Dritter Teil: Das Licht der Welt von abgemeldet (Fortsetzung von "Du kennst mich nicht und doch hasst du mich" und "Gift in Körper und Seele") ================================================================================ Kapitel 7: Die Nadel im Heuhaufen --------------------------------- Langsam hob Kaiba den Arm und warf einen Blick auf die Uhr. >Zehn Stunden...<, ging es ihm durch den Kopf. >Zehn Stunden noch... und zehn habe ich bereits mit unsinniger Suche verplempert!< Unter einem erschöpften Stöhnen ließ er den Arm sinken und blickte sich um. Er stand auf einer kleinen Kreuzung und wenn er sich umblickte, sah er keine Menschenseele. Nur eine alte Frau schob in weiter Ferne ihre Gehhilfe vor sich her. Das Dorf glich einer Totenstadt. Kaibas Miene verfinsterte sich, wie so oft in den letzten Stunden, die er damit verbracht hatte, sinnlos umherzulaufen, in noch sinnloseren Hoffnungen verstrickt, vielleicht etwas finden zu können. In Schritttempo rollte ein Trabant an ihm vorbei, ein Opa blickte verschwommen durch die dreckige Fensterscheibe, bevor er sich wieder nach vorn wandte. Der Brünette blähte die Wangen auf, rollte mit den Augen und ließ den Kopf sinken. Währenddessen zog er eine Zigarettenschachtel hervor und klappte sie auf. Wieder stöhnte er. Verlassene Gebäude? Die gab es hier an jeder Straßenecke. Läden existierten, scheinbar gut laufende Geschäfte, obgleich der Eindruck entstand, die Einwohner würden ihre Behausungen nur des Nachts verlassen. "Gott verdamme mich", murmelte er, während er sich einen Glimmstängel zog und ihn direkt zum Mund führte, verbittert den Kopf schüttelnd. In jedem Laden hatte er sich erkundigt, jeden Menschen angesprochen! Sich jedes Haus weitgehend betrachtet, bevor er daran vorbeigezogen war. Und was hatte es genutzt? Weniger als nichts. Er stand am Anfang, nichts hatte er bewirkt und neben der Müdigkeit meldeten sich nun auch die geschwächten Nerven, die sich nach einer Pause sehnten. Träge begann er nach dem Feuerzeug zu suchen. >Pause... wie könnte ich<, dachte er sich, als er fündig wurde. >Zehn Stunden bleiben mir noch für die Suche. Und punktgenau werde ich dann bei der Polizei stehen und mir ihre Mithilfe erzwingen!< Er zündete die Zigarette an, rieb sich den Nacken und steuerte in lahmen Schritten auf eine Bank zu, die in nicht all zu weiter Entfernung stand. Plump ließ er sich fallen und streckte die Beine aus, die alte Frau beobachtend, die sich ihm langsam näherte, sicher eine Stunde benötigen würde, um ihn hinter sich zu lassen. Kaiba bewegte die Zigarette zwischen den Lippen, ließ den Hinterkopf auf die Banklehne sinken und starrte zum Himmel auf. Was fühlte er? Abwesend tasteten sich die blauen Augen über den strahlenden Himmel. Besorgnis. Natürlich... sie war vorhanden. Stark, so stark, dass es schmerzte. Wut? Ja, auch sie hatte sich einen Teil seines Körpers zu Eigen gemacht. Die Wut auf sich selbst, bei der Aufsicht versagt zu haben. Die Wut, hilflos dazustehen, trotz der Tatsache, eine einflussreiche und bekannte Persönlichkeit darzustellen. Hilflos... ja, das war das richtige Wort. Es beschrieb seine Lage vortrefflich. Auf niemanden bauen zu können... keine Angestellten, die gern jede Aufgabe bewältigten. Kein Pikotto, der sich gern um wichtige Anliegen bemühte, eine der wenigen vertrauenswürdigen Personen im Leben des jungen Firmenchefs darstellte. Keine Polizei, die sich nach ihm richtete. Nach seinen Wünschen... Kein System, das Joey binnen kürzester Zeit orten konnte. Kein Knopf, den man drücken müsste, um die erfolgreiche Suche zu beginnen. Kein Knopf, der all dies zum Guten wenden würde. Auf all dies nicht zählen zu können... all dies verursachte die Wut in ihm. Und aus der Wut erhob sich panisch schreiend - die Angst. Die Angst, auf Geliebtes verzichten zu müssen. Und das nur durch eine kleine Unaufmerksamkeit. Nicht die Angst vor den eigenen Leiden, die durch den Verlust entstehen würden. Nein, die Angst vor den Leiden des geliebten Menschen, die stetige Angst vor der Ungewissheit. Litt er...? Sorgte auch er sich...? War er wütend...? Ängstlich...? Phlegmatisch hob Kaiba die Hand, tastete nach der Zigarette und nahm sie sich aus dem Mund, um sie träge sinken zu lassen. Reglos verharrte er, selbst die Augen schienen zu sterben, verblieben nach oben gerichtet, ausdruckslos, sich nur durch ein mattes Schimmern verratend. >Joseph... kannst du in diesen Sekunden den Himmel sehen...?< In langsamen Schritten schlenderte Daniel durch die Bungalows. Die Hände hielt er in den tiefen Taschen der lockeren Hose verstaut, der Blick hing auf dem Boden, während die Füße hin und wieder nach einer Blume traten. Sich aller Freiheit erfreuend, kitzelten die schwarzen Haarsträhnen die schmalen Schultern, die das offene Hemd nicht verdeckte. Abwesend bearbeiteten die weißen Zähne die Unterlippe und bald blieb er stehen. Tief atmete er ein, tief atmete er aus und dann schaute er nach oben, um sich die Baumkronen zu betrachten. Und das noch immer so abwesend, als sei nur seine menschliche Hülle anwesend. Als befänden sich all seine Gedanken an einem anderen Ort, in einer anderen Situation. >Wo steckt Joey.< Er blinzelte, ließ den Kopf sinken und drehte sich einmal um die eigene Achse, bevor er sich in das Gras sinken ließ. >Wenn Joey verschwunden is, is dieser Kaiba auch nich weit! Ich vermute, er is hinunter in's Dorf gefahren!< Eine unauffällige Wut begann die weichen Züge des jungen Mannes zu zeichnen. >Natürlich! Als wenn er nach Hause fahren würde, während sein Liebling verschwunden bleibt! Tse...