbittert und streng an. Kaiba lugte zu Daniel. "Oder länger." "In Thüringen!" Ein dumpfes Keuchen. "Wenn mir das ein anderer erzählt hätte, hätte ich denjenigen als Schwätzer beschimpft und verjagt! Sagen Sie mir, auf welches Gebiet ich die Suche fixieren soll! Geben Sie mir Hinweise!" Das übernahm Daniel. Er wirkte, als wäre ihm in der eigenen Haut unwohl, als er eine genaue Bschreibung lieferte und als Lenzich anschließend zu wüten begann, immer wieder murrte, dass er das nicht glauben könnte und Kaiba seine Zigarette rauchte, befasste er sich mit seinem Kaffee und hielt sich aus allem heraus. Die Worte des Polizeipräsidenten waren unglaublich aufbauend und vielversprechend. Vielleicht etwas zu aufbauend für ihn. Der Verhaftung der Männer stand nichts mehr im Weg und dennoch brachte er kein erleichtertes Lächeln zustande. Reglos saß er in dem Stuhl, schwenkte das schwarze Getränk in der Tasse und beobachtete Kaiba aus den Augenwinkeln. Dessen Miene wirkte professionell, so als würde er kurz davor sein, einen Vertrag zu unterschreiben, als würde er an einem Projekt arbeiten, welches nur gelingen konnte. Während Lenzich anscheinend die wartende Besprechung längst vergessen hatte und fluchte und immer wieder versprach, dass er es diesen Typen zeigen würde, nickte Kaiba nur oder brummte zustimmend. Auch er hatte keine Lust auf ein ausgeweitetes Gespräch, seine Augen verrieten sogar, dass er mit den Gedanken schon längst nicht mehr anwesend war. "Verlassen Sie sich auf mich, Herr Kaiba." Kam Lenzich endlich dem Ende entgegen. "Ich werde so früh wie möglich durchgreifen." "Und ich bitte um sofortige Benachrichtigung." Kaiba drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. "Natürlich, sobald es Neuigkeiten gibt, werde ich mich mit Ihnen in Verbindung setzen. Ich danke Ihnen für diese Information." "Mm." Kaiba tastete nach dem Telefon. "Wiederhören." "Wiederhören." Somit wurde endlich aufgelegt. Kaiba zupfte kurz an seinem Mantel, zog die Nase hoch und räusperte sich leise. Er setzte sich auch wieder gemütlicher, kam bald zu einem selbstbestätigenden und zufriedenen Nicken. "Er will so früh wie möglich durchgreifen?" Sagte Daniel mit einem Anflug von Skepsis. "Was soll´n das heißen?" "Stell es dir so vor." Kaiba Fingernägel klackerten über den Tisch. "In diesen Sekunden wissen es mindestens sieben weitere Personen. Und da es sich um ein unglaubliches Malleur handelt, um eine Sache, die man sich nie hätte träumen lassen, wird Lenzich keine Zeit vergeuden." "Und noch heut eingreif´n." Flüsterte Daniel. "So ist es." Die Hände des Halbamerikaners fanden die Armlehnen des Stuhles, schlossen sich etwas verkrampft um das teure Leder. "Ich hab drei Jahre für seine Freiheit gekämpft." Hauchte er verbittert und schloss die Augen. "Drei Jahre hab ich alles getan, was in meiner Macht stand un jetzt regelste alles mit nem Telefonanruf!" "Der Unterschied zwischen uns ist nur", Kaiba besah ihn ernst, "dass er bei dir eine Wahl hatte. Bei mir jedoch nicht." Wie durch ein Signal, richtete sich Daniel auf. "Du sprichst, als wär er noch am Leben!" Fauchte er leise und kam auf die Beine. "Ich will was nich hörn!" "Gut." Kaiba zeigte sich einsichtig und Daniel begann etwas hektisch in seiner Hosentasche zu wühlen. "Ich such mir jetzt nen Hotel." Er zog einen Zettel hervor und legte ihn auf dem Schreibtisch ab. "Da, meine Handynummer. Versprich mir, mich sofort anzuruf´n, wenn was is." Kaiba richtete sich auf und griff nach dem Zettel. Nickend nahm er ihn entgegen und Daniel wollte sich umdrehen, um zu gehen. Doch inmitten der Bewegung hielt er inne, als würde er sich zu etwas entscheiden, das ihm viel Überwindung kostete. Er presste die Lippen aufeinander, stemmte die Hände in die Hüfte und blickte ziellos um sich, bevor er sich wieder zu Kaiba umdrehte. Dieser verstaute den Zettel in der Hosentasche, blieb jedoch sitzen, als gäbe es in der nächsten Zeit nichts, das er vorhatte. Er lehnte sich zurück, bemerkte Daniels Blick und erwiderte ihn erwartungsvoll. "Hey." Daniels Stimme hatte sich beruhigt. Zögernd löste er die Hände von den Hüften und ließ sie stockend in den Hosentaschen verschwinden. "Ich weiß, dasses mich nen feuchten Käse angeht. Un ich sollte mich auch echt nich einmischen, aber...", er stoppte, starrte Kaiba lange und schweigend an, "wie soll´s jetzt weitergeh´n... mit dir und Joey." Kaiba öffnete den Mund, um zu antworten. Doch scheinbar stieß er auf keine gebräuchliche Antwort. Also räusperte er sich nur und wandte den Blick ab, um ihn grüblerisch auf den Boden zu richten. Seine Miene verriet nicht, an was er dachte, ebenso wenig seine Augen. "Du musst nich drauf antworten." Daniel atmete tief durch. "Ich verstehe, wennde´s mir nich sagen willst, aber..." er brach ab, obgleich Kaiba weiterhin schwieg. Wartend, beinahe schon flehend musterte er ihn und Kaiba beendete die Stille mit einem langsamen Kopfschütteln. "Wenn ich wüsste...", sagte er leise und zuckte etwas hilflos mit den Schultern, "... ich weiß es aber nicht. Ehrlich, ich habe keine Ahnung." Daniel nickte verständnisvoll und Kaiba gestikulierte knapp mit der Hand. "Ich glaube... ich muss erst realisieren... brauche noch etwas Zeit." "Mm, okay." Daniel senkte die Lider, klemmte den Piercing zwischen die Zähne und drehte sich erneut um. "Ich glaube, n´bissl Zeit könnten wir alle gebrauchen." Unter einem tiefen Seufzen ließ sich Kaiba in den Stuhl rutschen und faltete die Hände auf dem Bauch. Daniel hob kurz die Hand. "Ich bin dann ma weg." "Gut." Ohne Daniel weitere Aufmerksamkeit zu schenken, drehte sich Kaiba samt Stuhl zum Fenster und sah hinaus. Kurz darauf klackte die Tür und er war alleine. Der Himmel über Domino begann bereits an Helligkeit zu verlieren; es dämmerte zum Abend und die Sonne sank hinab zum Horizont, der irgendwo zwischen den hohen Häusern verborgen lag. Auf den Straßen herrschte noch geschäftiges Treiben. Autos reihten sich vor den Ampeln, Fußgänger schlenderten an den Läden vorbei, im Park tummelten sich die Kinder, auch viele Jugendliche in Schuluniformen waren zu sehen. Kaiba achtete nicht auf all das, einzig und allein auf den Himmel blieben seine Augen gerichtet. Und noch immer ließen sie nicht die geringste Ahnung auf seine Gefühle zu. Sie blieben verschlossen, erweckten gemeinsam mit der entspannten Haltung den Eindruck, als wäre alles in Ordnung. Als handle es sich hier um einen ganz normalen Tag in Domino. Schule, Firma, Arbeit... Und doch war alles anders. Seit heute Mittag, als sich alles in die entgegengesetzte Richtung gewendet hatte. An diesem Tag hatte sich alles verändert, die Situation hatte Bahnen angenommen, deren Ende im Unbekannten lag. Unbekannt, ungewiss, unsicher... Geistesabwesend starrte Kaiba auf den Himmel, der allmählich eine rote Farbe annahm. Scheinbar völlig in ihr versunken, bemerkte er nicht, wie sich hinter ihm die Tür öffnete und Pikotto eintrat. Mit der gewohnten Zigarette im Mundwinkel, mit gemächlichen Schritten und einer leicht misstrauischen Miene, näherte er sich dem Schreibtisch. Kaiba sog an seinen Zähnen, räkelte sich kurz auf dem Stuhl und wollte gerade beginnen, auch seine Fingernägel zu bearbeiten, da räusperte sich Pikotto. "Mm?" Kaiba richtete sich etwas auf, wandte sich mit dem Stuhl dem Schreibtisch zu und hob die Augenbrauen. "Was ist?" Pikotto runzelte die Stirn, griff nach der Zigarette und ließ sie sinken. "Das wollte ich dich fragen." Murmelte er. "Seit wann bist du so abwesend." Kaiba winkte lässig ab. "Ich habe nur ein wenig nachgedacht." Somit kam er auf die Beine und griff nach seinem Handy. Pikotto verfolgte seine Bewegungen irritiert. "Willst du weg?" "Ja, ich habe noch etwas zu erledigen." Langsam um den Schreibtisch schlendernd, zog Kaiba den Mantel straff und knöpfte ihn zu. "Wie kannst du jetzt gehen?" Hastig drückte Pikotto die Zigarette im Aschenbecher aus und folgte seinem Chef in schnell Schritten zur Tür. "In zehn Minuten treffen die Gäste ein." "Welche Gäste." Kaiba öffnete die Tür. "Die Gäste für die Besprechung." Erklärte Pikotto. "Welche Besprechung." "Kaiba!" Pikotto blieb stehen. "Erzähl mir nicht, dass du es vergessen hast! Erst heute Morgen haben wir noch geplant!" Auch Kaiba hielt inne, seine Hände glitten in die tiefen Taschen des Mantels und mit einer langsamen Bewegung drehte er sich um. "Nein." Sagte er nach einem schnellen Grübeln. "Ist mir nicht entfallen. Du musst sie trotzdem allein leiten." "Was?" Pikotto traute seinen Ohren nicht. "Kaiba, diese Besprechung ist von großer Wichtigkeit!" "Dann leite sie gut?" Kaiba zuckte mit den Schultern. "Ich habe Dinge zu erledigen, die noch wichtiger sind." "Dinge, die noch wichtiger sind?" Etwas aufgebracht, blieb Pikotto neben ihm stehen. "Weißt du, was es für Folgen haben könnte, wenn etwas während der Besprechung schief läuft? Ich verstehe, wenn du verspätet dazukommen würdest, aber überhaupt nicht kommen?" "Ich fahre dann gleich nach Hause." Kaiba schlug den Kragen des Mantels hoch. "Das geht doch nicht! Wir haben uns für heute noch soviel vorgenommen. Es gibt so viele Dinge, die wir noch erledigen müssen! Wir haben es seit langem vor, haben es ebenso lang geplant und jetzt plötzlich, willst du einfach nach Hause fahren?!" "Hör zu." In Kaibas Stimme schlich sich ein leiser Unterton ein, als er zu Pikotto lugte. "Die Besprechung wird nicht länger als eine Stunde dauern und da du sowieso anwesend gewesen wärst, macht es doch keinen Unterschied, ob du sie leitest, oder nicht." "Ja, aber..." "Die Gäste werden sich ebenso mit dem Stellvertreter zufrieden geben." Unterbrach Kaiba ihn emotionslos. "Die geplante Arbeit können wir ebenso gut später erledigen und außerdem", er hob die Augenbrauen, "die Kaiba-Coperation gehört mir. Ich bin der Chef und wie du weißt, drücke ich mich nicht vor der Arbeit. Nein, das habe ich noch nie getan. Ich nehme mir auch so gut wie keinen Urlaub und mache ebenso viele Nächte durch, wie du. Ich erhebe kaum Anspruch auf meine Rechte als Firmeninhaber. Und auch wenn heute ein schlechter Zeitpunkt ist, heute tu ich es! Ich habe driftige Gründe und das weißt du. Ich übertrage dir die Verantwortung für die Besprechung und werde morgen pünktlich wieder hier sein. Aber heute", Kaiba schüttelte entschlossen den Kopf, "heute habe ich keinen Nerv dafür!" Pikotto wusste darauf keine Antwort. Doch diese war nicht nötig, denn Kaiba nickte ihm knapp zu und ging. Gemächlich verließ Duke seine Wohnung und lehnte sich über das Geländer, unter dem sich direkt der große Laden befand. Kurz suchten seine Augen die Gänge ab, anschließend warf er einen kurzen Blick auf eine große Uhr, die an einer der Wände angebracht war. >Zeit, zu schließen.< Einen Gähnen unterdrückend, fuhr er sich über den Schopf, drehte sich um und kehrte in seine Wohnung zurück. Nachdem er die Schlüssel gefunden hatte, stieg er die Treppe zu dem Laden hinab. Die zwei letzten Angestellten waren soeben dabei, diesen zu verlassen, Feierabend zu machen. Er verabschiedete sie knapp und steuerte auf die Eingangstür zu. Nach einem anstrengenden Tag sehnte auch er sich nach Ruhe und etwas Erholung. Hinzukommend warteten noch Hausaufgaben darauf, erledigt zu werden. Er senkte den Kopf, suchte nach dem richtigen Schlüssel und erreichte kurz darauf sein Ziel. Er streckte die Hand aus, wollte nach der Klinke greifen, um die Tür zu schließen, da wurde diese von außen aufgeschoben und er hielt inne. "Wir haben geschloss..." als er den Besucher erkannte, verstummte er. Kaiba stand im Türrahmen. Irritiert ließ er die Hand sinken, verzog die Miene und legte den Kopf schief. Sehr erfreut wirkte er nicht über diese Überraschung. Kaiba erwiderte seinen Blick nur kurz, fuhr sich durch das vom Wind zerzauste Haar und räusperte sich leise. "Hallo." "Hi." Erwiderte Duke murrend und alles andere als begeistert. Die Hände wieder in den Manteltaschen vergrabend, schwieg Kaiba eine kurze Zeit. Er runzelte die Stirn und atmete tief durch. "Können wir reden?" "Wüsste nicht, dass wir was zu bereden hätten." Brummte Duke. "Joey hat mir schon alles gesagt. Ich weiß Bescheid." "Gesagt?" Kaiba sah ihn zweifelnd an. "Was hat er dir gesagt." Duke verdrehte die Augen. "Die Wahrheit, im Gegensatz zu dir. Was in Thüringen wirklich passiert ist! Das, was du uns verschwiegen hast!" "Ah." Kaiba weitete die Augen. "Also haben wir uns nichts mehr zu sagen." Duke beugte sich an Kaiba vorbei und griff nach der Klinke. "Tschüss." Somit wollte er die Tür schließen, Kaiba nach draußen drängen. Dieser jedoch, rammte die Hand gegen die Tür, hinderte ihn problemlos daran. "Was soll der Scheiß!" Fluchend trat er zurück und verengte die Augen. "Wenn ich nicht mit dir reden will, dann bleibt es dabei! Lass die verfluchte Tür los und hau ab! Ich habe keine Lust auf deine..." "Könntest du vielleicht für einen Moment die Klappe halten?" Unterbrach Kaiba ihn scharf. "Du benimmst dich wie ein Kind!" "Hör zu!" Duke stach mit dem Zeigefinger nach ihm. "Ich habe allen Grund, wütend zu sein! Und du kannst sagen was du willst, verleugnen kannst du deine Schuld nicht! Wenn du nicht einmal dazu imstande bist, mir die Wahrheit zu sagen, dann..." "Die Wahrheit?" Fiel Kaiba ihm wieder ins Wort. "Du willst die Wahrheit wissen?" "Ich wollte sie wissen, ja!" Allmählich wurde es Duke zu bunt. "Danke, jetzt habe ich sie von einem anderen erfahren! Was zur Hölle willst du noch hier!" "Du kennst die Wahrheit nicht." Plötzlich schüttelte Kaiba den Kopf. "Du kennst sie kein bisschen." "Was zum Teufel soll das heißen!" Fauchte Duke. "Um deine netten Fragen zu beantworten", Kaibas Miene verfinsterte sich, "du hast die falsche Wahrheit erfahren. Und ich bin hier, um dir die richtige mitzuteilen!" "Hä?" Duke schnitt eine Grimasse. "Drück dich deutlicher aus, verdammt nochmal!" "Das werde ich erst, wenn du dich einverstanden erklärst, mir zuzuhören!" "Hey, wenn es noch eine zweite Wahrheit gibt, dann werde ich ganz sicher nicht dich nach ihr fragen!" Duke stemmte die Hände in die Hüften. "Sollte sie existieren, erkundige ich mich besser gleich bei Joey, bevor du mir wieder irgend einen Mist erzählst!" "Ja, geh zu ihm." Kaiba nickte. "Geh zu ihm und frag ihm nach dem, was er selbst mir verschwiegen hat!" "Was...", hadernd beugte sich Duke nach vorn, "... hey, ich verstehe überhaupt nichts!" "Ich habe die Wahrheit nicht von ihm erfahren! Er hat es mir verschwiegen und hätte es vielleicht bis an sein Lebensende getan, wäre nicht ein Zufall dazwischen gekommen! Es ist alles anders gelaufen, als ich dachte, ja, als wir alle dachten." "Oh." Duke hob die Augenbrauen. "Er hat dir also etwas verschwiegen? Na so etwas!" Man sah dem jungen Mann an, dass er ein gehässiges Grinsen unterdrückte. "Das gibt es ja nicht! Und? Wie fühlst du dich? Geht´s gut?" Daraufhin wollte er dem Grinsen freuen Lauf lassen. Es zog bereits an seinen Mundwinkeln... ließ jedoch nach. Kaiba starrte ihn auf eine Art und Weise an, die er noch nie zuvor gesehen hatte. Etwas geduckt stand der Brünette vor ihm, die Hand hatte sich um die Türkante geklammert, das Gesicht zuckte vor Verbitterung und dennoch brachten die Augen etwas anderes zum Ausdruck. Das war es, das Duke fremd war. Das erscheinende Grinsen erlosch, machte Platz für eine kurze erschrockene Irritiertheit. Sprachlos erwiderte er den angsteinflössenden Blick, schaffte es jedoch bald, sich zusammenzureissen, sich an die Wut zu erinnern, die Kaiba in ihm zum Leben erweckt hatte. "Tze." Mit einem leisen Hauch von Verachtung, wandte er den Blick ab. "Erwartest du jetzt Mitleid von mir? Du hast es verdient, ganz egal, was es ist. Jetzt weißt du wenigstens, wie ich mich gefühlt habe!" Kaiba antwortete nicht, nicht einmal die unauffälligste Bewegung war zu erkennen, ebenso das Gesicht... es war, als wäre es versteinert. Es verharrte in dem merkwürdigen Ausdruck und Duke wagte nicht, es anzuschauen. Verbittert blieben die grünen Augen auf den Boden gerichtet. "Wenn du es nicht von Joey erfahren hast." Brummte er kurz darauf. "Von wem dann!" "Daniel." Antwortete Kaiba gedrungen und endlich blickte Duke auf. "Daniel Ray? Hier in Domino?" Und Kaiba nickte. "Na gut?" Nach einem unsicheren Zögern, zuckte Duke mit den Schultern. "Dann frage ich eben ihn!" "Duke." Unter einem tiefen Atemzug ließ Kaiba den Kopf hängen, lehnte sich in den Türrahmen und rieb sich das Gesicht. Der Angesprochene schwieg stur. "Ich habe es verdient." Unauffällig richteten sich die grünen Pupillen aus den Augenwinkeln auf ihn. "Das mir dasselbe widerfahren ist, ist eine Lehre." Kaiba verharrte geduckt, die Worte kamen nur leise über seine Lippen. "Das ich daran zerbrochen bin, ist die Strafe. Und das alles selbst in Worte fassen zu müssen... wird eine weitere Qual. Und ich werde diese Qual nur ein einziges Mal auf mich nehmen, das ist Sühne genug." Von diesen unvorhergesehenen Worten schien Duke etwas entsetzt. Nie hätte er damit gerechnet, etwas derartiges aus dem Munde des kühlen Geschäftsmannes zu hören. Und durch die Tatsache, dass Kaiba zusammengesunken vor ihm stand, die Worte scheinbar nur mit viel Überwindung hervorbrachte, versetzte ihn in eine unbeschreibliche Verwirrung. >Was bei allen Göttern kann so furchtbar sein, dass er sich mir gegenüber so benimmt?! Dass er keine Fassade trägt, die Gefühle so offen zeigt und eine Schwäche unter Beweis stellt, die ich ihm nie zugetraut hätte??< "Du... du bist daran zerbrochen...?" Jegliche Wut verlor sich aus Dukes Stimme. Etwas konfus verzog er das Gesicht, trat zögerlich einen Schritt näher. >So habe ich Kaiba noch nie erlebt! Ich kann mir keinen Grund dafür vorstellen!< Stockend richtete sich Kaiba auf, seine Augen richteten sich auf Duke und dieser spürte einen schmerzhaften Stich in der Herzgegend. Dieser Ausdruck... "Meine eigenen Tränen habe ich heute zum ersten Mal gesehen." Beinahe lautlos sprach er diese Worte aus und ein eiskalter Schauer lief über den gesamten Körper des Schwarzhaarigen. >Etwas, das Joey selbst ihm verschwiegen hat?! Ihm, dem er sonst alles, aber auch wirklich alles sagt?! Den er in alles einweiht?! Etwas, das ihn in Tränen ausbrechen ließ, als er es erfuhr?!< Duke schluckte schwer. Schweigend standen sie sich gegenüber. >Will ich... es überhaupt... wissen...?< Verkrampft biss er die Zähne zusammen, ballte die Hände zu Fäusten und brachte sich mit einem tiefen Durchatmen dazu, sich wieder zu entspannen. Langsam hob er den Arm, griff erneut nach der Klinke. "Komm rein." ~*To be continued*~ Kapitel 17: Steig aus der Asche deiner Existenz ----------------------------------------------- Langsam öffnete sich sein Mund, schleppend nahm die Lunge Sauerstoff in sich auf und er senkte die Lider. Der Raum war beinahe dunkel, nur eine kleine Schreibtischlampe brannte in der Ecke und sendete mattes Licht aus, warf dennoch zwei Schatten an eine kahle Wand. Nur leise waren die Worte zu vernehmen, die gesprochen wurden, beinahe lautlos, als würde die Dunkelheit sie verschlucken. Nur einem der Schatten waren knappe Bewegungen anzusehen, während der Andere völlig reglos verharrte. "Ich habe ihn heute Morgen im Wald gefunden. Er hat sich ganz schön verlaufen und hatte Glück, dass ich unterwegs war." Du lügst. "Ich war der felsenfesten Überzeugung, er hätte etwas mit deinem Verschwinden zu tun." Meine Sinne täuschen mich nie. "Mir geht es gut." Aber natürlich... "Nur ein paar Kratzer und die machen mir nichts aus." Und der Rest? Macht er dir auch nichts aus? "Ich stehe lieber." Und ich weiß, warum. "So schlimm ist es gar nicht, blind zu sein." Weil es dir dadurch leichter fällt, gewisse Dinge nicht zu sehen? "Eigentlich ist es hier ganz okay. Und außerdem sehe ich das kahle Zimmer nicht." Hör auf zu scherzen! "Es geht mir gut." Hast du nicht gehört? Hör auf! "Joseph... ich habe Mist gebaut." Nicht nur ich... "Ich habe gelogen, indem ich die Wahrheit verschwieg. Doch ich habe es nur getan, um keine Sorgen zu wecken. Und doch habe ich damit das Gegenteil erreicht." Wieso sagst du nichts? "Ich habe geschwiegen und alles unter den Teppich gekehrt, obwohl es sich um eine so ernste Sache gehandelt hat. Eine Sache, die jeden etwas anging, nicht nur mich. Eine Sache, die ich hätte leichter ertragen können, hätte ich es nicht verschwiegen." Hörst du? "Ich bin mir sicher, man wäre mir eine Hilfe gewesen und man hätte es gemeinsam durchgestanden. Dann wäre es erst gar nicht soweit gekommen." Ja, alles wäre anders gekommen... Du bist dumm, Joseph! Und ich auch... Langsam neigte sich Duke nach vorn, verbarg das Gesicht in den Handflächen. Die langen Strähnen des schwarzen Haares sanken hinab, als er unscheinbar und matt den Kopf schüttelte. Die blauen Augen des Anderen waren abwesend auf einen nicht existenten Punkt gerichtet. "So erfuhr ich es", flüsterte er leise. "Aus dem Mund eines Anderen. Und glaub mir..." Das ist kein fairer Ausgleich... Die Rechnung wurde zu hoch bezahlt. Den Preis war sie nicht wert. Vielleicht habe ich falsch gehandelt, doch eine solche Bestrafung... die kann ich nicht verdient haben. Dukes Schultern hoben und senkten sich unter einem tiefen Atemzug. Sein Gesicht war noch immer gesenkt, die Hände erhoben. Und Kaiba schwieg. Seit einer geraumen Zeit herrschte Stille in dem Zimmer. Kaiba war tief in den Sessel gerutscht, hielt die Hände auf dem Bauch gefaltet und betrachtete sie sich abwesend. Allmählich begann die bloße Wahrheit in dieser Welt zu herrschen. Lügen wurden zugegeben... Sie wurden zerschmettert, auch wenn es schmerzte. Doch jegliche Schmerzen vergingen. Es war nur eine Frage der Zeit. Und dann? Dann folgte ein Verständnis, wie es mit Geheimnissen nicht existieren konnte. Ohne auch nur das geringste Detail verschwiegen zu haben, hatte Kaiba gesprochen. Von Beginn an alles erklärt, die Wahrheit offen präsentiert und sich zu Worten gezwungen, die diese Wahrheit kleideten. Und nun fühlte er sich besser, wenn auch eine niederdrückende Atmosphäre in dem Zimmer herrschte. Er spreizte die Finger, zog die Nase hoch und richtete den Blick unausweichlich auf den jungen Mann, der ihm schräg gegenüber saß, augenscheinlich noch immer mit sich zu kämpfen hatte und in einer zusammengesunkenen Haltung verharrte. Lange Zeit sah er ihn an und schwieg, bis er die letzten Worten aussprach, die ihm auf der Seele brannten. "Ich bitte dich," sagte er leise. "Schau nach ihm, kümmere dich etwas um ihn... ich kann es nicht." Ein gedrungenes Ächzen war aus Dukes Richtung zu vernehmen, bevor sich dieser endlich zu regen begann. Das erste Mal seit einer halben Stunde. Erneut schüttelte er den Kopf, ließ etwas plump die Hände sinken und richtete sich benommen auf. Er lehnte sich zurück, rieb sich das Gesicht und schloss kurz die Augen, um die Gedanken zu ordnen. Er benötigte lange, um es halbwegs zu bewerkstelligen und anschließend erwiderte er Kaibas Blick. "Sei ein weiteres mal ehrlich, Kaiba." Seine Stimme war nicht mehr als ein heiseres Flüstern. "Hast du mir das alles nur erzählt, um mich darum bitten zu können?" Der Angesprochene blinzelte, biss sich auf die Unterlippe und rieb sich flüchtig die Stirn. "Ich habe vielleicht verheimlicht, aber ich lüge nicht", antwortete er gedrungen. "Und ich habe dir die Wahrheit gesagt, weil ich es dir schuldig bin." Eine kurze Zeit sah Duke ihn noch schweigend an. Aufmerksam schien er den Ausdruck in Kaibas Augen zu studieren, nach etwas zu suchen, das Zweifel an dieser Aussage zuließ. Dann jedoch begann er zu nicken. Erst leicht, dann auffälliger. Und anschließend erhob er sich schweigend, fuhr sich durch den Schopf, ließ den Kopf sinken und ging. >Was soll ich denken? Wie soll ich handeln?< Langsam schwenkte Kaiba den Wein im Glas, griff mit der anderen Hand nach der Zigarette, die im Aschenbecher lag. Er saß in der Dunkelheit seines Zimmers, in dem Sessel vor dem Tisch, auf dem eine leere Weinflasche stand. Auch eine andere, schon zur Hälfte geleert. Die Vorhänge waren zugezogen, kein Mondlicht drang in den Raum. Die Füße auf den Tisch gehoben und tief in die Polster des Sessels gerückt, starrte er auf den finsteren Kamin. >Soll ich mich hintergangen fühlen und mich nur auf mich selbst konzentrieren? Auf meine Probleme, die durch diese Lüge entstanden sind? Soll ich mich in meinem Haus oder meiner Firma verstecken und es vermeiden, ihn zu sehen? Soll ich die ganze Verantwortung wirklich in Dukes Hände legen? Soll ich mich vor einer Aussprache verstecken? Oder soll ich...< Er hob das Glas zum Mund, leerte es in einem Zug und stellte es auf den Tisch zurück. >Oder soll ich mich auf Joseph konzentrieren? Auf das, was er durchgemacht hat? Würde ich mich in seine Lage versetzen, dann würde ich vielleicht Verständnis für das entwickeln, was er getan, oder doch eher nicht getan hat. Er hat geschwiegen und dadurch eine Lüge aufgebaut. Die Frage ist nur, warum er es getan hat. Aus Scham? Aus Angst vor Mitleid? Weil er nicht erträgt, welche Schmerzen man ihm zugefügt hat? Dass er erniedrigt wurde? Ist er stolz genug, um aus diesem Grund zu schweigen?< Beiläufig tastete die Hand nach der Weinflasche und träge schenkte er sich nach. >Oder hat er geschwiegen, um mich vor der Wahrheit zu schützen? Wollte er verhindern, dass ich mir Sorgen um ihn mache? Ihn vielleicht anders behandle, als sonst? Hat er vielleicht sogar befürchtet... dass ich es ihm übelnehmen könnte? Das es etwas an meinen Gefühlen verändert?< Ein gemartertes Stöhnen kam über seine Lippen, bevor er das Glas wieder zum Mund führte und in großen Schlucken trank. >Ich kenne ihn doch, weiß doch meistens, was in ihm vorgeht und kann ihn einschätzen. Warum bin mir dann so unsicher, weshalb er es getan hat! Das einzige, was ich weiß, ist, dass er in diesen Stunden mehr Hilfe braucht, als ich. Aber ich kann ihm diese Hilfe einfach nicht geben, weil ich nicht weiß, was in ihm vorgeht. Noch nie stand unsere Beziehung so auf Messers Schneide. Aber eigentlich... ja, eigentlich ist es wie immer. Joseph litt und ich grübelte. Er erfuhr Schmerzen und ich hörte nur von ihnen. Er stand Ängste durch und ich ahnte sie nur. Er quälte sich... und ich linderte die Schmerzen. Während ich plante, Katagori umzubringen, quälten ihn Sorgen. Ich glaube, er versuchte viel und ich stieß ihn von mir. Er tat viel... warf sich vor mich und wurde angeschossen. Und was tat ich? Ich versteckte mich, wagte es nicht, zu ihm zu gehen. Während er unter körperlichen Schmerzen litt, litt ich unter Schuldgefühlen. Was ist wohl schlimmer? Und trotzdem war er es, der mir neuen Mut gab. Im Krankenhaus, das Blut voll Schmerzmittel... und trotzdem baute er mich auf. Dann, als Katagori zurückkehrte und ich das Gift zu mir nahm... er rettete mir das Leben, obwohl es hoffnungslos schien. Wieder machte er Ängste durch, litt körperliche Qualen ubd erhielt trotzdem keinen Dank, als es mir besser ging. Nein, wieder tat er alles und ich tat nichts. Ich spielte ihm sogar etwas vor, um nicht mit ihm sprechen zu müssen! Und anschließend war es mein Verdienst, dass er, der doch so erschöpft war, sich erneut in die Gefahr stürzte. Nur durch mich erschoss er einen Menschen und stürzte sich dadurch in noch größeres Leid! Und mir? Mir blieb nichts anderes übrig, als die Wunden zu versorgen. Ist das nicht erstaunlich? Jeder von uns spielt seine Rolle und es wiederholt sich. Immer und immer wieder... bis jetzt.< Langsam ließ er den Kopf sinken. >Am Anfang hat er mein Leben durch sein bloße Existenz verbessert. Er stand mir bei, als Katagori seinen Hass auf mich auslebte. Und er rettete mir das Leben. Anschließend machte er mir neuen Mut. Und dann rettete er mir erneut das Leben und machte dafür so viel durch, dass es für die Existenz von vier Menschen genügt. Und als ich auf dem Weg der Besserung war, machte er mir wieder Mut. Und als ob das noch nicht genügen würde, erschoss er einen Menschen, um mir das Leben zum dritten Mal zu retten!< Kaiba schnappte nach Luft, die Hand ertastete etwas zittrig die Stirn. >Und das Einzige, was ich tat, war, ihn von mir zu stoßen, ihn zu verletzen, ihm Katagoris Rückkehr zu verheimlichen und ihn sich selbst zu überlassen!< Verkrampft presste er die Lippen aufeinander, ballte die Hand zu einer Faust und ließ sie sinken. Seine Augen richteten sich erneut auf den Kamin, diesmal jedoch mit einem anderen Ausdruck. >Wäre es nicht an der Zeit, die eigenen Probleme zu begraben, mich voll und ganz auf ihn zu konzentrieren und ihm alles zu verzeihen? Vorausgesetzt, es gibt etwas, dass verziehen werden muss. Nach allem, was er für mich getan hat... bin ich es ihm nicht schuldig?< 'Joey und du...', hörte er plötzlich Daniels Stimme im Kopf, '... ihr seid also ein festes Paar.' Kaiba atmete tief durch, seine Hände betteten sich entspannt auf den Lehnen des Sessels und kurz darauf nickte er sicher. >Ja...< 'Du stehst dazu?' Wie ein Echo hallten die Worte des Halbamerikaners wider. Kurz schloss Kaiba die Augen, lugte anschließend zur Seite und richtete sich langsam auf. Die Hände falteten sich auf den Knien ineinander. >Ja.< 'Und... du liebst ihn wirklich?' Ausdruckslos betrachtete sich Kaiba die Decke des Zimmers, befeuchtete die Lippen mit der Zunge. Nach einem kurzen Blinzeln drehte er sich etwas zur Seite, schob die Hand zielstrebig über den glänzenden Tisch und näherte sich so dem Glas. Bedächtig umfasste er den dünnen Schaft, zog es zu sich und starrte auf den blutroten Wein. Sein Gesicht verlor an Ausdruck, die Augen blieben reglos auf das Getränk gerichtet und nur die Lippen bewegten sich kurz, brachten ein leises Flüstern hervor. "Genug, um für ihn zu sterben..." Und bis du das begriffen hast, Joseph... Bis dahin werde ich für dich sehen. Ich werde dein Augenlicht sein, deine Führung, deine Sicherheit! Ich werde mich um dich sorgen, so wie du es bereits oft für mich getan hast. Ich werde mich für all das erkenntlich zeigen und es genießen, für dich da zu sein! Ich werde deine Ängste ausmerzen, dir Schutz spenden, dir Sicherheit vermitteln. Alles wird so, wie es einmal war. Du musst mir nur vertrauen... Es am frühen Morgen des nächsten Tages, als sich das Telefon meldete und Kaiba aus dem Schlaf riss. Sofort, als das erste Klingeln ertönte, begann er sich zu regen. Er war in dem Sessel eingeschlafen, richtete sich nun stöhnend auf und rieb sich die Stirn. In seinem Kopf brach augenblicklich ein strafender Schmerz aus, die Folgen des übermäßigen Alkoholgenusses in der Nacht. So rieb er sich auch die Schläfen und neigte sich aus dem Sessel, um nach dem Telefon zu greifen. Unsicher tastete er nach dem Hörer, bekam ihn erst beim dritten Versuch zu fassen und hob ihn ab. Verschlafen und müde ließ er sich gegen die Lehne zurückfallen und legte den Hörer an das Ohr. "Ja, hier Kaiba", nuschelte er zertreten, wirkte kurz darauf jedoch sofort wacher. Er blickte auf, ließ die Hand von der Schläfe sinken und nickte langsam. "Ja, Herr Lenzich..." Er räusperte sich leise, warf einen flüchtigen Blick zu den Weinflaschen und bearbeitete die Unterlippe mit den Zähnen, während er in den Hörer lauschte. Herr Lenzich schien viel zu erzählen zu haben und Kaiba unterbrach ihn kein einziges Mal, nickte nur hin und wieder und wagte es für wenige Sekunden nicht einmal zu atmen. Er starrte auf den Boden, atmete tief durch und schloss unter einem langsamen Kopfschütteln die Augen. Herr Lenzich schien keine allzu angenehmen Nachrichten zu überbringen. Wenige Minuten dauerte das Telefon, dann richtete sich Kaiba langsam auf. "Und die Männer... die haben Sie, oder?" Er lauschte kurz, nickte und fuhr sich müde über den Nacken. "Ja, ich bereite mich darauf vor. Ja, in Ordnung." Somit ließ er den Hörer sinken, schob ihn über den Tisch und legte ihn auf dem Telefon ab. Anschließend stieß er ein träges Ächzen aus, fuhr sich etwas tapsig durch das Haar und kam auf die Beine. Beiläufig griff er nach seinem Mantel, der zerknautscht auf dem Tisch lag, schliff ihn hinter sich her und näherte sich so der Tür. In schlürfenden Schritten zog er durch den Flur, schob die Hand in die Hosentasche und zog sein Handy hervor. Müde klappte er es auf, wählte eine Nummer und hob es zum Ohr. Er betete, dass er diesen Tag heil überstand und ihn erfolgreich beenden würde. Viel hatte er sich vorgenommen... Er wartete nicht lange, lehnte sich gegen die Badtüre und drückte diese auf. "Hier Kaiba", meldete er sich, als er auf das Waschbecken zutrottete. "Es gibt Neuigkeiten." Er lehnte sich über das Waschbecken und stellte den Wasserhahn an, wieder wurde seine Miene von einer offensichtlichen Nachdenklichkeit befallen. "Nein, nicht am Telefon. Wo bist du?" Er hielt die Hand unter das Wasser, bewegte sie in der kalten Frische und nickte. "Ich komme zu dir." Somit ließ er das Handy sinken, legte es neben dem Waschbecken ab und hielt erst einmal den Kopf unter das Wasser. Kurz darauf verließ er seine Villa. Mit schnellen Methoden hatte er das Gewitter in seinem Kopf bekämpft und sich erfrischt. Um all die Pläne in die Tat umzusetzen benötigte er einen klaren Kopf, viel Ausdauer und dabei vor allem Mut. In einer bequemen schwarzen Hose und einem weißen Hemd, nahm er die Autoschlüssel von Jeffrey entgegen, öffnete die Tür des Maybach und stieg ein. Geschwind warf er den Mantel auf den Nebensitz, schob den Schlüssel in das Zündschloss und startete den Motor. Heute hatte er viele Wege vor sich. Als er das Tor hinter sich gelassen hatte, setzte er sich eine Sonnenbrille auf die Nase und zog sich eine Zigarette aus der Halterung, die er in dieser Situation dringend nötig hatte. Ohne eine Pause einzulegen, ließ er Dominos Innenstadt hinter sich und erreichte bald eine etwas abgelegenere, jedoch hübsche Gegend. Dort, vor einem kleinen Hotel, brachte er den Wagen zum Stehen. Nachdem er den Motor ausgeschaltet hatte, lehnte er sich erst einmal zurück, fuhr sich durch das Haar und zog die Sonnenbrille von der Nase. >Jetzt liegt es also bei mir, all das zu regeln.< Dachte er sich, als er sich auch den Hals rieb, abschließend den Kopf schüttelte und ohne sich weiteren Grübeleien hinzugeben, die Tür öffnete und ausstieg. >Dann spiele ich mal meine Rolle.< In zügigen Schritten betrat er den Rezeptionsraum des Hotels, ging geradewegs zu den Fahrstühlen und rief die Kabine. >Es ist doch kaum zu glauben, oder?< Er stemmte die Hände in die Hüften und blähte die Wangen auf. >Seit ich Joseph näher kennen gelernt habe, gibt es viele Menschen, um die ich mich kümmere, in deren Probleme ich mit einbezogen bin, um deren Probleme ich mich kümmere. Früher hätten mich all diese Dinge nicht interessiert.< Die Kabine kam und er stieg ein. >Nun, auch wenn ich eine kleine Rolle spiele... die Rolle bringt unglaublich viel Verantwortung mit sich.< Als sich die Türen schlossen und sich der Fahrstuhl in Bewegung setzte, lehnte er sich an die Wand. >Und dabei ist das einzige, was ich will, dass alles so wird wie früher.< Schnell erreichte er die zweite Etage des Hotels und steuerte zielstrebig auf eine Tür zu, an der er ohne zu Zögern klopfte. >Und das wird es, wenn ich diesen Tag meister und meine Pläne in die Realität umwandle!< Schritte ertönten und kurz darauf wurde die Tür geöffnet. Mit einem Glas O-Saft in der Hand, erschien Daniel im Türrahmen, musterte Kaiba kurz und bat ihn dann mit einer stummen Kopfbewegung, einzutreten. Kaiba tat es, zog an ihm vorbei und hörte, wie hinter ihm die Tür geschlossen wurde. Daniel schien nicht besonders nach Reden zumute zu sein. Er schwieg noch immer, als er Kaiba in langsamen Schritten folgte und sich an die Kante des Tisches legte. Währenddessen sah sich Kaiba etwas um. Und das mit einer Miene, die nichts verriet, in der man keine Nachricht lesen konnte. Sonst wirkte er recht entspannt, hielt die Hände in den Hosentaschen und besah sich kurz die hübsche Einrichtung. Währenddessen hob Daniel das Glas zum Mund, trank einen Schluck und starrte auf den Boden. Ja, es gab Neuigkeiten und er wusste genau, welche Worte er aus Kaibas Mund hören würde. Kurz rieb er sich das Kinn, leckte sich über die Lippen und sah den Brünetten erwartungsvoll an. Er wollte nicht länger warten. Kaiba blieb stehen, wandte sich ihm zu und unterzog auch ihm eine kurze Musterung. "Wie geht es dir?", erkundigte er sich zuerst und Daniel zuckte nur mit den Schultern und entfloh dem Blickkontakt. "Die Neuigkeiten", erinnerte er und Kaiba nickte. "Vor kurzer Zeit meldete sich Lenzich." Daniel nickte stumm. "Er rief aus Thüringen an." Kaiba sprach ohne die geringste Nervosität. Seine Worte klangen sicher und seine Miene hatte sich nicht geändert. "Heute Nacht hat er mit seinen Männern den Eingriff durchgeführt." Auch das schien Daniel nicht unter einer Neuigkeit zu verstehen. Er bewegte sich nicht, starrte auf den Saft und bewegte ihn im Glas, während Kaiba ihn erneut ansah. Prüfend und abwägend, so als wären ihm seine Reaktionen sehr wichtig. "Unser Plan ist aufgegangen", fuhr er fort, diesmal jedoch etwas leiser und langsamer, als wolle er Daniel seine Worte verinnerlichen. "Drei Männer wurden verhaftet. Übermorgen wird ihnen in Deutschland der Prozess gemacht. Sie haben sie." "Mm." Daniel senkte den Kopf noch tiefer, bearbeitete den Piercing mit den Zähnen und schwenkte das Glas weiterhin in der Hand. Somit legte Kaiba eine kurze Pause ein. Schweigend löste er die Hände aus den Hosentaschen und verschränkte die Arme vor dem Bauch, bevor er Luft holte und Daniel weiterhin fixierte. "Aber nicht nur die drei Männer wurden gefunden." Die Bewegung der Hand verlangsamten sich und Kaiba hob die Augenbrauen. Daniels Gesicht konnte man nicht sehen, lange schwarze Haarsträhnen verdeckten die Stirn und er verharrte reglos. Unterdessen räusperte sich Kaiba leise, rollte mit den Schultern und trat etwas näher an ihn heran. "Es gibt noch jemanden", sagte er. "Einen Überlebenden." Sofort gaben die Finger das Glas frei. Es fiel zu Boden, schlug auf den Fliesen auf und ging zu Bruch. Niemand schenkte ihm Beachtung. Daniels Hand blieb erhoben, der Atem des Schwarzhaarigen versagte und er wirkte, als wäre er in der Haltung erfroren. Kaiba schien von dieser Reaktion nicht sehr überrascht zu sein. Vor ihm war er stehengeblieben. "Hast du das verstanden, Daniel?" Er legte den Kopf schief. "Dein Freund lebt... und er ist frei." Endlich kehrte das Leben in den Körper des Halbamerikaners zurück. Langsam, scheinbar etwas benommen, richtete er sich auf, starrte Kaiba an und schob sich an dem Tisch zur Seite. Und nach wenigen Schritten schüttelte er den Kopf. "Du lügst...", flüsterte er mit kraftloser Stimme und wich um weitere Schritte vor Kaiba zurück. "Du lügst..." Aufmerksam besah sich Kaiba die grauen Augen. Sie waren geweitete, vor Fassungslosigkeit, vor Entsetzen. Und in ihnen lag das pure Flehen, diese Aussage zu widerrufen. Doch Kaiba tat nichts dergleichen. "Ich war mir sicher, dass er noch lebt", sagte er stattdessen. "Ich wusste es, obwohl ich ihn nicht kenne. Ich wusste es schon, als wir Lenzich anriefen." "Das is doch... das is doch ausgemachter Blödsinn!", demonstrierte Daniel und stützte sich auf die Lehne eines Stuhles. Annähernd wirkte er panisch, als würde er sich mit allen Mitteln dagegen wehren, eine Tatsache anzuerkennen. Eine Tatsache, die nicht gerade als schlechte Neugigkeit zu bezeichnen war. "Das kann nich sein!", rief er wieder. "Sie müssen ihn umgebracht ham! Ich glaub dir kein Wort! Lee is tot!!" "Nimm dir Zeit, um zu realisieren, dass es nicht der Fall ist." Kaiba gab sich noch immer ruhig, antwortete mit entspannter Stimme, während sich Daniel die Hand auf den Mund presste und immer wieder den Kopf schüttelte. "In diesen Sekunden befindet er sich bereits in einem Krankenhaus, in dem man gut für ihn sorgt." "Nein..." Daniel beugte sich über die Lehne. "Das heißt, du wirst ihn wiedersehen. Und das, ohne unter ständiger Spannung zu stehen und dir Sorgen machen zu müssen." Langsam wandte Kaiba ihm den Rücken zu, die Hände verschwanden wieder in den Hosentaschen. "Es ist schwer, Dinge wachzurufen, die man bereits begraben hat, ich weiß. Viele Wege, die richtig sind, sind auch schmerzhaft. Du musst dich auch mit Dingen beschäftigen, die dir nicht gefallen." >Nicht nur du musst das<, dachte er sich. In der Zwischenzeit hatte sich Daniel mit den Ellbogen auf die Stuhllehne gestützt und verbarg das Gesicht zwischen den Armen. Kaiba sah ihn nicht mehr an. "Versuch es von der positiven Seite zu sehen. Und wenn du das eingesehen hast, dann werden bessere Zeiten folgen." >Und nicht nur für dich...< "Willst du noch einen Saft?" Duke richtete sich im Stuhl auf. Vor ihm im Bett saß Joey. Mit gesenkten Schultern lehnte er sich in das Kissen und wendete einen leeren Becher in den Händen. Völlig abwesend und teilnahmslos waren seine Augen nach unten gerichtet, apathisch wirkten auch seine Bewegungen. Und wie in der letzten Stunde auch, reagierte er nicht. Als wäre Duke überhaupt nicht anwesend, drehte er den Becher weiterhin, betastete ihn und hielt den Kopf gesenkt. Duke rieb sich die Stirn und lehnte sich wieder zurück. >Er macht mir Angst<, dachte er sich, als er die Hände auf dem Bauch ineinanderfaltete und Joey beobachtete. >So habe ich ihn noch nie gesehen. Es ist, als wäre er für nichts mehr zugänglich, was in der reellen Welt geschieht. Er reagiert nicht, antwortet nicht, erweckt nicht einmal den Anschein, als wüsste er, dass ich hier bin. Wir müssen etwas unternehmen... ich habe Angst um ihn.< Er verzog die Augenbrauen, rutschte etwas tiefer und legte den Hinterkopf auf die Lehne. >Ich verstehe es nicht, nein, ich kann es nicht glauben, dass er uns allen etwas vorgespielt hat, all die Tage, einen halben Monat lang! Er hat den Zufriedenen, ja, den Glücklichen gemimt, während er in seinem Inneren so aussah.< Er wandte den Blick ab, seine Finger begannen sich zu bewegen und er knackte mit den Knöcheln. >Und Kaiba überträgt mir die gesamte Verantwortung! Lässt mich mit einem Menschen allein, mit dem ich nicht umgehen kann! Von dem ich nicht im geringsten weiß, was in ihm vorgeht! Mir geht es nicht besser als ihm und dennoch meint er, er hätte das Recht, sich zurückzuziehen?!< Gequält verzog sich Dukes Miene und unter einem erschöpften Stöhnen kam er auf die Beine. >Hier muss ganz schnell etwas passieren! Irgendetwas muss unternommen werden, sonst...< Er hielt den Atem an, ließ matt die Hände sinken und drehte das Gesicht zu Joey, um diesen mit einer Mischung aus Angst und Unsicherheit anzustarren. >... sonst werden wir Joey für immer verlieren.< Somit wandte er sich ab, kehrte Joey den Rücken zu und trottete zu der Wand, gegen die er die Stirn legte. >Was soll ich machen?! Soll ich ihm einen Arzt besorgen?! Soll ich die gesamte Verantwortung einfach weiterreichen und mich genau wie Kaiba, irgendwo verkriechen?! Nur, weil ich nicht weiterweiß?! Gottverdammt! Kann das nicht irgendwann aufhören?! Ich werde noch verrückt!< Plötzlich öffnete sich neben ihm die Tür und augenblicklich löste er sich von der Wand und blickte auf. Er musste zugeben mehr als überrascht zu sein, als er Kaiba sah. Und noch merkwürdiger war dessen Verhalten. Völlig entspannt und zielstrebig betrat er den Raum, ließ die Tür hinter sich offen und nahm direkten Kurs auf Joeys Bett, ihm jedoch kurz grüßend zunickend. Duke hob die Augenbrauen, wusste nicht so recht, was er davon halten sollte. "Kaiba...?" Joey hatte in der Bewegung inne gehalten, als er jenen Namen gehört hatte. Reglos saß er dort und lauschte. Und Kaiba erreichte sein Bett, griff nach der Decke, die auf dem unbenutzten Nebenbett lag und zog sie mit sich. "Danke Duke, jetzt kümmere ich mich um ihn." Ohne Joey auch nur zu mustern, griff er nach dem Becher, nahm ihn dem jungen Mann ab und warf ihn zum Fußende der Matratze. Anschließend fasste er Joey am Arm. "Steh auf." "Wa..." Verwirrt trat Duke näher und auch Joey wirkte recht entsetzt, als er sich zögernd zu bewegen begann. "Kaiba, was hast du..." "Keine Angst." Der Angesprochene warf ihm nur einen flüchtigen Blick zu und wandte sich an Joey. "Na los." Seine Stimme hatte etwas Befehlendes an sich und klang dennoch nicht kaltherzig. Joey hatte sich irritiert aufgerichtet, hielt nun jedoch inne und sträubte sich gegen den Griff. "Lass mich los." "Na gut." Ohne zu zögern packte Kaiba die Decke, schlug sie zurück und schob den Arm unter Joeys Kniekehlen. Den anderen legte er um dessen Rücken und trotz aller Gegenwehr hob er ihn einfach hoch und zog ihn aus dem Bett. Duke konnte nur sprachlos daneben stehen und Joey machte den Anschein, nicht weniger verstört zu sein. "Du sollst mich loslassen!", fauchte er leise und bevor er sich versah, folgte Kaiba dem Wunsch. Flink ließ er seine Beine auf den Boden sinken und Joey blieb orientierungslos stehen. Bevor er realisieren konnte, was geschehen war, bekam er die Decke über die Schultern gezogen und spürte wieder den vorsichtigen und doch energischen Griff an seinem Handgelenk. Er zuckte augenscheinlich zusammen und versuchte seine Hand zu befreien. "Was soll das!" Kaiba schenkte ihm keinerlei Beachtung, zog ihn einfach mit sich und drehte sich noch einmal kurz zu Duke um. Lässig winkte er. "Ich rufe dich heute Abend an. Mach´s gut." "Lass mich los!" Nervös grapschte Joey nach der Decke, versuchte die andere Hand noch immer zu befreien und stolperte hinter Kaiba her, direkt auf die Tür zu. "Ich will das nicht!" Mit offenem Mund stand Duke da und schaffte es nur, die Hand zu heben. Und schon öffnete Kaiba die Tür, trat in den Flur hinaus und zog den schreienden Joey mit sich. Noch lange hörte Duke die verzweifelte Gegenwehr, ließ stockend die Hand sinken und schluckte. >Ach...< Er legte den Kopf schief. >Na, wenigstens hat er gesprochen und ihm Aufmerksamkeit geschenkt... wenn das mal gut geht.< Als die den Haupteingang des Krankenhauses erreicht hatten, hielt Joey endlich den Mund. Mit einer völlig entgeisterten Miene stolperte er hinter Kaiba her, wehrte sich nur noch ein bisschen gegen den Griff. "Stufen", murmelte Kaiba nur, bevor er ihn gnadenlos über die Treppen zog. Nun stemmte sich Joey erneut in die andere Richtung, ächzte und wurde letztendlich dennoch zum Weitergehen gezwungen. Zielstrebig ging Kaiba auf den Wagen zu, zog den Schlüssel aus der Hosentasche und entriegelte die Türen. Einige Menschen blieben stehen und sahen dem nach, was einer kaltblütigen Entführung glich. Irritierte Blicke folgten Kaiba, als er die Tür des Wagens öffnete und Joey hineinschieben wollte. Dieser klammerte sich an dem Dach fest, stemmte sich gegen ihn und stieg erst ein, nachdem Kaiba seine Ellbogen nach unten gedrückt hatte. Und bevor er sich versah, schloss sich die Tür neben ihm und Kaiba schlenderte um die Motorhaube herum. >Gut, eines der Probleme wäre gelöst. Wenden wir uns nun dem Größeren zu!< Gemächlich öffnete er die Fahrertür, warf sich in den Sitz und linste kurz zu Joey. Keuchend presste dieser die Decke an sich, schnappte nach Luft und fuhr zu ihm herum. "Wo willst du mit mir hin!", stieß er atemlos aus und starrte an ihm vorbei. "Ich will ins Krankenhaus zurück! Das darfst du nicht!" Kaiba antwortete nicht, blähte nur die Wangen auf und startete den Motor. Geschmeidig setzte sich der Wagen in Bewegung und so begann die Fahrt. Hastig drehte sich Joey zum Fenster, verkrampft versenkten sich seine Finger in der Decke und er schluckte, bevor das aufgeregte Keuchen wieder aus ihm heraus brach. "Ich will nicht mit dir reden!", zischte er anschließend und Kaiba warf einen beschäftigten Blick in den Rückspiegel, kümmerte sich überhaupt nicht um ihn. Diesmal nahm er einen großen Bogen um die Hauptstadt, fuhr durch unbewohntere Gegenden und nutzte bald eine unauffällige Landstraße, scheinbar mit einem direkten Ziel vor Augen. Sein Beifahrer beließ es währenddessen bei leisen Flüchen und zerrte immer wieder an der Decke. Direkt an Kaiba wandte er sich nicht mehr und das hätte sowieso nichts gebracht. Nach ungefähr zwanzig Minuten Fahrt, begann Kaiba mit den Fingerkuppen einen leisen Takt auf dem Lenkrad zu trommeln, bewegte stumm die Lippen und sah sich an einer kaum befahrenen Kreuzung um. >Ich mache das wirklich nicht gerne<, dachte er sich, als er die rechte Straße wählte und das Lenkrad drehte. >Aber was sein muss, muss sein.< In der Zwischenzeit hatte er eine ländliche Gegend erreicht, zu beiden Seiten der Straße zogen sich große kahle Felder bis in weite Ferne, die Häuser, die sich auf ihren anderen Seiten befanden, waren klein wie Würfel. Kaibas Schultern hoben und senkten sich unter einem schwerfälligen Atemzug, seine Augen waren konzentriert auf die einsame Straße gerichtet und in seinem Kopf schienen die Gedanken zu rasen. Kurz darauf zog er sich eine Zigarette, die er scheinbar dringend nötig hatte. Flink klemmte er sie zwischen die Lippen, verbrannte den Tabak und fuhr das Fenster hinunter. Er rauchte in tiefen Zügen, bearbeitete die Unterlippe alsbald mit den Zähnen und wurde auf einen zweispurigen Weg aufmerksam, der direkt zwischen zwei riesigen Feldern hindurchführte. So verlangsamte er das Tempo, bog in diesen Weg ein und fuhr gemächlich weiter. Eine kahle erdige Fläche umgab sie nun weitreichend, in weiter Entfernung scharten sich winzige Bäume um die Felder und Kaiba fuhr weiter, bis er die Mitte der riesigen Fläche erreichte. Entschlossen brachte er den Wagen zum Stehen, zog die Handbremse, schaltete den Motor aus und blieb zurückgelehnt sitzen. Noch immer widmete er Joey keine Aufmerksamkeit, wandte sich sogar ab und rauchte die Zigarette. Der Blonde hatte langsam den Kopf gehoben und starrte orientierungslos um sich. Er wusste nicht, wo er war, wirkte etwas nervös und gleichermaßen sehr vergrämt. Kaibas Blick schweifte unterdessen über die unendlich erscheinende Flur, ruhig und fast entspannt. Ein letztes Mal hob er die Zigarette zum Mund, schnippte sie durch das Fenster nach draußen und stieg aus. Als Joey verwirrt das Gesicht zur Seite drehte, schloss sich die Tür bereits und Kaiba war auf dem Weg zu ihm. Kurz streifte Kaibas Hand die Motorhaube, bevor er nach rechts bog und die andere Tür erreichte. Ohne zu zögern öffnete er sie, griff nach Joeys Handgelenk und zog den jungen Mann aus dem Wagen. Stolpernd und unsicher kam der Blonde auf die Beine, presste die Decke an sich und sah sich um. Schon wurde die Tür hinter ihm geschlossen und ohne ihn anzusehen zog Kaiba ihn wieder mit sich. Zielstrebig betrat er eines der riesigen Felder und ging weiter. Barfuß strauchelte Joey über die trockene Erde. >Ich habe Angst. Angst um Joseph, Angst um sein Wohlbefinden. Ich habe Angst vor dem, zu was er sich durch all das Schweigen machen könnte. Es ist undenkbar, was für schlimme Ausmaße diese Verdrängung nehmen könnte. Und ich werde etwas dagegen tun, solange ich noch die Möglichkeit habe. Bevor er sich vollständig in sich selbst verkriecht, darf ich keine Mittel scheuen, um ihn in die Realität zurückzuholen. Auch wenn diese grässlich sein sollte! Es tut mir leid, Joseph... Aber ich tue es für dich.