Dunkle Dämmerung von Perro (Kampf um die Götterschwerter *abgeschlossen*) ================================================================================ Kapitel 23: Wie Feuer und Eis ----------------------------- Ahh, Hallo an alle tapferen Leser, die trotz meiner unregelmäßigen Uploads tapfer durchhalten und noch weiter zu mir stehen und vorallem natürlich Kommis schreiben. Seid euch gewiss, ich werde diese Geschichte auf JEDEN FALL zu einem Ende bringen, keine Sorge. Natürlich freut es mich, dass es euch noch gefällt, und ich hoffe, dass es euch euch weiterhin gefallen wird. Hier das neue Kapitel: ---------------------------------------- Kapitel XX - Wie Feuer und Eis Der 3. Oktober war für die Lancelor ein schwarzer Tag... Als die von Dunkan angeforderte Verstärkung den Schauplatz der erbitterten Kämpfe von Dämonen und Menschen erreichte, fanden sie neben dem blutigen Massaker in einer der Lagerhallen jede Menge tote Tryclonns vor, sowie die Leiche des hochgeschätzten Palas Batista. Selen musste mit einer Schusswunde in der Bauchdecke sofort zu einer Not-OP in eines der Londoner Krankenhäuser gebracht werden, während Victoria und Dymeon schwer verletzt nach Falcaniar geflogen wurden, um dort von Doc Fossil versorgt zu werden. Kevin und ich blieben die ganze Zeit über bei unseren zwei Mitstreitern, die uns soviel bedeuteten, und ließen uns mit dem Helikopter der Lancelor ebenfalls zurück in die Ordensfeste bringen. Melissa war auch bei uns. Wir hatten viel verloren und Ereos samt Excalibur entkommen lassen, doch zumindest das Mädchen mit dem Silberauge konnten wir aus dem Lügengewirr des Däezander befreien. Sie saß schweigend in einer Ecke des Helikopterinnenraumes, schweigend und zitternd und in eine dicke Wolldecke gehüllt. Ihr Gesicht war weiß wie Schnee, sie hatte sich bereits seit dem Kampf in der Lagerhalle zweimal übergeben. Bis heute weiß ich nicht was in ihrem Kopf vor sich ging. Als ihr damals der Arm abgeschlagen worden war, musste sie einen Schock erlitten haben, der so unvorstellbar groß war und sie innerlich so verwirrt hatte, dass nur ein noch größerer Schock ihren Kopf wieder klar werden ließ... Nachdem sie schließlich diesen Schock beim Mord an Batista erlebt hatte, waren all ihre schrecklichen Taten der Vergangenheit zum ersten Mal wirklich auf sie eingedrungen: der Verrat an den Lancelor, das Bündnis mit Ereos, die falsche Wut auf Dymeon und die begangenen Gräuel gegen ihre ehemaligen Kameraden. Nun saß sie da mit diesen schrecklichen Erkenntnissen, ohne dass ihr irgendjemand etwas davon abnehmen konnte... Sie starrte einsam aus dem Fenster der Schiebetür, während Kevin und ich nur Augen für die zwei Verwundeten hatten, die auf weißen festgeschnallten Tragen zu unseren Füßen lagen... Dunkan und Pendrian waren mit dem Rest der Unterstützungseinheit am Ort des Geschehens geblieben, um die örtlichen Behörden und die Presse von dem Gedanken an ein übersinnliches Phänomen abzubringen. Außerdem wollte Dunkan nicht eher gehen, ehe er den spurlos verschwundenen Storm gefunden hatte... Dunkan kam erst nach vier Tagen zurück nach Falcaniar... Storm wurde nie gefunden... Schon seit Stunden hörte Kevin nichts anderes als das regelmäßige Summen und Piepsen der Maschinen, die durch Schläuche mit Victoria verbunden waren, vermischt mit dem leise rauschenden Geräusch, das immer dann auftrat wenn ein Schwall blauer Flüssigkeit aus dem Tropf über ihr in ihren Körper strömte. Die Telepathin schlief bereits seit vier Tagen und wurde notdürftig mit einer speziellen Nährstofflösung und dem blauen Medikament versorgt, das den gleichen Wirkstoff wie ihre Pillen enthielt, doch sie schwebte nicht mehr in Lebensgefahr. Eigentlich hatte Doc Fossil sogar vorausgesagt, dass sie wahrscheinlich noch diese Nacht aufwachen würde. Gähnend starrte Kevin auf seine Uhr. Die leuchtenden Ziffern verschwammen vor seinen müden Augen, sodass er sie nur undeutlich erkennen konnte. Kurz nach drei. In Falcaniar schliefen die meisten Lancelor sicher schon, doch Kevin dachte nicht dran ins Bett zu gehen. Er würde bei Victoria sein wenn sie aufwachte und sie fragen warum sie ihre Kapseln, die sie selber als überlebenswichtig bezeichnet hatte, zu einer wichtigen Mission nicht mitgenommen hatte. Der Elementare gähnte noch einmal, während sein Blick jetzt langsam aus dem Fenster schweifte. Am klaren Sternenhimmel hing ein halbvoller Mond, der sein silbernes Licht zu ihnen schickte und die ruhigen Wellen unten am Strand und an den Klippen beleuchtete. Die bunten Blumen auf dem Weg zu den Booten hatten ihre prächtigen Farben beinahe gänzlich verloren und gingen in den kalten Herbstnächten nach und nach ein, obwohl die Tage noch angenehm warm blieben. Trotzdem rückte der Winter deutlich spürbar näher. Victoria ist wie der Winter... Anhaltende Kälte, durch die man die kurzen Augenblicke der Wärme erst wirklich zu schätzen lernt... Doch sie ist ein Winter der langsam auftaut... Was war nur an diesem Mädchen, das ihn so anzog, ihn immer an sie denken ließ? Es zerriss ihn beinahe vor Angst wenn sie in Gefahr geriet und es machte ihn wahnsinnig, dass es etwas an ihr gab was er nicht kannte. Er hasste es ahnungslos zusehen zu müssen wie sie unter einem grausamen, schmerzhaften Anfall litt, aus dem sie nur von Storm geholt werden konnte. Was verbirgst du vor mir, Victoria? Kevin löste seinen Blick wieder vom Fenster und betrachtete die schöne Telepathin. Zu seiner Überraschung lag sie mit geöffneten Augen da und erwiderte seinen erstaunten Blick völlig ruhig, ehe sie ihm ihr seltenes, bezauberndes Lächeln schenkte. "Déjà vu..." Kevin schmunzelte kurz, doch ganz entgegen seiner Art wurde er schnell wieder ernst. Mit einer knappen Bewegung seines Kopfes deutete er auf eine kleine Flasche mit blauen Kapseln, die neben ihrem Bett auf dem Nachtschränkchen stand. "Hi, schön dass du wach bist. Du sollst sofort deine Medizin nehmen, Anweisung von Doc Fossil..." Victoria gönnte dem Fläschchen nur einen ganz kurzen Blick, ehe sie sich in ihrem Bett aufsetzte und Kevin weiter beobachtete. "Was ist passiert?", fragte sie leise, während sie sich mit einer Hand durch ihr schwarzes Haar fuhr und es versuchte etwas zu ordnen. "Kannst du das nicht in meinen Gedanken sehen?" "Schon...", murmelte die Telepathin kaum hörbar, "...aber ich will es von dir hören. Ich mag deine Stimme..." Ihre Augen füllten sich mit einem Gefühl, das Kevin noch nie bei ihr gesehen hatte und das ihm den Atem raubte. Ein überwältigendes Glück rauschte durch seine