< trotzig starrte er auf das Gras, rückte nach links, rückte nach rechts und griff letzten Endes nach einem kleinen Büschel, um daran zu zerren. >Für wie blöd hält man mich! Die Japaner haben nichts gesehen un fressen alles, was man ihnen vor de Füße wirft! Doch ich hab Augen! Und se seh'n viel!< Er rupfte und zerrte weiter, bis sich seine Bewegungen verlangsamten, als würde ihm eine Idee kommen, eine Einsicht. Sein Gesicht verzog sich verwirrt. >Weshalb behalte ich das eigentlich für mich?! Was geht'n mich der ganze Kuchen an! Ich steck's ihnen einfach und bin aus der Affäre! Sie sind doch die toleranten Kumpels, also können'se sich auch um die beiden... Typen kümmern! Machen doch immer eins auf Schickimicki und ich verschwende meine Gedanken für so nen Blödsinn!< Er schnitt einer Grimasse. >Mensch, ich fasse es nich! Was soll der Scheiß von wegen: "Sie sind nach Domino zurückgekehrt! Es geht ihm gut! Alles is super!" Was soll'n das bringen?! Und was zur Hölle sind das für Freunde, die sich mit Lügen beschmeißen?! Und dann noch mit so welchen! Er is nicht verschwunden...< "Nein... nich doch." Daniel weitete die Augen und schüttelte den Kopf. "Niemand weiß, wo er is? Ach, so nen Käse! In diesen Sekunden befindet er sich auf der gemütlichen Rückreise nach Japan!" Daniel wackelte verächtlich mit dem Kopf. "Zusammen mit seinem Schnuckiputz von Todesfisch! Buharr!" Er ließ sich zurückfallen und streckte sich aus. Wütend ballten sich seine Hände, die Miene schien zu versteinern, bis sie in jenem herablassenden Ausdruck verblieb. "Soll er krepieren...", kam ein scharfes Fauchen über seine Lippen. "Menschen wie er, haben es nicht verdient, zu leben! Tse... vielleicht irrt er durch'n Wald? Lässt sich nur hoffen, dass er ne Klippe runterstürzt, bevor er verhungert...!" Die aschgrauen Augen verengten sich. "Die Pest an deinen Hals, Jo..." "Hey", ertönte plötzlich eine Stimme. Sogleich verstummte Daniel und ließ das Gesicht zur Seite fallen. Nur wenige Meter entfernt, stand Duke, den Kopf schief gelegt und ihn nachdenklich musternd. "Was", nuschelte Daniel nur lustlos. Duke schnalzte mit der Zunge und schlenderte etwas näher, während Daniel faul liegen blieb. Neben ihm blieb Duke stehen und pustete sich eine lange Strähne aus dem Gesicht. "Führst du Selbstgespräche?" "Ja." Daniel drehte das Gesicht nach oben, starrte gen Himmel. "Is ne psychische Krankheit, mache ich andauernd." Duke nickte langsam. Es war schwerlich zu übersehen, dass der Halbamerikaner keinerlei Muse für ein Gespräch bereit hielt, allein sein wollte. Es tat ihm ja auch leid, aber diesen Wunsch konnte er ihm nicht erfüllen. "Wollen wir mal suchen gehen?", murmelte er nachdenklich. "Wen?", nuschelte Daniel genervt zurück. "Die gute Laune." Duke sah sich um. "Sie ist scheinbar schon vor ein paar Tagen ausgebüchst. Vielleicht treibt sie sich aber trotzdem noch in der Nähe herum?" "Is nich ausgebüchst, hab sie fortgejagt." "Um gewissen Menschen besser die Pest an den Hals wünschen zu können?" Daniel antwortete nicht, nur seine Pupillen richteten sich auf Duke, der seinen Blick ernst erwiderte. "Gewissen Menschen wie Joey?" Noch immer schwieg Daniel und nach einem ungewissen Murmeln ließ sich Duke neben ihm nieder. Gemächlich winkelte er die Beine an, schlang die Arme um die Knie und hielt den Blickkontakt weiterhin aufrecht. "Wenn ich das recht verstanden habe, hast du mit der Pest bisher Besseres anzufangen gewusst, als sie Menschen zu wünschen, mit denen du doch gut ausgekommen bist." Daniel verdrehte die Augen und starrte auf den Himmel zurück. "Und nun erweckst du den Eindruck, als wäre Joey schon immer dein Erzfeind gewesen, dem du ohne zu zögern ein Messer in die Brust rammen würdest." Duke runzelte die Stirn. "Sag mal, habe ich irgend etwas nicht mitbekommen?" "Scheinbar schon", erwiderte Daniel mit einer Kühle, die man von ihm nicht gewohnt war. "Hast wohl vergessen, wie man sich vor ner Überdosis Toleranz schützt." "Verstehe ich nicht", meinte Duke geduldig. "Hat Yugi sich noch nich ausgeheult?", fuhr Daniel unbeeindruckt fort. "Kam er noch nich zu euch, den dollen Freunden, gelaufen und hat erzählt, wie böse Onkel Ray is?" "Nicht, dass ich wüsste", murrte Duke. "Tust du mir den Gefallen, dich deutlicher auszudrücken? Umschreiben ist eine tolle Sache, direktes Beschreiben ist besser. Wie heißt die Laus, die dir scheinbar unermüdlich über die Leber läuft?" "Gibt mehrere Läuse." "Ach." "Schau ma." Daniel baute den Blickkontakt wieder auf. Und das mit einer Lässigkeit, die Duke erstaunte. Zumindest, nachdem er die nächsten Worte gehört hatte. "Ich weiß nich genau, wie's bei euch in Japan so läuft. War die Toleranz im Touristenpacket gen Erde schon inklusive? Oder eignet man sich die im Laufe der Jahre an?" Duke schnitt eine verwirrte Grimasse und Daniel stöhnte. "Tatsache is, dass ich genau weiß, was Joey und sein Kuschelfisch so treiben. Und eine weitere Tatsache", Daniel hob den Zeigefinger, plötzlich gehässig grinsend, "immer wenn ich dran denke, kommt mir fast das kalte Kotzen." "Aha, darauf willst du also hinaus." Duke nickte, die Verwunderung überspielend. Daniels Worte waren es, auf die er eingehen wollte, nicht dessen Meinung. "Joey und Kaiba sind ein Paar, das stimmt. Aber aus einem merkwürdigen Grund überlebten wir dieses Massaker. Also tu nicht so, als hättest du Menschen dieser außerirdischen Art zum ersten Mal gesehen. Es ist dein Recht, etwas dagegen zu haben. Menschen haben nun einmal unterschiedliche Geschmäcker, das ist genau so normal wie diese Sache." "Das ist mir neu." Daniel weitete die Augen. "Du hetzt also die Pest auf Joeys Hals, weil er eine Liebe anderer Art