< Kaiba hielt kein einziges Mal inne, ging in zügigen Schritten weiter, ließ den Wagen immer und immer mehr hinter sich. Und erst, als die Flur sie weitreichend umgab, ließ er Joeys Hand los, ging noch einige Schritte und blieb dann stehen. Auch Joey hatte sofort inne gehalten, zog die Hand zurück und presste sie, wie die andere auch, in die Decke. Hastig starrte er um sich, seine Füße rutschten kurz auf der Erde ab, bevor er festen Stand erreichte. Und nun sah Kaiba ihn an, lange und aufmerksam studierte er die Mimik des Blonden, las pure Verunsicherung und doch eine sture Verbitterung, die in den Augenwinkeln zuckte. Sein eigenes Gesicht hingegen verblieb kühl, annähernd unbeteiligt, als er die Arme vor dem Bauch verschränkte und tief Luft holte. Joey räusperte sich, duckte sich etwas und machte den Anschein, als gäbe es hier nichts, das ihm angenehm war. "Wo bin ich...?", erkundigte er sich vorsichtig und fühlte den merkwürdigen Boden unter den Füßen. "Auf einem Feld", verriet Kaiba entspannt. "Wir sind mutterseelenallein." "Ach." Die Miene des Blonden verzog sich verbissen. "Und was soll das werden?" Kaiba zuckte mit den Schultern, hob die Nase in den sanften Wind und genoss die saubere Luft. "Merkst du es? Hier ist nichts. Kein Mensch, kein Geräusch, keine anderen Störfaktoren. Nur der Wind." "Ja, super!" Joey linste verstohlen zur Seite. "Wenn du mich an diesen herrlichen Ort des Friedens entführt hast, um mit mir zu reden, dann vergiss es sofort! Ich habe keine Lust und werde auch auf keine deiner Maschen hereinfallen!" >Und schon wird er aggressiv und stellt sich auf Verteidigung ein.< "Ort des Friedens?" Kaiba hob die Augenbrauen. "Uns umgibt karges Ödland, Joseph. Der Boden auf dem wir stehen, ist unfruchtbar, wird von niemandem mehr als Ackerland benutzt. Das ist kein Ort des Friedens, sondern der Einsamkeit und da du dich sowieso mit ihr anfreunden willst, ist das doch der perfekte Vorgeschmack." "Du redest Blödsinn!", fauchte Joey. "Und meinetwegen kannst du das auch weiterhin tun! Ich höre dir nicht zu, also lass es am Besten gleich sein und bring mich sofort..." "Weißt du", unterbrach Kaiba ihn entspannt, ohne auf ihn einzugehen, "wenn du dich hier hinsetzt, dann wird dich niemand stören. Niemand wird zu dir kommen, niemand wird mit dir sprechen und das, weil du dich hier an einem unerreichbaren Ort befindest. An einem Ort, an dem du niemandem auffällst." "Hey", Joey verengte die Augen, "kannst du mir mal sagen, was das soll?! Du schleppst mich gegen meinen Willen aus dem Krankenhaus, fährst mit mir spazieren und zerrst mich auf irgendein gottverdammtes Feld, um mir so einen Blödsinn zu erz..." "Was glaubst du, wie lange du es auf diesem Feld aushalten würdest, hm?" Kaiba unterbrach ihn erneut und Joey biss die Zähne zusammen. "Wie lange könntest du hier sitzen? Wie lange könntest du die Menschen beobachten, die in weiter Entfernung ihrer Wege gehen? Unerreichbar sind? Und stell dir vor, das einzige, was du tun müsstest, wäre aufzustehen und zu ihnen zu gehen... und sie anzusprechen." "Oder ich bleibe sitzen, bis Gozilla auftaucht und mich zertrampelt!" Die Augen verdrehend, rollte Joey mit dem Kopf. "Hey, du hast mir die Geschichte von dem Rotkäppchen noch nicht erz..." "Was würde dich daran hindern, aufzustehen?", murmelte Kaiba nachdenklich und Joey ballte die Hände zu Fäusten, schloss die Decke fest in ihnen ein und verzog die Miene. "Ist es dummer Trotz oder existieren dafür noch andere Gründe?" "Ist mir scheißegal!", schnaubend wandte sich Joey ab, zerrte die Decke mit sich und stampfte davon. In die falsche Richtung, die nur eine weite Flur für ihn offen hielt. In gemächlichen Schritten folgte Kaiba ihm. "Es ist schwer, herauszufinden, was in einem Menschen vorgeht", raunte er nebenbei. "Obwohl man den Menschen seit langer Zeit kennt und meinte, alles über ihn zu wissen. Aber in manchen Fällen müsste man wohl die Fähigkeit des Gedankenlesens besitzen, um allwissend zu sein." "So ein Pech aber auch", hörte Kaiba den Blonden knurren und sogleich verlangsamte er die Schritte, blieb nach kurzer Zeit stehen und sah Joey nach, der orientierungslos weiter strauchelte. "Wie geht es dir eigentlich seit der Vergewaltigung?" "Wie es einem Vergewaltigten eben geht!", antwortete Joey ohne das geringste Zögern. Er stampfte weiter, hielt nach wenigen Schritten jedoch ebenfalls inne und drehte sich ruppig zu ihm um. "Ist das alles, was du wissen wolltest?!" Kaiba musste zugeben, dass er über diese freizügige Antwort etwas überrascht war. Seines Erwartens nach, hätte Joey diese Frage nicht einmal beantwortet, so getan, als hätte er sie überhört. Und nun diese schnelle Reaktion...? Glücklicherweise konnte Joey die Miene des Anderen nicht erkennen. Sie veränderte sich kurz, verfestigte sich jedoch schnell und ließ zu, dass Kaiba seine Rolle auch weiterhin spielte. "Wie es einem Vergewaltigten eben geht?", wiederholte er Joeys Worte. "Wie geht es denn so einem?" "Leg´s doch einfach drauf an und finde es heraus?", zischte Joey hinterhältig und raffte die Decke höher. >Er reagiert anders, als ich es erwartet hatte.< Kaiba biss sich auf die Unterlippe, wandte kurz den Blick ab und rieb sich das Kinn. "Ich glaube, das wäre nicht klug", antwortete er nach einem sicheren Grübeln. "Es muss unbeschreibliche Qualen mit sich bringen." "Möglich?" Joey weitete die Augen. "Aber vielleicht auch nicht?" "Das kann nicht sein." Kaiba schüttelte entschieden den Kopf. "Immerhin ist es nicht nur eine Erniedrigung, sondern auch eine unmenschliche Folter, die neben den seelischen und psychischen Schäden auch körperliche Verletzungen nach sich zieht." Joey legte den Kopf schief. "Wow, vor mir steht ein Genie!" >Und trotzdem geht er nicht auf mich ein<, dachte sich Kaiba. >Er beantwortet all meine Fragen rein rhetorisch, plappert inhaltslos vor sich hin. So komme ich nicht weiter.< "Also stimmt es?" Er stemmte die Hände in die Hüften. "Unter was leidest du? Hast du Alpträume?" "Tse!" "Ich meinte damit, verfolgt es dich, wenn du die Augen schließt? Erinnerst du dich daran? An die Schmerzen? Die Angst?" "Ja, ich mache sogar ins Bett!" Joey schnitt eine Grimasse. "Wirklich?" Kaiba weitete die Augen und Joey sah doch wirklich so aus, als würde er sich für eine kurze Zeit außer Kontrolle geraten. Seine Lippen bewegten sich stumm, seine Hände führten verworrene Gesten aus, doch ebenso schnell, wie er die Kontrolle verloren hatte, erhielt er sie auch zurück und brachte es zu einem verächtlichen Grinsen. "Blödsinn!" >Gut, jetzt hat er schon widerrufen.< Eine stärkere Brise erfasste sie. Joeys Decke bäumte sich kurz auf, wurde jedoch schnell wieder zurechtgezerrt, während Kaiba erneut zu grübeln schien, leicht nickte und etwas in die Knie ging. "Ich kann nicht glauben, dass man danach keinerlei Gedanken mehr daran verschwendet, immerhin ist es ein einschneidendes Erlebnis." Plötzlich hielt Kaiba inne, langsam hob er die Hand, stützte sie unter der Kinn und verengte sinnierend die Augen. "Oder ist es gar nicht so schlimm? Vielleicht habe ich es mir immer nur falsch vorgestellt? Vielleicht tut es nicht einmal weh, ist sogar auch eine völlig harmlose Sache? Ohne jegliche Folgen?" "Natürlich." Plötzlich erschien jenes verächtliche Grinsen auf Joeys Lippen. "Verkauf mich nicht für dumm, Kaiba. Das ist eine Masche, die dir wie auf den Leib geschnitten ist. Jetzt soll ich wohl anfangen zu schreien und völlig ausrasten, nicht wahr?" "Warum solltest du das denn tun?" Kaiba blickte zu ihm auf. "Hättest du irgendeinen Grund dazu?" "Oh... nein, nein, nein." Joey fuchtelte mit dem Zeigefinger. "Vergiss es. Darauf werde ich nicht antworten." Angespannt schloss Kaiba die Augen und ballte die Hand zu einer Faust. "Ich werde jedenfalls nicht auf diese Provokation hereinfallen. Ich weiß genau, worauf du aus bist! Du kannst mir nichts vormachen und ich sage dir gleich, dass daraus nichts wird!" "Das ist keine Provokation", verteidigte sich Kaiba mit aufgezwungener Ruhe. "Ich habe nur alle Möglichkeiten in Betracht gezogen." "Was du nicht sagst." Nun war es Joey, der sicherer zu sein schien und das Grinsen hielt an, wirkte nun jedoch vielmehr belustigt als verächtlich. "Und die Möglichkeit, die am grausamsten ist, wählst du, um besonders auf sie einzugehen. Bis ich an deinen Worten zerbreche und alles aus mir rauslassen, nicht wahr?" >Was... was soll das?!< Kaiba traute seinen Ohren nicht. >Wie tief sitzen alle diese Dinge, dass er so etwas problemlos erwähnen kann?!< Nun schwieg Joey. In die Decke gehüllt, stand er vor Kaiba, starrte jedoch zur Seite. >Ich muss mir etwas anderes einfallen lassen! So komme ich nicht weiter!< "Na dann." Er schlug sich auf die Knie und kam auf die Beine. "Dann werde ich dieses Gewäsch wohl unterlassen und dir etwas anderes erzählen." "Tue dir keinen Zwang an." Joey zuckte mit den Schultern, wandte sich ab und ging weiter. "Habe ich dir gegenüber schon einmal einen Mann namens Lenzich erwähnt?" "Deutscher Polizeipräsident, guter Freund, toller Mann... bla bla bla", murrte Joey nur und stiefelte weiter. Und wieder folgte Kaiba ihm. "Und an Daniel Ray erinnerst du dich auch noch?" "Mm... ja, habe zwar ein Kurzzeitgedächtnis, aber der Name ist mir ein Begriff!" "Wir haben ihm viel zu verdanken." Kaiba fuhr sich durch den Schopf. "Oh ja!" Der reine Sarkasmus sprach aus Joeys Stimme, als er sich tiefer in die Decke mummelte und eine andere Richtung einschlug. "Zum einen hätte ich nie von deinem Malheur erfahren und wäre weiterhin im Dunkeln getappt. Du hättest zwar deinen Spaß gehabt aber das wäre ja nicht das Wahre gewesen." Darauf antwortete Joey nicht und Kaiba zog seine Schlüsse aus dem Schweigen. "Es ist verständlich, dass du nun wütend auf ihn bist. Nun, da er dich der Realität näher gebracht und dich an Dinge erinnert hat, die du am liebsten vergessen hättest. Aber zum einen gehört auch ein zweites. Und weißt du, was das ist?" "Tut mir leid, meine hellseherischen Fähigkeiten sind noch nicht gut genug entwickelt!" Kaiba schenkte den zornigen Kommentaren keine Beachtung mehr. Dazu war er viel zu neugierig auf Joeys baldige Reaktion. "Nun, zum zweiten war er daran beteiligt, dass wir einen gewissen Lee befreien konnten." Kaiba glaubte zu sehen, wie sich Joeys Schritte kurz verlangsamten, sprach jedoch weiter, bevor dieser wieder etwas Bissiges loswerden konnte. "Und wie ich gehört habe, ist er schon wieder auf den Beinen. Er hat nur ein paar kleine Blessuren, aber sonst..." Er verstummte, als Joey plötzlich inne hielt und sich ruppig zu ihm umdrehte. Die pure Wut stand dem Blonden ins Gesicht geschrieben, als er die Augen verengte und langsamen die Hände sinken ließ. "Lügner!" "Warum sollte ich lügen?" "Dass er frei ist, das ist eine Lüge!", fauchte Joey. "Und dass du auch nur das geringste über ihm weißt, auch!" "Wie kommst du darauf?" >Komm schon... sag nicht das Falsche! Allmählich weiß ich nicht mehr weiter!< "Weil Lee Aids hat und es ihm unmöglich gut gehen kann!" >Danke.< "Es ist sogar unmöglich, dass er noch am Leben ist!", fuhr Joey aufgebracht fort, während Kaiba erleichtert den Kopf sinken ließ. "Er ist längst tot, also erzähl mir nicht so einen Mist!" "Er hat Aids?" "Natürlich hat er!", fauchte Joey zurück. "Und wenn er nicht umgebracht wurde, dann ist er schon längst daran gestorben!" "Und du?" Kaibas Miene wurde von einer vorsichtigen Ernsthaftigkeit befallen. "Wie steht es mit dir? Bist du infiziert?" "Es geht hier nicht um mich!" Joey schüttelte aufgebracht den Kopf. "Du hast mich angelogen, darum geht es!" "Woher weißt du, dass er unter dieser Krankheit leidet? Hast du sein Leiden mitbekommen?" "Wäre schwer gewesen, es nicht zu tun!" Joeys Miene verfinsterte sich. "Mm...", Kaiba senkte den Kopf, "... und hast du auch nur ein einziges Mal daran gedacht, was wäre, wärst du wirklich infiziert?" Darauf antwortete Joey nicht sofort. Er starrte vor sich hin, zog kurz darauf eine Grimasse und wandte sich ab. Er kehrte Kaiba den Rücken zu, ging jedoch nicht weiter. "Ich habe gesagt, ich werde nicht darüber reden!" "Und dabei ist es eine verdammt ernste Sache." Kaibas Stimme senkte sich, machte auf eine tiefe Besorgnis aufmerksam. "Du hast recht, Lee ist nicht wieder auf den Beinen, aber frei ist er trotzdem." ~*To be continued*~ Kapitel 18: Niederringen und Aufhelfen -------------------------------------- Aus Joeys Richtung war ein dumpfes Stöhnen zu hören, dann schüttelte der Blonde den Kopf. "Hey, das ist zwar alles ganz gut und toll", murrte er und drehte sich langsam zu Kaiba um. "Aber... naja, es interessiert mich nicht." "Natürlich", erwiderte Kaiba kaum hörbar und sarkastisch. "Es ist dir also gleichgültig, was aus dem Menschen wird, der dir das Leben gerettet hat." "Er hat mir nicht das Leben gerettet!" Angespitzt verengte Joey die Augen und unterstrich die Worte mit einer strikten Handbewegung. "Das einzige, was er getan hat, ist..." "... dich vor weiteren Vergewaltigungen und lebenslanger Gefangenschaft zu bewahren", beendete Kaiba scharf und verschränkte die Arme vor dem Bauch. "Ich habe ihn nicht darum gebeten!!" Plötzlich begann Joey zu schreien. Die reine Wut schien ihn zu beherrschen, als er sich Kaiba um einen Schritt näherte. "Ich habe überhaupt gar keine Bitten an ihn gestellt, also muss ich ihm auch für nichts dankbar sein!!" Langsam ließ Kaiba die Arme sinken. "Ich war nicht auf ihn angewiesen, wäre auch gut ohne ihn zurecht gekommen!!" Ein kurzes Schwanken der Stimme verriet einen versteckten Hintergedanken, Kaiba starrte ihn an. "Er hat es doch nur getan, um sich in ein besseres Licht zu rücken! Ich war ihm so egal, wie er mir!! Warum sollte ich mich also um irgendetwas scheren, das mit ihm zu tun..." In dieser Sekunde traf eine Faust mit voller Wucht sein Gesicht. Sofort verlor er den Boden unter den Füßen, wirbelte herum und schlug hart auf der Erde auf. Die Decke entglitt seinen Händen und unter einem benommenen Ächzen blieb er liegen. Noch immer mit geballten Fäusten baute sich Kaiba vor ihm auf und auch in seinen Augen loderte die Wut, als er sie verengte. "Ich habe dich noch nie so widerlich von meinem Menschen sprechen gehört!", fauchte er und blickte auf ihn herab. "Du warst auf niemanden angewiesen? Schau dich doch an!" Als sich Joey gerade unter großen Kraftaufwand aufrichten wollte, setzte er den Fuß auf seine Schulter und stieß ihn zur Seite. Völlig orientierungslos ging Joey erneut zu Boden und tastete um sich. "Selbst ein kleines Lüftchen könnte dich umpusten und wenn ich dich hier zurücklassen würde, würdest du zu Grunde gehen!" "Du kannst mich!", ruppig wischte sich Joey das Blut von der Unterlippe und kämpfte sich in eine aufrechte Haltung. "Jetzt fühlst du dich toll, was?!" Kaiba hob die Augenbrauen, stemmte die Hände in die Hüften und beugte sich etwas über ihn. "Mein einziger Vorteil ist, dass ich nicht blind bin! Also lass dieses dämliche Gejammer und zerfließe nicht in Selbstmit..." Plötzlich und unvorhersehbar riss Joey den Fuß zur Seite, trat Kaibas Beine weg und brachte auch diesen zu Fall. Er knickte um und landete auf den Knien, während Joey bereits wieder auf die Beine kam. Strauchelnd fand der Blonde das Gleichgewicht, stieß ein dumpfes Keuchen aus und wich einen Schritt zurück. "Als ob du beurteilen könntest, wie das ist!!", schrie er wieder und fuchtelte aufgebracht mit den Händen. "Du hast doch keine Ahnung!!" Kaiba blieb hocken, blickte unbeeindruckt zu ihm auf und grinste, als er diese Worte hörte. "Vielleicht? Aber dass es nicht so furchtbar wäre, kam aus deinem Mund. So schlimm ist es gar nicht, war es nicht so?" Er legte den Kopf schief, stand auf und wischte sich etwas nachlässig die Hose ab, während er den Blonden musterte. "Sag bloß, du hast das nicht ernst gemeint?" Nun wirkte Joey etwas irritiert. Kurz schweiften seine Pupillen durch die Gegend, bevor er tief einatmete, die Zähne zusammen biss und die Hände zu Fäusten ballte. "Ahh...", knurrte er und zog eine verächtliche Grimasse, "... pah!" "Hast du gelogen?", provokant hob Kaiba die Augenbrauen. "Gelogen, wie so oft auch?" "Ich...", sofort wollte Joey widersprechen. Er fuhr in die Höhe, riss die Augen auf und hielt den Atem an, "... ich? Gelogen??", ächzte er dann entrüstet. "Mm-mm." Kaiba nickte, rieb sich das Kinn und ließ den Kopf sinken. "Sag mal", er blickte ihn von unten an, seine Stimme nahm einen kaltherzigen Unterton an, "... was denkst du dir eigentlich? Ich rede noch mit dir und du weißt es kein bisschen zu würdigen...?" "Was redest du da!!" Joeys Atem raste. "Tu nicht so unschuldig!" Kaiba winkte ab. "Du weißt ganz genau, worum es geht! Nicht um ein liebes Gespräch, um all die Probleme zu lösen! Es geht darum...", er verengte die Augen, "... dass du mich betrogen hast!" "W...", Joey schnappte nach Luft, wollte wieder schreien, "... wie bitte?!" "Hör auf!" Kaiba starrte ihn herablassend an. "So dumm bist du doch nicht wirklich, oder?" Konfus zeigte Joey auf sich. "Ich...? Dich...?!" "Du mich!" Kaiba weitete die Augen. "Hey, ich verzeihe viel, aber auch ich habe meine Grenzen! Vielleicht wäre es anders gewesen, hättest du dich sofort entschuldigt! Aber du warst so feige, um mir die Wahrheit zu verschweigen!" Joey machte den Anschein, als würde er sofort wieder zurück schreien. Seine Schultern hoben sich, als er rasselnd einatmete... doch dann schwieg er und starrte nur mit entsetzten Augen in Kaibas Richtung. Erneut schlängelte sich ein schmaler Blutfaden über sein Kinn, doch er schenkte ihm keine Beachtung, regte sich nicht. Kaiba hatte seine Reaktion genau studiert. "Was soll dieser aufgesetzte Blick?", murmelte er brutal. "Siehst du es etwa nicht als Fremdgehen an, wenn man mit einem anderen in die Kiste steigt?" Schwer brach der Atem aus Joey heraus, bevor er erneut die Luft anhielt und ein schweres Schlucken hinunterwürgte. "Und das hast du doch getan, oder?" Kaibas Stimme trug keinerlei Emotionen mehr in sich, als er den Blonden eiskalt taxierte. "Hast du gedacht, alle würden sich so auf deine furchtbaren Leiden konzentrieren, dass diese Sache völlig unter den Tisch fällt? Hast du geglaubt, alle würden mitjammern und nicht auf deinen Verrat achten?" Joeys Gesicht schien mit jedem weiteren Wort an Farbe zu verlieren und als Kaiba kurz schwieg, schluckte er erneut und seine Pupillen flüchteten zur Seite. Etwas stockend wandte er sich ab und fuhr sich mit der Hand über den Mund. "Das...", seine Stimme war nicht mehr als ein unsicheres Murmeln, "... das ist doch... wieder eine Masche... oder?" "Eine Masche?!" Kaiba schrie ihn an und Joey zuckte sichtlich zusammen. "Ich rede davon, dass du mir untreu warst!!" Der Blonde presste die Lippen aufeinander, schien mit jeder Sekunde nervöser und unruhiger zu werden. "Dir scheint es wohl nichts zu bedeuten!!" Kaiba schonte ihn nicht, gnadenlos schrie er weiter und Joey hob fahrig die Hand zum Gesicht. "Dir ist es scheinbar scheißegal, mit wem du es treibst!! Wer weiß? Vielleicht hat es dir ja auch große Freude bereitet?!" "F-Freude??" Joey fuhr in die Höhe und schrie mit zittriger Stimme zurück. "Freude sagst du?!" Er schien sich außer Kontrolle zu geraten, schrie immer lauter und wirkte kurz darauf sogar hysterisch. "Weißt du, wie ich mich gefühlt habe?! Wie ein... wie ein Stück Scheiße!!" Kaiba zwang sich, die eiskalte Mimik beizubehalten, rang sich dazu durch, gnadenlos weiterzumachen, nun, da Joey endlich etwas zuließ. "Das kann jeder behaupten, wenn es vorbei ist", murmelte er gefühllos und Joey schnappte nach Luft. Erst leicht, dann immer heftiger, schüttelte er den Kopf und wich zurück. Benommen trat er nach hinten, rutschte kurz darauf in der Erde ab und hob die Hand zum Mund, um sie verkrampft auf ihn zu pressen. Dann verfing sich sein Fuß in der Decke, er stolperte und stürzte. Kaiba tat nicht das geringste, um ihm zu helfen, ließ sogar die Hände in den Hosentaschen verschwinden. "Nein..." fassungslos schüttelte Joey weiterhin den Kopf, schien außerdem Probleme mit der Atmung zu bekommen. Er röchelte, verschluckte sich und brach in ersticktes Husten aus. Kaiba hob unbeeindruckt eine Augenbraue. "Und?" "Nein..." Zusammengesunken blieb Joey kauern, presste sich auch die andere Hand auf den Mund und war nur noch zu einem heiseren Flüstern imstande. "Was nein", stocherte Kaiba erbarmungslos weiter. Joey schüttelte noch immer den Kopf, ließ ihn dann sinken und schien den Atem erneut anzuhalten. "Ich..." Kaiba beugte sich etwas nach vorn. "Ich", Joey schloss verkrampft die Augen, lange blonde Strähnen verdeckten sein Gesicht, "... ich rede... nicht... darü..." "Du gottverdammter Feigling!", unterbrach Kaiba ihn abfällig. "Du machst es dir verdammt einfach!! Denkst du, mit diesem Schweigen kommst du mir davon?! Du bist so jämmerlich!!" Herablassend blickte Kaiba auf das Häufchen Elend hinab, war kurz davor, sich umzudrehen. "Wenn dir alles so scheißegal ist, dann kommst du sicher auch ohne mich aus!" Somit kehrte er Joey den Rücken zu, blieb kurz stehen und atmete tief durch, bevor er losging. Und nachdem er den ersten Schritt getan hatte, verfinsterte sich seine Miene, wirkte nun vielmehr verbittert als wütend. Die Zähne schnappten nach der Unterlippe. >Komm schon!< Er ging langsam, blickte jedoch nicht zurück. >Beweise mir, dass ich mich nicht in dir geirrt habe! Beweise mir, dass du immer noch der alte Joseph bist!< Er senkte den Kopf, starrte auf die trockene Erde und schloss nach kurzer Zeit die Augen. Hinter ihm herrschte Stille und sie zerdrückte sein Herz, verengte seine Lunge und ließ seinen Puls rasen. Nur der leise Wind pfiff in seinen Ohren, als er schwer schluckte und einen Fuß vor den anderen setzte. >Mehr kann ich nicht tun... wenn er jetzt nicht gebrochen ist... wann dann?< Langsam ballten sich seine Hände zu Fäusten. "Seto!!", drang in dieser Sekunde ein verzweifelter Schrei an seine Ohren und augenblicklich blieb er stehen. "Seto... bitte!! Bitte nicht!! K-komm zurück!!" Kaibas Lippen öffneten sich einen Spalt weit, auch die Lider hoben sich und ein dumpfes Seufzen drang aus seinem Hals. Kurz blieb er so stehen, seine Hände entspannten sich und dann drehte er sich um. Kraftlos kauerte Joey in der dreckigen Erde, hatte die Finger in sie gebohrt und starrte mit schwerem Atem in seine Richtung. Lange sah Kaiba ihn an, ohne sich zu bewegen. Flehend verzogen sich die Augenbrauen des Blonden, die Hände krallten sich tiefer in die Erde... doch Kaiba erblickte keine Tränen. "Es... tut mir leid!!" Joey ließ sich tiefer sinken. In gemächlichen Schritten kehrte Kaiba zu ihm zurück, blieb in sicherer Entfernung stehen und räusperte sich leise, damit Joey wusste, wo er war. Sofort blickte der Blonde zu ihm auf. "Und du glaubst, damit ist es getan?" "Es tut mir wirklich leid!", beteuerte Joey hastig, doch Kaiba schüttelte den Kopf. "Das nutzt mir nicht viel." "Aber...", Joey zog die Nase hoch, "... aber was soll ich denn machen?!" Kaiba schwieg und ließ ihn etwas warten. Augenscheinlich wurde Joey mit jeder Sekunde nervöser, er verzog die Miene und presste flehend die Lippen aufeinander... und doch blieben seine Augen trocken. "Soll ich dich nur wieder aufnehmen", Kaiba fuhr sich durch den Schopf, "weil du vor mir auf dem Boden kriechst und dich entschuldigst?" "Aber..." "Es gibt nur eine Sache, die ich von dir will", unterbrach Kaiba ihn und Joey nickte ohne zu überlegen. Kaiba blinzelte, drehte den Kopf leicht zur Seite und sah ihn aus den Augenwinkeln an. Studierend und kalt. "Erzähl mir, wie es war." "Was...?" Die Augen des Blonden weiteten sich. "Erzähl es mir." Noch immer starrte Kaiba ihn auf dieselbe Art und Weise an. "Ich will jede Einzelheit wissen!" "Wa... warum...?" Spätestens jetzt wirkte Joeys Gesicht leichenfahl. Als wäre er versteinert, hockte er dort in der dreckigen Erde und starrte zu ihm auf. "Du hast keine Fragen zu stellen!", fauchte Kaiba bissig. "Nur zu antworten!" Scheinbar verletzt und unsicher, wandte Joey das Gesicht ab, doch nach kurzer Zeit entspannten sich seine Hände und Kaiba wartete auf einen weiteren Erfolg. Er sah, wie der Blonde die Nase rümpfte, das Gesicht weiterhin senkte und tief Luft holte. "Er hat mich verprügelt, mir die Sachen vom Leib gerissen, mich aufs Bett gezerrt und anschließend mit mir geschlafen", quasselte er dann los und bevor Kaiba sich versah, schwieg er wieder. Säuerlich begann das Gesicht des Brünetten zu zucken. "Wer." Fragte er, die Wut zurückhaltend und sich an die Geduld klammernd. "Ein Mann", antwortete Joey. "Ich bin blind." Erschöpft schloss Kaiba die Augen, hob die Hand und rieb sich die Stirn. Das konnte doch nicht wahr sein! War das etwa der langersehnte Erfolg?! "Wie hast du dich dabei gefühlt", murmelte er mit schwindender Hoffnung. "Schlecht." "Okay." Kaiba rieb sich die Augen, nickte und ging unter einem erschöpften Stöhnen in die Knie. Er hockte sich vor Joey, legte die Ellbogen über die Oberschenkel und ließ die Hände baumeln. Müde sah er Joey an, der den Kopf noch immer gesenkt hielt. "Joseph", sagte er dann mit ausdrucksloser Stimme. Der Angesprochene regte sich nicht und Kaiba stützte das Kinn in die Handfläche, um ihn weiterhin trübe anzusehen. "Liebst du mich?" Ein erschrockenes Zucken ging durch Joeys Körper und dennoch richtete sich dieser nicht auf. Um ehrlich zu sein, hatte Kaiba auch nicht mit einer Antwort gerechnet. So war er nicht sonderlich überrascht und tat das, was ihm übrig blieb. Der letzte Versuch... >Wenn du es nicht sagst, sage ich es.< "Warum hast du geschwiegen." Nun sprach er ruhig und leise. "Weil du dich für das schämst, was passiert ist? Weil du es als Untreue ansahst? Oder um mich zu schonen." Er biss sich auf die Unterlippe und faltete die Hände ineinander. "Wolltest du mich vor der Wahrheit, oder dich vor Mitleid schützen. Oder kam es dir nur darauf an, zu verdrängen? Dich selbst zu belügen? Verkraftest du es nicht, dass schon wieder etwas geschehen ist, das in kein normales Leben gehört? Wirst du nicht damit fertig? All das sind Fragen, die ich mir gestellt habe, als ich von alledem erfuhr und seitdem habe ich viel nachgedacht. Ich habe die Schule geschwänzt, die Arbeit vernachlässigt, mich betrunken und viel zuviel geraucht. Ich habe mir den Kopf zermartert, nicht geschlafen und darüber nachgedacht, weshalb ein Mensch, den ich doch zu gut zu kennen glaube, so etwas tut. Und weißt du, was bei all den Grübeleien herausgekommen ist?" Er wartete ohne auf eine Antwort zu hoffen. Und die erhielt er auch nicht. Die langen Strähnen verdeckten Joeys Gesicht, die Hände lagen entspannt auf der Erde und er schien ruhig zu atmen. Kaiba hob die Augenbrauen, löste die Hände voneinander und hob sie etwas. "Nichts." Wieder erfasste sie eine stärkere Brise. Das dünne Hemd des Blonden flatterte kurz auf, das Haar wurde durchkämmt und doch bewegte sich keiner der Beiden. Kaibas Lider senkten sich, ein tiefer Atemzug kam über seine Lippen und als wüsste er nicht weiter, hob er die Hände. "Du kennst mich", flüsterte er leise. "Du und Mokuba... ihr kennt mich besser als jeder andere. Du kennst meine Emotionen, meine Launen und meinen Charakter. Du weißt, was du tun musst, wenn ich mich merkwürdig benehme, beinahe liest du mir schon jeden Wunsch von den Augen ab und dir muss klar sein, wie ich auf manche Dinge reagiere. Und genau so ist es auch anders herum. Meistens weiß ich, was du denkst, doch bei solchen Geschehnissen...?" Kaiba blickte auf, rieb sich kurz den Nacken und setzte sich anschließend in die Erde. Joey kauerte noch immer zusammengesunken vor ihm, ohne sich zu regen. "So ein Geschehnis, wie es jetzt eingetreten ist, ist etwas völlig neues in unserem Leben. Aber trotzdem... Joseph, als es passiert ist, hast du auch nur einen Gedanken daran verschwendet, nein, hast du auch nur eine Sekunde lang befürchtet, ich würde dich von mir stoßen?" Kaiba faltete die Hände im Schoss, besah sich die raue Erde und schüttelte nach kurzer Zeit langsam den Kopf. "Als ich davon erfuhr, war das erste, was ich spürte, Wut. Ja, ich war wütend und um ehrlich zu sein, bezweifelte ich für einen Moment, ob es möglich wäre, weiterhin mit dir zusammen zu sein." Als er das sagte, musterte er Joey genau, konnte jedoch noch immer keine Reaktion erkennen. "Denn das funktioniert nicht, wenn man nicht offen gegenüber dem Anderen ist. Ich war mir unsicher, wie ich mit dir umgehen soll, was ich sagen soll, wenn wir uns das nächste mal begegnen und so zog ich mich vorerst zurück. Ich war mir in vielen Dingen unsicher. Nur nicht in einer Sache," wieder blickte Kaiba auf und musterte Joey, seine Finger spreizten sich kurz, bevor sie sich wieder ineinander falteten, "... dass ich dich liebe." Und gerade hatte er ausgesprochen, da schien Joey zum Leben zu erwachen. Er richtete sich nicht auf, nein, er schüttelte nur den Kopf. Und das ganz langsam. "Ich sagte, ich werde nicht darüber reden." Seine Stimme hörte sich merkwürdig sicher und gefestigt an, Kaiba hörte ihm aufmerksam zu. "Versuche nicht weiterhin, mich dazu zu bringen... ich will es nicht." Somit verstummte er und Kaiba blinzelte. Irritiert verzogen sich seine Augenbrauen und er neigte sich ein wenig nach vorn, die Augen verengend, als müsse er genau hinschauen. Er starrte auf Joeys Kinn, welches er unter dem langen Haar sehen konnte. Und von diesem Kinn... Er spürte einen schmerzhaften Stich in der Brust, gefolgt von einem kalten Schauer, der durch seinen gesamten Leib raste. Von Joeys Kinn tropfte eine Träne. Unbemerkt fiel sie hinab und versank in der trockenen Erde. Schweigend sah Kaiba auf diesen Punkt hinab, kurz verkrampften sich seine Hände, doch schnell klammerte er sich an die Selbstbeherrschung und entspannte sich. Langsam setzte er sich zurück, schabte mit den Zähnen über die Unterlippe und hielt die Stille lange aufrecht, bevor er fortfuhr. Leise und langsam, damit Joey seine Worte auch wirklich verinnerlichte. "Ich sagte, dass ich dich liebe." Nun sprach er etwas energischer, ohne dass sich Joey angegriffen fühlen musste. "Und deshalb werde ich nicht so einfach aufgeben und den weiteren Verlauf unseres Lebens den Tatsachen überlassen, die zwar schlimm sind, aber aufgelöst werden können! Ich werde nicht das Handtuch werfen, nur weil es etwas Unausgesprochenes zwischen uns gibt." Während er weiterredete, löste er das Augenmerk keine Sekunde lang von Joey und erspähte bald eine weitere Träne, die über die blasse Haut rann und sich unter dem Kinn sammelte. "Dabei ist es völlig egal, ob es sich um eine Vergewaltigung oder etwas anderes handelt! Wir haben bisher alles miteinander geteilt! Glück, Angst... weshalb jetzt nicht auch den Schmerz?" "Ich sagte", kurz und durchaus etwas unsicher, hob Joey die Hand, wobei die Stimme nur einen kleinen Teil der Festigkeit verloren hatte. Sie klang etwas gedrungen, hinzukommend leiser als zuvor, "... ich will nicht darüber sprechen... du sollst aufhör..." "Ich kann es nicht als Egoismus ansehen, dass du den Schmerz für dich alleine beanspruchst", unterbrach Kaiba ihn. "Immerhin ist das ein Fehler, den ich selbst oft genug begangen habe, als dass ich dir nun eine Rede halten könnte. Doch ich habe den Fehler stets mit dem Hintergedanken begangen, dich zu schützen und das allein rechtfertigt dieses Handeln." In der Zwischenzeit hatte Joey die Hand plump sinken gelassen. Und sie gab eine große Nervosität preis, als sie sich stockend in der Erde zu einer Faust ballte. Auch diese Reaktion war Kaiba nicht entgangen und er ließ Joey keine Zeit, um Luft zu holen. "Es gibt nichts, das man dir verzeihen müsste. Du hast keinen Fehler begangen." Wieder neigte er sich etwas nach vorn und kam dem Blonden mit dem Gesicht etwas näher. "Joseph... es ist nicht deine Schuld." Flüsterte er kaum hörbar und doch kam Joeys Reaktion überraschend schnell. Seine Hand entspannte sich. "Verdammt, das weiß ich", antwortete er mit einem unerwarteten Trotz, wagte es jedoch noch immer nicht, das Gesicht zu heben. "Wenn du es wirklich weißt", erwiderte Kaiba, "... dann solltest du dir keiner Schuld bewusst sein und mich ansehen." "Hör auf damit!" Joey´s Stimme wurde zu einem aggressiven Fauchen. "Ich werde nicht darauf hereinfallen!" "Worauf?", hakte Kaiba sogleich nach. "Auf die Tatsache, dass dich keinerlei Schuld trifft?" Und Joey schwieg. "Meine Worte erreichen dich nicht?" Kaiba neigte sich noch weiter nach vorn, so weit, bis das blonde Haar seine Nasenspitze kitzelte. "Nein!" Joey regte sich nicht und Kaiba hob die Augenbrauen. "Und warum...", flüsterte er, "... weinst du dann?" "Ich weine nicht!!" Und plötzlich fuhr Joey in die Höhe. Er riss sich von Kaiba los, schob sich hektisch zurück... und ließ Kaiba sein Gesicht sehen. Dieser erblickte gerötete Augen, braune Pupillen, die leblos zu sein schienen und dennoch durch Tränen glänzten. Eine weitere löste sich aus seinem Augenwinkel und rann über seine Wange. Kaiba schwieg, bewegte sich nicht einmal großartig. Er saß nur da und sah ihn an. "Ich...", von einer Sekunde auf die andere hatte Joey jegliche Beherrschung verloren, wirkte nun hilflos und völlig aufgelöst, jedem ausgeliefert und annähernd hysterisch. Auch seine Stimme schwankte und als die Träne sein Kinn erreichte, hielt er in jeglichen Bewegungen inne. Kaiba glaubte sogar zu sehen, wie er erschrocken in sich zusammenfuhr und anschließend hastig die Hand zum Gesicht hob. Fahrig betastete er es, schien schnell die Feuchtigkeit auf seinen Fingerkuppen zu spüren und stieß ein entsetztes Keuchen aus. Fassungslos tastete er weiter, rieb sich panisch die Augen und wirkte für einige Sekunden völlig verstört. Nicht dazu in der Lage, irgend etwas zu sagen, nicht einmal, etwas zu denken. Sprachlos öffnete sich sein Mund, konfus waren die Pupillen nach vorn gerichtet und ohne das er es wusste, sah er Kaiba direkt in die Augen. Dieser tat noch immer nichts, beobachtete ihn nur und schien ruhig zu sein. Nach kurzer Zeit brach unkontrolliertes Keuchen aus Joey heraus, ein rasender Atem, den er mit einem schweren Schlucken zu bekämpfen versuchte und kläglich scheiterte. Immer wieder fuhr er sich über das Gesicht, wobei man schnell das starke Zittern seiner Hände bemerken konnte. Und nachdem er röchelnd nach Luft geschnappt hatte, tastete er sich zittrig über die Erde, schob sich weiterhin zurück und fuhr herum, als würde man ihn jagen. Scheinbar von panischem Schrecken gepackt, rappelte er sich auf, wollte übereilt auf die Beine kommen und brach bei dem ersten Versuch zusammen. Scheinbar kraftlos sank er auf die Erde zurück, kroch auf den Knien weiter und entfernte sich so von Kaiba, der nur sitzen blieb. Nach wenigen Sekunden versuchte Joey es erneut. Kopflos zwang er sich auf die Beine, stolperte zur Seite und kämpfte um Gleichgewicht, den Weg jedoch stets weiterführend, als wäre er auf der verzweifelten Flucht vor etwas. Er schwankte zur Seite, ruderte kurz mit den Armen und stürzte erneut, als er wenige unsichere Schritte gegangen war. Noch immer war sein rasender Atem deutlich zu hören und als sich erneut weiter schob, ließ Kaiba den Kopf sinken und schloss die Augen. Bald stand Joey wieder aufrecht. Mit weichen Knien strauchelte er durch die Erde, stolperte von einer Seite zur anderen und fuhr sich hektisch über den Mund, während sich seine Augen apathisch und ziellos über die weite Flur flüchteten. Es schien, als wäre er gänzlich unzurechnungsfähig, als befände sich nur sein Körper hier. Als wären seine Sinne bereits geflohen, geflohen, das was dem schwachen Körper schwer fiel. Übereilig rang er nach Sauerstoff, begann zu röcheln und strauchelte weiter. Kaiba blieb zusammengesunken sitzen, hielt die Augen geschlossen und atmete ruhig. Er hörte das Keuchen, hörte, wie es sich allmählich von ihm entfernte... Erneut rutschte Joey in der trockenen erde ab, schlug so eine andere Richtung ein. Zittrig fanden seine Hände das dünne Hemd. Verkrampft krallten sie sich hinein, während sich die Miene des Blonden verzerrte. Matt sank das Kinn auf die Brust hinab, die Zähne bissen zusammen, während weitere Tränen sich ihren Weg bahnten. Seine Schritten wurden immer unsicher, doch er quälte sich weiter... Seine Atemzüge wurden kürzer, begannen zu stocken und als ein gedrungenes Würgen aus seinem Hals drang, verloren seine Beine auf den letzten Rest ihrer Kraft und unter einem lauten Ächzen, ließ er sich fallen. Er warf sich auf die Knie, kippte vorn über und presste die Stirn auf die Erde. Und erst als ein lautes Schluchzen ertönte, erwachte Kaiba zum Leben. Ohne dass seine Augen nach Joey suchten, kam er auf die Beine. Nicht hastig, jedoch auch nicht gemächlich, stand er auf, atmete tief durch und ging los. Den Blick auf den Boden gerichtet, folgte er den Geräuschen. Und je mehr er sich ihnen näherte, desto mehr verschnellerten sich seine Schritte. Immer und immer wieder hörte er lautes Schluchzen und eine tränenerstickte Stimme, die völlig unkontrolliert unverständliche Worte aussprach, alsbald jedoch von einem erstickten Würgen unterbrochen wurde. Und Kaiba erreichte ihn. Die Hände tief in der Erde verborgen, das Gesicht auf diese hinabgespresst und völlig in sich zusammen gekrochen und verkrampft, kauerte Joey dort, verschluckte sich am eigenen Atem und begann nach Sauerstoff zu ringen. Er hatte jegliche Kontrolle über sich verloren, schien plötzlich keine Luft zu mehr zu bekommen und begann sich stockend zu bewegen. Rechtzeitig ließ sich Kaiba neben ihm auf die Knie sinken, griff zielstrebig nach den Schultern des Blonden und versuchte diesen aufzurichten. Doch der bebende Körper ließ nichts zu und so neigte sich Kaiba tiefer hinab, schob den Arm neben seinem Hals tiefer und legte ihn sicher um seinen Oberkörper. Und mit dem eigenen Gewicht zog er ihn nach oben. Joeys Augen waren verkrampft geschlossen, der Mund weit aufgerissen, doch die Lungen schienen ihren Dienst zu verweigern. Dennoch wehrte sich Joey mit allen Mitteln gegen den festen Griff. Panisch schlugen sich seine Hände in Kaibas Arm und versuchten diesen fortzureißen. "Beruhige dich!" Kaiba hielt ihn fest, achtete jedoch darauf, dass sich ihre Körper nicht mehr als nötig berührten. So würde er Joeys Angst nicht lindern. Völlig aufgelöst röchelte dieser weiterhin und kam nicht frei. "Ganz ruhig... du musst deinen Atem beruhigen!" Joey japste auf, räkelte sich in dem festen Griff und ließ den Kopf sinken. Kurz versuchte er sich noch zu wehren, dann hörte Kaiba, die wie Lunge rasselnd den Sauerstoff einsog, ein langer Atemzug. "Gut so." Kaiba ließ ihn etwas lockerer. "Ein und aus..." Daraufhin brach der Blonde in lautes Husten aus. Seine Füße bewegten sich die in der Erde, schoben sich vor und zurück, während sich der gesamte Körper wand. Wieder schnappte Joey nach Luft und endlich schien es besser zu gelingen. Noch immer keuchte er heftig, doch allmählich fand er die Kontrolle zurück und war zu halbwegs kontrollierten Atemzügen imstande. Vorsichtig ließ Kaiba ihn los und sofort kroch Joey etwas zur Seite. Hustend noch immer ohne jegliches Gleichgewicht, wich er zurück und statt des gefährlichen Röcheln, ertönte wieder das laute Schluchzen. Kaiba hatte sich bereits auf den Knien aufgerichtet und sich zu ihm geschoben. Zögerlich tastete sich seine Hand über die zitternde Schulter des Blonden, bis zu dessen Wirbelsäule, auf der sie ruhig liegen blieb. "Joseph!" Ein provokanter Unterton schlich sich in seiner Stimme ein, als er sich etwas über ihn beugte. Joey kroch weiterhin in sich zusammen, gab sich voll und ganz den Tränen hin. Kaiba jedoch, ließ ihm keine Zeit. Erneut griff er ihn an den Schultern. "Joseph!" Sagte er wieder, wobei er nun doch etwas angespannt wirkte. "Komm schon! Den Schmerz, den du in diesen Sekunden spürst... werde ihn los!" ~*To be continued*~ Kapitel 19: Müde ---------------- Doch Joey verkroch sich weiterhin, verbarg das tränennasse Gesicht zwischen den Armen. Kaiba biss die Zähne zusammen, seine Miene zuckte angespannt und ohne lange nachzudenken, packte er Joey fester und zerrte ihn in die aufrechte Haltung zurück. Sogleich presste der Blonde das Kinn auf die Brust hinab, seine Schultern hoben und senkten sich hastig unter hektischen Atemzügen. "Joseph!" Kaiba schob sich hinter ihn, rückte nahe an ihn heran und umschloss den zitternden Körper fest mit den Armen. Er presste sich an ihn und sofort fuhr der Blonde in die Höhe. Zu Tode erschrocken riss er das Gesicht nach oben, schnappte nach Luft und versuchte sich gegen die starke Umarmung zu wehren. "Lass mich los!!" Er schrie völlig aufgelöst, räkelte sich kraftlos und ballte die Hände zu Fäusten. Doch daraufhin hielt Kaiba ihn nur noch sicherer und sorgte dafür, dass ihre Körper fest aneinanderlagen. Genau diese Tatsache schien Joey in Panik zu versetzen. "Lass los!!" Er begann um sich zu schlagen, sich mit allen Mitteln zu wehren und Kaiba drückte nur noch fester zu. Joey spürte die Wärme des anderen Körpers sehr intensiv, fühlte den schmerzhaften Griff, der ihm beinahe die Luft abschnürte. Gehetzt schluckte er die Tränen hinter, zog die Nase hoch und schrie erneut. Er bettelte, ja, flehte, dass Kaiba endlich von ihm abließ, doch dieser schien ihm überhaupt nicht zuzuhören und bald gingen auch die letzten Kräfte des jungen Mannes ihrem Ende entgegen. "Oh... Gott...", laut schluchzend beugte er sich etwas nach vorn und schloss verkrampft die Augen, "Bitte... bitte... Kaiba..." "Wenn du Angst hast, dann schrei doch einfach!", antwortete dieser angespannt und drückte zu. Ein starkes Zittern raste durch den jungen Körper, er erschauderte spürbar. "Kaiba...", Joeys Stimme war nicht mehr als ein heiseres Krächzen, als er sich mit benommenen Bewegungen erneut zu räkeln begann, "... lass los!!" Kaiba holte tief Luft, ließ den Kopf sinken und biss die Zähne aufeinander. Diese Tränen genügten ihm nicht... er wollte mehr von Joey... mehr als das. "Kaiba!!!", würgte dieser einen weiteren lauten Schrei hervor und bewegte die Füße in der trockenen Erde. Anschließend ächzte er laut, schüttelte den Kopf und brach in lautes Keuchen aus. Er begann schneller zu atmen, als sammle er für etwas Kraft. Zitternd spreizten sich seine Finger, schnell ballten sich die Hände wieder zu Fäusten und ein letztes Mal schnappte er nach Luft. Kaiba spürte, wie er kurz den Atem anhielt, hörte, wie er leise hustete... Und dann schrie Joey. Er schrie einfach drauf los, schrie so laut, wie es seine Kehle zuließ. Er tat es mit aller Kraft, mit all der Wut, all der Angst und der Panik, die sich in ihm angestaut hatte. Laut schallte der Schrei über das weite Feld... und doch hörte ihn niemand. Nur Kaiba. Dieser lockerte die Umarmung nicht und hielt die Augen geschlossen, während Joey heftig einatmete und erneut schrie. Das wollte er hören! Darauf hatte hingearbeitet! Joeys Stimme besaß plötzlich eine Kraft, die man dem schwachen Körper nicht zugetraut hätte. Sie ertönte in solch einer Lautstärke, brachte so unglaublich viel zum Ausdruck, dass sich eine kalte Gänsehaut über Kaibas Arme zog. Joey riss den Mund weit auf, beugte sich verkrampft nach vorn und schrie weiter. Und mit der Zeit begann seine Schreie zu zittern. Erschöpft presste Joey sie hervor und schrie weiter, bis seine Stimme brach. Erneut brach er in leises Husten aus und atmete röchelnd ein, um sich auch den Rest der Schmerzen aus der Seele zu schreien. In dieser kurzen Stille wirkten die Flügelschläge, der Vögel, die sich in weiter Entfernung aus den Bäumen erhoben, unnatürlich laut. Ein kraftloser Atem kam über Joeys Lippen, als dieser erneut den Kopf sinken ließ. Lange Strähnen fielen in sein Gesicht und eine weitere Träne säumte den Boden, als er benommen blinzelte, stumm den Mund bewegte und einen letzten Schrei hervorbrachte. Nur leise ertönte er und er verstummte erst, als keine Luft mehr in Joeys Lunge war. Ein kraftloses Ächzen... und dann kehrte die Stille zurück. Geschmeidig zogen die Vögel über die beiden hinweg, der Wind schien völlig zu erliegen. Langsam und vorsichtig löste Kaiba den Griff, zog die Arme zurück und ließ sich etwas zurückfallen. Er stützte sich ab, ließ den Hinterkopf in den Nacken fallen und öffnete die Augen. Die blauen Augen zeigten eine unbeschreibliche Erleichterung, als sie sich auf die vorüberwandernden Wolken richteten und sie ruhig beobachteten. Joey war nach vorn auf die Ellbogen gekippt, auf denen er sich nun etwas über der Erde hielt. Dennoch berührte die Stirn den Boden, als er den Kopf sinken ließ und so verharrte. Zusammengekauert der eine, entspannt und schweigsam der andere. Kaiba zwinkerte, schluckte und genoss die frische Luft. Er atmete tief ein, schloss die Augen und lauschte dem leisen Keuchen, welches vor ihm ertönte. Dennoch bewegte er sich nicht, hielt eine lange Zeit diese Haltung und rappelte sich erst auf, als auch der Blonde wieder zum Leben zu erwachen schien. Gedrungen zog Joey die Nase hoch, hob etwas den Kopf und starrte um sich. Kaiba hockte hinter ihm, hatte die Arme über die Ellbogen gelegt und sah ihn an. Der Blonde schniefte kurz, fuhr sich mit der zitternden Hand über das Gesicht und richtete sich etwas unbeholfen auf. Erneut rieb er sich die Augen, als er aufrecht kauerte, seine andere Hand tastete sich benommen über den Boden und seine Miene wirkte, als hätte er soeben etwas erlebt, das er noch nicht glauben konnte. Als gäbe es etwas, das er noch realisieren musste. Erneut rann eine Träne über seine Wange und er wischte sie fort, während er sich keuchend umblickte. So verging eine lange Zeit und Kaiba schwieg, wollte die Atmosphäre, die plötzlich und unerwartet eingetreten war, nicht nur Worte zerstören. Und er ließ Joey Zeit, die dieser scheinbar dringend benötigte, um die eigenen Gedanken zu ordnen. Der Blonde leckte sich die Lippen, zog die Nase hoch und blinzelte. Endlich kehrte der Wind zurück und Kaiba schloss genüsslich die Augen, als er seinen Schopf durchstreifte. Und als er sie wieder öffnete, hatte Joey die Hand gehoben, die Innenfläche nach außen gedreht und das Gesicht gesenkt, als wolle er sie anstarren. Die Hand zitterte auffällig und Joey würgte ein schweres Schlucken hinunter, während er sie erhoben hielt. Kaiba beobachtete ihn aufmerksam, nahm kurz darauf ein mattes Kopfschütteln wahr. Somit wurde auch die zweite Hand gehoben und das Gesicht bewegte sich noch immer von einer Seite zur anderen. "Was...", die Schultern des Blonden hoben sich, die tränenerstickte Stimme drang nur leise zu Kaiba, "... was habe ich getan..." Kaiba wandte den Blick ab, ließ ihn flüchtig über die weite Flur schweifen und kam dann auf die Beine. Entspannt stand er auf und ging um Joey herum, um sich in sicherer Entfernung, vor ihn zu hocken. "Was habe ich nur getan...?" Joeys Miene verzog sich und die zitternden Hände ballten sich zu Fäusten, wurden sinken gelassen und stützten sich in die Erde, als sich Joey erneut etwas nach vorn beugte. "Was habe ich getan...?" Ein leises Schluchzen unterbrach ihn und Kaiba rieb sich das Kinn. "Das was vielleicht jeder getan hätte... Joseph." Er antwortete ihm leise und ruhig und Joey reagierte und sah zu ihm auf. Er starrte an ihm vorbei, schniefte und wandte den Blick zur Seite. "Ich...", benommen wischte er sich die Tränen von den Wangen, "... ich habe alle belogen... und verletzt..." Kaiba schwieg und Joey schüttelte erneut den Kopf. "Ich habe... Daniel... ich habe ihn... und Lee habe ich... verleugnet. Ich habe...", er presste sich die Hand auf das Gesicht, "... alles falsch gemacht." Kaiba biss sich auf die Unterlippe und faltete die Hände. "Die Fehler machen uns zu Menschen, Joseph. Und die Einsicht macht uns zu weisen Menschen... zu ehrlichen Menschen." Er sah Joey an und dieser weinte leise. "Und wir lernen aus Fehlern, lernen, es besser zu machen und einige Dinge zu verändern. Fehler sind nützlich, obwohl sie manchmal sehr wehtun." "Aber...", lautes Schluchzen brach aus Joey heraus und Kaiba verstummte, "... ich... ich hab dich zum weinen gebracht!" Kaiba wirkte überrascht, als er diese Worte hörte. Er hob die Augenbrauen, legte den Kopf schief und als Joey laut zu weinen begann, zeichnete sich ein mildes Lächeln auf seinen Lippen ab. "Ja", seufzte er. "Und es hat mir sehr gut getan. Kannst du das nicht bezeugen?" Wieder verbarg Joey das Gesicht, sein Körper erbebte unter lautem Schluchzen. "Es tut mir so leid!", rief er dann mit tränenerstickter Stimme. "Es... tut mir leid! Ich wollte das nicht! Ich wollte niemanden verletzen! Daniel nicht... dich nicht! Und ich wollte nicht so über Lee sprechen... obwohl ich so grausame Angst um ihn habe!!" "Aber er ist frei", beschwichtigte Kaiba ihn ruhig. "Man kümmert sich gut um ihn, auch er muss keine Angst mehr haben." Doch Joey beruhigte sich nicht. Er schluchzte und begann wieder den Kopf zu schütteln. "Und...", Kaiba musterte ihn aufmerksam, "... er ist sicher stolz auf dich." "Wie kann man stolz auf mich sein...? Ich bin ein verdammtes Arschloch." "Nein, du bist ein Mensch, der zuerst an andere denkt und sich dabei selbst vergisst. Und das ist keine schlechte Eigenschaft." "Aber sie bringt Unglück", widersprach Joey gedämpft und fuhr sich über die Augen. "Gute Eigenschaften haben auch Nachteile." Kaiba zuckte lässig mit den Schultern. "So wie alle anderen Dinge auch Nachteile haben. Man muss es nur akzeptieren. Man muss akzeptieren, dass man nicht perfekt ist, auch die Menschen in der Umwelt sind nicht perfekt. Nein, keiner von ihnen." Somit brach ein kurzes Schweigen aus und trotz all der Worte ließen Joeys Tränen nicht nach. Zusammengesunken blieb der Blonde kauern, während Kaiba die Unterlippe mit den Zähnen bearbeitete und geduldig wartete. Nebenbei erfassten seine Augen ein Auto, welches mit schneller Geschwindigkeit an dem Feld vorbeifuhr. Nur leise konnte er das Motorengeräusch vernehmen und bald darauf, verschwand es auch schon wieder zwischen hohen Bäumen, die sich am Straßenrand aneinanderreihten. In nicht allzu weiter Entfernung, ließen sich einige Raben auf der trockenen Erde nieder und begann herumzuspazieren, hier und dort pickend und nach Nahrung suchend. Und Joey schluchzte. Erneut umspielte sie der sanfte Wind und als die Sonne hinter einer dichten Wolke