Venen, stieg ihm zu Kopf und machte sich bemerkbar, indem es seine Wangen erröten ließ. Erst als die Erinnerungen an die vergangene Schlacht wieder aufzogen, verblasste die Fröhlichkeit wieder und das Gesicht des Elementaren wurde düster. "Kurz gesagt: Storm ist verschwunden, Batista ist tot. Selen erholt sich von einer schweren Schusswunde in einem Londoner Krankenhaus, du bist zusammengebrochen, Melissa ist zu uns mit einem seelischen Schock zurückgekehrt und Dymeon muss um sein Leben kämpfen... Er sieht schrecklich aus, Victoria, ich durfte ihn einmal ganz kurz sehen... Man hat ihn in einen für Besucher unzugänglichen Raum gebracht und an dutzende Geräte und Schläuche angeschlossen. Doc Fossil spritzt ihm die verschiedensten Flüssigkeiten um seine Lebensfunktionen aufrecht zu halten. Zeliarina ist die Einzige, die ihn sehen darf..." Kevin seufzte und raufte sich das weiße Haar. Eine Weile lang schwiegen die beiden Lancelor, so dass der Raum wieder erfüllt war mit dem Summen und Piepen der chromfarbenen Maschinen. Nach einer Weile setzte sich Kevin schließlich auf Victorias Bettkante und nahm vorsichtig ihre Hand. Die schlanken Finger waren kalt, doch das wunderte ihn nicht, denn als Feuerelementarer lag seine Körpertemperatur über dem Normalwert anderer Menschen. "Doch was ich noch viel schrecklicher fand war dein Zustand, Victoria...", flüsterte er zurückhaltend, "Du hattest deine Pillen nicht dabei und ich konnte dir nicht helfen, weil ich nicht wusste was los war..." Kevins Stimme fing an zu zittern, genau wie seine Hände. Victoria bemerkte es und beruhigte ihn mit einem liebevollen Lächeln, während sie ihre Finger mit seinen verschränkte. "Es ist jetzt alles gut..." "Nimm bitte deine Medikamente, Victoria... Du warst diesmal viel länger bewusstlos als beim ersten Mal. Doc Fossil meinte das deutet auf die ersten Anzeichen einer Herzrhythmusstörung hin, die bei einem weiteren Anfall nur noch schlimmer wird. Das heißt du wirst nach einer weiteren Attacke sicherlich sterben... Und das will ich nicht... Ich will dich nicht verlieren..." "Ich dich auch nicht..." Trotzdem machte Victoria keine Anstalten nach ihren Kapseln zu greifen, im Gegenteil, sie schob sie sogar so weit wie möglich auf dem Nachtschränkchen von sich weg. Kevin runzelte verwirrt die Stirn und schrie schließlich überrascht auf, als sich die Telepathin auch noch den Tropfschlauch mitsamt Nadel unwirsch aus ihrem Arm rupfte. "Victoria!" "Ich will das nicht mehr, verstehst du nicht? Ich will dich nicht verlieren, aber wenn ich wieder anfange diese Pillen zu nehmen, werde ich dich verlieren! Du wirst wieder zu einem Gesicht unter hunderten und ich werde nicht mehr dieses besondere Kribbeln spüren wenn ich dich sehe..." Sie schleuderte den Schlauch weg, so dass er gegen die Wand flog und durch die Wucht den gesamten Tropf mit Metallständer scheppernd umriss. Kevin konnte sie nur sprachlos anstarren. "Victoria, was...?" "Hast du es denn noch nicht erraten?", hauchte sie schwach, während sie sich ein Stück nach vorne beugte und mit dem Zeigefinger über Kevins Wange strich. Der Elementare rührte sich nicht, doch er drückte sanft ihre andere Hand, die mit seiner verschlossen war. "Diese blaue Substanz nimmt mir meine Gefühle... Wenn ich sie nehme, werden im Gehirn bestimmte Bereiche blockiert, so dass ich keine Enzyme und Hormone wie Adrenalin produzieren kann. Dadurch verliere ich die Fähigkeit emotional zu sein..." "Das ist doch... unmöglich..." "Ist es nicht... In vielen Dingen ist die Forschung der Lancelor weiter als die normale Welt... Sie haben bereits restlos erkundet, dass auch Gefühle nur chemische Prozesse im Körper sind..." Victoria hielt kurz inne um Luft zu holen. Sie redete sonst nicht so viel und besonders jetzt, nachdem sie gerade erst aus einem schwachen Koma erwacht war, kostete ihr jedes Wort große Anstrengung. Trotzdem gönnte sie sich nur eine kurze Pause, in der sie nicht aufhörte Kevins Wange zu streicheln. Der Elementare war immer noch völlig gelähmt, auch wenn er geistesabwesend mit dem Daumen über Victorias Handrücken strich. "Warum... tut der Orden das? Wieso wird dir etwas gegeben, das dir die Gefühle stiehlt?" Ein schwacher Anflug von Wut glomm kurz in Kevins Augen auf, doch er verschwand schnell wieder und machte dem Mitgefühl für seine geliebte Telepathin platz. Er wusste nicht genau wann es angefangen hat, wahrscheinlich schon als er sie das erste Mal gesehen hatte, doch seine Liebe zu ihr war so stark geworden, dass er es sich nicht mehr vorstellen konnte ohne sie auf Falcaniar zu leben. Er liebte alles an ihr, ihre eisblauen Augen, die hinter einer Wand aus Undurchdringlichkeit eigentlich so viel Gefühl bargen, ihre Art jedes Lächeln zu einem Geschenk zu machen, ihre Tapferkeit und ihre stille doch unzerstörbare Treue. Er wusste dass sie all das in seinem Kopf lesen konnte, doch in diesem Augenblick war es ihm egal. Eigentlich wollte er sogar, dass sie es sah, damit sie verstand was sie ihm bedeutete. "Ich danke dir, Kevin", murmelte Victoria als Antwort auf seine Gedanken. Sie beugte sich noch weiter zu ihm vor und umarmte ihn mit ihrer freien Hand, so dass er ihren warmen Atem an seinem Ohr spüren konnte. Es bereitete dem Elementaren eine Gänsehaut. "Du warst es, der mir nach drei Jahren das erste Mal wieder ein Gefühl geschenkt hat, damals in den Ruinen von Tradan. Ich gebe zu es war nur Neid. Doch dieser Neid, das Verlangen ein Leben so zu führen wie du es führst, hat mir geholfen meine Medikamente heimlich abzusetzen... Du hast in mir den Wunsch nach Gefühlen geweckt, damit ich dir das zurückgeben kann, was du empfindest..." Kevin verschwamm für einen Augenblick die Sicht, als ihn eine unglaubliche, berauschende Mischung aus Furcht und Freude überschwemmte, der er kaum noch Herr wurde. Trotzdem bemühte er sich mit aller Kraft ruhig zu bleiben, denn er wollte den Moment, in dem Victoria sich ihm öffnete, nicht zerstören. "Und seitdem ist jeder Tag ein Erlebnis. Mein Leben ist so wundervoll und so schrecklich zu gleich, ich fühle jeden Tag neue Dinge: Angst, Freude, Verwirrung. Es füllt die Leere in mir und macht mich unendlich froh... Ich will nichts anderes als das. Ich will nie wieder diese Pillen nehmen... Ich will mit dir zusammen sein... richtig zusammen..." Victoria löste sich wieder ein bisschen von Kevin, so dass sich ihre Augen begegnen konnten. Eisblau starrte erwartend in dunkelbraun und dunkelbraun erwiderte den Blick mit einer brennenden Sehnsucht, die danach verlangte