empfindet? Habe ich das richtig verstanden? Zuerst seid ihr dicke miteinander und als dir diese Einsicht kommt, drehst du dich um 180° und erklärst Joey zu deinem Feind?" Duke schüttelte verdattert den Kopf. "Weshalb?" "War mir klar, dass du's nich verstehst." Plötzlich rappelte sich Daniel auf. Ohne Duke einen Blick zu schicken, kam er auf die Beine und klopfte sich flüchtig die Hose sauber. "Weißte, es gibt natürliche Gesetze und es gibt viele Arten, diese Gesetze zu brechen, wobei DAS die Schlimmste von allen is! Ich hab jetzt keinen Bock, zu sagen, was jedem Menschen eigentlich klar sein sollte. Kurz und gut: Ich find's zum Kotzen und bin froh, die Beiden nich mehr sehen zu müssen. Und", er hob die Hand, hielt Duke davon ab, ihm ins Wort zu fallen, was dieser soeben tun wollte, "du musst jetzt nich deine Meinung vertreten, kay? Das wird ne Endlosdebatte und darauf hab ich noch weniger Bock, weilde mir letzten Endes eh meine Meinung lassen musst." Er verschränkte die Arme vor dem Bauch und nickte abschließend, während Duke ihn nur anstarren konnte. "Hab nichts gegen dich, auch wennde auf'm falschen Dampfer fährst." "Was zur Hölle soll das denn wieder bedeuten?" "Ich glaub, euer Bus wartet schon. War schön, dich kennen gelernt zu haben, hier trennen sich aber unsre Wege, also lasst uns die eigenen Leben leben und uns nich weiterhin belappen. Sag Yugi und den anderen Grüße, laufen uns sicher ma über den Weg, wenn ich in Japan bin, um meinen Vater zu besuchen." "Du willst deinen Vater besuchen?" Duke fiel das Sprechen schwer, Daniel das Grinsen jedoch leicht. "Ne." Er schüttelte den Kopf. "Nimm's nich persönlich, man. Sind einfach ein paar Dinge eingetroffen, die nich hätten passieren dürfen. Hast keine Fehler gemacht, is nur alles etwas schief gelaufen. Also...", er wandte sich langsam ab, "... mach's gut, Duke." Somit entfernte er sich in denselben schlendernden Schritten und ließ die Hände in die Hosentaschen zurückrutschen. Stockend richtete sich Duke auf. >Was zur Hölle hat er für ein Problem?! Will er jetzt wirklich gehen??< Als er auf den Knien hockte, verlangsamte Daniel seinen Gang plötzlich. Immer langsamer, bis er zum Stehen kam. >Komm schon!< Duke kam auf die Beine. >Das kann es doch nicht gewesen sein!< Allmählich drehte sich Daniel zu ihm um und Duke erblickte eine nachdenkliche, beinahe verbissene Miene, Augen, die in einen eigenen Kampf verstrickt zu sein schienen, als sie sich auf ihn richteten. "Und außerdem", hob Daniel an, "Joey is gar nicht..." Aus irgendeinem Grund, brach er den Satz jedoch ab. "Was ist Joey nicht?", verwirrt trat Duke näher. Daniel sah ihn näher kommen, musterte ihn aufmerksam und abwägend. "Daniel", bittend legte Duke den Kopf schief. "Was ist mit Joey?" Der Angesprochene wandte finster den Blick ab, streckte trotzig die Hüfte nach vorn und schüttelte kurz darauf den Kopf, die Hände in den Hosentaschen bewegend. "Daniel?" "Alles Lüge", murmelte dieser und wandte Duke erneut den Rücken zu. Wieder ging er, diesmal jedoch ohne erneut stehen zu bleiben. Dies tat Duke. "Alles Fake", hörte er ihn noch nuscheln. "Was?" Duke verstand es nicht. "Was ist eine Lüge?! Hey!!" Und Daniel ging. Verwirrt sah Duke ihm nach, hoffte, bangte, dass er erneut stehen bleiben würde. Regungslos hockte er dort und sah Daniel kurz darauf in lässigen Schritten zwischen den Bungalows verschwinden. >Was zur Hölle...?!< "Duke!" Ertönte plötzlich eine Stimme von weither. Wie aus den Gedanken gerissen, drehte sich Duke um und erspähte Tristan, der zusammen mit den anderen vor dem Bungalow wartete. Die Koffer waren gepackt und zum Abtransport bereit. "Beeil dich! Wir müssen zum Bus!" Duke bewegte stumm die Lippen, blickte noch einmal in die Richtung, in der Daniel verschwunden war und kam langsam auf die Beine. >Was ist mit Joey?!< >Bisher endete jedes meiner Geschäfte und Projekte erfolgreich!< In einer verlassenen Ecke des Dorfes blieb Kaiba stehen. Verbittert suchten seine Augen nach der Uhr. >Nie habe ich einen meiner Geschäftspartner enttäuscht! Ich habe alles geschafft! Planmäßig, in höchsten Maßen zufrieden stellend!< Seine Miene begann verbissen zu zucken, als er einen Schritt nach rechts trat und sich gegen eine brüchige Steinmauer lehnte. Seine Knie hatten den Großteil der Kraft verloren, was der Schlaflosigkeit und den langen Wanderungen zu verdanken war. Das schwarze langärmliche Hemd klebte vor Schweiß an seiner Haut. Es war zu warm. Erschöpft legte er den Hinterkopf gegen das rote Gestein, schloss die Augen und atmete tief ein. >Ich führe einen der erfolgreichsten Weltkonzerne!< Verkrampft verzog sich seine Miene. >Und ich bringe es nicht fertig, einen Menschen zu finden??< Seine Hände ballten sich zu Fäusten, die kurz darauf gegen die Wand schlugen. >Verflucht! Verdammt, zum Teufel mit dieser Hitze! Meine Kräfte neigen sich ihrem Ende entgegen!< Unter einem dumpfen Stöhnen drehte er sich zur Seite, stieß sich ab und ging weiter. Noch immer waren nicht viel mehr Menschen zu sehen! Nur Häuser, deren Läden verschlossen waren! Mit finsterer Miene blickte sich Kaiba um. >Allmählich habe ich das Gefühl...<, er schluckte, >... dass ich überhaupt nichts tun kann! Aber... das kann nicht sein! Irgendetwas muss sich machen lassen!