auftauchte, erstrahlte die Gegend etwas heller und Kaiba blinzelte unter dem Licht. "Seto...", nahm er dann eine kraftlos Stimme wahr und wandte sich an Joey. Der junge Mann hatte sich aufgerichtet, die Hand sinken gelassen und starrte ihn nun mit nass schimmernden Augen an, deren Braunen flehend zusammengezogen waren. Wieder zog er die Nase hoch, "... verzeih mir." Vorerst antwortete Kaiba nicht. Schweigend betrachtete er sich die braunen Pupillen, das tränennasse Gesicht und den verzweifelten Ausdruck, der auf ihm lastete. Kein schöner Anblick, diese hübsche Miene so zu sehen... Kurz darauf senkte er die Lider, schürzte die Lippen und starrte auf die Erde. "Joseph?" "Hm...?" Schniefte Joey. Aus den Augenwinkeln sah Kaiba ihn wieder an, studierte und musterte und atmete letzten Endes tief durch. "Darf ich dich umarmen?" Joey schloss den Mund, rümpfte die Nase und blinzelte mehrmals. Kaiba wartete und nachdem Joey die Nase erneut hochgezogen hatte, erkannte er ein mattes Nicken. Kraftlos hoben sich die Arme des Blonden und Kaiba kam ihm entgegen. Vorsichtig rutschte er an ihn heran und wartete, bis Joey die Arme um seinen Hals gelegt hatte, bevor er die Umarmung zurückhaltend erwiderte. Langsam und doch ohne eine Pause einzulegen, schob er die Hände über Joeys Rücken, schob sie, bis sie sich trafen und faltete sie ineinander. Er spürte, wie Joey sich gegen ihn lehnte, die Stirn auf seiner Schulter bettete und das Gesicht kurz darauf zu seinem Hals schob, gegen den er es presste. Heiß strich der Atem über die Haut, auch von den Tränen wurde sie benetzt und als Kaiba die Augen schloss und die Wange zärtlich an das blonde Haar schmiegte, begann Joey wieder zu weinen. Nun jedoch nicht in vereinsamter Haltung, nein, im Schutz einer liebevollen Umarmung und in sicherer Geborgenheit. Leise knirschte der Kies, als der schwarze Wagen das massive Tor hinter sich ließ und in gemächlichem Tempo die kleine Anhöhe hinauffuhr, auf dem die Villa der kleinen Familie Kaiba stand. Es war in den frühen Mittagsstunden und die Sonne prasselte heiß auf die Gegend hinab. Langsam drehte Kaiba das Steuerrad und lenkte den Wagen zur Seite, als er den großen Platz vor der Eingangstür erreichte, vor der der gewohnte Pinguin stand und sogleich stramme Haltung annahm. Geschmeidig kam der Wagen zum Stillstand und kurz darauf wurde der Motor ausgeschaltet und die Fahrertür öffnete sich. Bequem stieg Kaiba aus, beschattete die Augen mit der Hand und blickte sich kurz um, während er die Tür hinter sich schloss. Lässig ließ er den Autoschlüssel vom Finger baumeln und gemächlich in der Hosentasche verschwinden. Dann trödelte er los, ging in langsamen Schritten um den Wagen herum und erreichte die Beifahrertür. Auch diese öffnete er. Er öffnete sie weit, beugte sich hinein und schien lange zu tasten. Dann hob er den schlafenden Joey hoch, hielt ihn sicher unter dem Rücken und den Kniekehlen und lehnte sich etwas zurück, damit er an ihm lehnte. Der Blonde gab keine Lebenszeichen von sich. Mit offenem Mund und entspannt geschlossen Augen lag er in Kaibas Armen. Er war wieder in die Decke gehüllt und machte einen friedlichen Eindruck, wären das blasse Gesicht und die geröteten Augen nicht gewesen. Konzentriert hievte Kaiba ihn höher, tastete mit dem Fuß nach der Tür und schloss sie. Dann wandte er sich um, drehte Joeys Gesicht mit der eigenen Schulter etwas zur Seite und ging auf die Tür zu, die von dem Mann sofort geöffnet wurde. So betrat er das kühle Foyer, raffte Joey wieder höher und näherte sich den Treppen. Irgendwann war Joey einfach eingeschlafen. Von allen Kräften verlassen und restlos erschöpft, hatte er in Kaibas Armen aufgegeben. Lange waren sie dort sitzen geblieben, lange hatte Joey geweint und Kaiba beruhigende Worte in sein Ohr geflüstert. Nun brauchte der Blonde unbedingt ein warmes Bett und viel Ruhe. Ohne größeren Kraftaufwand erreichte Kaiba die erste Etage, bog in den rechten Gang ein und ging bis an sein Ende, zu dem Gästezimmer, welches Joey oft benutzte. Als er es erreichte, drückte er die Klinke mit dem Ellbogen hinab, schob die Tür mit der Hüfte auf und betrat den Raum, direkten Kurs auf das Bett nehmend. Als er es erreichte, grunzte Joey leise. Er bewegte sich auch kurz, mummelte sich noch tiefer in der Decke ein und fand sogleich zum tiefen Schlaf zurück. Etwas unentschlossen blieb Kaiba vor dem Bett stehen, sah von der Decke auf den Boden und schien kurz zu grübeln. Letztendlich legte er Joey vorsichtig ab, zerrte die Decke unter ihm hervor und zog sie sorgsam über ihn. Und als er sich gerade aufrichtete, um den Anblick noch etwas zu genießen, da nahm er ein leises Geräusch wahr. Er lauschte auf, sah sich um und zog nach einem kurzen Grübeln eine Grimasse. "Verflucht." Er fuchtelte mit der Hand, drehte sich um und verließ schnell den Raum. Hastig schloss er noch die Tür hinter sich und anschließend eilte er durch den Flur. Durch den Flur, bis er die große Treppe erreichte und von dort aus direkt in den nächsten Gang. Er beeilte sich, erreichte kurz darauf sein Arbeitszimmer und riss die Tür auf. Das aufgeregte und laute Klingeln des Telefons kam ihm entgegen und in zügigen Schritten ließ er die wenigen Meter bis zu dem Schreibtisch hinter sich, lehnte sich über die glänzende Fläche und drückte einen Knopf. "Ja?", ächzte er. "Lenzich am Apparat", kam die ruhige Antwort und Kaiba blickte sich flüchtig um und ließ sich letztlich auf der Tischkante nieder. "Gut, dass ich Sie erreiche." "Was gibt es Neues?", erkundigte sich Kaiba. "Nun, wie Sie wissen, wird die Gerichtsverhandlung übermorgen beginnen und bisher haben wir nur einen Zeugen, der zwar sehr glaubwürdig ist, aber...", Kaiba biss sich die auf die Unterlippe, "... die Menschen im Dorf haben natürlich von nichts gewusst." "Ich weiß, worauf Sie aus sind", erwiderte Kaiba etwas nachdenklich. "Es gibt zwei weitere Zeugen, beide hier in Domino. Von dem einen kann ich Ihnen die Telefonnummer geben. Der Freund des Befreiten, er wird Ihnen viele Informationen geben können." "Wird er denn auch nach Deutschland kommen können?" "Bezweifle ich nicht." Kaiba sah sich suchend um... in der Leitung herrschte eine kurze Stille. "Und der zweite Zeuge?" "Der...", Kaiba antwortete nicht sofort. Er drehte sich auch zur anderen Seiten und tastete seine Hosentaschen ab, "... sein gesundheitlicher Zustand lässt eine solche Reise nicht zu", log er dann den Putz von der Wand. "Eine schriftliche Aussage dürfte jedoch möglich sein." "Gut, wir können alles gebrauchen." "Haben Sie einen guten Staatsanwalt?" Endlich wurde Kaiba fündig. Aus der Hintertasche der Hose, zog er einen zerknüllten Zettel und faltete diesen auseinander. "Und haben die Männer schlechte Anwälte?" Ein leises Lachen war zu hören, das irgendwie richtig perfide klang. "Bitte machen Sie sich keine Sorgen, Herr Kaiba. Es wurde bereits für alles gesorgt, der Gerechtigkeit steht nichts mehr im Wege. Die Beweislage ist eindeutig, unter fünfzig Jahren sehe ich keine Chance für die drei. Nun darf es jedoch an keinen Vorbereitungen mangeln. Ich werde mich noch heute mit den Zeugen in Verbindung setzen und..." "Mit dem einen Zeugen", verbesserte Kaiba. "Was den anderen angeht, werden Sie entweder jemanden aus Deutschland herschicken, oder jemanden aus Domino wählen müssen, der die Aussage aufnimmt und an das Gericht weiterleitet. Das dürfte doch kein Problem sein?" "Nein, das dürfte sich machen lassen." Damit war Kaiba zufrieden. Er gab noch Daniels Telefonnummer durch und erfuhr, dass sich am morgigen Tag jemand bei ihm einfinden würde, der sich um die Aussage kümmerte. Um Joeys Aussage... Ansonsten hielt Kaiba das Gespräch kurz. Er schützte sich vor weiteren Danksagungen und interessierte sich auch nicht für den genauen Verlauf der Verhandlung. Das einzige, was er wollte, war Klarheit und Ruhe. Und damit Joey diese Ruhe ebenso genießen und sich erholen konnte, war es unmöglich, dass er eine Reise von Japan nach Deutschland auf sich nahm, um in einem Gerichtssaal, in dem viele Menschen saßen, auf jene Männer zu treffen, die sein Leben für eine kurze Zeit zur blanken Hölle gemacht hatten. Auch, dass er seine Geschichte wieder und wieder erzählte, musste nicht unbedingt sein. So verabschiedeten sie sich kurz darauf voneinander und Kaiba löste ein weiteres Versprechen ein und rief Duke an, der scheinbar völlig aufgelöst und todesnervös neben dem Telefon gelauert hatte. Es klingelte nur einmal, dann wurde abgenommen und es dauerte lange, bis Kaiba all die Geschehnisse erklärt und den aufgebrachten jungen Mann beruhigt hatte. Diesem fiel es natürlich schwer, zu glauben, dass Joey gesprochen,- und alles aus sich herausgelassen hatte. Doch die Erleichterung, dass genau dies der Fall war, beruhigte ihn und so gab es einen nervösen Menschen weniger, als Kaiba auch dieses Telefonat beendete und sich erschöpft in den Sessel fallen ließ. Dort faltete er die Hände auf dem Bauch und schloss die Augen. Mokuba war in der Schule... Pikotto kümmerte sich um die Firma... Joey schlief friedlich... Duke machte sich keine Sorgen mehr... würde auch die Ärzte im Krankenhaus beruhigen und erklären, dass es sich nicht um eine kaltblütige Entführung mit Lösegeldforderung handelte. Er räkelte sich kurz, ließ sich tiefer sinken und legte die Füße auf dem Tisch ab. Er wusste nicht, ob er das Geschehen selbst schon realisiert hatte. Er war nervös gewesen, nachdem er Daniels Hotel verlassen hatte. Ja, er hatte sich Gedanken gemacht, nach einem Weg gesucht, Joey zu helfen. Und nun...? Nun fühlte er sich gut, denn er hatte es geschafft. Er selbst hatte unangenehme Worte auf sich genommen, um den harten Willen seines Freundes zu brechen und war währenddessen zu einer Einsicht gekommen, die sich in beide Richtungen wenden konnte. Ins Positive... ebenso gut jedoch ins Negative. >Joseph ist zäh geworden<, dachte er sich, als er die Augen öffnete. >Wäre ihm so etwas vor zwei Jahren passiert, wäre er sofort zu mir gekommen, wäre auf mich angewiesen gewesen. Nicht, dass er es nun nicht wahr, doch man benötigt einen unglaublich harten Kern, um so ein Erlebnis überdecken und verdrängen zu können. Und nicht nur einen harten Kern, nein, auch eine harte Schale, die dazu imstande ist, zu grinsen, während die Verzweiflung tief im Inneren schreit. Nicht jeder Mensch ist dazu imstande. All das Durchgemachte muss ihn abgehärtet haben. Katagori, Hirayama, die Entführungen... Verletzungen. Und trotz der Blindheit hielt er durch, ließ sich nichts anmerken und reagierte nicht einmal, als ich ihm unwissend von meinem Fehler erzählte und ihn somit mit der Wahrheit und dem Fehler konfrontierte, den er begangen hat. Er muss zäh sein... denn beinahe wäre es missglückt. Beinahe hätte ich aufgegeben und ich wüsste nicht, was ich weiterhin getan, ob ich durchgehalten hätte. Er hatte mir unglaublich viel entgegenzusetzen, hat sich bis zuletzt gesträubt und versetzte mir somit einen derben Schlag. Doch nun? Ich glaube, es hat ihm geholfen, ich glaube, es wird ihm besser gehen, nun, da er mit mir über alles sprechen kann.< Er stützte den Ellbogen auf die Lehne auf legte das Kinn in die Handfläche. >Ich werde ihm helfen, so gut ich kann. Es ist furchtbar, was geschehen ist und dennoch ändert es nichts an meinen Gefühlen.< Er betrachtete sich den Kamin, presste die Lippen aufeinander und hielt in jeglichen Bewegungen inne. Seine Miene nahm einen ungewohnten Ausdruck an und seine Gedanken schienen sich in eine anderen Richtung zu lenken. Binnen weniger Sekunden wirkte er nicht mehr wie ein Mensch, der etwas großes vollbracht und nun vollends zufrieden war. Nein, plötzlich glich er einem, der auf ein neues Problem erinnert wurde. Er seufzte leise, rieb sich das Kinn und schloss die Augen. >Aber was ist...<, seine Brauen verzogen sich, >... wenn er wirklich...?< Den Rest des Tages verbrachte er in der Villa, ohne sie ein einziges Mal zu verlassen. Nachdem er lange an Joeys Bett gesessen, und sich diesen betrachtet hatte, zog er sich in sein Arbeitszimmer zurück, um Pikotto etwas unter die Arme zu greifen. Per Computer tat er seinen Job, vertiefte sich in die Arbeit und ließ sich durch nichts stören. Die Arbeit tat ihm gut, sie hatte den tollen Nebeneffekt, alle anderen Gedanken abzutöten und genau das konnte Kaiba nun gebrauchen. Er schrieb ein paar E-Mails, sah seinen Terminkalender durch und gab Pikotto Bescheid, dass die Vollmacht noch weitere Tage allein in seinen Händen liegen würde. Wieder einmal gab es Dinge, die wichtiger waren und hinzukommend glaubte Kaiba, dass er etwas Freizeit ebenso nötig hatte, wie Joey, der friedlich schlummerte. Am Nachmittag kehrte dann Mokuba aus der Schule zurück und Kaiba kümmerte sich um ihn. "Und...?", fiepste der Junge, als er unten in der Küche saß und unter dem Tisch mit den Beinen baumelte. "Wie war dein Tag?" Kaiba war damit beschäftigt, in den Regalen nach etwas Essbarem zu suchen und zuckte nur mit den Schultern. Heute hatten die Köche keinen Dienst und so sah er sich für das Essen seines kleinen Bruders verantwortlich. "Ich habe Joseph aus dem Krankenhaus abgeholt", murmelte er, als er sich bückte und einen der untersten Schränke öffnete. Er kannte sich in seiner eigenen Küche nicht aus. "Geht´s ihm denn wieder gut?", erkundigte sich Mokuba sofort. "Kann er wieder sehen?" "Mm-mm." Kaiba schüttelte den Kopf und begann den Schrank auszuräumen. "Wo zur Hölle..." "Und wann kann er wieder sehen?", fragte Mokuba vergnügt. "Weiß nicht... ah, da ist´s ja." Er wühlte sich tiefer, griff nach irgend etwas und hob es hoch. "Isst du das?" Skeptisch legte der Junge den Kopf schief. "Das ist doch kein Mittagessen." "Natürlich ist das Mittagessen." Kaiba runzelte die Stirn und drehte sich kurz zu ihm um. "Seto...", Mokuba stützte seufzend das Kinn auf die Hand, "... das ist ne Bratensoße." "Keine Suppe?" Kaiba musterte die Verpackung säuerlich, warf sie in den Schrank zurück. Anschließend schloss er diesen, wischte sich über die Hose und sah sich um. Dabei wurde er aufmerksam beobachtet. Wenige Sekunden später stand er vor dem Kühlschrank und beäugte dessen Inhalt. Unglaublich viele Süßigkeiten... und die konnte man ebenso wenig zum Mittag essen wie eine Bratensoße. "Mach dir noch einen HotDog", murmelte er, während er die grellen Tüten zur Seite schob. "Wir haben keine Würstchen mehr." "Dann eben ein Sandwich." "Salat auch nicht." "Dann ist du eben ein Sandwich ohne Salat." Kaiba stöhnte und suchte weiter. "Dann ist es aber kein Sandwich mehr", mäkelte Mokuba und sein Bruder ließ entkräftet den Kopf sinken. "Kannst du dir keinen Pudding kochen?" "Dazu hab ich viel zuviel Hunger." Mokuba blähte die Wangen auf. "Dann ist du eben Brot." "Wir haben nur noch Brötchen." "Wer zur Hölle ist hier für den Einkauf zuständig", fluchte Kaiba und schloss den Kühlschrank. "Dann isst du eben Brötchen." "Ich mag aber keine Roggenbrötchen." Kaiba atmete tief ein, blähte die Wangen auf und hielt den Atem an. Er grübelte, starrte auf Mokuba und ächzte nach wenigen Sekunden. Okay, er gab auf. "Bestell dir ne Pizza..." "Yippie!" Sofort sprang der Junge vom Stuhl und rannte nach draußen. Sich die Stirn reibend, lehnte sich Kaiba an eine Ablage und schlug die Beine übereinander. "Ist es zuviel verlangt, dass man den Haushalt für mich übernimmt?", murrte er und pustete sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. "Ich brauche jemanden, der mit der Verantwortung umzugehen weiß... auf den man sich verlassen kann!" ~*To be continued*~ ~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~* Bemerkung einer ganz Gerührten: Leute... ihr seid super! *snief* Ihr haltet durch und begleitet mich auf dem Weg der wunden Finger und den Schreibtiefs. Ó_Ò Und ihr schreibt herrliche Kommentare, die mich immer wieder anspornen! *die Runde rumgeh* *alle drück* Dankesööööön... *schnüff* *Taschentuch zück* Bin froh, dass es euch gibt. QQ *smile* Eure Mononoke Kapitel 20: Trügerischer Lichtblick ----------------------------------- Eine knappe halbe Stunde später, saß er wieder an seinem Schreibtisch, tippte auf der Tastatur und starrte konzentriert auf den Monitor. Er hatte kurz nach Joey geschaut, ihn noch immer schlafend vorgefunden und sich so vorgenommen, sich noch etwas Zeit für das Wichtigste zu nehmen. Auf dem Sofa, welches nicht weit von ihm entfernt war, kauerte Mokuba. Und vor ihm eine riesige Pappe mit einer herrlichen Pizza. Kaiba hörte ihn oft kichern oder seufzen, dann rieb er sich die Stirn, schüttelte den Kopf und baute die Konzentration von Neuem auf. "Mmmm...", schwärmend lehnte sich Mokuba zur Seite, kaute genüsslich und wurde dann auf Kaiba aufmerksam, der in dieser Sekunde die Wangen aufblähte und nebenbei nach irgendwelchen Unterlagen tastete. Er beobachtete ihn nur kurz, griff leise kichernd nach einem Stück Pizza und schob sich von dem Sofa. Auf den Fußballen schlich er dann zu seinem großen Bruder, schlich um den Schreibtisch herum und blieb direkt hinter dem gepolsterten Drehstuhl stehen. Er warf einen flüchtigen Blick auf den Bildschirm, kniff unter einem frechen Grinsen die Augen zu und begann das Stück Pizza hinter Kaibas Kopf zu bewegen. "Mmmm..." Er schwenkte es hin und her, fächelte den Geruch nach vorn. "Schau mal Seto... ist das nicht herrlich?" Konzentriert verengte Kaiba die Augen, neigte sich etwas nach vorn und musterte die komplizierte Liste, die auf dem Monitor zu sehen war. "Lecker, lecker...", ertönte wieder die säuselnde Stimme hinter ihm. >Sind das die Aufzeichnungen des vorherigen Jahres?< Er rieb sich das Kinn, grübelte kurz und begann wieder zu tippen. "Mm...", erneut drang der Duft in seine Nase, "... Thunfisch... Käse..." Kaiba rümpfte die Nase und tippte weiter. "Eine gaaaaanz herrliche Pizza." "Hast du nichts zu tun?", raunte Kaiba und öffnete eine neue Datei. "Und hast du gar keinen Hunger?", kam sofort die trotzige Antwort. "Jedenfalls nicht auf Pizza", murrte Kaiba. "Warum nicht?" Mokuba ließ das Stück sinken und besah es sich von allen Seiten. "Da ist doch nichts dran?" "Außer unglaublich viel Fett und andere ungesunde Dinge." Mokuba runzelte die Stirn. "Musst du meine Träume so brutal zerstören?" Anschließend stopfte er sich das Stück in den Mund, zuckte mit den Schultern und schlenderte davon. "Dann geh ich eben zu Joey. Der wird durch den Geruch sicher wach." >Das glaube ich auch.< Kaiba ließ von der Tastatur ab, lehnte sich zurück und schien kurz zu grübeln. "Moki?" "Ja?" Kaiba fuchtelte mit der Hand. "Lass ihn, okay?" "Aber er schläft schon den halben Tag", erwiderte Mokuba etwas trotzig, während er sich wieder zu der riesigen Pizza schlich. "Er verpasst doch den schönen Tag." "Und du suchst nur nach einer Beschäftigung. Spring in den Pool oder lade Micky ein." Mokuba griff nach der großen Pappe. "Er heißt Bikky!" "Auch gut", murmelte Kaiba, der sich bereits wieder der Arbeit zu wandte. "Du wirst schon irgend etwas finden, aber lass Joseph schlafen." Der Junge hatte in der Zwischenzeit schon die Tür erreicht und drehte sich dort zu ihm um. "Aber warum ist er denn so müde?" Ein Schulternzucken musste ihm als Antwort genügen. Also zog er ein langes Gesicht und verließ den Arbeitsraum seines Bruders. Joey verschlief nicht nur den halben Tag, nein, er verschlief den ganzen und als Kaiba am späten Abend noch einmal zu ihm kam, hatte sich daran nichts geändert. Kaiba selbst, fühlte sich auch etwas müde und beschloss, diesmal frühzeitig ins Bett zu gehen und es Joey gleichzutun. Er saß eine Weile auf der Bettkante, besah sich seinen schlafenden Freund und strich ihm eine Strähne aus dem Gesicht, bevor er einen kurzen Kuss auf seiner Stirn platzierte und anschließend den Raum verließ. Er zog sich in sein Privatzimmer zurück und binnen der kürzesten Zeit war er eingeschlafen, erschöpft durch die Anspannung des Tages und die darauffolgende Arbeit. Hinzukommend hatte Mokuba ernst gemacht und so waren die letzten Stunden bis zum Abend die reine Qual gewesen. Obgleich Mokuba mit Bikky die meiste Zeit oben im Schwimmbad gewesen war, hatte er doch ihre Schrei gehört, als sie von dort zurückkehrten und sich in Mokubas Zimmer barrikadierten, welches sich, man beachte, direkt neben dem Arbeitszimmer befand. Eine sehr schlechte Zimmerverteilung, das fiel Kaiba immer wieder auf. Bikky übernachtete heute sogar und Kaiba hatte strenge erzieherische Maßnahmen ergriffen und die beiden bereits um acht Uhr in ihre Betten verwiesen. Auch, um selbst noch etwas Ruhe zu haben. Nun kehrte im Hause Kaiba die völlige Ruhe ein. Mokuba schnarchte, Bikky grunzte und schmatzte, Kaiba verkroch sich unter der Decke und Joey schlief ruhig. So zog die Nacht an ihm vorbei. Als die ersten Strahlen des neuen Tages durch die großen Fenster in den Raum fielen und sich neckend auf Kaibas Gesicht legten, rollte sich dieser zur anderen Seite, tastete im Halbschlaf nach den Kissen und zog sie sich über den Kopf. Es war noch sehr früh und heute wehrte sich Kaiba gegen die Gewohnheit, zeitig aufzustehen. Er war müde und solange die beiden kleinen Halunken noch nicht auf den Beinen waren, um zur Schule zu gehen, konnte er sich ruhig noch etwas ausruhen. Tollpatschig tastete er nach der Decke, presste sie an sich und räkelte sich kurz, bevor er wieder reglos verblieb. Wärmend legte sich die Sonne auf seinen Rücken. Eine friedliche Atmosphäre herrschte und Kaiba atmete tief durch, gern dazu bereit, wieder vollends einzuschlafen. Nach wenigen Sekunden jedoch, drang ein leises Geräusch an seine Ohren. Es klang wie ein Gepolter, als fiele irgend etwas um. "Mm." Kaiba brummte, verzog das Gesicht und zog die Decke über. Doch kurz darauf ertönte es wieder und es begann wirklich zu stören. >Seit wann steht Mokuba so früh auf<, dachte er sich und verharrte reglos. >Und sein wann macht er so einen Krach!< Er brummte wieder und hörte kurz darauf ein Scheppern, verbunden mit einem leisen Fluchen, was er jedoch nicht genau verstehen konnte. "Verdammt nochmal." Er schlug die Decke zur Seite und richtete sich grimmig auf. "Wenn das diese blauäugige Rotzgöre ist, dann...", auch er begann zu fluchen, kämpfte sich aus dem Bett und schlenderte zur Tür. Schlaftrunken rieb er sich das Gesicht, gähnte ausgelassen und griff nach der Klinke. Schlürfend trat er in den Flur, seine Augen suchten sofort nach dem Störenfried... und entdeckten ihn. "Au!" Nachdem Joey mit dem Fuß gegen den Ständer einer teuren Vase gestoßen war, sprang er auf einem Bein zur Seite, stützte sich an der Wand ab und torkelte weiter. Seine Schritte wirkten etwas unsicher, seine Hand tastete sich an der Wand entlang und die Augen schweiften suchend durch die Gegend. Kaiba hob die Augenbrauen und verzog mitfühlend das Gesicht, als Joey gegen den nächsten Ständer lief, von denen viele in dem langen Flur standen. "Verflucht!" Wieder taumelte er zur Seite, streckte die Händen von sich und schnitt unglaublich viele Grimassen. Währenddessen war Kaiba bereits auf dem Weg zu ihm und hatte die Treppe, die die beiden Gänge voneinander trennte, hinter sich gelassen. Der Blonde stöhnte, rieb sich die Augen und blickte auf. Zielstrebig richteten sich die Pupillen nach vorn... und trafen direkt auf Kaiba. Die Miene des jungen Mannes erhellte sich. "Seto...?" Durch diese Reaktion überrascht, verlangsamte dieser die Schritte, näherte sich ihm nur langsam. "Joseph?", erwiderte er zögerlich. "Mm-mm." Ein freudiges Grinsen zeichnete sich auf seinen Lippen ab. "Höchstpersönlich." "Du...", Kaiba erreichte ihn und blieb vor ihm stehen, die braunen Augen verwirrt musternd, "... kannst mich sehen?" Und wieder nickte Joey. "Ich dachte, mich trifft der Schlag", begann er dann zu erzählen. "Da öffne ich die Augen und... schon ist alles wieder da!" Er streckte die Hände von sich und Kaiba wusste nicht so recht, was er von diesem Auftritt halten sollte. "Nach so langer Zeit in völliger Dunkelheit...", die Augen richteten sich auf ihn, "... bist du der erste Mensch, den ich sehe. Etwas besseres könnte es nicht geben." Kaiba fiel es schwer, zu schweigen. Die Freude war größer als das Misstrauen und so erwiderte er das Grinsen zögernd. Er genoss es auch, den Blick des Blonden so intensiv zu spüren, zu lange war er an ihm vorbei geglitten und hatte er sich auf ihn gerichtet, so wirkte er leer. Nun jedoch... "Und du siehst... richtig scharf?" "Nein." Joey kratzte sich den Hinterkopf. "Sehr Verschwommen, aber immerhin sehe ich." Er blinzelte und drehte das Gesicht zur Seite, um auf die gefürchteten Vasenständer zu starren. "Gewöhnungsbedürftig." "Aha." Kaiba nickte, stützte die Hände in die Hüften und konnte die Augen nicht von Joey lösen. Er starrte ihn an und Joey tat es ihm nach einer kurzen Zeit gleich. Sie hielten den Augenkontakt und bald verlor Kaibas Grinsen etwas an Kraft, wodurch es weicher wirkte. Auch die Miene des Blonden entspannte sich, wieder blinzelte er und rieb sich die Augen, bevor er sie konzentriert verengte. Lange standen sie sich so gegenüber, ohne ein Wort zu verlieren. Während Joey immer wieder blinzelte und sich die Augen rieb, schien sich Kaiba in Grübeln zu verheddern. Die schmalen Augenbrauen verzogen sich, die Zähne schnappten nach der Unterlippe und nach einem scheinbar langsam Sinnieren, zeichnete sich ein Lächeln auf seinen Lippen ab, welches Joey kurz darauf erwiderte. "Hi." Joey zwinkerte, rümpfte die Nase und zeigte seine Zähnchen. "Hi." Kaiba lachte leise, schüttelte den Kopf und hob die Arme. "Komm her." Sofort trat Joey näher, lehnte sich regelrecht gegen Kaiba und faltete die Hände auf dessen Steiß. Vorsichtig legten sich Kaibas Arme um seinen Hals und so eng umschlungen, blieben sie wieder eine Weile stehen und begann langsam zu schunkeln. Kaiba hatte die Augen geschlossen und das Kinn auf Joeys Kopf gestützt, der diese Umarmung sehr zu genießen schien, die Wange an seine Brust gelehnt hatte. "Wie geht es dir?", flüsterte Kaiba beinahe lautlos und begann seine Schultern etwas zu reiben. "Gut", hauchte Joey zurück, löste seine Hände voneinander und schob sie weiter über Kaibas Rücken. "Gut." "Und deine Augen?" Kaiba blickte auf und begann mit einer Hand zärtlich durch den blonden Schopf zu fahren. "Tun weh." "Das bekommen wir schon wieder hin", beruhigte Kaiba ihn leise, während seine Hand Joeys Nacken erreichte und diesen etwas kraulte. "Mm." Joeys Augenbrauen verzogen sich etwas und unter einem tiefen Atemzug schmiegte er sich noch fester an Kaiba, der die Umarmung vorsichtig verstärkte. "Seto...?" "Mm?" Joey zögerte, zog die Nase hoch und rümpfte sie. Dann blinzelte er erneut, presste die Lippen aufeinander und schloss kurz die Augen. Kaiba wartete geduldig und spürte, wie sich die Hände auf seinem Rücken erneut zu regen begannen, tiefer wanderten und sich auf seinem Steiß ineinanderfalteten. Joeys Körper erzitterte unter einem leisen Husten. "Auch wenn es nicht so aussah...", flüsterte er dann leise, als fürchte er sich vor den Worten, "... in der letzten Zeit...", seine Miene entspannte sich und dann atmete er tief ein, "... ich liebe dich wirklich." Auf Kaibas Lippen zeichnete sich jenes Lächeln ab, als er erneut den Kopf senkte und die Nasenspitze durch das blonde Haar schob. "Schön, das zu hören", flüsterte er. Joey seufzte leise und drehte das Gesicht zu seiner Brust, suchte zwischen Kaibas Armen nach Geborgenheit und fand sie. Kurz darauf, machten sich die Beiden auf den Weg nach unten. Joey hatte sich eine warme Decke über die Schultern gezogen und tastete sich vorsichtig am Geländer hinab, während Kaiba aufmerksam neben ihm blieb. "Nach dem Frühstück fahre ich dich in das Krankenhaus", erklärte er, als sie das Foyer erreichten, Joey nickte und rieb sich die Augen. Kaiba warf ihm einen flüchtigen Blick zu, bog um die Ecke und ließ den kleinen Vorraum hinter sich, um die Küche zu erreichen. Er schien kurz nachzudenken, bevor er die Arme vor dem Bauch verschränkte. "Außerdem... steht noch etwas anderes an." "Was denn?" Joey tastete sich um die Ecke und betrat die Küche, wo er sich gleich auf einem der Stühle niederließ und die Decke um sich zog. >Was soll ich anderes tun, als es ihm zu sagen?< Kaiba schlenderte zu den Arbeitsflächen und begann an der Kaffeemaschine zu werkeln. "Es ist so", murmelte er und füllte zwei Tassen, während Joey wieder damit beschäftigt war, sich die Augen zu reiben. "Morgen beginnt die Gerichtsverhandlung." "Verhandlung?" Joey wurde hellhörig und blickte auf. Er schien jedoch schnell darauf zu kommen und nickte etwas zögerlich. "Ach so... ja." Mit einem kurzen Blick vergewisserte sich Kaiba, griff nach den beiden Tassen und kehrte zu dem Tisch zurück. "Ich habe jedoch arrangiert, dass du nicht anwesend sein musst." "Ja?" Joey wirkte etwas entspannter, als er sich kurz zurechtrückte und nach der Tasse griff. Als seine Hand diese beinahe erreicht hatte, hielt er jedoch in der Bewegung inne und sah Kaiba an. "Das klingt nach dem berüchtigten 'aber'." Kaiba atmete tief ein. "Aber", sagte er dann und hob den Zeigefinger, "du wirst nicht drum herum kommen, eine schriftliche Aussage zu machen, die dann bei der Verhandlung verwendet wird." Joey zog die Tasse zu sich, räusperte sich leise und umschloss sie mit beiden Händen, als würde er frieren. "Muss Daniel zur Verhandlung?" Schien er dann auszuweichen. Kaiba war bereits auf dem Weg zum Kühlschrank und drehte sich kurz zu ihm um. "Er kehrt nach Deutschland zurück, ja." Wieder nickte Joey und nippte an der Tasse. >Er wird doch nicht etwa eine Antwort verschmähen?< Kaiba öffnete den Kühlschrank. >Komm schon, tue mir das nicht an. Ich will nicht wieder stochern.< "Eine schriftliche Aussage ist in Ordnung", meldete sich da Joey zu Wort. "Das werde ich wohl noch hinbekommen." "Gut." Kaiba lächelte. "Hast du Hunger?" "Nicht viel." "Willst du einen Joghurt?" "Mm-mm." Nickend stellte Joey die Tasse ab und sah sich etwas um. Die Haltung, mit der er auf dem Stuhl saß, wirkte etwas verkrampft und auch sonst erweckte er nicht den Anschein, als wäre er mit sich und der Welt zufrieden. Er sprach leise und zurückhaltend und beließ es bei Worten, ohne sie mit Gestiken zu verstärken. Natürlich war es Kaiba bereits aufgefallen, doch zuviel durfte man nicht erwarten. Von einem Tag zum anderen... und außerdem gab es wirklich noch ein großes Problem, welches nicht gelöst war, an das Kaiba jedes Mal schmerzhaft erinnert wurde, wenn er den Blonden ansah. Auch diesmal. Also setzte er sich Joey gegenüber an den Tisch und trank seinen Kaffee. Mit allen Mitteln versuchte er zu verhindern, daran zu denken. Doch die Angst war so gewaltig, dass sie stets lauerte und sich sofort meldete und zum Grübeln zwang, wenn man auch nur in ihre Richtung dachte. Es vergingen einige Minuten in Schweigen. Kaiba trank den Kaffee und Joey löffelte den Joghurt, rieb sich immer wieder die Augen und atmete nach einer langen Zeit tief durch. Kaiba wurde aufmerksam und der Blonde stellte den Joghurt auf den Tisch zurück, stemmte sich mit den Händen zwischen den Beinen auf den Stuhl und starrte vor sich hin. Kaiba beobachtete ihn über den Rand der Tasse hinweg, versuchte zu erahnen, was in diesen Sekunden in ihm vorging und nahm noch einen kleinen Schluck. "Seto...?" Joey knabberte auf der Unterlippe, starrte auf den Boden und lenkte erst nach einem langen Zögern den Blick auf ihn. Und das unsicher.... annähernd ängstlich. "Was machen wir... wenn ich wirklich..." "Daran darfst du nicht einmal denken", unterbrach Kaiba ihn sofort und verriet somit, dass seine Versuche, sich dagegen zu wehren, missglückt waren. Joey nickte geduckt und ließ den Kopf sinken. "Und...", flüsterte er gedrungen, "... wenn ich das nicht schaffe...?" Kaiba atmete tief ein, seufzte leise und stellte die Tasse auf dem Tisch ab. "Du hast selbst gesagt, dass man so etwas nicht verdrängen darf", lenkte Joey gedämpft ein. "Und wenn es so schlimm ist, erst recht nicht." "Und ich sagte auch, dass das nicht einfach ist." Kaiba stützte die Stirn in die Handfläche. "Aber wenn du darüber reden möchtest, dann kannst du dich auf mich verlassen." "Ich wüsste nicht, was es zu reden gäbe." Joey brachte ein kraftloses Lächeln hervor. "Wir müssen wohl abwarten." Kurze Zeit später, waren sie auf dem Weg zum Krankenhaus. Joey trug frische Kleider und hinzukommend eine Sonnenbrille, die auf seiner Nase saß, die Augen vor dem Licht schützte. Doktor Johnson war über die Tatsache, dass Joey die Blindheit hinter sich gelassen hatte, sehr erfreut und bat ihn sogleich in einen der Untersuchungsräume. Es dauerte lange, bis er sich die Augen des jungen Mannes genau angesehen und sich Notizen gemacht hatte. Es wurden auch einige Tests durchgeführt und währenddessen besorgte sich Kaiba ein Getränk. Nach einem kurzen Weg blieb er vor dem Automaten stehen und suchte in seinen Hosentaschen nach dem nötigen Kleingeld, welches er auch fand. Kurz sah er nach beiden Seiten, warf die Münzen ein und wartete, dass sich der Becher mit Kaffee füllte. Währenddessen hielt er die Hände in die Hüften gestemmt und gerade als er nach dem Becher greifen wollte, da meldete sich sein Handy. "Oh." Er schnitt eine Grimasse, sah sich erneut um und zog es hervor. Unauffällig nahm er den Anruf entgegen und hob den Becher aus dem Fach. "Ja." In trödelnden Schritten entfernte er sich von dem Automaten. "Mm... Lenzich hat mir bereits Bescheid gegeben." Er blieb stehen. "Natürlich, ja, sagen wir in einer halben Stunde? Genau, in meiner Firma. Man wird Ihnen den Weg zeigen." Somit legte er auf, atmete tief durch und steuerte auf den Raum zu, in dem die Untersuchung durchgeführt wurde. Allmählich musste Johnson auch mal fertig werden. Gemächlich hob er den Becher zum Mund, griff nach der Tür und schob sie auf. Doch anstatt einen Schluck zu nehmen, hielt er den Becher zu erhoben und sah auf den Blonden, der entspannt auf einer der Liegen saß und die Beine in der Luft bewegte. Und Johnson werkelte an ihm herum, nun, um genauer zu sein, er werkelte an der dünnen Brille, die auf Joeys Nase saß. Kaiba hob die Augenbrauen, ließ den Becher sinken und trat näher. Der Blonde rümpfte die Nase und besah sich in einem Spiegel, den Johnson ihm vorhielt. "Sie ist nur zur Schonung der Augen", wandte sich Johnson dann an Kaiba. "Er muss sie nicht länger als eine Woche tragen, damit sich seine Augen entspannen und erholen." Kaiba blähte die Wangen auf und legte den Kopf schief, während Joey nicht so recht zufrieden zu sein schien. Er rückte an dem dünnen Gestell, drehte das Gesicht von einer Seite zur anderen und rückte wieder. "Haben Sie keine Kontaktlinsen?" "Nein." Johnson lächelte entschuldigend. "Warum so griesgrämig, sie steht dir doch." "Mm..." Wieder drehte Joey das Gesicht nach links und runzelte die Stirn. Und dann drehte er sich zielstrebig zu Kaiba. Ihre Blicke trafen sich, Joey starrte auf die blauen Augen, die ihn musterten und versuchte in ihnen zu lesen. Kurz darauf hob Kaiba die Brauen und der Blonde saugte an seinen Zähnen. "Seto." "Hm?" "Sag was." "Ach so." Kaiba verzog die Miene und kratzte sich an der Wange. Anschließend neigte er sich etwas nach vorn und besah sich die Brille genau. Und mit jedem musternden Blick entfaltete sich auf seinen Lippen ein Lächeln. Anschließend griff er nach dem dünnen Gestell, zog es etwas tiefer über die Nase und schnalzte mit der Zunge. "Schick." "Ja?" Johnson seufzte erleichtert. "Gut, damit wäre die Behandlung abgeschlossen." Meinte er dann, während Joey sich wieder dem Spiegel zu wandte. "Du kannst wieder nach Hause gehen, aber ich muss dich bitten, in zwei Tagen noch einmal hierher zu kommen. Dann führe ich wieder eine Untersuchung durch." "In Ordnung." Joey räusperte sich, rutschte von der Liege und sah sich um. "Ich gehe nochmal kurz auf die Toilette." Johnson nickte und Kaiba nippte an dem Becher. Joey schlenderte davon und sie sahen ihm nach. Nur kurz standen sie schweigend nebeneinander, bevor sich Kaiba an den Doktor wandte. "Wie lange müssen wir noch warten, bis Sie den HIV-Test durchführen können?" "Wie bitte?" Johnson wirkte überrascht. "Sie wissen davon?" Kaiba nickte. "Wissen Sie...", der Doktor räusperte sich, "... es tut mir leid, aber ich stand unter ärztlicher Schweigepflicht und..." "Das ist in Ordnung", konnte Kaiba ihn beruhigen. "Ich will nur eine Antwort." "Nun, seit der möglichen Infizierung ist beinahe ein Monat vergangen und so... naja, ein weiterer Monat wird es wohl noch werden, bis wir deutliche Ergebnisse bekommen können." "Mm." Kaiba lehnte sich gegen die Liege und kreuzte die Beine. Er verfing sich in kurzem Schweigen und bearbeitete die Unterlippe mit den Zähnen, während er auf den Boden starrte. "Und...", langsam blickte er auf, "... wie steht es mit den Therapiemöglichkeiten?" Johnson griff nach seinen Unterlagen. "In dieser Hinsicht sehe ich gute Möglichkeiten", meinte er. "Wir wurden früh informiert und können mit der Therapie beginnen, sobald wir positive Ergebnisse haben. So durfte man die Krankheit unter Kontrolle halten." Kaiba atmete tief durch. Diese Worte beruhigten ihn nicht gerade. "Wird er viele Medikamente nehmen müssen?" Johnson ließ sich auf einem Stuhl nieder und lehnte sich seufzend zurück. "Das steht außer Frage. Aids ist nur mit harten Wirkstoffen zu bekämpfen und es könnte zu Nebenwirkungen kommen, aber immerhin wird er..." "Welche Nebenwirkungen?", unterbrach Kaiba ihn leise. Und diesmal zögerte Johnson mit der Antwort. Er bewegte die Unterlagen auf dem Schoss und entfloh Kaibas Blick. Es war ihm unangenehm und da er Joey seit langer Zeit kannte, fiel es ihm auch sehr schwer. "Zum einen würde seine körperliche Kraft nachlassen, ebenso ist es möglich, dass er unter einer chronischen Influenza leiden könnte, da die Viren am stärksten das Immunsystem angreifen. Fieber, Müdigkeit...", er seufzte leise, "... doch immerhin hätte er keine Schmerzen." "Tse." Verbissen wandte Kaiba den Blick ab. "Die Auswirkungen auf sein gesamtes Leben nicht zu vergessen." "Herr Kaiba." Johnson richtete sich etwas auf. "Er könnte ein halbwegs normales Leben führen, nur mit weniger Sport und einer anderen Ernährung." "Ja, toll." Kaiba schüttelte langsam den Kopf. "Und um wie viele Jahre könnte sich dieses halbwegs normale Leben durch all die Medikamente verkürzen?" Johnson rieb sich die Stirn. "Höchstens... um fünf Jahre." Unter einem leisen Stöhnen löste sich Kaiba von der Liege und begann durch den Raum zu spazieren. "Sie könnten den Aids sowieso nicht heilen, nur aufhalten. Und es wird kein halbwegs normales Leben sein, wenn Joseph es nicht wie gehabt weiterführen kann!" "Kaiba." Auch Johnson kam auf die Beine. "Wir sollten den Teufel nicht an die Wand malen, denn immerhin ist es nicht sicher, ob er wirklich infiziert ist." "Und trotzdem sollte man vom schlimmsten Fall ausgehen", warf Kaiba verbittert ein. "Die Medizin ist bis heute so fortgeschritten und wenn man früh genug handelt, muss es doch eine bessere Möglichkeit geben, als diese!" "Es gibt auch noch andere Möglichkeiten", erwiderte Johnson. "Doch diese sind noch in der Entwicklung und viel zu unsicher, als dass man sich an ihnen bedienen könnte." Kaiba murmelte nur etwas Verworrenes und nippte an dem Becher. "Sie verbringen doch viel Zeit mit ihm, oder?" "Mm." "Dann möchte ich Sie bitten, auf seinen Gesundheitszustand zu achten, denn die ersten Symptome zeigen sich bereits vor den möglichen Tests. Werfen Sie ein Auge darauf, ob er sich erkältet, Schnupfen, Husten oder gar Fieber bekommt." "Und wenn das der Fall sein könnte?" Kaiba lugte zu ihm. "Dann..." "So." In dieser Sekunde erschien Joey wieder bei ihnen und wischte sich kurz die Hände an der Hose sauber. "Wir können los." Johnson und Kaiba sahen sich noch einige Sekunden schweigsam an, bevor der Brünette langsam nickte und dem Arzt den Rücken zukehrte. Wortlos zog er auch an Joey vorbei und dieser hob kurz die Hand. "Dann bis in zwei Tagen." Verabschiedete er sich und Johnson antwortete mit einem unsicheren Lächeln. "Wir müssen in die Firma", erklärte Kaiba, als er neben Joey das Krankenhaus verließ. Der Blonde war wieder mit der Brille beschäftigt gewesen und linste nun zu ihm. "Ja?" Die Stimme kam noch immer etwas leise und zurückhaltend über seine Lippen. "Lenzich hat sich mit einem Polizisten in Verbindung gesetzt, der hier in Domino lebt und vertrauenswürdig genug ist, um die Aussage aufzunehmen." Kaiba zog die Autoschlüssel hervor und musterte seinen Freund kurz und besorgt. "Bist du bereit dafür?" "Mm." Endlich ließ der Blonde seine Brille in Frieden und seine Hände verschwanden in den Hosentaschen. "Nein, aber bereiter werde ich auch nicht." Kaiba schenkte ihm ein kurzes ermutigendes Lächeln und öffnete die Türen. Es fiel ihm schwer, Joey Mut zu machen und ihn zu beruhigen, denn in ihm selbst sah es nicht viel ruhiger aus. Johnsons Worte zogen ihm immer wieder durch das Gedächtnis und er zwang sich, sich auf positive Gedanken zu konzentrieren Joey musste nicht infiziert sein... nein, das war reine Hypothese. Er schwieg, als er den Motor startete und den Wagen sauber aus der Parklücke lenkte. Auch Joey hatte keine Lust, irgend etwas zu erzählen. Er hielt die Hände auf dem Schoß gefaltet, starrte auf seine Hände und bewegte sie langsam. >Harte Medikamente... Schwäche und Fieber! Das kann doch alles nicht wahr sein! Da will man gegen eine Krankheit ankämpfen und muss den Körper weiterhin zerstören, großen Schaden anrichten! Und das nur, um einen noch etwas größeren Schaden zu bekämpfen! Ihn nicht zu zerstören, nein, nur, um ihn zurückzuhalten!< Seine Zähne bissen aufeinander, die Finger klammerten sich um das Lenkrad. >Dieser verdammte Arzt hat mich völlig aus der Bahn geworfen! Es muss doch eine weniger aggressive Theraphie geben, die dennoch etwas bringt! Wozu arbeiten denn die Mediziner monatelang in ihren Labors?! Um Medikamente herzustellen, die den Kranken noch mehr Schaden zufügen?!< Seine Miene verdunkelte sich, die Finger entspannten sich kurz, drückten jedoch gleich wieder fest zu. >Langsam habe ich keine Lust mehr auf all das! Kaum ist ein Problem gelöst, rutscht das nächste nach! So, als stünden sie in einer endlosen Schlange und warteten nur darauf, endlich zum Einsatz kommen! Wenn es nur kleine Probleme wären... aber nein! Entführung, Augenkrankheit, Vergewaltigung, Aids! Das ist nicht normal! Das ist...< "Hatschi!", ertönte es da plötzlich neben ihm. Augenblicklich wurde Kaiba aus seinen Gedanken gerissen. Ein schmerzhaftes Zucken ging durch seinen gesamten Leib und ohne auch nur einen weiteren Gedanken zu verlieren, rammte sich sein Fuß gegen das Bremspedal. Quietschend stoppten die Räder des Maybach, leichter weißer Rauch stieg auf und der Wagen geriet kurz ins Schlingern, bevor er mitten auf der Straße zum Stillstand kam. Sofort ertönte weiteres Quietschen und hinter ihm schaffte es eine wahre Wagenkolonne gerade noch, anzuhalten, bevor sie ineinander rasten. Die Autos schlitterten umher, erschrockene Schreie der Passanten ertönten und nach einigen Sekunden trat Stille ein. Langsam stieg der Rauch der heißen Räder auf, die Fahrer blickten sich verwirrt um. Erschrocken hatte sich Joey in den Sitz gepresst. Mit angehaltener Luft starrte er vor sich auf die Straße und Kaiba fuhr zu ihm herum. "Warum hast du genießt!", stieß er atemlos aus, nicht auf das Chaos hinter sich achtend. "W... was?" Irritiert begann sich Joey zu regen und erwiderte seinen Blick zögerlich. "Bist du erkältet?!" Kaiba wirkte überaus entsetzt, als er die Hand hob und hastig die Stirn des Blonden betastete. "Ich..." "Fieber scheinst du nicht zu haben!" Keuchte Kaiba, als er die Hand auch kurz auf den Wangen des jungen Mannes ablegte. "N-nein...", stotterte Joey völlig perplex, "... meine Nase... hat gekitzelt." "Du bist nicht erkältet?" Kaiba starrte ihn an und in dieser Sekunde ertönte hinter ihnen das Hupen vieler Autos. Doch nur Joey drehte sich kurz um besah sich das Dilemma mit fassungsloser Miene. Jedoch nicht lange. "Joseph!" Kaiba war es bitterernst. "Bist du erkältet!" "Nein." Endlich lieferte Joey die beruhigende Antwort. Er zog auch eine kurze Grimasse. "Was... was ist denn mit dir los?" "Du bist nicht erkältet." Japste Kaiba. "Nein." Unter einem erschöpften Stöhnen ließ der Brünette den Kopf hängen und schüttelte ihn in leiser Verzweiflung. Er atmete tief durch, richtete sich wieder auf und rieb sich die Stirn mit beiden Händen. Joey starrte ihn verwirrt an. "Okay." Kaiba zog die Nase hoch, keuchte erneut und griff nach dem Gangschalter. Und ohne ein weiteres Wort setzte er den Wagen wieder in Bewegung. Es schien, als habe er die anderen Autos überhaupt nicht bemerkt und wieder war es nur Joey, der einen langen Blick in den Rückspiegel warf und sah, wie auch sie langsam anfuhren. Dann schluckte er, lehnte sich zurück und linste kurz darauf zu Kaiba, der mit verbitterter Miene auf die Straße starrte. Der Rest der Fahrt verlief ruhig und schweigsam. Keiner der beiden sagte etwas und Kaiba stöhnte nur, als der Maybach auf dem Parkplatz der Kaiba-Corp. hielt und sie ausstiegen. Immer wieder warf Joey ihm verwirrte Blicke zu, stellte jedoch keine Fragen. In gemächlichen Schritten betraten sie dann das Gebäude und steuerten zielstrebig auf die Fahrstühle zu. Schnell traf dieser ein und kurz darauf standen sie in der Kabine. Kaiba rieb kurz die Hände aneinander und räusperte sich kurz, um endlich wieder das Wort zu ergreifen. "Ich werde bei dem protokollieren der Aussage nicht dabei sein dürfen." Er lugte zu Joey. "Kommst du klar?" Der Blonde rümpfte die Nase, kratzte sich an ihr starrte auf den Boden. Er antwortete nicht sofort, schien er nachdenken zu müssen und murmelte letztendlich etwas Verworrenes. "Das geht alles ziemlich schnell, findest du nicht?" Murmelte er und Kaiba wusste genau, was er meinte. "Es ist ungewöhnlich, dass eine Verhandlung so schnell beginnt, doch das ist besser, als wochenlang warten zu müssen." Er legte die Hand auf seiner Schulter ab und lehnte sich etwas zu ihm. "Wenn die Verhandlung nur einen Tag dauert, haben wir morgen schon Gewissheit." Joey hatte seinen Blick nicht erwidert, nein, er war noch immer nach unten gerichtet und Kaiba spürte durch die Hand, wie er tief einatmete. "Lee..." Kaiba hob die Augenbrauen und die Kabine hielt. Als sich auch die Türen öffneten, ballte Joey langsam die Hände und biss sich auf die Unterlippe. "Diese Gerichtsverhandlung war wohl die letzte Gelegenheit, ihn zu sehen." Somit schüttelte er den Kopf und trat in den großen Arbeitsraum hinaus. Kaiba hielt kurz inne, bevor er es ihm gleich tat. Ja, das mochte wohl stimmen... Er verstand Joeys Sehnsucht aus einer Aussprache oder einem letzten Wiedersehen, doch in diesem Fall war es das beste, den Gerichtssaal zu meiden, auch wenn das seine negativen Seiten hatte. Kaiba dachte daran, bis er einen Mann erspähte, der auf einem der Sofas im Wartezimmer saß und einen säuberlichen grauen Anzug trug. Dieser wurde auch auf ihn aufmerksam, erhob sich und streckte Kaiba die Hand entgegen. "Wir haben telefoniert. Ich bin Komissar Hanoto, Herr Lenzich betraute mich mit dieser Aufgabe." Kaiba nickte, schüttelte seine Hand und hielt nach Joey Ausschau. Dieser war ebenfalls stehen geblieben und sah den Fremden mit einer Miene an, die nichts verriet. All das war ihm unangenehm. "Joseph?" Kaiba nickte ihn näher und wandte sich an den Komissar. "Das ist Ihr Zeuge." Der ältere Mann musterte den Blonden durchgehend und dieser behielt die Hände in den Taschen und starrte auf den Boden. Und somit schob sich diese Angelegenheit aus Kaibas Zuständigkeitsbereich. Der Komissar griff nach seinem Koffer, den er neben dem Sofa abgestellt hatte und trat an den Blonden heran. "In meinem Büro haben Sie ihre Ruhe." Kaiba wies auf die säuberliche Glastür und der Komissar nickte. "Bitte folgen Sie mir." Joey saugte an seinen Zähnen, zog mit dem Fuß Kreise auf dem Boden und blickte auf. Seine Augen richteten sich auf Kaiba, der näher an ihn herangetreten war. "Alles in Ordnung?" "Mm." Joey rollte mit dem Kopf, wusste jedoch nicht so recht, was er daraufhin sagen sollte. "Hey." Kaiba legte den Zeigefinger unter sein Kinn, hob das Gesicht des Blonden etwas höher und baute den Blickkontakt wieder auf. Ein ermutigendes Lächeln verlieh seinen Lippen Ausdruck, bevor er flüchtig eine Strähne aus Joeys Stirn fischte, dabei streifte sein Daumen die blasse Stirn und der Blonde blinzelte. Der Komissar war an der Tür des Büros stehen geblieben und wartete geduldig. Erneut senkte Joey den Kopf. Nebenbei hob sich seine Hand. Seine Finger hakten sich in das dünne Hemd des Brünetten und mit einem wankenden Schritt trat er vor und lehnte sich gegen diesen. "Joseph." Kaiba schloss ihn in eine vorsichtige Umarmung, spürte, wie dieser das Gesicht an seinen Hals legte und einen tiefen Atemzug ausstieß. Kurz hielt Kaiba ihn fest, flüchtig kraulte seine Hand seinen Nacken, bevor sie weiterwanderte und sich, wie die andere auch, unter das Ohr legte. Zärtlich zwang er Joey zurückzutreten. Dieser legte die Hände um seine Oberarme, hielt den Kopf gesenkt und schnappte wieder nach der eigenen Unterlippe. "Du schaffst das." Erneut streifte Kaiba das blonde Haar zurück und nahm ein leichtes Nicken wahr. Zögerlich löste Joey die Hand aus dem dünnen Hemd, Kaiba ließ die Arme sinken und somit wandte sich Joey ab. Kaiba sah ihm nach, wie er in langsamen Schritten zu dem Komissar ging... er hatte es nicht eilig. Dann wurde hinter ihm die Tür geschlossen und Kaiba stemmte die Hände in die Hüften. >Gut...< Angespannt die Augen verdrehend, steuerte er dann auf den Kaffeeautomaten zu, griff beiläufig nach einer Tasse und schob sie in das kleine Fach, bevor er sich seitlich gegen den Automaten lehnte und eine Taste betätigte. Sofort gluckerte das Getränk in die Tasse und er kam nicht drumherum, einen flüchtigen Blick durch die Glastür zu werfen. Joey und der Komissar hatten sich auf den ledernen Stühlen vor dem großen Schreibtisch niedergelassen und während der Blonde mit gesenktem Kopf dort saß, wühlte der Mann in seinem Koffer. Kurz darauf drehte sich Kaiba wieder um und streckte die Hand nach der Tasse aus. >Ich muss mir unbedingt etwas einfallen lassen, um Joseph und mir die Wartezeit leichter zu machen.< Abwesend umfasste er den Henkel und wollte die Tasse gerade herausheben, da ertönten schnelle Schritte und er hielt inne. Wer rannte denn da? >Mokuba wollte doch heute gar nicht kommen?