gestillt zu werden. Ohne noch weiter darüber nachzudenken lehnte sich Kevin plötzlich nach vorn, um den Abstand zwischen ihren Gesichtern zu überbrücken und seine geliebte Telepathin zu küssen. Zuerst blieb es bei einer flüchtigen Berührung, einem Aneinanderstreifen ihrer Lippen, das bereits ausreichte um einen wohligen Schauer über seinen Rücken zu schicken, doch schnell wurde es mehr. Kevin küsste Victoria mit all der Zuneigung und Liebe die er aufbringen konnte, während er mit einer Hand sanft durch ihr seidiges, schwarzes Haar fuhr. Als sie sich nach einer Ewigkeit wieder voneinander lösten, blickten sie sich wieder gebannt in die Augen. "Ich habe mir das immer gewünscht, seit ich dich kennen gelernt habe", murmelte Kevin glücklich, "Nie habe ich mich wohler gefühlt..." Der Elementare nahm die Telepathin in seine Arme und sie lehnte ihren Kopf an seine Halsbeuge, während er weiter ihre Haare streichelte. Victoria schloss die Augen, als sie Kevins schnellen Herzschlag spürte. "Wie Feuer und Eis... Dein Feuer hat mein Eis zum Schmelzen gebracht... Ich will nie wieder, dass das aufhört, ich will deine Wärme immer bei mir haben..." "Ich werde bei dir sein, das verspreche ich", erwiderte Kevin mit einer Entschlossenheit, die keinen Zweifel daran ließ, dass er alles tun würde um dieses Versprechen zu halten. "Aber bitte sag mir, warum du diese blauen Kapseln nehmen musst..." Einen Moment lang spürte der Elementare wie sich Victorias Körper in seinen Armen verkrampfte, ehe er sich mit einem kaum hörbaren Seufzer wieder entspannte. "Es ist weil ich eine Telepathin bin... Mit meinen Fähigkeiten nimmt man so viele Gedanken und Emotionen auf, dass es den Kopf völlig überlastet und dabei die eigenen Gedanken untergräbt... Deswegen bleib ich in Falcaniar von Menschenmassen fern..." "Und die Sache mit Assessina?" Victoria befreite sich ein wenig aus Kevins Umarmung und sah ihn mit einem seltsamen Lächeln an. "Sie hat versucht mich mit dem Aramea zu töten, weil es den Wirkstoff meiner Pillen neutralisiert und so die vielen starken Kampfgefühle völlig unvorbereitet über mich hereingebrochen sind... Doch eigentlich hat sie mir damit ein Geschenk gemacht, denn dadurch war ich in der Lage den Neid wahrzunehmen, der alles verändert hat..." Ihre blassen Finger zogen nachdenklich Kevins Kinnlinie nach, doch der Elementare wirkte besorgt und rührte sich nicht. "Bist du sicher, dass du ohne die Pillen zurecht kommst?" "Ja", antwortete die Telepathin ohne zu zögern, "Ich werde auf sie verzichten... Nur wenn ich merke, dass ich wieder drohe zusammenzubrechen, werde ich eine von ihnen nehmen... Genug um mich für den Augenblick zu schützen, doch zu wenig um meine Gefühle auszublenden..." Victorias Finger erreichten Kevins Mund und fuhren ganz sanft über seine Lippen, so dass ihm ein neuerlicher Schauer durch den Rücken jagte. Dann beugte sich die Telepathin leicht nach vorne, ehe sich ihre Lippen ein weiteres Mal zu einem Kuss trafen. Kevin spürte ihre weichen Hände in seinem Nacken, ihr schwarzes Haar an seinen Fingern und ihren süßen Duft in seiner Nase. Nichts auf der Welt hätte diesen Augenblick vollkommener machen können und nichts hätte ihn zerstören können, denn er gehörte ihnen allein. Und so saßen sie zusammen in dem dunklen, stillen Krankenzimmer, beschienen von silbernem Mondlicht und unberührt von den schrecklichen Dingen des Götterschwertkrieges, der in ihrer Zeit tobte... Die Flasche mit den blauen Kapseln lag vergessen auf dem Nachtschränkchen, größtenteils verborgen von einem schwarzen Schatten... Die folgenden Tage waren für Kevin wie ein wahr gewordener Traum, der sich völlig der Realität entzog. Wenn die Lancelor in Falcaniar mit gehetzten, düsteren oder niedergeschlagenen Mienen an ihm vorbeiliefen, nahm er sie kaum zur Kenntnis, denn seine Augen und Gedanken blieben ständig bei Victoria, mit der er soviel Zeit wie möglich verbrachte. Nicht einmal Zeliarina, die er nur dann sah wenn sie zwischen dem Krankenbett Melissas zu Dymeon oder umgekehrt wechselte, konnte seine Laune völlig trügen. Natürlich war die Donnerhexe seine Freundin und er bemühte sich darum auch ein wenig mit ihr zu unternehmen, doch meistens hielt sie sich in Dymeons Krankenzimmer auf, das ihm verwährt blieb, so dass er stattdessen bei Victoria blieb und mit ihr die letzten warmen Herbsttage am Strand oder den Klippen genoss. Er wusste, dass man als Lancelor nicht wusste wie viel Zeit einem gegeben war, das hatte er erst bei der letzten Mission auf grausame Weise lernen müssen. Selen hatte sich zwar inzwischen von ihrer Verletzung erholt und war nach Falcaniar zurückgekehrt, doch Storm blieb weiterhin spurlos verschwunden. Neunzehn Tage lagen bereits seit den Zwischenfällen in der Londoner Fabrik hinter ihnen und die Hoffnung den leidenschaftlichen Kämpfer lebend wieder zu sehen war so gut wie erloschen. Keine Suchtrupps wurden ausgesandt, denn die alte Ordensregel verbot dies. Batista hatte man kurz nach seinem Tod den Ordensgräbern beigelegt, den Hügelfriedhöfen, die seit Dymeons Erweckung aus Excaliburs Bann wieder begehbar waren. Schon Generationen von tapferen Kriegern, Männer und Frauen jeden Alters, hatte man an diesem Ort die letzte Ruhe erwiesen. "Was hast du?", fragte Victoria leise, als Kevin bei einem ihrer Inselspaziergänge vor dem Grab stehen blieb und stumm auf die kreisrunde Öffnung des mit Gras bewachsenen Hügels starrte. Es dämmerte bereits langsam und ein kühler Wind zog auf, so dass sich die Telepathin die Jacke enger um den Körper zog. Ihre schwarzen Haare tanzten leicht, während sie ihren Freund fragend ansah und sich fragte was er wohl dachte. Sie hatte Kevin versprochen keine Gedanken mehr unnötig zu lesen, um die Gefahr einer Überbelastung durch die fehlende Medikamenteneinnahme zu minimieren, doch es fühlte sich seltsam an ohne ihre Kräfte auszukommen. Seit sie sich den Lancelor angeschlossen hatte, war sie sich nicht mehr so normal vorgekommen... "Vorgestern kam ein Brief von meinem Vater... Er hat geschrieben, dass mein Urgroßvater auch in diesem Orden gekämpft hat... Er liegt hier, Dunkan hat mir erzählt wie er von Assessina mit den Toxinklauen bei einem Großangriff auf ein verborgenes Zweigquartier des Däezander irgendwo in Hamburg getötet wurde... Man weiß bis heute nicht ob und wie sich übersinnliche Kräfte vererben, doch ich glaube von ihm habe ich meine Bestimmung zum Lancelor geerbt..." Victoria lächelte kurz und drückte seine Hand. "Eine komische Ironie... Assessina hat mir vor langer