< Plötzlich meldete sich sein Handy und er tastete nach ihm. Während er dann in die Hosentasche griff, trat er in den Schatten eines Baumes. Träge zog er das Handy ins Freie und hob es zum Ohr. "Ja", hauchte er zermürbt. "Ich bin es", meldete sich eine bekannte Stimme. "Wie geht es voran?" "Überhaupt nicht", zischte Kaiba und gestikulierte verworren mit der anderen Hand. "Ich laufe jetzt seit sieben verfluchten Stunden durch dieses gottverdammte Dorf und traf nicht einmal auf einen verteufelten Anhaltspunkt! Und diese Hitze...!" "Beruhige dich." "Pikotto!" Kaiba drehte sich um, rammte die Hand gegen einen Zaun und ließ den Kopf hängen. "Ich - kann - mich - nicht - beruhigen! Wie soll das funktionieren? Hier gibt es überhaupt nichts, das man verdächtigen könnte, als Gefängnis zu dienen! Und... und wir wissen nicht einmal, ob Joseph wirklich entführt wurde! Ich suche hier die Nadel im Heuhaufen und..." Als eine andere bekannte Stimme im Hintergrund ertönte, verstummte Kaiba augenblicklich. "Gib ihn mir, gib ihn mir!", hörte er jemanden rufen. Pikotto zögerte kurz. "Kaiba...?" "Was hast du ihm erzählt?", unterbrach dieser ihn aufgebracht. "Etwas, das ihm keinen Grund zur Sorge gibt", erklärte Pikotto. "Du bleibst länger, weil dir die Gegend sehr zusagt und du außerdem etwas Ferien brauchst." "Oh!" Kaiba weitete sarkastisch die Augen. "Du hast Recht, ich liebe diese Gegend, kann überhaupt nicht genug von ihr bekommen." "Was." Pikotto stöhnte. "Hätte ich ihm die Wahrheit sagen sollen?" "Nein." Kaibas Hand klammerte sich um das grün gefärbte Holz des Zaunes. "Nein, in Ordnung... lass mich mit Mokuba sprechen, ja...?" Daraufhin ertönten leise Geräusche in der Leitung. Tief Luft holend, richtete sich Kaiba auf und gerade als sich seine Augen auf die Straße richteten, die direkt vor ihm lag, meldete sich Mokuba. "Seto?" Rief er freudig in den Hörer. "Seto du..." "Verflucht!" Plötzlich schnappte Kaiba nach Luft, schlug die Hand auf den Zaun und schwang sich mit einer schnellen Bewegung über ihn hinweg, direkt in den dahinterliegenden Garten. Auf dem Rasen duckte er sich und in derselben Sekunde fuhr ein großer Reisebus an ihm vorbei. Keuchend sah er ihm nach, konnte auch kurz die Insassen erkennen, die sich freudig unterhielten und anderen Schabernack trieben. Er hielt sich geduckt, bis er hinter der nächsten Ecke verschwand. Hoffentlich hatte er schnell genug reagiert! Niemand durfte ihn hier sehen! In der Leitung herrschte Stille, als er schwerfällig auf die Beine kam. "Das war knapp", stöhnend stützte er sich auf dem Zaun ab, erinnerte sich dann jedoch an das Handy, das er noch in der Hand hielt. Sofort hob er es zum Ohr. "Ja... ähm..." "Setooo? Freust du dich denn gar nicht?" "Doch, natürlich!", bezeugte Kaiba schnell und nickte, während er sich über den Zaun lehnte und sich umblickte. "Ich war nur kurz abgelenkt." "Ach so." "Mokuba...", Kaiba machte sich daran, erneut über den Zaun zu steigen, was ihm diesmal nur weniger leichtfüßig gelang, "... ich habe gerade zu tun. Also was hast du auf dem Herzen?" "Du hast zu tun? Aber warum? Du machst doch Ferien." "Ja, ich habe auch großen Spaß dabei", erwiderte Kaiba mit verstecktem Sarkasmus und stand mit einem grazilen Satz wieder auf dem Fußweg. Sofort blickte er sich um. "Worum ging es gleich noch mal?" "Wann kommt ihr zurück?" "Wir?" "Na, Joey ist doch auch da geblieben, weil er das Wandern so sehr liebt." "Ach ja... klar." Kaiba schnitt eine finstere Grimasse und rieb sich das Gesicht. "Ich weiß es nicht, noch ein paar Tage vielleicht." "Und dann kommt ihr wieder?" "Jahaaa." "Aber ihr habt doch Schule. Seit wann machst du blau?" "Ich bleibe ja nicht mehr lange." Ungeduldig begann Kaiba auf den Fußballen zu wippen. "Noch etwas?" "Du willst ja gar nicht mit mir reden", stellte Mokuba in einem schmollenden Brummen fest. "Doch natürlich." Kaiba verdrehte die Augen. "Was hast du denn zu tun?" "Ich muss noch einige Besorgungen machen." "Was denn?" "Lebensmittel." "Hast du nicht gesagt, dass es im Camp genug Essen gibt?" "Wir sind nicht mehr im Camp!" "Wo seid ihr denn?" "In einem Hotel!" "Aber da gibt es doch auch..." "Mokuba!" Kaiba stöhnte erschöpft. "Es-tut-mir-leid! Ich kann jetzt nicht mit dir reden. Ich rufe zurück." Daraufhin brach eine unsichere Stille in der Leitung aus. Kaiba ertrug sie nur schwerlich, während er bereits weiterging und seine Augen nach einer Menschenseele suchten. "Ist... alles in Ordnung, Seto?" Mokuba klang besorgt. "Es ist alles in Ordnung", beschwichtigte Kaiba ihn mit ruhiger Stimme, zu der er nur fähig war, indem er die letzte Geduld zusammenkratzte. "Wir sehen uns bald wieder, okay?" "Okay." Mokuba seufzte, er war traurig, akzeptierte es jedoch. "Ich... habe dich ganz toll lieb, Seto." Kaiba wurde auf etwas aufmerksam. "Ja, Tschüss." Somit legte er auf und ließ das Handy sinken. Er verschnellerte seine Schritte, näherte sich der Straße und hielt inne, bevor er sie betrat. Irritiert betrachtete er sich das Handy in seiner Hand und mit jeder Sekunde verzog sich sein Gesicht befürchtend. "Oh Gott!" Zermartert ließ er den Kopf sinken und schüttelte ihn. "Ich habe dich lieb, Seto? So etwas sagt er so selten und ich Idiot...?! Ver...", er raufte sich kurz die Haare, schloss verkrampft die Augen und biss die Zähne aufeinander. "Verflucht!" Dennoch ließ er das Handy in die Hosentaschen zurückrutschen, rollte mit den Augen und ließ die Straße hinter sich. Auf der anderen Seite war ein groß gebauter Mann aus einem Landrover gestiegen. Scheinbar hatte er Einkäufe erledigt und war nun an einem Schaufenster hängen geblieben, das Zeitschriften jeder Art präsentierte. Er hielt einen Beutel in der Hand, während er sich nach vorn lehnte und die Angebote studierte. Kaiba näherte sich ihm in schnellen Schritten. "Verzeihung." Lässig blieb er neben ihm stehen, wischte sich flüchtig den Schweiß von der Stirn und ächzte leise, bevor er fortfuhr. Der Mann hatte sich sofort zu ihm gewandt, wobei der Blick nur kurz an