< Doch es war nicht Mokuba, der plötzlich um die Ecke des Arbeitsraumes gerannt kam. Nein, es war ein anderer Junge. Etwa vier Jahre und doch unglaublich flink auf den kleinen Beinchen, kam er angeflitzt. Er trug eine kurze blaue Hose, ein weißes Hemdchen und eine süße Matrosenmütze auf dem schwarzen Haar. Und er schien sein Ziel vor Augen zu haben. Lachend streckte er die Ärmchen nach vorn. "Hallo hallo hallo!" Rief er aufbrausend. "Heeey." Ein Grinsen zeichnete sich auf Kaibas Lippen ab, als er leicht in die Knie ging und beinahe umgeschmissen wurde. Stürmisch warf sich der Junge gegen ihn, klammerte sich in das Hemd und hüpfte lachend. Unterdessen griff Kaiba ihn vorsichtig unter den Achseln, kam auf die Beine und nahm ihn auf den Arm. Sofort schlang der kleine Junge die Ärmchen um seinen Hals und schmuste mit ihm. "Ich komm dich besuchen!" Verkündete er unterdessen lautstark und Kaiba verzog kurz die Miene, da ihm der Junge genau ins Ohr brüllte. >Genau so temperamentvoll wie der Vater.< "Und groß bist du geworden." Als sich der Junge etwas zurücklehnte, wurde er staunend gemustert. "Ja ne?" Der Junge gluckste und presste die Augen zu. Kurz darauf ertönte ein leises Grunzen und dann wurde Kaiba wieder umklammert. "Du aber auch!" "Danke." Kaiba runzelte die Stirn. "Schau mal!" Plötzlich riss sich der Junge wieder los und ruderte mit den Beinchen, worauf Kaiba ihn fester halten musste, damit er nicht hinunterfiel. Hastig griff sich der Junge in den weit geöffneten Mund und streckte diesen Kaiba entgegen. "Der Fahn iff fon locker!" Daraufhin wackelte er an einem dieser und Kaiba streckte das Gesicht etwas zurück. "Toll." Wieder grunzte der Junge und zog die Hand aus dem Mund. Und kurz darauf... warf er sich wieder um den Hals des Älteren. "Mein Papa sagt, wenn mir die Zähne raus fallen, dann werde ich erwachsen!" Kaiba rang nach Luft. "Oder du wirst alt und klapprig." "Echt??" Der Junge starrte ihn erschüttert an. "Matthew!" Ertönte in dieser Sekunde eine weitere Stimme und Pikotto bog um die Ecke. Auf seinem Arm hielt er einen Jungen, der dem, der Kaiba umarmte, wie aus dem Gesicht geschnitten war. Auch er trug eine Matrosenmütze, schien jedoch andere Probleme zu haben. "Buähähäh!!" Heulend klammerte er sich um den Hals seines Vaters. "Matty hat mich gezwickt!" Als Pikotto den Jungen auf Kaibas Arm entdeckte, atmete er erleichtert durch und trat näher. "Da bist du ja." Er raffte den Jungen höher. "Tut mir Leid, Kaiba. Sobald er sich unbeobachtet fühlt, ist er weg." Kaiba antwortete mit einem knappen Grinsen, ging erneut in die Knie und stellte den Kleinen wieder auf dem Boden ab. "Matty ist doof!" Flennte der Junge auf Pikottos Arm weiter und dieser schien sich dadurch kein bisschen stören zu lassen. Als hätte er Nerven aus Drahtseilen, blieb er völlig ruhig und fasste den kleinen Schelm an der Hand, der sich sofort etwas hängen ließ und spielerisch mit dem anderen Arm ruderte. Kaiba verfolgte das Szenario nur flüchtig, stemmte die Hände in die Hüften und nickte seinem Stellvertreter zu. "Mach dir einen schönen Tag." "Werde ich... Davis, hör auf zu schreien." "Aber Matty hat..." "Ich bin morgen früh pünktlich wieder da." Pikotto ließ sich nicht stören. "Und du? Ich dachte, du hast dir zwei Tage freigenommen?" "Ja, ich..", Kaiba lugte flüchtig zu seinem Büro, "... ich hatte noch etwas kurzes zu erledigen, dann gehe ich auch." "Gut, dann werden wir wohl die Verantwortung in Jonathans Hände legen." "Kein Problem." Kaiba winkte ab und griff endlich nach seiner Tasse. "Lawrence!" Plötzlich erschien auch eine junge Frau bei ihnen. Mit unzufriedener Miene trat sie näher. Sie war von schlanker Statur, trug das schwarze Haar säuberlich hoch gebunden und war als wahre Schönheit zu bezeichnen. "Wir müssen los." Neben Pikotto blieb sie stehen. "Guten Tag, Herr Kaiba." Sie verbeugte sich kurz, Kaiba grüßte mit einem Nicken zurück und somit nahm Pikottos Frau den kleinen Rabauken hoch. "Jetzt aber ab!" "Also." Kaiba Pikotto grinste und Kaiba nippte an der Tasse. "Wir sehen uns." "Auf Wiedersehen, Herr Kaiba." "Wiedersehen." "Tschüss Onkel!" Matty schob sich über die Schulter seiner Mutter und winkte stürmisch. Der Brünette hob nur die Hand. "Papa! Ich bin alt und klapprig." Wandte sich Matty sofort jammernd an seinen Vater. "Ach ja?" Somit verschwand die Familie Pikotto und Kaiba lehnte sich erneut gegen den Automaten. ~*To be continued*~ Kapitel 21: Ein starker Bund ---------------------------- Es dauerte beinahe eine Stunde, bis der Komissar alles hatte, was er benötigte. Kaiba hatte sich die ganze Zeit über in dem Wartezimmer aufgehalten. Die Beine hielt er von sich gestreckt, als er in einem der Sessel fläzte und auf die vier leeren Tassen starrte, die vor ihm auf einem kleinen Tisch standen. Nun hatte er genug Zeit, zu grübeln, einen Weg zu finden, Joseph und sich selbst auf andere Gedanken zubringen. Sollte er kleine Ausflüge mit ihm unternehmen, oder sogar vielleicht verreisen? Wohin? Joeys war in einem Zustand, der es nicht erlaubte, große Anstrengungen über sich ergehen zu lassen. Nicht nur körperlich, nein, auch psychisch, obwohl sich Joeys Psyche allmählich zu erholen schien. Er knabberte auf der Unterlippe, faltete die Hände auf dem Bauch und rutschte tiefer in die Polster. Aber irgend etwas musste er tun. Nicht nur Joey schienen die Zustände verrückt zu machen, das hatte man deutlich an der ruhigen Fahrt erkannt, die sich hinter sich gelassen hatten. Erneut drehte er das Gesicht zur Seite und schaute zu seinem Büro. Dort hatte sich nichts geändert. Joey erzählte seit geraumer Zeit und dabei machte er den Anschein, am liebsten abhauen zu wollen. Mit gesenkten Schultern saß er da und rieb die Hände ineinander. Kaiba fuhr sich über die Stirn, schob die Hand in die Hosentasche und holte das Handy hervor, auf dem er gemächlich eine Nummer tippte. Dann hob er es zum Ohr und atmete tief durch. Es dauerte nicht lange, da wurde abgenommen. "Japp?", meldete sich die Stimme eines jungen Mannes. Im Hintergrund waren viele Geräusche zu hören. "Wer da?" "Ich." "Unter allen Bekannten gibt es nur einen, der zu faul ist, seinen Namen zu nennen." Ein leises Quietschen ertönte, dann fluchte ein Mann im Hintergrund. "Hallo Kaiba. Was ist? Ist irgend etwas pass... hey, nein, das kommt nicht dahin!" "Was ist bei dir los?", erkundigte sich Kaiba und ein leises Schnalzen ertönte. "Wir räumen gerade den Laden um", erklärte Duke, der scheinbar sehr beschäftigt war. "Und bei dir? Warum rufst du an?" Kaiba blähte die Wangen auf, rollte den Kopf zur Seite und blickte wieder zum Büro. "Ich...", er räusperte sich, "... brauche deine Hilfe." "Meine Hilfe?" Duke hörte sich überrascht an. "Geht es um Joey?" "Genau." "Erzähl." "Es ist so", begann Kaiba. "Du weißt, welche Gefahr für Joseph besteht, nicht wahr?" Eine kurze Stille. "Mm." "Tja, und ich habe mich dazu entschlossen, ihn etwas abzulenken. Bedauerlicherweise bin ich nicht gut in so etwas... und habe keine Ahnung, wie ich das machen soll." "Du willst ihn auf andere Gedanken bringen?" Duke seufzte. "Das ist gut. Und woran hast du gedacht?" "Zuerst hielt ich es für das Beste, ihn wieder nach Hause zu bringen. Tatsache ist nur, dass sein Vater mal wieder auf Reisen ist. Also muss ich mir etwas anderes einfallen lassen." "Aber dir fällt nichts ein." "Ja doch." Kaiba zog eine Grimasse. "Du könntest mit ihm... ins Museum gehen." "Darauf hätte er keine Lust." "Stimmt" Kaiba nickte und wieder ertönte das Seufzen. "Dann geh mit ihm baden. Noch ist es warm." "Mm-mm." Wieder schüttelte Kaiba den Kopf und lugte zu dem Blonden, der gerade damit beschäftigt war, sich das Gesicht zu reiben. "Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee wäre." "Warum?" "Warum wohl." Kaiba kratzte sich an der Nase. "Weil er sich dazu ausziehen müsste." "Ach so, na, dann geh mit ihm spazieren." "Oh Gott... wie ich das hasse." Stirnrunzelnd rappelte sich Kaiba etwas auf. "Aber das ist keine schlechte Idee, würde ihm sicher gut tun." "Klar, in der Nähe von Domino gibt´s doch genug Wälder. Da fährst du einfach mit ihm hin und dann seht ihr weiter." Kaiba saugte an seinen Zähnen, räusperte sich leise und starrte auf den Kaffeeautomaten. Antworten tat er nicht und in der Leitung herrschte so für kurze Zeit Stille. Duke wartete und wieder fluchte jemand im Hintergrund. "Was ist?" Noch immer zögerte Kaiba und es war ihm deutlich anzusehen, dass es ihm unangenehm war. "Ehm..." "Ja?" "Könntest du vielleicht...", wieder räusperte sich Kaiba, "... mitkommen?" "Ach?" Wieder war Duke überrascht. "Warum?" "Es tut ihm sicher gut, viele vertraute Menschen um sich zu haben. Und außerdem... muss ich etwas mit dir besprechen." "Was denn?" "Frag nicht, das wirst du sehen." Dann endlich erhob sich der Komissar und schloss den Koffer. Auch Joey kam auf die Beine. Kaiba hatte das Handy bereits weggelegt und richtete sich auf, als der ältere Mann sein Büro verließ. Ihm widmete er nicht viel Aufmerksamkeit, nein, seine Augen suchten nach Joey. Auch, während der Komissar ihm die Hand schüttelte, sich bedankte und noch irgend etwas anderes sagte, hielt er nach dem Blonden Ausschau und sah, wie er kurz darauf ebenfalls das Büro verließ. Er wirkte etwas geknickt, als er sich in den Türrahmen lehnte und die Hände wieder in den Hosentaschen verschwinden ließ. "Ja, verstanden." Den Blick auf ihn gerichtet, nickte er und der Komissar wandte sich ab. "Auf wiedersehen." "Wiedersehen." Auch er kehrte ihm den Rücken zu und näherte sich dem Blonden, der wieder mit dem Fuß Kreise auf dem Teppichboden zog und aussah, als wolle er sich nur noch verkriechen. Doch diesen Gefallen konnte Kaiba ihm nicht tun. Er erkundigte sich nur kurz nach seinem Empfinden, fasste ihn vorsichtig am Handgelenk und zog ihn mit sich. "Wohin gehen wir?", erkundigte sich Joey verdattert. "Wir machen einen kleinen Ausflug." "Schaut euch das an!" Joey ging in die Knie, umschlang mit den Armen die Beine und starrte auf den Boden. Gemeinsam mit Duke und Kaiba war er seit einer halben Stunde damit beschäftigt, durch den Wald zu spazieren. Es war ein herrliches Wetter und bisher waren sie hier noch keiner Menschenseele begegnet. Die Vögel zwitscherten, die Blätter rauschten und Kaiba war Duke für diese Idee wirklich dankbar, obwohl er es irgendwie langweilig fand. Mit großen Augen besah sich Joey einen riesigen Ameisenhaufen, auf dem sich die kleinen Tierchen tummelten. Kurz darauf grinste er und grabschte nach einem kleinen Stöckchen, welches neben ihm auf dem Weg lag. Duke trat neben ihn und schloss sich der staunenden Beobachtung an, während Kaiba eine Zigarette rauchte. "Pass auf", grinste Joey begeistert und fuchtelte mit dem Stöckchen. "Gleich rasten die völlig aus." "Mach mal." Duke hockte sich neben ihn und Joey pikste mit dem Stock ein Loch in den Haufen. Und wirklich! Sofort begannen die Ameisen wie wild herumzurennen und der Blonde lachte irgendwie hinterhältig. "Wow." "Ich sag dir, Duke", Joey pikste erneut in das Loch, "in einer halben Stunde ist das wieder repariert." "Vorsichtig, die Ameisen." "Whuah!" Sofort schüttelte sich Joey die kleinen Tierchen von der Hand, die den Stock als Brücke zu dieser benutzt hatten. Duke schüttelte verzweifelt den Kopf und Kaiba verfolgte das Szenario amüsiert. >Es tut gut, ihn so zu sehen. Es gibt hier unglaublich viel, was ihn begeistert.< Der Brünette sah sich um. >Ich sehe ich hier nur Bäume...< "Und schaut euch das mal an!" Wieder bückte sich Joey und hob ein Blatt auf, welches auf dem Weg gelegen hatte. Dieses hielt er Duke unter die Nase. "Na? Na?" "Das ist ein Blatt", bemerkte dieser etwas irritiert und der Blonde schüttelte heftig den Kopf. "Das ist nicht nur ein Blatt", meinte fest überzeugt und rupfte vorsichtig an den Kanten. "Schau genau hin. Das sieht aus wie der Controller meiner Playstation!" >Es geht ihm wieder gut.< Duke schmunzelte. "Warum sind hier so wenige Leute?", fragte Joey, der den Mund nicht mehr halten konnte, seit sie diesen Wald betreten hatten. Sie schlenderten gemütlich weiter und der Blonde sah sich um. "Sind die alle zu faul, um mal ein bisschen spazieren zu gehen?" Duke zuckte mit den Schultern. "Immerhin gibt es auch noch andere Orte, an denen man das kann." >Und außerdem ist spazieren gehen langweilig.< Fügte Kaiba gedanklich hinzu und trat die Zigarette auf dem Boden aus. "Ja, schon." Joey rümpfte die Nase. "Aber ich meine... boah, schaut euch das an!" "Was´n?" Duke war sofort ganz Ohr und Joey warf sich auf den Boden. "Habt ihr schon einmal so eine riesige Schnecke gesehen??" Fasziniert starrte er auf das flinke Tier und wieder konnte sich Duke ihm nur anschließen. "Ne." "Wow!" Joey stupste sie mit dem Finger an, worauf sie gleich die Fühler einzog und in sich zusammen kroch. "Schau dir das an, Seto. Eine Wehrschnecke!" Also schlenderte Kaiba näher und blieb neben der Kreatur stehen. Aber... nun, ihn begeisterte es weniger. Dennoch strengte er sich an, die Stimmung nicht zu vermiesen. Joey ging es gut und das war die Hauptsache. Während die beiden auf dem Boden hockten und leise tuschelten, fuhr er sich durch den Schopf und sah sich um. Dann schrie Joey. "Schau dir das an, Duke!" Der jedoch, kam flink auf die Beine und wich zurück. "Nimm die weg!" Joey lachte und hob die Hand, über die eine riesige Spinne krabbelte. Und Duke gefiel das überhaupt nicht. Vorsichtshalber trat er hinter Kaiba, krallte sich in dessen Hemd und lugte hinter seinem Arm hervor. "Ist die nicht riesig?", staunte Joey, als er auch die Spinne mit dem anderen Zeigefinger anstupste. "Die ist ekelhaft", zischte Duke. "Heeeey." Misstrauisch sah Joey ihn an, die Spinne unternahm währenddessen einen verzweifelten Fluchtversuch und seilte sich halsbrecherisch ab. "Nur Mädchen haben Angst vor Spinnen." "Wer hat das denn gesagt!" Duke verengte die Augen und der Blonde legte den Kopf schief. "Das ist nun einmal so und außerdem... huch, wo ist sie denn hin?" Verwirrt sah er sich um und starrte immer wieder auf seine Hand zurück. Kaiba hob die Augenbrauen, grinste und schlenderte kopfschüttelnd weiter. Auch Joey gab die Suche auf und trödelte mit. Kurz wischte er sich die Hände an der Hose sauber und schmatzte leise. Bald holte er auf, hakte sich bei Kaiba ein und betrachtete sich die Baumkronen, die weit über ihnen lagen. Kaiba atmete tief durch und auch Duke fühlte sich wohl, während sie so dahertrödelten. Jedoch nicht lange, da riss sich Joey los. "Schaut euch das an!" "Höh?" Joey war wieder stehen geblieben und zeigte auf einen Baum, dessen Rinde irgendwie fehlte. Kaiba lehnte sich etwas zur Seite und Duke kratzte sich am Kopf. "Das muss ein Tier abgefressen haben!" Joey stand der Mund offen. "Oder der Baum ist krank", murmelte Kaiba und der Blonde schickte ihm einen flüchtigen Blick. "Hörst du bitte auf, auf meine Hoffnungen zu zerstören? Das war ein Tier." "Und warum?", erkundigte sich Duke. "Weil das spannender ist." "Aha." Während sich Duke und Joey dann in ein fachmännisches Gespräch vertieften, sah sich Kaiba erneut um und musste die intelligente Diskussion bald unterbrechen. "Hier der Wegbiegung endet der Wald", meinte er und wies mit einem knappen Nicken in die Richtung. "Da gibt´s nen Cafe. Wollen wir noch etwas trinken?" "Gute Idee." Duke rieb sich den Bauch. "Ich glaube, ich habe sogar etwas mehr nötig, als das." So spazierten sie weiter und erreichten kurz darauf ein großes hölzernes Blockhaus, vor dem sich gemütliche Außensitze befanden. Gemächlich ließen sie sich nieder und während Kaiba gleich einen Blick in die Karte warf, begann Duke wieder mit Joey zu tratschen und er wurde kurz auf die Beiden aufmerksam. >Deshalb ist es gut, dass er dabei ist. Ihm fehlen nie die Worte oder gar die Gesprächsthemen.< "Ob es hier Bären gibt?" Lässig griff Joey nach einem Zahnstocher, steckte ihn sich in den Mund und bewegte ihn zwischen den Lippen. "Keine Ahnung." Duke sah sich kurz um und ließ sich im Stuhl tiefer sinken. "Warum fragst du? Hast du Angst vor einem oder willst du einem begegnen?" Joey grinste und Kaiba genoss diesen kurzen Augenblick. "Kommt drauf an, was für eine Entfernung zwischen uns liegt." Lachend griff auch Duke nach der Karte. "Oh man, ich brauch jetzt was Richtiges." Nicht viel später hatten sie ihre Bestellungen bereits vor sich und ließen es sich gut gehen. Während sich Duke durch einen riesigen Teller kämpfte, stand vor Kaiba nur der gewohnte Rotwein und Joey rührte in einem Milchkaffee. "Das ist ein herrlicher Platz für ein Cafe", bemerkte dieser bald und wischte sich den Milchschaum vom Mund. "Hier sitzt man mitten in der Natur." Er seufzte. "Und still ist es." "Mm." Da musste Kaiba ihm zustimmen. "Angenehm." "Ich hoffe nur, dass mir keine Spinnen über den Teller krabbeln." Duke schnitt eine Grimasse und Joey grinste, bevor er auf etwas aufmerksam wurde. Er hob die Augenbrauen, stützte sich auf die Armlehnen des Stuhles und richtete sich etwas auf, um einen besseren Überblick zu gewinnen. "Mm... herrlich." Schwärmend verdrehte Duke die Augen und stocherte gleich wieder auf das Essen ein. Währenddessen starrte Joey noch immer in dieselbe Richtung und bald erhellte sich sein Gesicht. "Ist da ein kleiner See?" "Hm?" Kaiba blickte auf und schloss sich seiner Beobachtung an. "Scheint so." Somit ließ der Blonde wieder in den Stuhl sinken und hob die Tasse zum Mund, um noch einen Schluck zu trinken. Dann erhob er sich. "Ich gucke mal." "Ja", murmelte Duke kauend. "Schau dir das mal an." "Bin gleich wieder da." Joey schob sich durch die anderen Tische und schlenderte davon. Kaiba und Duke sahen ihm nach. Der Brünette schwenkte den Wein im Glas und Duke rammte die Gabel noch einmal in das Steak, bevor er sich etwas über den Tisch lehnte. "Also", raunte er. "Erzähl mal, du wolltest doch etwas besprechen." Kaiba nickte und stellte das Glas ab. "Ich habe etwas vor. Wollte nur einmal deine Meinung darüber erfahren." "Mm-mm?" Duke nickte neugierig und Kaiba rückte sich kurz zurecht. Vorsichtig schlängelte sich Joey durch das hohe Ufergras, bevor er wirklich einen kleinen See erreichte. Fasziniert schweifte sein Blick über die glänzende Wasseroberfläche, seine Hand streifte das Schilf und dann ging er in die Knie, um etwas in den dünnen Algen zu rühren, die am flachen Ufer trieben. "Was?" Duke sah etwas überrumpelt aus, als er die Gabel sinken ließ. "Wirklich?" "Ja." Kaiba legte den Kopf schief. "Echt?" "Ja doch." Duke runzelte die Stirn und legte das Besteck ganz zur Seite. Es schien um eine wichtige Sache zu gehen. "Aber ich dachte... du magst so etwas gar nicht." "Ich habe es nur noch nie versucht." Kaiba zuckte mit den Schultern. "Bist du dem überhaupt gewachsen?", fragte Duke weiter. "An Herausforderungen wächst man", antwortete Kaiba nur und der Schwarzhaarige pustete sich eine lange Strähne aus dem Gesicht. "Ganz schön spontan, oder?" Er wirkte nicht sehr überzeugt, Kaiba hingegen schon. "Spontan, jedoch nicht unüberlegt", sagte er. "Nein, ich glaube wirklich, dass das das Beste ist, was ich machen kann." "Ja, schon." Stirnrunzelnd lehnte sich Duke zurück. "Aber... na ja." "Schau mal." Kaiba richtete sich auf und stützte die Ellbogen auf den Tisch. "Es würde Joseph wirklich gut tun und für mich wäre es kein Problem, dafür aufzukommen." "Das ist mir klar, aber was ist, wenn es Joey nicht gefällt?" "Oh, das wird es." "Und woher willst du das wissen?" "Ich weiß es nun einmal." "Und was ist, wenn es Joeys Vater nicht gefällt?" "Warum sollte es Charles nicht gefallen?" Kaiba wunderte sich. "Er muss doch keinen Finger krumm machen, auch kein Geld ausgeben oder sich sonst um irgend etwas kümmern. Und außerdem", er hob den Zeigefinger, "ist er sowieso die meiste Zeit über nicht Zuhause." "Gaaanz ruhig." Konzentriert neigte sich Joey nach vorn und näherte sich mit der Hand einem kleinen Frosch, der ganz gemütlich auf einem Seerosenblatt hockte. Er schob die Brille etwas höher, leckte sich die Lippen und verengte die Augen. "Na, komm her." Er beugte sich noch weiter, hatte den Frosch fast erreicht... und dieser sprang ins Wasser. "Verdammt nochmal." Der Blonde schnitt eine Grimasse, als er sich wieder aufrichtete, sich zurücksetzte und die Beine von sich streckte. "Und wie willst du das anstellen?", fragte Duke. "Also wirklich." Kaiba griff nach dem Glas. "Das ist ja wohl das kleinste Problem." "Wenn du meinst?" Duke zuckte mit den Schultern und Kaiba klaute sich eine Pommes von seinem Teller. "Meinen Segen hast du." Kaiba ließ es sich schmecken und Duke schien kurz zu grübeln, bevor er es ihm gleich tat. "Und...", er begann zu kauen, "... wann wilft du ef tun?" "Warum warten?", erwiderte Kaiba locker. "Joseph kommt heute sicher mit zu mir." "Gleif heute?" Duke starrte ihn an. Sie verblieben nicht lange an diesem Ort, bis Duke wieder in den Laden zurück musste, der im Umbau begriffen war, um mehr Platz zu beherbergen. So verabschiedeten sie sich und gingen ihrer Wege. Joey war noch immer bei ausgesprochen guter Laune, als sie sich auf den Weg nach Hause machten. Er redete viel und wurde von Mokuba entführt, sobald er das Haus der Kaibas betrat. Der Junge überredete ihn, einen Film mit ihm anzuschauen. Auch Kaiba wurde darum gebeten, lehnte jedoch ab und meinte, er hätte noch zu erledigen. So kam es, dass auch sie sich trennten. Kaiba verließ das Haus und Joey landete in Mokubas Zimmer, in dem sich der Junge sofort durch einen riesigen Haufen von DVD´s wühlte, um das Richtige zu finden. "Was schauen wir uns denn an?" Joey streckte sich auf Mokubas Bett, auf das der kleine Junge ihn beordert hatte. "Einen tollen Film!" Mokuba rannte zum Fernseher und Joey drehte sich auf den Bauch, stellte das schnell gemacht Popcorn in Reichweite ab und wippte heiter mit den Füßen. Bald kehrte Mokuba zurück, warf sich neben ihn und so begann der Film. Joey nahm es auf sich wie ein Mann, verfolgte das Opening aufmerksam und runzelte erst die Stirn, als plötzlich zwei dicke Nilpferde auftauchten, die sich unterhielten und jede Menge Blödsinn machten. Mokuba kicherte die meiste Zeit über und tastete nach der Popcornschale. Und es dauerte nicht lange, da spitzte sich die Situation dramatisch zu. Affen tanzten über den Bildschirm und Krokodile sangen. "Hey, Moment mal." Joey weitete die Augen. "Warum hat die Maus das gemacht?" "Die mag das Eichhörnchen nicht", half Mokuba begeistert aus. "Pass auf, das geht noch weiter so." "Echt?" >Hilfe.< Der Blonde streckte die Beine aus, stützte sich auf die Ellbogen und starrte weiterhin auf den Fernseher. Seit dieser lief, versuchte er vergebens, einen Sinn zu finden. Er kam zu dem Entschluss, dass man bei diesem Film nicht allzu viel überlegen durfte. Ein Kinderfilm eben, ohne jegliche Moral und tiefgründige Geheimnisse. Nachdem es eine Schnecke mit waghalsigen Stunts geschafft hatte, einen Baumstamm zu erklimmen, lugte er zu Mokuba. Der Junge wirkte jedenfalls überaus begeistert und so entschied er sich, abzuwarten. Vielleicht waren diese langweiligen Tiergeschichten ja nur Tarnung? Vielleicht brach in dem Wald bald ein Krieg zwischen Menschen aus? Mit Panzern und Raketenwerfern und so. Er biss sich auf die Unterlippe und langte nach dem Popcorn. Und außerdem hatte er sowieso nichts anderes zu tun, seitdem Kaiba sich plötzlich verabschiedet hatte. "Wer ist das jetzt?" Er verzog die Augenbrauen, als er einen neuen Charakter erspähte. "Das ist der Papa von dem kleinen Waschbären", flüsterte Mokuba gebannt. "Aber der ist zu streng." "Aha." Joey nickte langsam. "Und worum geht es überhaupt?" Empört drehte Mokuba das Gesicht zu ihm. "Das ist doch ganz klar", meinte er. "Um das Leben der Tiere." "Ah." Joey weitete die Augen und ließ sich das Popcorn schmecken. Als der Koala und der Maulwurf in einen Streit gerieten, wurde es etwas spannender. Und ebenso spannend blieb auch der Rest des Filmes. Der Biber schaffte es doch wirklich, sein Haus aus Treibstöcken zu bauen, das Eichhörnchen fand eine schöne Baumhöhle und die Schnecke bemerkte zu spät, dass sich ihr Leben nicht auf Bäumen, sondern auf dem Boden abspielte. Sogar der Koala und der Maulwurf vertrugen sich wieder, Gott sei Dank, und bald tauchten auch wieder die quasselnden Nilpferde auf. >Was zur Hölle hat Mokuba für Filme<, dachte sich Joey, als ein Igel aus Versehen in einen Bach fiel. >Das ist todlangweilig.< "Überlebt der Igel?", erkundigte er sich kurz darauf und Mokuba nickte hastig. "Ja, die Katze überwindet ihre Wasserscheu und rette ihn." Dieser atemberaubende Film lief weitere eineinhalb Stunden und nach dieser Zeit hatte Joey den Kopf abgelegt und starrte auf die Tür, während Mokuba immer wieder kicherte und sein Desinteresse überhaupt nicht bemerkte, ebenso die trübe Miene, die er zog. >Mir ist überhaupt nicht nach Fernsehen und noch weniger nach langweiligen Tiergeschichten.< Er schob die Arme unter den Bauch und blähte die Wangen auf. >Eigentlich will ich nur meine Ruhe.< Weitere Minuten verharrte er in dieser Haltung und dann öffnete sich plötzlich die Tür. Sofort hob Joey etwas den Kopf und dankte Gott, als er Kaiba erspähte. In gemächlichen Schritten, den Mantel über den Arm, trat er ein und warf sofort einen Blick zu dem Fernseher. Und ein skeptisches Stirnrunzeln brachte den Beweis: Der Film war mies. Joey legte sich wieder hin, sah ihn näherkommen und um das Bett herumgehen. "Hi." Flüchtig streifte er mit der Hand den Schopf des Jungen und ließ sich neben Joey auf der Bettkante nieder. "Seto, Seto!" Der Junge wurde zappelig. "Schau dir das an! Hast du das schon einmal gesehen?" Kaiba warf Joey einen knappen Blick zu, legte den Mantel ab und lehnte sich etwas zurück. "Tiere, die sprechen?", murmelte er. "Nein." Mit viel Überwindung drehte Joey das Gesicht etwas höher und sah zum Fernsehen. Er musterte Mokuba auch flüchtig, bevor er die Hand unauffällig zu Kaiba schob und etwas an dessen Hemd rupfte. "Seto...", flüsterte er kaum hörbar, "... rette mich." "Schaut, da ist wieder der Waschbär!" Kaiba blähte die Wangen auf, doch eine halsbrecherische Rettung war nicht mehr nötig, denn in dieser Sekunde begann das Ending. Der Film war vorbei und das Grauen fand sein Ende. Joey atmete erleichtert durch und Mokuba wandte sich aufgeregt an ihn. "Und?", juchzte er. "War das nicht herrlich?" "Mm-mm." Joey nickte, doch das schien Mokuba nicht zu genügen. Er sprang auf und stemmte die Hände in die Hüften. "Hat es dir echt gefallen?" Der Blonde blieb faul liegen. "Ja, war toll." "Hey!" Mokuba lachte laut... und warf sich lachend auf ihn. Kaiba hatte versucht, ihn abzufangen, doch er reagierte nicht schnell genug und so lag Mokuba kurz darauf quer auf Joeys Rücken und rüttelte an dem Blonden. Dessen Miene hatte sich augenblicklich verspannt. Flüchtig schlossen sich seine Augen, während seine Finger sich in das Laken klammerten. "Joey, komm schon!" Mokuba wollte kempeln, doch plötzlich griffen zwei Hände unter seine Arme und er wurde von dem Blonden hinunter gehoben. "Aber Seto!", quengelte der Junge, als er etwas zurückgesetzt wurde und Joey atmete tief durch, bevor er sich aufrichtete und vom Bett schob. "Du kannst ein andermal mit ihm kempeln, okay?" Kaiba tätschelte seinen kleinen Bruder. "Warum?" Sofort war der Junge ganz Ohr und sah Joey nach, der etwas geknickt zur Tür schlenderte und kurz winkte, bevor er den Raum verließ. "Was ist denn mit ihm?" Kaiba griff in der Zwischenzeit nach dem Mantel. "Er fühlt sich eben nicht wohl", antwortete er gelassen. "Das musst du auch mal akzeptieren." Somit schenkte er dem Kleinen ein knappes Grinsen und steuerte ebenfalls auf die Tür zu. Mokuba sah ihm nach. "Und was macht ihr jetzt?", rief er. "Wir...", Kaiba griff nach der Klinke, "... üben uns in der Mathematik. Möchtest du mitmachen?" "Igitt." Darauf hatte Mokuba keine Lust. Er warf sich auf das Bett zurück und rollte sich von einer Seite zur anderen, wobei er die Decke mit sich zog. "Dann schau ich noch einen Film!" "Ja, mach das", schmunzelnd verließ Kaiba das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Joey hatte sich nicht weit entfernt vor einen der besagten Vasenständer gehockt und kratzte an dessen Oberfläche. Dann drehte er das Gesicht zu Seto. "Und was machen wir jetzt?" "Wir ziehen uns zurück und genießen die Ruhe." Kaiba lächelte ihm zu, drehte sich um und winkte ihn mit sich. "Na komm." Diese Idee schien Joey besser zu gefallen als die Sache mit dem tollen Film. Ohne lange zu zögern, kam er auf die Beine, streckte sich ausgiebig und folgte Kaiba zum Arbeitsraum, in dem man besser entspannen konnte, als in dem Privaten. Durchaus etwas müde, schob er sich durch den Türrahmen, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür und schloss sie. Kaiba hatte den Mantel auf den nächstbesten Stuhl geworfen und sich zu einem der Schränke begeben. In diesem wühlte er und Joey stieß sich ab. Wieder streckte er die Arme von sich, rollte verspannt mit dem Kopf und warf sich letztendlich auf eines der Sofas. Gemütlich rutschte er in die Kissen und zog die Füße zu sich auf das Polster. Anschließend sah er sich trübe um und schloss die Augen. Er vernahm leise Schritte und spürte, wie Kaiba sich neben ihn setzte, hörte, wie ein Feuerzeuge klickte und da blinzelte er und lugte zur Seite. Mit einer Zigarette lehnte sich Kaiba zurück, legte die Füße auf dem Tisch ab und räkelte sich kurz. Er beobachtete ihn eine Weile, bevor er sich träge aufrichtete, näher an ihn heranrutschte und dabei ein Kissen mit sich zog. Kaiba hob etwas die Arme, als dieses auf seinem Schoss abgelegt wurde. Dann bettete Joey den Kopf auf dem weichen Stoff, atmete tief durch und schloss wieder die Augen. Ein sanftes Lächeln zeichnete sich auf Kaibas Lippen ab, als er die Arme wieder sinken ließ, den Rechten vorsichtig über Joeys Schulter legte und mit der anderen zärtlich durch dessen Haar fuhr. So schien sich Joey wohl zu fühlen und eine lange Zeit verharrten sie annähernd reglos. Nur Kaiba nahm hin und wieder einen Zug, während Joey den Anschein erweckte, zu schlafen. Zufrieden rümpfte der Blonde die Nase, zog die Arme unter den Leib und genoss die zärtliche Streicheleinheit. Lange blieb er dort liegen und nahm alsbald ein merkwürdiges Geräusch wahr. Es war wie ein leises Kratzen auf dem Laminat Fußboden. Nicht darauf achtend, blieb er liegen und auch Kaiba ließ sich nicht stören. Sein Hinterkopf verblieb gemütlich auf dem Polster der Rückenlehne, die blauen Augen hafteten ruhig auf der Decke. Doch bald ertönte das Kratzen wieder und in der völligen Stille, die in dem Zimmer herrschte, war es sehr auffällig. Endlich öffnete Joey die Augen einen Spalt weit und sah sich faul um. Und das leise Kratzen hielt an. Es war merkwürdig. So ein Geräusch hatte Joey noch nie gehört. Er lauschte noch kurz, schloss die Augen erneut und wartete, bis es erneut ertönte. Dann rappelte er sich auf Kaibas Schoss etwas auf, stützte die Ellbogen auf das Kissen und sah sich aufmerksam um. "Was ist das?", murmelte er kurz darauf und runzelte die Stirn. "Hm?" Kaiba hob den Kopf und drückte die Zigarette im Aschenbecher aus, der direkt neben ihm stand. "Da ist irgendwas", war sich Joey sicher, als er die Gegend musterte. "Was soll da sein?", antwortete Kaiba nur. "Keine Ahnung." Joey kratzte sich an der Wange. "Irgendwas." "Aha." Weiterhin ertönten die Geräusche, weiterhin suchte Joey nach der Quelle... Und erst nach wenigen weiteren Minuten fand er sie. Seine Pupillen fixierten sich auf einen bestimmten Punkt, seine Augen weiteten sich und lange starrte er auf eine gewisse Stelle. Kaiba betrachtete sich wieder die Decke des Zimmers und spürte bald, wie sich Joey zu regen begann. Da linste er nach unten. Joey rückte an der Brille, nahm sie ab und besah sie sich. "Was zur Hölle hat mir Johnson da angedreht?" "Hm?" "Ist das ne Brille, die Halluzinationen hervorruft?", rätselte Joey weiter und setzte sie wieder auf. "Warum?" Daraufhin sah der Blonde ihn irgendwie säuerlich an, rümpfte die Nase und atmete tief ein. Plötzlich hob er die Hand und zeigte unter den Glastisch. "Da hockt ein kleiner Hund! Siehst du den auch? Da, unter dem Tisch!" Endlich richtete sich Kaiba auf. Doch sehr überrascht schien er nicht zu sein. Unbeeindruckt verfolgte er, wie der pechschwarze Welpe versuchte, nach dem eigenen Schwanz zu schnappen, sich im Kreis drehte, auf dem Laminat ausrutschte und tollpatschig zur Seite kippte. "Ach der." "Wie? Was?" Jetzt wurde es Joey zu bunt. Langsam hockte er sich hin und starrte auf das Hündchen, welches, noch etwas wacklig auf den Beinen, direkten Kurs auf ihn nahm. Es dackelte näher, wobei seine Pfötchen stets etwas zur Seite rutschten, das kleine Schwänzchen jedoch stets in Bewegung blieb. Starr vor Schreck hockte Joey da und Kaibas Pupillen richteten sich versteckt auf ihn. Bald hatte der Welpe das Sofa erreicht, stemmte die Vorderpfoten gegen das Polster und rutschte mit den Hinteren zurück, worauf er wieder auf dem Bauch lag und sich etwas unbeholfen aufrappelte. "Man." Mit großen Augen starrte Joey es an und Kaiba klemmte sich die nächste Zigarette zwischen die Lippen. Als ein leises Fiepen ertönte, erwachte auch Joey endlich wieder zum Leben. Zögerlich rutschte er zur Kante des Sofas, beugte sich hinab und fasste den Welpen vorsichtig. Langsam hob er ihn hoch und hielt ihn direkt vor dem Gesicht, um ihn besser anstarren zu können. Verwirrt verzog er die Augenbrauen, während der Kleine zu strampeln begann. Dann lugte er zu Kaiba, der ihm endlich mal eine Erklärung schuldig war. "Ich dachte", der Brünette zündete die Zigarette an, "dass dir ein treuer Begleiter gut tun könnte. Immerhin habe ich nicht ständig Zeit für dich." Wieder weiteten sich Joeys Augen und als der Welpe leise japste, nahm er ihn vorsichtig auf den Arm. Unentschlossen hob er dann die andere Hand und streichelte dem Hündchen über den Kopf, worauf dieses ihn neugierig beschnupperte. Und kurz darauf trafen sich ihre Blicke erneut. Joey wirkte nahezu entrüstet, als er ein schweres Schlucken hinunterwürgte und die Lippen aufeinander presste. "Er... gehört mir...?" "Mm-mm." Kaiba nahm einen langen Zug. "Natürlich nur, wenn du es willst." "Aber...", Joey fand keine Worte, als er sich den Welpen wieder betrachtete. Dieser hatte ein herrlich schwarzes, weiches Fell und ein feuchtes Näschen, mit dem er Joeys Hals kitzelte, "... ja... aber..." "Wenn du ihn nicht mit nach Hause nehmen kannst, dann kommt er eben hier unter", begann Kaiba entspannt zu erklären. "Für die nötigen Dinge werde ich aufkommen, immerhin ist es ein Geschenk." Der Blonde wusste nicht, was er sagen sollte. Schweigend zupfte er an den kleinen Ohren und besah sich die braunen Augen, die ihn neugierig musterten. Kurz darauf spürte er die raue Zunge an seinem Hals und lehnte sich etwas zurück. ~*To be continued*~ Kapitel 22: Die Ruhe vor dem Sturm ---------------------------------- Langsam schob sich Joey durch den Türspalt und verließ so das Haus. Er trug das Hündchen auf dem Arm, als er die Treppen zum Schotterplatz hinab stieg. Der Welpe war in ständiger Bewegung, japste, schlapperte oder gab noch andere, äußerst merkwürdige Geräusche von sich. Joey hielt ihn vorsichtig, raffte ihn etwas höher und spürte sogleich die raue Zunge an seinem Hals. Er verzog etwas die Miene und reckte den Kopf zurück, worauf der Welpe nach seinem Shirt schnappte und etwas daran zerrte. >Oh man.< Gemächlich betrat er die riesige Wiese. >Ich glaub´s nicht.< Stirnrunzelnd starrte er auf die braunen Knopfaugen, blieb stehen und hockte sich gemütlich in das Gras. Den Welpen setzte er vor sich zwischen die dünnen Halme und sofort begann der kleine Hund zu schnuppern und umher zu tapsen. Joey streckte die Beine von sich und sah ihm nach. >Ganz schön mutig von Seto... und noch mutiger von mir, dass ich ihn angenommen habe, obwohl mir bei Hunden jegliches Wissen fehlt!< Er blähte die Wangen auf und als der Welpe begann, spielerisch nach den Halmen zu schnappen, ließ er sich zurückfallen. Unter einem leisen Seufzen streckte er die Arme von sich und schloss die Augen. >Ist lange her, dass ich so herumlag.< Neben ihm ertönte ein leises Knurren und er linste faul zur Seite. Aufgeregt sprang der Welpe um einen Grashüpfer herum. Joey beobachtete ihn noch eine Weile aus den Augenwinkeln. Was für ein göttlicher Anblick. Er blinzelte. Und doch... ihm war nicht nach grinsen zumute. Seine Miene verblieb ausdruckslos, während das Hündchen mit seiner kleinen Pfote nach dem grausamen Gegner tatschte und erschrocken zurück kullerte, als dieser zur Seite sprang. Nach kurzer Zeit richteten sich die braunen Pupillen wieder auf den Himmel, verfolgten die langsame Wanderung der Wolken. >Ich weiß überhaupt nicht, wie ich mich fühlen soll, bin hin- und hergerissen zwischen meinen Empfindungen. Soll ich fröhlich sein? Fröhlich, weil ich mich ausgesprochen habe und sich Seto so liebevoll um mich kümmert? Oder soll ich schweigen und mich vor jedem Lächeln scheuen? Soll ich mich in Dankbarkeit üben, mich auf andere konzentrieren? Langsam rollte er sich zur Seite, presste die Arme gegen den Leib und atmete tief durch. Wieder richteten sich seine Augen auf den Welpen. Doch sie sahen nicht ihn, nein, sie wirkten abwesend, als er langsam blinzelte. >Leben... was bedeutet das eigentlich für mich? Was verstehe ich zur Zeit darunter?< Kaiba stieß sich etwas ab, rollte mit dem gepolsterten Stuhl etwas zurück und begann in dem Regal zu suchen. Konzentriert tasteten sich seine Finger über die Bücherrücken, die Augen verengten sich kurz und dann griff er nach einem Buch, zog es heraus und begann darin zu blättern. Vor knapp einer halben Stunde war Joey mit seinem neuen Freund hinausgegangen. Kaiba war sich sicher, dass er sich etwas mit dem Hund beschäftigte und so auf andere Gedanken kam. Außerdem... Plötzlich flog die Tür seines Zimmers auf und er erschrak so sehr, dass er das Buch fallen ließ. Herein sprang ein aufgeregter kleiner Junge, der wild mit den Händen fuchtelte. "Seto! Seto!", rief er, während sich dieser stöhnend nach dem Buch bückte. "Wo ist Joey?! Ich muss ihm was zeigen!" Erschöpft legte Kaiba das Buch auf den Tisch und lehnte sich zurück. "Hast du ihn schon gesucht?" "Nö." "Und warum kannst du das nicht tun, bevor du zu mir kommst?" "Keine Ahnung." Wieder stöhnte Kaiba und wandte sich dem Computer zu. "Er ist im Garten." "Ah ja?" Sofort flitzte Mokuba zu den großen Fenstern, drückte das Gesicht gegen die Scheibe und sah nach draußen. Kaiba begann in der Zwischenzeit wieder zu blättern und der Junge drehte das Gesicht von einer Seite zur anderen, bevor er die Stirn runzelte und sich an seinen Bruder wandte. "Da ist er aber nicht." Kaiba verdrehte die Augen. "Dann ist er eben auf der anderen Seite." "Ich gucke mal." Mokuba flitzte raus und Kaiba blätterte. "Ja, guck mal", murmelte er gelangweilt, als der Kleine aus dem Raum verschwand. Nach wenigen Sekunden schien er fündig geworden zu sein, legte das Buch aufgeschlagen neben sich und begann zu tippen. Gerade wollte er sich wieder in die Arbeit vertiefen, da ertönten wieder schnelle Schritte und Mokuba sprang wieder in den Raum, worauf Kaiba etwas in sich zusammensackte. "Er ist auch nicht drüben." Kaiba rümpfte die Nase. "Und hinten ist er auch nicht", mäkelte Mokuba weiter. "Dann weiß ich auch nicht, wo er sich herumtreibt." Nach einem kurzen Blick zu dem Buch, tippte Kaiba weiter. "Was ist, wenn er das Gelände verlassen hat?" "Dann ist er weg", murmelte Kaiba beschäftigt. "Und wo ist er?", hakte Mokuba hartnäckig nach. "Woher soll ich das wissen." "Machst du dir denn keine Sorgen?" Mokuba lege den Kopf schief und sein Bruder blähte die Wangen auf. "Warum sollte ich? Er ist alt genug, um alleine herumzulaufen." "Ja, aber..." "Mo-ku-ba...? Langsam blickte Kaiba auf und fixierte den Kleinen freundlich. "Höh?" "Geh spielen." "Ja, aber Joey..." "Dem kannst du etwas zeigen, wenn er irgendwann wiederkommt." "Pöh, na meinetwegen." Mokuba hob beleidigt die Nase, drehte sich um und stolzierte aus dem Raum. Es war ein herrliches Gefühl, als die Tür endlich zuknallte und nach einem lauten Meckern, welches aus dem Flur drang, wieder Ruhe einkehrte. Kaiba atmete tief durch, rollte verspannt mit dem Kopf und tippte weiter. >Wenn sich Joseph nach Ruhe sehnt, dann soll er sie auch bekommen. Es ist ja wohl nicht nötig, ihm nachzurennen, sobald er verschwindet.< Ja, verschwunden blieb Joey auch weitere Stunden und Mokuba war doch sehr überrascht von der Ruhe seines großen Bruders. Eigentlich war es so, dass sich dieser Sorgen machte, sobald er nicht wusste, wo sich dieser befand. Doch diesmal war er die Ruhe in Person und machte nicht den Anschein, als würde ihn irgendwas beschäftigen. Jedenfalls saß er nur in seinem Büro und arbeitete am Computer. Dann, als sich Mokuba wieder getraute, ihn zu stören, lag er bequem auf dem Sofa und las in einem Buch. Und mit diesem Buch war er so beschäftigt, dass er es erst sinken ließ, als Mokuba sich auf ihn warf. "Seto!" "Mm." Der Brünette senkte den Kopf und starrte in zwei große Augen, die ihn etwas trotzig anstarrten. "Es wird schon dunkel!" Nur flüchtig wanderten die blauen Augen zur Seite. Und wirklich, vor den großen Fenstern lag bereits die Dämmerung. Er bedachte diese Tatsache jedoch nur mit einem knappen Schulterzucken. "Das liegt daran, dass die Sonne untergeht." "Das weiß ich doch selber!" Mokuba blähte die Wangen auf. "Aber Joey ist immer noch nicht zurück." "Mm." Kaiba rümpfte die Nase und legte das Buch zur Seite. "Wollen wir ihn nicht suchen gehen?" Und endlich richtete sich Kaiba auf. Mokuba rutschte zurück und blieb auf seinen Beinen sitzen, ruppig die Arme verschränkend. Gemächlich legte Kaiba das Buch zur Seite, rieb sich etwas verspannt den Nacken und nickte. "Gut, gut." "Suchen wir ihn?" Sofort erhellte sich Mokubas Miene... doch Kaiba schüttelte den Kopf. "Nein, geh mal runter." Verwirrt begann sich Mokuba zu regen und schob sich auf den Boden zurück, wo er sogleich aufsprang. "Wir suchen ihn nicht?", rief er empört und Kaiba kam auf die Beine. "Nein, ich suche ihn nicht, ich hole ihn ab." "Aber du hast doch gesagt, du weißt nicht, wo er ist." "Mehr oder weniger." Kaiba wackelte einschätzend mit dem Kopf, strich sich kurz das Hemd zurecht und schlenderte davon. Mokuba folgte ihm angespannt. "Kann ich nicht mitkommen?" "Nein, nein." Kaiba grinste ihn flüchtig an. "Gib mir eine halbe Stunde, okay?" "Aber..." "Okay?" Mokuba wurde langsamer, blieb stehen und blähte die Wangen auf. "Ja gut." Als er die Tür erreichte, schlüpfte er in den dünnen Mantel und machte sich auf den Weg zur Tiefgarage. Nur wenige Minuten später rollte der Maybach den breiten Schotterweg hinab, passierte das Tor und fuhr davon. Scheinbar mit einem direkten Ziel vor Augen, fuhr er direkt in die Stadt. Entspannt saß Kaiba hinter dem Steuer, sah sich hin und wieder um und brannte sich eine Zigarette an, als er den Wagen vor einer Ampel zum Stehen brachte. Er zog die Nase hoch, rümpfte sie kurz und begann einen langsamen Takt auf dem Steuerrad zu trommeln. Nach wenigen Minuten erreichte er dann eine vertraute Gegend und bog in eine kleine Nebenstraße ein, wo er den Wagen parkte und gemächlich ausstieg. Die Zigarette zwischen den Lippen, verriegelte er die Türen, ließ den Schlüssel in der Hosentasche verschwinden und schlenderte los. In langsamen Schritten ließ er die kleine Nebenstraße und betrat den kleinen Park über einen breiten Weg. Er nahm noch einen Zug, sah sich kurz um und hörte schon das verspielte Japsen eines Hundes. Nach wenigen Metern erreichte er dann jenen Spielplatz, auf den sich Joey stets zurückzog, wenn er seine Ruhe brauchte. Kaiba wirkte nicht sehr überrascht, ihn hier wirklich anzutreffen. Etwas zusammengesunken kauerte der Blonde am Rand des Sandkastens, hatte die Ellbogen über die Knie gelegt und bewegte die lange Kordel seines Pullovers in der Luft. Der kleine Hund sprang übermütig umher und versuchte nach dieser zu schnappen, während der Blonde beinahe reglos verblieb. Kaiba musterte ihn nur flüchtig, näherte sich und blieb knapp neben ihm stehen, um sich umzuschauen. Er besah sich das verlassene Klettergerüst, die Rutsche, die Schaukel... trat die Zigarette auf dem Boden aus und ließ sich bequem neben Joey nieder, der ihn zwar bemerkt, bisher jedoch nicht beachtet hatte. Gelassen streckte Kaiba die Beine aus, stützte sich hinterrücks ab und atmete tief durch. Der Welpe purzelte zur Seite, rappelte sich tollpatschig auf und versuchte die Kordel mit den Pfötchen zu erwischen, worauf er auf dem Bauch landete und merkwürdig quietschte. Kaiba verfolgte das Geschehen, legte den Hinterkopf in den Nacken und blickte zum Himmel auf. Und in dieser Sekunde ließ Joey die Kordel fallen, beugte sich etwas nach vorn und hob den kleinen Hund vorsichtig hoch. Fürsorglich nahm er ihn auf den Schoss, schloss ihn in die Arme und begann ihn zärtlich zu kraulen. "Weißt du, was mir heute bewusst wurde?", vernahm Kaiba sein leises Flüstern. Dennoch regte er sich nicht, antwortete nicht einmal und der Blonde atmete tief durch, während seine Augen melancholisch auf den Welpen gerichtet blieben, der sich genüsslich gegen seine Hand schmiegte. "Mein Leben ist mir völlig aus den Händen geglitten." Joey sprach leise, wirkte sehr niedergeschlagen. "Durch all das... ich gehe nicht zur Schule, ich arbeite nicht, sitze nur herum und weiß nicht einmal, wie ich mich fühlen soll. Alles ist durcheinander und ich bin verwirrt." Kaiba blinzelte, besah sich den dämmernden Himmel und schwieg. Wieder ertönte neben ihm ein leises Seufzen. "Es ist so viel dazwischen gekommen. Immer wieder bin ich nicht zur Schule gegangen, immer wieder verlor ich das Ziel vor Augen und jetzt fehlt mir völlig die Richtung. Ich weiß nicht, was wir zuletzt in der Schule hatten, was ich werden will, was ich mir wünsche oder wovon ich träume. Seto...", ein schweres Schlucken unterbrach ihn, "... ich weiß nicht einmal, wer ich bin! Bin ich entschlossen? Oder ängstlich? Bin ich bis in mein Inneres verunsichert oder existiert da trotzdem noch eine Festigkeit? Wie war ich früher? Was habe ich mir vorgenommen? Was habe ich gedacht? Wie habe ich gefühlt?" Joey senkte den Kopf, hob den Welpen höher und umarmte ihn fest, um das Gesicht an das weiche Fell zu schmiegen. "Es ist, als würde ich unter einer Amnesie leiden... es ist einfach alles weg. In meinem Kopf herrscht ein einziges Wirrwarr. Ich schlafe, ich wache auf, mache irgendetwas und verliere währenddessen keinen einzigen Gedanken, weil ich dazu kaum imstande bin." An Kaibas Lippen zog ein leichtes Schmunzeln, während Joey wieder seufzte. "Ich weiß einfach nicht weiter." Somit schwieg der Blonde und begann den Welpen wieder zu streicheln. Kaiba atmete tief durch, das Lächeln vertiefte sich und dann richtete er sich auf. "Was hast du denn erwartet, Joseph?" Der Blonde hob etwas das Gesicht und lugte zu ihm. "Hast du gedacht, das alles ginge so einfach vorbei? Noch dazu ohne Folgen?" "Im Mut machen bist du unschlagbar", murmelte Joey und wandte sich wieder dem Hund zu. "Nein, hör mal." Kaiba räusperte sich völlig entspannt. "Du musst einfach mal versuchen, das Positive in dem Geschehen zu entdecken." "Was gibt es Positives an so etwas", brummte Joey, doch da lachte Kaiba und brachte den Blonden völlig aus dem Konzept. Er richtete sich auf und starrte ihn säuerlich an. "Warum lachst du jetzt! Hier geht es um eine ernste Sache!" "Das ist mir völlig klar." Kaiba fuchtelte mit der Hand und wandte sich ihm zu. "Was ist das Beste, was du jetzt tun kannst, hm?" "Heulen." "Falsch geraten", enttäuscht legte Kaiba den Kopf schief und Joey schnitt eine Grimasse, fühlte sich nicht ernst genommen. "Denk mal richtig nach. Wozu bist du jetzt nach alledem bereit? Was kannst du tun?" "Jammern." "Einen Neuanfang wagen", flüsterte Kaiba. "Wa...", Joey hielt in den Bewegungen inne und der Hund begann auf seinem Pullover zu kauen. Stockend drehte er das Gesicht zu Kaiba und sah aus, als würde er nun überhaupt nichts mehr verstehen. "Es ist doch einfach", seufzte Kaiba. "Stell dir vor, du bist am Nullpunkt angelangt. Und ich verstehe deine Gefühle, deine Unsicherheit. Aber das ist normal, nichts, was dir Sorgen bereiten müsste. Orientiere dich neu, stell dir vor, wie du werden willst, worauf du stolz wärst, was du toll fändest. Dann orientiere dich in diese Richtung, setze dir ein Ziel und versuche dieses zu erreichen. Such dir zwei Ziele. Ein Ziel für dich selbst, für dein Wesen, deinen Körper, deinen Charakter. Und ein weiteres Ziel... das Ziel deines Lebens. Und...", Kaiba senkte die Lider, während Joey ihn noch immer anstarrte, "... ich glaube, nein, ich weiß, dass du die Kraft besitzt, um deine Ziele auch zu erreichen." "Glaub ich nicht." Joey kratzte sich an der Nase und wandte sich nach vorn, während das Hündchen die Kordel mit dem Maul zu fassen bekam und an dieser zerrte. "Wo du gerade davon sprichst." Kaiba tastete in seiner Hosentasche. "Genau das ist es, was du nicht tun solltest. Du musst daran glauben." Er brummte leise und fügte flüsternd hinzu: "Jetzt rede ich schon wie Muto." Somit zog er eine neue Zigarette hervor und Joey rümpfte die Nase, als er das bemerkte. "Also, erzähl mal." Kaiba zückte ein Feuerzeug. "Wie wärst du gern im Verlauf deines weiteren Lebens." "Ich wäre? Nein, ich WERDE ein armer Krüppel, der Medikamente schluckt und nach zwei Metern zu Fuß einen Herzkasper kriegt." Kaiba überhörte diese Worte, entzündete den Tabak und setzte sich gemütlicher. "Wärst du gern stark? Innerlich wie auch körperlich?" Joey zog dem Hündchen die Kordel aus der Schnauze und setzte es in den Sand zurück, wo sich dieses sogleich suhlte. "Klingt gut." "Würdest du in gefährlichen Situationen nicht auch einen kühlen Kopf bewahren wollen?" "Warum nicht", murmelte Joey lustlos. "Würdest du nicht auch gerne Erfolge im schulischen Bereich genießen?" Joey grinste. "Okay, jetzt wirst du unrealistisch." "Würdest du?", hakte Kaiba ungestört nach. "Wenn ein Intelligenzmittel erfunden wird, klar?" "Wärst du gern heiter?" "Warum nicht?" "Ernstzunehmend?" "Klar." "Na dann?" Plötzlich kam Kaiba auf die Beine und strich sich die Hose sauber. "Da hast du schon deine Ziele, gern geschehen." Joey starrte ihn verwirrt an, während sich der Hund den Sand schmecken ließ. Und da Joey noch eine Weile brauchen würde, um die Fähigkeit des Sprechens zurückzuerlangen, beobachtete Kaiba den Welpen. "Na komm, wir müssen ihm noch Futter kaufen, bevor die Läden schließen." Er lugte zu Joey, aber dieser regte sich nicht. Er hob die Augenbrauen. "Auf auf, worauf wartest du?" Endlich setzte sich Joey in Bewegung. Er murmelte etwas Undeutliches, runzelte die Stirn und erhob