Zeit ein Familienmitglied geraubt und ich habe es unwissentlich gerächt... Gleichzeitig hat sie mir dich am Ende geschenkt... Und dafür bin ich ihr dankbar..." Auch er drückte jetzt leicht ihre Hand und beugte sich für einen Kuss zu ihr herab. Ein weiterer Windstoß zog an ihnen vorbei, sodass sich ihre Haare, weiß und schwarz, für einen Augenblick miteinander vermengten, ehe die beiden Lancelor wieder voneinander abließen und sich wortlos anlächelten. "Komm, lass uns zurückgehen..." Victoria und Kevin ließen sich Zeit damit den Pfad nach Falcaniar zurückzugehen, auch wenn es jetzt schnell kälter wurde und die Sonne als rotgelbe Scheibe am Horizont unterging. Während sie mit gleichmäßigen Schritten zum Haupttor liefen, sah Kevin mehrmals zurück zu dem Hügelgrab. "Ich werde nicht zulassen, dass du dort landest, Victoria...", murmelte der Elementare plötzlich merkwürdig nachdenklich und tief entschlossen. Die Telepathin drückte als Antwort wieder seine Hand. "Ich weiß..." Dem jungen Lancelor entging der bedrückte Unterton in Victorias Stimme, denn Dunkan trat in diesem Augenblick aus den Toren Falcaniars und kam zielstrebig auf die beiden zugelaufen. Als er sie erreicht hatte, bedachte er sie mit einem knappen, ernsten Nicken zur Begrüßung, während seine Augen von Victoria zu Kevin und schließlich zu ihren ineinander verhakten Händen wanderten. "Kevin, kann ich dich kurz sprechen?" "Natürlich", antwortete der Elementare seinem Mentor verdutzt. Er verabschiedete sich mit einem Kuss schnell von Victoria, die sich auf den Weg in ihr Turmzimmer machte, bevor er Dunkan durch ein paar Gänge folgte, die sie in einen unbenutzten Trainingsraum führten. Er war für all die Lancelor angelegt, die verschiedene Arten von Tarnungs- oder Verwandlungskräften besaßen. Ein gewaltiger Spiegel, der auf seiner Seite beinahe die ganze weiße Tapete verbarg, hing an einer der Wände um dem Anwender der Kräfte das Ergebnis seiner Formwandlung zu zeigen. "Was gibt's?", fragte Kevin ein bisschen nervös, kaum zwei Sekunden nachdem Dunkan die Tür hinter ihnen geschlossen hatte. Es entsprach sonst gar nicht dem Charakter seines Mentors zuerst neugierigen Augen zu entgehen, ehe er mit seinem Schüler sprach. Und noch weniger typisch war es für ihn Kevin mit einem unergründlichen Blick anzustarren, während er sich schweigend an einen Heizköper lehnte, die Hände in den Hosentaschen vergraben. "Geht es um eine Mission? Von mir aus kann man mich wieder einsetzen, ich habe die letzten Ereignisse verarbeitet und bin jederzeit bereit..." Dunkan schwieg weiter und blickte Kevin direkt in die braunen Augen, als suche er darin verzweifelt nach Antworten auf eine Frage, die der Elementare nicht kannte. Die Sehnen am Hals des Palas zuckten mehrmals und seine Finger pressten sich hart an die Heizung hinter ihm, bis die Knöchel weiß hervortraten. "Oder ist es Training?", versuchte Kevin weiter. Langsam machte ihn die Erscheinung seines Mentors nervös. Mit einer schnellen Bewegung fischte er ein paar Sonnenblumenkerne aus seiner Tasche, löste sie geschickt mit einer Hand von ihrer hauchdünnen, nicht essbaren Außenschale und warf sie sich anschließend in den Mund, um abwesend darauf herumzukauen. Dunkan antwortete immer noch nicht. Erst als Kevin seine Nervennahrung heruntergeschluckt hatte, gab der Palas endlich ein Lebenszeichen von sich, indem er lang und gedehnt seufzte, wie jemand, der sich dazu durchrang etwas anzusprechen was er eigentlich nicht wollte... "Ich muss mit dir über Victoria reden..." "Was?" "Ich wünschte, ich müsste das nicht tun, doch als dein Mentor ist es meine Pflicht..." Dunkan senkte den Blick zu Boden, so dass die blonden Haare seine Augen verbargen. "Doc Fossil, Victorias Mentor, hat schon versucht mit ihr zu reden, doch sie wollte nicht zuhören und Doc Fossil hat zurzeit zuviel mit Dymeon zu tun um sich auch noch um dieses Problem zu kümmern..." "Welches Problem denn?", fragte Kevin hastig, besorgt um die schöne Telepathin. Mit einer langsamen Bewegung zog Dunkan ein Fläschchen mit blauen Kapseln aus seiner Tasche und wedelte damit herum, seine Augen erneut auf Kevin gerichtet. "Eure Beziehung. Das Oberhaupt will, dass ihr sie beendet..." "Wa...?" Kevin starrte seinen Mentor fassungslos an und glaubte sich verhört zu haben. Was eben ausgesprochen wurde, konnte nicht ernst gemeint sein. Warum sollte der Kopf des Ordens etwas gegen die Beziehung zweier junger, relativ unbedeutender Lancelor haben, warum sollte er die Beziehung, die den beiden wenigstens einen Hauch Frieden schenkte, verbieten wollen? "Wie..." Der Elementare war völlig vor den Kopf gestoßen und fand einfach keine Worte. "Weißt du, warum Victoria diese Pillen nehmen muss?", fragte Dunkan ernst, das Fläschchen immer noch deutlich sichtbar in den Händen. Kevin nickte langsam. "Dann bin ich ernsthaft enttäuscht von dir, dass du sie in solch eine Gefahr bringst und es zulässt, dass sie sie nicht mehr nimmt! Sie nimmt sie nicht mehr wegen dir!" "Das weiß ich auch!", schoss Kevin zurück, "Ich weiß, dass es schwer wird, doch es war ihre Entscheidung auf die Medikamente zu verzichten, um ein normales Leben führen zu können! Ich kann nicht glauben, dass ich mich mit dir darüber streiten muss!" "Ich kann nicht glauben, dass du so stur bist und Victorias Leben aufs Spiel setzt!" "Es ist ihre Entscheidung und ich respektiere sie, okay? Ich weiß, dass es schwer wird, dass wir Probleme haben werden, doch ich will es mit ihr versuchen! Sie hat versprochen gut auf sich aufzupassen! Und ich liebe sie, Dunkan!" Der Palas schnaubte, doch Kevin ließ sich davon nicht beirren. "Mag sein, dass es für dich merkwürdig aussieht wenn ein Junge wie ich von richtiger Liebe redet, doch ich weiß wovon ich spreche! Ich benutze solche Worte nicht leichtfertig!" Das ist es nicht, Kevin... "Das ist ein Befehl, Kevin. Darüber wird nicht diskutiert!" Ich verstehe das Gefühl, wenn man jemanden aufrichtig liebt... Wenn man alles andere vergisst, nur um sie haben zu können... Wenn man alle Regeln und jegliche Moral über Bord wirft... "Das ist lächerlich! Der Orden hat nicht die Macht über unsere Gefühle zu richten! Du redest als würden unsere Seelen euch gehören! Ich kann nicht glauben, dass wir dieses Gespräch hier tatsächlich führen, ich dachte du wärst mein Freund, Dunkan. Ich dachte gerade du verstehst mich!", schrie Kevin von gewaltiger Wut erfasst. Eine Stichflamme entzündete sich kurz an seinem linken Arm und Funken sprühten von seinen Fingern. Ich verstehe dich doch... Aber es