seinem Gesicht hängen geblieben war und sich nun über das schwarze Hemd tastete, das feucht an dem schlanken Leib haftete. Kaiba jedoch interessierte sich mehr für sein Gesicht und sah ihm in die Augen. So konnte ihm deren Interesse nicht entgehen. Er folgte flüchtig den Blicken, sah an sich herab und kam dennoch zum Wesentlichen. "Ich suche jemanden. Etwas kleiner als ich, schlank, blond, braunäugig." Er gestikulierte knapp mit der Hand und stützte die andere in die schmale Hüfte, auf die der Mann in diesen Sekunden sein Augenmerk fixierte. "Seit knapp zwei...", nun brach er doch ab. Dieser Mann hörte ihm nicht zu! Während er ihn argwöhnisch musterte, war dieser noch immer mit der Beobachtung beschäftigt. "Verzeihung!" "Was?" Nun endlich wandte sich der hünenhafte Mann an ihn. Mit freundlichem Blick sah er ihn an. "Sie suchen also jemanden?" "Ja." Kaiba nickte langsam, während er den Augenkontakt ungehalten aufrechterhielt. "Weshalb zur Hölle starren Sie mich an!" "Weshalb?" Fragte der Mann mit unschuldiger Miene. "Ich habe mich nur gewundert. Sie sind sehr gut gebaut. Treiben Sie Sport?" "Was geht Sie das an?", fauchte Kaiba wütend. "Unterstehen Sie sich, mir mit solchen dummen Fragereien zu kommen! Sagen Sie mir, ob Sie mir helfen können oder nicht!" "Vielleicht kann ich das." Der Mann lächelte charmant. "Haben Sie einen Menschen gesehen, auf den diese Beschreibung passt?", erkundigte sich Kaiba genervt. "Das nicht, aber ich würde Ihnen gerne helfen." "Und wie denken Sie, könnten Sie mir eine Hilfe sein?" Kaiba fuhr sich durch den Schopf, der Mann verfolgte die Bewegung interessiert. "Nun, ich könnte mich vielleicht an der Suche beteiligen?" "Ach." Kaiba ließ den Arm sinken, verzog die Brauen und konzentrierte sich auf die Augen des Mannes, die unnatürlich tiefgründig und verheißend auf ihn gerichtet waren. Nur kurz führte er diese Beobachtung fort, da vertiefte sich das Grinsen des Anderen. "Nun starren SIE mich an", bemerkte er anstößig, jedoch alles andere als abgeneigt. "Wie heißen Sie?" "Interessiert Sie nicht", antwortete Kaiba knapp. "Leben Sie in diesem Dorf? Kennen Sie sich hier aus?" "Wissen Sie, ich wohne mit ein paar Freunden in einem gemütlichen Haus. Wir haben auch einen schönen Garten und..." "Schön für Sie und außerhalb meines Interesse", unterbrach Kaiba ihn lässig. "Beantworten Sie meine Frage oder lassen Sie es sein." "Eine scharfe Zunge hast du ja." Der Mann nickte grinsend und rieb sich das Kinn. "Scharf... ist nicht nur meine Zunge." Kaiba verengte die Augen. "Entweder Sie beantworten meine Fragen, ohne sinnlose Umschweife zu nehmen oder wir lassen es sein! Ich besitze keinerlei Zeit, die ich vergeuden kann!" Die Bissigkeit, mit der Kaiba diesen Zustand behandelte, schien nicht auf Abneigung zu treffen. Nein, der Mann lachte, als erfreue ihn diese Art der Unterhaltung, lieferte dann jedoch eine produktive Antwort, als wolle er dieses Gespräch in die Länge ziehen. "Meine Freunde werden sich sicher auch an der Suche beteiligen", meinte er. "Sie können mich gern begleiten. Wir fahren zu meinem Haus und holen sie." Kaiba blähte die Wangen auf und drehte sich kurz zu dem Landrover um, was der Andere sofort nutzte, um sich seinen Hals zu betrachten. Flüchtig musterte Kaiba den Wagen, runzelte die Stirn und schüttelte nach einem zielstrebigen Grübeln den Kopf. "Hören Sie, ich kann wirklich keine Zeit verschwenden. Wo befindet sich dieses Haus." "Mm, das ist schwer zu beschreiben. Kommen Sie doch einfach mit. Was haben Sie zu verlieren? Meine Freunden helfen Ihnen sicher gern." "Ach." Kaiba drehte sich zu ihm um, erneut begann die gegenseitige Musterung. "Sie haben ja hilfsbereite Freunde." "Ja, die habe ich." Der Mann lächelte. "Sie tun alles, um Menschen in der Not eine Hilfe zu sein." "Na schön." Kaiba nickte und die Miene des anderen wurde plötzlich von einer unerklärlichen Heiterkeit befallen. "Sie wollen mich begleiten?" Kaiba lugte lässig zu ihm. "Nein, ich werde schon noch fündig, auch ohne Ihre Hilfe." "Mit meiner Hilfe ginge es aber vielleicht schneller?" Der Mann gab nicht auf. "Wäre möglich", murmelte Kaiba leise. "Ich danke Ihnen für Ihre Kooperation, aber... ach, warten Sie." Er hob die Hand. "Ja?" "Vielleicht entscheide ich mich ja noch anders?" Kaiba hob herausfordernd eine Augenbrauen. "Geben Sie mir Ihre Handynummer?" Der Andere zögerte kurz, bevor er wieder freundlich nickte und den Beutel abstellte. Endlich wandte er den Blick von Kaiba ab und diesmal nutzte dieser die Gelegenheit, um ihn durchdringlicher zu mustern. Schweigend stand er dort und wartete, bis der Mann einen Zettel gefunden und die Nummer darauf geschrieben hatte. Und als sich dieser aufrichtete und ihm den Zettel reichte, lächelte er. "Ich danke Ihnen." Er warf den Zahlen einen knappen Blick zu. "Und... wenn ich wirklich auf Ihre Hilfe angewiesen bin, bekomme ich sie auch?" "Aber natürlich", lachend bückte sich der Mann nach dem Beutel. "Rufen Sie ruhig an. Wir setzen uns in Verbindung und Sie werden nichts bereuen." "Was sollte ich denn aber auch bereuen?" Kaiba schloss sich seinem Lachen an. "Mit uns an Ihrer Seite finden Sie Ihren Freund ganz sicher." Somit schlenderte der Mann an ihm vorbei, schickte ihm ein letztes freundliches Lächeln und wandte sich ab. Kaiba hatte das Lächeln erwidert, sobald er jedoch den Rücken des Anderen sah, verfinsterte sich seine Miene. Er blickte ihm kurz nach, drehte sich um und ging in eiligen Schritten davon. Währenddessen glitt seine Hand in die Hosentasche und holte das Handy hervor. "Ich hab dich am Arsch", fauchte er leise, während er eine Nummer wählte. "Von