sich. Er murmelte immer noch, als er den Welpen hochhob und auf den Arm nahm. Dann zog er an Kaiba vorbei. "Rauch nicht soviel", hörte dieser ihn brummen, bevor er losging. Wie gesagt, taten sie noch einige Besorgungen, bevor sie sich auf den Nachhauseweg machten. Nun, eigentlich wurde ein gezwungener Großeinkauf daraus, da die Köche erst am morgigen Tag wieder ihren Dienst antraten und sie sich immerhin nicht von dem Hundefutter ernähren konnten. Wieder im Hause Kaiba angelangt, wurde Joey sofort von Mokuba überfallen, der jedoch mehr auf den kleinen Hund aus war, als auf ihn. Überrascht und völlig hysterisch vor Freude, presste er das wehrlose Tier an sich und schleppte es zur Küche, in der sie sich trafen. Und endlich war ein ordentlichen Abendessen möglich, denn Joey war da und erklärte sich bereit, das zu übernehmen. Kaiba war ihm etwas behilflich und Mokuba hockte neben dem Hündchen, welches mit Fressen beschäftigt war. Und er stupste es solange mit dem Zeigefinger in die Seite, bis es genervt an seiner Hose rupfte. Während sie dann aßen, brach die völlige Dunkelheit über Domino herein und nachdem Mokuba früh ins Bett gegangen war und der Hund in einem unbenutzten Raum auf einem spontan zusammengestellten Lager schlief, saßen Joey und Kaiba in dessen Zimmer. Sie hatten sich dort auf dem etwas kleineren Sofa niedergelassen und genossen einen herrlichen Rotwein. Kaiba hatte die Beine zurückgestreckt, während Joey schräg neben ihm saß und sich mit dem Rücken an seine Schulter lehnte. Sie schwiegen, nippten an ihren Gläsern und gingen ihren Gedanken nach. Das Zimmer lag in einem angenehmen Halbdunkel, die hohen Stehlampen spendeten sanftes Licht und so herrschte eine beruhigende Atmosphäre. Seit einer halben Stunde saßen sie nun schon schweigend dort und dann begann sich Joey zu regen. Langsam drehte er sich nach vorn, stellte das Rotweinglas auf dem flachen Tisch ab und wandte sich zögerlich an Kaiba. Vorerst sagte er nichts, presste die Lippen aufeinander und schien zu grübeln. Kaiba fiel dies nicht auf, da er vor kurzer Zeit die Augen geschlossen hatte, um die Stille vollends auszukosten. Weitere Minuten hielt diese an, bevor sie gebrochen wurde. Joey räusperte sich leise, kratzte sich an der Wange und so öffnete der Brünette die Augen einen Spalt weit und sah ihn an. "Hm?" Joey atmete tief durch, räusperte sich erneut und wirkte plötzlich etwas nervös. Er rollte auch mit den Schultern, schnappte erneut nach Luft und legte die Hand zurückhaltend auf Kaibas Oberschenkel ab. "Ähm... Seto...?" Er flüsterte nur. "Was hast du?", erkundigte sich dieser ebenso leise und Joey entfloh seinem Blick, rutschte kurz umher und brauchte lange, um den Augenkontakt wieder zu wagen. Diesmal jedoch, sah er ihn direkt an. "Wollen wir es tun?" Kaiba öffnete die Augen weiter und hob das Glas zum Mund. "Was tun." "Das, woran du gerade denkst", murrte Joey. Den Blick fest auf ihn fixiert, ließ Kaiba das Glas sinken und richtete sich etwas auf. Er wirkte überaus überrascht, als er in kurzes Grübeln verfiel und das Glas dann ebenfalls abstellte. Joey verfolgte eine jede seiner Bewegungen aufmerksam, wartete etwas angespannt auf die Antwort. Und die bekam er. "Bist du dir da sicher?", fragte Kaiba skeptisch und er biss sich auf die Unterlippe, zögerte kurz und brachte alsbald ein langsames Nicken hervor. Eine zurückhaltende Freude breitete sich in Kaiba aus, als er diese Geste wahrnahm. Natürlich hatte er sich nach Dingen dieser Art gesehnt, sie jedoch rücksichtsvoll unterlassen. Und nun? Seine hellen Lippen verzogen sich zu einem sanften Lächeln, bevor er langsam die Hand hob, den Zeigefinger auf seine Stirn setzte und bedächtig mit ihm bis zu der Schläfe fuhr, wobei sie einige blonde Strähnen mit sich nahm und hinter das Ohr klemmte. Joey wich vor diesen Berührungen nicht zurück. Scheinbar entspannt blieb er sitzen, senkte etwas den Kopf und erwiderte das Lächeln. Kaiba glaubte auch einen leichten Gegendruck zu spüren, als er die Hand weiter über seinen Hals gleiten ließ und letztendlich auf dem Nacken ablegte. Joey hatte sich etwas gegen sie geschmiegt, blinzelte und richtete den Blick ruhig auf den Boden. Es fiel Kaiba schwer, sich zurückzuhalten, nun, da ihm eine solche Möglichkeit offen stand. Mit aller Kraft klammerte er sich an die Geduld, als er etwas näher rückte, auch die andere Hand hob und vorsichtig nach dem dünnen Gestell der Brille tastete. Langsam zog er sie von Joeys Nase, legte sie beiläufig auf dem Polster des Sofas ab und postierte beide Hände zu beiden Seiten des zarten Halses. Joey klemmte die Unterlippe zwischen die Zähne, blinzelte zur Seite und hob das Gesicht, als ihn ein sanfter Druck der Daumen dazu zwang. Langsam sah er auf... und ihre Blicke trafen aufeinander. Gleichzeitig trafen die braunen auf die blauen Pupillen und eine knappe einseitige Musterung begann. Während Joey ihn nur ansah, betrachtete sich Kaiba seine Augen genau. Währenddessen näherte er sich seinem Gesicht und hielt dennoch inne. Aus einem Grund, der ihm bislang unbewusst war, stoppte er. Es war, als würde sich sein Körper selbstständig machen. Er selbst wollte sich Joey weiterhin nähern, ihn endlich wieder küssen. Und doch... Er bewegte sich nicht, seine Hände rührten sich nicht und seine Augenbrauen verzogen sich etwas, als er auf die braunen Augen starrte. Etwas lag in ihnen... Ein Ausdruck, den er noch nie zuvor gesehen hatte, etwas Unbeschreibliches... Irgendetwas stimmte nicht mit diesen Augen. Kaiba blinzelte und während er auch weiterhin zögerte, befiel ihn ein mulmiges Gefühl. Er konnte nicht definieren, was ihn verunsicherte, er wusste es nicht zu erklären. Nur eines wusste er: In ihm existierte ein Wunsch, ja, beinahe ein Drang. Wie lange hatte er diese Lippen nicht mehr auf den eigenen gespürt? Wie lange war es nur her? Einen Monat? Er zog die Nase hoch, presste die Lippen aufeinander und schüttelte knapp den Kopf, um diese wirren Gedanken zu verdrängen. Er musste es einfach tun und da Joey nicht zurückwich und ihn selbst darauf angesprochen hatte, schien es nichts zu geben, was dem im Wege stand. Er zwang sich, all die Grübeleien abzustellen, setzte sich wieder in Bewegung und ließ die wenigen restlichen Zentimeter hinter sich. Eine kühle, jedoch sehr angenehme Gänsehaut zog sich über seinen Rücken, als er Joeys Atem spürte, wie er sanft über sein Gesicht glitt. Langsam sanken ihre Lider hinab, langsam legte Kaiba den Kopf schief und als wäre es ihr erster Kuss, trafen sich ihre Lippen. Zögerlich berührten sie sich und beide spürten das leichte Kitzeln. Dazu bereit, diesen Moment soweit wie möglich auszukosten, schloss Kaiba die Augen. Kurz lösten sie sich voneinander. Joeys Lippen begannen sich zu bewegen. Es schien, als formten sie stumme Worte. Stockend begannen sich seine Hände zu bewegen. Sie glitten über das Polster und näherten sich Kaiba, der ihn erneut küsste. Diesmal jedoch länger und intensiver. Zärtlich berührten sich ihre Lippen und während sich die einen sogleich in den Kuss vertieften, sich in einem langsamen Rhythmus bewegten und die einen Lippen die anderen sanft bearbeiteten, verblieben diese vorerst reglos. Joey verspürte keinerlei Angst, als sich Kaibas Hände von seinem Hals entfernten und ihn zurückhaltend in eine wärmende Umarmung schlossen. Entspannt kauerte er auf der Sofalehne, hielt die Augen geschlossen und tastete sich zu Kaibas Hemd, in das er sich mit den Fingern hakte. Sanft legte Kaiba die Arme um seine Schultern, zog ihn etwas zu sich und spürte, wie Joey den Mund öffnete und somit auch die letzte Grenze aufhob. Ihre Zähne klackten aneinander, als Kaiba den Kopf etwas schiefer legte, sich genüsslich räkelte und vorsichtig in Joeys Mund eindrang. Und sobald er auf dessen Zunge traf, kam er in den Genuss des vertrauten Gefühls. Eine unbeschreibliche Freude durchflutete ihn, als er sich an den Blonden schmiegte, dessen Mund erkundschaftete und auf zärtliche Gegenwehr traf. Joeys Schultern hoben sich unter einem tiefen Atemzug, den er mit einem leisen Seufzen ausstieß. Währenddessen tasteten sich seine Hände etwas entschlossener weiter, hoben sich, schoben sich über Kaibas Rippen und legten sich um dessen Leib, womit er die Umarmung erwiderte. Ein Lächeln zeichnete sich auf Kaibas Lippen ab, als er Joey kurz Luft holen ließ und gleich darauf erneut nach ihm schnappte. Er kostete die Süße der Lippen aus, genoss die fremde Wärme und spürte dennoch, wie sich Joey alsbald zu regen begann. Er lockerte die Umarmung, löste sie und tastete mit einer Hand nach hinten. Die Andere fand ihren Platz auf Kaibas Nacken und dann lehnte er sich langsam zurück, den Brünetten mit sich ziehend, der gehorsam folgte. Joey legte sich gemütlich gegen eines der großen Kissen, winkelte ein Bein an und empfing Kaiba mit einer weiteren Umarmung, als sich dieser etwas zögerlich auf ihn legte, sich zurechtrückte und die rechte Hand sogleich unter seinen Rücken schob. Es war, als wäre nie etwas passiert, das Joey von alledem abhalten würde. Anfänglich hatte er sich zurückgehalten, doch nun schien er keinerlei Probleme damit zu haben, dass jemand auf ihm lag... ihn küsste. Erneut atmete er tief durch, spielte mit Kaibas Zunge und spürte, wie sich dessen Lippen bald zurückzogen. Seine Augen blieben geschlossen, als er den Kopf etwas zur Seite drehte und ein zärtlicher Kuss auf seiner Wange platziert wurde. Auch sein Herz schlug im gewohnten Takt, als sich Kaiba tiefer sinken ließ, sich zu seinem Hals vortastete und diesen behutsam bearbeitete. Mit den Händen hielt sich Kaiba jedoch zurück. Reglos verharrte die eine auf Joeys Rücken, während er sich mit der anderen etwas abstützte, um nicht mit gesamten Gewicht auf den Blonden zu liegen. Und er genoss es, ihm endlich, nach so langer Zeit, wieder so nahe sein zu dürfen. Jede Zärtlichkeit, zu der er fähig war, legte er in die Küsse, biss verspielt nach der Haut und schabte mit den Zähnen auf ihr. Ein triumphierendes Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab, als er Joey leise keuchen hörte, spürte, wie er sich genüsslich unter ihm räkelte und alsbald sogar das angewinkelte Bein über die Seinen legte. So wagte sich Kaiba weiter vor. Seine Hand löste sich von seinem Rücken, strich über die schlanken Seiten und höher zum Bauch. Er spürte, wie sich dieser unter schnellem Atem hob und senkte und begann ihn leicht zu streicheln, wobei er das Shirt allgemach höher zog. Ein knappes Grinsen zog an Joeys Mund, bevor er die Unterlippe zwischen die Zähne klemmte und leise brummte. Seine Hände suchten nach etwas, fanden zu den Kissen und klammerten sich in den seidigen Stoff. Nach einem knappen Blick zu seinem Gesicht, entfernte sich Kaiba von seinem Hals und rutschte noch tiefer. Einen schmalen Pfad aus Küssen ziehend, arbeitete er sich über den schlanken Bauch, schob das Shirt mit dem Kopf höher und erreichte die leichte Wölbung unter den Rippen. Sein Haar streifte die helle Haut des Blonden und während sich dessen Hände noch immer in den Kissen verbargen, schoben sich die anderen langsam über seinen Steiß, rührten das darunterliegende jedoch nicht an. Genüsslich atmete Kaiba den vertrauten Geruch ein, unter ihm räkelte sich der schlanke Leib und das Keuchen ertönte noch lauter, als er die Brust erreichte. Joeys Unterkiefer erzitterte, als er einen zärtlichen Biss an seinem Schlüsselbein spürte, als das gepflegte Haar sein Gesicht kitzelte. Schnell presste er die Lippen aufeinander, atmete durch die Nase und blinzelte kurz darauf. Sein Bauch hob sich unter einem lautlosen Seufzen. Mit geschlossenen Augen küsste Kaiba das Schlüsselbein entlang, schob sich durch den weiten Kragen des Shirts und erreichte wieder den Hals. Sein Zeigefinger umspielte Joeys Bauchnabel, strich behutsam am Bund der Hose entlang und kurz darauf legte sich die Hand erneut auf den Steiß, hob den Leib etwas an und presste ihn vorsichtig gegen den eigenen. Genüsslich schnappte er nach dem Ohrläppchen, bearbeitete es mit den Zähnen und platzierte auch einen Kuss auf der Wange. Er spürte, wie sich der Hals unter einem schweren Schlucken bewegte, langsam öffneten sich seine Augen. Seine Lippen entfernten sich von der Haut, mit der er gerade noch beschäftigt gewesen war. Er hielt inne, blieb über ihn gebeugt und machte dennoch keine Anstalten, weiterzumachen. Während Joey mit geschlossenen Augen keuchte und die Unterbrechung noch gar nicht bemerkt zu haben schien, betrachtete sich Kaiba sein Gesicht. Er studierte es genau, suchte nach einem verräterischen Ausdruck und senkte die Lider, als er diesen nicht fand. Joey schnappte nach Luft, ließ sich auf das Polster zurücksinken und öffnete nach wenigen Sekunden die Augen. Fragend richteten sich die Pupillen auf Kaiba, der sich leise räusperte und vor ihnen floh. Verwundert sah Joey, wie sich der Brünette durch das Haar fuhr und sich aufrichtete. "Was ist los?", erkundigte er sich nach kurzer Zeit und Kaiba schüttelte den Kopf, wirkte etwas irritiert. "Weißt du...", antwortete er, während er sich weiterhin von dem Blonden entfernte, von dem Sofa rutschte und auf die Beine kam, "... eigentlich bin ich gerade nicht in Stimmung... tut mir Leid." Die Augenbrauen des Blonden verzogen sich, bevor sich auch dieser aufrichtete und sich kurz das Shirt zurecht zog. "Hab ich irgendetwas falsch gemacht?" "Nein, nein", beteuerte Kaiba sofort und sah sich Stirnrunzelnd um. "Alles in Ordnung. Mir gehen zur Zeit nur viele Dinge durch den Kopf und außerdem...", er grübelte hastig, "... ich bin müde." "Ach so...?" Ein leiser Zweifel versteckte sich in Joeys Stimme, als er sich zurücklehnte und die Arme auf dem Bauch verschränkte. "Wir sollten schlafen gehen", beschloss Kaiba spontan und stützte die Hände in die Hüften. Er sah Joey wieder an und dieser erwiderte seinen Blick leicht verstört. "Und morgen sehen wir weiter, hm?" "Okay...?" "Kopf hoch." Kaiba lächelte und streifte mit der Hand die Wange des Blonden. "Es ist nicht deine Schuld. Ich muss nur..." "Weil mich ein Anderer berührt hat?" Joey starrte ihn an. Ein erschrockenes Zucken raste durch Kaibas Körper, als er etwas die Hand sinken ließ und mit ungläubigem Blick zurückstarrte. "Denkst du das wirklich...?" Er flüsterte nur und Joey ließ den Kopf sinken. Doch antworten tat er nicht und Kaiba war der Meinung, eine Diskussion wäre nicht nötig. Joey kannte ihn... musste die Antwort also selbst wissen. Lange sah Kaiba ihn noch an, bevor er die Hand erneut hob, sie flüchtig auf dem blonden Schopf ablegte und sich umdrehte. "Du kannst hier übernachten, ich gehe ins Gästezimmer." Somit machte er sich auf den Weg zur Tür. Hinter ihm ertönte kein Laut, als er nach der Klinke griff und sie öffnete. Im Türrahmen drehte er sich noch einmal zu ihm um, fuhr sich über die Stirn und seufzte leise. "Schlaf gut." Er fand die Kraft zu einem weiteren Lächeln. Dann schloss er die Tür, ließ die Hand von der Klinke rutschen und stand eine lange Zeit dort, bevor er zwei Schritte zur Seite machte, nach vorne sank und mit der Stirn an der Wand lehnte. Seine Miene verzog sich, seine Hände ballten sich und nach einem leisen Ächzen, begann er den Kopf zu schütteln. >Was ist mit seinen Augen!<, dachte er sich verkrampft. >Was ist mit ihnen, dass sie mir für einen kurzen Moment Angst eingejagt haben?! Das sind nicht die Augen, die ich kenne.< Langsam löste er sich, stützte matt die Hände in die Hüften und trottete davon. >Etwas liegt in ihnen, das mir gar nicht gefällt. Ich habe keine Ahnung, wie ich es mir erklären soll... hoffentlich denkt er jetzt nicht das Falsche. Aber unter diesen Umständen...?< Er brummte leise. >Wir sollten uns doch noch etwas Zeit lassen.< Im Stillen grübelnd und fluchend, erreichte er sein Arbeitszimmer, warf sich auf eines der Sofas und gönnte sich einen Drink, den er sich gedankenverloren schmecken ließ. Die Beine streckte er von sich, die Füße legte er auf den tiefen Glastisch und als er dann den Hinterkopf in den Nacken sinken ließ und zu der hoch liegenden Decke des Raumes aufblickte, da tauchte plötzlich ein Gedanke in seinem Kopf auf. Etwas, das er nie in Erwägung gezogen hatte, was sich heimlich eingeschlichen haben musste. Die eisblauen Pupillen verblieben starr auf einen unbedeutenden Punkt gerichtet, während er sich mit dem Gedanken auseinandersetzte. >Was ist...<, flüchtig befeuchtete die Zunge die Lippen, >... wenn Joseph etwas davongetragen hat...? Was ist, wenn seine sowieso instabile Psyche alledem nicht mehr stand hält? Schon gestern hat er sich irgendwie merkwürdig benommen. Einmal war er schweigsam, dann heiter und scheinbar glücklich... und anschließend zog er sich zurück. Und dann dieser undefinierbare Ausdruck in seinen Augen...< Er stöhnte laut, rieb sich die Stirn und richtete sich auf, um einen großen Schluck zu nehmen. >Vielleicht stimmt mit ihm etwas nicht, ohne dass er es weiß... verdammt, solchen pessimistischen Gedanken wollte ich eigentlich aus dem Weg gehen!< Sein Gesicht verzog sich verbittert, als er zum Tisch langte und die Zigarettenschachtel ergriff. >Auf der anderen Seite bin ich realistisch!< Träge zog er sich eine Zigarette und klemmte sie zwischen die Lippen. >Ich werde schauen, wie er sich verhält und mit ihm reden, sollte mir erneut etwas auffallen.< Lange blieb er dort sitzen, bevor ihn die Müdigkeit übermannte und er sich in das Gästezimmer zurückkehrte. Zuvor öffnete er jedoch vorsichtig die Tür des eigenen Zimmers und lugte hinein. Wie er es gehofft hatte, lag Joey in seinem Bett und schien zu schlafen. Jedenfalls regte er sich nicht, als er leise seinen Namen flüsterte. Als er sich dann selbst hingelegt hatte, kam er um weitere Gedanken nicht herum und setzte sich lange mit ihnen auseinander, bevor er einschlief. ~*To be continued*~ Kapitel 23: Richtungswechsel ---------------------------- Es kam nicht oft vor, dass er träumte. Er war an einen ruhigen Schlaf gewohnt und wand sich auf dem weißen Laken, als Bilder vor seinem geistigen Auge auftauchten. Anfänglich wirkte alles noch recht ruhig. Irritiert fand er sich auf einer weiten Steppe wider. Umgeben von verödeten Gestrüppen, stand er auf verrottetem Gras und blickte zum Himmel auf, über den zerfetzte graue Wolken zogen. Ein kühler Wind wehte und durchstreifte sein Haar, als er sich langsam zur Seite drehte. Suchend tasteten seine Augen die Gegend ab und richteten sich zielstrebig auf einen gewissen Punkt, der in dem plötzlich aufziehendem Neben auszumachen war. Es war eine Gestalt, die er erblickte, der er sich in langsamen Schritten näherte. Ein modriger Geruch stieg vom Boden aus, als er ein Bein vor das andere setzte, auf den Nebel zuging und dennoch... die Gestalt wuchs nicht an Größe. Es schien, als würde sie ohne jegliche Bewegungen zurückweichen, bei jedem Schritt, den er tat. Alsbald hielt er inne, starrte auf die Umrisse, die ihn die Gestalt deutlich erkennen ließen. Seine Lippen begannen sich zu bewegen, riefen einen Namen und doch war er nur stumm. Kein Laut kam aus seinem Mund und er rief erneut, ohne dass sich etwas veränderte. Erneut ging er los, diesmal schneller, weitaus ungeduldiger. Und dann stob er der Nebel auseinander. Als würde ihn ein kräftiger Windstoß zerteilen, riss er auseinander und trotz der gruseligen Finsternis konnte Kaiba ihn genau erkennen. Joey... Und dessen Erscheinungsbild ließ ihn erneut zum Stehen kommen, entsetzte ihn so sehr, dass sein Atem stockte. Nackt stand der Blonde dort, am gesamten Leib zitternd und blutend. Tiefe Kratzer zerfurchten den schlanken Körper, Blut rann über die zarte Haut, das seidige Haar war wüst verzottelt, das ebenso verletzte Gesicht tief zur Brust gesenkt. Kaibas Augen weiteten sich, vom Grauen gepackt, rang er nach Atem und starrte auf den geschundenen Leib. Verkrampft hielt die verschrammte Hand ein rotes Seidentuch... es war blutrot, flatterte auf, als ein scharfer Wind über die weite Ebene peitschte. Er schlug Kaiba entgegen, ließ ihn schützend den Arm vor das Gesicht heben. Dennoch blinzelte er und seine Augen suchten nach Joey und das Blut gefror ins einen Venen, als dieser das Gesicht hob. Der Blonde blickte auf und Kaiba erkannte geweitete Augen, eine sterbensbleiche Miene. Pupillen, die starr nach vorn gerichtet waren, ihn eiskalt und stechend fixierten, einen beängstigenden Wahnsinn zum Ausdruck brachten. Der scharfe Wind beraubte Kaiba des Atems. Verkrampft kämpfte er gegen ihn an und spürte eine tödliche Kälte, die ihn umfing, sobald jener Blick ihn traf. Wieder wollte er seinen Namen rufen, wieder drang kein Laut aus seiner Kehle und der tosende Wind pfiff in seinen Ohren. Wie eine leere Hülle stand Joey dort, mit einer gespenstigen Miene, die keine Emotionen in sich verbarg. Die gerissenen Lippen lagen still aufeinander und Kaiba meinte, an jenem Blick zu zerbrechen. Leidend beugte er sich nach vorn, streckte Joey den Arm entgegen und nahm ein Geräusch war. Der Wind trug etwas zu ihm... vorerst nur als ein leises Zischen zu deuten, entwickelte es sich schnell zu einem verhassten Fauchen, welches ihn an jeglichen weiteren Bewegungen hinderte. Starr verharrte er mit ausgestrecktem Arm, während ein scharfes Flüstern, welches eine unbeschreibliche Verachtung und einen tiefen Hass in sich trug, an seine Ohren drang. "Ihr wisst nicht, wie es mir geht!!", pfiff der Wind. "Ihr wisst gar nichts und nennt euch Retter!!" Kaibas Augen weiteten sich, stockend bewegten sich die Finger, streckten sich verzweifelt nach vorn und Joeys Bild verblasste. Ein letztes Mal flatterte das blutrote Seidentuch auf, dann plötzlich entfernte sich die Gestalt von ihm. Rasend schnell zog sie sich zurück und Kaiba versuchte, ihr zu folgen. Doch seine Beine bewegten sich nicht und bevor er an irgend etwas denken konnte, stieg dichter Nebel um ihn auf, fing ihn ein und raubte ihm jede Sicht. Ein dumpfes Donnergrollen zog über ihn hinweg... "Seto." Zu Tode erschrocken, fuhr Kaiba in die Höhe, schnappte nach Luft und starrte um sich. Noch immer glaubte er das Grollen zu vernehmen, die Kälte zu spüren... den peitschenden Wind, der ihm den Atem abschnürte. "Seto." Hastig drehte er das Gesicht zur Seite, angstvoll richteten sich seine Augen auf den jungen Mann, der dort stand. Der verletzte Leib, das Blut... all das Blut!! Sein Atem stockte, Schweiß rann über seine Stirn... Und Joey legte den Kopf schief. "Hey... was ist los?" Von einer Sekunde auf die andere tauchte Kaiba in eine völlig andere Welt ein. Soeben noch frierend und von tödlicher Angst gepackt, fand er sich plötzlich in dem großen Zimmer wieder. Angenehme Stille herrschte, Wärme legte sich auf seinen Körper... leise tickte die Uhr auf dem Nachttisch. Auch der entwürdigte Leib verblasste, seine Augen erblickten ein säuberliches weißes Shirt, freie Arme, gesunde helle Haut. Keuchend und noch immer benommen, starrte er auf Joey, der nun etwas näher trat. "Hast du schlecht geträumt?", erkundigte er sich leise, bevor er sich über die Matratze schob und die Hand nach ihm ausstreckte. Kaiba konnte sich nicht bewegen, doch eine warme Hand schob sich behutsam über seinen Nacken und zog ihn nach vorn... zog ihn in eine beruhigende Umarmung. "Ganz ruhig." Vorsichtig legte Joey die Arme um ihn, spürte das aufgeregte Zittern des Körpers und den schnellen Atem, als Kaibas Mund sich seinem Ohr näherte und sein Kinn den Platz auf seiner Schulter fand. "Was ist mit dir los? Du träumst doch sonst nicht." Benommen bewegte Kaiba die Lippen, schluckte schwer und entspannte sich unter einem lauten Stöhnen. Ermattet lehnte er sich gegen Joey, die Umarmung jedoch nicht erwidernd. Er schloss die Augen, kontrollierte seinen Atem und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Joey begann seinen Rücken zu streicheln. >Was zur Hölle...?!< Raste es durch seinen Kopf, als er die Lippen aufeinander presste. >Dieser Traum...! Wieso?! Was wissen wir nicht?! Was hat das zu bedeuten??!< "Wie spät ist es?", keuchte er. "Um sechs." Kam die ruhige Antwort, eine Hand kraulte seinen Nacken und er richtete sich etwas auf, sich jedoch nicht aus der Umarmung lösend. "Warum bist du schon so früh auf?" Sogleich lockerten sich die Arme und Joey lehnte sich zurück. Er sah Kaiba schmunzelnd an und als dieser auf seinen Blick traf, floh er unauffällig vor ihm, ließ den Kopf sinken und rieb sich den Nacken. >Diese Augen...< "Ich wollte dich gerade wecken", verriet Joey, gemütlich die Beine von sich streckend. "Ich habe einen Wunsch." "Einen Wunsch?" Zögerlich lugte Kaiba zur Seite. Er fühlte sich nicht wohl. Joey grinste. "Lass uns in die Schule gehen." Kaiba räusperte sich leise und rümpfte die Nase, etwas zögerlich fanden seine Augen den Weg zu Joey´s Gesicht. In dieser Sekunde ertönte jenes Kratzen und ein völlig aufgeputschter Hund schob sich durch den Türspalt. Sein Schwanz wedelte wie verrückt, als er leise japste, das Bett erreichte und sprang. Unbeholfen kämpfte er sich auf die Matratze, verfing sich mit einem Pfötchen in der aufgewühlten Decke und plumpste zur Seite. Kaiba warf ihm einen knappen Blick zu. "Bist du dir da sicher?" "Aber natürlich." Kam die schnelle Antwort und das Hündchen rappelte sich auf, sprang auf Kaibas Schoss und begann verspielt an dessen Hemd zu zerren. "Das ist eine hervorragende Abwechslung und außerdem haben wir schon genug verpasst." "Mm." Kaiba zweifelte. Etwas unverständliches nuschelnd befreite er den teuren Stoff aus dem Maul des Welpen, worauf sich dieser auf sein Herrchen stürzte und dort einen Spielkameraden fand. Beiläufig fischte Joey nach dem Schwänzchen, worauf sich das Hündchen wild im Kreis drehte und nach seiner Hand schnappte. >Als ich ihm das letzte Mal diese Erlaubnis gab, brach er zusammen und ich musste ihn zum Arztzimmer schleppen.< Wieder räusperte er sich, schlug die Decke zur Seite und begrub versehentlich den Hund unter ihr, worauf dieser wie wild strampelte und von einer hilfsbereiten Hand gerettet wurde. Während sich Kaiba aus dem Bett schob, griff Joey nach dem Welpen, hob ihn hoch und setzte ihn auf den Boden, wo dieser sofort drauflos rannte. Japsend und leise bellend. "Was soll denn passieren?" Verwundert schlenderte Joey hinter Kaiba drein, folgte ihm zur Tür, durch die sich der Welpe schlängelte. "Wovor hast du denn Angst? Mir geht´s doch besser, nicht wahr?" >Tut es das...?< Kaibas Augenbrauen verzogen sich leidend. "Und außerdem haben wir heute nur fünf Stunden, das dürfte doch zu machen sein. Komm schon, Seto, ich habe da wirklich Lust drauf." Gemächlich machte sich Kaiba auf den Weg zur Küche. Dabei holten sie den Welpen ein, der jede Treppenstufe mit einem waghalsigen Sprung hinter sich lassen musste. Er grübelte lange, kämpfte gegen die schmerzhaften Erinnerungen an den Traum und Joey quatschte und quatschte, beteuerte immer wieder, wie toll das wäre und so. Und als sie dann die Küche erreichten, nickte Kaiba. "Gut." Gemächlich schlenderte er durch den hohen Türrahmen und murmelte nebenbei: "Aber wenn du merkst, dass etwas nicht stimmt, dann musst du es mir sagen." Hinter ihm verstummte jeder Laut, nur das leise Japsen ertönte, als der Welpe an Joeys Beinen vorbei sprintete, über das glänzende Parkett schlitterte und gegen den Kühlschrank stieß. Joey jedoch, war im Türrahmen stehen geblieben und starrte Kaiba mit einer leichten Verblüffung an. "Was bitte, soll mit mir nicht stimmen...?" Kaibas Hand hatte fast den Griff des Kühlschrankes erreicht, als sie in ihren Bewegungen innehielt und sich Kaiba zögerlich umdrehte. Ihre Blicke trafen aufeinander, Kaibas Lippen bewegten sich und doch fand er keine Worte. Eine leichte Nervosität brach in ihm aus, als er den verstörten Ausdruck des jungen Gesichtes erkannte. "Seto." Joey sprach leise, trat langsam auf ihn zu. "Was soll das bedeuten." Kaiba räusperte sich, schüttelte knapp den Kopf und öffnete den Kühlschrank. "Ich meine ja nur", brummte er etwas unbehaglich und spürte noch immer den bohrenden Blick auf sich. "Es wäre ja vielleicht möglich, dass du dich nicht gut fühlst, oder..." "Oder...?" Joey verengte verwirrt die Augen. "Guten Morgäään!!" Wie zuvor der Welpe, schlitterte Mokuba in die Küche. In einem süßen hellblauen Pyjama, streckte er die Arme von sich und grinste breit. Joey reagierte überhaupt nicht auf ihn, starrte Kaiba an und dieser ließ den Kopf sinken. >Scheiße...< Mokuba konnte nicht auf das Desinteresse achten, auch die furchtbare Atmosphäre entfiel ihm, denn er ließ sich hastig auf die Knie fallen und schlug mit den Händen auf die Oberschenkel. "Komm, Hündchen, Hündchen, Hündchen", kicherte er und wurde sofort von dem Welpen angefallen, der ihn übermütig abschleckte. Joey atmete tief tief ein, fuhr sich mit der Hand über den Mund und wandte sich ab. Auch Kaiba erwachte wieder zum Leben, griff nach einer Flasche Saft und schloss den Kühlschrank. Kurz darauf saßen sie am schnell gedeckten Frühstückstisch und der Hund fraß in nicht allzu weiter Entfernung aus seinem Napf. Während lautes Schmatzen und genügsames Japsen ertönte, löffelte Joey einen Joghurt. Mokuba trug zu dem Schmatzen bei, stapelte Unmengen von Wurst und Käse auf seinem Brötchen, strich noch Marmelade drüber und begann genießerisch zu essen. Kaiba schwieg, rührte in seinem Kaffee und starrte vor sich auf den Tisch. >Ihr wisst nicht, wie es mir geht? Ihr wisst gar nichts und nennt euch Retter?< Er presste die Lippen aufeinander, seine Miene verzog sich verzweifelt. >Träume haben eine Bedeutung... sie müssen eine Bedeutung haben... immer! Auch, wenn man sie nicht kennt< Joey sah ihn an, rümpfte die Nase und bewegte lustlos den Löffel im Mund. >Ich glaube, der einzige, mit dem etwas nicht stimmt, ist er!< >Wie soll ich mich ihm gegenüber denn verhalten? Soll ich ihm von meinem Traum und den anderen Empfindungen erzählen und ihn verunsichern, obwohl bisher noch alles unklar und ungeklärt ist?< Kichernd zog Mokuba eine Scheibe Wurst von seinem Brötchen und streckte die Hand versteckt unter den Tisch. Der Welpe, der bereits aufgefressen hatte, tapste vergnügt näher und Joey brummte, ohne den Blick von Kaiba abzuwenden. "Wenn du das tust, dann wird es uns nie gelingen, ihn zu erziehen." "Was?" Irritiert hob Mokuba die Hand. "Er hatte schon." Joey musterte Kaiba auch weiterhin. "Jetzt bekommt er nichts mehr und erst recht nicht, wenn wir essen." "Ups." Mokuba warf dem Hündchen einen mitleidigen Blick zu und stopfte sich die Wurst in den Mund. In dieser Sekunde blickte Kaiba auf und traf auf Joeys Blick. Kurz blieben sie aneinander hängen, dann schob sich Kaiba unter einem leisen Seufzen vom Stuhl und schlenderte zum Kühlschrank. Joey hielt die Augen auf den Fleck gerichtet, an dem er soeben noch gesessen hatte. >Ich bin aber auch dämlich! Dass ich ihn direkt darauf anspreche und mich dann vor weiteren Erklärungen drücke!< Gemächlich erreichte er den Kühlschrank, öffnete ihn und sah sich um. Hinter ihm kicherte Mokuba und das Hündchen japste. Dann knackte ein frisches Brötchen und eine Ketschup-Flasche gab merkwürdige Geräusche von sich. Stirnrunzelnd zog Kaiba ein paar Schubfächer auf und wühlte in deren Inhalt. >Wunderbar, jetzt ist Joseph verwirrt und weiß gar nicht mehr, was er denken soll!< "Hey, Joey!" Ertönte da hinter ihm leises Grunzen. "Schau mal her. Ich hab mit dem Ketschup ein Gesicht auf den Käse gemalt!" Kaiba blähte die Wangen auf, schob einen Salat zur Seite und schloss das Fach, als er nicht fündig wurde. >Ja, ich bin wirklich ein toller Retter!< "Joooooey." Mokuba seufzte. "Schau doch maaaal." >Aber es muss einen Zusammenhang geben. Gestern hielt ich es nicht mehr aus, ihn zu berühren! Ich sah seine Augen und von da an wusste ich nicht mehr, was ich denken sollte!< "Joey?" Kaiba stöhnte leise, hockte sich hin und öffnete eine kleine Klappe, die ganz unten lag. >In meinem Traum glichen seine Augen denen von Katagori. Sie wirkten...< er hielt inne, ein schweres Schlucken folgte, >... wahnsinnig.< "Erde an Jooooey", ertönte Mokubas Stimme. Kaiba rieb sich die Stirn. >Was hat das nur zu bedeuten? Soll ich mir wirkliche Sorgen um seine Psyche machen? Soll ich dem Schein nicht trauen und vorzeitig Vorkehrungen treffen...? Soll ich ihm nahelegen, zu einem Psychologen zu gehen? Was wird er dann bloß von mir denken!< "Joey...? Hey, was ist los?" Endlich wurde Kaiba fündig. Lahm griff er nach einem großen Stängel Weintrauben und kam langsam auf die Beine. "Joey?" Die Wangen aufblähend, drückte er den Kühlschrank mit der Schulter zu und drehte sich um. "Hey?" Mokuba hatte sich mit den Knien auf den Stuhl gehockt und sich an Joey gewandt. Kaiba zupfte eine Weintraube ab und rieb sie am Shirt sauber. Nur kurz, dann verlangsamten sich seine Bewegungen und Mokuba fuhr etwas beängstigt zu ihm herum. "Seto!" Stockend ließ dieser die Weintrauben sinken, legte sie beiläufig ab und kehrte zum Tisch zurück. Erst in langsamen, dann in schnellen Schritte. Denn Ellbogen auf den Tisch gestützt, das Kinn locker auf der Handfläche, saß Joey dort. Seine Haltung hatte sich nicht geändert, seit er Kaiba angesehen hatte, auch seine Augen waren noch auf den Punkt gerichtet... ohne zu blinzeln. Während Mokuba nervös wurde, bewahrte Kaiba Ruhe. Mit einer langsamen Handbewegung bat er seinen kleinen Bruder, aufzustehen und dieser tat es sofort. Hastig rutschte er von dem Stuhl und so konnte Kaiba nah an Joey herankommen. Dieser regte sich nicht, wirkte wie eine Statue, nicht einmal ein Atmen war zu hören, so sehr schien sich dieser beruhigt zu haben. Die Augenbrauen verziehend, neigte sich Kaiba vor Joey und musterte dessen Pupillen. Sie regten sich nicht, auch als er sich in ihr Blickfeld lehnte. Der Blonde wirkte völlig abwesend, seine Augen ausdruckslos und starr. Während Mokuba die Hände über dem Kopf zusammenschlug und den Weltuntergang deutlich vor sich sah, atmete Kaiba tief durch, räusperte sich leise und hob die Hand. Erst langsam, dann schnell bewegte er sie vor Joeys Augen und dieser reagierte nicht. Als sähe er etwas völlig anderes, als wäre er geistig nicht einmal anwesend, blieb Joey sitzen. "Jooooooey!" Mokuba zerrte den Pyjama zum Mund und biss hinein. "Mokuba." Kaiba schickte ihm einen knappen Blick. "Sei still." Sofort nickte der Junge, grabschte nach dem Welpen und presste diesen an sich. Kaiba hatte sich unterdessen wieder an Joey gewandt, leckte sich konzentriert die Lippen und schnippte mit dem Finger... mehrmals und immer wieder, ohne dabei etwas zu erreichen. >Immer ruhig bleiben<, ermahnte er sich selbst, als er die Fingerkuppen nahe an Joeys Augen bewegte. >Das lässt sich alles erklären... ich muss mir keine Sorgen machen.< Er atmete tief ein und fasste Joey an der Schulter, um an ihm zu rütteln. Doch schon nach der kleinsten Berührung erwachte dieser zum Leben. Leicht erschrocken zuckte er zusammen, blinzelte und sah sich um. "Huch? Was?" Wortlos richtete sich Kaiba auf, saugte an den Zähnen und warf Mokuba einen knappen Blick zu. Erleichtert starrte der Junge den Blonden an und dieser schien nichts von alledem mitbekommen zu haben, sah sich verwirrt um. "Was ist denn?" Ein sanftes Lächeln zeichnete sich auf Kaibas Lippen ab, als er lässig seine Schulter tätschelte und sich auf den Weg zu seinem Stuhl machte. "Wo bist du manchmal nur mit deinen Gedanken." "Ups." Joey grinste flüchtig und kratzte sich Kopf. Plötzlich warf sich Mokuba gegen seine Beine und umklammerte diese. Mit einem gespielten Schluchzen presste er sich gegen sie und Joey hob die Augenbrauen. "Ich dachte, du wärst tot!" Der Hund japste und Joey lugte zu Kaiba, der nur mit den Schultern zuckte. Mokuba ließ nicht los und drehte das Gesicht von einer Seite zur anderen. Joey zeigte versteckt auf ihn und flüsterte etwas, das Kaiba nicht verstand. Also zuckte er nur mit den Schultern und bewegte den Zeigefinger kreisend vor der Stirn. Joey grinste und tätschelte den Schopf des Jungen. Nachdem sich Joey dann eine Schuluniform von Kaiba geborgt und die Ärmel und Hosenbeine kurz umgeschlagen hatte, machten sich die drei auf den Weg zur Schule. Das Hündchen hatten sie in die Obhut eines Zimmermädchens gegeben und in dieser Sekunde tobte es sicher im Garten und ruinierten die Strumpfhosen der armen Frau. Sie setzten noch Mokuba ab und erreichten die Schule nach einer kurzen Fahrt. Es folgte eine wahre Wiedersehens-Feier mit der Clique. Es wurde gelacht, gekempelt, gescherzt und geschrieen und Kaiba zog sich mit Duke zu einem kurzen Plausch zurück. Während Tristan den Blonden heiter in den Schwitzkasten nahm, Tea freudig juchzte und sich Yugi tausendmal erkundigte, ob alles in Ordnung sei, flüsterten sie miteinander. Ja, es schien alles in Ordnung zu sein. Joey lachte aus vollem Herzen und hatte kein Problem damit, seine Gefühle nach außen hin zu zeigen. Gut gelaunt machten sie sich dann auf den Weg zur Schule und gaben sich dem Unterricht hin, der größtenteils mit Schwatzen verbracht wurde. Öfter drehte sich Joey zu Tristan um, flüsterte mit Tea über zwei Bänke hinweg und fühlte sich sichtlich wohl. Oft beobachtete Kaiba ihn dabei und trotz des Frevels am Unterricht und dem scheinbaren Desinteresse in den ersten Stunden, fühlte er sich wohl und es tat gut, ihn so zu sehen. Und dennoch beteiligte auch er sich nicht vollständig am Unterricht und schweifte oft mit den Gedanken ab. Die vierte Stunde nach der Hofpause begann. Entspannt wippte Kaiba den Füller zwischen zwei Fingern, blätterte in dem Mathematikbuch um und warf einen überprüfenden Blick auf seinen Schreibblock. Na, wer sagt´s denn? Die Gleichung war korrekt. Er nickte zufrieden und lehnte sich zurück, um zur Tafel zu schauen, an der der Lehrer die schwierige Lösung soeben präsentierte und lustlose Erklärungen zu ihr abgab. Dieser Mann... Er das einzige Objekt, das ihn an dieser Schule störte. Natürlich nur abgesehen von den anderen unfähigen Lehrern, der fehlenden Organisation und dem Rest, den es zu bemängeln gab. Er runzelte die Stirn, als der Mann völlig überfordert stöhnte, die Kreide ablegte und sich hinter seinem Pult niederließ. Kaibas Miene verfinsterte sich. Warum hängte sich der Mann nicht gleich ein Schild um den Hals: "Bin Lehrer aus Zwang und finde euch alle zum kotzen"? Der Typ stöhnte schon, wenn jemand eine Frage stellte und wenn ein Schüler seine Probleme mit der Thematik hatte, dann wurde er richtig gehässig, in den äußersten Fällen sogar wütend. Nun, etwas besseres schienen sich die heutigen Schulen nicht mehr leisten zu können. Kaiba blähte die Wangen auf, wandte sich seinem Block zu und tastete nebenbei nach dem Buch, um in diesem weiterzublättern. Und diesen furchtbaren Menschen musste er nun schon seit drei Jahren über sich ergehen lassen. Er rümpfte die Nase, fasste den Füller sicherer und machte sich an die nächste Aufgabe. Ach, und außerdem... Es gab nicht viel zu lernen, wenn man jeden Tag nur irgendwelche Aufgaben löste, die knapp und schlecht erklärt wurden. Und so war der Mathematikunterricht seit je her, vorausgesetzt, der Mann hatte wieder einmal auf gar nichts Lust. Und das schien eine chronische Krankheit zu sein. Mit geschultem Auge überflog er die Aufgabe, grübelte kurz und begann sie sauber und fließend zu lösen. In der Klasse herrschte eine angenehme Ruhe. Die Schüler arbeiteten und der Lehrer pulte sich im Ohr, während das leise Kratzen der vielen Stifte ertönte. Nach wenigen Sekunden unterstrich Kaiba das Ergebnis, legte den Füller zur Seite und lehnte sich zurück. Dann warf er einen knappen Blick auf seine Uhr und rieb sich die Augen. Glücklicherweise musste er nur noch zehn Minuten durchhalten. Nach kurzer Zeit drehte er sich um und warf Joey einen knappen Blick zu. Entspannt und ruhig saß der Blonde an seinem Tisch, stützte die Stirn in die Handfläche und schien zu arbeiten. Jedenfalls kritzelte er auf seinem Blatt und schielte hin und wieder zu dem Buch. Kaiba beobachtete ihn kurz und drehte sich wieder nach vorn. Er konnte nicht beschreiben, wie erleichtert er über das Benehmen des Blonden war. Nach den Vorfällen der letzten Stunden, hatte er Zweifel daran gehabt, die Welt wieder auf Joey loslassen zu können. Doch nun schien alles beim Besten zu sein und diese Tatsache tat gut. Er musste sich geirrt haben. Der Traum, die Empfinden... alles Blödsinn. Er leckte sich die Lippen, rieb sich die Augen und unterdrückte ein Gähnen. An dieses frühe Aufstehen musste er sich erst wieder gewöhnen. Ein leises Quietschen ertönte, als sich der Lehrer samt Stuhl zurück schob. Dann kam er auf die Beine und die Schüler blickten auf. "Die nächste Aufgabe", murmelte er träge und stützte sich an den Pult. "Wer löst?" Nun ließ Kaiba dem Gähnen freien Lauf, rieb sich den Nacken und wandte sich der nächsten Gleichung zu. Der Lehrer hatte ihn noch nie aufgerufen. Immerhin war es nur natürlich, dass die Lösung korrekt und säuberlich auf seinem Blatt stand und diese Tatsache schien der Lehrer als langweilig zu empfinden. Es genügte scheinbar schon, wenn er ihm ein A nach dem anderen in den Notenspiegel eintragen musste. So schenkte der Lehrer ihm erst gar keine Beachtung und sah sich um. "Taylor." "Häh? Was ist?" Der Angesprochene richtete sich schlagartig auf und sah sich verwirrt um. Gerade noch hatte er völlig übermüdet auf seinem Tisch gelegen und vor sich hingedöst. "Nichts ist", zischte der Lehrer etwas spitz und verengte sogar die Augen, worauf er den Anschein erweckte, als wolle er sich in geraumer Zeit auf Tristan stürzen. "Legen Sie sich ruhig wieder hin. Sie verpassen nichts, außer den späteren Erfolg durch gute Noten." >Wow.< Kaiba hob beeindruckt die Augenbrauen. Tristan räusperte sich und der Lehrer ließ ihn sitzen. "Satoshi." "Iiek!" Ein junges Mädchen fuhr erschrocken zusammen und begann ihre Unterlagen zu durchwurschteln, als würde sie unter plötzlicher Todesangst stehen. Scheinbar ziellos schob sie das Buch zur Seite, zerknüllte ihren Zettel in der Hand und starrte den Lehrer schlotternd und bibbernd an. Dieser verdrehte die Augen und verschränkte die Arme vor dem Bauch. "Wheeler, hast DU heute mal was auf die Reihe bekommen?" Kaibas Hand hielt in den Bewegungen inne und er blickte langsam auf. >So musste es ja kommen.< Er biss sich auf die Unterlippe, legte den Füller ab und drehte sich nach hinten. >Wenn ich mich nochmal mit dem Lehrer anlege, bekomme ich sicher einen Verweis aufgebrummt...< Joey leistete keine Widerrede. Das gewohnte lustlose Stöhnen ertönte und so kam der Blonde auf die Beine, grabschte nach seinem Blatt und schlürfte nach vorn. Kaiba sah ihn näherkommen und am eigenen Tisch vorbeiziehen. Wieder rümpfte er die Nase und begann den Füller in der Hand zu wenden. >Mit der typischen Meckerei dürfte er fertig werden. Ich gehe nur dazwischen, wenn sich der Lehrer wieder zuviel herausnimmt.< Er rückte sich kurz zurecht und während sich Joey mit dem Handrücken das Haar aus der Stirn wischte und nach der Kreide griff, war die Erleichterung in dem Raum deutlich zu spüren. Wenn man es recht bedachte, herrschte das gewohnte Prinzip. Der Lehrer war sauer, Joey wurde vorgerufen, schaffte nichts, wurde runtergemacht und setzte sich wieder hin. Jeder wusste, was er zu erwarten hatte. Joey zog die Nase hoch, knüllte das Blatt auseinander und begann anzuzeichnen. >Er hat sich wirklich mit der Aufgabe auseinandergesetzt?< Kaiba war angenehm überrascht, als er flüchtig wirklich irgend ein Geschmiere auf dem Zettel erkannte. "Also...", Joey rieb sich die Nase, rümpfte sie und zeichnete ein Gemenge aus Zahlen, "... das hier ist der Nettopreis." Kaiba verfolgte die Lösung. >Oha... was hat er denn da gemacht?< Der Lehrer runzelte bereits die Stirn und Joey warf einen flüchtigen Blick auf sein Blatt. "Die Mehrwertsteuer", murmelte er und schrieb weiter. "Und das hier... tja, das ist halt die..." "Weißt du überhaupt, was eine Mehrwertsteuer ist?", schaltete sich da der Lehrer ein und empfing sogleich einen scharfen Blick vonseiten Kaibas. Doch Joey verdrehte nur die Augen. "Ich denke schon." "Naja." Der Lehrer löste sich von dem Pult und rieb sich gehässig das Kinn. "Ich frage mich nur, wie du auf diesen Blödsinn kommst." "Durch rechnen", brummte Joey und ließ die Kreide sinken, bevor er sich direkt an den Lehrer wandte. "Ach?" Der Mann hob die Augenbrauen und nickte beeindruckt. Joey öffnete den Mund, um zu antworten. Dann jedoch, schloss er ihn, kratzte sich an der Schläfe und murmelte etwas, das niemand verstand. Er wirkte nicht sonderlich nervös, so wie es stets der Fall war. Er benahm sich auch nicht, als würde sich gerade jemand über ihn lustig machen. Er blieb völlig ruhig und seine nächsten Worte überraschten Kaiba noch mehr. "Dann rechne ich es eben noch einmal." Er griff nach dem Tuch, wischte die Kreide von der Tafel und besah sich kurz das Blatt, bevor er die gegebenen Größen aufzeichnete. Der Lehrer gab sich mit der Entscheidung zufrieden und stützte sich nach einem höhnischen Grinsen wieder an den Pult. Joey versuchte es unterdessen erneut und dafür, dass er solange nicht in der Schule gewesen war, hatte er erstaunlich wenig Probleme. Die unkorrekte Lösung bestand nur aus einigen Faselfehlern, wie Kaiba bemerkte, als er Joeys vorherige Gleichung noch einmal überdachte. Ruhig und locker machte sich Joey an die Arbeit und nach wenigen Sekunden seufzte der Lehrer amüsiert. "Hast du auch nur die geringste Ahnung, was du da..." "Hey", unterbrach Joey ihn und sah ihn direkt und unausweichlich an. Mit ausdrucksloser Miene fixierte er ihn und hielt die Kreide still. "Lassen Sie mich arbeiten." Somit wandte er sich wieder der Tafel zu. "Wenn man das so nennen kann?", gab der Lehrer seinen Kommentar zum Besten und Joey stoppte erneut, hatte diese Worte nicht überhört. Er schien sich jedoch nichts daraus zu machen, versuchte es erneut und grübelte nur kurz, bevor er die nächsten Schritte machte. Kaiba verfolgte das Geschehen aufmerksam und auch der Rest der Klasse lauschte den Erklärungen des Blonden. "Also, wenn das hier der Nettobetrag ist... und das der Preisnachlass, dann..." "... bist du auf dem völlig falschen Weg", unterbrach ihn der Lehrer und Kaiba richtete sich drohend auf, tief durchatmend, um sich zurückzuhalten. Auch Joeys Hand verblieb wieder reglos und nach einer kurzen Stille, drehte er das Gesicht zur Seite. Kaiba konnte seine Augen nicht sehen. "Ich versuche mich zu konzentrieren", hörte er seine Stimme, die noch immer merkwürdig ruhig und entlastet wirkte. >Genau, er versucht es!< Tea drückte den Bleistift in der Hand. >Also unterbrechen Sie ihn nicht andauernd!< >Halten Sie die Klappe!< Tristan verengte die Augen und Yugi blähte mitleidig die Wangen auf. Kurz darauf ertönte wieder das leise Schaben der Kreide. Kaiba stützte den Ellbogen auf den Tisch, legte das Kinn in die Hand und lugte zu dem Lehrer, der irgendwie wütend wirkte. Und das scheinbar, weil ihn ein Schüler darum bat, eine Aufgabe in aller Ruhe lösen zu dürfen. >Abschaum<, ging es ihm durch den Kopf. Joey räusperte sich, rieb sich kurz das Kinn und pustete sich eine Strähne aus dem Gesicht. "Wenn man das und das addiert und anschließend durch das dividiert, dann kommt das dabei heraus", grübelte er dann und unterstrich das erste Teilergebnis. Wieder richteten sich die braunen Pupillen aus den Augenwinkeln auf den Lehrer. "Wenn das nicht stimmt, dann springe ich aus dem Fenster." "Tja." Die Augen des Lehrers kreisten verächtlich. "Leider korrekt." >Tjaharr!< Tristan grinste triumphierend und vergaß das eigene Blatt, auf dem eine gähnende Leere herrschte. >Da staunst du, was?!< >Ich wusste, das er es schafft.< Kaiba konnte sich ein flüchtiges Grinsen nicht verkneifen. >Er musste nur an sich glauben.