geht nicht... Du wirst dich nur ins Unglück stürzen... "Ich wiederhole: das ist ein Befehl von deinem Vorgesetzten! Du hast einen Eid abgelegt!" "Ich scheiß auf den Eid! Niemand wird mir Victoria wegnehmen! Niemand von euch hat das Recht über unser Schicksal zu bestimmen, nicht einmal das Oberhaupt!", brüllte der Elementare weiter. Noch ehe sein Mentor ihm antworten konnte, machte er plötzlich auf dem Absatz kehrt und stürmte aus dem Zimmer. Dunkan blieb alleine zurück, das Fläschchen mit den blauen Kapseln immer noch erstarrt in den Händen. So hätte das Gespräch nicht verlaufen sollen, eigentlich hatte der Palas mit seiner barschen Vorgehensweise Kevin brutal klarmachen wollen, dass der Orden seine Beziehung zu der jungen Telepathin nicht tolerierte, doch er hatte den Jungen damit nur angestachelt. Er hätte es besser wissen müssen, in seiner lang zurückliegenden Jugend hätte er nicht anders gehandelt. "Scheiße..." Kevin, es wird nicht funktionieren... Eure Liebe wird euer Untergang sein... Sie wird Victoria töten... und dir anschließend das Herz brechen... Ohnmächtig von der Erkenntnis, dass er Kevin das Leid nicht ersparen konnte, schleuderte Dunkan die Flasche mit aller Kraft gegen den riesigen Spiegel an der Wand, so dass dieser in tausende Scherben zersplitterte und das Spiegelbild des Palas mit gewaltigen Rissen durchschnitt. Blaue Kapseln verteilten sich klappernd auf dem Fußboden. Das sind Augenblicke, in denen ich mein Leben hasse... Der Lancelor blieb noch lange stumm an seinem Platz, die Augen trüb auf den kaputten Spiegel, die Gedanken bei seinem Schüler und schließlich bei einer längst vergangenen Liebe, die vor über hundert Jahren durch den Däezander vernichtet worden war... Kevin lief noch immer völlig außer sich ohne wirkliches Ziel durch die Gänge Falcaniars. Sein Blut rauschte beängstigend laut in seinen Ohren und er wusste, dass er die glühende Wut zurückdrängen musste, wenn er nicht einen Teil der Feste bei einem plötzlichen Anfall abfackeln wollte. Obwohl er für einen Augenblick lang echt Lust dazu gehabt hätte... Eine weitere Welle des Zorns schwappte über ihn hinweg, doch er brachte sich langsam unter Kontrolle und bohrte seine Fingernägel in die Handflächen, damit die Schmerzen seinen aufgewühlten Kopf durchstießen. Schließlich blieb der Elementare mitten auf einer weiten Treppe stehen. Seine Atmung beruhigte sich langsam wieder und sein unkontrollierbarer Zorn verwandelte sich in stille, trotzdem sehr deutlich spürbare Wut, die in seinem Bauch vor sich hin waberte. Zähneknirschend und mit geballten Fäusten verdrängte er den Wunsch auf irgendetwas loszugehen, irgendetwas zu zerstören. Am besten etwas, das dem Oberhaupt gehörte... Wie konnte der Anführer der Lancelor es wagen? Er hatte kein Recht ihn und Victoria wie Untertanen zu behandeln. Dunkan hatte es aussehen lassen als wären sie Eigentum des Ordens, das zu tun hatte was man ihnen befahl, und das machte ihn wütend und schmerzte zugleich, denn er hatte seinen Mentor immer für einen anständigen Kerl gehalten. Wahrscheinlich war dieser das auch. Bei ihrem Gespräch hatte der Palas gleich zu Beginn gesagt, dass er dieses Gespräch nicht gerne führte, also gehorchte er vielleicht auch nur dem Willen des Oberhauptes. Trotzdem konnte Kevin nicht glauben, dass man ihn von Victoria trennen wollte... Nichts würde sich zwischen sie drängen... "Kevin?" Der Elementare fuhr herum. Einen Augenblick lang befürchtete er Dunkan hätte ihn eingeholt, doch es war nur Selen, die gutmütige Lancelorin mit den verschiedenen Blautönen in ihren Haaren. Die Blässe in ihrem Gesicht wurde durch die Beleuchtung an der Decke stark betont und ihr Lächeln wirkte nicht so freundlich wie sonst. Ohne Frage trauerte sie noch immer um den verstorbenen Palas Batista, mit dem sie seit Jahren eng befreundet gewesen war. "Hi Selen..." "Was stehst du hier rum?", fragte die Lancelorin. Kevin konnte spüren, dass ihr Lächeln nur aufgesetzt war um ihre Trauer zu verbergen. Als sie ihn kameradschaftlich mit der Faust gegen die Schulter puffte, verschob sich ihr Shirt für einen Augenblick etwas nach oben, so dass der Elementare einen Blick auf die Verbände um ihren Bauch erhaschte. Mit einem Schlag verflog Kevins ganzer Ärger und er schenkte Selen ein aufrichtiges Lächeln. "Ich habe nur nachgedacht, es geht mir gut. Wie steht's mit dir?" "Die Wunde heilt", erwiderte Selen tonlos, während sie eine Hand nachdenklich auf ihren Bauch legte. "Ich habe unsagbares Glück gehabt. Die Ärzte in London konnten mich gerade noch rechtzeitig wieder zusammenflicken. Obwohl die Kugel keine wichtigen Organe verletzt hat und das Anti-Aramea darin den Körper nicht schädigt, dauerte die OP über drei Stunden. Ziemlich viel Blutverlust und so..." Sie strich sich nachdenklich über den bandagierten Bauch, doch ihr Blick ruhte dabei auf Kevin. "Und warum stehst du nun wirklich hier? Ich bin eine Gefühlstelepathin, ich kann deine versteckte Wut deutlich spüren... Was ist los?" Kevin war überrascht von der Fürsorge der Lancelorin. Obwohl sie sich kaum kannten und Selen mit eigenen Problemen zu kämpfen hatte, schien sie ein ernsthaftes Interesse an dem Frust zu haben, der im Inneren des Elementaren tobte. "Ich", begann Kevin ohne wirklich zu wissen was er sagen wollte. "Ich... ich bin seit kurzem mit Victoria zusammen..." "Der Telepathin? Das freut mich." "Dann bist du die Einzige", murmelte der junge Lancelor bitter, "Denn Dunkan hat mir erst vor wenigen Minuten deutlich klargemacht, dass der Orden diese Beziehung nicht duldet..." "Lächerlich", stieß Selen hervor, ehe sie in ein kurzes Lachen verfiel, das schnell wieder verstummte, als sie Kevins harten Gesichtsausdruck sah und den wachsenden Zorn in ihm wahrnahm. "Das muss ein Irrtum sein." Der Elementare schüttelte nur den Kopf. "Wieso sollte es ein Problem geben wenn zwei Lancelor eine Beziehung eingehen? Das wäre doch nicht das erste Mal... Geh zum Oberhaupt und rede mit ihm. Ich bin sicher das wird helfen." "Das Oberhaupt...besuchen?", murmelte Kevin leise zu sich selbst, als teste er die Idee anhand des Klangs seiner Stimme. Wie jeder Lancelor wusste er natürlich wo das Büro des Oberhauptes lag, doch wie jeder Lancelor scheute er sich auch davor den Anführer des gesamten Ordens mit seinen kleinen Problemen zu stören, während dieser tagtäglich versuchte den Fortbestand der Menschheit zu sichern... Andererseits war es das Oberhaupt gewesen, das offensichtlich mit der ganzen Sache angefangen hatte. Vielleicht würde Kevin von ihm