einem männlichen Vermissten war nie die Rede!" Er erreichte eine Ecke, schlich um sie herum und blieb stehen, das Handy zum Ohr hebend. >Ihn zu begleiten, wäre vielleicht zu gefährlich gewesen<, dachte er, während er angespannt wartete. Es dauerte nicht lange, da nahm Pikotto ab und sofort erhob Kaiba die Stimme. "Du musst etwas für mich tun", meinte er eilig und klappte nebenbei den Zettel auf. "Ermittle den Fahrer eines dunkelgrünen Landrovers mit dem Nummernschild LHH3040. Wenn du das nicht schaffst, dann finde heraus, wer unter dieser Handynummer angemeldet ist!" Während Kaiba diese von dem Zettel ablas, war das Rascheln anderer Zettel in der Leitung zu hören. "Gut." Pikotto wirkte irritiert. "Wie hast du..." "Ich habe gerade jemanden kennen gelernt, der auf jegliche Fallen angesprungen ist, die ich gestellt habe." Kaiba sah sich flüchtig um. "Egal wie, ich will, dass du das bewerkstelligst! Stellt das ein Problem dar?" "Nein nein, ich glaube, das dürfte zu schaffen sein." "Dann beeil dich und ruf mich an, sobald du Ergebnisse erzielt hast!" Kaiba nickte. "Ich glaube, dieser perverse Typ hat seine dreckigen Finger irgendwie im Spiel!" Langsam öffnete sich die Tür des Bades, stockend glitt die blasse Hand von der kühlen Klinke. In kraftlosen Schritten trat Lee in den Flur hinaus, hob die Hand und tastete nach dem Handtuch, das auf seinem Kopf lag. Er hatte geduscht. Träge zog er das Handtuch zum Hals hinab, wo er es hängen ließ. Er ging den Flur entlang, dabei ließ er sich Zeit. Unten hörte er Stimmen. Unter anderem die zufriedene Stimme des Mannes, der ihn soeben besucht hatte. Gern blieb er noch zu einem Plausch, nachdem er sein Geld ausgegeben hatte. Lee hatte es nicht eilig, ihn wieder zu sehen. Doch er wollte zu Joey. Gemächlich näherte er sich der Treppe, da vernahm er auch schon Schritte. Schwere Schritte; der Kunde ging. Eine halbe Stunde hatte er mit den beiden anderen unten gesessen, eine halbe Stunde lang hatte Lee geduscht. Als er die oberste Stufe erreichte, hielt er inne. Er hörte, wie die die Tür geöffnet wurde, hörte, wie sich der Mann heiter verabschiedete und der Dritte des Bundes eintraf. Vermutlich hatte es Besorgungen erledigt. Vorsichtig tastete Lee nach dem Geländer. Es ging ihm nicht gut; er musste sich abstützen. "Hey!", hörte er da den Schwarzhaarigen rufen. Ein schwerer Beutel wurde grob auf dem Tisch abgestellt. "Stellt euch vor, was ich gerade erlebt hab!" "Was denn", raunte ein anderer, das bekannte Klirren der Flaschen ertönte, die aus dem Beutel gezogen wurden. Lee hielt inne. "Ich hatte gerade das Bier gekauft", begann der Schwarzhaarige aufgebracht zu erzählen, "und stand so herum, da tauchte Jemand auf! Ich sag's euch! So Einen habt ihr noch nie gesehen!" "Was denn für einen." "Einen jungen Mann... das glaubt ihr nicht! Eine Schönheit! Unbeschreiblich!" "Hier?!" "Ja, doch!" Der Mann war völlig außer Atem. "Brünettes Haar, stechend blaue Augen und eine Figur, das es einem wie Schuppen aus den Haaren fällt!" "Ja, scheiße man!", fluchte ein anderer. "Warum hast du ihn nicht mitgebracht?! Wen er wirklich so eine Schönheit war, dann hätte er uns reich machen können!" "Oh, das hätte er!" Ein Lachen. "Beine ohne Ende, schlank und muskulös, gepflegtes Äußeres, seidige Haut! Jedoch... nicht ganz so einfach wegzufangen." "Wie meinst du das?" "Na ja, er machte jedenfalls nicht den Anschein, sich verarschen zu lassen. Er war knallhart und so gewieft, dass ich mit meinen Worten vorsichtig sein musste! Ich glaube, das war ein richtig schlaues Bürschchen. Auf vorsichtige Annäherungsversuche sprang er nicht an, sondern reagierte mit scharfer Aggressivität! Nicht einmal die Nette-Mann-Masche hat etwas genutzt und so konnte ich nicht das Mindeste über ihn in Erfahrung bringen." Eine kurze Pause. "Außer einer kleinen Tatsache." "Welche ist das? Raus mit der Sprache!" "Er sucht nach unserem Frischling." "Wirklich??" Ein Stuhl rutschte quietschend zurück. "Warum hast du ihm nicht deine Hilfe angeboten und ihn hierher gelockt?! Wir hätten ihn überwältigen können!" "Was denkst du wohl, was ich versucht habe! Der war zu klug, um sich darauf einzulassen, hab ihm jedoch meine Nummer gegeben. Hoffentlich ist er verzweifelt genug, sich zu melden und doch noch um meine Hilfe zu bitten! Vielleicht bekommen wir den noch? Geld, Leute! Geld, sag ich euch! Und das im Überfluss!" "Scheint nen Bekannter von unserem neuen Häschen zu sein", grübelte ein Anderer. "Wir könnten ihn doch einfach ködern?" "Ah ah ah, da wäre ich vorsichtig. Ich habe keine Ahnung, was dieser Kerl für Asse im Ärmel hat. Ein Niemand schien es jedenfalls nicht zu sein." "Woher willst du das wissen!" "Er hatte eine Art an sich, die darauf schließen ließ!" Während die Männer das aufbrausende Gespräch weiterführten, biss sich Lee auf die Unterlippe. Seine Augen richteten sich auf den Boden und er begann zu grübeln. >Es sucht jemand nach ihm?< Die Finger der auf dem Geländer liegenden Hand, spreizten sich, die Miene verzog sich skeptisch. >Was soll's... nach mir haben sie auch gesucht. Besser ist, ich sage ihm nichts davon. Falsche Hoffnung macht die Sache nicht einfacher.