< Yugi zupfte an einer seiner Haarsträhnen und Kaiba unterdrückte ein weiteres Gähnen. "Und da du scheinbar alles so perfekt beherrschst und deshalb der Schule fernbleiben kannst, kannst du den Rest der Aufgabe sicher auch fehlerfrei lösen." Der Lehrer machte sich einen weiteren Witz aus der Sache, doch der schien jedoch an Joey abzuprallen. Dieser war bereits am arbeiten und brachte dies recht zügig zustande. Und nach nicht einmal einer Minute, wurde er wieder unterbrochen. "Siehst du denn nicht, dass das wieder falsch ist?" Der Lehrer stöhnte und fuchtelte mit der Hand. "Das ist nicht nur falsch, das ist völlig falsch! Wie zur Hölle kommst du auf solche Ideen?" Kaiba begann Joey erneut zu studieren, wunderte sich doch sehr über dessen Lässigkeit, mit der er die unverschämte Bemerkung des Lehrers scheinbar einfach links liegen ließ. In Kaiba selbst brodelte es unterdessen und er wartete nur darauf, dass der Typ seine Klappe wieder aufmachte, um sich wie ein unerzogenes Kind zu benehmen! Joey stand schweigend da vorne, zeichnete weiter und ließ sich durch die verhöhnenden Geräusche des Lehrers nicht zu stören. Knapp zwei Minuten ging es so, bis dem Lehrer der Kragen platzte und er auch den Rest seiner Bosheit loswerden wollte. "Wheeler...", säuselte er spitz und verächtlich und grinste dabei auch noch. "Du machst schon wieder alles falsch, was man falsch machen kann." Kaibas Miene verfinsterte sich drohend, die blauen Augen funkelten und er richtete sich langsam auf, bereit, bei einem weiteren Wort dazwischen zu gehen. Joey vertrug so einen Stress sicher nicht. Doch dieser zeichnete immer noch. "Ich will dich ja nicht bei deiner intelligenten Arbeit stören", scherzte der Lehrer weiter. "Aber ich muss ehrlich sagen, dass du so gut wie nichts..." Mit einer unglaublichen Kraft schmetterte sich die Faust seitlich gegen die Tafel und ein lautes Donnern ertönte. Augenblick verstummte in dem Klassenzimmer jeder Laut, der Lehrer schien sogar den Atem angehalten zu haben. Nur das leise Knistern des Blattes war kurz zu hören, welches von der Hand freigegeben, zu Boden taumelte. Und bevor die Anwesenden realisiert hatten, was vor sich ging, grabschten die Hände des Blonden nach den schweren Tafellinealen und rissen diese aus den Halterungen. Donnernd schlugen sie auf dem Boden auf. "Du willst mich nicht stören?!" Plötzlich begann Joey zu schreien. So laut und wütend, wie Kaiba es bisher nur selten erlebt hatte. Mit geballten Fäusten und rasendem Atem trat der Blonde auf den Mann zu, taxierte ihn brennend. "Du willst mich nicht stören, verdammtes Arschloch?! Dann halt´s Maul!!" Er schrie laut auf und trat den Stuhl des Lehrers zur Seite. Krachend schlug dieser gegen die nächste Wand und der Lehrer löste sich stockend von dem Pult, während die Schüler wie versteinert dort saßen. "Du kotzt mich so an!!" Joey fuhr herum, trat auch gegen den Pult und stürzte auf den Lehrer zu, der auf einmal weniger selbstsicher und arrogant wirkte. Und bevor er zurückweichen konnte, hatte Joey ihn erreicht. Brutal schlugen sich seine Hände in seinen Kragen und der Mann wurde zur Seite gezerrt, worauf Joey sofort weit mit der Faust ausholte, bereit, zuzuschlagen. Und in dieser Sekunde erwachte Kaiba zum Leben. Quietschend rutschte sein Stuhl zurück, hastig kam er auf die Beine und erreichte Joey sofort. Er schlitterte zu ihm, ergriff die geballte Faust im letzten Moment und packte den Blonden am Kragen. Der Lehrer ächzte entsetzt auf, als Joey zurückgezerrt wurde und dennoch nicht losließ. Mit einer Hand zog er den Lehrer mit sich. "Ich bringe dich um!!" Mit aller Kraft begann er sich gegen Kaiba zu wehren. Er zerrte, versuchte den Brünetten zurückzustoßen und rammte diesem nach einem kurzen Gerangel den Ellbogen in den Magen. Sofort ließ dessen Griff nach. Ächzend stolperte Kaiba zurück. Seine Arme schlangen sich um den Bauch und während er kurz nach Luft schnappte, hatte Joey den Lehrer wieder mit beiden Händen gepackt. Und obgleich dieser beinahe einen Kopf größer war, riss er ihn mit einer erschreckenden Leichtigkeit zur Seite, rammte ihn mit dem Rücken gegen die Tafel und zurrte ihm den eigenen Kragen um die Gurgel. Die Zähne des Blonden bissen aufeinander und als wäre er von allen guten Geistern verlassen, schrie er weiter. Mit einer unbeschreiblichen Wut, ja, beinahe schon hysterisch und unkontrollierbar. "Ich lasse das nicht mit mir machen!! Was denkst du, wer du bist, verfluchter Hurensohn, ich bring dich um!!" In diesem Moment legten sich starke Arme von hinten um seine eigenen. Mit aller Kraft hielt Kaiba ihn fest, stieß sich mit dem Fuß von der Tafel ab und zerrte Joey zurück. "Hör auf, verdammt nochmal!! Es reicht!!" "Lass mich los!!!" Wie ein Verrückter klammerte sich Joey an den Lehrer und zog diesen wieder mit sich. Der Mann jedoch, geriet ins Stolpern und stürzte, wodurch auch Joey nach unten gezogen wurde und fast durch Kaibas Arme rutschte. "Scheiße!! Kaiba musste ihn kurz loslassen, jedoch nur, um sich hinter dem Blonden auf die Knie zu werfen, die Arme unter dessen Achseln zu schieben und ihn somit zurückzuhalten. "E-er ist verrückt!!", keifte der Lehrer panisch, während er mit beiden Händen das eigene Gesicht verdeckte. "Er ist völlig verrückt!!!" "Joseph!!" "Lass los!!" Joey wehrte sich erneut und überraschte Kaiba unangenehm. Dieser hatte wirklich Probleme, den Lehrer vor Schlägen zu schützen. Und als er kurz davor war, die Kontrolle völlig zu verlieren, mischten sich auch andere ein. Wie aus dem Nichts erschien Tristan und warf sich neben Joey. Mit aller Kraft versuchte er den schreienden jungen Mann zurückzudrücken, wandte sich dann jedoch seinen Händen zu und versuchte, diese aus dem Kragen des Mannes zu lösen. Doch die Finger hatten sich derartig verkrampft, dass es ihm ein Unmögliches war. Kaiba biss die Zähne zusammen, wollte sich zurückfallen lassen und ihn mitreißen. Doch selbst das gelang ihm nicht, da sich Joey brutal in dem Mann verhakt hatte. Mit wenigen Sekunden Verspätung tauchten auch zwei weitere Jungs auf. Der eine packte den Lehrer und versuchte diesen zurückzuziehen, während der andere gemeinsam mit Tristan endlich Joeys Hände lösen konnte. Daraufhin begann dieser noch lauter zu schreien. Ihn fest umklammernd, lag Kaiba mit ihm auf dem Boden und der Lehrer schob sich zitternd in die entgegengesetzte Richtung. "Er... er ist verrückt!!", schrie er wieder. "Er ist völlig krank!!" "Halt´s Maul!!" Joey räkelte sich in der festen Umklammerung, trat um sich und erwischte Kaibas Bank, die daraufhin sofort umkippte. Die Mädchen begannen zu kreischen und sprangen auf. Der Lehrer stieß einen Jungen zurück, der sich um ihn kümmern wollte und Joey schrie weiter, stieß unglaubliche Flüche und Beschimpfungen aus. Auch der Lehrer schrie, Kaiba keuchte angestrengt und Tristan kam ihm zu Hilfe und versuchte beruhigend auf den Blonden einzureden. Doch dieser schien nicht er selbst zu sein. Und so brach die pure Panik in dem Raum aus und die Katastrophe nahm ihren Lauf. "Jopseh!!" Kaiba ließ ihn los und fuhr in die Höhe, bevor es Joey gelingen konnte. Gemeinsam mit Tristan packte er den Blonden an den Schultern und drückte diesen hinab. "Verdammt, komm zu dir!!" "Joey, reiß dich zusammen!!" Der Blonde schrie weiter, wehrte sich mit allen Mitteln und konnte erst in seine Schranken gewiesen werden, als sich ein Schüler auf seine Beine warf. Mit aller Kraft umfassten Kaiba und Tristan die Handgelenke des Blonden und drückten ihn mit der anderen Hand hinab. Kaibas Atem raste, als er auf das Gesicht seines Freundes starrte. Und auch in ihm gab es Panik. Während die Mädchen immer noch kreischten und der Lehrer schrie, verlor Joey auch den Rest der Bewegungsfreiheit. Von drei Männern auf den Boden gedrückt, konnte er sich nicht einmal mehr regen. Er brach in lautes Husten aus, bevor er weiter schrie. "Ich lasse mir das nicht gefallen!!", keifte er völlig hysterisch. "So hat er nicht mit mir umzugehen!! Er muss sterb..." Eine Faust traf seine Wange und riss sein Gesicht zur Seite. So verstummte er vorerst. "Was redest du da?!" Tristan ließ die Faust sinken. "Was zur Hölle ist mit dir los?!" "Scheiße!", fauchte Kaiba leise und schloss verkrampft die Augen. Und endlich ebbte der Lärm etwas ab. Die Mädchen jammerten und fiepsten, die Jungen, die am Kampf teilgenommen hatten, stöhnten und Joey keuchte schwer. Nur der Lehrer wiederholte immer wieder die gleichen Worte. Zögerlich richtete sich der Junge, der auf Joeys Beinen lag, auf und blickte sich verwirrt um. Noch niemand hatte realisiert, was soeben passiert war. "Joey..." Zögerlich traten Tea und Yugi näher. Sie waren kreidebleich. Kaiba biss kurz die Zähne zusammen und öffnete die Augen. Von einer Sekunde auf die andere, wirkte Joeys Gesicht wieder entspannt. Er lag unter ihnen, bewegte sich nicht und starrte keuchend um sich. "Hey!" Tristan unterbrach den schnellen Atem mit einem Schlucken. "Hast du dich wieder gefangen?!" Wieder hustete Joey. Er antwortete nicht, hielt kurz den Atem an, so als müsse er erst seine Gedanken ordnen. Doch er setzte sich nicht mehr zur Wehr, auch sein Körper fühlte sich entspannt an. Tristan stieß ein erschöpftes Stöhnen aus und lockerte den Griff, mit dem er Joey unten hielt. Der Junge stieg von seinen Beinen und trat etwas schwankend zurück. "Verdammt, Joey!" Tristan schüttelte den Kopf und ließ diesen los. Nur Kaiba hielt die Position, wobei sich auch sein Griff lockerte. Der Blonde biss sich auf die Unterlippe, die braunen Pupillen flüchteten von einer Seite zur anderen. "Der gehört in die Klapse!!" Ertönte wieder die zitternde Stimme des Lehrers und Kaiba fuhr wutentbrannt zu ihm herum. "Seien Sie still!", schrie er zurück. "Wenn Sie so weitermachen, dann..." Weiter kam er nicht, denn Joey riss plötzlich das ihm zugewandte Knie in die Höhe, rammte es gegen seine Rippen und befreite sich so ein weiteres Mal von ihm. Kaiba versuchte noch nach ihm zu greifen, doch er verlor das Gleichgewicht und kippte zur Seite. Und Joey war dabei, wieder auf die Beine zu springen. Unglaublich gewandt und schnell gelang es ihm und ohne zu zögern, stürzte er wieder auf den Lehrer zu. Schreiend wich dieser zurück und Joey hätte ihn beinahe erreicht. Kaiba warf sich ihm nach und klammerte sich um sein Fußgelenk, Tristan hechtete nach dem anderen und bevor der Blonde zu Boden gehen konnte, wurde er von weiteren drei Jungen überwältigt. Sie warfen sich alle auf ihn und unter einem einzigen Stöhnen und Keuchen, brach der gesamte Haufen zusammen. ~*To be continued*~ Kapitel 24: Auf Messers Schneide -------------------------------- "Lasst mich los, verflucht nochmal!!" Verbissen wehrte sich Joey gegen den festen Griff, mit dem er gehalten und durch den Flur der Schule gezogen wurde. "Ich habe nichts gemacht... mich nur verteidigt!!" "Sicher, sicher!", fauchte Tristan verbissen. "Und wegen ein paar blöden Bemerkungen wolltest du den Lehrer tot prügeln!" "Er hätte es verdient!", zischte Joey und stemmte sich in die entgegengesetzte Richtung, worauf er noch fester gepackt wurde. Kaiba hielt ihn sicher am Arm, löste nach einem kurzen Marsch mit viel Gerangel, eine der Hände und grabschte nach der Klinke eines unbenutzten Klassenraumes. Flink öffnete er die Tür und Joey stemmte sich mit den Füßen gegen die schmale Türschwelle. "Was soll der Mist?!" "Hier kannst du dich abreagieren!" Tristan ließ ihn los und stieß ihn in den Raum. Sofort fuhr Joey zu ihnen herum und sein Atem raste noch immer, als er die Hände zu Fäusten ballte. "Ihr habt mich nicht so zu behandeln!!" Er wollte das Zimmer verlassen, wurde jedoch von vier starken Armen zurückgehalten. Und wieder brach ein Gerangel aus, welches Kaiba und Tristan schnell gewannen. Joey wurde zurückgestoßen, die Tür flog zu und ein leises Kratzen verriet, dass sich der Schlüssel im Schloss drehte. Tristan war es, der die Tür verriegelte und Kaiba trat stöhnend zurück, lehnte sich an die Wand und rieb sich das Gesicht, während die Tür erzitterte und wütende Schreie ertönten. "Was zur Hölle ist mit ihm los?!" Wütend wandte sich Tristan an Kaiba. "Seit wann ist er so aggressiv?!" Der Brünette schüttelte nur den Kopf und in dieser Sekunde flog eine andere Tür auf und der Lehrer stürmte in den Flur, gefolgt von einer aufgeregten Horde von Schülern, die beruhigend auf ihn einquasselten. "Ich werde mich über ihn beschweren!!", schreiend stach der Lehrer mit dem Zeigefinger nach den Beiden. "Er fliegt von der Schule! Dafür werde ich sorgen!!" "Beruhigen Sie sich doch." "Bedenken Sie ihren Blutdruck." Tristan zog ein finsteres Gesicht und Kaiba ließ sich an der Wand hinabrutschen, bis er dort hockte. Erschöpft stützte er die Stirn in die Hände und schüttelte immer wieder den Kopf. Erneut erzitterte die Tür neben ihm. "Lasst mich raus!!" Zögerlich lehnten sich die Mädchen aus dem Türrahmen, Yugi und Tea drängelten sich durch und eilten zu Tristan. Mit besorgten Mienen blickten sie sich um und zuckten zusammen, als ein weiteres Donnern ertönte. Zusammengesunken blieb Kaiba hocken, Tristan fluchte und der Lehrer schrie weiter, ließ unglaubliche Drohungen von sich und achtete nicht auf die Schüler. Bald öffneten sich zwei weitere Türen und ein anderer Lehrer wie eine Lehrerin beugten sich in den Flur. "Was ist denn los?", erkundigten sie sich irritiert und traten näher. "Er wollte mich umbringen!!", lieferte der Lehrer seine Erklärung und Kaiba begann sich langsam zu regen. Müde hob er den Kopf, blinzelte zur Seite und wurde von dem Lehrer angefahren. "Holen Sie die Klassenlehrerin!" Daraufhin murmelte er etwas Undeutliches, kam auf die Beine und schlenderte los. Während er durch den Gang zog, verließen weitere Schüler ihre Zimmer, beinahe der gesamte Unterricht in dieser Etage brach ab... das blanke Chaos herrschte und überall wurde geflüstert und geschrieen. Erneut rieb er sich die Stirn, presste die Lippen aufeinander und stieg die Treppe hinab. Seine Hand tastete sich an dem Geländer entlang, während die Augen trübe nach unten gerichtet waren. >Das ist es jetzt also...< dachte er sich benommen, noch immer nicht richtig realisierend, was soeben geschehen war. >Joseph...< Schnell erreichte er die untere Etage, bog um eine Ecke und steuerte auf eine Tür zu. Bevor er diese erreichte, drangen heitere Stimmen an seine Ohren, nur zögerlich griff er nach der Klinke und drückte sie hinab. "Und deshalb ist die Lithosphäre... ähm...", Duke brach das Referat ab, als sich neben ihm die Tür öffnete. Verwundert drehte er das Gesicht zur Seite und erkannte Kaiba, der mit hängenden Schultern den Klassenraum betrat. Bakura steckte sich einen Bleistift in den Mund und blähte die Wangen auf. Ohne einen Blick zur Klasse werfend, zog Kaiba an dem erstaunten Duke vorbei und steuerte auf die junge Lehrerin zu, die entspannt an ihrem Pult saß. "Kaiba?" Kurz drehte sich dieser zu Duke um. Ihre Blicke trafen aufeinander und der Schwarzhaarige ließ die Blätter sinken. Bevor er jedoch in den blauen Augen lesen konnte, wandte sich Kaiba an die Frau und räusperte sich leise. "Wir haben ein Problem", hörte Duke ihn murmeln. "Ein Problem?" Erschrocken richtete sich die junge Frau auf. "Was ist denn passiert?" Stirnrunzelnd starrte Duke zu den beiden, nahm eine verworrene Handgeste wahr. "Kommen Sie mit?" "Ja, aber..." Die Lehrerin wirkte außerordentlich besorgt, als sie zögerlich auf die Beine kam. "Was ist los?" Kaiba rümpfte die Nase, lugte zur Klasse und neigte sich etwas nach vorn, um zu flüstern. "Joseph ist ausgerastet." "Was...?" >Wie bitte...?< Sprachlos öffnete Duke den Mund. >Joseph ist was...?!< "Oh mein Gott." Sofort erwachte die Lehrerin zum Leben. Hastig nickte sie, legte die Unterlagen ab und eilte an Kaiba vorbei. Ohne der Klasse irgendwelche Aufgaben zu geben, verließ sie das Klassenzimmer und Kaiba folgte ihr. Noch immer stand Duke dort vorne, die Zettel in beiden Händen ließ er den Blick durch die Klasse schweifen. Seine Augenbrauen verzogen sich, seine Pupillen hasteten zur Tür, dann knitterte er die Zettel schnell auf den vordersten Tisch und verließ ebenfalls das Klassenzimmer. "Er ist ausgerastet?" Die junge Lehrerin war sehr nervös und beängstigt, als sie die Treppe hinaufeilte. Sie fuchtelte mit den Händen. "Aber ich verstehe das nicht! Mein Sonnenschein?" Plötzlich meldete sich ein Handy und Kaiba blieb stehen. Die Lehrerin hastete weiter und er begann die Taschen abzutasten, wurde fündig und zog das Handy hervor. Als er es zum Ohr hob, sprang Duke an ihm vorbei, schlitterte um die Ecke und verschwand. Nur kurz sah Kaiba ihm nach, bevor er annahm. "Ja", hauchte er leise und stemmte die Hand in die Hüfte. "Herr Kaiba, hier ist Lenzich", meldete sich eine heitere Stimme. "Bei der Verhandlung wurde eine kurze Pause eingelegt und da dachte ich, ich informiere Sie über den jetzigen Stand." "Mm." Kaiba biss sich auf die Unterlippe und stieg langsam höher. >Die Gerichtsverhandlung... ach, die gab es ja auch noch.< "Es sieht gut aus", verkündete Lenzich stolz. "Es sieht sogar sehr gut aus! Wir haben einen knallharten Richter und einen Staatsanwalt, der die Anwälte der drei Angeklagten fertig macht! Und es kam heraus, dass die Angeklagten bereits zwei Morde begangen haben! Es wird nicht mehr lange bis zur Urteilsverkündung dauern! Die Tatsachen liegen klar auf dem Tisch und wir haben gesiegt!" "Mm." Langsam zog Kaiba um die Ecke und erspähte eine Menge von Schülern, die im Gang standen und aufgeregt miteinander tuschelten. "Die drei werden den Rest ihres Lebens im Gefängnis verbringen, soviel ist klar! Sie können stolz auf sich sein! Und außerdem..." "Herr Lenzich", unterbrach Kaiba ihn abwesend und sofort verstummte dieser. "Sagen Sie, wenn ein Schüler einen Lehrer angreift... was hat das für Folgen?" "Sagen Sie bloß, Sie sind schon wieder in so etwas verstrickt." "Ich lieferte Ihnen die drei Doppelmörder." Kaiba ließ die letzten Stufen hinter sich und erreichte den Flur. Gemächlich drängelte er sich durch die Schüler. "Liefern Sie mir dafür die Antwort?" Lenzich räusperte sich. "Ja, natürlich, Herr Kaiba. Der Lehrer könnte den Schüler wegen Körperverletzung..." "Das ist mir klar", brummte Kaiba und erspähte die Lehrerin, die, den Tränen nahe, mit den Händen gestikulierte und immer wieder erklärte, was Joey doch für ein netter Junge war. "Es war aber keine Körperverletzung im Spiel, denn sie wurde verhindert." "Nun, in diesem Fall..." In sicherer Entfernung blieb Kaiba stehen und lauschte in das Handy. Hinter der Tür des leeren Zimmers herrschte nun Stille, nur die Lehrer quasselten wild durcheinander und die tuschelnden Schüler taten das ihrige. Duke stand vor Tristan und unterhielt sich lautstark mit diesem. Kaiba war der einzige, der schwieg, stumm nickte und nach wenigen Minuten das Handy sinken ließ. Tief atmete er ein, bevor er die Unterlippe zwischen die Zähne klemmte und sich flüchtig umsah. "Das gibt es doch nicht." Hörte er einen Jungen neben sich flüstern. "Er hat schon einen Menschen auf dem Gewissen und wollte jetzt auch noch den Lehrer umbringen." Eine knappe halbe Stunde später, hatten sich einige der Lehrer im Konferenzraum der Schule eingefunden. Neben dem Schulleiter, dessen Sekretärin, dem zornigen Lehrer, Joeys Klassenlehrerin, war auch die Schulpsychologin anwesend. Auch Kaiba war dort. Angespannt saß er an der langen Tafel, neben ihm in zusammengesunkener Haltung und seit langem schweigsam... Joey. "So etwas gab es noch nie an dieser Schule!", rief der Lehrer empört und blickte wütend in die Runde. "Brutalität! Und dann noch ein Schüler einem Lehrer gegenüber!" "Was gebärden Sie sich hier!", fauchte Kaiba. "Fünfundzwanzig Schüler können bezeugen, dass Sie ihn provoziert haben!" "Das ist eine Unerhörtheit!", plusterte sich der Lehrer auf. "Hören Sie!" Kaiba verengte die Augen. "Sie rücken sich in kein gutes Licht, wenn Sie jetzt lügen! Er hat Sie mehrmals gebeten, ruhig zu sein! Und Sie haben nicht aufgehört!" "Was fällt Ihnen..." "Stimmt das?", meldete sich der Schulleiter zu Wort, während die Psychologin den Blonden beobachtete, der den Kopf gesenkt hielt und nach unten starrte. "Ich habe ihn nur darauf aufmerksam gemacht, dass die Gleichung unkorrekt war!" "Was Sie nicht sagen!" "Herr Koni, ich kenne Sie gut und schenke deshalb Kaiba Glauben." Der Schulleiter griff nach seinem Kaffee. "Aber..." "Wir haben es mit überhöhten Aggressionen zu tun", meinte die Psychologin ruhig und die junge Klassenleiterin seufzte. "Auch wenn ein Lehrer einen Schüler provoziert, hat dieser ihn nicht anzugreifen." "Das ist auch gar nicht seine Art", sagte die junge Lehrerin traurig. "Er ist sehr energisch, wird aufgrund einer solchen Sache jedoch nicht gewalttätig." "Haben Sie vielleicht trotzdem eine Begründung für seine Aggressionen?", erkundigte sich der Schulleiter ernst und Kaibas Finger begannen einen nervösen Takt auf dem Tisch zu trommeln. Die Lehrerin seufzte. "Seine Eltern sind zwar geschieden, aber... nun ja," sie räusperte sich, "sein Vater, bei dem er lebt, schafft es nicht oft zu den Elternabenden. Ich habe ihn bisher nur einmal gesehen und da wirkte er recht nett." "Das tun die meisten Väter, die ihre Söhne schlagen!", zischte der Lehrer. "Ich bin mir sicher, dass..." "Zügeln Sie Ihr Mundwerk!", mischte sich Kaiba ein. "Und wagen Sie es, Schlüsse aus einer spontanen Vermutung zu ziehen! Charles Wheeler ist ein sympathischer Mensch, mit dem ich schon viel Zeit verbracht habe! Das Verhältnis zwischen Joseph und ihm ist harmonisch und entspannt! Halten Sie sich von vorschnellen Behauptungen fern, Herr Koni!" "Es wäre mir aufgefallen, wäre Zuhause etwas passiert", meinte die Lehrerin. "Ich glaube Kaiba. Herr Wheeler war mir bei diesem Treffen wirklich sympathisch." "Sehen Sie", ergriff die Schulpsychologin das Wort, "solche Aggressionen entstehen nicht so einfach. Es muss einen Grund geben, eine Erklärung. Joseph, wollen Sie uns irgend etwas erzählen? Haben Sie irgend etwas auf dem Herzen?" "Könnte es etwas mit dem Vorfall von vor einem Jahr zu tun haben?", murmelte der Schulleiter und sogleich richteten sich fast alle Augen auf ihn. Joey regte sich nicht. Kaiba jedoch starrte ihn an, grübelte hastig und schüttelte langsam den Kopf. >Ich glaub das nicht...! Was passiert hier?!< "Herr Azuna, hören Sie." Die Klassenleiterin schickte ihrem Schützling einen warmen Blick. "Ich bitte darum, diese Sache nicht wieder aufzurollen. Wir haben der Entscheidung des Gerichtes zu vertrauen. Es gibt nichts, was wir nicht wissen." Kaiba presste die Lippen aufeinander, wurde etwas unruhig. "Wenn jemand einen Menschen erschießt, dann muss es erst einmal dazu kommen!", fauchte Koni. "Würde er in einem gesunden und gefahrlosen Umfeld leben, wäre es nie zu so etwas gekommen! Warum also, sollte er jetzt nicht auch noch gewalttätig werden?!" "Herr Koni!" Die Stimme der Lehrerin nahm einen schneidigen Unterton an. "Diese Diskussion ist seit langer Zeit beendet! Ich werde nicht darüber sprechen!" "Weil Sie Angst haben, es könnte dabei etwas Unschönes herauskommen?" "Es reicht!" Die Miene des Schulleiters verfinsterte sich. "Sehen wir es von einer anderen Seite! Wheeler blieb der Schule seit der Klassenfahrt fern und diese ist jetzt fast einen Monat her! Herr Kaiba fehlte auch des Öfteren. Ist es nicht verwunderlich, dass solche Dinge nur passieren, nachdem er nicht in der Schule war?" "Was wollen Sie damit sagen?!" Kaiba war verwirrt und der Mann fuchtelte etwas barsch mit der Hand. "Als er der Schule das erste Mal länger als zwei Wochen fernblieb, lag er im Krankenhaus." Sein Blick richtete sich scharf auf Kaiba. "Und das, weil er angeschossen wurde!" "Was...?!" Kaiba traute seinen Ohren nicht. "Woher wissen Sie das?!" "Es hat sich in der Schule herumgesprochen!", kam die knappe Antwort und Kaiba drehte sich perplex zu Joey. "Aber..." "Als er der Schule das nächste Mal über einen längeren Zeitraum fernblieb", unterbrach ihn der Lehrer, "erschoss er einen Menschen!" Unter einem leisen Ächzen beugte sich Kaiba nach vorn und rieb sich die Stirn. "Und ich frage mich", der Lehrer blickte in die Runde, "was er diesmal getan hat." Die Psychologin nickte in leiser Zustimmung und Kaiba biss die Zähne zusammen. "Kaiba." Ertönte da die zarte Stimme der Klassenleiterin. "Immer wenn Joseph eine längere Zeit fehlte, kamen auch Sie einige Tage nicht in die Schule. Wissen Sie, ich freue mich sehr darüber, dass ihr euch angefreundet habt, obwohl man es nie erwartet hätte. Und wie mir scheint, verbringt ihr viel Zeit miteinander. Sie müssen doch eine Erklärung für all das haben." "Er muss von der Schule fliegen!", fauchte Herr Koni wieder. "Er stellt eine Gefahr dar! Und sicher nicht nur für die Lehrer!" "Seien Sie still!", schimpfte die junge Lehrerin. "Wenn wir hierfür keine Erklärung finden, dann werden wir Gewaltätigkeit als den Grund dieses Vorfalls ansehen!", warnte der Lehrer. "Und ich sehe mich dazu gezwungen, ihn der Schule zu verweisen! Und das wäre alles andere als gut, da in einem Jahr die Abschlussprüfungen stattfinden." "Nein." Kaiba schüttelte langsam den Kopf und die Anwesenden verstummten. "Nein, warten Sie." Langsam richtete sich der Brünette auf. Als hätte er eine schwere Entscheidung getroffen, sah er sich um, blähte die Wangen auf und rieb sich erneut die Stirn. "Er ist nicht gewalttätig." "Was dann?", erkundigte sich der Schulleiter. Kaiba lehnte sich zurück, faltete die Hände auf dem Bauch und zögerte lang, bevor seine Pupillen den Weg zu Joey fanden und diesen lange und intensiv studierten. >Es tut mir Leid, Joseph... ich hätte dir am liebsten im Vertrauen gesagt, was in mir vorgeht. Doch nun bleibt mir keine andere Wahl.< "Er...", kurz suchte Kaiba nach den richtigen Worten, "... er hat wohl psychische Probleme." Die Lehrerin verzog wehleidig das Gesicht. "Und... ich...", er starrte auf den Tisch, "... hatte sowieso vor, einen Psychologen zu konsultieren." In gemächlichen Schritten verließ er das Schulgebäude. Die eigene Tasche um die Schulter gehängt, die andere tragend, ging er über den kleinen Schotterplatz, warf einen flüchtigen Blick auf die Uhr und suchte nach der Limousine. Er wurde fündig und drehte sich zur Seite. Gerade war dort Joey gelaufen. Doch nun? Flink drehte er sich um. Mit gesenktem Kopf und geballten Händen war der Blonde stehen geblieben, starrte auf den Boden und regte sich nicht. Kaiba atmete tief durch, schickte der Limousine einen flüchtigen Blick und kehrte zu ihm zurück. "Joseph." Er seufzte leise, raffte seine Tasche höher und neigte sich etwas nach vorn, um dessen Gesicht sehen zu können. "Hey, was..." "Seit wann", ertönte ein leises Flüstern und er verstummte augenblicklich. "Was?" Kaiba richtete sich auf. "Was meinst du?" Joeys Schultern hoben sich unter einem tiefen Atemzug, dann sah er auf und Kaiba las eine leichte Enttäuschung in den braunen Augen, die sich zielstrebig auf ihn richteten. "Seit wann", Joeys Miene zuckte, "hast du vor, mich zu nem Psycho zu schicken!" Kaiba schloss erschöpft die Augen, stellte Joeys Tasche ab und rieb sich die Stirn. "Gestern Abend kam es mir in den Sinn und heute Morgen habe ich mich dazu entschlossen." Die schmalen Augenbrauen verzogen sich verwirrt. "Warum? Was habe ich denn gemacht?" >Du hast knapp zwei Minuten abwesend da gesessen und warst nicht ansprechbar! Und jetzt wolltest du einen Lehrer verprügeln!< Kaiba räusperte sich. "Vielleicht bemerkst du es selbst nicht, aber seit einiger Zeit benimmst du dich merkwürdig und der jetzige Vorfall ist wohl ein klarer Beweis, dass ich mit meiner Vermutung nicht falsch lag." "Deine Vermutung?" Ein scharfer Ton schlich sich in Joeys Stimme ein. "Was soll das denn heißen?! Ich habe doch nichts falsches getan! Der Kerl hat mich provoziert und ich habe nur..." "Genau das ist das Problem." Kaiba hob seine Tasche hoch und drehte sich um. "Komm." "Und was ist, wenn ich das nicht tue...?" Joey blieb stehen und Kaiba verdrehte die Augen. "Du hast es gehört, Joseph. Entweder du gehst zum Psychologen oder du fliegst von der Schule. Die nächsten Tage bist du sowieso befreit." Joey flüsterte etwas Unverständliches, ließ die Hände in den Hosentaschen verschwinden und schlenderte los. "Fährst du mich danach wenigstens Nachhause?" Er zog an Kaiba vorbei. "Oder willst du den Gestörten lieber bei dir haben! Immerhin könnte er ja irgend einen Blödsinn machen!" >Ist Charles wenigstens da...? Nein, er ist wohl wieder auf Reisen<, grübelnd sah Kaiba ihm nach. >Das gefällt mir nicht... er allein?< Er biss sich auf die Unterlippe und setzte sich in Bewegung. Währenddessen hatte Joey die Limousine bereits erreicht. Ruppig öffnete er die Tür und stieg ein. Und schon ist es passiert... Wir entfernen uns voneinander und dabei kamen wir uns gerade erst wieder näher. Es schien alles so entspannt, als bestünde endlich wieder eine gewisse Hoffnung. Die Hoffnung, dass alles wieder gut wird. Dass es ihm besser geht... Dass er sich erholt... Und nun treten solche Geschehnisse ein. Geschehnisse, die mich zu solchen Maßnahmen zwingen. Und er versteht es nicht. Er ist sich nicht einmal einer Schuld bewusst, benimmt sich, als hätte alles seine Ordnung. Doch so ist es nicht... Nein, nichts ist in Ordnung. Ich habe das Gefühl, als wiederhole sich alles. Angeschossen... Entführt... Verprügelt... Als Mörder abgestempelt... Vergewaltigt... Und nun schafft er es nicht mehr. Ich fühle mich hilflos, obwohl ich damit hätte rechnen müssen. Auf direktem Weg fuhren sie in die Firma und Kaiba führte kurze Recherchen durch. Schweigsam tippte er auf dem Computer, während Joey draußen saß. Auf dem Polster eines Sofas, eine Tasse Kaffee in der Hand. Oft blickte Kaiba auf und beobachtete ihn. Jedoch nur kurz, dann wandte er sich wieder seinem Computer zu und seufzte still. Nach einer kurzen Zeit schob sich eine kleine Liste von Adressen und Namen aus dem Drucker und er griff danach, ließ den Zettel in der Hosentasche verschwinden und verließ das Büro. Somit verließen er und Joey das große Gebäude und machten sich auf den Weg zum ersten Psychologen. Auch der Blonde schwieg die gesamte Zeit über und in der Limousine herrschte eine erdrückende Atmosphäre. Beide saßen an den Fenstern, zwischen ihnen war viel Platz und ihre Augen starrten nach draußen, wirkten abwesend und blieben nur selten an gewissen Punkten hängen. Wie soll es jetzt weitergehen...? Würde sich diese Situation doch nur etwas entspannen... Wir brauchen eine gute Nachricht, irgend ein Hoffnungsschimmer... Etwas, das verändert... Das alles verändert! Wenigstens in einer kleinen Hinsicht hatten sie Glück. Der erste Psychologe, ein älterer, nett erscheinender Mann, war Kaiba recht angenehm. Und er war streng in der Auswahl und bestand darauf, Joey nicht zu irgend einem zu schicken. Doch das kurze Gespräch zur Bekanntmachung verlief nicht schlecht, obwohl der, um den es ging, fast nichts sagte. Er zeigte sich wieder unkooperativ, doch Kaiba meinte mit gezwungener Härte, der erfahrene Psychologe würde keine Probleme mit ihm haben, wüsste schon, wie man mit ihm umgehen musste. Und nach wenigen Minuten verließ er das schöne Sprechzimmer und überließ Joey dem erfahrenen Mann. Er selbst entfernte sich nicht allzu weit, ging im Flur spazieren und zog unbemerkt Kreise, in Grübeleien vertieft und anderen Dingen, die sich nicht vermeiden ließen. Er blieb nur kurz stehen, um sich nach einem Kaffeeautomaten umzuschauen, doch selbst so einen schien es nicht zu geben, also warf er sich in einen der bequemen Stühle, streckte die Beine von sich und schloss die Augen. Gestern noch, hatten sie Zärtlichkeiten ausgetauscht und scheinbar ein wundervolles Verständnis gegenüber des Anderen gehegt. Und heute? Heute hatte er Joey einem Psychologen übergeben! Er atmete tief ein, stieß die Luft unter einem dumpfen Seufzen aus und fuhr in die Höhe, als sich sein Handy meldete. Und das immer an Orten, an denen es nicht erlaubt war. "Verflucht!" Hastig tastete er danach und zog es ins Freie. Er war kurz davor, den Anruf abzubrechen. Dann jedoch, wanderten seine Pupillen prüfend nach beiden Seiten und er nahm ab. "Ja." Langsam ließ er sich wieder gegen die Lehne fallen und lauschte. Er hörte aufgeregte Stimmen im Hintergrund. Stimmen, die wild durcheinander quatschten, quietschende Geräusche und das Hallen vieler Schritte. Doch eine wirkliche Antwort bekam er nicht. "Hallo." Er runzelte die Stirn und kratzte sich an der Wange. "Hey!" Ein leises Knistern ertönte und endlich meldete sich jemand. "Ja... ähm... Kaiba?" "Am Telefon." Der Brünette lugte wieder zur Seite. Ein leises Räuspern. "Hier Daniel." "Daniel." Kaiba hob die Augenbrauen, dieser Anruf überraschte ihn. "Du meldest dich nochmal?" "Ja." Der Halbamerikaner klang etwas erschöpft, im Hintergrund ertönten weitere, undefinierbare Geräusche. "Die Verhandlung is vorbei." "Mm." Verspannt mit den Schultern rollend, kam Kaiba auf die Beine und begann wieder zu spazieren. Obwohl ihn diese Sache weniger interessierte... er konnte nicht stillsitzen. "Und bist du mit dem Urteil zufrieden?" "Ha, stell dir vor", Daniel lachte leise, "die ham sich gegenseitig belastet, das war´s mit der Freundschaft. Und letzten Endes kam raus, dass se die Morde alle gemeinsam begangen hatt´n." "Also lebenslänglich." Ein Bild erweckte Kaibas Neugierde und so blieb er stehen, um es sich anzuschauen. "Mm... ja." Seufzte Daniel. "So sieht´s aus." "Und...", Kaiba hob die Hand und strich mit dem Zeigefinger über das Glas des Rahmens, "... wie geht es deinem Freund?" "Ähm...", etwas unentschlossen, zögerte Daniel, "... deshalb ruf' ich an." "Ja?" Kaiba besah sich eine merkwürdige Farbmischung. "Ich... na ja, also ich... nein, ich meine Lee und ich, wir... kommen nach Domino." Augenblick hielt Kaiba in jeglichen Bewegungen inne. Das bloße Erstaunen befiel sein Gesicht, als er die Hand nach einem langen Zögern sinken ließ und langsam zurücktrat. "Wir woll´n Deutschland so schnell wie möglich verlass´n un reisen schon in zwei Stunden ab." "Aber weshalb wollt ihr hierher kommen?", flüsterte Kaiba irritiert. "Wir werd´n nur´n Zwischenstop in Domino einlegen", verriet Daniel. "Wir bleib´n nur zwei Tage... höchstens. Lee will in seine Heimat... nach China...", eine kurze Stille, "... aber so ne lange Reise hält er nich mehr durch... deshalb braucht er zwischendurch ne Pause." "Wie geht es ihm?" Kaiba biss sich auf die Unterlippe, drehte sich und lehnte sich seitlich gegen die Wand. Daniel zögerte vorerst mit der Antwort. Wieder herrschte eine lange Stille in der Leitung und Kaiba wartete geduldig. >Wie geht es dem Menschen, dem ich Josephs Leben zu verdanken habe...?< "Ganz ehrlich...?", hauchte Daniel. "Ganz ehrlich." Ein leises Räuspern und wieder ein Zögern. "Es geht zu ende." Kaiba senkte den Blick. "Sein letzter Wunsch isses, in seiner Heimat zu sterb´n." Daniel sprach immer leiser, Kaiba konnte ihn kaum noch verstehen. "Ähm... okay." Daniel hustete. "Wir werden erst spät am Abend komm, so gegen 8 Uhr... mit´m Krankenhaus is bereits alles abgesproch´n." "Am Nusashi-Platz?", erkundigte sich Kaiba. "Mm, das soll das Beste in Domino sein." "So ist es." Kaiba nickte und löste sich von der Wand. "Jedenfalls", sprach Daniel weiter, "... sagst du Joey Bescheid? Ich meine... nur wenn er ihn seh´n will... wär die letzte Gelegenheit." "Natürlich mache ich das", versprach Kaiba. "Gut, nu muss ich aber Schluß mach´n. Es müss´n noch´n paar Vorbereitungen getroff´n wern." "Ja." Auf Kaibas Gesicht hatte sich eine leichte Melancholie eingeschlichen, als er es zur Seite drehte und dort durch ein großes Fenster nach draußen sah. "Passt auch euch auf." "Okay, wir seh´n uns...?" "Wir sehen uns." Ein mattes Lächeln zog an Kaibas Mundwinkel, als er langsam nickte. "Bis dann." "Tschau." Somit legte Kaiba auf, ließ das Handy sinken und blähte die Wangen auf. >Daniel und sein Freund kommen nach Domino... schon heute?< Langsam ließ er sich an der Wand hinabrutschten und ging in die Knie. Die Ellbogen legte er über die Oberschenkel und starrte auf den Boden. >Ist das vielleicht die Veränderung, nach der ich mich sehne? Wird das etwas ändern...?< Plötzlich öffnete sich in weiter Entfernung eine Tür und Joey trat auf den Flur hinaus. Seine Miene wirkte säuerlich, als er auf Kaiba zusteuerte. "Quacksalber!", hörte er ihn fauchen, als er ihn erreichte. Ruhig blickte er zu ihm auf und Joey verengte die Augen. "Kaiba, du kannst mich nicht diesem Mann auslief..." "Herr Kaiba?", ertönte eine weitere Stimme und der Angesprochene erkannte den Psychologen, der in gemächlichen Schritten das Zimmer verließ und auf ihn zukam. Der Blonde verschränkte ruppig die Arme vor dem Bauch und Kaiba erhob sich, als der Mann ihn erreichte und die Hand hob. "Zweimal die Woche, Dienstags und Donnerstags." Somit schüttelten sie sich die Hände und Kaiba entdeckte mit Erstaunen einen belustigten Gesichtsausdruck. Es sah nicht so aus, als hätte der Mann soeben mit einem Problemfall gesprochen. Er runzelte die Stirn und als hätte Joey gewusst, was er sich in diesen Sekunden wünschte, wandte er sich ab und trottete davon, schien es eilig zu haben, das Gebäude zu verlassen. Die Beiden sahen ihm nach und sobald er sich weit genug entfernt hatte, wandte sich Kaiba an den Psychologen. "Was ist los?", flüsterte er leise und der Mann rückte an seiner Brille, noch immer grinsend. "Einen sehr temperamentvollen Freund haben Sie da", antwortete er entspannt und Kaiba wusste nicht, was er denken sollte. "Ich sehe gutes Gelingen für die Behandlung, die sowieso nicht lange andauern wird." "Wie meinen Sie das?" Kaiba stemmte die Hände in die Hüften. "Sehen Sie", der Psychologe überlegte kurz, "wenn man es recht bedenkt, ist mit ihm alles in Ordnung." "Er wollte einen Lehrer verprügeln", erinnerte Kaiba ihn skeptisch. "Ja, aber trotzdem scheint er mir nicht der Mensch zu sein, der gewalttätig ist. Ich denke, er ist nur verunsichert, weiß nicht, wie er sich verhalten, oder mit manchen Menschen umgehen soll." "Da geht es nicht nur ihm so." "Machen Sie sich bitte Keine Sorgen." Der Mann klopfte ihm auf die Schulter. "Er war bei dem ersten kleinen Gespräch zwar unkooperativ, aber das wird sich ändern. Ich glaube, ich werde gut mit ihm reden können und das Problem werden wir sicher auch lösen. Behandeln Sie ihn wie immer, stellen Sie jedoch nicht übertrieben viele Fragen. Akzeptieren Sie ihn vorläufig so, wie er ist, glauben Sie mir, er wird sich ändern." "Und wie wollen Sie das schaff..." "Kaiba!", ertönte plötzlich eine Stimme und der Angesprochene drehte sich um. Joey stand am Ende des Flurs und fuchtelte mit den Händen. "Kommst du oder was?!" Kaiba und der Psychologe wechselten einen knappen Blick und während der Mann lächelte, nickte Kaiba ihm verabschiedend zu. Joey war noch immer am fluchen, als er den Weg nach draußen suchte. Und als er einem Mülleimer einen giftigen Blick schenkte, holte Kaiba ihn in lässigen Schritten ein. "Was soll ich denn bei dem?" Joey verstand es nicht und Kaiba schwieg, wendete das Handy in der Hand und schien ihm überhaupt nicht zuzuhören. "Ja, okay, ich habe vielleicht etwas überreagiert. Aber das lag nur daran, dass ich in der letzten Nacht wenig Schlaf hatte und..." "Joseph?", unterbrach Kaiba endlich das säuerliche Geplapper, griff nach der Klinke der großen Eingangstür und drückte diese auf. "Was denn." Der Blonde ließ die Hände in den Hosentaschen verschwinden und trat neben Kaiba nach draußen. Dieser blinzelte unter der leichten Sonne, beschattete die Augen mit der Hand und lugte zu ihm. Ihre Blicke trafen aufeinander. "Ich wurde gerade über den Ausgang der Gerichtsverhandlung informiert." Er fuchtelte flüchtig mit dem Handy und Joey pustete sich eine Strähne aus dem Gesicht. Stirnrunzelnd begann er etwas zu schunkeln und zog mit dem Fuß Kreise auf dem Boden. "Und...?", murmelte er trotzig, konnte jedoch nicht verbergen, dass es ihn interessierte. Kaiba ließ ihn nicht lange warten. "Die drei Angeklagten werden den Rest ihres Lebens im Gefängnis verbringen." Joey hielt in den Bewegungen inne, saugte an den Zähnen und rümpfte erneut die Nase. "Okay..." "Zufrieden?" Kaiba hob die Augenbrauen und beugte sich etwas zu ihm. "Mm... ja...", verunsichert wandte sich Joey ab. Doch Kaiba war noch nicht fertig. "Daniel hat es mir verraten." "Hast du...", Joey stellte sich auf die Fußballen, "... mit ihm telefoniert?" "So sieht´s aus." Kaiba ließ das Handy in die Hosentasche sinken und stützte beide Hände in die Hüften, erneut unter der Sonne blinzelnd. "Er und sein Freund werden noch heute hier nach Domino kommen." "Was?!" Augenblicklich fuhr Joey zu ihm herum. Mit geweiteten Augen und versteinerter Miene starrte er ihn an. "Lee kommt... er kommt...", er begann mit den Händen zu fuchteln, "... nach Domino...?!" "Sie bleiben nicht lange, legen nur eine Pause auf der Reise nach China ein." Erklärte Kaiba ruhig. Die Reaktion seines Freundes überraschte ihn weniger. "Nach China...?" Joey schnappte nach Luft. "Aber warum?!" Kaiba holte Luft, um zu antworten. Dann jedoch, entschied er sich für das Schweigen und sah Joey nur an. Dieser kannte die Antwort und nach wenigen Sekunden des Blickkontaktes, schüttelte er langsam den Kopf, wandte sich schlürfend ab und rieb sich die Stirn. "Scheiße..." Er schüttelte den Kopf immer weiter, ging unter einem erschöpften Stöhnen in die Knie und begann im Boden zu pulen. "Ich... ich kann ihm doch nicht so einfach unter die Augen treten!" Seine Stimme schwankte unsicher und wieder schüttelte er den Kopf. "Ich weiß nicht einmal, wie er aussieht...", fügte er flüsternd hinzu. "Und das ist deine letzte Gelegenheit, es herauszufinden." Kaiba verschränkte die Arme, blickte sich flüchtig um. "Du musst es selbst wissen, Joseph." "Mm." "Na komm." Kaiba wies mit einem knappen Nicken zur Limousine. "Lass uns gehen." Somit setzte er sich in Bewegung und Joey folgte nach einem kurzen Hadern. Schlendernd und verunsichert, erreichte er die Limousine und Kaiba wandte sich kurz an ihn. "Du willst also Nachhause." Der Blonde runzelte die Stirn, grübelte kurz und nickte dann trotzig. "Dann holen wir noch deinen Hund ab und anschließend lass ich dich Nachhause bringen." "Mm." Joey öffnete die Tür und stieg ein. Eine knappe halbe Stunde später, saß Kaiba alleine in seiner großen Küche. Er fläzte faul auf einem der Stühle und rührte in einem Joghurt, von dem er noch nichts gegessen hatte. Die Wange träge in die Hand gestützt, starrte er auf die glänzende Fläche des Tisches, zog die Nase hoch und schloss kurz die Augen. In diesen Sekunden war Joey also auf dem Heimweg... Er blinzelte, seine Pupillen glitten zur Seite und richteten sich nachdenklich auf den Kühlschrank. Es war kein gutes Gefühl, das zu wissen. Zur Zeit waren ihm Joeys Empfindungen beinahe gänzlich unbekannt. Er wusste nicht, wie dieser über gewisse Sachen dachte, wie er sich fühlte, was er vorhatte. Wenn überhaupt. Natürlich, auch ohne seinen Vater war er nun nicht mehr allein in der Wohnung. Er hatte seinen Hund. Und doch... Er atmete tief ein, zog den Löffel aus dem Joghurt und ließ ihn in den Becher hinabtropfen. Als er ein Geräusch wahrnahm, blinzelte er zur Seite. >Bitte nicht...< Doch! Es dauerte nur wenige Sekunden, dann waren die Geräusche ohrenbetäubend und drei kleine Kinder kamen in die Küche gerannt. Mokuba, Bikky... und noch ein Mädchen mit Sommersprossen und quietschrosa Kleidern. Sie schlitterten förmlich an Kaiba vorbei, juchzten und lachten. Und der Brünette sackte in sich zusammen. "Hundiii!" Bikky sah sich suchend um, das Mädel quietschte und Mokuba wurde auf seinen Bruder aufmerksam. "Seto! Seto!" Er zog an seinem Pullover. "Wo ist das Hündchen?!" "Nicht da." Kam die träge Antwort. "Aber wo ist er denn?!" Mokuba erschrak. "Er gehört Joseph und der ist Nachhause gefahren." "Och manno!" Bikky zog einen Schmollmund und das Mädel stand mit einem Sprung neben Mokuba und somit direkt vor Kaiba. Dieser lugte müde zu ihr. "Guten Tag, Herr Kaiba!", begrüßte ihn das Mädchen lautstark und präsentierte eine hübsche Zahnspange. "Ich bin Viktoria!" "Mm." Kaiba verdrehte die Augen und ließ sich vollends auf den Tisch sinken. >Ich brauche meine Ruhe...< zog es ihm durch den Kopf. >Muss nachdenken...< "Wollen wir nach oben gehen und Playstation spielen?!", schlug Mokuba vor, der das Hündchen bereits vergessen zu haben schien. "Au ja!", jubelte Bikky in seinem merkwürdigen Akzent. "Wir das machen!" "Will aber nicht", jammerte Viktoria und als die beiden Jungs aus der Küche rannten, folgte sie ihnen meckernd. Mit verschränkten Armen blieb Kaiba liegen, stützte die Stirn auf den Unterarm und behielt die Augen geschlossen. >Ich denke, ich sollte jegliche Grübeleien erst einmal abstellen und einfach sehen, wie es weitergeht.< Lustlos richtete er sich auf, ließ den Joghurt stehen und verließ die Küche. >Bevor ich mir den Kopf zermartere... es ist sowieso zuviel, worüber ich sinnieren müsste. Ertränke ich die Unsicherheiten also einfach in der Arbeit.< ~*To be continued*~ Kapitel 25: Freier Fall ----------------------- Träge öffnete Joey die Tür und schob sich in den Flur. Das Hündchen schlüpfte zwischen seinen Beinen durch den Spalt und begann sofort das Gebiet zu erforschen. Ohne es zu beachten, schmiss Joey den Rucksack in die nächste Ecke, fuhr sich durch den Schopf und schlürfte in die Küche, die Tür lehnte an. Die Wohnung war leer und außer dem leisen Japsen und Schnüffeln war nichts zu hören. Mit niedergeschlagener Miene sah er sich um. Abwesend schweifte sein Blick durch den Raum, er blinzelte nur selten, atmete ruhig und stieß nach wenigen Sekunden ein lautes Stöhnen aus. Mit wenigen Schritten erreichte er den Küchentisch, zog den Stuhl mit dem Fuß zurück und ließ sich träge fallen. Kurz saß er aufrecht, wandte sich dem Tisch zu und ließ sich auf ihn sinken. Er fiel einfach vorn über, verschränkte die Arme auf der glatten Oberfläche und vergrub das Gesicht zwischen ihnen. Sein Leib hob sich unter einem schwerfälligen Atemzug, dann verblieb er reglos. Alleine kauerte er dort und als das Hündchen in einem anderen Raum verschwand, trat völlige Stille ein. Die Strahlen der Sonne bündelten sich auf dem Boden der Küche, hatten nicht die Kraft, den Raum zu erhellen. Finster umgaben ihn die Schränke, alles wirkte trist und leblos. Entspannt waren seine Augen geschlossen, die Lippen einen Spalt weit geöffnet, dann zog er leise die Nase hoch. Das leise Ticken des Uhrzeigers drang an seine Ohren, unten fuhr ein Auto vorbei, lautes Kichern einer Frau ertönte. Kurz regte er sich, grub das Gesicht noch tiefer und schniefte erneut. >Was soll ich denn jetzt machen...? Wie soll ich mich verhalten? Wie lange wird es noch dauern, bis ich mein Gesicht völlig verliere. Vor meinen Mitmenschen... vor Seto.< Er schluckte. >Ja... Seto hat sicher alles unter Kontrolle. Er weiß ja immer, was zu tun ist. Er braucht sich auch keine Gedanken zu machen. Immerhin bin ich jetzt fester Patient beim Psychologen... und das mit achtzehn Jahren! Das ist der perfekte Einstieg in das ernste Leben. Gestört und verunsichert bin ich gern dazu bereit, es mit ihm aufzunehmen! In der Schule hatte ich mich selbst nicht unter Kontrolle und wenn ich das nächste Mal dorthin komme, dann wird man mir den selben Empfang bereiten, wie nachdem ich Katagori erschossen habe! Man wird mich anstarren und tuscheln! Schaut, da ist der Mörder, der jetzt sogar Lehrer umbringen will!< Verkrampft ballten sich seine Hände zu Fäusten, er zitterte. >Ich fühle mich so abscheulich!! Ich weiß nicht, was aus mir wird! Psychisch, körperlich! Ich weiß nicht einmal mehr, wer ich wirklich bin!! Und Seto spricht so ruhig von einem Neuanfang! Als ob es so einfach wäre...< Wieder zog er die Nase hoch, ein schwaches Seufzen folgte. >Werde einfach zu dem, nachdem du dich sehnst! Stark, mutig, selbstsicher... dass ich nicht lache! Im Moment bin ich nichts davon! Ich bin ein gottverdammtes Wrack, das nicht weiter weiß!!< Als er blinzelte, löste sich eine Träne aus seinem Augenwinkel. Verkrampft schloss er die Augen und biss die Zähne zusammen. >Ich habe keinen Bock mehr! Am liebsten würde ich alles beenden!< Mit einer fließenden Bewegung richtete er sich auf und kam gemächlich auf die Beine. Beiläufig strich er sich eine Träne von der Wange und schlürfte auf einen der Schränke zu. Vor diesen kauerte er sich und öffnete ihn, um abwesend in ihm zu wühlen. Kurz darauf neigte er sich nach vorn, griff tief hinein und zog eine Flasche hervor. Träge erhob er sich, ließ sie von der Hand baumeln und warf sich auf den Stuhl zurück, um tief hineinzurutschen und die Beine von sich zu strecken. Als sich eine Wolke vor die Sonne schob, zogen sich die letzten Sonnenstrahlen zurück und die Küche lag in leichter Finsternis. Apathisch waren Joeys Augen nach vorn gerichtet, während er begann, die Flasche Whisky aufzudrehen. >Mit Duke und den anderen weiß ich gerade nichts anzufangen... ich habe keine Lust auf die Schule, keine Lust, irgend jemanden zu sehen... keine Lust auf alles.< Wieder zog er die Nase hoch, blinzelte und atmete zitternd aus, während er die Flasche zum Mund hob und einige große Schlucke nahm. Sein Gesicht verzog sich, ein kalter Schauer zog durch seinen Körper und er ließ die Flasche sinken, stellte sie auf dem Schoss ab. >Mein Vater ist nicht da und Seto tut so, als wäre alles in Ordnung. Und...<, erschöpft ließ er den Kopf hängen, >... ich wollte wirklich, dass er mich berührt. Ich war wirklich dazu bereit... und was macht er? Er ist plötzlich nicht in Stimmung, was merkwürdigerweise noch nie vorkam! Er kann mir erzählen, was er will! Von wegen, es läge nicht daran... dass ich vergewaltigt worden bin! Ich glaube ihm nicht! Aber eigentlich ist doch alles perfekt...?< Er zögerte und blickte langsam auf. Ziellos drifteten seine Augen umher. >Ja, das sind die perfekten Voraussetzungen, aufzugeben! Warum eigentlich nicht? Ich habe soviel Scheiße erlebt, dass es für drei Leben reicht und mehr bin ich dieser Welt nicht schuldig! Ich habe genug mit mir machen lassen... lasse es einfach nicht mehr darauf ankommen.< Wieder hob er die Flasche und trank. >Ich bin der perfekte Mensch! Ich habe miese Noten, die Lehrer hassen mich, die Schüler meiden mich, meine Freunde beachten mich nicht, mein Freund findet mich nicht begehrenswert und mein Vater ist auch nie da! Außerdem habe ich keine Talente, bin ein psychisches Wrack und habe zu allem Überfluss sicher auch noch Aids! Die letzten Jahre haben mir nicht viel gebracht...< Er holte tief Luft, hielt den Atem an und beugte sich nach vorn, bevor ein leises Schluchzen aus ihm heraus brach und er die Hand zum Gesicht hob. >Am besten ich ziehe unter eine Brücke, besaufe mich jeden Tag, kiffe und nehme andere Drogen! Das wäre wesentlich ungefährlicher als mein jetziges Leben!< Er presste die Hand auf das Gesicht und drückte die Flasche an sich. >Ich will doch nur, dass das alles aufhört! Ich will meine Ruhe! Ich will, dass mir niemand mehr wehtut! Ich will keine Angst mehr haben! Ich das zuviel verlangt?!< Er schluchzte laut auf, ließ sich nach vorn sinken und lag wieder auf dem Tisch. Zitternd hob er die Flasche und stellte sie ab. >Es ist verdammt lange her, dass ich etwas Normales erlebt habe! Etwas, dass in jedes Leben gehört, das sich verkraften lässt! Etwas, nachdem man keinen Psychologen braucht und sich ein scharfes Messer wünscht, das durch die Pulsadern gleitet wie durch Butter! Ich habe mein eigenes Blut schon so oft gesehen... das wäre das letzte Mal!< Verkrampft richtete er sich auf und trank weiter. >Warum soll ich zum Psychologen gehen? Warum soll ich heute zur Nachuntersuchung! Warum soll ich überhaupt noch etwas essen?! Es lohnt sich doch sowieso nicht!!< Als sein Hals wie Feuer brannte, ließ er die Flasche sinken, ächzte laut auf und blieb geduckt sitzen. Ein leises Kratzen ertönte aus dem Flur und kurz darauf streckte sich ein neugieriges Köpfchen in den Raum. Aufgeregt sah sich das Hündchen um, wedelte mit dem Schwanz und schob sich vorsichtig durch den Türspalt. Starr richteten sich die braunen Augen darauf, verfolgten jede der Bewegungen apathisch. ~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~. Glaubte man den Weisheiten der Alten, heilte die Zeit alle Wunden, war Rache nur ein bittersüßer Geschmack, schmerzte Hass nicht ewig, und dann sah ich es in deinen Augen... ~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~. Die Flasche mit sich ziehend, kam Joey auf die Beine und strauchelte in schlürfenden Schritten auf den Hund zu. Ihn nicht beachtend, beschnüffelte dieser die Kante eines Schrankes. Direkt neben ihm blieb Joey stehen, hob die Flasche zum Mund und trank. ~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~. Glaubte man den Worten der Mächtigen, war Glück von Dauer, spross Reichtum aus den Böden, lächelte die Liebe auf uns herab. Doch dann sah ich es in deinen Augen. Leere und Kälte umgab dich. Und nichts schien mehr glaubwürdig... ~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~. Ihm war übel, als er die Flasche wieder sinken ließ, sich mit dem Handrücken über den Mund fuhr und die Tränen hinabschluckte. Der Hund schnaubte leise, schüttelte tollpatschig den Kopf und drehte sich tapsig zu ihm um. Abwesend beobachtete Joey, wie er die Vorderpfötchen auf seinen Fuß stellte sich sein Hosenbein beschnupperte. Eine lange Zeit stand er so dort, hielt den Kopf gesenkt und atmete ruhig. Dann runzelte er die Stirn, brummte leise und schob den Hund mit dem Fuß zurück. Desinteressiert wandte er sich ab. ~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~. Geh nicht, denn ich weiß, wohin du willst. Geh nicht, denn du weißt, es ist der letzte Schritt. Geh nicht, schreie ich, meine Stimme zerbricht, geh nicht, und du lässt dich fallen. ~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~. >Die Welt ist eine Lüge! Glück ist vergänglich, hält nicht lange an!