endlich ein paar klare Antworten bekommen. Den Versuch war es wert. "Gute Idee, Selen! Danke!" Die Lancelorin schaffte es nicht mehr noch irgendetwas zu erwidern, denn Kevin rannte bereits die Treppe hinauf, wobei er zwei Stufen auf einmal nahm und nur kurz zurückblickte um Selen zum Abschied hastig zuzuwinken. Das Büro des Oberhauptes lag in einem abgelegenen Teil Falcaniars, der nicht sehr häufig begangen wurde. Keine Trainingsräume hatte man hier eingerichtet und keine Quartiere wurden hier besetzt, so dass über dem Ort immer eine ruhige Stille lag. Als Kevin vor der Tür des Büros stand, fühlte er wie sich die aufgewühlten Emotionen in seinem Kopf ungewollt legten und nur Platz für Sachlichkeit ließ. Trotzdem trat der Elementare ohne zu zögern ein. Das Innere des Büros verstärkte die beruhigende Wirkung auf den Besucher. Die Wände waren hell gestrichen, der Fußboden mit weißem Teppich bedeckt. Auf großen Regalen aus hellbraunem Holz reihten sich verschiedene Archive aus Aktenordnern und Heftern, auf verschiebbaren Korkwänden klebten per Rotstift bearbeitete Karten und an den Wänden hingen säuberlich angebrachte Landschaftsbilder und drei altertümliche Speere, die sich in einem Punkt trafen und somit dem Symbol der Lancelor erstaunlich ähnlich sahen. Ein hohes Wasserspiel stand in einer freundlich beleuchteten Ecke. Die leise plätschernden Geräusche vermischten sich harmonisch mit altmodischer Musik aus unsichtbaren Lautsprechern. Doch Kevins Blick wurde sofort auf den gewaltigen Schreibtisch in der Mitte des Zimmers gelenkt, der beladen war mit einem Computer, mehreren Schreibablagen, Stifthaltern, Notizzetteln, einer schlichten weißen Kaffeetasse und einer angerissenen Kekstüte. Das Oberhaupt saß an dem Schreibtisch und brütete über einigen Formularen, unbeeindruckt von dem unangekündigten Besucher. Er sah nicht einmal auf, sondern schrieb schweigend weiter, während seine freie Hand nach einem Keks tastete. Kevin räusperte sich. Das Oberhaupt hielt in seiner Bewegung inne, legte den Stift schließlich beiseite und zog gleichzeitig die Hand aus der Kekstüte ohne etwas daraus genommen zu haben. Als es den Kopf hob und Kevin anblickte, glaubte der Elementare von den tiefblauen Augen durchbohrt zu werden. Schneeweißes Haar umrahmte sein feines Gesicht und fiel beinahe bis zum Boden herab. Der Leiter des Ordens hatte nichts von seiner unwirklichen, majestätischen Erscheinung verloren und schien eine Aura mit sich zu tragen, die ihn völlig immun gegen den Zahn der Zeit machte. Niemand kannte sein wahres Alter oder wagte es auch nur zu schätzen. Kevin hatte noch nicht einmal seinen wirklichen Namen gehört. Für ihn hieß es immer nur ,Das Oberhaupt' oder ,Der Meister'. "Kevin Douglas, nicht wahr?", fragte der Anführer der Lancelor freundlich. Sein Lächeln entblößte perfekte und weiße Zähne. "Ich dachte mir fast, dass du hier auftauchen würdest..." "Tatsächlich?", schnappte Kevin, während er darum bemüht war trotz der Ruhe des Ortes und dem charmanten Auftreten des Oberhauptes seine Wut heraufzubeschwören. Victorias liebliches Gesicht tauchte vor seinem geistigen Auge auf und erweckte langsam den Zorn, den er bei Dunkans Worten empfunden hatte. "Ja, tatsächlich", fuhr der Meister fort, während er die glitzernden blauen Augen weiter auf den jungen Lancelor gerichtet hielt. "Ich weiß, dass es schwer ist eine Liebe loszulassen, doch zum Wohle von Victoria Sommerset musst du eure Bande auflösen... Wenn du sie wirklich liebst, dann weißt du, dass dies die einzige Möglichkeit ist..." "Wovon zum Teufel redet ihr eigentlich die ganze Zeit?", schrie Kevin aufgebracht, "Wieso wollt ihr uns die Chance nehmen glücklich zu sein? Wieso wollt ihr Victoria die Chance nehmen ein normales Leben zu führen, ein Leben mit Gefühlen? Ich weiß auch, dass es schwer wird und dass es gefährlich ist, aber doch nicht unmöglich! Wenn sie es vermeidet zu viele Gedanken zu lesen und immer ein paar ihrer Pillen für den Notfall bereit hält, können wir einen neuen Anfall vermeiden! Sie wird ihre Kräfte unter Kontrolle kriegen!" "Kräfte?", wiederholte das Oberhaupt mit hochgezogenen Augenbrauen. Lange starrte es den erregten und schwer atmenden Kevin an, ehe es kaum hörbar seufzte. "Ich kann dir nicht ganz folgen, doch du musst leider einsehen, dass es für Victoria eben nicht diese Chance auf ein normales Leben gibt. Ohne ihre Medikamente wartet auf sie nur der Tod." "Wieso sagt ihr das?" Kevin konnte nicht mehr klar denken. Wenn er daran dachte, dass man ihn tatsächlich von seiner geliebten Victoria trennen wollte, wurde ihm übel und weiß glühende Wut stieg in seinen Kopf. Er würde nicht zulassen, dass man sie auseinander riss. Er verstand nicht was Dunkan und das Oberhaupt die ganze Zeit redeten, doch er würde es nicht zulassen! "Wieso wollt ihr unsere Beziehung kaputtmachen?" "Wir wollen sie nicht kaputtmachen, wir wollen euch schützen", erklärte der Meister ruhig. Seine weißen Haare glitzerten und seine blauen Augen leuchteten. Ohne den Augenkontakt auch nur für eine Sekunde zu brechen nahm er einen Keks in seinen Mund und kaute geduldig darauf herum. Als er alles heruntergeschluckt hatte, seufzte er gedehnt. "Ich denke ich verstehe, wo das Problem liegt... Was hat dir Victoria über ihre Anfälle erzählt?" "Alles. Dass sie bei einer zu intensiven Aufnahme verschiedener Gedanken überbelastet wird und deswegen zusammenbricht. Dass sie die Kapseln nimmt um Gefühle zu unterdrücken, damit sie nicht von den heftigen Empfindungen anderer überwältigt werden kann..." "Und du hast dich nicht gefragt, wieso sie immer schreckliche Schmerzen im Herz hat, anstatt einfach so bewusstlos zu werden?", hakte das Oberhaupt geduldig nach. Kevin trat herausfordernd näher an den Schreibtisch, hielt jedoch schließlich inne und schüttelte den Kopf. "Kein Wunder, dass du so aufgebracht bist. Du weißt gar nicht um was es hier geht. Victoria hat dich angelogen..." "Lüge!", brüllte Kevin in Rage. Wütend schlug der Elementare mit der Faust auf den Tisch und entzündete so ein paar Funken, die in der Luft herumwirbelten. Als er die Hand wieder hob, war sein Faustabdruck als schwarzer Brandfleck in die glatte Holzoberfläche eingebrannt. Er wusste, dass er sich unter Kontrolle halten musste, doch in diesem Augenblick wollte er sich nicht zügeln. Er schämte sich auch nicht dafür die Einrichtung des Oberhauptes zu beschädigen. "Das ist keine Lüge. Die einzige Lüge hier ist die Geschichte von Victoria", meinte der Leiter des Ordens weiter, unbeeindruckt von