< Somit setzte er sich in Bewegung und stieg die Treppe hinab. Unten war nun eine kurze Stille eingetreten, vermutlich ließen sie sich das Bier schmecken. Langsam bog Lee um die Ecke, tastete nach dem nächsten Geländer und machte sich daran, auch die letzten Stufen hinter sich zu lassen. Als man ihn bemerkte, ertönte Gelächter. "Hey Lee!" Einer der Männern lehnte sich im Stuhl zurück, ein belustigtes Grinsen zerrte an seinen Lippen. "Du scheinst es ja doch noch zu bringen! Ist lange her, seit ich das letzte Mal etwas Gutes über dich gehört habe!" Lee drehte das Gesicht zu ihm, erwiderte seinen Blick sicher und stieg von der letzten Stufe. "Was meinst du?", röhrte der Schwarzhaarige amüsiert. "Nachdem man dich so gelobt hat, könntest du doch wieder den vollen Dienst antreten, oder?" Unbeeindruckt, beinahe unbeteiligt zuckte Lee mit den Schultern und daraufhin brach erneut Gelächter aus. So schnell, wie man auf ihn aufmerksam geworden war, ließ man ihn wieder stehen und wandte sich anderen Themen zu. Lee ging weiter. "Weißt du, was morgen passiert?" "Nein, was?" "Dreimal darfst du raten." Lee hörte auch die nächsten Worte, bog in den Flur ein und näherte sich jener Tür, wobei er das Gespräch noch immer verfolgen konnte. Seine Miene zeigte keine Regung, als er sachte nach der Klinke griff, sie hinabdrückte und die Tür öffnete. Joey war auf den Beinen. Vorsichtig ging er durch das Zimmer und als er die Geräusche vernahm, blieb er stehen und drehte sich um. "Lee?" Eilig suchten seine Augen nach dem jungen Mann. Joey selbst wirkte äußerst nervös und besorgt, als er die Hände ineinander verkeilte. "Bist du es?" Lee entwich seinem Blick, schloss die Tür hinter sich und ging in matten Schritten auf den Stuhl zu. Er zog an Joey vorbei, der ihm das Gesicht nachdrehte, angespannt lauschend. Unter einem entkräfteten Stöhnen ließ sich Lee nieder und streckte die Beine von sich. "Lee?" Joey verzog die Augenbrauen, seine Arme verschränkten sich unsicher vor dem Bauch. "Wo warst du? Geht es dir gut?" Der Angesprochene runzelte die Stirn, fuhr sich träge durch das Haar und schüttelte anschließend den Kopf. Er schien zu grübeln und ließ Joey lange auf eine Antwort warten, ohne dabei auf seine Fragen einzugehen. Bequem blieb er sitzen und blickte bald zu Joey auf. "Um mich solltest du dir keine Sorgen machen", murmelte er und betrachtete sich die besorgten braunen Augen, die sich auf einen nicht existenten Punkt richteten. "Du bekommst morgen Besuch." "Wa...?" Joey öffnete den Mund und erstarrte in der Haltung. Währenddessen wandte Lee den Blick ab, biss sich auf die Unterlippe und verfing sich erneut im Grübeln. Lange Zeit herrschte Stille in dem Zimmer. Lee regte sich nur selten, starrte auf den Boden und fischte hin und wieder nach einer langen Haarsträhne, die ihm ins Gesicht fiel. Joey schien unterdessen damit zu kämpfen, den Sinn der Worte zu verstehen, ihn zu realisieren, zu wissen, was es bedeutete. Irritiert starrte er geradeaus, zwinkerte und drehte sich zur Seite. Flüchtig schweiften seine Augen durch den Raum, bevor er den Kopf sinken ließ. "Scheiße." Er rieb sich die Stirn, verzog die Miene und flüsterte leise vor sich hin. "Ich war überrascht, dass sie dich so lange haben warten lassen", durchbrach Lee die steinerne Atmosphäre. Seine Worten klangen verbissen und aufgezwungen, als spräche er sie nicht gern aus. Joey blickte auf. "Für gewöhnlich lassen sie sich weniger Zeit." "Ah... wirklich." Joey streckte die rechte Hand aus, tastend suchte sie nach etwas, auf das man sich setzen konnte. Lee beobachtete ihn dabei mit finsterer Miene, mit Augen, die auf einen Kampf aufmerksam machten, der im Inneren des Halbamerikaners zu toben schien. "Mm", murmelte er leise und Joeys Hand erreichte den Tisch, auf dem sich der Blonde niederließ, so stockend, als wäre er durch einen derben Schlag benommen. Wieder verfolgte Lee eine jede seiner Bewegung, biss sich langsam auf die Unterlippe und brachte ein leises Räuspern hervor. "Hör zu", meinte er gedämpft und rieb sich den Nacken. "Das erste Mal ist schlimm, aber es lässt sich überleben." Er blickte Joey nicht in die Augen, gestikulierte knapp mit der linken Hand. "Ich rate dir, dir ein kleines Holzstück in den Mund zu stecken, auf das du... beißen... kannst." Somit nickte er unauffällig und starrte auf seine Hände. Langsam öffnete Joey den Mund, atmete tief ein und entschied sich alsbald doch für das Schweigen. Auch er starrte nach unten, seine Hände schlossen sich um die rauen Kanten der Tischplatte, auf der er geduckt hockte. Morgen würde also ein Mann kommen. Ein Fremder, mit dem er schlafen musste? Er blinzelte, presste die Lippen aufeinander und schloss die Augen. Eine rege Angst begann ihn zu beherrschen, gleichermaßen jedoch auch eine gewisse Wut. Man wollte ihn also zwingen, seinen Schwur zu brechen? Seinen Schwur gegenüber Kaiba, sich von niemand anderem berühren zu lassen?! Seine Schultern hoben sich unter einem tiefen Atemzug. Den für ihn heiligen Schwur?! Und das für lausiges, stinkendes Geld?! Seine Miene begann zu zucken, Lee linste zu ihm. Er sah es als Verrat an! Als Verrat und nichts anderes! Als ein Verrat an Kaiba! Was hatte dieser alles getan, um ihn zu schützen?! Vor allem! Vor jedem! Dies alles sollte er nun zunichte machen?! Einfach so?! >Das kann nicht sein!< Er schüttelte den Kopf. >Ich soll Seto hintergehen?! Für jemanden die Beine breit machen, nur, damit sich diese Scheißkerle etwas mehr Bier kaufen können?!< Er fürchtete sich weniger vor den körperlichen Schmerzen oder gar der Demütigung. Nein, diese Faktoren stellten das geringste Problem dar! Vielmehr bestand die Angst aus der Enttäuschung, dem Scham Kaiba gegenüber... vorausgesetzt, er würde ihn je wieder sehen! Joey Gesicht verfinsterte sich verbissen. >Ich wehrte mich mit allen Mitteln gegen Chester! Meine Knie waren weich! Meine Hände zitterten, obgleich er mich nur berührte! Ich entkam ihm... und soll all diese Anstrengungen einfach so zunichte und ungeschehen machen?!