< in benommenen Schritten zog Joey an der langen Arbeitsfläche vorbei, seine Fingerkuppen glitten stockend über das glatte Holz, während sich die braunen Pupillen über den Boden tasteten und sich die Hand mit der Flasche erneut zum Mund hob. >Schreckliche Ereignisse siegen über die Guten und auch wenn man kämpft... am Ende ist man allein.< ~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~. Hatte ich je etwas gelernt, war es unbedeutsam, hatte ich je etwas gefühlt, war es nichtig, hatte ich je geweint, war es naiv, hatte ich je etwas verloren, dann sah ich es in deinen Augen... ~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~. Etwas unsicher auf den Beinen, drehte sich Joey und lehnte sich hinterrücks gegen die Kante der Arbeitsfläche. Benommen stützte sich die eine Hand ab, die andere ließ die Flasche sinken und unter einem leisen Ächzen ließ er den Hinterkopf in den Nacken fallen und schloss die Augen. Die Tränen brannten etwas auf seiner trockenen Haut. >Ich bin zu schwach, um immer wieder darüber zu sprechen. Ich will nicht in Worte fassen, was ich fühle... nein, ich kann es nicht einmal. Niemand wird es verstehen... und ich bin müde.< ~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~. Hatte ich gedacht, dich zu kennen, dann wiederlegtest du es. Hatte ich geglaubt, dich glücklich zu machen, dann beweintest du es. Hatte ich geahnt, wie es dir geht, dann verschwiegst du es. Hatte ich gewusst, was du willst, dann sah ich es in deinen Augen. Leere und Kälte umgab dich. Und nichts schien mehr wichtig... ~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~. Kraftlos sackte sein Kopf nach vorn, die Knie ließen nach und er sank zu Boden. Am niedrigen Schrank rutschte er hinab, blieb auf den Fliesen kauern und kroch in sich zusammen. Die Beine angezogen, die Flasche an sich pressend, das Kinn auf das Schlüsselbein gelegt. Er keuchte, unterdrückte das Schluchzen mit aller Kraft regte sich stockend. Etwas verunsichert tapste der Welpe näher. >Was ich mir wünsche...? Wünsche? Kann ich überhaupt noch wünschen? Noch träumen? Beherrscht mich die grausame Realität nicht viel zu stark? Gebe ich ihr nicht nach...? Gebe ich mich nicht geschlagen...?< Müde zog er die Nase hoch und neigte sich nach vorn. >Doch... ich gebe auf.< ~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~. Geh nicht, denn ich weiß, wohin du willst. Geh nicht, denn du weißt, es ist der letzte Schritt. Geh nicht, schreie ich, meine Stimme zerbricht, geh nicht, und du lässt dich fallen. ~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~. >Ich gebe auf...< ~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~. Da sah ich in deine Augen. ~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~. Sanft hob sich die Hand, näherte sich dem zusammengekauerten Jungen, streifte eine blonde Strähne und legte sich zärtlich auf den Hals, um sogleich weiterzugleiten, sich dem Nacken zu nähern. Die Whiskyflasche begann sich zu bewegen, wurde langsam fortgezogen, entglitt den schwachen Fingern, die sich nur kurz regten. Die Lider des Blonden zuckten, seine Lippen bewegten sich stumm und er fühlte einen warmen Atem, der über sein tränennasses Gesicht strich. ~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~. Leer aber erlöst...? ~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~. Die Flasche wurde in sicherer Entfernung abgestellt, ein leises Geräusch ertönte, als das Glas auf die Fliesen traf. Die Hand erreichte den Nacken, die Fingerkuppen streichelten kurz über die kühle Haut und mit einem sanften Druck, wurde Joey nach vorn gezogen. Sein Rücken löste sich von dem Schrank, der durch einen Arm ersetzt wurde. Sanft legte sich dieser um ihn, verstärkte den Druck, worauf Joey hinabsank. Kraftlos und benommen stützte er sich nicht ab. ~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~. Kalt aber glücklich...? ~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~. Vorsichtig stützte eine starke Schulter seine Stirn, sanft trafen sie aufeinander. Schleppend drehte Joey das Gesicht zur Seite, spürte Wärme auf der Haut, nahm vertrauen Duft wahr und hielt die Augen geschlossen. Er wurde etwas zur Seite gezogen, kippte und lehnte an einem schlanken Leib, worauf sich starke Arme schützend um ihn legten, eine Hand die Tränen von seinen Wangen strichen und in seinem Schopf verschwand. Schläfrig räkelte sich der Blonde, zog die Arme an und kroch in sich zusammen, während er durch die Brust leise Atemzüge wahrnahm, die vollkommene Geborgenheit spürte... festgehalten wurde. ~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~. Nein, soweit wird es nicht kommen... Ich sah es nicht zu spät. Denn ich bin immer bei dir... kenne dich. Bin dein Schutz, deine Mauer. Und lässt du dich fallen... So fange ich dich auf. ~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~. "Kleiner Dummkopf." Vorsichtig zog Kaiba ihn höher, näher zu sich, umarmte ihn erneut und schmiegte sich an ihn. ~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~. >Was kann uns passieren, wenn wir weder Tod noch Hölle fürchten? Nichts. >Was für eine Gefahr kann Verrat für uns darstellen, wenn wir ihn aufrichtig und gemeinsam bekämpfen? Keine. >Kann die Unsicherheit nach uns greifen, wenn wir stets die Gegenwart des anderen spüren? Nein. >Können Sorgen uns zermürben, wenn wir den positiven Prinzipien des Lebens entgegenblicken können? Nein. >Wie könnten wir folgenreiche Fehler begehen, wenn der eine dem anderen ein Lehrer ist? Gar nicht. >Hat die Angst Macht über uns? Nein... Alldem bin ich mir bewusst. Ich muss es nur neu erlernen. "Pass auf." Vorsichtig zog Kaiba den Blonden zu sich und öffnete die Tür. Gemeinsam betraten sie das Krankenhaus. Joeys Hand hatte sich unauffällig in Kaibas Mantel gehakt, er lief eng bei ihm und blickte sich etwas nervös um. Es war in den späten Abendstunden, gegen 21 Uhr und der Blonde machte den Anschein, auch etwas müde zu sein. Sein Gesicht war blass, seine Augen glasig, das Verhalten etwas unbeholfen und unsicher. Hinzukommend schmerzte sein Kopf und ihm war noch ein bisschen übel. Auch der heiße Tee und die kurze Bettruhe, die Kaiba fürsorglich angeordnet hatte, hatte daran nicht viel geändert. Ja, Kaiba war in den letzten Stunden nicht von seiner Seite gewichen, hatte ihn umarmt und ihn getröstet... sich um ihn gekümmert. Vor dem Fahrstuhl blieben sie stehen und mit einem Schritt rückte Joey näher an den Brünetten heran, lehnte sich förmlich an diesen und spürte seine Hand, wie sie flüchtig und unauffällig seinen Rücken streichelte. Er schluckte, blinzelte und sah sich erneut um. Ein merkwürdiges Gefühl herrschte in ihm... Unsicherheit... Angst! Er realisierte noch nicht, dass sich Lee im selben Gebäude befand. Ja, er musste längst hier sein... Die Fahrstuhltüren öffneten sich und sie traten ein. "Hey." Als sie sich wieder schlossen und sie sich alleine in der Kabine befanden, wandte sich Kaiba an ihn. Er sprach leise, berührte sein Kinn mit dem Zeigefinger und drehte Joeys Gesicht etwas zu sich. Besorgt musterte er ihn, wischte vorsichtig über eine gerötete Stelle an der Wange. "Alles in Ordnung?" "Mm." Joey wackelte etwas unentschlossen mit dem Kopf, zog die Nase hoch und lehnte sich gegen ihn, worauf er sofort in eine wärmende Umarmung geschlossen wurde. Vorsichtig schmiegte sich Kaiba an ihn. "Hey", flüsterte er wieder, "... wir schaffen das. Der Test wird bald gemacht." "Das Warten macht mich krank", antwortete Joey ebenso leise und schloss die Augen. Daraufhin durchstreifte eine Hand seinen Schopf. Als die Kabine innehielt und ein leises Geräusch ertönte, lösten sie sich voneinander. Sie traten in den Gang hinaus, orientierten sich kurz und bogen nach rechts. Es würde nicht lange dauern, nur ein kurze Untersuchung, die Johnson auch zu solch später Stunde noch vornahm. Schnell würde er das Gebäude wieder verlassen können... Ein beschäftigter Arzt zog in schnellen Schritten an ihnen vorbei, als sie durch den sterilen Flur gingen, von weit her war ein aufgeregtes Gespräch zu vernehmen, Türen öffneten sich, Türen schlossen sich und Joeys Herz schlug schneller. Ängstlich besah er sich die Türen, die an ihnen vorbeizogen... versank in Gedanken. >Will ich ihn sehen...? Mir sein Gesicht betrachten...? Wie sieht er aus? Würde ich den Anblick überhaupt ertragen...?< Er presste die Lippen aufeinander, blinzelte und lugte zu Kaiba. Dieser bemerkte es nicht, wurde scheinbar auf etwas anderes aufmerksam... und blieb stehen. Joey selbst, ging noch ein paar langsame Schritte, bevor er es ihm gleich tat. Verwundert musterte er Kaibas Miene, bevor sich dessen Beobachtung anschloss. Nicht weit entfernt, erkannte er einen jungen Mann, der soeben eines der Zimmer verließ. Binnen weniger Sekunden weiteten sich seine Augen, sein Mund öffnete sich einen Spalt weit und er war nicht einmal mehr zu einem Blinzeln imstande. >Daniel!!< Dieser löste die Hand von der Klinke, rieb sich flüchtig das Gesicht und wandte sich ihnen zu. Scheinbar mit einem direkten Ziel vor Augen, ging er los, wurde jedoch sofort auf die Beiden aufmerksam. Seine Schritte verlangsamten sich, seine Augen richteten sich auf Joey, musterten ihn knapp, jedoch nicht intensiv. Der Blonde konnte sich nicht bewegen, hielt sogar den Atem an, als der Halbamerikaner knapp vor ihnen zum Stehen kam. Es gelang ihm ebenso wenig, sich lange mit Daniel zu beschäftigen, unweigerlich drifteten seine Augen zu jener Tür... Der Halbamerikaner räusperte sich, kratzte sich am Kinn und stemmte die Hände in die Hüften. "Hi." "Habt ihr die Reise gut überstanden?", erkundigte sich Kaiba entspannt, während er Daniels Miene studierte und regelrecht spürte, dass in dem jungen Mann viel vorging, so viel, dass es ihm ein Unmögliches war, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Joey starrte noch immer auf jene Tür und Daniel nickte. "Ja, geht schon", murmelte er völlig zerstreut und räusperte sich erneut, während er aufblickte und sich umsah. "Ähm... ich muss kurz weg." "In Ordnung." Kaiba nickte ihm zu und nach einem flüchtigen Blick zu Joey, zog Daniel an den Beiden vorbei. Niemand von den dreien drehte sich um, nur Kaibas Pupillen richteten sich aus den Augenwinkeln auf Joey. Dieser starrte nun auf den Boden und bevor Kaiba eine Frage stellen konnte, setzte er sich wieder in Bewegung. Als hätte er es eilig, an jener Tür vorbeizukommen, ging er weiter und zupfte kurz an seinem Mantel. Also folgte ihm Kaiba. Schweigend setzten sie ihren Weg fort und während Joey seine Schritte verschnellerte, ließ Kaiba die Hände in den Hosentaschen verschwinden und seine Augen blieben kurz an der Tür hängen. "Joey." Wie aus dem Nichts erschien Johnson bei ihnen im Flur, hob begrüßend einige Unterlagen und lächelte. "Wie geht es dir?" Nach einem leisen Seufzen folgte ein undefinierbares Brummen, doch Johnson gab sich damit zufrieden, nickte Kaiba kurz zu und blätterte in den vielen Zetteln. "Wenn du möchtest, können wir gleich anfangen und..." "Ja, fangen wir an", unterbrach Joey ihn ungeduldig und Johnson hielt kurz inne. Unauffällig wechselte er mit Kaiba einen Blick, doch dieser stand nur dort, zeigte nicht einmal einen verräterischen Gesichtsausdruck. "In Ordnung", antwortete er nach einem kurzen Zögern und wandte sich ab. "Dann komm." Kaiba blieb stehen, bewegte die Hände kurz in den Hosentaschen und rümpfte die Nase, als er den Beiden nachsah. Joeys Reaktion überraschte ihn nicht, ebenso wenig dessen Verhalten. Es war nur natürlich, dass er zögerte, dass es ihm schwer fiel, einem Menschen unter die Augen zu treten, dem er das eigene Leben zu verdanken hatte... die Freiheit. Einem Mensch, dem er soviel verdankte und doch nicht wusste, wie er aussah. Seine Schultern hoben sich unter einem tiefen Atemzug und als Joey und Johnson um eine Ecke bogen, verzogen sich seine Augenbrauen und mit einer langsamen Bewegung drehte er sich um. Zielgerichtet trafen seine Augen auf jene Tür. Er machte nicht den Anschein, als würde er sich in Grübeleien vertiefen. Nein, seine Mimik zeigte eine ruhige Entschlossenheit, als er sich gemächlich in Bewegung setzte... in sicheren Schritten auf die Tür zusteuerte. Er erreichte sie schnell, seine Hände verließen die Taschen und ohne auch nur kurz zu zögern, griff er nach der Klinke. Sie fühlte sich kühl an, als er die Finger um sie schloss und sie besonnen hinabdrückte. Sein Blick richtete sich auf den Boden, als er die Tür öffnete. Sogleich drang leises Piepen an seine Ohren, Geräusche von arbeitenden Maschinen... und ansonsten Ruhe. Mit einem Schritt trat er in den Raum, seine Hand blieb auf der Klinke liegen und er sah auf. Nur ein einziges Bett stand in dem kahlen Zimmer, eine nicht zu grelle Lampe spendete Licht, während vor den Fenstern die tiefe Dunkelheit der Nacht herrschte. Kaiba legte den Kopf schief, ohne dass seine Miene an Ausdruck gewann. Reglos lag dort ein junger Mann... Eine weiße Decke wärmte ihn ab der Brust, zierliche Arme lagen auf ihr, Injektionsnadeln steckten in der Haut, dünne Kabel schlängelten sich über die Matratze. Kaiba wandte den Blick nicht ab. Selbst, als er leise die Tür hinter sich schloss, sah er ihn an. Haut, so blass... Glieder, so kraftlos... Geschmeidig schlängelten sich die Strähnen des langen schwarzen Haares über das Laken, nur langsam hob sich die Brust unter schwerfälligen Atemzügen. Sie waren zu hören, drangen als leises Röcheln zu Kaiba. Glänzend haftete der Schweiß auf dem Gesicht. Es war leichenfahl, umso auffälliger die geröteten Augen, die spröden Lippen. Entspannt waren die Lider gesenkt. Ein dünner Schlauch zog sich wagerecht über das Gesicht, spendete der Nase Sauerstoff, während auf der Brust, die durch das halb geöffnete Hemd zu sehen war, kleine Saugnäpfe hafteten. Kaiba glaubte, eine leblose Hülle vor sich zu sehen. Ein Körper, so gebrechlich wie der einer Puppe, ebenso farblos... Leise trat er an das Bett heran und blieb stehen. Bewegungslos lagen seine Hände auf der Hose, sein Gesicht verriet keine Emotionen. Nur seine Augen wurden auf eine Anzeige aufmerksam. Der Herzschlag... Das Piepen ertönte in langen Abständen, der schmale Strich erhob sich nur zu flachen Höhen und flüchtete weiter. Andere Geräte blinkten und neben ihm ertönte das schwache Röcheln. Gemächlich atmete er ein, betrachtete sich die vielen Knöpfe und senkte das Gesicht zu dem jungen Mann. Ein kurzes Stechen durchzuckte seinen Leib, als er dunkle Pupillen erblickte. Lee hatte die Augen geöffnet, wenn auch nur einen Spalt... er sah ihn direkt an und Kaiba floh nicht, hielt den Blickkontakt aufrecht und schwieg. Die Augen des jungen Mannes wirkten apathisch und leblos, eine Bewegung der Pupillen war nicht auszumachen und doch spürte Kaiba, dass er gemustert wurde. Die Stille hielt an, nur das Piepen und das Röcheln der Lunge, die nach Sauerstoff rang. Ohne zu blinzeln, sah Lee den Brünetten an. Und das über eine lange Zeitspanne hinweg, ohne dass sein Gesicht auch nur im geringsten zuckte. Kaiba zwinkerte, seine Hände begannen sich zu bewegen und wurde dann auf die rauen Lippen aufmerksam. Er begann sie zu studieren, vertiefte sich in sie und erkannte ein Lächeln, welches so kraftlos war, dass es kaum auffiel. Nur wenig hatten sich die Mundwinkel verzogen und als Lee endlich blinzelte, schlug die Atmosphäre in dem Raum um. Sie wirkte angenehmer, entspannender und doch erwiderte Kaiba die Geste nicht. Kein Lächeln, nein, nichts dergleichen. Stattdessen schwand das Lächeln und der Mund öffneten sich einen Spalt weit. Deutlich hörbar, holte er tief Atem und dennoch war es lediglich ein heiseres Flüstern, das über seine Lippen kam. So leise und kraftlos, und dennoch verstand Kaiba jedes Wort. "Brünettes Haar, stechend blaue Augen...", flüsterte er, ohne den Blick von Kaiba abzuwenden, "... stolzes Auftreten, der Anschein, unverletzlich zu sein..." Obgleich er sprach, wirkte sein Gesicht noch immer leblos. Nichts verbarg sich in den beinahe schwarzen Augen... keine Gefühle... ob nun Trauer oder Freude. Bewegungslos lag der Körper darnieder, fiebrige Hitze ging von ihm aus. Kaiba antwortete nicht, sah wieder ein langsames Blinzeln. "Du musst Joey´s Freund sein." Bevor er ausgesprochen hatte, brach Kaiba den Blickkontakt ab. Das Gesicht zur Seite drehend, besah er sich die schwachen Umrisse des Körpers unter der Decke, antwortete mit einem stummen Nicken. Er ließ Lee´s Augen nur kurz außer Acht, atmete tief durch und verschränkte die Arme vor dem Bauch, bevor er sich ihm wieder zu wandte. "Wie ist dein Name," flüsterte er in einem sanften Ton und der junge Mann schloss die Augen. "Lee Ann Chang." Kam die leise Antwort und Kaiba kommentierte sie mit einem besonnenen Nicken, blieb jedoch vorerst bei dem Schweigen und presste die Lippen aufeinander. Kurz darauf löste er die verschränkten Armen, ließ sie sinken und atmete tief durch. Erneut richteten sich die dunklen Pupillen auf ihn und er sah den den jungen Mann direkt an. "Lee Ann Chang", sagte er leise und der Angesprochene blinzelte, war zu einem Nicken nicht imstande. "Ich weiß nicht, wie ich am besten in Worte fassen soll, was du für uns getan hast. Für Joseph...", er hob flüchtig die Hände, "... für mich, für Freunde, Eltern und Geschwister. In einem Moment, in dem ich nichts, aber auch gar nichts für Joseph tun konnte, gab es dennoch jemanden, der dazu imstande war, der eine Entscheidung traf, die nicht nur Joseph´s Leben gerettet hat." Lee hörte ihm zu und er verfiel erneut dem Schweigen, bewegte stumm die Lippen und grübelte. Eine kurze Zeit stand er ratlos dort und schüttelte alsbald den Kopf, ein selbstverhöhnendes Grinsen zeichnete sich auf seinen Lippen ab. "Ich habe jeden Tag nichts anderes zu tun, als Reden zu schwingen und jetzt fehlen mir gänzlich die Worte." Er sah Lee direkt an. "Joseph hat mir gegenüber nichts gesagt. Was wirklich geschehen ist, erfuhr ich von Daniel, nachdem ich zwei Wochen lang einen heiteren Menschen vor mir sah. Ich kenne die genauen Zusammenhänge nicht, bin nicht mit jedem Detail vertraut, glaube aber auch, dass das nicht unbedingt notwendig ist. Das wichtigste ist, dass ich weiß, was ich dir zu verdanken habe." Lee blinzelte und er legte eine kurze Pause ein, bevor er die Augen schloss und den Kopf etwas senkte. "Danke." Kurz verharrte er in der Haltung, bis er sich wieder aufrichtete und war überrascht, als er einen skeptischen Ausdruck auf dem bleichen Gesicht erkannte. Nur unauffällig und doch vorhanden. "Unbesorgt...", ertönte wieder das matte Flüstern, "... siehst du trotzdem nicht aus." Kaiba rümpfte die Nase und räusperte sich leise. "Welcher Mensch ist schon frei von Sorgen." Erneut verzogen sich Lee´s Lippen. Diesmal jedoch stärker. Sie verzogen sich zu einem amüsierten Grinsen, welches kraftvoll wirkte, jedoch umso schneller verblasste. "Da hast du recht." Kaiba erwiderte das Grinsen flüchtig, wurde jedoch schnell wieder ernst und biss sich grübelnd auf die Unterlippe, während er sich die zierlichen Hände des jungen Mannes besah. "Nach China also", flüsterte er. "Nach China...", kam die leise schwelgende Antwort. "Wer wartet dort auf dich?", erkundigte sich Kaiba sanft, während sich seine Hand allmählich Lee´s Arm näherte. Diesen schien die Schwäche mit jeder Sekunde stärker zu übermannen. Kraftlos sanken seine Lider hinab, während sich die Lunge erneut röchelnd nach Sauerstoff sehnte. "Menschen, die mich aufgeben hatten... und mich jetzt wiederkriegen..." Kaiba nickte mit einem tiefen Verständnis, seine Fingerkuppen waren kurz davor, auf die glühende Haut zu treffen. Er spürte bereits die Hitze, fixierte eine bestimmte Stelle und zog die Hand dennoch zurück. Er berührte Lee nicht. "Was ist mit dir...", nahm er dessen Flüstern erneut wahr und sah ihn an. Das Sprechen fiel ihm schwer, abwesend waren die dunklen Pupillen auf ihn gerichtet, "... willst du mir nicht auch sagen... dass ich nicht aufgeben darf...?" Kaiba atmete tief durch, studierte das leichenblasse Gesicht, die Augen, die sich dem Tod längst ergeben hatten, der Körper, der kurz davor war, auch den Rest der Kraft zu verlieren. Das leise Piepen, welches ertönte... das Herz, das nicht mehr lange schlug. Und dann trafen sich ihre Blicke... und er schüttelte den Kopf. "Deine Entscheidung", sagte er. "Dein Recht." Lee´s Miene regte sich nicht. "Wie wird Joey damit fertig...?" "Was meinst du?" "Mm." Ein kurzes Blinzeln. "Du bist so vernünftig, dass du kühl wirkst." Kaiba antwortete nicht. Es kamen ihm keine passenden Worte in den Sinn, hinzukommend war eine Antwort nicht nötig... und sie wurde auch nicht erwartet. Lange sahen sie sich an, bis Lee die Augen wieder schloss. Kaiba senkte den Kopf. Seine Finger spreizten sich, die Hände ballten sich zu entspannten Fäusten und nach einem lange Innehalten, blickte er aus dem Fenster, vor das sich allmählich der leuchtende Mond schob. Der Himmel war beinahe schwarz, nur wenige Sterne leuchteten. Eine kurze Unregelmäßigkeit des Piepen war zu vernehmen. Es schien, als würden sich die Abstände kurz verlängern, bevor es sich im gewohnten Takt meldete. Kaiba schluckte, nahm dann jedoch eine leichte Bewegung wahr und bemerkte die Hand, die sich regte. Stockend schob sich der Arm zur Seite, die Hand näherte sich der Bettkante und blieb dort liegen. Schweigend sah Kaiba sie an, sah, wie sich die Finger hoben, der Hand die Kraft fehlte, es ihnen gleichzutun. Er zögerte lange, bevor er sich ihr langsam mit der eigenen Hand näherte. Diesmal berührten seine Fingerkuppen die Haut, die vor Fieber glühte. Er spürte die Wärme intensiver, strich mit den Kuppen bis zu den Fingerknöcheln... seine Augen verfolgten jede der eigenen Bewegungen. Und nach wenigen Sekunden schob er die Hand unter die andere, hob diese etwas an und umschloss sie vorsichtig. Lee´s Hand bewegte sich nur kurz, war nicht dazu imstande, den einfühlsamen Druck zu erwidern. "Hey..." Kaiba blickte auf... Lee´s Augen waren noch immer geschlossen, die Lippen bewegten sich nur stockend, ein Hauchen war das einzige, was über sie kam. "Pass auf deinen Jungen auf... er ist ein guter Mensch." Schweigend bedachte Kaiba diese Worte, die erhitzte Hand lag reglos in der Seinen. "Und genieße das Leben...", die Lider zuckten, hoben sich kraftlos, damit er ihn ansehen konnte, "... es ist... kostbar." Somit schlossen sich die Augen und dennoch sah Kaiba ihn weiterhin an. Bewegungslos blieb er stehen, hielt die Hand und senkte nach langer Zeit den Blick zu ihr. Tief atmete er aus, blinzelte zur Seite und begann die Unterlippe mit den Zähnen zu bearbeiten. Die Kraft fehlte... mehr Worte konnten nicht gesprochen werden... Er lauschte dem Piepen, nahm das Röcheln wahr... die Atmosphäre, die mit jeder Sekunde drückender wirkte. Und alsbald schien er aus einer tiefen Abwesenheit zu erwachen. Er begann sich zu regen, betrachtete sich wieder jene Hand und legte sie vorsichtig auf dem Laken ab. Behutsam ließ er sie los, rieb sich das Gesicht mit beiden Händen und unterdrückte ein erschöpftes Stöhnen. Er rieb sich auch die Augen, fuhr sich durch den Schopf und begann Lee ein letztes Mal zu mustern. Der Mensch, dem er alles zu verdanken hatte... Der Mensch, ohne den Joey weitere Qualen gelitten hätte... Der Mensch, der nicht aus Eigennutz handelte... Der Mensch, der das eigene Wohl vergaß und half... Das war er. Er senkte den Kopf, atmete tief durch und kehrte ihm den Rücken zu. Dort hielt er nur kurz inne, bevor er sich in langsamen Schritten der Tür näherte. Er fühlte sich merkwürdig, als er diese erreichte, die Hand zur Klinke hob und dennoch zögerte, als er sie bereits auf ihr abgelegt hatte. Seine Lippen pressten sich aufeinander, seine Pupillen flüchteten von einer Seite zur anderen. Er hatte ihn gesehen... Das erste Mal... Das einzige Mal... Er schüttelte kurz den Kopf, versuchte seine Gedanken zu ordnen und drückte die Klinke hinab. Das durchgehende Piepen wirkte belastend, doch plötzlich mischte sich noch etwas anderes dazwischen. Ein Flüstern... "Joey ist nicht infiziert." Gerade noch dabei, tief Luft zu holen, stockte Kaiba der Atem, als er das vernahm. Schwer blieb seine Hand auf der Klinke liegen, die Tür jedoch, öffnete er nicht. Einige Sekunden verharrte er vollkommen starr, ohne dass seine Miene einen besonderen Ausdruck annahm. Wieder nahm er nur das Piepen wahr... sonst herrschte Stille... Langsam rutschte die Hand von der Klinke. Sogleich hob sich diese und die Tür blieb angelehnt. Die schmalen Augenbrauen verzogen sich verwirrt und etwas stockend, drehte er sich um. Und wieder sah er die Pupillen... "Wie bitte...?" Nun war er es, der nur ein heiseres Flüstern zustande brachte. Als wäre er durch einen Schlag benommen, trat er einen Schritt näher. "Was hast du gesagt...?" "Es wurde verhütet", kam die leise Antwort. "Ich habe es gesehen... später." Es gelang Kaiba nicht sofort, diese Worte zu realisieren. Kurz stand er dort, ohne darauf zu reagieren. Erst dann weiteten sich seine Augen, sein Mund öffnete sich und dennoch bekam er kein einziges Wort heraus. Auch sein Gesicht verlor an Farbe. ~*To be continued*~ Kapitel 26: Ewiger Abschied --------------------------- "Er...", die Worte fielen ihm schwer, "... es besteht keine Gefahr?" Er wusste nicht, was er denken sollte, als ein stummes Kopfschütteln die Antwort brachte. Lautlos bewegten sich seine Lippen, seine Pupillen flüchteten zur Seite und unter einem erschöpften Stöhnen rieb er sich das Gesicht. Er hatte sich den Kopf zermartert! Immer und immer wieder! Und nun?! Er atmete tief ein, verdrehte die Augen und wandte sich wieder an Lee, der ihn still musterte. Kurz hielten sie den Augenkontakt aufrecht, dann trat Kaiba erneut an das Bett heran. Seine Hände legten sich flach auf die Oberschenkel, seine Augen schlossen sich und dann verbeugte er sich tief und inständig. Die schmalen Augenbrauen des Halbchinesen hoben sich. "Danke." Kaiba flüsterte nur, hielt sich weiterhin unten. "Ich danke dir." "Mm...", ein schwaches Lächeln zeichnete sich auf Lees Lippen ab und ihre Blicke trafen sich erneut, als sich Kaiba aufrichtete, "... jetzt geh schon." Mit einem knappen Nicken wies Lee auf die Tür und Kaiba leckte sich die Lippen, drehte sich um und hielt dennoch inne. Er wirkte aufgeregt, als er sich das Kinn rieb und erneut zu Lee lugte. Er musterte ihn nachdenklich. "Wir sehen und wohl nicht wieder." Das Lächeln des Anderen hielt an. "Wohl kaum...", Lee blinzelte und schloss erschöpft die Augen, "... morgen reise ich weiter." Kaiba nickte langsam, blähte die Wangen auf und regte sich nicht von der Stelle. Er wollte sofort hinaus, wollte sofort zu Joey, doch etwas hielt ihn hier. Lee machte den Anschein, als würde er schlafen. Gemächlich stützte Kaiba die Hände in die Hüften. Es gelang ihm ein letztes Lächeln. "Mach´s gut." "Mm..." Lee regte sich und nach wenigen Sekunden drehte Kaiba ihm wieder den Rücken zu. Ohne sich umzuschauen, öffnete er die Tür, trat in den Gang hinaus und sah sich dort sogleich um. Sein Atem fiel schnell, als er sich in eine, dann in die andere Richtung drehte und fündig wurde. Mit hängenden Schultern und bitterer Miene verließ Joey einen Behandlungsraum, zog sich träge die Brille von der Nase. Anschließend ächzte er lustlos, rieb sich den Nacken und blickte auf. In schnellen, zielstrebigen Schritten, kam Kaiba auf ihn zu, mit einer Miene, die nichts verriet. Joey hob die Augenbrauen, ließ die Brille sinken und legte den Kopf schief. >Was ist denn mit dem los.< "Joseph!" Kaiba erreichte ihn und bevor sich Joey versah, zogen ihn zwei Hände nach vorn. Er stolperte und fand sich plötzlich in einer heftigen Umarmung wieder. Verwirrt räkelte er sich, während Kaiba ihn fest an sich drückte, einen langen Atem ausstieß und die Augen schloss. "Joseph!" "Anwesend." Murmelte dieser irritiert und wand sich in dem festen Griff. Um ehrlich zu sein, verstand er gar nichts mehr. Da war er kurz bei Johnson, unterzog sich grauenhaften Tests und war der festen Überzeugung, jeder auf dieser Welt hatte was gegen ihn... vor allen Dingen das Glück. Und dann so etwas...? Er verzog die Miene und die Umarmung verstärkte sich sogar noch. Als wäre er von allen guten Geistern verlassen, klammerte sich Kaiba an ihn und Joey räusperte sich leise. "Kaiba...? Klärst du mich au..." "Joseph!" Plötzlich ließ Kaiba ihn los, griff ihn stürmisch an an Armen und starrte ihn an. Und spätestens jetzt, wusste er nicht mehr, was er denken sollte. Er erspähte einen Ausdruck in den blauen Augen, den er lange nicht mehr gesehen hatte. Erleichterung, Freude, pures Glück. Joey lehnte sich etwas zurück und saugte an den Zähnen. "Joseph, ich war bei Lee!" Kaiba ließ den Kopf hängen und schnappte nach Luft. Und das Gesicht des Blonden wirkte mehr als erstaunt. Er zog die Augenbrauen zusammen, neigte sich nun nach vorn und starrte Kaiba merkwürdig an, als sich dieser wieder aufrappelte. "Du... warst..." "Ja." Kaiba nickte, lachte leise und schüttelte den Kopf. "Hat er dir 'nen Witz erzählt?", murrte Joey. "Nein", grinsend sah Kaiba ihn an. "Kein Witz, etwas anderes." "Jaaaa?" Joey weitete die Augen und Kaiba beruhigte sich. Er presste die Lippen aufeinander und atmete tief ein. Seine Pupillen schweiften kurz ab, bevor sie sich direkt auf ihn richteten. "Joseph?" "Jahaaaa." Der Angesprochene verdrehte die Augen. "Es besteht keine Gefahr durch Infektion für dich." "Toll, und?" Joey zuckte mit den Schultern und wollte sich abwenden. Es dauerte kurz, bis er den Inhalt der Worte verstand. Dann hielt er inne. Als wäre er versteinert, stand er dort und Kaiba ließ die Arme sinken. Die Reaktion glich der seinen. Joeys Gesicht verlor an Farbe, die Augen weiteten sich und nach einem langen und verwirrten Grübeln, schüttelte er den Kopf und starrte Kaiba an. "Wie bitte...?" Er verengte die Augen und Kaiba lächelte. "Du wurdest nicht infiziert, Joseph. Es besteht keine Gefahr, es wurde verhütet." Joey schien seinen Ohren keinen Glauben mehr zu schenken. Eine lange Stille trat ein, bevor er wieder zu Worten imstande war. "Bind mir keinen Bären auf", flüsterte er skeptisch. "Glaubst du, ich würde Witze über so etwas machen?" Kaiba trat an ihn heran und er würgte ein schweres Schlucken hinunter. "Realisiere es, verstehe es, Joseph! Du bist gesund! Keine Folgen, keine Medikamente! Du wirst weiterleben so wie immer!" "Ach..." Joey räusperte sich leise, fuchtelte wirsch mit den Händen und verfiel dem Schweigen erneut. Reglos blieb er stehen, bearbeitete die Unterlippe mit den Zähnen und grübelte angestrengt. Kaiba verstand diese Beklemmung nicht. "Hey." Seine Hand legte sich auf die Schulter des Blonden. "Was ist los?" Joey ließ den Kopf sinken, saugte an den Zähnen und spielte scheinbar etwas nervös mit seinen Händen. "Kaiba...", murmelte er etwas verunsichert, "... ich hätte doch gemerkt, wenn dieser Typ..." "Wer achtet bei so etwas darauf, wie es sich anfühlt?" Kaiba legte die Hand unter Joeys Kinn, drückte dessen Gesicht höher und sah ihn an. Joey starrte auf den Boden. "Joseph, du kannst Lee's Worten Glauben schenken. Er hat es mit eigenen Augen gesehen und..." "Das ist es gar nicht." Joey rümpfte die Nase. "Was ist es dann?" "Höm...", der Blonde räusperte sich, hob das Gesicht von der Hand und drehte sich zur anderen Seite, "... ich glaube..." "Ja?" "Ach verdammt, das geht mir einfach zu schnell." Joey stöhnte und drehte sich um die eigene Achse. Wieder fuchtelte er mit den Händen und Kaiba legte den Kopf schief. "Gerade eben habe ich mit Johnson noch darüber gesprochen! Und und... ich hab es in all meine Grübeleien einbezogen und..." "Wo ist das Problem?" Kaiba grinste und Joey hörte auf zu zappeln. Unter einem lauten Stöhnen sackte er in sich zusammen, streifte sich das Haar zurück und ließ den Kopf sinken. Kaiba wartete geduldig. Und das mit einem Gesicht, das nichts mehr befürchtete, das kein verbittertes Sinnieren andeutete... gar nichts. Er beobachtete den Blonden, wie er sich öfter das Gesicht rieb, unverständliche Worte flüsterte und auch mehrmals brummte. Alsbald schnalzte er leise mit der Zunge, trat an Joey heran und zog ihn wieder zu sich. Er zog ihn in die Arme, umschloss ihn zärtlich mit ihnen und spürte, wie ein heftiges Beben durch den Körper des Blonden zog. Kurz lehnte dieser reglos an ihm, doch es dauerte nicht lange, da spürte Kaiba, wie er die Umarmung erwiderte, wie sich Joeys Hände stockend über seinen Rücken schoben, sich seine Finter zögerlich in sein hemd hakten, sich alsbald regelrecht hineinklammerten. Ein schneller Atemzug entkam Joey, bevor er verkrämpft die Augen geschloss, sich an die Schulter des Größeren schmiegte und die Lippen aufeinander presste. "Scheiße..." Hörte Kaiba ihn verbissen flüstern. "Verfluchter Mist..." Der Brünette kam nicht drum herum. Er lachte leise, durchstreifte den blonden Schopf mit der Hand und begann etwas zu schunkeln. Joey schluckte. "Warum kam das nicht eher heraus." Fluchte dieser wieder. "Damit wir uns noch etwas Sorgen machen konnten." Antwortete Kaiba entspannt und Joey klammerte sich an ihn. "Das war es jetzt also." Die Lider des Brünetten hoben sich etwas, die blauen Pupillen schweiften zur Seite. "Nun gibt es nichts mehr, über was wir uns Sorgen machen müssen." "Lag es denn nur daran?", flüsterte Joey. "Jedenfalls trug es wohl einen nicht geringen Teil dazu bei." Kaiba kraulte seinen Nacken, seine Lippen zierte noch immer das befreite Lächeln, welches man so lange nicht mehr gesehen hatte. "Jetzt sind wir frei von den gröbsten Sorgen und können uns auf andere Dinge konzentrieren." "Welche Dinge wären das." Joey regte sich nicht. "Konzentriere dich auf dein gesundes Leben." Flüsterte Kaiba nahe an seinem Ohr. "Auf deine Freunde, auf dich selbst und... auf uns." Er spürte regelrecht, wie Joey lächelte und nach wenigen Sekunden der Stille trennten sie sich voneinander. Sachte fanden Kaibas Hände ihren Platz auf Joeys Wangen und unter einem beinahe lautlosen Seufzen, hakte er die Finger in seine Unterarme und sah ihn an. Kaiba bemerkte einen matten Schimmer in seinen Augen, zwinkerte ermutigend und legte verspielt den Kopf schief. "Lass uns in aller Ruhe darüber sprechen." Meinte er daraufhin. "Wir suchen uns ein ruhiges Plätzchen... und dann feiern wir diese Nachricht." Joey rümpfte die Nase, schien noch immer nicht darüber hinweggekommen zu sein. Er antwortete jedoch mit einem leichten Nicken und Kaiba ließ die Hände sinken. "Kommst du... wieder zu mir." Joey rieb sich den Ellbogen, lugte zur Seite und nickte wieder. "Ja." Flüchtig trafen sich ihre Blicke und Kaiba verschränkte die Arme vor dem Bauch. "Gut, dann können wir ja los." Joey räusperte sich leise und Kaiba bemerkte, wie sich seine Augen auf einen gewissen Punkt richteten. Er schenkte dieser Tatsache nicht viel Beachtung und sah sich flüchtig um. "Davor brauche ich aber noch etwas." "Was denn?" Joey sah ihn an und er war bereits dabei, an ihm vorbeizuziehen. "Wartest du einen kleinen Moment? Der Kaffee in diesem Krankenhaus ist ausgezeichnet." Somit grinste er, wandte sich ab und ging davon. Joey sah ihm nur kurz nach, hüstelte und saugte an seinen Zähnen. >Der Kaffee ist widerwärtig.< In gemächlichen Schritten bog Kaiba um die nächste Ecke. >Aber ich schulde Joseph eine Chance.< Leicht verunsichert starrte Joey auf die Boden, rieb sich den Oberarm immer noch und schien angestrengt zu grübeln. Jetzt stand er also alleine hier... Nach wenigen Sekunden zog er die Nase hoch und wurde erneut auf jene Tür aufmerksam. Er sah sie nur kurz an, schnitt eine Grimasse und drehte sich um. Brummend schloss er die Augen und rieb sich das Gesicht. Er gestikulierte auch mit der Hand, als wolle er irgend etwas aus dem Kopf vertreiben, murmelte einen leisen Fluch und drehte sich erneut um. Tief Luft holend, ballte er die Hände zu Fäusten, hielt den Atem an und ging los. Wann, wenn nicht jetzt? Morgen würde Lee Domino bereits verlassen... Danach wäre es ihm nie wieder möglich, ihn zu sehen. Nicht auf Fotos... nein, das war zu unpersönlich. Die Augen, vor denen lange Zeit tiefe Finsternis geherrscht, vor denen Lee gestanden hatte, ohne das er ihn sehen konnte. Er wollte, musste wissen, wie er aussah! Er sah die Tür nicht näherkommen, starrte auf den Boden und spürte dennoch, wie sein Herz schneller schlug. Mit jedem Schritt begann es mehr zu rasen und Joey schluckte schwer, um gegen die Aufregung anzukämpfen. Er hatte nicht damit gerechnet, einmal vor solch einer Möglichkeit zu stehen, war kurz davor gewesen, Lee für immer aus seinem Gedächtnis zu verbannen... Dann blieb er stehen, wandte sich zur Seite und betrachtete sich die Klinke. Und obwohl diese nur eine unter vielen war... hinter ihr lag etwas, vor dem er sich fürchtete. Wenn er sie schon ansah, meinte er, sein Herz könne in jedem Moment stehen bleiben. Er biss sich auf die Unterlippe, lugte in beide Richtungen und hob die Hand. Er hob sie über die Klinke, ließ sie dort jedoch inne halten. Langsam ließ Joey den Kopf sinken, die Finger spreizten sich, kurz darauf ballte sich die Hand zu einer Faust und dann griff er zu. Mit einer gezwungenen durchgehenden Bewegung, drückte er sie hinab und öffnete die Tür. Es wäre lächerlich, vor ihr stehen zu bleiben! Es wäre nicht nur lächerlich, es würde auch schwere Schuldgefühle nach sich ziehen. Sie würden ihn bis ans Ende seines Lebens verfolgen, ihn quälen. Der Gedanke, er hätte ihn sehen, mit ihm sprechen können... und es doch nicht getan zu haben. Er machte einen großen Schritt und betrat so den Raum. Seine Augen blieben verkrampft geschlossen, die Hand rutschte von der Klinke, ballte sich, gemeinsam mit der anderen zu einer Faust und lange zeit blieb er so stehen, besaß nicht den Mut, die Augen zu öffnen. Obwohl es doch so einfach war... Er hörte das leise Piepen, roch die sterile Luft, spürte die Atmosphäre, die herrschte. Diese merkwürdige Stille... die trotz des Piepen erschütternd war. >Liegt er jetzt vor mir..?< Joey atmete zitternd ein. >Sieht er mich an...?< Seine Zähne bissen aufeinander, ein kühler Schauer raste durch seinen Körper. >Öffne die Augen, verdammt nochmal!< Mit viel Überwindung hoben sich seine Lider, unsicher kamen seine Pupillen zum Vorschein und die Neugierde zwang Joey, sofort zu dem belegten Bett zu schauen. Sein Blick richtete sich direkt darauf und sobald er Lee erkannte, weiteten sich seine Augen. Als hätte das Entsetzen nach ihm gegriffen, starrte er ihn an. Seine Hände entspannten sich und für kurze Zeit konnte er sich nicht bewegen. Lee... Er sah ein Gesicht vor sich, so anmutig wie das einer Puppe, dir nur für den Zweck, schön zu sein, erschaffen wurde. Weiche Züge, seidiges schwarzes Haar, einen zierlichen Körper... Sein Mund öffnete sich und kurz darauf kam er zu sich. Gehetzt schnappte er nach Luft, stolperte zurück und lehnte kurz darauf keuchend an der Wand. Zittrig tasteten sich seine Hände über die Tapete, ein hastiges Blinzeln folgte und ein kalter Schauer nach dem anderen. Als hätte er etwas erblickt, das ihm jegliche Kontrolle über den Körper raubte, rang er nach Atem, hustete leise und krallte sich in das eigene Shirt. Sein Körper fühlte sich benommen an, wie durch einen brutalen Schlag betäubt, sein Herz raste. Die Schläge pulsierten durch seinen gesamten Leib, schmerzten beinahe schon. Ein Gesicht, so anmutig... und doch sterbensblass, als trüge es kein Leben mehr in sich. Weiche Züge... denen es an jeglichem Ausdruck fehlte. Seidiges schwarzes Haar... es schlängelte sich über das weiße Laken, vermittelte den Anschein, als gehöre es einem Toten, der zur Zeremonie zurechtgemacht worden war. Ein zierlicher Körper... schweißbedeckt und verlassen von jeglichen Kräften. Die Lider... sie waren entspannt geschlossen. Nur das leise Piepen des Herzrhythmus verriet, dass noch Leben in ihm war. Joeys Miene begann zu zucken, seine Lippen pressten sich aufeinander und mit letzter Kraft hielt er sich auf den Beinen. Er war entsetzt... Das war Lee?! Lee, der ihm zuerst abweisend begegnet war... Lee, der sich um ihn gekümmert hatte... Lee, der vor Schmerzen schrie... Er, der sich hilflos den Männern ergeben hatte, von ihnen gedemütigt worden war. Er, dem er sein Leben verdankte. Nie hätte er ihn sich so vorgestellt! Nie! Lange Zeit hatte er eine direkte Vorstellung in sich getragen, ein Bild, welches, dachte er, genau auf ihn zuträfe. Die Haut, das Haar, die Augen, das Gesicht... Nichts von alledem hatte gestimmt. Er meinte, einen Fremden vor sich zu sehen. Und doch... Gehetzt fuhr er sich mit beiden Händen über das Gesicht, schluckte schwer und löste sich stockend von der Wand. In langsamen Schritten näherte er sich dem Bett, doch Lee regte sich nicht, reagierte nicht einmal, als der Blonde erneut hustete und nach Atem rang. Lee schien zu schlafen. Joeys Augenbrauen verzogen sich leidend und nachdem er ihn von Kopf bis Fuß gemustert hatte, schüttelte er den Kopf. Er wollte es nicht wahrhaben, schüttelte ihn immer und immer wieder, presste sich die Hand auf den Mund und keuchte. >Lee...< ... "Kennst du dieses Gefühl, Joey? Kennst du dieses Verlangen? Das Verlangen nach dem Tod? Den Wunsch, zu sterben? Nur noch zu sterben und nichts anderes?" Plötzlich hörte er die Stimme, hörte sie in seinem Kopf, nahm jedes der Worte deutlich wahr. "Nein, ganz sicher nicht. Also wage es nicht, über mich oder meine Freunde zu urteilen." ... Er senkte die Lider und schloss die Augen. Sein Herz hatte sich nicht beruhigt, seine Hände zitterten... ... "Natürlich kenne ich Will. Seit dem Kindergarten hockt er mir auf der Pelle. Und die anderen? Verschon mich mit diesen Halunken." Hallte die Stimme wider und wider. "Sicher sind die immer noch damit beschäftigt, ihren Unfug zu treiben." ... Joey fehlte die Kraft zu lächeln. Seine Miene verblieb in dem verbitterten Ausdruck und selbst als er die Lippen nur um ein Stück verziehen wollte, schmerzte es. ... "Wir bevorzugten die Bezeichnung "Rudel"." ... Ein schneller Atem brach aus Joey heraus, er lachte leise, hielt sofort inne und rieb sich das Gesicht. Er wollte es nicht... es tat wirklich weh. ... "Wie kommst du auf den Gedanken, dass sie mich nicht aufgegeben haben?" Die Augen des Blonden öffneten sich, schweiften abwesend zur Seite. "Und das ich mich nicht aufgegeben habe?" ... "Lee..." Er lehnte sich mit der Hüfte gegen die Bettkante, legte den Kopf schief und stützte sich mit der Hand auf die Matratze. Seine Stimme kam nur als zitterndes Flüstern über seine Lippen. "Du schläfst... und wenn ich es recht bedenke, haben wir uns schon alles gesagt, was es zu sagen gibt. Wir haben uns unterhalten, haben uns angeschrien, haben gemeinsam gelächelt..." Er zog die Nase hoch, versuchte den Atem zu kontrollieren und senkte den Kopf, wobei er auf etwas aufmerksam wurde. "Wärst du wach, ich wüsste nicht, was ich sagen sollte." Nachdenklich fixierte er einen gewissen Punkt, sein gesamter Leib zitterte und er streckte die Hand aus. Vorsichtig griff er nach einer kleinen Schere, die auf einem kleinen Tablett mit Binden und Umschlägen lag. Langsam zog er sie zu sich, umfasste sie sicher und blinzelte zu dem jungen Mann, der mit geschlossenen Augen ruhte. Er betrachtete ihn sich aufmerksam und schluckte gegen den Druck in seinem Hals. "Vielleicht hörst du mich ja." Flüsterte er gedämpft und hob die Schere zum eigenen Kopf. "Vielleicht dringt meine Stimme trotzdem zu dir durch." Er griff nach einer der hinteren Strähnen, setzte die Schere an und schnitt. Er fühlte sich nicht wohl, es brachte ihm Unbehagen hier zu stehen, hoffentlich, betete er, würde die Erleichterung später folgen. Sein Körper schien sich noch immer nicht erholt zu haben, doch in seinem Kopf herrschte merkwürdigerweise eine gewisse Ordnung, als er die Strähne sinken ließ, die Schere kurz auf dem Laken ablegte und sich an Lee wandte. Vorsichtig und doch entschlossen fasste er die vom Fieber erhitzte Hand, drehte sie etwas zur Seite und öffnete sie, um die blonde Strähne hineinzulegen. Anschließend schloss er sie sanft, hielt sie kurz fest. Er streifte den Handrücken flüchtig mit den Fingerkuppen und tastete nach der Schere. Seine Augen richteten sich auf das leblose Gesicht, blieben lange an diesem hängen und wurden dann auf die langen schwarzen Haare aufmerksam. Nach einem flüchtigen Sinnieren, beugte er sich etwas über ihn, hob eine der langen Strähnen an und schnitt auch von ihr ein Stückchen ab. Unter einem leisen Keuchen legte er die Schere auf die Ablage zurück, hielt den Atem ab und starrte auf die Strähne, die er zwischen zwei Fingern hielt. Das schwarze dünne Haar... Er räusperte sich leise, rieb sich den Nacken und schloss es in seiner Faust ein. Von seinem Nacken wanderte die Hand zum Schopf, durchstreifte diesen und sank anschließend hinab. >Vielleicht kann ich Morgen früh noch einmal zu ihm kommen...? Vielleicht ist er kurz vor der Abreise noch wach...? Und wenn dem so sein sollte. Sollte ich noch einmal den Mut finden und dieses Zimmer betreten, sollte er wirklich wach sein... was soll ich sagen? Danke? Danke für mein Leben? Für meine Freiheit? Danke für alles?< Er brummte unentschlossen und wandte den Blick ab. >Als ob Worte seinen selbstlosen Taten gleichkämen! Ich weiß nicht, was ich sagen würde.< Zögernd fanden seine Augen den Weg zu Lee´s Gesicht, blieben lange darauf gerichtet. >Nur eines...