der Brandstelle in seinen Möbeln. "Victoria hat ihre Probleme wegen etwas ganz anderem... Vor über vier Jahren gab es nämlich einen Einsatz, bei dem eine damals dreizehnjährige Lancelorin schwer zugerichtet wurde. Ein Dämon pflanzte ihr an der Schulter einen Parasiten ein. Das Mädchen reagierte schnell und besser als jeder Palas, indem sie sich selbst an eben dieser Stelle mit einer Heiligen anschoss. Das Anti-Aramea in der Kugel schwächte den Parasiten so stark, dass dieser nur zu ihrem Herz kam und dort in eine Art Koma verfiel... Die Lancelorin war Victoria und der Parasit liegt nach vier Jahren noch immer an der gleichen Stelle in ihrem Körper..." Das Oberhaupt nippte kurz an seinem Kaffee, während Kevin versuchte das Gehörte zu verarbeiten. "Das ist doch...unmöglich...", versuchte der Elementare verzweifelt, ohne selber daran zu glauben, dass das Oberhaupt log. Die Augen des Ordensführers füllten sich mit aufrichtiger Trauer. "Ja, eigentlich ist es unmöglich... Es ist ein einmaliger Fall, der noch nie zuvor aufgetreten ist und sicher auch nie mehr auftreten wird... Viele verschiedene Zufälle haben zusammengespielt, doch ob man glaubt oder nicht, der Parasit steckt in ihrem Herzen und ,schläft' dort sozusagen..." Gequält beobachtete Kevin wie das Oberhaupt nachdenklich mit dem Stift auf der Tischplatte herumtrommelte und schließlich ein paar Unterlagen hervorkramte. Er blätterte die Seiten kurz durch und überflog sie halbherzig. "Man hat schon versucht den Parasiten operativ zu entfernen, doch er hat ein Stück aus der äußeren Herzwand gerissen, als er in ihr gewütet hat, und blieb anschließend dort liegen. Er ist also sozusagen ein Teil ihres Herzens geworden. Man kann ihn nicht mehr entfernen ohne dass es Victoria umbringt..." Bei einer bestimmten Seite verharrte er länger. "Das Mädchen musste zig Untersuchungen über sich ergehen lassen und es stand lange Zeit in den Sternen ob sie überhaupt überleben würde. Dann hat Doc Fossil ein Serum entdeckt, eine spezielle Mischung aus verschiedenen Substanzen und Kajium, dem so genannten Anti-Aramea... Es blockiert in Victoria die Emotionen und hält den Parasiten weiter in seinem Schlaf..." Das Oberhaupt reichte Kevin die Unterlagen über den Fall Victoria Sommerset, doch der Elementare nahm sie nicht an. Er war gelähmt vor Schrecken und ein schwerer Kloß saß in seinem Hals, um ihm das Atmen zu erschweren. Eigentlich wollte er raus aus dem Büro, weg von dem Oberhaupt, denn in ihm keimte langsam die beängstigende Angst, dass diese Geschichte zu einem schrecklichen Schluss führen würde... Ohne ihre Medikamente wartet auf sie nur der Tod... Die Worte hallten immer und immer wieder in seinem Kopf. "Wieso... wieso muss dieses Serum ihr die Gefühle nehmen?", brachte Kevin schließlich zwischen zusammengepressten Kiefern hervor. Das Oberhaupt verstaute die Unterlagen wieder, ehe er antwortete: "Gefühle steigern den Puls. Empfindet man Angst, Trauer, Wut...oder Liebe...dann fängt das Herz an schneller zu schlagen. Der Parasit in ihrem Körper nimmt das wahr und wird dadurch langsam aus seinem Schlaf gerissen. Wenn das geschieht, würde er damit weitermachen Victorias Körper von innen aufzufressen, angefangen bei dem Herz. Sie würde sterben..." Sterben... Entsetzt wich Kevin einen Schritt zurück und starrte das Oberhaupt an, flehend und hoffend, dass irgendetwas an der Geschichte nicht stimmte. Doch in den blauen Augen des mysteriösen Mannes fand er nur Mitleid. Ohne ihre Medikamente wartet auf sie nur der Tod... "Nein..." Sie würde sterben... "Nein, nein, nein! Nein!" Wieder wurde Kevin von einem Gefühl völlig überschwemmt, doch es war nicht die ihm vertraute Wut, sondern eine grausame Hilflosigkeit, die ihn von innen heraus auffraß wie ein Parasit des Däezander. Der Elementare wusste worauf die Erzählung des Oberhauptes hinauslief. Victoria durfte keine Gefühle haben wenn sie am Leben bleiben wollte, doch durch ihn wollte sie wieder Gefühle haben. Sie wollte Liebe spüren, eine verlorene Liebe, eine Liebe von der sie wusste, dass sie sie töten würde... Kevin konnte sich kein grausameres Schicksal vorstellen. "Es tut mir Leid, Kevin, doch vielleicht verstehst du jetzt warum ich anordnen musste eure Beziehung zu beenden... Victoria läuft in ihr Verderben... Bei ihrem ersten Anfall war es nur das Aramea, das Assessina ihr eingeflößt hatte um den Parasiten zu stärken, doch beim zweiten Mal lag es an dem bewussten Verzicht auf die Medikamente... Es wird wieder geschehen, wenn sie die Kapseln nicht nimmt..." Sie würde sterben... "Das ist nicht fair... DAS IST NICHT FAIR!" Kevin verlor die Kontrolle. Ohnmächtig vor Verzweiflung griff er nach dem erstbesten Aktenordner und schleuderte ihn quer durch den Raum, so dass die Blätter im ganzen Zimmer herumflogen. Er wusste, dass es falsch war, doch er musste sich irgendwie austoben, er musste seinen Gefühlen ein Ventil geben. "Warum können wir in diesem Krieg kein Glück finden?" Ein zweiter Aktenordner flog, dann ein dritter, der gegen die Wand klatschte und ein Bild mit zu Boden riss. Das Oberhaupt zuckte nicht einmal ein bisschen zusammen, seine mitfühlenden Augen waren traurig auf den tobenden Elementaren gerichtet. "Warum? Warum?" Nachdem Kevin schließlich den vierten Aktenordner gegen das plätschernde Wasserspiel geschmissen hatte und kaltes Wasser durch das Zimmer spritzte, war der Anfall plötzlich vorbei. Erschöpft brach der Elementare zwischen seinem angerichteten Chaos auf dem Fußboden zusammen. Tränen wollten sich in seinen Augen sammeln, zum ersten Mal seit er seinen alten Freund vor vielen, vielen Jahren beinahe verbrannt hatte. "Warum... darf ich sie nicht lieben...?" Nach diesen Worten weinte Kevin Douglas. Er weinte hemmungslos und heftig wie ein kleines Kind und hatte nicht einmal mehr den Willen das Schluchzen zu unterdrücken, während die Tränen ungehindert von seinem Kinn auf den Teppich tropften. "Victoria opfert ihr Leben für mich... Und ich würde alles für sie geben... Trotzdem...dürfen wir uns nicht lieben..." Ohne sich umzusehen zwang sich der Elementare zurück auf seine Füße. Seine Schritte waren so unsicher, dass er schwankte und sich einen Augenblick lang mit verkrampften Fingern am Türrahmen abstützen musste. Die Salzspuren seiner Tränen glitzerten noch auf seinen Wangen. "Danke... für die Wahrheit...", murmelte Kevin zum Abschied kraftlos, ehe er mit hängenden Schultern aus dem Büro ging... An diesem Abend lag Kevin lange in seinem Bett und starrte im Dunkeln an die Decke, während im