< Erneut atmete er tief ein, Lee musterte ihn abwägend und mitfühlend, beobachtete, wie sich ein entschlossener Ausdruck in der Miene des Blonden festsetzte, dieser kurz darauf die Augen öffnete und erneut den Kopf schüttelte. "Lee... hattest du eine feste Freundin, bevor du hierher kamst?" Irritiert hob der Schwarzhaarige die Augenbrauen. "Was?" "Führtest du eine feste Beziehung?", erkundigte sich Joey, wobei seine Stimme weder auf eine Angst, noch auf die leiseste Verunsicherung hinwies. "Nein." Langsam schüttelte Lee den Kopf, auch wenn er nicht wusste, weshalb Joey diese Fragen an ihn stellte. "Ich führe eine." Joey nickte entschlossen. "Und ich stehe zu ihr, so außergewöhnlich sie auch ist." Lee starrte ihn an. "Ich habe keine Freundin, nein... ich habe einen Freund." Lee hob die Augenbrauen, öffnete den Kopf und hob den Kopf. Er sah Joey mit bloßer Verwunderung an, weniger mit Ekel oder gar Wut. Joey jedoch, konnte seine Mimik nicht sehen. Er zögerte kurz. "Was denkst du jetzt über mich, Lee?", fragte er leise. "Ich weiß, gerade du musst etwas Derartiges verachten, da du es unfreiwillig erlebst. Seit drei Jahren...", Joey biss sich auf die Unterlippe, "... und ich verstehe auch, wenn du mich deshalb verachtest. Aber es ist nun einmal so und, wie schon gesagt, ich stehe dazu und bin glücklich, dass es so ist." Lee antwortete ihm nicht, begann ihn zu mustern, als täte er dies zum ersten Mal. "Es geht mir nicht darum, dass ich unter dem morgigen Ereignis leiden werden. Ob nun körperlich oder auch psychisch. Es geht mir darum, dass ich ihn betrügen werde und das ist schwer zu akzeptieren. Vor allem, weil es sich vermutlich nicht vermeiden lässt." Lee schlug die Augen nieder, holte tief Atem und rümpfte die Nase. "Wusste Daniel davon?" "Wie?" Über die plötzliche und äußerst ruhige Frage überrascht, hob Joey die Augenbrauen. "Habt ihr euch gut verstanden?" Lee faltete die Hände ineinander, verfolgte jede der Bewegungen. "Ähm... ja", Joey nickte, "ja, ich denke schon." "Dann wusste er es nicht." "Was...?" "Im Gegensatz zu mir billigt er es nicht, obwohl nur ich einen Grund und das Recht dazu hätte." Lee zuckte mit den Schultern. "Er hat Dinge schon immer gern verallgemeinert." "Heißt das, du denkst jetzt nicht anders von mir?" Ein sanftes Lächeln legte sich auf die blassen Lippen des jungen Mannes. "Wir hatten einmal einen Kumpel, Daniel und ich. Der interessierte sich nicht für Frauen und lebte mit einem Mann zusammen. Eine Liebe sag ich dir", Lee atmete tief ein und rieb sich den Oberarm, das Lächeln hielt an, "so zärtlich und ehrlich, wie ich es bei keinem heterosexuellen Pärchen je gesehen habe." Auch Joey fand die Kraft zum lächeln und als Lee darauf aufmerksam wurde, besah er sich diese Geste aufmerksam, während das eigene Lächeln an Kraft verlor. "Erzähl mir von ihm, Joey", bat er nach einer kurzen Stille leise. "Wie war er so?" Augenblicklich wich jegliche Freude aus Joeys Gesicht, seine Augen richteten sich entsetzt in Lee's Richtung. "Sprich nicht so, als würde ich ihn nie wieder sehen", flüsterte er. "Ich liebe ihn zu sehr, als dass das passieren könnte." Lee machte nicht den Eindruck, als würde er seine Meinung ändern. Er schwieg eine geraume Zeit. >Denkst du, es wäre zu grausam, um real zu sein, Joey? Glaubst du, deine Liebe allein kann dich retten? Vor dem, was du vor dir hast?< Die Miene des Halbchinesen wurde von einem unsicheren Trübsal befallen, bevor er langsam den Kopf schüttelte. "Wie ist er so?" Joey atmete tief durch, schob sich auf dem Tisch zurück und setzte sich bequemer. "Er ist Geschäftsmann, nach außen hin kühl und trotzdem ist er zu einer Zärtlichkeit imstande, die man ihm nicht zutraut, wenn man ihn sieht. Er ist der typische Perfektionist und doch weist er die liebenswürdigen Fehler auf, die ihn zu einem Menschen machen. Er ist um jeden besorgt, der ihm nahe steht, einem kleinen Jungen ist er ein herrlicher Bruder. Er ist...", Joey grübelte, "ein Mensch, der einem in schweren Zeiten immer zur Seite steht und alles tut, um denjenigen zu schützen. Wirklich alles, egal, wie viel er dafür aufopfern muss. Seine bloße Anwesenheit vermittelt das Gefühl unglaublicher Sicherheit, sein Auftreten ist so stolz, vermittelt anderen Menschen bloßen Respekt und erweckt den Anschein, als wäre er unantastbar, unverletzlich. Doch er ist verletzlich und antastbar, zumindest für die Menschen, die ihm nahe stehen. Er ist so anders, als man ihn in der Öffentlichkeit kennt. Er ist ein wundervoller Mensch, wenn auch manchmal etwas launisch." Nachdenklich starrte Lee auf den Boden. "Und... wie sieht er aus?" "Er ist einen Kopf größer als ich." Joey lächelte. "Brünettes Haar... stechend blaue Augen. Herrliche Augen... ich könnte stundenlang hineinsehen." Lee presste die Lippen aufeinander und schloss die Augen. "Ich weiß nicht, was er in diesen Sekunden macht." Joeys Stimme senkte sich schwermütig. "Meine Klasse jedenfalls... dürfte bereits nach Domino zurückgekehrt sein..." "Denkst du", Lee starrte wieder auf seine Hände, "dass ER hier geblieben ist?" "Du meinst, dass er mich sucht?" Lee zuckte mit den Schultern, blickte nicht auf. "Oh", Joey fuhr sich konfus durch den Schopf. "Er weißt doch nicht einmal, weshalb ich verschwunden bin. Vielleicht weiß er nicht einmal, dass ich blind bin!" "Glaubst du es?", hakte Lee nach. Mit gesenktem Kopf verharrte Joey in der Haltung, holte tief Luft und ballte die Hand, die in seinem Schopf versenkt war, zu einer Faust. Nur kurz ließ er Lee warten, dann richtete er sich auf und nickte. "Ja, ich glaube, dass er hier geblieben ist... nein, ich... ich weiß es!" ~*To be continued*~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)