< Erneut trat er nahe an das Bett heran, die zu einer Faust geballten Hand verschwand in seiner Hosentasche, die andere stützte sich auf die Matratze und mit einer geschmeidigen Bewegung beugte er sich hinab. Er neigte sich tief, neigte sich zu seinem Gesicht und spürte schnell die Hitze, die von diesem ausging, meinte sogar den schwachen Atem auf den Wangen zu spüren, als er sich an ihm vorbeilehnte, sich dem Ohr näherte und erst inne hielt, als seine Lippen diesem sehr nahe waren. Gemütlich neigte sich Kaiba zur Seite. Seine Hand umgriff den Hals der teuren Champagnerflasche, hob diese aus silbernen Eisbehälter und schnappte sich auch zwei kunstvolle Gläser, bevor er sich wieder aufrichtete. Er hockte im bequemen Schneidersitz auf seinem Bett und reichte eines der Gläser dem Blonden, der schräg neben ihm saß, in einen weißen Seidenpyjama gekleidet war und die Beine wohlig unter der Decke versteckte. Mit einem flüchtigen Lächeln nahm er das Glas an, rückte sich kurz zurecht und verfolgte interessiert, wie Kaiba die beiden Gläser fühlte. Der Champagner sprudelte auf, sank kurz darauf in sich zusammen und knisterte leise durch den kleinen Bläschen, die aufstiegen. Auch dieses Phänomen beobachtete Joey konzentriert und während er auf das Glas starrte, fand die Flasche wieder ihren Platz zwischen den Eiswürfeln. Vor den hohen Fenstern des Zimmers lag bereits die tiefe Nacht, in dem Raum selbst brannten nur wenige Lampen. Den Champagner gekonnt ausbalancierend, rückte Kaiba nahe an den Blonden heran, griff hinter ihn und zog die Decke höher. Zärtlich legte er sie über Joeys Schultern, beschwerte sie mit dem eigenen Arm und rutschte noch näher, bis er das eine Beine schräg über Joeys Oberschenkel legen, und das andere hinter dessen Rücken anwinkeln konnte. Schweigend lehnte sich der Blonde zur Seite, lehnte sich gegen seine Brust und bettete die Wange auf seiner Schulter, worauf sich Kaiba sanft an ihm schmiegte und das Glas hob. Joey tat es ihm gleich und für kurze Zeit, saßen sie so dort, bis sich der Blonde leise räusperte. "Auf ein gefestigtes Leben, auf ein sicheres Inneres." Flüsterte er schwelgend und blinzelte. "Auf Kraft, Entschlossenheit und Gesundheit." Kaiba legte den Arm neu um ihn, ließ den Kopf zur Seite sinken und schmiegte die Wange an den blonden Schopf. "Auf persönliche Erfolge." Fuhr er leise fort. "Auf die Stärke, einiges zu verkraften und sich doch wieder aufzurappeln. Auf innere Ruhe." Er lächelte sanft. "Auf uns." Joey schloss sich seinem Lächeln an und dann tranken sie einen Schluck. Während Kaiba das edle Getränk sichtlich genoss, verzog Joey kurz die Miene und ließ das Glas sinken. Warum konnte man nicht mit Bier anstoßen? Kaiba seufzte genüsslich, schürzte die Lippen und löste sich kurz von Joey, um das Glas auf einer Ablage abzustellen. Das Glas den Blonden fand dort auch seinen Platz und kurz darauf saßen die beiden eng umschlungen auf dem großen Bett, schmiegten sich aneinander und schwiegen. Joey rückte nahe an Kaiba heran, fand an dessen Leib Halt und schloss die Augen. Zwei Arme legten sich um seine Schultern und er schluckte, als er die Wärme spürte... die Geborgenheit. Als kein Geräusch an seine Ohren drang und so eine Atmosphäre entstand, von der er beinahe vergessen hatte, wie sie sich anfühlte. Er entspannte sich vollkommen, kroch in sich zusammen und machte sich ganz klein, worauf Kaiba die Decke noch höher über ihn zog, sich hinabbeugte und sein Haar küsste. Die Sonne hatte sich erst vor kurzer Zeit über den Horizont erhoben. Dennoch brachten ihre Strahlen das Licht des neuen Tages und Domino erwachte zum Leben. Die Straßen wurden bevölkert von Geschäftsmenschen, beschäftigten Müttern, Kindern, Schülern und anderen, die ihrer Wege gingen. Die Läden öffneten, hupend drängelten sich die Autos über die Straßen, währenddessen aus allen Richtungen Stimmen ertönten. Es schien, als wäre es ein Tag wie jeder andere... Sobald die Tür weit genug offen stand, wand sich der Welpe durch den Spalt, sprang übermütig die Treppen hinunter und begann über den Kies des großen Platzes zu toben. Auch Joey schob sich ins Freie, drückte die Tür hinter sich zu und folgte dem jungen Hund in schnellen Schritten. Er hatte etwas vor. Flink hatte er die Stufen hinter sich gelassen, zog sich das Basekap tief ins Gesicht und trödelte los. "Komm schon." Er lachte leise, drehte sich kurz zu dem Hund um und schlug sich gegen den Oberschenkel, worauf der Welpe ihm sofort folgte, spielerisch um ihn herumsprang und versuchte, nach seiner Hose zu schnappen. Amüsiert wich Joey ihm aus, blieb sogar manchmal stehen, um den Fuß provokant in der Luft zu bewegen. Wenn der Hund dann hochsprang, um nach seinem Hosenbein zu schnappen, schlenderte er weiter, wobei man ihn stets begleitete. Nachdem er den langen Kiesweg hinter sich gelassen, und beinahe das Tor erreicht hatte, ging e rin die Hocke und sich die Leine über den Kopf, die um seinen Hals lag. Er rief den Kleinen und dieser gehorchte. Vorsichtig griff Joey nach dem dünnen Lederhalsband und hakte die Leine ein. Und als er dann wieder auf die Beine kam, da öffnete sich vor ihm das Tor und er schlenderte hinaus. Der weite Weg Nachhause machte ihm Spaß. Er spielte mit dem Welpen, lachte viel und erreichte bald die vertraute Gegend. Viele Schüler kamen ihm entgegen, jedoch niemand, den er kannte, was in seiner Situation recht angenehm war. Entspannt schlenderte er weiter, nahm das Hündchen bald auf den Arm und versuchte sich weiterhin auf den Weg zu konzentrieren, was gar nicht so einfach war, wenn mal an seinem Pullover rupfte und nach seinem Haar schnappte. Bald erreichte er seine Straße, näherte sich seinem Haus... und blieb stehen, als er es erblickte. Dem verrückten Hund keine Beachtung schenkend, hielt er inne und sein Gesicht wurde von purer Verwunderung befallen. Überrascht hob er die Augenbrauen, legte den Kopf schief und blinzelte, um sich zu überzeugen, dass ihn seine Augen auch nicht täuschten. "Heeey!" Tristan reckte die Arme in die Luft und Tea winkte lächelnd. Die gesamte Clique hatte sich vor seiner Haustür ein Lager errichtet! Gemütlich hockte Duke am Boden und lehnte mit dem Rücken an der Hauswand. Er kaute Kaugummi und hob begrüßend die Hand. Yugi lachte laut und kam ihm entgegen, während Bakura einen nervösen Blick zu seiner Armbanduhr warf. Konnte das die Möglichkeit sein?! Joey konnte sein Glück kaum glauben! Die Freunde, von denen er sich missverstanden gefühlt hatte, fanden sich plötzlich alle bei ihm ein? Bereiteten ihm solch einen Empfang? Ein ungläubiges Grinsen zog an seinen Lippen, als er langsam weiterging. "Joey!" Yugi erreichte ihn und er beugte sich etwas hinab, damit sich der Junge richtig um seinen Hals werfen konnte. Und das tat dieser auch. Juchzend klammerte er sich an ihn und Joey musste aufpassen, dass er in seinem Übermut den jungen Hund nicht erdrückte. "Hi." Er erwiderte die Umarmung glücklich und Yugi ließ von ihm ab, wurde auf den Hund aufmerksam und riss die Augen auf. "Joey!" Krächzte er. "Seit wann hast du einen Hund?!" "Mein Gott ist der süß!" Tea quietschte leise, stupste das kleine schwarze Näschen an und umarmte Joey ebenfalls. "Wie geht es dir? Wir haben uns Sorgen gemacht." "Ah ja...?" "Natürlich, Alter!" Tristan stürzte sich auf ihn und nahm ihn vorsichtig in den Schwitzkasten. "Wir haben sonst etwas gedacht! Und was zur Hölle ist das?!" Bevor sich Joey versah, klaute sich Tea den Welpen und Yugi zog aufgeregt an seiner Hose. "Geht es dir auch wirklich gut, Joey?" Lässig kam Duke auf die Beine, zog sich flüchtig die Uniform zurecht und trottete zu den Anderen. Über das Hündchen schien er sich weniger zu wundern. Er bedachte es nur mir einem knappen Schmunzeln und wandte sich Joey zu, der sich völlig überrumpelt, gegen Yugi wehrte. "Joeeeey!" Der Junge zog die Nase hoch und Tea kraulte das Hündchen hinter den Ohren. "Hey." Duke lächelte sanft und Joey starrte ihn an. "Was... was macht ihr denn hier?" Erkundigte sich dieser irritiert. "Wir schauen, ob mit unserem verrückten Freund alles in Ordnung ist." Erwiderte Duke keck und hob die Arme. Auch sie schlossen sich in eine feste Umarmung, verharrten kurz so und lösten sich voneinander, wobei Duke ihn aufmerksam musterte. "Ist denn auch alles in Ordnung?" Duke neigte sich vor und hob die Augenbrauen, worauf Joey leise lachte. "Joeeeeey." Yugi seufzte. "Ja... ja, mir geht es gut." Der Blonde nickte und erwiderte Dukes Blick intensiv. "Es ist alles in Ordnung." "Ja?" Duke war erleichtert, schlug dem Blonden gegen die Schulter und drehte sich um. "Hey, Bakura! Was stehst du noch dort? Komm her!" Nach einem weiteren Blick auf die Uhr und einem leisen Murmeln, schlürfte der Angesprochene näher. "Wir haben versucht, dich anzurufen." Meldete sich Tea zu Wort und kicherte leise, als der Hund ihr über die Wange leckte. "Aber es ist nie jemand rangegangen." Joey kratzte sich am Kopf. "Ähm... na ja... ich war die meiste Zeit über, bei Seto." "Hat er dir den Hund geschenkt?" Erkundigte sich Yugi gerührt. "Er ist so süß!" Bemerkte Tea wieder. "Jupp." Joey stemmte die Hände in die Hüften. "Mein ewiger Begleiter." "Oijoijoi." Duke legte den Kopf schief. "Vergiss nicht, du hast noch sechs andere." Lachend rieb sich Joey das Gesicht. Er war unglaublich froh, dass sie alle hier waren. "Hat er schon einen Namen?" Tristan zupfte an den kleinen Ohren und der Welpe japste. "Wuffi, Hasso?" Ein Seitenblick traf ihn. "Die Namen sind total blöd." Entschied Joey. Yugi seufzte, seine rechte Hand klammerte sich noch immer in Joeys Hose. "Er heißt..." grübelnd legte der Blonde den Zeigefinger gegen das Kinn. >Na komm schon, ich habe mir doch Gedanken drüber gemacht... wie war der Name doch gleich?< Die Clique wartete und kurz darauf erhellte sich Joeys Gesicht und er hob den Zeigefinger. "Er heißt Kurai!" "Kurai?" Duke legte den Kopf schief. "Kurai." Bestätigte Joey stolz. "Kurai." "Jaaa doch." "Hasso hätte mir besser gefallen." Tristan gluckste und legte den Arm um Joeys Hals. "So siehst du aus." Murrte dieser. "Leute...", erschöpft ließ Bakura den Kopf sinken, "... der Unterricht beginnt in zwei Minuten." "Und da wir das sowieso nicht mehr schaffen", Duke stupste ihn an, "können wir uns auch ruhig noch etwas Zeit nehmen, hm?" "Ich werde sterben." Bakura seufzte gebrochen und wurde auf Joey aufmerksam, der ihn mit großen Augen anstarrte. Lange erwiderte er den Blick schweigsam, bevor er die Hand hob. "Hi." "Hi." Der Blonde grinste und bekam den Welpen in die Arme gedrückt. "Wow, ihr schwänzt für mich den Unterricht? Womit habe ich das verdient?" "Klare Sache!" Tristan zog ihn zu sich und der Welpe zerrte wieder an seinem Pullover. "Wollten mal schauen, ob du noch lebst!" "Au, vorsichtig!" Joey verzog die Miene und Duke kam ihm zur Hilfe. "Wenn du so weitermachst, dann änderst du noch etwas daran, du Idiot!" "Ach ja? Pass auf, du!" Während sich die beiden neckig in die Haare bekamen, faltete Tea die Hände vor der Hüfte und seufzte leise. "Joeeeeey." Yugi zog an seiner Hose. "Wann kommst du wieder zur Schule?" Fragte Tea besorgt und Joey begann zu grübeln. Wenn er es recht bedachte, stand ihm überhaupt nicht der Sinn danach. Es gab noch andere Dinge, um die er sich kümmern musste. "Ich weiß nicht." Murmelte er also und raffte das Hündchen höher. "Aber in einem Jahr finden die Prüfungen statt." Fuhr Tea fürsorglich fort und Joey blickte auf. "Oh, es vergeht keine Sekunde, in der ich nicht mit Schrecken daran denke." "Ach? Oh." Der Blonde nickte zögernd. "Ja, genau..." Tea beugte sich zu ihm und zog die Brauen zusammen. "Schaffst du es denn, den ganzen Stoff bis dahin nachzuholen und zu lernen? Es ist ganz schön viel, aber wenn du willst, dann helfe ich dir dabei." "Klar schaffe ich das." Joey runzelte die Stirn. "Wenn ich kontinuierlich..." "Hey!" Plötzlich stand ein keuchender Tristan neben ihm. Und ein Bakura auch, der mitgezerrt wurde. "Bakura hilft dir auch! Nicht wahr, Baku?" "Häh?!" "Wir helfen dir alle." Ächzte Duke, der sich auf die Knie stützte. "Wir müssen los." Jammerte Bakura und endlich schenkte man ihm Gehör. "Mein Gott, du hast ja recht." Tea sah auf ihre Uhr, kicherte und ging, um ihre Tasche zu holen, die noch vor der Haustüre lag. "Hey, bist du heute Zuhause?" Fragte Duke noch, während Tristan nach seiner Tasche lief und sich auch Yugi von dem Blonden löste. "Können wir dich erreichen? Uns vielleicht treffen?" "Ich weiß nicht." Joey setzte Kurai auf den Boden und blieb gleich hocken. "Ich habe heute noch meine Wege und Ziele." "Ja?" Duke legte den Kopf schief. "Mm." Eine leise Ernsthaftigkeit schlich sich in Joeys Miene ein, als er die Leine baumeln ließ. "Weißt du was? Ich rufe an, sobald ich länger Zuhause bin." Duke lächelte. "Versprochen?" "Versprochen." "Bitteschön." Tea hatte Duke seine Tasche mitgebracht und dieser schwang sie sich über die Schulter. "Danke, also Joey... wir gehen dann mal, sonst fängt Baku noch an zu heulen." "Ist gut." Der Blonde kam auf die Beine und Tea warf sich ihm sofort um den Hals. "Mach´s gut, vielleicht sehen wir uns heute ja noch?" "Ja, vielleicht." "Ruhe dich ein bisschen aus." Bat Yugi, der als nächstes an der Reihe war. "Ist gebongt." Joey tätschelte seinen Rücken und Bakura hob die Hand. "Bis bald." "Ja, ähm..." "Und erzieh dein Hündchen." Lachte Duke, als er Joey wieder umarmte. "Wollen ja nicht, dass er so ein Rabauke wird, wie du." "Abgema..." "Und mach keinen Blödsinn, Alter!!" Tristan schlug ihm arg gegen die Schulter und bevor sich Joey versah, wurde er schon wieder fast erdrückt. "Wir können ja nicht immer auf dich aufpassen!" "Wie alt bin ich denn!" Kurz darauf schnappte Joey nach Luft und die Clique trödelte davon. Tea winkte, Yugi winkte, Bakura starrte auf seine Uhr, Tristan drohte mit der Faust und Duke suchte nach seinen Kaugummis. Lange blieb der Blonde stehen und sah ihnen nach, während sich der Welpe über seine Schuhe rollte und tobte. >Ich glaub´s nicht.< Als die Gruppe hinter einer Ecke verschwand, schüttelte er lächelnd den Kopf und wandte sich zur Seite. >Da habe ich mir vor wenigen Stunden noch gewünscht, sie würden wenigstens mit mir reden... und jetzt überfallen sie mich vor meiner Haustür und machen sich Sorgen.< Das Lächeln vertiefte sich, als er nach seinem Schlüssel suchte. >Ab jetzt wird alles besser.< Er blieb nur kurz Zuhause. Frühstück hatte er bei Kaiba gegessen, auch Kurai schien keinen Hunger mehr zu haben. Joey hatte es scheinbar eilig. Flink warf er das Basekap in die nächste Ecke, schlüpfte in einen neuen Pullover und suchte das Nötigste zusammen. Nach wenigen Minuten verließ er die Wohnung allein, betete, dass die Polstermöbel nicht unter der Zerstörungswut des Hündchens zu leiden hatten und machte sich auf den Weg... zum Krankenhaus. Bevor er in Kaibas Armen eingeschlafen war, hatte er viel darüber nachgedacht und nun verlangte es ihm doch danach, mit Lee zu sprechen. Gestern hatten ihm die Worte gefehlt, heute wollte er mit ihm sprechen, ihm Dinge erzählen... einfach nur bei ihm sein. Vorausgesetzt, Lee war noch in Domino. Vielleicht waren sie ja auch schon ganz früh aufgebrochen? Bei diesem Gedanke verschnellerte er seine Schritte und erreichte das Krankenhaus nach einer Rekordzeit. Ohne zu zögern schob er sich an der Glastür vorbei und trottete durch den großen Vorraum. Zu so früher Stunde war im Krankenhaus noch weniger Betrieb. Er sah nur wenige Ärzte und keinen einzigen Patienten, auch die Besuchszeit hatte noch nicht begonnen, doch niemand, dem er begegnete, machte ihn darauf aufmerksam. Also pfiff er auf die Regeln und stieg in den Fahrstuhl. Er war so fröhlich, so zufrieden und entspannt. Kaiba, seine Freunde... er hatte sie alle wieder. Er grinste, zupfte sich flüchtig den Pullover zurecht und löste sich von der Wand, als die Kabine hielt und sich die Türen öffneten. Als er in den Gang hinaustrat, sah er sich sogleich nach beiden Seiten um. Hier oben war noch weniger los, als unten. Er hörte in weiter Ferne nur eine Tür klicken, leise Stimmen, die schnell verstummten. Nach einem kurzen Räuspern fuhr er sich mit beiden Händen durch den Schopf und steuerte zielstrebig auf das Zimmer zu. >Hoffentlich ist er noch da.< Voller Vorfreude spreizte er die Finger, presste die Lippen aufeinander und erreichte sein Ziel. Ein letztes überprüfendes Zupfen, dann griff er nach der Klinke, drückte sie hinab und öffnete die Tür. Heute war er nicht aufgeregt, nein, kein bisschen. Er lächelte sogar, als er sich in den Raum beugte. Dieser war vom Licht des Tages erhellt, wirkte sogleich viel freundlicher und strahlte eine gewisse Ruhe aus. Dennoch... Joey hielt in der Bewegung inne. Seine Hand blieb auf der Klinke liegen und das Lächeln verlor an Kraft, als er Daniel Ray erblickte. Zusammengesunken saß dieser neben dem Bett. Weit nach vorn gebeugt, stützte er die Ellbogen auf die Matratze. Mit beiden Händen hielt er Lees Hand oben, presste sie förmlich und hatte auch das Gesicht auf sie sinken gelassen. Die langen Strähnen des schwarzen Haars verdeckten es, Joey konnte seine Miene nicht erkennen. Nur seine Schultern, die sich unter scheinbar schnellen Atemzügen hoben und senken. Er hörte sogar das laute Keuchen, bemerkte das starke Zittern seiner Hände... Langsam richtete sich Joey auf, seine Hand rutschte von der Klinke und er blieb stehen, als wäre er gelähmt. Das Piepen... Es ertönte langsam und schleppend, ließ sich ungewöhnlich viel Zeit... Der Strich auf der Anzeige... nur schwache Hügel waren zu erkennen. Auch der letzte Hauch eines Lächelns schwand aus Joeys Gesicht, als sich seine Augen weiteten, sich sein Mund einen Spalt weit öffnete und sein Atem stockte. Reglos lag Lee dort. Joey konnte kaum Bewegungen seines Bauches ausmachen. Nur schwach und unauffällig hob und senkte er sich... Dunkle Augenringe stachen erschreckend aus dem bleichen Gesicht hervor, die Lippen waren farblos, während der dicke Schweiß auf der kühlen Haut im sanften Licht schimmerte. Daniel begann sich zu regen. Unter einem leisen Ächzen hob er kurz das Gesicht, presste Lee´s Hand fester und schmiegte sich wieder an sie. Die andere Hand des Halbamerikaners löste sich, schob sich stockend über das Laken und legte sich auf das schweißnasse Hemd, welches den Oberkörper des jungen Mannes kleidete. Verkrampft krallten sich die Finger hinein, ein leises Schluchzen drang an Joeys Ohren und dieser schnappte gehetzt nach Luft, blinzelte benommen und hob die Hand. Nur kurz streckte er sie Lee entgegen, bevor er sie unentschlossen sinken ließ und den Blick starr und vom Grauen gepackt, auf ihn gerichtet hielt. Nach einem weiteren Blinzeln wurde er jedoch auf etwas aufmerksam. Lee´s Hand... die andere, die reglos auf dem Laken gebettet war... In die Joey seine Strähne gelegt hatte... Sie war zu einer festen Faust geballt, nicht so, wie Joey sie am gestrigen Tag geformt hatte. Lee hatte zugedrückt... Zitternd atmete Joey ein, hielt die Luft an und presste die Lippen aufeinander. Seine Augen begannen matt zu schimmern, seine Miene verlor auch den Rest ihrer gesunden Farbe. Lee atmete geräuschlos, seine Brust hob sich etwas... sank hinab und das Überwachungsgerät gab einen leisen Piep von sich... Joey glaubte, zu hören, wie er nur kurz ertönte. Doch es war kein Piepen... Seinem Körper fehlte es an jeglicher Beweglichkeit... eine Gänsehaut zog sich über seinen gesamten Leib, er erschauderte. Nein, die kurzen Geräusche wandelten sich zu einem einzigen schrillen Ton, der ununterbrochen in seinen Ohren schallte. Der Strich auf dem kleinen Monitor zog sich gerade von links nach rechts, keine Wölbungen... nichts. Lee starb. Und die Zeit schien stehen zu bleiben. Daniel hielt den Atem an, das gehetzte Keuchen verstummte... Auch Joey schloss den Mund, brachte keinen Laut hervor... Und Lee lag dort, wie am gestrigen Tage auch. Mit entspannter, beinahe schon friedlicher Miene, die Lider ruhig geschlossen, die Lippen stumm. Der Bauch reglos... Es gab nichts in dem Raum, nur das schrille Geräusch, welches Joey und Daniel nicht mehr wahr nahmen. Mit einem mal schlug die Atmosphäre in dem Zimmer um. Soeben noch hell und freundlich, schien es von der Dunkelheit verschluckt zu werden. Aus dem Gang drang kein Laut, es herrschte völlige Stille und das Geräusch schien weit zu hallen, das gesamte Gebäude auszufüllen, worauf jeder verstummte, sich niemand mehr bewegte. Lee, der sein gesamtes Leben noch vor sich gehabt hätte... Lee, der erst vor zwanzig Jahren das Licht der Welt erblickte... Er war tot. Durch ein kleines Versehen, welches ihn in das Verderben gestürzt hatte. Durch Menschen, die so grausam und herzlos waren. Menschen, die dennoch weiterleben durften. Lee, der Sanfte... der schöne... junge... Unschuldige. ... Kennst du dieses Gefühl? Kennst du dieses Verlangen? Das Verlangen nach dem Tod? Den Wunsch, zu sterben? Nur noch zu sterben und nichts anderes...? Ein lautes Schluchzen riss Joey in die Realität zurück. Daniel schrie leise auf, sein Körper erbebte und er presste sich gegen die Hand, schüttelte immer wieder den Kopf und ächzte laut. "Nein...", seine Stimme war nicht mehr als ein zitterndes Keuchen, "... nein..." Erschöpft ließ er sich sinken, hinab auf das Laken. Weinend umklammerte er Lee´s Arm, beugte sich nach vorn und bettete die Stirn auf dem leblosen Leib. "Lee..." Er schluchzte wieder und Joey erwachte zum Leben. Die Augen geweitet auf das bleiche Gesicht gerichtet, trat er zurück. Benommen tastete seine Hand nach der Klinke und in stockenden Schritten verließ er den Raum. Rückwärts trat er auf den Gang hinaus, die Wand schob sich in sein Blickfeld und so ließ er langsam den Kopf sinken. Entspannt hingen seine Arme hinab, blonde Strähnen fielen in seine Stirn und mit ausdrucksloser Miene trat er einen Schritt zur Seite. Ein leises Ächzen entrann ihm, als er nach vorn kippte, seitlich an der Wand lehnte. Nur kurz hielt er sich dort. Zitternd tasteten sich seine Hände über die Tapete, seine Knie ließen nach und so rutschte er hinab, ging zu Boden und blieb dort kauern. Er war alleine, kein Arzt, kein Patient... es war niemand war. Unbeholfen drehte er den Rücken zur Wand, legte den Kopf nach hinten und starrte auf die weiße Decke des Flurs. In seinen Augen glänzten Tränen. Sie rannen über seine Wangen, als er langsam blinzelte. Erneut hielt er den Atem an, schluckte schwer und winkelte die Beine an. Seine Zähne bisschen aufeinander, seine Miene begann zu zucken und als wäre er gelähmt, ließ er sich nach vorn sinken. Nur langsam und stockend beugte er sich hinab. Die Stirn legte sich auf die Knie, die Arme zu deren Seiten, während sich die Finger in das blonde Haar schoben... sich hineinkrallten. Seine Lider sanken hinab, eine weitere Träne löste sich und nach wenigen Sekunden der völligen Stille, zog er die Nase hoch und keuchte leise. Sonst verharrte er reglos mit geschlossenen Augen, lauschte dem lauten Schluchzen, welches durch die geöffnete Tür, zu ihm drang. >Lee ist tot, er ist tot... tot...< Wie eine Endlosschleife gingen ihm diese Worte durch den Kopf, er spürte einen schmerzhaften Stich in der Herzgegend, fühlte, wie sich seine Lungen zusammenzogen, ein dicker Kloß in seinem Hals saß und die Tränen auf seinen Wangen kitzelten. >... tot ...< Er vernahm ein leises Ächzen, eine zitternde Stimme, die immer wieder einen Namen rief, flehend und verzweifelt. "Lee..." Mit einem schweren Schlucken versuchte Joey gegen den Druck in seinem Hals anzukämpfen. Wieder zog er die Nase hoch, öffnete etwas die Augen und blinzelte zur Seite. Ja, er weinte. Und doch... Daniel schrie, schluchzte grausam und verlor die Kontrolle über sich. Nur er gab kaum einen Ton über sich und sein Atem fiel halbwegs ruhig, kam nur als Keuchen über seine Lippen. Ihm war nicht nach Schreien zumute, sein Herz brach nicht... Sogar seine Hände entspannten sich, lösten sich allmählich aus dem Schopf und fanden zum Gesicht, von dem sie etwas zitternd, die Tränen wischten. Er hörte es noch immer... Das schrille Geräusch, welches ein Unheil verkündete. Das Symbol des Todes und die Atmosphäre, die noch immer drückend auf ihnen lastete. Joey rümpfte die Nase, fuhr sich über die Augen und leckte sich über die Lippen. Nun kauerte er hier im kahlen Flur des Krankenhauses. Alleine mit seiner Trauer, sie stumm verkraftend, während ein Anderer laut weinte. Er ließ die Hände sinken, bettete sie auf den Knien und sah sich um. Nie hätte er etwas derartiges erwartet. Er war hier, um mit Lee zu sprechen, ihm eine Freude zu machen. Und nun starb dieser vor seinen Augen. Eine weitere Träne perlte über seine Haut, doch auch seine Miene entkrampfte sich, bis sie annähernd ausdruckslos verblieb. Natürlich litt er unter Lee´s Tod. Doch es gab etwas, das ihn zurückhielt, ihn beruhigte. Er konnte es sich nicht erklären, wusste nicht, was in ihm vorging, ließ die Hände die Schienbeine hinabrutschen und legte sie um die Fußknöchel. Anschließend richtete sich sein Blick auf die gegenüberliegende weiße Wand, blieb abwesend an ihr hängen. "Ich will nur noch sterben." Hörte er die sanfte Stimme in seinen Ohren. "Nur noch sterben..." Und er hörte sich selbst, wie er dagegen sprach, flehte, diesen Wunsch zurückzunehmen. Wie er bettelte, dass er Hilfe annahm, nicht so schnell aufgab... und dafür die pure Wut erntete. "Du kennst dieses Gefühl nicht! Also wage es nicht, über mich zu urteilen!" Ja... Lee hatte Recht. Joey wusste nicht, wie es war, sich den Tod zu wünschen, sich danach zu sehnen, dem Leben endgültig Ade zu sagen. Dem Leben, das nichts als Leid mit sich gebracht hatte. Was hatte sich Lee sonst gewünscht? Freiheit? Gesundheit? Nein... Langsam schüttelte Joey den Kopf. Nur den Tod. Den Tod, der all das mit sich brachte. Freiheit, Gesundheit, Freude... Befreiung. Weshalb sollte man leiden? Weshalb sollte man darunter leiden, dass sich Lee´s Wunsch erfüllt hatte? Wie hatte er in den letzten Tagen gelebt? In jeglichen Bewegungen eingeschränkt, vollgepumpt mit Schmerzmitteln und dennoch Qualen ausstehend. Diese Freiheit hatte ihm nichts bedeutet. Langsam schloss Joey die Augen, atmete entspannt aus und ließ den Kopf sinken. Es wäre töricht, Lee Vorwürfe zu machen, dumm, unter etwas zu leiden, das nur positive Dinge mit sich gebracht hatte. Waren sie nicht dazu verpflichtet, sich für Lee zu freuen? Es ihm zu gönnen? Und es wäre egoistisch, an das eigene Leid zu denken. Daran, dass man auf Lee verzichten musste, ihn nie wieder sehen würde. Und das eigene Leid war es doch, dass den Menschen am meisten zu schaffen machte. Joey sah ihn vor sich, als er die Augen geschlossen hielt. Lee, wie er schrie, fluchte... und weinte. Als hätte er während der Gefangenschaft das Augenlicht besessen, sah er die Szenen vor sich. Lee, der ihn durch den Flur dirigierte, Lee, der ihm zu Essen brachte. Lee, der mit ihm sprach. Der ihn verteidigte und den letzten Mut zusammennahm, um ihn zu retten. Ja, er sah es. Er sah alles... nur etwas nicht. Das schrille Geräusch verstummte, ebenso das Schluchzen. Es trat völlige Stille ein und Joey hielt die Augen geschlossen. Es war, als wäre Lee noch immer hier, als wäre er in diesen Sekunden bei ihm, als wäre er überall. Vor ihm, neben ihm. Eine angenehme Wärme legte sich auf Joeys Glieder und wieder erblickte er das Gesicht. Die feinen Züge, die schmalen Augen und die Lippen. Er sah es vor sich, als würde Lee ihm gegenüber stehen, nicht weit entfernt. Still waren die dunklen Pupillen auf ihn gerichtet, entspannt zeigte sich auch das Gesicht und dann zeichnete sich ein Lächeln auf den anmutigen Lippen ab. Ein Lächeln, so ehrlich und sanft, wie er noch keines gesehen hatte. Auch seine Lippen verzogen sich. Er lächelte, während eine Träne von seinem Kinn tropfte. Seine Zähne kamen zu Vorschein, aus dem Lächeln wurde ein Grinsen und dann schüttelte er langsam den Kopf. Gleichzeitig öffnete er die Augen, rieb sich die Unterschenkel und lugte zur Seite. >Du wolltest nicht, dass wir trauern.< Er zog die Nase hoch, wischte die Tränen fort und begann sich zu regen. >Du meintest, es wäre töricht und erst jetzt habe ich verstanden, dass du recht hattest. Es ist wirklich töricht, das Glück zu beweinen.< Entspannt streckte er die Beine von sich, lehnte sich gemütlich zurück und legte den Hinterkopf gegen die Wand. Die Arme verschränkte er vor dem Bauch und nach einem tiefen Atemzug, seufzte er leise. >Ich will nicht töricht sein.< Dachte er sich lächelnd. >Lee... ich freue mich für dich.< » Noch wärm ich an dir meine kalte Hand, » noch atme ich im Rhythmus deines Atems, » noch scheint mir, lächelst du mich an. » Doch du hast längst das Schwere leicht genommen, » siehst schon das Licht, » in dessen Umkreis nichts mehr Schatten wirft. In ewiger Erinnerung... Lee Ann Chang 1985-2005 Daniel, irgendwann wirst du es auch verstehen... ~*~*~*~ >Was weiß ich, das Daniel nicht weiß?< Abwesend beobachtete Joey den jungen Mann. Gemeinsam mit Kaiba stand er in der riesigen Halle des Flughafens. Sie standen eng beieinander, während um sie herum große Geschäftigkeit herrschte. Überall wurde geredet, Schritte hallten wider und wider. Kinder lachten, Koffer wurde über den blanken Boden gezogen. Und doch fühlte sich Joey in einen Gedanken nicht gestört. Die Geräusche drangen leise zu ihm, nur Kaibas Atem nahm er neben sich wahr. Daniel hievte eine kleine Reisetasche auf das Fließband, wischte sich die Hände an der Hose sauber und drehte sich langsam zu ihnen um. Noch am Abend des selben Tages wollte er die Reise fortführen, Lee nach China bringen, um dort mit dessen Verwandten und dem eigenen Schmerz alleine zu sein. Seine Miene zeigte eine zerfurchte Trauer, als er in schlürfenden Schritten auf sie zusteuerte. Seufzend raffte Joey Kurai höher, den er sanft auf dem Arm hielt. Kaiba lugte zu ihm und Daniel blieb vor ihnen stehen, ließ die Hände in den Hosentaschen verschwinden, wippte auf den Fußballen und blähte die Wangen auf. Er sah Joey nicht in die Augen, auch vor Kaibas Blick floh er. Noch immer war er zu sehr mit sich selbst beschäftigt, irritiert und niedergeschlagen. Kurai japste leise, rollte sich auf den Rücken und begann sich zu putzen. "Jetzt fliegt ihr also nach China." Joey musterte den Halbamerikaner nachdenklich, schien dennoch nicht an dessen Trauer teilzunehmen. "Ja, so isses." Daniel stöhnte leise und fuhr sich durch den Schopf und diesen Sekunden wurde sein Flug aufgerufen. Laut hallte die Stimme einer Frau durch die Halle und Daniel schien dieser Abbruch nicht zu missfallen. Nur Kaiba verzog die Augenbrauen und Joey sah sich um. "Ich kann mich ja... irgendwann nochma melden." Nuschelte der Halbamerikaner gedrungen. "Wenn alles vorbei is... oder so." "Mach das." Kaiba nickte zustimmend und Joey raffte den Welpen höher, wirkte, als wäre er die Ruhe in Person. Nur flüchtig traf ihn Daniels Blick. "Also denn..." Der Halbamerikaner hob die Hand und Joey legte den Kopf schief, während Kurai nach seinem Ohr schnappte. "Macht´s gut." Und somit drehte er sich einfach um und ging. Kaiba sah ihm schweigend nach und Joey zog den Kopf zurück, war kurz mit Kurai beschäftigt und richtete sich auf, als er sich vor dem Welpen gerettet hatte. "Daniel?" Rief er locker und ohne zu zögern und der Angesprochene blieb stehen. Joey lächelte und streichelte das kleine Hündchen. "In welcher Straße wohnst du?" Verwundert drehte Kaiba das Gesicht zu ihm und auch Daniel wandte sich um. "Was?" "Straße." Joey weitete die Augen und Daniel runzelte die Stirn. "Chambers Street", antwortete er verwirrt und der Blonde kratzte sich an der Wange. "Wo ist das denn?" "New York. Aber warum..." "Schon okay." Joey fuchtelte knapp mit der Hand. "Ich schreib dir mal einen Brief, okay?" "Nen Brief." Daniel wusste nicht, was er davon halten sollte, andererseits fehlte ihm die Lust, Fragen zu stellen. Also nuschelte er nur etwas Verworrenes. "Tschüss." Verabschiedend hob Joey die Hand und nach einem letzten irritierten Blick, drehte sich Daniel um und ging. Doch nicht nur er war irritiert. "Du schreibst ihm einen Brief?" Kaiba lehnte sich leicht zu ihm und der Blonde nickte langsam. "Es gibt Dinge, die man besser in einen Umschlag packt, als in Worte." Somit wandte er sich ab, zupfte beiläufig an Kaibas Hemd und trödelte davon. "Kommst du? Es ist spät." In schlendernden Schritten verließ Joey die große Küche und erreichte das Foyer. Kurai sprang verspielt hinter ihm drein, rutschte über den Marmor und prallte gegen den Sockel des Treppengeländers, den Joey gekonnt umging. Während sich der Welpe aufrappelte und die Stufen in Angriff nahm, hob Joey eine kalte Büchse Cola, rollte sie über die Stirn und seufzte genüsslich. Es ging doch nichts über ein kühles Getränk am Abend. Als er schwelgend die Augen verdrehte, bekam Kurai sein Hosenbein zu fassen und er wurde aus seinen Fantasien gerissen. Abgesehen von dem erschrockenen Schrei, als Joey stolperte, herrschte bereits Ruhe im Hause Kaiba. Als die Beiden vor einer knappen halben Stunde angekommen waren, hatte Mokuba bereits geschlafen. Und für einen anderen wurde es auch langsam Zeit. "Kleiner Rüpel." Joey verengte spielerisch die Augen und stubste Kurai mit dem Fuß an, worauf dieser provokant knurrte und dennoch nicht weiter beachtet wurde. Gemächlich erreichte Joey die erste Etage, bog nach links und blieb vor dem ersten Zimmer stehen. Er öffnete die Tür, tat, als würde er eintreten und wurde sofort von dem Welpen überholt. Noch so klein und doch schon darauf bestehen, der Erste zu sein. Er schlitterte in das unbenutzte Gästezimmer, japste und drehte sich um. Grinsend schloss Joey die Tür und trat zurück. "Gute Nahaacht." Lachend schloss er sie, wandte sich ab und trödelte weiter. Nebenbei machte er sich an der Büchse zu schaffen, drückte den Deckel ein und nahm einen erfrischenden Schluck. Anschließend fuhr er sich über den Mund, schmatzte genügsam und erreichte das Ziel. Die Büchse erneut zum Mund hebend, betrat er Kaibas Zimmer, drückte die Tür mit dem Rücken zu und lehnte sich gleich an. Lässig kreuzte er die Beine, ließ die Hand in der Hosentasche verschwinden und wendete das Getränk im Mund. Mit einem Buch lag Kaiba auf dem Bett. Er hatte es sich gemütlich gemacht, lag auf dem Bauch und bewegte die Füße in der Luft, während sich seine Augen flink über die Zeilen tasteten und von ihnen abließen, sobald er den Blonden bemerkte. Er richtete sich auf, drehte das Gesicht zu ihm und lächelte. "Alles verstaut?" Joey grinste, löste sich von der Tür und näherte sich dem Bett. "Alles verstaut." Bestätigte er scherzend, stieg auf die Matratze und trottete zu Kaiba, neben dem er sich träge sinken ließ und die Büchse wieder zum Mund hob. Der Brünette klappte das Buch zu, rieb sich die Augen und rappelte sich auf, bis er vor Joey hockte. Dieser ließ es sich schmecken, löste die Büchse vom Mund und unterdrückte ein Rülpsen. Kaiba setzte sich gemütlich in den Schneidersitz, stemmte die Arme auf die Knie und beobachtete den Blonden, wie sich dieser erneut über den Mund wischte, die Augen verdrehte und die Luft anhielt. Anschließend schlug er sich gegen den Brustkorb, atmete aus und zog die Nase hoch. Und während Kaiba ihn ansah, schien er sich in Grübeleien zu verheddern. Es war ihm deutlich anzusehen, wie er sinnierte. Bald biss er sich sogar auf die Unterlippe, rückte sich kurz zurecht und räusperte sich. "Joseph?" "Höh?" Der Blonde lehnte die Büchse gegen die Wange und Kaiba rieb sich das Kinn, stützte sich zurück und streckte die Beine von sich. "Als wir uns vor wenigen Tagen... ", murmelte er anschließend und erwiderte seinen Blick standhaft, obgleich es ihm etwas unangenehm war, "... wieder nähergekommen sind, da..." "Ja?" Joey beugte sich neugierig nach vorn und er fuchtelte knapp mit der Hand. "Ich will nur, dass du weißt, dass ich..." "Was?" "Unterbreche mich nicht dauernd." Kaiba knurrte und Joey duckte sich. "Vielleicht hast du dir ja später noch Gedanken darüber gemacht." Somit verstummte er und wartete auf eine Antwort. Doch der Blonde schwieg, saß nur da und starrte ihn an. Leise knisterte die Kohlensäure der Cola, Joey hob die Augenbrauen und Kaiba legte den Kopf schief. "Du darfst etwas sagen." "Aber ich dachte..." "Das war eine Frage." Lachte Kaiba. "Ach so." Joey kratzte sich an der Schläfe, ließ nachdenklich die Augen kreisen und runzelte die Stirn. "Du hast doch gesagt, du warst nicht in Stimmung." "Ja, habe ich." "Na also." "Es stimmt aber nicht." "Was?" "Siehst du", Kaiba rappelte sich auf und räusperte sich, "um ehrlich zu sein, war ich einfach nur verunsichert." "Davon habe ich aber nichts gemerkt." Murmelte Joey skeptisch und trank weiter, worauf Kaiba erschöpft den Kopf hängen ließ. >Er ist wieder ganz der Alte.< "Es war einfach alles so verwirrend und unsicher." Versuchte er sich zu erklären. "Noch dazu diese ganzen Spannungen und die Ungewissheit." "Mm-mm, mm-mm." Joey nickte zustimmend und Kaiba biss sich auf die Unterlippe. "Ich will damit nur sagen, dass du wirklich nichts falsch gemacht hast." Er wandte flüchtig den Blick ab, grübelte kurz und sah Joey an, diesmal ernster. "Es ist mir zwar alles andere als egal, wer dich berührt," fuhr er leise fort und Joey ließ die Büchse sinken, "aber du musst wissen, ganz egal, was passiert, ich will dir immer nahe sein. Und...", er grinste verstohlen, "... ich bin immer in Stimmung." Joey lachte leise, nickte und weitete die Augen. "Das war das einzige, was mich stutzig machte." Gluckste er und Kaiba richtete sich auf den Knien auf. "Immerhin hast du mich noch nie verschmäht." Er gestikulierte wirr mit der Hand, bemerkte nicht, wie sich Kaiba näher schob und kurz darauf direkt vor ihm hockte, Gesicht an Gesicht. "Und um ehrlich zu sein", Joey räusperte sich und saugte an den Zähnen, "... ich habe nie daran gezweifelt, dass du wegen so etwas keine Lust hast und..." Er blickte auf und starrte in die blauen Augen, die ihn provokant musterten. Sofort verstummte er, hob die Brauen und ließ die Büchse sinken. "Soll ich es dir beweisen?" Raunte Kaiba hinterhältig, neigte sich noch weiter und platzierte einen verspielten Kuss auf seiner Nasenspitze. Es kitzelte und Joey zwinkerte. Er blieb sitzen, schien etwas überrumpelt zu sein und spürte Kaibas warmen Atem auf seiner Wange, als sich dieser sanft an ihm vorbeischob, mit den Zähnen nach seinem Ohrläppchen schnappte und leise brummte. "Schlaf mit mir." Joeys Pupillen wanderten nervös zur Seite und als Kaiba von seinem Ohr abließ, weitete er ganz beeindruckt die Augen. "Wooow." "War das ein ja?" Kaiba lächelte, ihre Nasenspitzen berührten sich flüchtig und bevor sich Joey versah, war der Brünette bereits auf dem Weg zu seinen Lippen. Diese verzogen sich zu einem leichten Grinsen, während die Hand mit der Dose zur Seite wanderte, die kleine Ablage erreichte und sie darauf abstellte. "Du wirst mich wohl kaum gehen lassen." Flüsterte er leise zurück. Und sobald er die Dose losgeworden war, schlang er die Arme um Kaibas Hals, zog diesen zu sich und küsste ihn. Nicht gerade zaghaft pressten sich ihre Lippen aufeinander und während sie sich neckten, tief miteinander verschmolzen und die Augen schlossen, spürte Joey, wie er zurückgedrängt wurde. Bereitwillig ließ er sich auf den Rücken fallen, ihre Lippen lösten sich voneinander und lachend zog er Kaiba mit sich, empfing ihn mit einer festen Umarmung und biss nach seinen Lippen. Kaiba räkelte sich auf ihm, schob die Hand unter seinen Rücken und legte die andere auf Joeys Stirn ab, um sie kurz darauf höher gleiten zu lassen. Zärtlich strich er das blonde Haar zurück, schob sich etwas höher und brummte genüsslich. Diesmal stimmte es. Diesmal plagten ihn keine Sorgen. Diesmal hatte er SEINEN Joseph unter sich! Fordernd küsste er ihn, zog provokant an seiner Unterlippe und spürte, wie er dafür gekratzt wurde. Tief vergrub er die die Hand in dem blonden Schopf, legte den Kopf schief und gab sich einem innigen Kuss hin. Genüsslich spielte Joey mit seiner Zunge, während seine Hände verbissen an dem Hemd des Brünetten rupften, tasteten und nach den Knöpfen suchten. Auch Kaiba versuchte sein Bestes, doch im Eifer des Gefechts war es nicht einfach. Nach kurzer Zeit verzogen sich Joeys Brauen trotzig, seine Augen öffneten sich einen Spalt weit und als er leise brummte, endete der Kuss vorerst. Als hätten sie es abgesprochen, begannen sie sich zu regen. Hastig richtete sich Kaiba auf, knöpfte den Kragen seines Hemdes etwas auf und zog es sich über den Kopf. Auch Joey streifte sich das Shirt über und sobald die Stoffe unbeachtet neben dem Bett lagen, schmiegten sie sich wieder aneinander. Allein die Tatsache, Kaibas Haut auf der eigenen zu spüren, ließ Joey erschaudern. Es war ein unglaubliches Gefühl, diese Wärme zu empfinden, sich an ihn zu pressen... Und er tat es. Wieder trafen sich ihre Lippen, erneut begann das fordernde Zungenspiel und der Atem des Blonden verschnellerte sich. Zielstrebig rutschte eine Hand über seinen Bauch, über seine Brust und zu seiner Schulter, die sie vorsichtig umfasste. Als er dort einen leichten Druck verspürte und sich auch Kaibas Lippen zurückzogen, rollte er sich auf den Bauch. Weich landete er auf der Decke, streckte die Beine von sich und spürte sofort die wohlige Wärme auf seinem Rücken. Kaiba schob sich über ihn, durchstreifte mit der Nase das Haar und schnappte nach dem Nacken des Blonden. Zärtlich bearbeitete er ihn mit den Zähnen und verbiss sich auch spielerisch in der Schulter, während seine Hände unentwegt über Joeys Rücken hinwegstreichelten. Ganz sachte und kitzelnd, worauf er sofort eine Gänsehaut spürte und sich Joey ächzend unter ihm räkelte. Gehetzt suchten die Hände des Blonden nach dem Laken und krallten sich hinein, während die Zähne aufeinanderbissen, sich der Atem in ein leises Keuchen verwandelte. Brünette Strähnen kitzelten sein Rückrad, als Kaiba gekonnt über die Schulterblätter küsste, auch die Narbe der Schußverletzung bedachte und den Rest der Haut mit sanften Streicheleinheiten verwöhnte. Nur diese wenigen Berührungen brachten Joey beinahe um den Verstand. Hastig schnappte er nach Luft, zog wie benommen an dem Laken und biss sich auf die Unterlippe. "Oh... mein Gott..." brach es keuchend aus ihm heraus, als er Kaibas Zunge auf seinem Steiß spürte, sich räkelte und sich förmlich an ihm schmiegte. Er musste in Bewegung bleiben, konnte nicht still liegen. Nach wenigen Sekunden hielt er den Atem an, drehte das Gesicht auf die andere Seite und zog die Arme an. Sein Unterkiefer erbebte, als sich eine Hand unter seinen Oberschenkel schob, er auch Finger unter seinem Bauch spürte. Nicht gerade geduldig, tastete Kaiba nach seinem Hosenbund, schabte mit den Zähnen über die schlanken Seiten des Leibes und bekam die Arbeit erleichtert, als Joey die Hüfte anhob, sich etwas zurückschob und so näher an ihn heranrückte. Sogleich machte sich Kaibas Hand zu schaffen. Flink wurde der Knopf aus dem Loch gedreht und nach der Hose samt den Shorts gegriffen, worauf sie um ein Stück hinabrutschten, Kaiba erlaubten, sich weiter vorzuarbeiten. Zielstrebig legte er die Hand auf Joeys Unterleib, hielt dessen Hüfte oben und tastete sich vom Steiß an, tiefer. Er spürte, wie Joey immer wieder erschauderte, hörte das laute Keuchen und sah die annähernd unkontrollierten Bewegungen auf dem Laken. Es war kein Wunder, dass Joey so empfindlich auf diese Berührungen reagierte. Mit geschlossenen Augen küsste er über den straffen Hintern, streifte die Hose mit der anderen Hand weiter hinab und begann den Oberschenkel gekonnt zu massieren. "Oh Gott..." Joey verschluckte sich am eigenen Atem, warf das Gesicht zur anderen Seite und zerrte an dem Laken, als wolle er sich darunter verstecken. Sein gesamter Körper zitterte, wurde außerdem von leichten elektrisierten Stößen durchzuckt, die ein süßes Kribbeln hinterließen. Eine kühle Gänsehaut zog sich über seine Arme, während seine Wangen rot zu glühen begannen. Einen schmalen Pfad aus Küssen ziehend, erreichte Kaiba den Oberschenkel und hob die Hand zum Mund, um den Mittelfinger flüchtig zu befeuchten. Anschließend richtete er sich auf, beugte sich weit über Joey und begann seinen Unterleib zu streicheln, während sich die andere Hand auf seinen Hintern legte. "Entspann dich." Flüsterte er leise, ließ den Kopf sinken und kitzelte die Schultern des Blonden mit seinem Haar. Dieser ächzte abgehakt, biss sich auf den Zeigefinger und räkelte sich kurz. Kaiba biss sich auf die Unterlippe und tastete. "Gut so." Hauchte er kurz darauf und drang in Joey ein. Dieser zuckte zusammen, presste die Augen zu und hielt den Atem an, während sich seine Hand tiefer in das Laken krallte, mit aller Kraft zudrückte und alsbald lockerer ließ. Kaiba öffnete die Augen einen Spalt weit, bewegte die Hand vorsichtig und verfolgte Joeys Reaktion genau. "Tut es weh?" "Mm-mm." Sofort schüttelte Joey den Kopf und schnappte nach Luft. "Mach... weiter..." Gemächlich ließ Kaiba die Hand auf seinem Unterleib höhergleiten. Stützend legte er sie unter den Bauch, drang tiefer in ihn ein und warf sich mit einer geschwinden Bewegung das Haar aus der Stirn, um Joeys Rücken wieder zu küssen. Dieser wand sich, presste sich regelrecht gegen seine Hand und würgte kurz darauf ein ungewisses Murmeln hervor. Er versuchte sich zurückzuhalten, kroch in sich zusammen und entließ den Zeigefinger aus dem Mund, um die Hand vor diesem zu einer Faust zu ballen. Fürsorglich bereitete Kaiba ihn vor, küsste beruhigend seine Haut und schmiegte sich an ihn. Kurz darauf nahm er einen weiteren Finger hinzu, schlang den Arm um seinen Leib und hielt ihn vorsichtig. Und sobald er auch mit ihm eindrang, erbebte Joeys gesamter Körper und ein lautes Stöhnen brach aus ihm heraus. Fahrig krallte er die Hand in das Haar, keuchte und drehte das Gesicht nach unten, um es auf die weiche Matratze zu pressen. Kitzelnd ließ Kaiba die Lippen über sein Rückrad wandern, streifte die Haut mit der Nasenspitze und fühlte, wie sich Joeys Körper schützend zusammenzog. "Schhhh." Langsam schob er sich höher, erreichte den blonden Schopf und küsste ihn. Gleichzeitig streichelte er Joeys Bauch und nach wenigen Sekunden entspannte sich der Blonde. Kaibas Finger genossen mehr Freiraum, bewegten sich noch kurz und zogen sich dann zurück. Ein langer geräuschvoller Atemzug kam über Joeys Lippen und als sich Kaibas Arm von seinem Leib löste, ließ er sich auf das Laken hinabsinken. Keuchend blieb er dort liegen, schluckte schwer und leckte sich über die Lippen. Kaiba war ihm gefolgt, lag etwas auf ihm und lauschte dem Keuchen. Unter ihm bebte der junge Körper und er ließ ihm etwas Zeit. Stockend lockerten sich Joeys Hände aus Laken und dem Haar, zögernd ließ er sie sinken und nach einem weiteren Schlucken drehte er das Gesicht wieder zur Seite, rang nach Atem und blinzelte. "Hey...", nahm er ein sanftes Flüstern wahr, ebenso fühlte er, wie Fingerkuppen verspielt über seinen Rücken wanderten, "... geht es dir gut?" Der Blonde antwortete mit einem dumpfen Ächzen, verdrehte die Augen und rieb sich die Stirn. Kaiba schob sich etwas höher, streifte sein Haar zurück und sah ihn an. "Jopseh...?" "Ja..." Stöhnte dieser endlich und schloss die Augen. Ein leichtes Grinsen zog an Kaibas Lippen, als er mit einer Strähne spielte, sich kurz darauf hinabbeugte und einen Kuss auf der erhitzten Wange des Blonden platzierte. "Bist du bereit?" "War ich immer." Antwortete Joey leise und hob die Hand. Er streifte Kaibas Kinn, als sich dieser wieder aufrichtete, die eigene Hose öffnete und sie hinabstreifte. Etwas unbeholfen stützte sich Joey auf die Ellbogen, ließ den Kopf sinken und hörte die Gürtelschnalle klicken. Das Haar fiel in seine Stirn, seine Lider sanken hinab und sein Mund öffnete sich einen Spalt weit. Kaiba schien sich zu beeilen. Schnell landete die Hose samt Shorts bei den anderen Kleidern und ebenso ungeduldig postierte er sich hinter Joey, schob die Hände unter dessen Hüfte und hob diese an. Der Blonde wischte sich eilig über das Gesicht und spreizte die Beine weit, damit Kaiba nahe an ihn heranrücken konnte. Sein eigener Körper war völlig entspannt, nur das starke Pulsieren des Herzes herrschte in ihm, neben dem herrlichen Kribbeln und dem Kälteschwall, der ihn hin und wieder heimsuchte. Gemächlich rückte Kaiba näher, stützte Joeys Hüfte und schob sich langsam gegen ihn. Nur langsam und äußerst vorsichtig drang er in ihn ein. Unter einem leisen Ächzen drückte der Blonde den Rücken durch, seine Miene verzog sich, seine Finger klammerten sich erneut in das Laken, und doch blieb sein Körper völlig entspannt. Kaiba schnappte dumpf nach Luft, löste eine Hand von Joeys Hüfte und bettete sie auf seinem Steiß, als sich ihre Körper berührten, sie fest miteinander verschmolzen. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, diese Hitze um sich zu spüren. Kaiba genoss es, ließ den Kopf sinken, atmete zitternd aus und beugte sich etwas nach vorn. Vorsichtig begann er sich in Joey zu bewegen, vorsichtig zuzustoßen und sich immer wieder tief in ihm zu versenken. Der Blonde öffnete den Mund weit, hob den Kopf und rang nach Sauerstoff. Seine Hände drohten abzurutschen. Hastig klammerte er sich neu in das Laken, stieß ein leises Stöhnen aus und ließ sich mit dem Oberkörper tiefer sinken. Er stützte sich auf die Ellbogen, schob die Hände von sich und biss sich auf die Unterlippe. Sein gesamter Leib erbebte, als sich Kaiba erneut gegen ihn schon, seine Hand über seinen Rücken glitt und ihn die Fingernägel leicht kratzten. Ein eiskalter Schauer suchte ihn heim, jagte eine Gänsehaut über seinen Körper und ließ ihn erneut aufstöhnen. Auch Kaibas Atem wurde zu einem leisen Keuchen, seine Hand packte Joeys Hüfte fester und nach einem schweren Schlucken wurde er etwas schneller. Er bewegte sich taktvoll, schmiegte sich an ihn und hielt die Augen geschlossen. Der Schweiß auf seiner Stirn glänzte im zurückhaltenden Schein der Lampen, seine Gesichtszüge zuckten und immer wieder schnappten die Zähne nach der Unterlippe. Nass blieben einige Haarsträhnen auf seinen Wangen haften und Joey kroch etwas in sich zusammen. Stöhnend presste er die Stirn auf das Laken, bäumte sich stöhnend auf und grabschte eilig nach einem Kissen, um sich hineinzuklammern. Seine Zähne bisschen aufeinander, sein Unterkiefer erbebte und die zärtlichen Berührungen auf seinem Rücken wurden zur Nebensache. Mit einer hektischen Bewegung warf er sich das Haar aus dem Gesicht, ächzte laut und begann sich stockend zu räkeln, als sich Kaiba gegen ihn presste. Ein scharfes Kribbeln zog durch seinen Körper, brachte ihn beinahe um den Verstand. Er presste die Lippen aufeinander, riss kurz darauf den Mund auf und kämpfte sich in eine aufrechte Haltung. Mit aller Kraft stemmte er die Arme durch, unterdrückte ein lautes Stöhnen und schob sich fest gegen Kaiba, worauf dieser noch tiefer in ihn kam. Joey erzitterte, ließ den Kopf sinken und spürte eine angenehme Wärme auf seinem Rücken. Kaiba beugte sich noch tiefer zu ihm, schob beide Hände über die Rippen des Blonden und erreichte dessen Brust, die er gekonnt bearbeitete. Joey entkam ein lautes Stöhnen, als er diese Berührungen spürte. Hastig griff er nach oben und presste eine von Kaibas Händen fest an sich. Wollüstig klemmte er die Unterlippe zwischen die Zähne, warf den Kopf nach oben und wand sich genüsslich in dem schnellen Takt. Langsam bewegte er die Zigarette zwischen den Fingern, hob sie zum Mund und nahm einen langen Zug. In eine kuschelige Decke gehüllt, lag Joey auf dem Dach der großen Villa. Gemeinsam mit Kaiba hatte er es sich auf einer der Liegen gemütlich gemacht und genoss den Ausblick auf den klaren Sternenhimmel, der sich weit über ihnen erstreckte. Er lag zwischen Kaibas Beinen und hatte den Hinterkopf auf dessen Brust gebettet. Auf seinem Bauch lag die E-Gitarette. Entspannt zupfte Kaiba an den Saiten, entlockte dem Instrument eine herrliche ruhige Melodie. Nachdenklich beobachtete Joey seine Finger, die sich gekonnt bewegten, nahm einen weiteren Zug und blies den Rauch durch die Nase aus. Es herrschte eine wundervolle Atmosphäre und Joey wollte nur noch hierliegen, sich an Kaiba schmiegen und den zärtlichen Klängen der Gitarre lauschen. Eine sanfte Brise umspielte sie und er hob kurz die Hand, um sich die Strähnen aus dem Gesicht zu wischen. Anschließend blinzelte er, rutschte sich zurecht und atmete tief ein. "Weißt du was?" Flüsterte er leise. "Mm?" Kaiba griff in die Bünde und führte die etwas melancholische Melodie fort. Joey seufzte leise und kuschelte sich in die Decke. "Fortan werde ich mich nicht mehr vor der Welt verstecken." Er biss sich auf die Unterlippe. "Ich werde mich ihr zeigen und es mit ihr aufnehmen." Ein sanftes Lächeln zeichnete sich auf Kaibas Lippen ab und Joey blickte auf, betrachtete sich die Sterne und lächelte zufrieden. "Ich werde ihr zeigen, dass ich keine Angst mehr vor ihr habe." Fuhr er leise fort. "Ich werde sie herausfordern." Kaiba lachte leise, ließ die Hand am Gitarrenhals höher gleiten und stieg auf eine etwas hellere Melodie um. Joey schloss die Augen. "Seto, ich werde eine richtige Band gründen!" Das Licht der Welt «Ende» ~*TO BE CONTINUED*~ ~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~* Plädyoer der Autorin, die halbtot auf der Tastatur liegt: *Sauerstoffmaske aufsetzt* *röchel* Oh mein Gott... ich bin fertig!! Und das nicht nur mit der Geschichte. -____-'' Ich kann es nicht glauben! Da schreibt man einen Tag durch und dann so etwas! Das Grauen findet sein Ende! *schnief* Und das erst nach 461 Seiten! Und dabei wollte ich Teil 3. kurz halten! Teil 1 und 2 erscheinen ja wie schrumpelige Zwerge gegen diesen Brummer! O_o Ich hoffe, dass ich mich bei Teil 4 zurückhalten kann! Wenigstens einmal müsste es mir doch gelingen. ;_; *räusper* Sooo~ klären wir noch ein paar Dinge. Glaubt mir, ich hatte selber Respekt davor, einen Hund einzubauen. Ihr wißt schon... Joey, das Hündchen... bla bla... ûú° Darauf wurde so sehr herumgeritten, dass ich mich fast schon schlecht fühle, wenn ich zufällig so ein Tierchen einbringe. Tatsache ist aber, dass ein Hund von gewaltigen pädagogischem Nutzen sein kann. Hunde sind nicht einmal meine Lieblingstiere aber ich war einfach der Meinung, genau so etwas könnte Joey da helfen, wo Kaiba nicht mehr weiterkommt. Wenn er eine Ratte auf der Schulter herumgetragen hätte, hätte man sich bestimmt noch mehr gewundert. Also bitte nehmt es mir nicht übel. Ich schließe mich mit diesem neuen 'Charakter' nicht dem Joey-Hündchen-Club an. ^^''' Juut~... ich finde es außerdem ganz toll, dass ihr durchgehalten und so liebe Kommentare geschrieben habt! Das ist wirklich super! ^o^ Seht es als euer Werk an, dass es einen nächsten Teil geben wird. Hätte man weniger auf diese Geschichte reagiert, hätte ich es ganz sicher gelassen. *euch alle drück* Ich hoffe, dass ihr mir bei Teil 4 ebenso treu bleibt und wir viel Spaß haben. >___<'' *Kaffee verteil* So, jetzt machen wir erst einmal Pause und ruhen uns aus, hm? In den nächsten Tagen werde ich den ersten Teil vom 4. Kapitel reinstellen und auf eure Reaktionen bin ich sehr gespannt. ^^ Hoffentlich gefällt es euch. Ich bedanke mich noch einmal für euer Durchhaltevermögen und verkrümel mich erst einmal in mein Bettchen, dem ich viel zu lange fern geblieben bin. *winkzz* Eure Mono ^______~/) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)