Hintergrund aus seiner Musikanlage die letzten Töne von Audioslave verhallten. Danach war es bis auf sein gleichmäßiges Atmen still im Zimmer des Elementaren. Nur wenn man ganz genau hinhörte konnte man noch das leise Rauschen der Wellen wahrnehmen, doch Kevin war dafür viel zu sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Die Worte von Dunkan und dem Oberhaupt schwirrten in seinem Schädel herum bis er Kopfschmerzen bekam und eine Frage tauchte immer wieder von neuem zwischen ihnen auf: Was wirst du nun tun? Kevin wusste, dass es nur zwei Möglichkeiten gab und jede von ihnen grausam sein würde. Wenn er weiter mit Victoria zusammen sein wollte, hatte sie auf kurz oder lang keine Überlebenschance mehr, doch wenn er die Beziehung aufgab, würde er seinen meistgeliebten Mensch auf Erden für immer verlieren. Es war unmenschlich so eine Entscheidung treffen zu müssen... Plötzlich wurde Kevin aus seinen Gedanken gerissen. Seine Zimmertür öffnete sich leise knarrend und ließ ein wenig Licht aus dem Flur herein, so dass er die schwarze Silhouette einer Person sehen konnte, die vorsichtig in den Raum trat. "Kevin?", flüsterte eine weibliche Stimme unsicher, "Schläfst du schon?" Das Herz des Elementaren machte einen Hüpfer. "Victoria?" Er beobachtete die Telepathin verwirrt, während sie die Tür wieder lautlos hinter sich schloss und unschlüssig mitten in seinem Zimmer stehen blieb. Sie trug nur ein weites weißes T-Shirt und eine blaue kurze Hosen, die sie offenbar zum Schlafen benutzte. Ihre eisblauen Augen leuchteten in der Dunkelheit. "Ist alles in Ordnung?" "Ich konnte nicht schlafen... Und irgendwie hab ich mich alleine gefühlt...", murmelte Victoria, als wären es Worte, die sie nicht gewohnt war auszusprechen. "Möchtest du... hier bleiben?", fragte Kevin sanft. Allein bei ihrem Anblick spielten die Gefühle in ihm wieder verrückt. Die ganzen positiven Empfindungen der letzten Tage vermischten sich mit den ebenso schrecklichen Emotionen, die ihn heute heimgesucht hatten, bis dem Elementaren gar nicht mehr wusste wo ihm der Kopf stand. Als Victoria auch noch zögerlich nickte, schien sich ein Stein in seinem Magen festzusetzen. Trotzdem versuchte er sich nichts anmerken zu lassen, als er die Decke ein Stück anhob und auf seinem geräumigen Bett nach hinten rutschte, so dass die Telepathin neben ihm Platz hatte. Sie kroch schnell unter die Decke und kuschelte sich an sie, während ihre Finger nach Kevins Hand tasteten und sie festhielten. "Danke..." "Kein Problem", hauchte der Feuerelementare, ehe er ihr einen flüchtigen Kuss auf die Stirn tupfte und ihre Hand drückte. Dabei bemerkte er, dass sie sich kälter anfühlte als sonst und ihre Haut selbst im schwachen Licht des Mondes blasser war. Fragend schaute er seiner Freundin in die Augen, doch sie wich dem Blick schnell aus und legte sich mit dem Rücken zu ihm auf die Seite. Er folgte ihrer Bewegung, drückte sich ganz leicht mit dem Bauch gegen ihren Rücken und schloss ihre Arme um sie, um die Telepathin mit seiner Körpertemperatur zu wärmen. Die Kälte Victorias war ein starker Kontrast zu seiner Hitze. Eine Weile blieben sie einfach nur so liegen und Kevin genoss das Gefühl seine geliebte Telepathin bei sich zu haben, doch die Stille zwischen ihnen wurde schließlich unangenehm, so dass er das Gefühl hatte sie brechen zu müssen. "Was ist los?", flüsterte er ihr ins Ohr. "Mir ist kalt..." Sie kuschelte sich noch etwas enger an ihn. "Und ich habe Angst..." "Angst?" "Ja... Du hast mit Dunkan über mich geredet, oder?" Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Kevin wusste, dass sie wieder seine Gedanken gelesen haben musste und deswegen über alles bescheid wusste, was ihm im Kopf herumschwirrte: die Gespräche mit seinem Mentor und dem Oberhaupt und die grausame Wahl, die sich daraus ergeben hatte. Er nickte schwach und murmelte ein Wort der Zustimmung. Victorias Körper verkrampfte sich spürbar in seinen Armen. "Du hättest mich nicht belügen sollen..." "Ich hatte Angst vor deiner Entscheidung... Ich habe immer noch Angst davor", gestand die Telepathin zitternd. "Ich weiß, dass du niemanden für dich sterben lassen würdest, deswegen habe ich dir mein Problem verschwiegen und für mich selbst entschieden... Du kannst mich nicht davon abbringen zu fühlen... Ich will lieber nach ein paar Wochen mit dir sterben, als ein ganzes Leben lang einsam und gefühllos zu verbringen..." Victoria schluchzte kurz und griff schutzsuchend nach Kevins warmen Händen, während dieser sie noch fester an sich drückte und sein Gesicht in ihrem schwarzen Haar vergrub. Draußen rollten die Wellen wieder murmelnd gegen die Brandung und die gedämpften Stimmen zweier einzelner Lancelor wehten kurz ins Fenster herein. Dann war es wieder ruhig, abgesehen von der Wanduhr, die in der Dunkelheit gleichmäßig vor sich hintickte. "Was denkst du...?" "Ich... habe keine Ahnung...", seufzte Kevin ausgelaugt. Er fühlte sich plötzlich ausgebrannt und innen völlig leer, verloren und hoffnungslos. Victoria war das Einzige, das er sich bei den Lancelor je gewünscht hatte. Nun musste er sich darauf gefasst machen bald von ihr Abschied zu nehmen, so oder so... "Ich will dich nicht verlieren... Doch egal was ich tue, ich werde dich verlieren... Wir haben keine gemeinsame Zukunft..." "Ich weiß...", wisperte Victoria traurig. "Aber ich will, auch wenn es schwer fällt, die letzten Tage und Wochen genießen, die mir gegeben sind... Der Parasit soll mein Herz ruhig fressen wenn es soweit ist, aber bis dahin werde ich es so gut es geht mit Gefühl füllen..." Mit einer schnellen Bewegung drehte sich die Telepathin in Kevins Umarmung herum, sah ihm in die Augen und küsste ihn liebevoll. Der Elementare schloss die Augen und genoss die Berührung, auch wenn sie innerlich schrecklich wehtat, denn er wusste, dass Victoria schon bald nicht mehr da sein würde. Es hatte keinen Sinn darüber zu streiten. Sie hatte ihre Entscheidung getroffen und nichts was er sagen würde, könnte sie umstimmen... Sie wird sterben... Und noch während sie sich küssten, liefen Kevin zum zweiten Mal an diesem Tag Tränen über die Wangen. Auch Victoria weinte. Trotzdem hielten sie sich fest, klammerten sich aneinander und suchten Trost in den Armen des anderen. Wer konnte schon sagen, wie viel Zeit ihnen überhaupt noch blieb? -------------------------------------- Nächstes Mal: Die Wege der jungen Lancelor trennen sich... Und einer von ihnen wird dabei gänzlich verloren gehen... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)